Sammelband Allerlei - Drei Romane in einem Band - Sabine Benda - E-Book

Sammelband Allerlei - Drei Romane in einem Band E-Book

Sabine Benda

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Knochentief In diesem packenden Roman erleben wir einen Privatdetektiv, der sich in einem Netz aus Intrigen und Verstrickungen verfängt. Die Geschichte ist bisweilen bitter und der Tonfall knallhart. Doch gerade diese Kombination aus Sex, Crime und Mystery macht »Knochentief« zu einem fiesen und unterhaltsamen Lesevergnügen. »Knochentief« besticht durch seine packende Kürze und Würze. Die Geschichte ist so intensiv und mitreißend erzählt, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann. Und am Ende stellt man sich die Frage: War wirklich alles so, wie man vermutete? Oder steckt noch viel mehr dahinter? Die Sache mit Lotte Oft liege ich nachts wach und denke darüber nach, was wohl geschehen wäre, wenn …? Es ist ein interessantes Gedankenspiel für mich. Wenn ich damals nicht in diesen Zug gestiegen wäre – was wäre dann geschehen? Hätten Vincent und ich einen anderen Gründonnerstag gehabt? Sicherlich, ich wäre nicht nach München zu meinen Eltern gefahren und Vincent wäre nicht alleine einkaufen gegangen, sondern mit mir. Aber wäre sie trotzdem passiert, die Sache mit Lotte? Todestrakt: Des Henkers Stunde Der Episoden-Roman behandelt das Thema der Todesstrafe und lässt verschiedene Personen zu Wort kommen, die mit dem Hinrichtungsprozess in Verbindung stehen oder persönlich davon betroffen sind. Dabei handelt es sich um zum Tode verurteilte Mörderinnen und Mörder, Gefängniswärter im Todestrakt, Angestellte des Gefängnisses, Geistliche, Richter, Geschworene, Henker, Geschäftsleute sowie Angehörige der Mordopfer und der Täter. Das Buch ist kein Tatsachenroman, sondern erzählt die fiktiven Geschichten und Gedanken dieser Menschen, die Kinder ihrer Zeit und ihres Landes waren. Die Episoden sind düster und regen zum Nachdenken an, manchmal auch fassungslos machend. Sie werfen Fragen auf über die Moral und Ethik der Todesstrafe, die Rolle des Henkers und die Auswirkungen auf die Betroffenen. »Todestrakt: Des Henkers Stunde« ist ein Buch, das dazu anregt, sich mit dem Thema der Todesstrafe auseinanderzusetzen und verschiedene Perspektiven zu betrachten. Es zeigt die Komplexität und die emotionalen Auswirkungen, die mit der Hinrichtung von Menschen verbunden sind. Fakten zum Thema Hinrichtungen wurden im Internet recherchiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 360

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sabine und Thomas Benda

Sammelband Allerlei - Drei Romane in einem Band

Knochentief / Die Sache mit Lotte / Todestrakt: Des Henkers Stunde

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Sammelband Allerlei

Knochentief

1. Würzig

2. Torfig

3. Spritzig

4. Knusprig

5. Männlich

6. Neugierig

7. Überwältigt

8. Überrascht

9. Rätselhaft

10. Kloakig

11. Tödlich

12. Dreckig

13. Süß

14. Blind

15. Nass

16. Leer

17. Fiebrig

18. Okkult

19. Rot

20. Komatös

21. Namentlich

22. Sprachlich

23. Verfickt

24. Knochentief

Der Schluss

Die Sache mit Lotte

1. Gründonnerstag

2. Karfreitag

3. Karsamstag/Ostersonntag

Todestrakt:

1. Der elektrische Stuhl

2. Mein Herz ist der Todestrakt

3. Der Wärter

4. Edward Miller

5. Pater Jeremiah

6. Mary Wallace

7. Timothy

8. Der Geschworene Ben Clarkston

9. Wie eine überreife Melone

10. Die Augen

11. Fast wie ein Kunstwerk

12. Der Koch

13. Es muss sich um einen Irrtum handeln!

14. Der Arzt

15. Howard am Fluss

16. Bittere Limonade am Nachmittag

17. Die toten Lebenden

18. Der Gestank der Pisse

19. Monica

20. Die Garotte

21. Ramón

22. Ein Henker in Bilbao

23. Schreiben, um zu verarbeiten

24. Deswegen studiere ich Geschichte ...

25. Die Guillotine

26. Was mich als Lektor zur Weißglut bringt

27. Die Revolutionäre, diese Bastarde!

28. Dosenbier und skurrile Fakten

29. Historische Hinrichtungsarten

30. Noch praktizierte Hinrichtungsmethoden

31. Eine Stimme haben

32. Manfred, ein Blogger

33. Fragt mich mein Sohn, der Schüler ...

Schluss-Anmerkung: Zwei Stimmen und unsere Meinung im Meer der über acht Milliarden Menschen

Über die Autoren:

Impressum neobooks

Sammelband Allerlei

Drei Romane in einem Band

Knochentief

Mystery-Thriller

Die Sache mit Lotte

Erotik-Komödie

Todestrakt: Des Henkers Stunde

Kurzgeschichten/Drama

Sabine & Thomas Benda

IMPRESSUM

© 2025 Sabine Benda, Thomas Benda

Korrektorat und Lektorat: Sabine Benda

Coverdesign: Sabine Benda

Sabine und Thomas Benda

Josef-Schemmerl-Gasse 16

A-2353 Guntramsdorf

E-Mail: [email protected]

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Hinweis der Autoren: Unsere Bücher sind nur für Erwachsene geeignet!

25.10.2025

Knochentief

Mystery-Thriller

Sabine & Thomas Benda

IMPRESSUM

© 2025 Sabine Benda, Thomas Benda

Korrektorat und Lektorat: Sabine Benda

Coverdesign: Sabine Benda

Sabine und Thomas Benda

Josef-Schemmerl-Gasse 16

A-2353 Guntramsdorf

E-Mail: [email protected]

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Hinweis der Autoren: Unsere Bücher sind nur für Erwachsene geeignet!

25.10.2025

1. Würzig

Damals.

Die Flammen züngelten gierig in den Nachthimmel, hatten alles zerstört, was ihm lieb und teuer ge­wesen war. Er kniete auf dem Asphalt, auf dem sich das Löschwasser der Feuerwehr in großen Pfützen sammelte. Die tröstenden Worte des Polizisten, der bei ihm stand, nahm er kaum wahr.

Nur eines war allgegenwärtig für ihn.

Der Geruch.

Verbranntes Fleisch.

Heute.

Es gehörte auf dem Straßenstrich nicht zu den übli­chen Praktiken, doch er stand darauf und war bereit, da­für ein wenig mehr zu zahlen. Manchmal bereute er es, manchmal nicht – heute Nacht tat er es. Seine Zunge schmeckte nach Fotzenwürze, wie er es nannte. Er hasste es, wenn sie kurz vorm Ficken in irgendeiner gottverlassenen Hinterhofgasse gepinkelt hatten.

Was soll das?, fragte er sich. Hat sich bei den Mäd­chen noch nicht herumgesprochen, dass man mit Pissgeschmack keinen Freier zum Wiederkommen einlädt? Bienen fängt man schließlich auch mit Honig, nicht mit Essig!

Harald »Harry« Deckmann beschloss, den üblen Geschmack später zu neutralisieren. Nirgends konnte man das besser als in den städtischen Randzonen. Dort gab es in einem besonders dreckigen Straßenviertel eine Kneipe, die eine Sonderlizenz für nächtlichen Aus­schank nach 02:00 Uhr hatte.

