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Der Heidelberger Autor Sander Steinburg kann nicht ahnen, was es für ihn und seine Familie bedeutet, als die geheimnisvolle Anna Wagner in sein Leben tritt. Wer ist diese Frau, warum hat sie ihn ausgewählt, ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben? Weshalb lebt Anna Wagner mit vier weiteren wunderschönen Frauen in einer Villa mit Blick auf die romantische Neckarstadt und das Heidelberger Schloss? Und was hat das Ganze mit dem Ende der Menschheit zu tun?
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Seitenzahl: 260
Veröffentlichungsjahr: 2025
Sabine und Thomas Benda
Annaqee, die Jägerin
Eine witzige und atemlos machende Geschichte – so rasant und treffsicher wie ein Pfeil von Annaqee, der Jägerin.
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Annaqee, die Jägerin
1. Schicksalshafte Begegnung
2. Annaqee
3. Spaziergang am Neckar
4. Der Mortusch
5. Jetzt mache ich mir ernsthaft Gedanken!
6. Myrall
7. Eine wahre Wadenbeißerin
8. Die Schwarze Wand
9. Loslassen können
10. Die Strafe
11. Mimiri
12. Hoffnungsfunken
13. Ankunft in der Villa
14. Die Grotte der Ruhe
15. Abendessen in der Villa
16. Lagerfeuergeschichten
17. AK-47
18. Der erste Kontakt
19. Biss der Lust
20. Die Bleichen
21. Kleider machen … Freude
22. Der Heiler und Helfer
23. Ein heftiger Toilettengang
24. Die Vision und Worte voller Nebel
25. Pfeil und Bogen waren gestern
26. Wenn man bei Weißwein zusammensitzt
27. Sis und Bro
28. Keine Leichen, aber Waffen im Keller
29. Parkhaus-Geschichten
30. Das Rudel
31. Die schlimme Nacht
32. Mit offenen Augen
33. Es hat doch längst begonnen
34. Im Keller der Waffen
35. Lilly und Mimiri
36. Freddy und Vinose
37. Cosma und Sander
38. Pläne und Alternativen
39. Familienrat
40. Fristlose Kündigung
41. Wie eine Rakete
42. Der Morgen danach
43. In den Kellerräumen
44. Die Blässe in den Gesichtern der Steinburgs
45. Hier duftet es anders
46. Ryllps und Shood – und ein letztes Briefing
47. Wenn einer das Horn bläst
48. Kriegsrat
49. Waffenmeister
50. Wha-rish und Autor
51. Du sollst der Meine sein
52. In der Grotte der Ruhe
53. Es beginnt
54. Vier Worte
55. Heidelberg, im Jahre 2018
Über die Autoren:
Impressum neobooks
Fantasy
Sabine & Thomas Benda
IMPRESSUM
© 2025 Sabine Benda, Thomas Benda
Korrektorat und Lektorat: Sabine Benda
Coverdesign: Sabine Benda
Sabine und Thomas Benda
Josef-Schemmerl-Gasse 16
A-2353 Guntramsdorf
E-Mail: [email protected]
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Hinweis der Autoren: Unsere Bücher sind nur für Erwachsene geeignet!
28.10.2025
Das heftige Rumpeln einer heranfahrenden Straßenbahn reißt den Mann aus seinen Gedanken. Er blickt durch seine blau umrandete Brille, um die aussteigenden Fahrgäste zu beobachten.
Um diese Mittagszeit herrscht ein reges Treiben auf dem Bismarckplatz in Heidelberg.
Unzählige Menschen, viele mit Einkaufstaschen bepackt, strömen in die angrenzende Fußgängerzone mit den unterschiedlichen Geschäften. Eine milde Sommerluft liegt über der Stadt.
Sander genießt diese Jahreszeit sehr. Von seiner Parkbank aus hat er einen schönen Blick zum gegenüberliegenden Neckarufer. Ruderboote gleiten dort über den Fluss. Touristen strampeln sich mühsam in Tretbooten ab. Andere liegen mit Decken im grünen Ufergras und erfreuen sich an der herrlichen Sonne.
An Ausruhen ist in der Nähe des belebten Bismarckplatzes nicht zu denken. Hier fließt der Straßenverkehr pausenlos, bei Tag und Nacht. Ein Hupkonzert ertönt hinter Sander. Ein Radfahrer flucht lautstark, streckt einem Autofahrer wütend den Mittelfinger entgegen, bevor er ungebremst weiterradelt. Die Schiebetüren der eben angekommenen Straßenbahn werden wieder geschlossen. Ein dicker Mann in einem grellen Hawaiihemd rennt auf die Bahn zu, doch es ist zu spät. Ein kurzes Bimmeln erklingt, die Bahn fährt ruckartig an. Schließlich rollt sie gemächlich davon.
»Ich habe Sie mir wesentlich älter vorgestellt«, hört Sander plötzlich eine weibliche Stimme sagen.
Sein Kopf mit den langen, braunen Haaren, die er zu einem Schwanz zusammengebunden hat, fährt überrascht herum.
Die Frau strahlt ihn regelrecht an.
Welch Schönheit!
Ihre smaragdgrünen Augen ziehen den Mann sofort in ihren Bann. Ein freundliches Lächeln ziert das hübsche Gesicht. Das dicke Rothaar hat sie zu einem elegant wirkenden Zopf geflochten, der an der Spitze mit einem braunen Lederband zusammengehalten wird. Eine weiße Seidenbluse verstärkt ihre elegante Note. Feine Sommersprossen geben dem edlen Teint der Frau ein keckes Aussehen.
