Anna ahnt nichts von der Gefahr - Britta Frey - E-Book

Anna ahnt nichts von der Gefahr E-Book

Britta Frey

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Beschreibung

Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! »Mami, der Briefträger kommt!« Natalie, liebevoll Nana genannt von ihrer Mutter, preßte ihre Stupsnase an die Fensterscheibe. Sie wußte, daß die Mutter auf einen Brief wartete. »Danke, Nana, ich laufe schnell hinunter, vielleicht habe ich ja heute Post.« Stefanie Walter nahm den Briefkastenschlüssel vom Haken neben der Tür und ging in den Hausflur hinaus. Sie hatte vor einer Woche mehrere Stellenbewerbungen als Hotelsekre­tärin abgesandt und wartete nun auf Antwort. Seit sie vor zwei Jahren durch den Unfalltod ihres Mannes Andreas plötzlich Witwe geworden war, hatte sich ihr Leben dramatisch verändert. Er hatte eine Lebensversicherung gehabt, so daß sie zuerst wenigstens keine existenzielle Not litten. Es war schwer genug gewesen, mit dem Schicksalsschlag fertig zu werden. Nana war gerade drei Jahre alt gewesen. Jetzt ging die Kleine in den Kindergarten, das Geld würde nicht ewig reichen, es wurde Zeit, sich wieder eine Zukunft zu schaffen. Stefanie war vor ihrer Heirat und bis zu Natalies Geburt Hotelsekretärin gewesen, in diesem Beruf wollte sie wieder arbeiten, wenn irgend möglich. Es war interessant und abwechslungsreich. Aber niemand schien sie beschäftigen zu können. Entweder bildete Nanas Existenz ein Hindernis für die Hotelmanager – sie befürchteten wohl, Stefanie könnte zu oft fehlen –, oder ihre längere Hausfrauentätigkeit wirkte sich negativ aus. Stefanie hatte bereits fünf Absagen bekommen in den letzten Wochen, seit sie sich um Arbeit bemühte. Sie lief die Treppe hinunter. Der Briefträger stand noch unten im Haus und verteilte die Post. »Guten Morgen, Frau Walter! Tut mir leid, nichts für Sie dabei.«

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Kinderärztin Dr. Martens – 89 –Anna ahnt nichts von der Gefahr

Kann Dr. Hanna Martens helfen?

Britta Frey

»Mami, der Briefträger kommt!«

Natalie, liebevoll Nana genannt von ihrer Mutter, preßte ihre Stupsnase an die Fensterscheibe. Sie wußte, daß die Mutter auf einen Brief wartete.

»Danke, Nana, ich laufe schnell hinunter, vielleicht habe ich ja heute Post.«

Stefanie Walter nahm den Briefkastenschlüssel vom Haken neben der Tür und ging in den Hausflur hinaus. Sie hatte vor einer Woche mehrere Stellenbewerbungen als Hotelsekre­tärin abgesandt und wartete nun auf Antwort.

Seit sie vor zwei Jahren durch den Unfalltod ihres Mannes Andreas plötzlich Witwe geworden war, hatte sich ihr Leben dramatisch verändert. Er hatte eine Lebensversicherung gehabt, so daß sie zuerst wenigstens keine existenzielle Not litten. Es war schwer genug gewesen, mit dem Schicksalsschlag fertig zu werden. Nana war gerade drei Jahre alt gewesen. Jetzt ging die Kleine in den Kindergarten, das Geld würde nicht ewig reichen, es wurde Zeit, sich wieder eine Zukunft zu schaffen.

Stefanie war vor ihrer Heirat und bis zu Natalies Geburt Hotelsekretärin gewesen, in diesem Beruf wollte sie wieder arbeiten, wenn irgend möglich. Es war interessant und abwechslungsreich. Aber niemand schien sie beschäftigen zu können. Entweder bildete Nanas Existenz ein Hindernis für die Hotelmanager – sie befürchteten wohl, Stefanie könnte zu oft fehlen –, oder ihre längere Hausfrauentätigkeit wirkte sich negativ aus. Stefanie hatte bereits fünf Absagen bekommen in den letzten Wochen, seit sie sich um Arbeit bemühte.

Sie lief die Treppe hinunter. Der Briefträger stand noch unten im Haus und verteilte die Post.

»Guten Morgen, Frau Walter! Tut mir leid, nichts für Sie dabei.« Stefanie seufzte, nahm die Tageszeitung aus dem Briefkasten, die heute, am Sonnabend, besonders umfangreich war, und tauschte ein paar Worte mit dem Briefträger. Dann ging sie wieder in den zweiten Stock hinauf, in dem ihre Wohnung lag.