Harry beobachtete die junge Hure, die auf seinem Beifahrersitz hockte und ihre kleinen Brüste in einen viel zu engen BH zwängte. Eine milchweiße Flüssigkeit tropfte an der einen Brustwarze herab, ehe sie hinter dem schwarzen Körbchen verschwand.

»Milcheinschuss?«, fragte er knapp. Seine sonore Stimme passte zu dem buschigen Schnurrbart, der eine hässliche Narbe aus der Jugendzeit verbarg.

»Du sagst es!«, antwortete die blasshäutige Studentin, die sich als Hobbyhure am Wochenende über Wasser hielt. »Hat mir ein Prof angehängt – und will natürlich nicht zahlen wegen seiner Alten!«

Harry überlegte laut. »Ein Prof?«

Die Blondierte lachte. »Sag mal, lebst du hinterm Mond? Prof ist das Kürzel für Professor. Ich bin an der Uni im Stadtzentrum eingetragen.«

»Was studierst du denn?«, hakte der Mann interessiert nach, öffnete das Handschuhfach, suchte nach einer Schachtel mit Filterlosen.

»Germanistik.«

Harry schob sich eine Zigarette in den linken Mundwinkel und ließ das Sturmfeuerzeug aufflammen. Nach dem ersten tiefen Zug reichte er ihr den Glimmstängel hin.

Sie lehnte ab. »Danke. Ich hab seit der Schwangerschaft damit aufgehört.«

»Sollte ich auch«, meinte Harry und zog an der Filterlosen. »Hab nur noch einen Flügel.«

»Flügel?«

»Lunge«, informierte er sie und hüstelte wie aufs Stichwort.

»Krebs?«

»Nope, Süße. Das war Blei.«

Die Hure wirkte ratlos. »Kapier ich nicht!«

»Na, eine Kugel«, klärte er sie auf. »Ein Wichser hat letztes Jahr auf mich geballert.«

»Scheiße, bist du ein Bulle?«, wurde sie besorgt in der Stimmlage. »Nimmst du mich jetzt fest, weil ich illegal anschaffen gehe?«

»Sehe ich so aus?«

»Eigentlich nicht.«

»Ich bin ja auch kein Bulle«, gab er zu und wirkte väterlich fürsorglich, was sie vermisste. »Die Cops«, gestand er, »können mich auch nicht leiden. Ich bin ein störender Privatschnüffler.«

Sie glotzte, was sehr niedlich aussah, wie er feststell­te. »Du bist ernsthaft Privatdetektiv?«

»Seit 30 Jahren.«

»30?«

Er blickte erheitert, dass seine grünen Augen glänz­ten. »Ja, es gibt solch alte Menschen außerhalb der Uni!«

Sie zog sich ihr Shirt zurecht und musterte Harry von der Seite. Dabei klappte sie den Spiegel an der Sonnenblende herunter, ein Licht ging an. Die Blondierte richte­te mit ihren feinen Fingern ihr langes, zerwühltes Haar. »Wie alt bist du denn?«, wollte sie wissen.

Die keck betonte Frage reizte ihn zu einer Gegenfra­ge. »Was schätzt du?« Er fuhr sich absichtlich über den Schnäuzer und legte den Kopf schief und blinzelte.

»Ehrlich oder charmant?«, forderte sie ihn spielerisch heraus.

»Ehrlich natürlich«, antwortete er. »Ich bin Privatdetek­tiv. Wahrheiten gehören zu meinem Job. Ich verkrafte das. Ich verkrafte einfach alles.«

Sie kramte einen sündig roten Lippenstift aus ihrer Handtasche und zog die Lippen nach. Schließlich erwiderte sie: »Nun, du erinnerst mich stark an meinen Vater. Er hat auch einen Bart wie du! Sagen wir mal, du bist 45!«

»Glück gehabt!«, konterte er und schnaufte theatralisch aus. »Mit beidem.«

Sie zeigte feine Runzeln auf der glatten Stirn. »Wie – mit beidem?«

»Ich bin volle 50, und ich bin glücklicherweise nicht dein Vater, sonst hätten wir hier drin ein unmorali­sches Dilemma.«

Sie lachte amüsiert, was ihm wiederholt gefiel.

»Du bist eine witzige Nummer für einen Bullen.«

»Ich bin Detektiv«, verbesserte er sie sanft.

»Für mich kein Unterschied. Ich bin das Mädel, das sich gegen Geld von jedem vögeln lässt.«

»Soll ich dich an deine Ecke zurückfahren?«

»Danke, aber nicht nötig! Zwei Straßen weiter gibt’s einen Sammelpunkt. Ich kenne die Frauen dort. Die sind okay. Zuvor such ich noch die Kirche auf, die gegenübersteht.«

Harry zog drei grüne Scheine aus seinem Portemonnaie. »Hier, nimm! Für dich und dein Kind!«

»Das ist zu viel«, staunte sie.

»Geld ist nicht mein Problem«, erwiderte er. »Deines schon.«

Sie nickte ihm zu, nahm die Scheine und steckte sie in die Tasche.

»Kirche?«, fragte er, weil ihn das Thema ansprang.

Die Hure nickte wieder. »Klar, ich bin gläubig. Ich bin katholisch.«

Das verwunderte ihn. »Du bist katholisch?«

»Aber hallo!«, entgegnete sie frech. »Ja, es gibt katholische Huren – weltweit!« Sie blickte ihn abschätzend an. »Haben Privatschnüffler keinen Glauben?«

»Hab ich mir abgewöhnt«, meinte er. »Ist vor ein paar Jahren verbrannt.«

»Schade«, sagte sie. »Einen guten Glauben kann man immer brauchen, besonders in dieser kaputten Welt.« Die junge Frau öffnete die Beifahrertür. »Also, bis neulich!«, winkte sie.

Er hielt sie zurück. »Noch ein Tipp, Kleine! Pissgeschmack kommt nicht gut, denk dran, okay?«

»Du bist der erste Freier, der meine Ritze lecken durf­te. Aber: Danke für den Hinweis! Tschüss, und bleib selbst sauber, du süßer Fünfziger!«

Fröhlich hüftwackelnd verschwand sie aus seinem Sichtbereich, und Harry war wieder alleine mit sich und seinen Gedanken.

Whisky, dachte er und fuhr los.

2. Torfig

Es hatte sanft zu regnen begonnen, und die Scheibenwischer spielten ein eintöniges Konzert.

Harry Deckmann setzte den Blinker und bog mit sei­nem schwarzen SUV in eine der vielen Seitenstraßen ein, die wie unbedeutende Arme von den meist überfüll­ten Hauptstraßen abgingen. Die breiten Reifen seines geräumigen Wagens durchfuhren ölig schimmernde Pfützen. Der rissige Belag des Asphaltes mit den Schlaglöchern darin, die rostigen Müllcontainer rechts und links sowie die fiependen Ratten, die im Kegel des Schein­werferlichts auftauchten, kennzeichneten die Verwahrlo­sung des Stadtviertels. Harry liebte diese Armutsbezirke der Millionenstadt; er selbst war im kränkelnden Süden aufgewachsen. In diesen sozialen Graubereichen herrschte wenigstens eine brutale Ehrlichkeit, die man im Glanz der Innenstadt und im schillernden Licht der Masken und Lügen nicht mehr finden konnte. Ja, er lieb­te diese pure Ehrlichkeit, auch wenn diese Ehrlichkeit den bitteren Nachgeschmack von Gewalt und Hitze in­nehatte.

Whisky, dachte er erneut.