Sander schätzt sie auf Anfang 20.
Die junge Frau streckt ihm die Hand entgegen. »Ich bin Anna ... Anna Wagner«, sagt sie mit einer zart rauchig klingenden Stimme.
Sander erhebt sich von der Parkbank, schreitet lächelnd auf sie zu und schüttelt ihre Hand. Er bemerkt einen festen, entschlossenen Händedruck. »Sander Steinburg«, stellt er sich ihr vor. »Freut mich sehr!« Er deutet wortlos auf die hölzerne Bank. Anna nickt, und beide setzen sich hin.
»Ich liebe Heidelberg im Sommer!«, schwärmt die Rothaarige, schließt kurz ihre Augen und atmet tief ein und aus.
»Ja, es ist ein nettes, kleines Städtchen«, bestätigt Sander und rückt sich angespannt seine Brille zurecht. In Gegenwart einer attraktiven Frau ist er immer ein wenig nervös. »Sie wohnen in der City, Frau Wagner?«, fragt er, um die Anspannung zu verdecken.
Die Frau sieht ihn mit großen Augen an und wirkt amüsiert. »Ist es in Ordnung für Sie, wenn Sie mich Anna nennen? Frau Wagner klingt sehr nach einer strengen Grundschullehrerin.«
Er lächelt. »Wenn Sie im Gegenzug Sander zu mir sagen. Herr Steinburg klingt zu sehr nach Schriftsteller.«
Anna zwinkert belustigt mit beiden Augen und macht mit ihrem erheiterten Lachen der Sonne Konkurrenz. »Bei Ihnen trifft es wenigstens zu, Sander! Sie sind Autor!«
Sander Steinburg findet Anna Wagner auf Anhieb sympathisch. Vorgestern am Telefon hat sie so mysteriös, so geheimnisvoll geklungen. Ganz anders ist diese hinreißende Frau neben ihm auf der Parkbank.
»Und was machen Sie beruflich, Anna?«, hakt Sander interessiert nach.
Ihre grünen Augen glitzern verführerisch, als sie ihm verschwörerisch zuflüstert: »Ich werde Sie reich machen und ganz nebenbei … werden wir gemeinsam die Menschheit vor dem Untergang bewahren.«
Das Gesagte ist ihr so lockerherzig über die schmalen Lippen gekommen, dass Sander es für einen Scherz hält. Erst später soll er erfahren, dass Anna Wagner bei lebenswichtigen Dingen niemals scherzt, denn dafür ist sie viel zu alt und viel zu erfahren.
Es ist früh am Morgen, als sich die jungen Jägerinnen auf den Weg machen. Das große Dorffest der Bhutowas steht unmittelbar bevor und heute müssen sie reichlich Beute machen, um alle Bewohner am Ehrentag satt zu bekommen.
Die Nebelschwaden weichen zur Seite, während sie durch die hüfthohen Gräser nahe den Wäldern schleichen. Leise, sehr leise, wie man es ihnen vor Jahren beigebracht hat, sind die Fünf auf der Pirsch. Ihre Jagdbögen haben sie in Anschlag gebracht, bereit, gezielt zu schießen, bereit, ohne Gnade zu töten.
Weiter vorne, ungefähr zehn Schritte vor ihnen, sind die Schwaden zu einer dichten Nebelwand zusammengewachsen. Es knackt direkt vor ihnen – das oft vernommene Geräusch eines brechenden Zweiges.
Annaqee, die rothaarige Anführerin der Gruppe, erhebt rasch eine Hand. Gleichzeitig bleiben die anderen Mädchen stehen, verharren wie steinerne Säulen und lauschen in den feuchten Nebel. Die jungen Jägerinnen warten angespannt und stark konzentriert auf weitere Anweisungen. Keine handelt eigenmächtig in der Jägergruppe der Bhutowas. So hat man sie es gelehrt, und so werden sie diese Lehren eines Tages an ihre noch nicht geborenen Kinder weitergeben.
Annaqees smaragdgrüne Augen werden zu ernsten Schlitzen, als sie versucht, etwas zu erahnen. Wieder knackt es, ein kurzes Brummen ist zu hören. Die Anführerin weist mit flacher Hand zum Erdboden hin. Gleichzeitig, wie ein einziger Körper handelnd, senken sich die Jägerinnen in eine kniende Warteposition.
Myrall, das blondhaarige Mädchen, das Annaqee in der Gruppe am nächsten steht, blickt sie an. Doch die Anführerin schüttelt verneinend den Kopf. Ihr zu einem festen Zopf geflochtenes Rothaar schwenkt dabei leicht hin und her. Sie hat als Jagdführerin genug Erfahrung gesammelt, um zu wissen, dass unter diesen Umständen ein unüberlegtes Handeln das letzte Handeln sein kann.
Nein, hier gilt es, schlauer und überlegener zu sein als das, was sich ihnen im Nebel nähert.
Erneut horcht Annaqee angestrengt in das Milchige hinein. Etwas schlurft behäbig heran, ein weiterer Zweig zerbricht, schließlich hört man ein tiefes Schnaufen. Der Geruch dabei ist für die Jägerinnen unverkennbar.
Ein Mortusch, durchzuckt die gefährliche Erkenntnis sie alle.
