Anthologie-Sammlung von Bridget Sabeth - Bridget Sabeth - E-Book
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Anthologie-Sammlung von Bridget Sabeth E-Book

Bridget Sabeth

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Beschreibung

Dieses Buch ist eine Sammlung von lustigen, nachdenklichen und unterhaltsamen Kurzgeschichten von Bridget Sabeth. Sie spielen im 20. sowie dem 21. Jahrhundert und bieten eine Bandbreite der Unterhaltung. Es gibt mitunter einen Einblick darin, wie früher in der Landwirtschaft gearbeitet wurde. Manche Erzählungen haben einen märchenhaften Charakter, aber es gilt auch ein Verbrechen aufzuklären ...

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Anthologie-Sammlung
Bridget Sabeth
Kurzgeschichten, aus dem 20. Jahrhundert
Das Nix – Der Gips 1955
Der Winklerhof
Der Rührstab
Kurzgeschichten, aus dem 21. Jahrhundert
Verbrechen in ländlicher Idylle
Prolog
Mauterndorf, einige Tage zuvor
Hugos Rückkehr
Der Täter
Ludmilla Ameise – Mitten auf einer Wiese
Udo auf Freiersfüße
Wer ist reicher?
Schlimme Folgen
Verwobene Leben bis in die Ewigkeit
Ein Weihnachtsfest auf Umwegen

Impressum neobooks

Anthologie-Sammlung

Bridget Sabeth

Kurzgeschichten, aus dem 20. Jahrhundert

Das Nix – Der Gips 1955

»Hansl, wo steckst du schon wieder?« Suchend streckte der Vater den Kopf bei der Werkstätten-Tür hinaus. »Kruzifix, wo bleibt denn der Bub! – Hansl, hörst schlecht, herkommen sollst!«

Der neunjährige Bub bog um die Ecke, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. »Hast du nach mir gerufen?«

Der Vater atmete ächzend durch. Was soll bloß aus dem Buben mal werden?, dachte er. Nur Träumereien im Kopf und zwei linke Hände … »Du musst in den Ort runter«, sprach er barsch. »Mir ist unser Gips – das Nix – zum Mauslöcher verschmieren ausgegangen. Die gehören gestopft, sonst ist die Speisekammer von den Nagern bald leergeräumt. Von diesem Gips nimmst mir ein Stück mit!« Der Vater zeigte ihm den entsprechenden Papiersack. »Nichts anderes. Den Betrag lässt beim Greißler anschreiben. Ich zerstoß derweil zum Untermischen ein paar alte Glasscherben.«

»Ja, ist gut.« Hansls Blick wanderte zu einem nahegelegenen Baum, auf dem eine Amsel eifrig zwitscherte. »Schau Vater, ob das der Vogel ist, der bei uns im Dachboden brütet?«

»Was weiß ich!«

»Wie viele Küken es wohl heuer sein werden.«

Der Vater rüttelte den Jungen an der Schulter. »Du hast anderes zu tun, als darüber zu sinnieren. Weißt du überhaupt noch, was du besorgen sollst?«

Hansl schaute mit großen verträumten Augen zu seinem Vater, auf dessen Stirn zeigte sich eine senkrechte Falte, die bekundete, dass sein alter Herr grad ziemlich erregt war. Fahrig hielt der ihm den Sack vor die Nase. »Lies was dort steht!«, stieß der Vater zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Ni…niiii…nix. Der Giii…giiips«, mühte sich Hansl mit dem Zusammenziehen der Buchstaben ab.

»Ja, den bringst mir. Und damit du dir das ganz sicher merkst, sagst laut: Nix – Nix – Nix vor dir her. Verstanden?«

»Ja Vater.« Hansl nickte folgsam. »Nix – Nix.«

»So, nun aber los mit dir, sonst sperrt die Greißlerei zu, bevor du unten bist!«

Hansl schritt eifrig aus. »Nix – Nix«, wiederholte er immerfort mit lauter Stimme, um sich ja nicht ablenken zu lassen. Mit dem Merken, da tat er sich schwer. Vater schimpfte deswegen öfters mit ihm und betitelte ihn mitunter als dumm, was er ihm nicht verübelte. Vater hatte recht, wenn er gewisse Dinge vor sich hersagte, vergaß er die nicht. Und darauf kam es ja an!