Es war 03:00 Uhr in der Nacht, und wie der Detektiv richtig vermutet hatte, konnte man um diese verdammte Selbstmörderzeit direkt am Gehsteig vor der schäbigen Eck-Bar parken. Warum Selbstmörderzeit? Harry hatte irgendwann einmal in einer Zeitschrift der Regenbogenpresse gelesen, dass statistisch gesehen die meisten Menschen zwischen 03:00 Uhr und 04:00 Uhr in der Früh Selbstmord begehen würden. Harry hielt solche Statistiken für unterhaltsamen Humbug, um die Wartezeit beim Zahnarzt zu verkürzen. Er hasste Zahnarztbesuche wie seinen fehlenden Lungenflügel oder den verstärkten Harndrang, den er hin und wieder verspürte. Dabei fiel ihm ein, dass die Vorsorgeuntersuchung bei seinem Urologen längst fällig war.

Nachdem er den SUV abgestellt hatte, betrat er die Bar.

Einen schmalzigen Song aus einer Zeit, in der es üblich gewesen war, von roten Lippen und immerwährender Liebe zu singen, nahm er zeitgleich mit dem billigen Parfum wahr, das gestrandete Single-Frauen, meist depressive oder geschiedene, ausdünsteten. Zwei dieser weiblichen Schicksale befanden sich kichernd und lallend am Tresen und ließen sich von nicht minder abgestürzten Männern mit erhitzten Gesichtern unterhalten. Weiter hinten im dunstigen Raum saßen drei ungepflegte Kleiderschränke an einem runden Tisch und hielten abgenutzte Spielkarten in ihren Wurstfingern.

Skat. Harry konnte damit nichts anfangen. Seine Leidenschaft galt dem Lösen von Kreuzworträtseln oder einem guten Buch von Ernest Hemingway. Er dachte kurz daran, dass er seinen Mitgliedsausweis bei der Stadtbibliothek verlängern lassen musste.

Ein Kotzgeräusch ließ den Mann nach rechts blicken. Ein blasser Vollbart mit Tätowierungen am Schweinenacken hatte wohl zu viel intus. Sein Kumpel schob ihm rasch einen geleerten Bierkrug zum breiigen Auffüllen hin.

Harry hasste diese Säufer, die kein Maß halten konnten. Für ihn musste ein Mann wissen, wann Schluss war. Wusste er es nicht, war er für Harry ein erbärmlicher Waschlappen. Alkohol konnte zu einer Geliebten mit Tripper werden. Der Mann wusste dies aus eigener Erfahrung. Er wandte sich angewidert vom sauren Ge­ruch ab und schritt zur Theke hin.

Sein Blick ließ es nicht zu, dass man wegsehen konn­te. »Whisky, torfig im Abgang, pur, ohne Eis, ohne Was­ser, drei Finger breit – und das Glas muss sauber sein!«

Der drahtige Barmann mit dem fehlenden Zahn und der feuchten Aussprache meinte: »Unsere Gläser sind immer sauber, mein Herr!«

»Wenn ich Ihre Kundschaft betrachte, hege ich Zweifel«, lästerte Harry lustig und zog sich einen Barhocker heran.

»Sie sind doch ebenfalls hier, oder?«, konterte die Zahnlücke und zwinkerte. »Es ist eben die Zeit der Einsamen und der Gestrandeten.«

Harry musterte den Barmann, spitzte die vollen Lippen und dachte an das Feuer vor zehn Jahren. Der Geruch des verbrannten Fleisches biss sich in seiner Nase fest, obwohl es unmöglich war. Der Barmann hatte recht – einsam und gestrandet war auch er. Was maßte sich Harry an, besser sein zu wollen als diese anderen Schatten der Nacht? Die waren in ihrer Einsamkeit wenigs­tens in Gesellschaft, doch er hatte nur seine Erinnerung an das verbrannte Fleisch.

»Punkt für Sie!«, gab er zu und strich sich seinen Schnurrbart glatt. »Wie heißen Sie?«

»Benny«, antwortete der Barmann.

»Gut, Benny! Und jetzt hätte ich gerne meinen Drink.«

Aus den Lautsprechern der Jukebox sang ein Mann herzergreifend über dunklen Wein aus Griechenland, ein anderer hielt ein Schäferstündchen im Korn­feld für eine geile Nummer. Harry hatte seinen ersten torfig schmeckenden Whisky leergetrunken, bestellte bei Benny einen weiteren und wünschte sich Jazz aus der Jukebox. Er wusste, dass das nur das Wunschden­ken eines einsamen Privatdetektivs war.

Nach dem dritten Glas verschwanden der quälende Fleischgeruch aus der Vergangenheit und die schlim­men Bilder in seinem angenehm benebelten Kopf. Dolo­res und das Kind waren kurzzeitig begraben. Sie wür­den ganz gewiss wiederkommen.

»Noch einer, mein Herr?«, fragte Benny und hielt ihm die Flasche mit dem Torfigen hin.

»Nein, ein Mann muss sein Maß kennen«, meinte Harry. »Was bin ich schuldig?«

»24,95 für die drei – ohne Trinkgeld!«, antwortete die Zahnlücke hinter dem Tresen.

Harry blätterte ihm drei Scheine hin. »Stimmt so.«

»Beehren Sie uns bald wieder«, wünschte der Bar­mann ihm zum Abschied.

»Ist anzunehmen«, überlegte Harry laut und wollte die Bar verlassen.

An der Tür ins Freie passten ihn ein rot geschminkter Mund und sehr ausladende Brüste ab. Harry stand auf offensichtliche weibliche Angebote, wenn es um Menge und Gier ging.

»Ich habe heute schon bei einer Nutte abgedrückt«, gestand er der Frau nach einem kurzen Smalltalk. »Mein Sack und mein Geldbeutel haben ziemlich gelitten.«

»Ich bin doch keine Nutte!«, ließ sie ihn halb empört und halb amüsiert wissen. »Sehe ich etwa danach aus?«

Harry betrachtete sie von oben nach unten und wieder zurück. »Eigentlich schon«, sagte er. »Aber … wie eine richtig gutaussehende Nutte!«

»Tarnung ist alles!«, konterte sie. »Normalerweise maloche ich brav in einem Altenheim.«

Harry mochte ihre freche Art sofort, außerdem sah sie für die Gegend hier zum Anbeißen süß aus.

»Verheiratet?«, wollte er knapp wissen und konnte seine Augen nicht von ihren Rundungen lassen.

»Gott bewahre!«, entfuhr es ihr, gefolgt von einem heiteren Lachen. »Bist du es etwa?«

Sein Blick wurde kurz düster und ernst, hatte etwas Gefährliches, letztendlich etwas Trauriges. Diese Wandlung schreckte die Frau scheinbar nicht ab. Im Gegen­teil, denn sie ließ ihn keinen Moment aus den Augen.

»Nicht mehr«, erwiderte er schließlich und wurde wieder freundlicher im Gesicht. »Das Thema Ehe ist für mich durch. Es ist buchstäblich verbrannt.«

»Also dann«, freute sich die Schwarzhaarige. »Mein Name ist Mildred … Mildred Hope.«

Er stutzte. »Du nimmst mich auf den Arm, oder? Ist das dein Spitzname? Keiner in Deutschland heißt Mild­red Hope.«

»Doch!«, klärte sie ihn mit einem strahlenden Blau in den Augen auf. »Meine Eltern sind gebürtige Amerikaner.«

»Echte Amerikaner?«, hakte er nach und tat überrascht.

»Ja, aber man kann sie nicht zum Kaffee essen!«, konterte sie humorvoll, zeigte niedliche Grübchen in den Wangen.