Annaqee hat in der Vergangenheit schon Begegnungen mit diesen mörderischen Mortuschi gehabt und weiß, dass die hünenhafte Bärenart keine leichte Beute bedeutet. Im Gegenteil: Wenn die jungen Jägerinnen sich nur den geringsten Fehler erlauben, werden sie selbst zur Beute des Mortuschs – und nicht umgekehrt.
Annaqee denkt an die messerscharfen Krallentatzen des Bären, dann schaut sie hinüber zu Mimiri, der jüngsten und schmächtigsten Jägerin ihrer Gruppe. Es ist Mimiris erster Jagdtag nach einer langen Ausbildung, und sie hat keinerlei Erfahrung mit solch heiklen Situationen. Und Mortuschi sind immer eine heikle Situation! Zudem wirkt Mimiri blass, angespannt und viel zu unerfahren. Annaqee macht sich Sorgen um die Kleine, deren Herz sicherlich vor Angst stark schlägt, wie sie vermutet.
Die Anführerin ist sich ihrer Verantwortung bewusst und plant entsprechend ihr Handeln. Zuerst deutet sie auf ihre Freundin Myrall, danach auf Mimiri und gibt beiden mit der Hand lautlose Anweisungen, sich ein wenig zurückzuziehen. Geschmeidig und ohne Hast sind die beiden Jägerinnen gehorsam, machen, was Annaqee ihnen befohlen hat.
Dann kehrt Stille ein … eine viel zu stille Stille. Eine Situation, die Annaqee gar nicht schätzt. Denn Stille bedeutet immer, dass sich etwas vorbereitet. Stille bedeutet immer der Moment, bevor die Gewalt losbricht. Auch die verbliebenen beiden Jägerinnen, Plasme und Vinose, kennen diesen besonderen Augenblick der Jagd.
Ein beißender tierischer Uringestank liegt plötzlich in der kühlen Morgenluft. Doch kein Geräusch, kein Laut, nicht mal das typische Bärenschnauben ist zu vernehmen.
Annaqee kneift ihre Augen stärker zusammen, versucht, einen Schemen, versucht, irgendetwas im dicken Nebel zu erkennen. Von einem inneren, sicheren Instinkt geleitet, der sie zur Anführerin befähigt, formt sie mit ihrer linken Hand das Symbol einer Kralle, einer Angriffskralle. Gleichzeitig spannen Plasme und Vinose die Sehnen ihrer Bögen strammer und warten ruhig atmend ab.
Ein furchterregendes Brüllen ertönt.
Dann bricht die Hölle über sie herein!
»Ich wohne in einer feinen Villa, die von den Vermietern im geschmackvollen Jugendstil eingerichtet wurde. Das Anwesen liegt am Hang, direkter Blick auf das Schloss.«, erklärt Anna Wagner und deutet mit ihrer linken Hand vage in die Richtung.
»Bei dieser fantastischen Lage muss der Mietpreis astronomisch hoch sein!«, stellt Sander Steinburg schlicht fest.
»Sie sagen es!«, bestätigt die Frau lächelnd. »Jedoch ist Geld für mich kein Problem.« Absichtlich rätselhaft klingend ergänzt sie: »Außerdem teilen wir fünf uns diese stolze Summe wahrhaft schwesterlich auf!«
»Ach«, schlussfolgert der Schriftsteller. »Sie leben mit Ihren Schwestern zusammen?«
Anna Wagner nickt und schüttelt dann den Kopf. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielt ihre Lippen.
»Ja und nein! Es sind keine leiblichen Schwestern. Doch wie echte Schwestern halten wir fünf schon sehr lange zusammen. Wir sind sozusagen ein eingespieltes Team.«
Ein Lastwagen hält quietschend vor einer roten Ampel. Dieselqualm weht hinüber zu der Parkbank am Bismarckplatz, auf der Anna und Sander in der Sonne sitzen.
»Lassen Sie uns doch einige Schritte gehen«, schlägt Sander vor. »Die Luft ist hier alles andere als angenehm.«
»Schöner Einfall, Sander!«, sagt Anna mit einem erneuten Lächeln, das mit ihren smaragdgrünen Augen um die Wette strahlt. »Ich bin gerne in Bewegung … schon immer.«
Kurze Zeit später haben sie den Trubel der Innenstadt hinter sich gelassen und schlendern am Neckarufer entlang.
»Diese romantische Stadt ist meine Insel, Sander! Sie glauben nicht, wie wohl ich mich hier fühle … jedes Mal!«
Sander Steinburg blickt auf den gemächlich fließenden Neckar und dann in Richtung der Alten Brücke, ein Wahrzeichen Heidelbergs. Touristen bewundern dort den Brückenaffen, eine Bronzeplastik aus dem Jahre 1979, um sich mit dem kunstvollen Fabelwesen fotografieren zu lassen.
»Die Altstadt ist wunderschön!«, schwärmt Anna.