»Na, Mami, hast du heute Post?« Nana sah sie erwartungsvoll an. Stefanie schüttelte den Kopf, strich ihrer kleinen Tochter über die leuchtend kupferroten Haare, die sie von ihr geerbt hatte, und lächelte.

»Leider noch nicht, vielleicht Montag. Aber sicher finden wir wieder eine Menge Anzeigen, auf die ich schreiben kann. Wollen wir gleich mal suchen?«

Nana nickte und breitete mit Stefanie gemeinsam die Zeitung auf dem Teppichboden aus. Sie legten sich bäuchlings davor, Stefanie hatte einen Filzstift in der Hand, um in Frage kommende Anzeigen zu markieren.

Nana, die noch nicht lesen konnte, legte unwillkürlich ihren Finger auf Anzeigen, die ihr gefielen und fragte, ob diese vielleicht passend sei. Stefanie tat dann jedesmal so, als zöge sie sie ernsthaft in Betracht. Dieses Spiel gefiel ihnen, meistens kugelten sie nach einiger Zeit lachend über den Boden.

»Hier, Mami! Lies mal, das wäre etwas für dich!«

»Nachtwächter. Hm, laß uns überlegen. Ich werde also mit einer Uniform eine große Firma bewachen. Ein Schäferhund wird mich bei meiner Runde begleiten. Ich muß gucken, ob alle Türen verschlossen sind, ob jemand herumschleicht und die ganze Nacht wachbleiben.«

»Nee, wo du doch so gern schläfst!«

Nana grinste, blätterte eine Seite weiter und deutete auf eine weitere Anzeige.

»Aber diese, Mama!«

»Operationsschwester! Meinst du, ich kann das? Wenn der Arzt beim Operieren merkt, daß ich gar keine Ahnung habe? Wenn er eine Zange verlangt, und ich eine Zange wie aus unserem Werkzeugkasten suche oder ich ihm bei Nadel und Faden eine Stopfnadel mit rotem Wollgarn gebe?«

Nana mußte lachen. Sie stellte sich vor, wie das wohl aussehen würde.

So ging das Spiel noch eine Weile hin und her. Dann wandte sich Nana wieder ihrer Puppe Susi zu, einer Käthe-Kruse-Puppe, die schon Stefanie gehört hatte. Sie war bereits ziemlich ramponiert, wurde aber trotzdem zärtlich geliebt.

Stefanie konnte sich nun auf ihre Suche konzentrieren. Da war eine einzige Anzeige, in der eine Hotelsekretärin gesucht wurde, halbtags, wie es Stefanie am liebsten wäre. Eine Telefonnummer stand dabei. Ab Montag neun Uhr sollte man bei Interesse einen Herrn Holzner verlangen. Sie strich die Anzeige dick an, dann legte sie die Zeitung beiseite.

»So, mein Schatz, wollen wir Kuchen backen? Draußen ist es so scheußlich, da werden wir nicht in den Park gehen können.«

»Au ja, Mama, Amerikaner backen!«

Nana sprang auf und lief voraus in die Küche. Sie naschten beide gern, was man weder Stefanies Figur ansah noch dem zarten Kind. Am Wochen­ende gönnten sie sich immer eine Leckerei, sonst achtete Stefanie darauf, daß Natalie gesund und ausgewogen ernährt wurde.

Sie neigte zu Erkältungskrankheiten, hatte oft Halsentzündungen, da war viel frisches Obst und Gemüse besser als Bonbons und Schokolade.

*

Am Sonntag war das Wetter noch nicht freundlicher. Es goß in Strömen, der Regen klatschte an die Fensterscheiben. Nana legte sich zu ihrer Mutter ins Bett, nachdem sie aufgewacht war, zusammen dösten sie noch eine Weile, bevor Stefanie Frühstück machte. Beide genossen es, soviel Zeit zu haben, denn die Woche über ging Natalie ja in den Kindergarten.

Nach Frühstück und Aufräumen beschlossen sie, sich auf das Sofa zu legen und Märchen vorzulesen. Zuerst kam Stefanie dran, sie wählte das Märchen von Schneeweißchen und Rosenrot. Nana hörte aufmerksam zu. Dann war sie an der Reihe. Sie nahm das Buch, blätterte eine Weile herum und »las« dann auch vor.

Stefanie war jedesmal wieder erstaunt, wieviel Phantasie ihre Tochter hatte. Sie mischte mehrere Märchen zu einem zusammen. Da kamen dann die abenteuerlichsten Dinge heraus, über die sie beide lachen mußten.