Kurz schwiegen sie und verschmolzen mit ihren Au­gen. Beide schienen abzuwägen.

»Ich heiße Harry«, sagte er schließlich, um die Stille zu beenden. »Harry Deckmann.«

Mildred schmunzelte. »Dein Nachname verspricht schon mal gute Unterhaltung!« Dann schaute sie ihn auffordernd an: »Eine persönliche Frage, Harry Deckmann – wenn ich darf?«

Harry Deckmann blickte nicht minder auffordernd zurück: »Tu dir keinen Zwang an!«

Mildred Hope tat sich selbstverständlich keinen Zwang an: »Poppen wir uns bei dir oder bei mir die Seele aus dem Leib?«

3. Spritzig

Satte Regentropfen fielen vom Nachthimmel herab und prasselten gegen das spitz zulaufende Glasdach. Ein Geräusch, das viele an die eigene Kindheit erinner­te. Camping mit Vater und Mutter im Familienzelt. Die Ferien, als die Sommer noch wunderschön und endlos lange gewesen waren. In der Zeit vor dem entsetzlichen Klimawandel, den die Menschheit verbrochen hatte.

»Ich muss sagen, ich bin baff«, staunte die schwarzhaarige Mildred, nachdem sie weiblich gründlich ihren Blick über die Inneneinrichtung hatte schweifen lassen. »Du wohnst in einer schicken Loftwohnung mit einem extra sensationellen Glasdach – und das in der Innen­stadt! Deine Kanzlei muss gut gehen.«

Harry Deckmann legte eine Vinyl-Schallplatte mit Jazz-Variationen auf. »Ich kann nicht klagen«, antwortete er. »Übrigens heißt es Detektei, nicht Kanzlei. Ich bin ja kein Anwalt.«

»Ich Dummerchen«, schmunzelte die Frau und begutachtete die Ölgemälde an der Klinkerwand.

»Hat nichts mit dumm zu tun«, schwächte er ab und schritt auf sie zu. »Viele Menschen verwechseln solche Begriffe. Ist nicht tragisch.« Humorvoll schob er nach. »Ich habe dich ja auch für eine Nutte und nicht für eine Altenpflegerin gehalten.« Er grinste. »Verwechslungen sind menschlich – und andauernd passieren sie.«

Ein Saxophonist erfüllte mit seinem Sehnsuchtsspiel den Raum.

»Von wem ist das?«, fragte Mildred.

»Carl G. Köller, ein begabter Musiker. Er spielt überwiegend Free Jazz.«

Die Frau lachte ihn an. »Ich spreche von dem Bild, nicht von der Musik. Ich mag diese kräftigen Rot- und Orangetöne.«

Harry stellte sich neben Mildred vor das Ölgemälde, das ungerahmt über dem offenen Kamin hing.

»Das hat meine Frau gemalt«, beantwortete er die Frage und war sehr verhalten in seinem Tonfall. »Sie ist tot.«

»Oh, das tut mir leid«, sagte sie gleich. »Ich wollte nicht …«

»Schon gut«, beschwichtigte er. »Es ist schon zehn Jahre her.« Er atmete durch, wollte das Thema nicht ausweiten. »Willst du was trinken?«, fragte er stattdessen, während sie auf dem einladenden Chesterfield-So­fa Platz nahm.

»Wenn du ein Wasser hast, nehme ich gerne ein Glas.« Sie strich sanft über das hellbraune Leder. »Irre bequem, das Teil!«

»Erbstück von meiner Tante. Ich kann es eigentlich nicht leiden, doch ich mochte meine Tante.« Er ging zum Kühlschrank. »Mit oder ohne?«

»Natur«, bat sie. »Kohlensäure drückt mich zu sehr. Ich bin ein wenig empfindlich.«

»Den Eindruck vermittelst du gar nicht«, meinte er und goss zwei Gläser Wasser ein. Dann reichte er ihr eines. »Altenpflege ist doch ein harter Job, oder?«

Mildred prostete Harry zu und nahm einen Schluck, ehe sie erzählte: »Ist eine Art Vorschau. Wenn man sich daran gewöhnt hat, ist es leichter.«

Er zeigte Runzeln auf der breiten Stirn. »Vorschau?«

Die Frau nickte. »Ja, was aus uns allen mal wird, falls wir es erleben sollten.«

»Du sprichst vom Alter?«

»Genau. Ich spreche von den Scheußlichkeiten, die das Alter mit sich bringt.« Sie rümpfte die Nase und ihre feinen Gesichtszüge waren kurz von Ekel durchzogen. »Und vergiss den rosarot angemalten Gedanken, dass alle Menschen bei bester Gesundheit steinalt werden. Das sind die wenigsten. Ab 80 wird’s übel – und bei Männern übler als bei Frauen!«

»Du machst mir echt Angst«, witzelte er.

»Du hast noch Zeit, vermute ich stark«, entgegnete sie. »Wie alt bist du denn, Mr. Holmes?«

»Und ich fragte mich schon«, gab er preis, »ob es einen Menschen auf der Welt gibt, der mich nicht mit dem ollen Sherlock in Verbindung bringt.«

»Nun«, alberte sie. »Wer den Beruf hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.«

Er glättete mit den Fingern unbewusst seinen Schnurrbart. »Ich bin übrigens 50.«

»Himmel!«, empörte sie sich amüsiert. »Ich muss sofort gehen!«

Dein Humor gefällt mir sehr, dachte er.

Sie deutete auf die Holzstufen in der Wand, die ohne Geländer nach oben führten. »Und dort oben ist …?«

»Mein Allerheiligstes«, antwortete er.

»Ich bin erst 45«, sagte sie kess und ging zu den Stufen. »Mal sehen, ob du mit mir klarkommst … und ob du es überlebst.«

Zwei Stunden später hatte es zu regnen aufgehört. Die Wolken waren aufgebrochen und ließen sanftes Mondlicht durch das Glasdach fallen. Mildred schlief entspannt in dem breiten Bett aus Messing, eingehüllt in ein verschwitztes Laken. Harry beobachtete ihr gleichmäßiges Atmen. Es war lange her, dass er diese völlige Zufriedenheit nach einem One-Night-Stand verspürt hat­te.

One-Night-Stand?, überlegte er. Ob mehr daraus werden kann? Wenn ja, will ich das überhaupt?

Mildred hatte ihm nach den Zärtlichkeiten und der Ekstase viel erzählt. Ein wahres Füllhorn an Lebensereignissen hatte sie preisgegeben und in seinem einsamen Herzen einen fruchtbaren Acker gefunden. Erstmals hatte er sich einem anderen Menschen gegenüber ge­öffnet und von dem Feuer und dem Fleischgeruch er­zählt. Von damals erzählt, als seine Frau und das unge­borene Kind bei einem tragischen Unfall im heimischen Künstleratelier umgekommen waren … verbrannt wa­ren.

Wieder blickte er die schlafende Mildred Hope an.

Fürs Erste fühlt es sich ziemlich gut an, sinnierte er. Dennoch ging es ihm wiederholt durch den Kopf: Ob mehr daraus werden kann? Und wenn ja, will ich das überhaupt?

Er wischte die Gedanken fort wie ein Lehrer, der an der Schultafel die Kreide mit einem feuchten Schwamm wegwischte. Schließlich gab er sich einem traumlosen Schlaf hin. Erstmals seit Jahren – ganz ohne verbrann­tes Fleisch.