Sander erzählt: »Ich bin hier geboren und in der Hauptstraße aufgewachsen.«
Sie zwinkert kess. »Ich weiß das, doch wo wohnen Sie zurzeit?«
»In einem kleinen Vorort, nicht weit von Heidelberg entfernt.«
Die Rothaarige dreht sich schnell zu ihm, sodass ihr Zopf ins Schwingen gerät. Sie mustert Sander ganz offensichtlich. »Laut meinen Infos sind Sie glücklich verheiratet, nicht wahr?«
»Sie haben sich nach mir erkundigt?«
»Aber natürlich, Sander! Ich muss doch wissen, ob ich die 15.000 Euro gut investiere.«
Er kontert humorvoll. »Noch habe ich nicht zugesagt! Und ja, ich bin mit Cosma verheiratet! Seit 17 Jahren. Es ist meine zweite Ehe.«
»Und Sie sind überaus potent, denn Sie haben sehr rasch zwei Kinder hintereinander gezeugt!«, ergänzt Anna schelmisch. »Die 17-jährige Lilly, Ihre Tochter. Und natürlich Freddy, Ihr Sohn. Er wurde vor kurzem 16.«
Sander war erstaunt. »Ja, aber nur die beiden Kinder, nicht mehr!«, scherzt er. »Wenn mich dieser kleine Beitrag schon als überaus potent abstempeln soll, dann, ja!«
»Schauen Sie sich die Welt an, Sander! Zwei Kinder sind heutzutage schon recht viel.«
»Damit mögen Sie statistisch gesehen richtigliegen, allerdings nur in Deutschland.«
Anna berichtet weiter: »Ihre Gattin Cosma ist griechischer Abstammung. Sie hat keine Angehörigen mehr. Der Vater, ein in Athen geborener Weinbauer und ein ehemals vermögender Patriarch, starb als letzter Verwandter vor zehn Jahren. Er war verschuldet und mittellos. Cosma wurde deswegen kräftig zur Kasse gebeten.« Anna Wagner macht eine kurze Pause und sieht Sander Steinburg an. »Ihre eigenen Eltern, Sander, sind leider bei einem tragischen Verkehrsunfall in den 70ern umgekommen. Sie wuchsen danach als Vollwaise bei Ihrer Tante Helga auf, die letztes Jahr an Brustkrebs verstarb. Auch Sie sind nun ohne weitere Verwandte. Sie und Cosma haben nur sich und die beiden Kinder.«
Sanders Blick befindet sich in einem Dauerglotzmodus. »Ich muss gestehen: Sie haben die Hausaufgaben über mich und meine Familie sehr gründlich gemacht, Anna!«, meint er bewundernd.
»Simples Suchmaschinen-Wissen!«, erwidert sie grinsend. »Was nicht im Netz über Sie steht, habe ich herausfinden lassen. Ich bin sehr hübsch, sehr reich und sehr vorsichtig!« Dann erschallt ihr kehliges Lachen. »Das Wichtigste«, sagt sie und hebt einen Zeigefinger hoch. »Ich habe sehr viel Humor!«
Er ist mehr als nur überrascht. »Sie haben jemand engagiert, der …?«
»Aber natürlich, Sander! Über attraktive Männer muss ich einfach alles wissen!«
Der Mann in der braunen Lederjacke wird rotbackig, räuspert sich verlegen und entscheidet, dass nun der geschäftliche Teil des Treffens angesprochen werden muss. »Warum haben Sie gerade mich ausgewählt?«
Ihre wunderschönen Smaragdaugen nageln Sander fest. Der Schriftsteller glaubt, dass Anna Wagner mit ihnen bis auf den Grund seiner Seele blicken kann. So kommt es ihm jedenfalls vor.
»Ich habe Sie ausgesucht, weil Sie erfolgreich sind, Sander! Ihre Bücher werden gelesen. Sie sind populär! Und ich möchte mit meiner Lebensgeschichte so viele Menschen wie möglich erreichen. Das ist sehr wichtig für mich! Man könnte sagen ... lebenswichtig!«
Sander schürzt die Lippen, wirkt ratlos und nachdenklich.
»Sie werden das später bestimmt verstehen«, schiebt sie nach. »Wenn Sie mich besser kennengelernt haben.«
Sander Steinburg belässt es dabei. Nein, er fühlt, dass es vorerst besser ist, es dabei zu belassen.
»Ein Vorschuss von 15.000 Euro, bevor ich auch nur ein einziges Wort geschrieben habe, ist ziemlich beachtlich, Anna! Sie deuten an, dass es um ein biografisches Werk geht. Ihnen ist sicherlich klar, dass ich einem anderen Genre zugeneigt bin. Ich bringe grelle Fantasien zu Papier, Märchenhaftes, Mystisches, Erotisches, hin und wieder Dramatisches.«
»Das klingt ganz nach meiner Lebensgeschichte!«, unterbricht sie ihn laut lachend. Anna beruhigt ihn: »Haben Sie bitte keine Bedenken! Ich habe im Vorfeld Ihre 17 Werke gelesen – und zwar alle! Sie haben eine ausgeprägte Fantasie ... und Sie lieben Ihre Protagonisten!«
»Jeder Autor liebt seine Figuren, Anna!«
In den Augen der jungen Frau blitzt es auf.
»Dann sollten Sie damit beginnen, mich zu lieben, Sander!«
Gut, dass ich Mimiri mit Myrall nach hinten befohlen habe, durchfährt es Annaqee. Hier vorne ist es für die Kleine eindeutig zu gefährlich!
Lautes Trampeln kommt näher, klingt zerstörerisch vernichtend, unaufhaltsam tödlich. Der Gestank des Mortusch-Bären bläst ihnen regelrecht entgegen, und dann, ein, zwei Herzschläge später, walzt ein riesiger, aus dem Nebel stürmender Schatten heran. Ein weiteres todbringendes Brüllen folgt, das noch beeindruckender und entsetzlicher ist als das vorangegangene.