Am Nachmittag kam eine Freundin von Nana, die sich zu Hause langweilte, zum Spielen. Die Mädchen gingen in Nanas Zimmer, Stefanie machte es sich gemütlich und las. Aber so recht konnte sie sich nicht konzentrieren heute. Immer wieder ließ sie das Buch auf den Schoß sinken und dachte darüber nach, was sich alles verändern würde, wenn sie Arbeit fand. Sie vermißte manchmal den Kontakt zu anderen Menschen. Zwar war sie nicht einsam, sie hatte sich mit mehreren Müttern aus dem Kindergarten angefreundet, aber die alten Freunde von früher hatten sich inzwischen fast alle zurückgezogen. Es wäre schön, Kollegen zu haben, wieder mehr »dazuzugehören«. Doch sie wollte nicht undankbar sein, vielen Müttern in ähnlicher Situation ging es schlechter. Zur Not würden sie auch ohne zusätzliche Arbeit über die Runden kommen.

*

Am Montag, nachdem Natalie zum Kindergarten gegangen war, der nur zwei Querstraßen weiter war, rief Stefanie in dem Hotel an und verlangte Herrn Holzner zu sprechen.

Eine sympathische Männerstimme meldete sich. Stefanie bat um einen Gesprächstermin.

»Es haben sich schon zwei Damen gemeldet, Frau Walter. Aber ich wollte erst alle kommen lassen, bevor wir uns entscheiden. Wann könnten Sie denn kommen?«

»Wann Sie es wünschen, Herr Holzner.«

»Gut, sagen wir, in einer Stunde?«

Stefanie stimmte zu. Dann steckte sie den Umschlag mit ihren Papieren in die Handtasche und zog sich ihr neues Kostüm an, das sie extra gekauft hatte, um einen guten Eindruck zu machen. Sonst trug sie meist Jeans und Pullis, aber so würde sie sich schließlich nicht vorstellen können.

Ihre langen Haare, die sie immer mit einem Band im Nacken zusammenfaßte, steckte sie heute hoch. Damit fand sie sich gleich viel seriöser, obwohl sich ein paar widerspenstige Locken gleich wieder lösten. Sie hatte die helle Haut aller echten Rothaarigen, aber auf Rouge konnte sie verzichten, weil sie trotzdem nicht blaß aussah. Prüfend sah sie in den Spiegel. Ihre blauen Augen blitzten unternehmungslustig. Sie war mit ihrem Aussehen zufrieden.

Ein Blick auf die Uhr belehrte sie, daß sie noch Zeit hatte. Mit dem Bus wäre sie in zwanzig Minuten bei dem Hotel. Trotzdem wollte sie schon gehen, falls sich der Bus verspätete. Es würde einen schlechten Eindruck machen, wenn sie schon bei der Vorstellung zu spät käme.

*

Das Hotel entsprach der gehobenen Mittelklasse, was immer man darunter zu verstehen hatte. So hatte es Herr Holzner am Telefon gesagt. Stefanie stand vor dem hellen Neubau mit dem gläsernen Entree. Es gefiel ihr ganz gut, also versuchte sie, ihr Herzklopfen zu unterdrücken und einen selbstsicheren Eindruck zu machen, als sie die Halle betrat.

Eine freundliche junge Frau fragte sie nach ihren Wünschen. Sie stand hinter einem halbhohen Tresen aus Mahagoniholz. Hinter ihr hingen an einer großen Holzwand viele Schlüssel, jeweils in einem eigenen Fach, das auch die Post für die Gäste aufnehmen konnte.

»Mein Name ist Stefanie Walter. Ich habe eine Verabredung mit Herrn Holzner.«

»Ja, Frau Walter, Herr Holzner hat mir Bescheid gesagt. Er bittet Sie, noch einen Moment Geduld zu haben. Es ist noch jemand da.«

Stefanie nahm in einem kleinen, grün gepolsterten Sessel Platz, auf den die Dame gedeutet hatte. In ihrer Vorstellung sah sie sich bereits hier agieren. Es würde ihr gefallen.

Nach fünf Minuten kam ein dunkelhaariger, schlanker Mann auf sie zu. Er war etwa in ihrem Alter.