4. Knusprig

Der Geruch von Rührei mit angebratenem Speck weckte ihn. Schläfrig öffnete Harry die Augen. Sonnenstrahlen fielen durch das Glasdach. Es musste schon später Vormittag sein. Er erkannte dies am Stand der Sonne. Die rechte Bettseite war leer. Eine Frau in der Küche sang ein fröhliches Lied. Mildred schien Früh­stück zu machen, wie er annahm.

Sie ist also kein schöner Traum gewesen!

Der Mann richtete sich auf und stieg aus dem Bett.

Shit, was ist das?

Mit den nackten Füßen war er in etwas getreten. Er blickte nach unten. Ein gefülltes Kondom. Daneben lag noch eines auf dem Laminat.

Richtig, es war kein Traum!

Er zog die Lamellentür zum Kleiderschrank auf und holte einen dunkelblauen Kimono heraus. Nach einem kurzen Blick in den ovalen Wandspiegel huschte er ins Bad, um zu urinieren. Hände waschen, kämmen – ab nach unten.

Schon auf den Holzstufen, die in den unteren Bereich der großen Loftwohnung führten, winkte ihm die schwarz­haarige Frau zu. Sie stand an der Küchenzeile. »Guten Morgen!«, flötete Mildred. »Ich hoffe, du magst Eier mit Speck?«

Und ich mag es, wie du das Oberteil meines Pyjamas trägst, überlegte er lächelnd und kam auf sie zu.

Erst jetzt bemerkte er, dass sie keinen Slip trug. »Ich liebe Eier mit Speck!«, gab er zu.

»Magst du den Speck leicht angebraten oder knusprig?«

»Knusprig.«

Mildred zwinkerte ihm zu. »Das dachte ich mir.« Sie schaufelte das Essen auf einen Porzellanteller, der auf dem Esstisch stand. Im Hintergrund röchelte die Kaffeemaschine. Sie gab ihm einen Kuss, den er gerne und lange erwiderte, dann meinte sie: »Entschuldige, dass der Kaffee noch nicht fertig ist, aber an diese altmodischen Geräte bin ich nicht gewöhnt. Das Ding ist recht eigen­willig.«

»Hat die Maschine von mir!«, scherzte Harry.

»Das erklärt natürlich alles!«, ging sie auf seinen Scherz ein. »Setz dich, dein Frühstück wird sonst kalt!«

Er hockte sich hin und griff zum Besteck. »Ist lange her, dass ich so verwöhnt wurde.«

Sie lachte. »Den Gedanken hatte ich heute Nacht auch, Harry.« Mildred brachte den Pott mit dem Kaffee. »Ich denke, du trinkst ihn schwarz, nicht wahr?«

»Du bist ein absoluter Traum!«, entgegnete er.

»Aber nein, ich bin eine Altenpflegerin mit einem Sozial-Tick. Ich kümmere mich gerne um Hilfsbedürftige.« Sie bereitete sich ebenfalls einen Frühstücksteller und nahm sich den Stuhl gegenüber.

»Hilfsbedürftig?«, fragte er kauend. »Erwecke ich diesen bescheidenen Eindruck bei dir?«

Sie neckte ihn. »Nach der ersten Stunde heute Nacht schon. Gut, dass ich es berufsbedingt gewohnt bin, richtig hinzulangen, wenn’s nötig ist.«

»Freches Ding«, lachte er. »Ich hatte drei ordentlich eingeschenkte Whiskys intus.«

»Und eine Nutte im Vorprogramm!«, ergänzte sie keck.

»Die zählt nicht!«, meinte er. »Das war geschäftlich.«

»Aha, dein Schwanz unterscheidet zwischen geschäftlich und privat?«

»Nein, aber mein Herz«, sagte er mit einem vielsagenden Blick, den sie gerne erwiderte.

Sie nippte am Arabica. »Das passiert mir nicht oft«, sagte sie schließlich und ließ offen, was sie wirklich sa­gen wollte.

»Was?«

»Na, dieses spontane Gefühl, dass es etwas werden könnte.«

Sie tauschten einen eindringlichen Blick aus, während sie gemütlich Rührei mit Speck aßen.

»Der Kimono steht dir übrigens gut«, strahlte sie ihn an.

Er zeigte auf sie. »Nun, er passt zu meinem Pyjamaoberteil, das du trägst.«

»Voll bequem, Harry! Bin schon am Überlegen, ob ich mir zukünftig Herrenpyjamas kaufe. Nur die Knöpfe nerven. Ich will mich gerne schnell an- und ausziehen kön­nen.«

Er grinste. »Von mir aus hättest du ihn beim Frühstück offenlassen können.«

»Keine Chance, Harry! Zu viel auf dem Teller ist schlecht für deine Gesundheit. Außerdem habe ich Spätdienst im Heim. Ich kann jetzt meine Zeit nicht mit irgendwelchen Orgasmen verschwenden.«

»Vielleicht heute Abend?«, hoffte er.

Sie antwortete ihm mit einem bezaubernden Kleinmädchen-Blick, der sie nicht wie eine Mittvierzigerin wir­ken ließ, sondern wie ein liebenswertes Mädel, dem man nichts abschlagen konnte. »Geht leider nicht, Harry! Um 08:00 Uhr will ich meine Eltern besuchen, und danach haue ich mich gleich aufs Ohr. In der Früh geht’s ab 07:00 Uhr los an die offenen Beine, Windeln und Töpfe. Da muss ich fit sein!« Sie zwinkerte ihm wieder zu. »Und da du mich hernimmst, als gäbe es kein Morgen, wird es heute nichts. Leider.«

»Wohnen deine Eltern auch in der Stadt?«

»Mom und Dad haben ein kleines Anwesen außerhalb der City. In Stoddelhausen, direkt am Waldrand. Ziemlich hübsch dort. Glücklicherweise sind es zwei rüstige Mittsiebziger. Und meine Mutter ist eine gute Autofahrerin. Sie versorgen sich noch selbst – Gottlob!« Mildred tupfte sich den Mund an einer Papierserviette ab und begann, das Frühstücksgeschirr auf die Spüle neben dem Herd zu räumen. »Wie sieht’s bei dir aus?«, wollte sie wissen, während er ihr half. »Hat deine Detektei keine festen Bü­rozeiten? Ich meine, es ist gleich 12:00 Uhr, und die Sonne lacht fröhlich über Deutschland.«

»Du hast den riesigen Vorteil erkannt, der alleinige Boss zu sein. Aber: Spaß beiseite! Du hast natürlich recht. Ich habe heute erst gegen 14:00 Uhr einen Termin mit einem neuen Klienten. Normalerweise ist der Spürhund in mir schon ab 08:00 Uhr aktiv. Manuel, mein Assistent, hält mir den Rücken frei und geht ans Telefon, wenn ich noch nicht da bin. Ich bezahle ihn übrigens fürstlich gut!«

»Du hast einen Mann als Vorzimmerdame?« Mildred Hope war mehr als überrascht, konnte sich das nicht vorstellen.