Annaqee, Plasme und Vinose spannen jede Sehne und jeden Muskel in ihren Armen und Beinen an. Die metallenen Spitzen der Pfeile sind auf den monströsen Schatten gerichtet.
»Ahwash!«, befiehlt Annaqee den beiden anderen Mädchen, und drei Pfeile zischen in die weiße Nebelwand hinein, als die Gefährtinnen gleichzeitig schießen.
Ein wutentbrannter Schmerzensschrei dröhnt laut, als die Pfeile ihr pelziges Ziel finden.
Kurze Stille, dann wieder dumpfes Gebrüll, diesmal grässlicher als zuvor.
»Nachladen!«, ruft Annaqee. »Er ist nur verletzt!«
Im selben Moment fetzt eine haarige Tatze mit gebogenen Krallen aus dem Nebel heraus und schleudert die Anführerin wie einen dürren Ast über das Erdreich. Im Sturz verliert Annaqee den Bogen und purzelt ins hohe Gras. Sie schmeckt Blut an ihren Lippen. Der Geschmack macht sie zornig.
Einen Atemzug danach ist der gefährliche Bär über ihr. Ein pelziger Gigant aus Muskelmasse starrt sie mit gierigen roten Augen an. Speichel tropft aus seinem breiten Maul voller Reiß- und Fresszähne mitten in ihr hübsches Gesicht. Sein fauliger Gestank raubt ihr den Atem. Annaqee zögert keinen Moment. Mit dem Überlebenswillen einer ausgebildeten Jägerin reißt sie ein langes Messer aus dem Stiefelschaft, umklammert fest den hölzernen Griff und sticht mit einem Kampfschrei zu.
Der Mortusch kreischt getroffen auf, sein warmes Blut peitscht über Annaqees rotes Haar. Ein weiterer Tatzenhieb fegt dicht neben der Jägerin in den Boden. Erdbrocken spritzen umher. Die Raserei des Tieres erreicht einen weiteren Höhepunkt. Ein Pfeil zischt knapp an Annaqees Kopf vorbei, bleibt in der linken Schulter des Bären stecken.
»Bleib liegen!«, schreit Plasme, da Annaqee direkt in der Schussbahn steht.
Sie wirft sich der Länge nach hin. Keine Sekunde zu spät, denn ein weiterer Pfeil, geschossen von Vinose, findet sein Ziel und verletzt die Brust des Raubtieres. Außer sich vor Schmerzen brüllend hetzt der schwer verletzte Mortusch an Plasme vorbei, die sich gerade noch schützend zur Seite ins Gras rollen kann.
Gewissheit und Panik erfassen Annaqee, als ihr klar wird, dass das schäumende Untier in die Richtung davonschnaubt, in der sie die junge Mimiri und ihre Freundin Myrall in Sicherheit geglaubt hat.
»Myrall, Mimiri, er kommt direkt auf euch zu!«, brüllt Annaqee verzweifelt in die Nebelwand.
Blind vor Sorge ergreift sie das Messer und rennt dem Mortusch hinterher. Plasme und Vinose folgen ihrer Anführerin schnellen Schrittes. Die Sehnen ihrer Jagdbögen sind bis zum Anschlag gespannt.
»Myrall, Mimiri, wo seid ihr?«, schreit Annaqee.
Kurz tritt Stille ein, dann folgt das entsetzliche Kampfgebrüll des Mortusch-Bären.
Nein, nein, nein, kreischt es verzweifelt in Annaqees Herz. Wehrt euch mit allem, was ihr habt!
Schließlich hören die Jägerinnen die junge Mimiri grell schreien, danach einen Schmerzensschrei von Myrall. Der Mortusch klingt nicht nur nach einer rasenden Bestie, er war bereit, alles zu zerfetzen und zu zermalmen, was sich ihm in den Weg stellt.
»Die Schreie kamen von rechts!«, brüllt die schwarzhaarige Plasme und spurtet in den Nebel.
Annaqees Herz schlägt ihr bis zum Hals, als sie im Rennen Blutspuren auf den nebelfeuchten Grashalmen entdeckt.
Wiederholt ertönt das Gebrüll des Bären, gefolgt von der kreischenden Myrall.
Schließlich kehrt Ruhe ein.
Der Nebel ist inzwischen so dicht geworden, dass Annaqee keine fünf Schritte mehr sehen kann.
»Plasme! Vinose! Hört ihr mich?«
»Ich bin rechts von dir, Annaqee, stehend, wartend!«, gibt Plasme Antwort.
»Links an deiner Seite, Annaqee!«, ruft Vinose zurück. »Kniend, wartend!«
Er wird uns angreifen und töten wollen, wissen alle drei Jägerinnen.
Annaqee versucht, sich zu beruhigen, riecht in den Nebel hinein, will ihn wittern, den Mortusch, diesen mörderischen Gegner. Sie trifft eine Entscheidung. »Bleibt, wo ihr seid!«, befiehlt sie Plasme und Vinose. »Wartet auf meine Anweisungen!«
Annaqee, nur mit dem Messer bewaffnet, schleicht weiter voran. Wieder entdeckt sie frisches Blut an den hohen Halmen. Ihr Herz zerreißt fast vor Sorge. Vor sich hört sie das Schnaufen des Mortuschs, doch er befindet sich noch nicht in ihrer unmittelbaren Nähe. Die rothaarige Jägerin riecht ihn. Der widerliche Geruch des urinnassen Bärenfells wird stärker und stärker.