»Frau Walter? Ich bin Thomas Holzner, der Manager hier. Darf ich Sie bitten, mir zu folgen?«

Sein Lächeln war nett, Stefanies Unsicherheit verflog. Sie erwiderte seinen Händedruck und folgte ihm in sein Büro, das ebenfalls, wie die Halle, einen gediegenen Eindruck machte.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Frau Walter. Ich muß Ihnen leider gleich sagen, daß die Stelle wohl bereits vergeben ist. Eine Dame hat sich beworben, die den Chef persönlich kennt. Da er das letzte Wort hat, wird er wohl sie nehmen. Aber ich habe bereits überlegt, ob ich Ihnen nicht helfen kann, damit Sie nicht umsonst gekommen sind. Darf ich vielleicht trotzdem Ihre Papiere sehen?«

Stefanie war bei seinen Worten blaß geworden. Sie hatte sich soviel von dem Vorstellungsgespräch versprochen, daß sie jetzt tief enttäuscht war.

Sie reichte ihm ihre Mappe mit den Papieren. Er blätterte sie rasch durch, las ein paar Empfehlungen und nickte dann zuversichtlich.

»Ich kenne eine Menge Leute der Branche. Wenn Sie mir ein, zwei Tage Zeit lassen, werde ich mal herumtelefonieren. Mein ausgezeichneter Eindruck, den ich schon am Telefon von Ihnen hatte, bestätigt sich auch in Ihren Papieren. Ich denke, ich kann Ihnen helfen. Kann ich Sie zu Hause erreichen?«

»Ja, ich schreibe Ihnen meine Telefonnummer auf. Es wäre schön, wenn ich bald etwas finde. Ich möchte einfach gern wieder arbeiten.«

»Sie sind verwitwet, Frau Walter?« Das hatte er aus ihrer Steuerkarte gesehen.

Stefanie nickte.

»Ja, ich habe auch eine fünfjährige Tochter. Sie geht in den Kindergarten und ist schon sehr verständig. Daher will ich auch vorläufig gern halbtags arbeiten.«

»Ich will sehen, was ich tun kann. Bitte seien Sie nicht böse, daß Sie scheinbar umsonst gekommen sind. Ich melde mich auf jeden Fall bei Ihnen.«

Stefanie erhob sich und verabschiedete sich schweren Herzens. Sie glaubte ihm zwar, daß er wirklich helfen wollte, aber ob er es auch konnte?

*

Nana kam munter und aufgeregt aus dem Kindergarten nach Hause. Sie war zum Geburtstag bei einem Kind eingeladen, das sehr wählerisch war.

»Stell dir vor, ich und Marco sind nur eingeladen worden. Gabi ist nämlich schrecklich eingebildet, weil sie in einer großen Villa wohnt und ihre Eltern Ärzte sind. Was schenk ich ihr bloß?«

»Am besten fragst du sie, was sie sich wünscht, dann kannst du nichts falsch machen. Oder weißt du, womit sie gern spielt?«

»Sie hat ganz viele Puppen, mit denen sie spielt. Ob sie sich über ein Puppenkleid freut?«

»Oh, bestimmt. Die hast du doch auch gern. Wie wäre es, wenn wir eines selbst schneidern? Das kann sie nicht im Laden kaufen!«

»Oh, Mama, das ist eine prima Idee. Ich guck gleich mal in der Flickenkiste, ob ich einen schönen Stoff finde!«

Stefanie nähte von Zeit zu Zeit ganz gern für sich und ihre Tochter. Die Stoffreste bewahrten sie in einem großen Spankorb auf.

Nicht lange danach kam Nana mit ihrer Ausbeute zu Stefanie in die Küche.

»Hier, der Karierte wäre toll oder der Blaue. Was meinst du?«

»Ich denke, wir nehmen den karierten Stoff. Wenn noch welcher von meiner Bluse da ist, weißt du, der weiße, dann können wir einen weißen Kragen dazu schneidern.«

Am Nachmittag machten sie sich gleich an die Arbeit. Stefanie steckte die Schnittmusterteile auf dem Stoff fest, Natalie schnitt sie sorgfältig aus. So arbeiteten sie zwei Stunden, ganz vertieft in ihre Tätigkeit. Nana half, so gut sie konnte. Sie schnitt die Fäden ab, durfte zwei Druckknöpfe annähen, und als ihre Mutter dann noch einen Wollstoff fand, aus dem sie ein Cape für die Puppe herstellte, war sie mit Recht glücklich über das schöne Geschenk, bei dem sie tüchtig mitgearbeitet hatte.

Sie wickelten es gleich in einen hübschen Papierbogen, banden eine Schleife darum und legten es in den Schrank, bis Nana es am Sonnabend überreichen würde.

Nana sammelte die hinuntergefallenen Stecknadeln auf, Stefanie stellte die Nähmaschine wieder in die Besenkammer, als das Telefon klingelte.