»Ohne meinen Manu könnte ich glatt einpacken!«, gestand Harry. »Er ist mein bester Freund, mein nimmermüder Motivator, mein brutaler Kritiker, mein allmächti­ger Gott in Sachen Buchhaltung und Büroorganisation! Ich habe großen Respekt vor seiner Gewissenhaftigkeit und seinem messerscharfen Zynismus.«

»Ist er verheiratet?«

»Oh ja, mit Sören, einem schwedischen Gourmet­koch.«

Mildred kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Deine Vorzimmerdame heißt Manuel, ist schwul – und mit einem Koch aus Schweden verheiratet?« Sie lachte vergnügt. »Täuschung ist wohl alles, denn du siehst so unverrückbar männlich aus. Einen Schwulen in deiner Privatdetektei hätte ich dir nie und nimmer zugetraut.«

»Himmel, wirke ich wirklich so konservativ?«

»Ja, aber 100%ig, so wie man sich einen Privatschnüffler aus einem Pulp vorstellt!«

»Was ist ein Pulp? Wohl was ganz Übles, oder?«

»Eigentlich nicht«, erklärte sie. »Das sind sozusagen die B-Movies unter den Kriminalromanen mit diesen ganz offensichtlichen Typen, an denen es nichts zu deu­ten gibt. Packend und kurzweilig.«

Er erinnerte sich. »Du sprichst von diesen Groschenromanen, die es an den Kiosken gibt?«

»Riiichtig, mir ist das deutsche Wort für Pulp gerade nicht eingefallen!«

»Packend und kurzweilig?«, hakte er schmunzelnd nach. »Ich bin also packend und kurzweilig?«

Sie zog ihn plötzlich an sich und küsste ihn gie­rig auf den Mund, bis sich ihre Zungen fanden und wan­den. Dann schnaufte sie: »Sehr packend und sehr kurz­weilig, Herr Holmes!«

Als sie seine beginnende Erektion durch den feinen Stoff des Kimonos spürte, knöpfte sie ihr Pyjamaoberteil auf und ließ es zu Boden gleiten. Ihre volle Weiblichkeit entfachte seine Männlichkeit, machte sie unbändig hart. Dann gab es kein Halten mehr, nur noch beiderseitiges Wollen und Begehren.

Augenblicke später wurde der Küchentisch zweckentfremdet und wollüstiges Keuchen und Stöhnen erfüllte die Loftwohnung.

5. Männlich

Die Detektei, es waren zwei komfortabel eingerichtete Zimmer in einem modernen Büro-Hochhaus aus Stahl, Glas und Beton, lag im 13. Stock und hatte die Nummer 1313. Harry Deckmann, der bewusst alles Abergläubische anging und ihm entschlossen entgegentrat, hatte beim Einzug vor drei Jahren darauf bestan­den, die Telefonnebenstelle 1313 zu bekommen. Nach drei, vier Gesprächen mit dem Eigentümer des Gebäu­des war dies möglich gewesen. Bei geschäftlichen Schwierigkeiten konnte der Privatdetektiv auf eine gan­ze Reihe namhafter Persönlichkeiten zurückgreifen, de­nen er bei dem einen oder anderen Fall beigestanden hatte. Da Harry nicht nur ein hervorragender und hor­rend teurer Ermittler und Beobachter, sondern auch verlässlich und verschwiegen war, half man ihm gerne. Es war eben einer jener Graubereiche im Geschäftsleben, wo eine Hand die andere wusch.

Als der Privatdetektiv, der selbst bei Gluthitze seinen schicken Trenchcoat trug, das Vorzimmer seines Büros betrat, wehte ihm der markante sportliche Duft ei­nes sicherlich teuren Rasierwassers entgegen.

»Er hat dich wieder beschenkt«, stellte Harry statt eines Tagesgrußes fest und hängte seinen Mantel an einen altmodischen Kleiderständer.

Manuel Spross, ein lockenköpfiger Mittdreißiger mit Nickelbrille und Dreitagebart, blickte von seinem Laptop hoch. »Sören und ich hatten gestern Jahrestag.«

»Das ist schön für euch«, sagte Harry, schritt an Manuels Schreibtisch heran, um die Schlagzeilen der Mor­genzeitung zu lesen, die dort lag. »Wann sagst du dei­nem Ehemann endlich, dass du seinen Geschmack, was Rasierwasser anbelangt, zum Kotzen findest? Und ich ebenfalls!«

»Du weißt, das bring ich nicht übers Herz, Harry! Sö­ren freut sich wie ein kleines Kind, wenn er mich be­schenken darf.«

»Eure Ehe hält das aus, Manu! Ein scheußliches Rasierwasser treibt keinen Keil zwischen euch, glaube mir!«

»Ach?«, staunte Manuel absichtlich zynisch. »Der männlichste unter den männlichen Privatdetektiven in der Stadt kennt sich mit den alltäglichen Gepflogenheiten in schwulen Ehen aus, ernsthaft?«

»Nein«, musste Harry zugeben, »aber ich kann dich und deinen schmucken Sören sehr gut einschätzen. Ihr kocht immerhin einmal im Monat für mich.«

»Sören kocht«, stellte Manuel klar. »Ich sorge für exzellenten Wein und niveauvolle Gespräche bei Tisch.«

»Gut, Sören kocht, du laberst!«, berichtigte sich Harry.

»Sei ganz ehrlich, Harry! Hat dir die frische Ochsenschwanzsuppe mit seiner Spezialwürze letzte Woche geschmeckt?«

»Ganz ehrlich: Die war überhaupt nicht mein Fall.«

Manuel blickte ihn konzentriert an. Harry hasste das, weil er ahnte, was nun kommen würde.

»Wenn die Suppe nicht dein Fall war, Harry, warum hast du dann die Brühe vor Sören in den höchsten Tö­nen gelobt, hä?«

»Manu, ich bring das nicht! Dein Sören ist so ein charmanter und lieber Kerl. Und Kritik an seiner Ochsenschwanzsuppe geht gar nicht. Das würde ihm sicherlich das schwedische Herz brechen.«

Manuel nickte hektisch. »Siehst du, deswegen sag ich nichts zu dem scheußlichen und überteuerten Rasierwasser. Ich will meinen Sören nicht verletzen oder kränken. Deshalb erdulde ich das scheußliche und überteuerte Dreckszeug. Ich finde, man muss in einer gut gehenden Beziehung auch Opfer für den Partner bringen können – oder man wichst auf Dauer alleine!«

»Ich mag deine dezent gewählten Formulierungen! Die sind echt männlich, Manu!«

»Das weiß ich doch, Harry! Deswegen klappt es so toll zwischen uns beiden.«

Harry faltete die Zeitung zusammen und warf sie in den nächsten Papierkorb. »Gab es irgendwelche Anrufe?«

»Natürlich gab es die! Wir sind ja nicht alle der Chef und kommen erst gegen Mittag ins Büro. Bist du gestern versackt?«

»Erst ja …«

»Depressionen?«

»Du weißt, ich rede nicht gerne darüber.«

»Solltest du aber. So etwas frisst die Seele stückweise auf.«

»Lass mich mit deinen schwulen Ratschlägen in Ruhe.«

»Ist nicht schwul, ist nur freundschaftlich gemeint.«

»Danke, aber lass einfach gut sein, Manu! Aber wenn du schon fragst, ja, es gibt etwas beziehungsweise … eine Frau.«

Manuel Spross rückte seine Nickelbrille zurecht und schaute Harry an. »Eine Frau oder eine Frau, die Geld dafür nimmt?«

»Die Nutte war vorher, später habe ich zufällig diese andere Frau in einer Bar getroffen. Die, die kein Geld dafür nimmt. Und ich denke, es hat gewaltig gefunkt.«

»Harry, dir ist klar, dass du ganz offensichtliche Probleme hast, ja? Ein Nuttenfick – und danach noch einer deiner üblichen One-Night-Stands, bei denen du jedes Mal glaubst, es hätte gewaltig gefunkt!«

»Diesmal ist es anders. Mildred ist eine wahre Wucht, eine ziemlich coole Altenpflegerin.«

Schweigen. Die Männer sahen sich an, warteten ab, Sekunden vergingen.