Hansl war eine Weile unterwegs, als er zur Naarn gelangte. Das Wasser des Flusses glitzerte ihm kristallklar entgegen, das Ufer präsentierte sich in einem saftigen Grün. Unweit von ihm entfernt stand ein Fischer, hielt die Angelrute fest in der Hand, hoffte offenbar auf einen Fang. Neugierig schaute Hansl eine Zeitlang zu, sprach dabei ständig: »Nix – Nix, Nix – Nix …«

Mit einem bösen Blick bedachte der Fischer den Jungen und zischte: »Psst!«

Hansl redete munter weiter. »Nix – Nix.«

»Sei still, du Rotzbub, sonst verpasse ich dir ein paar Ohrfeigen!«

Der Bub rührte sich nicht von der Stelle. »Nix – Nix, Nix – Nix …«

Da sprang der Fischer hoch, lief auf ihn zu und machte seine Drohung wahr. Das Klatschen der Hand in Hansls Gesicht ließ ihn verstummen. Erschrocken schaute er den Mann an. »Was soll ich denn sonst sagen?«, stieß er weinerlich aus.

»Alle Stund’ Tausend!«, fauchte der Fischer und kehrte an seinen Angelplatz zurück.

Hansl setzte sich in Bewegung. »Alle Stund’ Tausend, alle Stund’ Tausend …«

Er gelangte zur Kalvarienbergkirche, einem schönen Rundbau auf einer Anhöhe, der ihm zeigte, dass er es nicht mehr weit hatte. Die Glocken läuteten im Hintergrund, kündigten einen Begräbniszug an. Der Bub blickte in versteinerte Gesichter. Um das Geläut zu übertönen, sprach er mit fester Stimme: »Alle Stund’ Tausend, alle Stund’ Tausend …«

Ein Geraune ging durch die Reihen. Schon liefen zwei starke Männer auf ihn zu, hoben ihn am Hemdkragen hoch. Ein Ratschen zeigte, dass der Stoff gerissen war.

»Bist du dumm, wenn alle Stund’ Tausend Leute sterben würden, gäb’s bald keine Menschen mehr auf der Welt. Das heißt: Gott, gib ihm die ewige Ruhe!«, keifte einer ihn an. »Verstanden?!«

»Gott, gib ihm die ewige Ruhe …«, sprach Hansl eifrig, war froh, als er den festen Boden unter seinen Füßen spürte. Rasch rannte er der Ortsmitte entgegen. Als er um eine Kurve gebogen war, wurde er langsamer, schnaufte heftig. »Gott … gib ihm … die ewige … Ruhe …« Ein Blick zurück bewies, dass ihm niemand gefolgt war.

Sein Herzklopfen normalisierte sich, und er setzte gemächlicher den Weg fort. Es dauerte nicht lange, da zog ein Viehanhänger Hansls Aufmerksamkeit auf sich. Vorsichtig trat er näher, erkannte ein verendetes Pferd auf der Liegefläche. Fliegen surrten um den aufgeblähten Leib, während andere fleckenartig, wie dichter schwarzer Ruß, das braune Vieh bedeckten. »Gott, gib ihm die ewige Ruh«, wisperte er ergriffen. Hansl mochte es nicht, wenn ein Tier zu Schaden kam.

Als ihn jemand auf die Schulter klopfte, duckte er sich erschrocken ab, als ob er bei etwas Verbotenem erwischt worden wäre. Vor ihm stand ein feister Kerl lauthals lachend mit riesigen Pranken. In seiner Linken hielt er einen Ochsen am Halfter, um den wohl ins Joch einzuspannen.

»Du bist mir einer, plärrst wegen des alten Gauls«, tadelte der Fremde. »Das heißt: du grausiges Rabenvieh du!«

»Du grausiges Rabenvieh du«, wiederholte Hansl mit dünner Stimme.

»Genau, jetzt hast du es erfasst«, bestätigte der Mann breit grinsend.

Hansl wich zurück. Er wollte weder länger das tote Tier betrachten noch in der Nähe des Kerls bleiben, der offenbar kein Mitgefühl besaß. Mit den Worten: »Du grausiges Rabenvieh du …« hastete er weiter.

Die Jakobus Pfarrkirche kam in sein Sichtfeld. Die kannte Hansl gut, fast jeden Sonntag besuchte seine Familie dort den Gottesdienst, um im Anschluss beim Wirt eine warme Suppe zu essen, ehe es heimwärts ging.

Hansl stoppte die eiligen Schritte, als ein Hochzeitszug die Straße querte. Schwarze Pferde zogen eine offene Kutsche, auf der eine wunderschöne Braut im weißen Kleid, flankiert von ihrem Bräutigam, saß. Fasziniert bestaunte er den Blumenkranz in ihrem Haar und plapperte verzückt: »Du grausiges Rabenvieh du, du grausiges Rabenvieh du …«

Als zwei Männer ihn packten, wehrte er sich nicht. Drohend schwangen sie hölzerne Stecken in ihren Händen, schimpften und rüttelten ihn.