»Hier ist Thomas Holzner, Frau Walter. Ich wollte fragen, ob Sie eventuell auch außerhalb Hamburgs arbeiten würden. Das wäre dann ja mit einem Umzug verbunden. Aber dann hätte ich eventuell etwas für Sie.«

»Ehrlich gesagt, habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht. Ich habe keine Verwandten in Hamburg, insofern wäre es eigentlich egal. Es käme darauf an, ob es dort dann auch Möglichkeiten für meine Tochter gäbe. Sie muß ja nächstes Jahr in die Schule.«

»Ja, das gibt es da natürlich alles. Ein Freund von mir, das heißt, seine Eltern, haben ein Hotel in Celle. Ich stamme daher. Ich habe angerufen, er ist noch in der Schweiz und schließt dort eine Ausbildung ab, aber seine Mutter kennt mich noch gut. Sie sagte, sie hätten gerade überlegt, ob sie nicht eine Kraft einstellen sollten, weil sie sich so langsam mehr um ihre privaten Hobbys kümmern möchte. Der Vorteil wäre, daß Sie eine eigene Wohnung im Hotel hätten. Zwar nur klein, aber ausreichend für zwei Personen. Ihre Tochter wäre auch kein Hindernis. Wenn Sie also wollen, gebe ich Ihnen die Telefonnummer. Dann könnten Sie selbst etwas ausmachen mit Frau Schüller. Es ist das Hotel ›Zur Post‹ in Celle.«

»Gut, ich werde es mir überlegen und auch mit Natalie sprechen. Auf jeden Fall danke ich Ihnen ganz herzlich für Ihre Bemühungen, Herr Holzner.«

»Ich kann sonst auch noch weiter herumfragen, wenn Sie lieber in Hamburg bleiben. Aber keines der in Frage kommenden Häuser, zu denen ich Kontakt habe, braucht zur Zeit jemanden. Das könnte dann doch etwas dauern.«

»Vielleicht ist die Idee gar nicht schlecht, einen Ortswechsel vorzunehmen. Celle ist doch ganz hübsch, ich bin mal dort gewesen.«

Thomas Holzner gab ihr die Telefonnummer und bat sie dann, sich noch einmal zu melden, wenn sie sich entschieden hatte. Stefanie versprach es und dankte ihm herzlich.

*

Gegen Abend rief Stefanie in Celle an. Frau Schüller war selbst am Apparat.

Stefanie stellte sich vor und berief sich auf Herrn Holzner. Die Inhaberin des Hotels hatte ein paar Fragen an Stefanie, die sie beantwortete.

»Gut, Frau Walter, das klingt ja alles ganz gut. Mit drei Fremdsprachen und den anderen Ausbildungsnachweisen sind Sie fast ein wenig überqualifiziert. Wir haben zwar hin und wieder ausländische Gäste, aber eigentlich kommen wir mit Englisch aus. Wann können Sie denn einmal kommen, um sich alles anzuschauen? Wir müßten uns natürlich auch persönlich kennenlernen, bevor ich mich entscheiden kann. Das werden Sie sicher verstehen?«

»Selbstverständlich, Frau Schüller. Das ist ganz in meinem Sinne. Schlagen Sie einen Termin vor!«

»Wie wäre es mit Sonnabend oder Sonntag?«

»Am Sonnabend hat meine Tochter etwas Wichtiges vor, aber am Sonntag kommen wir gern!«

Frau Schüller sollte gleich sehen, daß sie Nanas Belange ernst nahm. Wenn sie dann nicht in Frage käme, klärte man das besser sofort.

Aber Frau Schüller stimmte zu. So verabredete man sich für den Sonntag. Gegen dreizehn Uhr erwartete sie Stefanie.

Stefanie und Nana tanzten durch die Wohnung vor Freude.

Selbst wenn aus der Stelle nichts werden sollte, war eine kleine Reise doch eine herrliche Abwechslung. Stefanie war richtig aufgeregt. Wenn sie die Arbeit bekam, würde sich ihr Leben aber gründlich ändern! Sie ahnte noch nicht, wie sehr das zutraf.

*

Der Sonntag zeigte sich zumindest vom Wetter her von der besten Seite. Es war frühlingshaft warm, und Stefanie nahm es als gutes Zeichen.

Die Fahrt verlief angenehm, im Zugabteil saß noch ein älteres Ehepaar, die Natalie und ihre Mutter immer wieder wohlwollend ansahen.

Natalie hatte keine Scheu vor Fremden und plauderte unbefangen drauflos. Die ältere Dame unterhielt sich mit ihr über ihre Enkelkinder, und Natalie kam sich sehr erwachsen vor.