»Hörst du dir eigentlich selber zu?«, fragte Manuel und hatte einen überzogen besorgten Tonfall gewählt, der vor Zynismus ziemlich triefte. »Harry, du bist ein hervorragender Privatdetektiv mit bedeutenden Kontakten zur Kommunalpolitik und zur Geschäftswelt in unserer gottverdammten Millionenstadt. Und du hältst einen Mitleidsfick mit einer Altenpflegerin namens Mildred für eine wahre Wucht? Ist dir klar, wen du alles absahnen könntest, wenn du nur wolltest?« Manuel schnaufte kurz durch, ehe er weitersprach. »Paula, die schicke Schnitte aus dem Vorzimmer von Senator Buchspeser, will schon seit Wochen ein Date mit dir. Und du lässt diese bereitwillige Büromaus abblitzen, weil der Fick mit einer unbekannten Frau, die alten Leuten die Windeln wech­selt, eine wahre Wucht gewesen ist?«

»Ich habe nicht gesagt, dass der Fick eine wahre Wucht gewesen ist, sondern Mildred!«

»Dann war der Fick schlecht?«

»Nein, hervorragend, dreimal!«

Wieder trat Schweigen ein.

Manuel rümpfte die Nase, was wegen der altmodischen Nickelbrille ziemlich komisch wirkte. »Du musst wissen, was du tust. Kannst dich hinterher bei mir aus­heulen – wie immer!«

»Danke, Manu! Aber mir ist schon klar, dass jemand, der sich von einem Mann in den Arsch ficken lässt, meine Bedürfnisse nicht unbedingt versteht.«

»Ich will nur dein Bestes, Harry – und nun lass mich weiterarbeiten. Einer muss hier etwas für sein Geld tun, nicht wahr?«

Harry nickte knapp und schritt an Manuels Schreib­tisch vorbei, um in sein eigenes Büro zu gehen, das an­grenzte und durch eine Milchglastür abgetrennt war.

»Übrigens … Sören und ich finden Arschficken zum Kotzen!«, hörte er seinen Assistenten nachrufen.

Immer muss er das letzte Wort haben, dachte Harry. Ein guter Freund eben!

6. Neugierig

Harry Deckmann saß an seinem rustikalen Eichenholzschreibtisch, der einen krassen Gegensatz zu den anderen modernen Einrichtungsgegenständen seines Büros bildete. Auf seinem Laptop zeigten sich verschie­dene Bilder, die offensichtlich in einer Parkanlage auf­genommen worden waren. Ein Mann, vom Aussehen ein Mittsechziger, hockte auf einer Bank und leckte Eis in einem Waffeltütchen. Auf dem zweiten Bild sah man, wie sich ein weiterer Mann, ein hagerer Typ mit dunkler Sonnenbrille, zu dem Eislecker gesellte. Der Sonnen­brillen-Mann hatte einen schwarzen Aktenkoffer dabei, den er auf die Bank legte. Auf dem dritten Foto erkannte man, dass der Sonnenbrillen-Mann die Parkbank verließ und den besagten Aktenkoffer nicht mitnahm. Auf der vierten und letzten Aufnahme erhob sich der Eis leckende Mittsechziger und trug den besagten Aktenkoffer davon.

Was hat sich wohl in dem Koffer befunden? Und wer ist der Sonnenbrillen-Mann?

Harry nahm einen Notizblock und schrieb mit einem Bleistift: Norman. 250 für Fotos.

Norman Tschinder, einer seiner vielen freien Mitarbeiter, hatte hervorragendes Bildmaterial mit einer ver­steckten Kamera geschossen. Der Privatdetektiv hatte den dauerhaft arbeitslosen Fotografen vor zwei Jahren in einer Kneipe kennengelernt. Seitdem rekrutierte er den Mann regelmäßig für lukrative Aufträge, besonders für brisante Fälle, die in der grau gewordenen Ebene der Finanzpolitik angesiedelt waren. Norman verstand es, exzellente Bilder im richtigen Moment zu schießen, obwohl ihn gelegentlich der Tremor wegen seiner Parkinson-Erkrankung stark zittern ließ. Harry mochte den 40-Jährigen und hoffte sehr, dass es bald eine fruchtende Therapie für sein Leiden gab.

Die Sprechanlage summte. Harry nahm den Ruf an; Manuel Spross, sein Assistent, meldete sich.

»Harry, dein 14:00-Uhr-Termin, dieser Förster, kommt gerade mit dem Fahrstuhl hoch.«

»Danke dir, Manu!«

»Wenn es recht ist, mache ich heute früher Schluss. Sören und ich wollen ins Kino.«

»Wieder so eine amerikanische Liebesschnulze?«

»Nicht doch, Harry, heute bin ich dran! Spanischer Horror vom Feinsten! Sören hat so schön Schiss davor!«

»Habt Spaß – und bis morgen!«

»Du auch – mit deiner Altenpflegerin, der wahren Wucht!«

»Lästermäulchen! Heute nicht – sie besucht ihre lieben Eltern. See you, Manu!«

Siegmund Förster, ein blasiert wirkender schlanker Mann, der in dem schwarzen Anzug nebst dem farblich passenden Seidenschlips wie ein Bestatter aussah, war niemand, den man auf Anhieb mochte. Harry wagte sogar zu vermuten, dass es niemanden auf der Welt gab, der diesen Förster auf Anhieb mochte.

15 Minuten hatte Förster gesprochen. Harry hatte ihn kein einziges Mal unterbrochen oder nachgefragt. Schon nach den ersten drei, vier Sätzen hatte er festge­stellt, dass dieser Förster exzellent vorbereitet war. Da blieben keine Fragen offen – vorerst.

»Bevor Sie den Auftrag annehmen, Herr Deckmann«, erklärte Siegmund Förster abschließend, »möchte Sie meine Chefin persönlich kennenlernen.«

»Sie gehen davon aus, dass ich annehme?«

Försters stahlblaue Augen schienen kurz verwirrt zu sein, dann wurde sein Blick wieder eisern und unnah­bar. »Zu Ihrem üblichen – sehr horrenden – Tagessatz zahlt Ihnen Frau Streebler 50.000 auf Ihr Spe­senkonto ein. Ja, Herr Deckmann, ich gehe sehr stark davon aus, dass Sie den Auftrag annehmen werden.«

Schweigen. Nur Harrys Bleistift war zu vernehmen, wie er über das Papier schrieb.

»50.000 sind eine Menge Geld für Spesen«, überlegte der Detektiv laut und offensichtlich misstrau­isch.

»Die werden Sie auch benötigen. In der Welt, in der sich Frau Streebler bewegt, sind 50.000 ein Griff in die Portokasse.«

Harry schaute den Mann abschätzend an, den er innerlich verachtete, doch bei geschäftlichen Dingen konnte man sich das Gegenüber nicht aussuchen. Außerdem war dieser Förster nur ein Bote, ein sicherlich gutbezahlter Lakai einer Millionärin, von der man in der Öffentlichkeit sehr wenig wusste.

Hannah-Anna Streebler. Schon die zwei Teile des Doppelvornamens bildeten eine Zeichenkette, die Har­rys Neugierde erwachen ließ. Sowohl Hannah als auch Anna konnte man vorwärts und rückwärts lesen, dass der Sinn gleich blieb.

Palindrom, ein Wortspiel, erinnerte sich der Mann an seine Deutschstunden während der lange zurückliegenden Schulzeit.

Ja, es waren die Kleinigkeiten, die neugierig machten. Und an Zufälle glaubte Harry nicht. Dafür hielt er sich für zu erfahren.

»Wo möchte Frau Streebler mich persönlich treffen?«, wollte er von Siegmund Förster wissen.

»Ich deute das als Annahme des Auftrages?«, erhielt er eine Gegenfrage.