»Bist du völlig von Sinnen!«

»So eine schöne Braut! Willst du uns allen die Freude vermiesen?«

»Ich … ich ... wollt nicht«, stotterte der Bub. »Was … was soll ich stattdessen sagen?«

»Bist wohl ein bisschen schwer von Begriff, was?«

Hansl zuckte eingeschüchtert mit den Achseln. Widersprechen traute er sich ganz sicher nicht.

Da flüsterte der eine Kerl dem anderen ins Ohr. »Warte, ich weiß, wie wir dem Grips des Buben auf die Sprünge helfen können.« Er deutete zum nahegelegenen Gasthof, vor dem zwei Raufbolde miteinander rangelten.

»Schau«, wandte er sich an Hansl. »Du gehst rüber zu der Wirtschaft und sagst ganz laut: Das tät ich auch gern.«

»Das tät ich auch gern«, sprach Hansl zögerlich.

Ein »Hopp-Hopp« und das Klatschen des hölzernen Stabs in die Handfläche seines Gegenübers trieben ihn an. Kaum später stand er von den Streithähnen und meinte drucksend: »Das … das tät ich auch … gern.«

Ein Kerl fackelte nicht lange, schubste den Buben grob auf den staubigen Boden. »Wenn du willst, kannst noch mehr haben, du halbe Portion! Stör die anderen Leut’, nicht uns!«

Hansl schluchzte, der Hosenboden tat ihm weh und er verstand nicht, was heut die Leute gegen ihn hatten.

»Weißt, dem Schneider drüben ist fix langweilig. Geh zu dem, und klopfst gar fest ans Fenster.«

»Und … und was soll ich dann sagen?«, wimmerte Hansl.

»Da zieht er beim Faden und macht ein grässliches Fratzengesicht dabei …«

Hansl tat, wie man es ihm aufgetragen hatte. Er platzierte sich vor der trüben Fensterscheibe, hämmerte fest dagegen, sodass das Glas klirrte, und rief: »Da zieht er beim Faden und macht ein grässliches Fratzengesicht dabei. Da zieht …«

Der Junge hatte noch nicht zum zweiten Mal den Satz ausgesprochen, da wurde die Tür aufgerissen und der Schneider hielt ihn beim Schlafittchen. »Herrschaftszeiten, du frecher Bub, dir gehört der Allerwerteste mit dem Gürtel versohlt!«

Hansl brachte kein Wort heraus, Tränen sprudelten hervor, die er nicht länger zurückhalten konnte. Die ganze Welt hatte sich gegen ihn verschworen.

»Moment, aber ich kenn dich doch! Du bist ja der kleine Hansl. Sonst immer so ruhig und still! Das passt gar nicht zu dir!« Der Schneider hörte ein nahes Lachen. Er schaute zur Wirtschaft und entdeckte zwei Kerle, die gerne über den Durst tranken, rauften oder sich derbe Späße erlaubten. Er zog das zerrissene Hemd des Jungen ein wenig zurecht. »Jetzt versteh ich, die zwei haben dich aufgehetzt. Bub, so etwas tut man nicht! Heute drück ich ein Auge zu, aber lass dir das eine Lehre sein!«

Hansl nickte, wischte sich die nassen Tränen von den Wangenbacken, hinterließ dabei schmutzige Schlieren im Gesicht. »Aber … was soll ich denn sonst sagen?«

»Nix«, entgegnete der Schneider kurzangebunden und machte kehrt.

»Nix? … Nix – Nix!« Da war doch was? Vater und der Gips! Erleichterung überflutete Hansl. »Nix – Nix!« Nur mehr wenige Schritte von ihm entfernt lag die Greißlerei.

Als er den Gips ausgehändigt bekam, strahlte er von einem Ohr zum anderen. Ohne weitere Vorkommnisse gelangte er heim. Sein Vater schlug die Hände über den Kopf zusammen, als er den verdreckten Jungen und das zerrissene Hemd sah. »Sag, was ist denn mit dir geschehen?« Er schwankte zwischen Schimpf und Sorge.

»Nix – Nix«, bemerkte Hansl, gab den Gipssack ab und sprang übermütig davon.

Der Winklerhof

August 1930

Bereits in aller Herrgottsfrüh hatte der Winkler-Vater seinen Rucksack geschultert, in dem sich etwas Proviant befand. In der Hand hielt er einen knorrigen Holzstock, den er fest in den Boden hieb, wenn er mit dem rechten Fuß nach vorne ausschritt. Er liebte die herrliche Aussicht am Berg, die frische Luft, die besondere Ausstrahlung der Natur … Da ging die harte Arbeit gleich leichter von der Hand.