Sie pissen gerne, wenn sie erregt auf Todesjagd sind, weiß sie.
Endlich sieht sie im Nebel den gigantischen Schatten, den Umriss des Bären. Annaqees Herz hämmert, ihr Atem überschlägt sich beinahe. Dann beginnt die junge Mimiri wieder, schrecklich zu schreien. Sie hat Todesangst in der jungen Stimme.
Mit einem markerschütternden Kampfschrei, den man ihr vor langer Zeit beigebracht hat, stürmt Annaqee auf den Mortusch zu, ihr Gesicht ist dabei zu einer Fratze des Hasses verzerrt. Der riesige Bär wirbelt herum und erhebt seine gewaltigen Tatzen, ist jedoch einen Herzschlag zu spät. Mit irrsinniger Gewalt treibt Annaqee das Messer in seine Brust. Einmal, zweimal, dreimal – Blutfontänen sprudeln aus dem dichten Fell hervor, während der Mortusch grauenhaft brüllt. Rotes Klebriges nimmt Annaqee die klare Sicht. Genau der Augenblick, den der Mortusch benötigt, um sie zu packen und wegzuschleudern. Die Jägerin landet hart auf dem Rücken, sodass ihr der Atem stockt. Kreischend und blutend steht das Monster über ihr, bereit, ihr den endgültigen Todeshieb zu versetzen.
»Ahwash, Ahwash!«, schreit die junge Mimiri lauthals und kommt direkt aus dem Nebel auf den Bären zugelaufen. »Komm her! Komm her! Lass Annaqee in Ruhe!«
»Mimiri, nein!«, schreit Annaqee der Jägerin zu, doch der Mortusch hat bereits wutentbrannt den tödlichen Kurs auf die unerfahrene Mimiri genommen.
»Ahwash, Ahwash!«, kreischt Mimiri immerzu, während der Bär nur noch wenige Momente vor ihr geifernd schnaubt.
»Plasme, Vinose! Blindschüsse!«, gibt Annaqee einen verzweifelten Befehl und springt sofort auf die Füße, um den Mortusch einzuholen.
Im Rennen hört sie, wie die Pfeile ihrer Gefährtinnen an ihr vorbeizischen. Keiner trifft das Ziel.
Auch ich werde es nicht schaffen, die Kleine zu retten, hämmert es in Annaqees Verstand.
Mimiri sieht den Tod kommen und spannt mit zittrigen Händen den Bogen. Ihr junges Herz droht zu zerspringen. Vor Furcht keucht sie stoßweise. Die roten Augen, die scharfen Krallen und die mörderischen Reißzähne sind fast bei ihr.
»Blush-padnee, Mimiri! Blush-padnee!«, hört sie Annaqee aus dem Nebel rufen. Werde zum Pfeil, Mimiri! Werde zum Pfeil!
Die junge Mimiri kniet sich ins Gras nieder, atmet durch und versucht zu fühlen, wie man es sie gelehrt hat, wie Annaqee es sie gelehrt hat. Kurz schließt sie die Augen, die Sehne des Bogens ist festgespannt. Als sie ihre Augen wieder öffnet, ist alle Angst verschwunden. Nur der Blick des Tötens, der unverkennbare Blick einer Jägerin, hat das Gesicht in seinem Bann.
»Am-tashaa!«, schreit Mimiri mit erschreckend ernster Stimme dem Mortusch entgegen. Ich bringe dir den Tod!
Das zischende Geräusch der Sehne erklingt, als sie den Jagdbogen abschießt. Der spitze Pfeil jagt surrend durch die Luft und bohrt sich in das rechte Auge des Tieres, durchschlägt es und erreicht schließlich das Gehirn. Der riesige Bär bäumt sich im qualvollen Todesschrei ein letztes Mal auf und stürzt dann direkt vor Mimiri ins hohe Gras. Ein letzter Atemstoß lässt die Halme erzittern, schließlich ist der Mortusch tot.
»Am-tashaa!«, triumphiert Mimiri im Taumel des Tötens. Ich bringe dir den Tod!
Dann zieht sie ihr langes Jagdmesser, schreitet zum getöteten Mortusch und rammt die Klinge in dessen Hals. Warmes Blut fließt über ihre Hände, als sie mit heftigen Schnitten den Bärenkopf abtrennt und ihn wie eine Trophäe in die Höhe reißt, so wie es die alte Tradition der Bhutowas will.
Annaqee, Plasme und Vinose haben die junge Jägerin endlich erreicht und sehen die siegreiche Mimiri, wie sie blutbesudelt und mit unbändigem Stolz erfüllt ihnen den Kopf des Mortuschs entgegenstreckt. »Plash-ba-hee wunhaal!«, schreit Mimiri ehrfürchtig hinaus. Seht her, ich bin wie ihr!
Annaqee rinnen Tränen der Erleichterung und der Freude über die Wangen.
Sie und die beiden anderen Jägerinnen knien sich ins hohe Gras und ehren Mimiri mit den alten Worten: »Dasmaa-vash-wanhee, Mimiri!« Du bist unsere Schwester für immer, Mimiri!
Als Mimiri den blutigen Kopf des Mortuschs zu Boden wirft und erschöpft, zitternd vor Anspannung und Erregung zu weinen beginnt, sind Annaqee, Plasme und Vinose sofort bei ihr, um die junge Jagd-Schwester zu halten und zu trösten.