»Das habe ich nicht gesagt«, verneinte Harry. »Je nachdem, wie das Treffen mit Frau Streebler verläuft, haben Sie meine Zu- oder Absage.«

Förster wurde ein wenig rotbackig und verlor seine arrogante Fassung. »Ihnen ist schon klar, dass wir von einer Millionärin sprechen?«

»Sie ist Ihre Chefin, Herr Förster, nicht meine!«

Siegmund Förster wollte etwas darauf erwidern, beließ es aber dabei und holte eine Visitenkarte hervor. »Der Streebler-Landsitz, Freitagabend, Punkt 20:00 Uhr, Abendessen. Und kommen Sie bitte unbewaffnet!«

»Ich habe nicht vor Frau Streebler zu erschießen«, erwiderte Harry locker und konnte sich ein freches Schmunzeln nicht verkneifen.

Beim Hinausgehen drehte sich Förster nochmal um. »Wissen Sie, Herr Deckmann, ich habe Sie mir genau so vorgestellt – genau so!«

Harry sah es gelassen. »Freut mich, dass Sie so eine gute Menschenkenntnis haben. Wenigstens da haben wir eine Gemeinsamkeit.«

7. Überwältigt

Es gab Menschen, die liebten Pflanzen und Bäume, andere konnten damit wenig anfangen.

Harry Deckmann mochte keine Wälder. Er war ein asphaltverliebter Städter, und zu viel Grünzeug machte ihn nervös, wie er gerne zugab. Vor einer Stunde hatte er mit seinem SUV die Autobahn verlassen und war dann über staubige Landstraßen gefahren, um schließlich im sogenannten Grünen Meer, einem riesigen Waldgebiet, be­stehend aus Nadel- und Laubbäumen, zu landen. Gut 100 Kilometer waren es von hier bis zur wuselnden Millionenmetropole. Da es inzwischen stockdunkel war, hoffte er, dass die Navigationssoftware auf seinem Smartphone nicht den Geist aufgab.

Seit 30 Minuten war ihm kein Fahrzeug mehr entgegengekommen. Die Jazzmusik, die von einem USB-Stick kam, beruhigte ihn kaum, da er viel zu konzentriert war und immer wieder heftigen Schlaglöchern auf der Waldstraße auswich. Zwei Tiere huschten vor ihm durch das Scheinwerferlicht, und Harry trat auf das Kupplungspedal und die Bremse.

Wildschweine, dachte er geschockt. Sein Herz schlug ihm bis zum Halse. Wann habe ich das letzte Mal Wildschweine gesehen? Habe ich überhaupt schon mal echte Wildschweine gesehen?

Harry legte den Gang ein und fuhr weiter. Das Navi-Programm signalisierte ihm, dass es bis zum Ziel nicht mehr weit war.

Wie kann man nur stinkreich sein und trotzdem im Dschungel leben wollen? Der Privatdetektiv konnte das nicht verstehen. Ist für Millionäre ein Luxus-Penthouse im modernen Stadtzentrum keine Option mehr?

Noch drei Minuten bis zum Ziel versprach das Smartphone. Schließlich kam er an eine Weggabelung. Ein Schild mit der Aufschrift Privatbesitz Streebler – Betre­ten verboten!zeigte mit der Spitze nach rechts. Harry setzte ordentlich den Blinker, obwohl es in dieser ver­kehrsarmen Natur eigentlich unnötig war. Der SUV bog ab, um eine Fahrminute später an ein schmiedeeisernes Tor mit einem halben Dutzend Überwachungskameras zu kommen. Zwei Wachleute leuchteten mit grellen Ta­schenlampen.

Wo sind die so plötzlich hergekommen?

Erst jetzt erkannte Harry hinter dem Gitter ein kleines Haus für Personal. Er öffnete die Scheibe der Fahrertür. »Guten Abend!«, grüßte er die Männer in den blauen Uniformen. »Mein Name ist Harald Deckmann. Frau Streebler erwartet mich.«

»Guten Abend, Herr Deckmann«, entgegnete der Größe­re der beiden Männer, während er einen Knopf drückte und das Tor aufging. »Bleiben Sie mit ihrem Wagen immer auf dem Hauptweg. Sie kommen an zwei Kreuzungen vorbei; an der zweiten biegen Sie nach links ab. Nach 15 Minuten erreichen Sie dann das Hauptgebäude. Sie können es gar nicht verfehlen. Dort strahlt überall Flutlicht.«

Harry bedankte sich und fuhr durch das Tor auf das Anwesen in eine Allee, die mit ihren gleichmäßig verlaufenden Baumreihen endlos zu sein schien.

Noch 15 Minuten Fahrt?, stutzte er. Die Parkan­lage um den Landsitz muss ja gigantisch sein!

Er kam an Stallungen für Pferde und an einem 18-Loch-Golfplatz vorbei. An verschiedenen Stellen, den Hauptweg entlang, konnten seine geschulten Augen weitere versteckte Kameras ausmachen.

Der neueste Technikstandard, wie mir scheint!

Die Umgebung war bunt bepflanzt und tadellos gepflegt, hie und da konnte man kunstvoll gestaltete Pavil­lons sehen – ein wahrer Garten Eden, und das mitten in Deutschland.

An der zweiten Kreuzung fuhr er mit dem SUV nach links ab. Er überquerte eine romantische Holzbrücke, unter der ein schäumender Wildbach floss. Endlich rückte das Streebler-Landhaus in Sichtweite. Ein riesi­ger Zierbrunnen mit Beleuchtung spie rhythmisch Wasserspiele in die Höhe. Harry schätzte die mittlere und stärkste Fontäne auf 15 Meter. Helle Flutlichtscheinwerfer beleuchteten das zweistöckige Haus, das dem Kolonialstil der Südstaaten Amerikas nachempfunden war, was nicht zur typischen Bauweise in Deutschland passte.

Geld muss man haben, staunte Harry. Viel Geld – und die Schamlosigkeit, nach Herzenslust protzen zu wol­len!

Drei Anzugträger, die man unschwer als Personenschützer ausmachen konnte, schritten auf Harrys SUV zu. Er schaltete den Motor aus, verließ das Auto, ver­mied hektische Bewegungen.

»Mein Name ist Junkers«, sagte einer der Männer militärisch gefärbt. »Frau Streebler erwartet Sie im Abend­salon. Ich soll Sie hinbringen.«

»Vielen Dank!«, entgegnete Harry.

Die sind alle drei top ausgebildet, bemerkte er. Keine Bodyguards von der Stange – eher wie aus einer teuren Modezeitschrift!

»Eine Frage«, hörte er Junkers sagen. »Herr Förster hat Ihnen gesagt, dass Gästen das Tragen von Waffen jeglicher Art untersagt ist, richtig?«

»Hat er«, erwiderte Harry und deutete auf seinen Wagen. »Mein Revolver liegt im Handschuhfach.«

»Perfekt«, nickte der Bodyguard. »Baum und Hauser, meine beiden Kollegen, kümmern sich um Ihren SUV. Hinterm Haus gibt es mehrere Abstellplätze für den Fuhrpark.«

Harry reichte einem der Personenschützer den Autoschlüssel.

Dann betraten Junkers und er die Welt der Reichen.

Nein, die Welt der Stinkreichen, wie Harry gerade dachte.

Das, was er bisher vom Anwesen der Streeblers gesehen hatte, überwältigte ihn schon jetzt.

Der Detektiv war sehr gespannt auf weitere Eindrücke innerhalb des Landsitzes und vor allen Dingen auf die geheimnisvolle Gastgeberin des Abends: Hannah-Anna Streebler.

8. Überrascht