»Du hast wahrhaftig das Herz einer großen Jägerin, Mimiri!«, flüstert Annaqee liebevoll und streichelt ihr behutsam über den Kopf. »Ich bin sehr stolz, dass du zu uns gehörst! Du wirst nie alleine sein, solange es uns gibt, denn wir sind die Frauen der Bhutowas!«
Plasme tritt an Annaqee heran und sieht sie ernst an.
Myrall, durchzuckt ein brennender Gedanke Annaqees Kopf.
Eine von ihnen ist noch da draußen … alleine im milchig-dichten Nebelweiß. Vielleicht sogar tot.
»Was für eine riesige Summe!«, staunt die schwarzgelockte Frau. »Sollst du dafür wirklich nur ein einziges Buch schreiben oder eine ganze Serie?«
»Das ist noch nicht so eindeutig«, entgegnet ihr Mann und gießt sich Mineralwasser in ein hohes Glas. »Wenn ich Anna richtig verstanden habe, soll der Roman einen Tatsachenbezug zu ihrem bisherigen Leben haben.«
»Anna? So heißt diese Frau?« Mit einem Stirnrunzeln schiebt Cosma nach: »Du nennst sie also beim Vornamen?«
»Ja, das hat sich so ergeben«, antwortet Sander Steinburg seiner Ehefrau.
»Aha!«, kommentiert sie knapper als knapp.
»Was heißt dieses Aha, Cosma?«
»Nichts, mein Lieber! Mir kam das Aha nur in den Sinn, und meine griechische Zunge spricht Dinge gerne aus!«
»Du denkst doch nicht etwa ...?«, will er von ihr wissen.
»Ich denke gar nichts!«, unterbricht sie ihn ein wenig barsch und schenkt sich ebenfalls Wasser ein. »Ich denke, dass Lilly und Freddy gleich von der Schule kommen.«
Der braunhaarige Mann möchte sie beschwichtigen: »Hör zu, Cosma! Es ist völlig albern, was du jetzt denkst ...« Sander hat unbeabsichtigt ein Fettnäpfchen gesucht und gefunden.
»Woher weißt du, was ich denke? Bist du nun Autor oder Hellseher?« Cosma schürzt angriffslustig die Lippen.
Er schnauft aus und sieht sie an. »Du kannst nicht immer gleich Hintergedanken haben, wenn ich den Vornamen einer Frau ...«
»Hintergedanken?«, blafft Cosma ihn an und klingt nun sehr wütend und gereizt. »Ich bin das gebrannte Kind in unserer Ehe, nicht du, mein Lieber! Schon vergessen?«
»Sie ist nur eine Kundin – mehr nicht!«, verteidigt sich Sander und wirkt dabei angespannt.
»Du verteidigst dich!«, wirft sie ihm sogleich vor. »Jetzt würden auch andere Ehefrauen misstrauisch werden, Sander, sogar die ganz naiven Dinger!« Cosma hebt eine Augenbraue an. »Und dann noch diese enorme Summe! 15.000 Euro! Wer ist diese Frau denn eigentlich?«
»Das ist mir noch nicht so klar ...«
»Wie? Das ist dir noch nicht so klar?«, wiederholt sie. »Du warst doch mit ihr den halben Nachmittag in Heidelberg spazieren, oder etwa nicht?«
Sander druckst ein wenig herum. »Ihre Lebensgeschichte will sie mir stückweise erzählen. Am nächsten Wochenende!«
»Was heißt das nun: am nächsten Wochenende?«
Es hilft nichts, die Wahrheit muss ausgesprochen werden, beschließt er. »Sie hat mich in ihre Villa eingeladen. Zu Vorgesprächen. Wir wollen über das Manuskript reden und schon mal eine grobe Inhaltsstruktur festlegen.«
Cosma weitet die braunen Augen, als hätte sie Außerirdische in der Küche gesehen. »Diese Anna hat dich zu sich eingeladen? Zu sich nach Hause?«
»Ja«, antwortet Sander Steinburg. »Aber mach dir keine Sorgen, Cosma. Sie lebt dort mit ... mehreren anderen Frauen zusammen.«
»Mit mehreren anderen Frauen?« Cosma Steinburg kann kaum glauben, was ihre Ohren da vernehmen. »Ist diese Anna denn eine Lesbe?«
»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, entgegnet der Mann ehrlich, klingt aber misstrauensschürend dabei, weil er es so sachlich sagt.
Ein eigentlich sehr attraktives Frauengesicht wirkt nun verkniffen und sendet ihm durchbohrende Blicke zu.
Wieder versucht er, die Situation zu entspannen. »Ich denke nicht, dass es Lesben sind. Nein, ich vermute, es sind alles Singlefrauen. Freundinnen, die sich so nahe wie Schwestern stehen.«
Cosma zeigt feine Falten auf der sonst glatten Stirn. »Du bist in eine Villa voller Singlefrauen eingeladen? Wirklich? Du, der Autor, mit lauter alleinstehenden Damen? Willst du mir das sagen, Sander?«
»Es geht immerhin um einen lukrativen Auftrag«, erklärt er mit einer absichtlich gewählten ruhigen Stimme, die Cosma wieder am Wahrheitsgehalt des Gesagten zweifeln lässt.
Sie provoziert ihn. »Sieht sie wenigstens unattraktiv aus, deine Anna?«
Sander Steinburg weiß, dass seine wahrheitsgemäße Beschreibung von Anna Wagner Probleme nach sich ziehen wird. Lügen wäre jedoch schlimmer, da seine Frau einen Riecher für so etwas hat.
Ja, sie ist eben das gebrannte Kind in der Ehe mit mir!
»Nein, Cosma! Anna Wagner sieht einfach toll aus! Anfang 20, wunderschönes Rothaar, das sie zu einem eleganten Zopf geflochten hat. Erotisch wirkende freche Sommersprossen im hübschen Gesicht – und smaragdgrüne Augen dazu! Und diese Lippen, mhmm! Sowas hast du noch nicht gesehen!« Er schnauft durch und fragt trotzig nach. »Ist dir jetzt besser, Schatz?«
»Genau dein Beuteschema«, sagt Cosma emotionslos. »Wie damals in Paris – diese Autorin!«
»Jetzt komm mir nicht damit!«, kontert er ungeschickt. »Irgendwann muss das verjährt sein, oder?«
»Fremdficken verjährt nie!«, zischt Cosma und stemmt die Hände in die Hüften.
»Mensch, Cosma! Du weißt, dass ich dich liebe!«
»Ich weiß das! Aber weiß das dein unruhiger 40-jähriger Schwanz auch?«
Ein schrilles Klingeln ertönt. Die Kinder sind von der Schule zurück.
»Okay, vertagen wir das!«, meint die Frau. »Lass uns Lilly und Freddy an der Tür begrüßen – und dann essen wir!«
»Eines noch«, sagt er, weil er es unbedingt loswerden will. »Du musst dir wirklich keine Gedanken machen!«
Cosma Steinburg lächelt schief. »Hättest du den letzten Satz eben besser nicht gesagt. Jetzt mache ich mir ernsthaft Gedanken! Und ich habe Paris zwar verziehen, doch nicht vergessen.«
Es klingelt wieder. Dann gehen sie gemeinsam zur Haustür, um ihre Kinder hereinzulassen und zu begrüßen.
Der Nebel lichtet sich, wird von der Sonne verdrängt.
Der mörderische Mortusch ist besiegt, liegt blutbesudelt und enthauptet im feuchten Gras.
Myrall ist noch nicht in Sicherheit. Nach dem grausamen Kampf ist ihr Schicksal ungewiss.
»Ausschwärmen!«, befiehlt Annaqee mit harter Stimme.
Mimiri, Vinose und Plasme folgen sofort dem Wort der Anführerin. Die Sorge um Myrall brennt tief in ihren Herzen, denn sie sind Frauen der Bhutowas, in Stolz und Liebe verbunden auf ewig.
Zuerst finden sie weiteres Blut. In einem nassen Gemisch mit schmelzendem Morgentau glitzert es an grünen Grasbüscheln und trieft zäh auf das Erdreich. Die Jägerinnen wittern, dass es sich um Myralls Blut handelt. Immer wieder rufen sie den Namen der Gefährtin.
Annaqee, seit Kindesbeinen mit Myrall befreundet, in tiefer Liebe gebunden an ihr Herz und an ihren Leib, fasst ihre Sinne zusammen, späht, schaut, wittert in die kühle Luft hinein. All ihre Sinne sind unablässig suchend.
Mehr Blut zeigt sich auf der Erde.
Verzweiflung und Angst um die Freundin erwachsen in Annaqees Brust und umklammern schmerzhaft fest, fast eisern, ihr pochendes Herz.
Nein, Myrall! Du darfst nicht tot sein!
Schließlich erschallt Vinoses laute Stimme wie ein befreiender Schwerthieb, der die Ungewissheit gnadenlos zerteilt: »Hierher! Hier liegt sie!«
Annaqee ist die Erste, die am Fundort auf Vinose und die reglos liegende Myrall trifft.
Überall Blut! Zu viel! Viel ... zu viel Blut, schreit es besorgt in ihr.
Schließlich die Erleichterung, ein winziger Hoffnungsschimmer im blutigen Grauen.
»Sie atmet noch!«, sagt Vinose.
Annaqee beugt sich rasch über die verletzte Freundin. Myralls schönes Gesicht, blutbespritzt vom Kampf mit der Bestie, zuckt leicht, regt sich noch. Der Jagdrock aus festem Leder hängt zerfetzt an ihren Beinen. Dunkles Blut fließt träge hervor. Ein Tatzenhieb des Mortuschs hat ihren Schenkel aufgerissen. Es sieht schlimm aus … sehr schlimm. Das wissen auch die anderen Jägerinnen, als sie die Verletzungen sehen.
Zu viel Blut, peitscht die schlimme Wahrheit wiederholt durch Annaqees bebenden Verstand.
»Wir müssen die Blutung abbinden!«, brüllt sie und ist dabei mehr verzweifelt als klar im Denken. Tränen schießen ihr in die Augen, benebeln ihren Blick, lassen sie vor Angst unfähig wirken.
Plasme schlägt Annaqee mit der flachen Hand ins Gesicht. Eine Ohrfeige, die die aufgekommene Panik vertreibt. »Komm zu dir, Annaqee! Myrall braucht unsere Hilfe!«
Annaqee nickt, schlüpft schnell aus der ledernen Jagdweste und schneidet mit dem Messer einen langen Streifen heraus. Damit umwickelt sie den verletzten Oberschenkel der bewusstlosen Myrall und setzt einen festen Knoten.
»Ich brauche einen Stock, um das Blut zu stauen!«
Mimiri zerbricht einen Ast zu einem handlicheren Teil und wirft ihn Annaqee zu.