Der Bauernhof lag recht abgeschieden zum Dorf. Zu Fuß benötigte man knapp zwei Stunden, ehe man das Tal erreichte, und eine Stunde, bis man in die andere Richtung auf den Bergrücken kam. Dort entlang zogen weite Almen. Aus den Quellen sprudelte unermüdlich das klare Nass. Trotz karger Böden fanden die Kühe hochwertiges Futter. Ein Hut gefüllt mit diesen Pflanzen ist wertvoller als ein großer Büschel Heu im Tal!, dachte der Winkler-Vater, so wie es ihm von seinen Vorfahren überliefert worden war. Und nun darf ich als Altbauer mein Wissen weitergeben!

Lächelnd zog er weiter, und hoffnungsvoll, dass sich ein Waldbewohner zeigen könnte. Wenn er sich ruhig verhielt, durfte er mitunter Füchse, Rehe, Eichhörnchen, Vögel oder Hasen beobachten. Niemals – für nichts auf dieser Welt – hätte er tauschen wollen, obwohl man beim Tagwerk reichlich Muskelkraft benötigte. Er mühte sich oft ab, bis der Schweiß aus sämtlichen Poren floss. Heroben durfte man nicht zimperlich sein.

Das galt für jeden, der sich dem Landleben verschrieben hatte, wie es seine beiden Söhne taten.

Der vierundzwanzigjährige Hansl hatte bereits mit der Gretl eine Familie gegründet, zwei süße Kinder – die Zenzi und der Sepperl – gehörten dazu. Und der Franzl, sein jüngerer Sohn, war mit zwanzig Jahren ebenso am Hof tätig, unterstützte, wo er konnte. Dessen Liebe galt bisher den Tieren. Bald würde er auf ihn treffen, denn der Franzl hatte die Nacht auf der Almhütte verbracht.

»Bin stolz auf meine Jungs«, murmelte der Altbauer vor sich hin. »Und auf unsere anderen Leut’, der Burgi und dem Fredl.« Ohne der Magd und dem Knecht wäre die Bewirtschaftung umso beschwerlicher. Er konnte froh sein, dass er keine Tachinierer am Hof hatte, sondern welche, die ihr Bestes gaben und die Natur schätzten.

Je achtsamer man mit der Schöpfung und den Tieren umgeht, desto mehr bekommt man davon zurück. Und der Lohn ist, wenn wir uns nach getaner Arbeit in der Stube versammeln, Lieder singen oder zum Zeitvertreib Karten spielen und dabei ein Glas Wein trinken. Ohne Zank und ohne Streit. Dankbar und zufrieden darüber, was ein paar Hände zu schaffen vermögen.

Der Winkler-Vater hielt inne, sah den steinigen Pfad zurück, den er genommen hatte. Obwohl er gerne unter Leute war, vermisste er weder den Trubel der Stadt noch die Elektrizität, die es mittlerweile bis ins Dorf geschafft hatte. Am Abend, wenn es duster wurde, entfachte er nach wie vor eine Petroleumlampe. In den lauen Nächten saß er gerne auf der Bank vor dem Haus und schaute in den glitzernden Sternenhimmel. In diesen Momenten wagte niemand ihn zu stören, denn da dachte er an seine verstorbene Frau Maria, die er meist liebevoll Mirl genannt hatte. Vor zwei Wintern hatte sie sich nicht mehr von einer Lungenentzündung erholt. Es betrübte ihn, dass sie nicht miterleben durfte, wie die gemeinsamen Enkelkinder heranwuchsen.

»Mirl, oft wollt ich dir folgen … Aber es ist mir, als ob der Wind mir deine flüsternde Stimme zuträgt, die sagt: Bleib da und handle in meinem Sinn. Es ist zu früh für dich, dein Lebenswerk ist noch nicht getan.«

Ungelenk wischte der Winkler-Vater die verräterische Nässe aus den Augen. Er hieb den Stock in den steinigen Boden, schritt aus, während ihn die Gedanken an seine verstorbene Frau weiter begleiteten. Früher hatte er Maria gerne mit einem bunten Almwiesen-Blumenstrauß überrascht, oder mit einem kleinen Zirbenast, dessen Duft sie so sehr mochte. Glücklich hatte sie seine Mitbringsel in eine Vase gestellt, ihn als alten Romantiker betitelt, was ihn sogar jetzt zum Schmunzeln brachte.

»So eine, wie dich, die gibt’s kein zweites Mal. Ich dank dir, für all die wundervollen Stunden, auch wenn wir in den meisten davon unermüdlich geschuftet haben. Den Tod hast du nicht verdient.« Der Winkler-Vater ächzte. Wären die Enkelkinder nicht gewesen, die das große Bauernhaus mit ihrer Unbeschwertheit und Neugier unsicher machten, hätte er weit mehr gelitten.

Kaum von ihm entfernt rann ein Bächlein vorbei. Statt klarem Wasser war es eine bräunliche Suppe. Mist, offenbar hat der letzte Regen die Quelle verschüttet, das gehört gerichtet!

»Grüß dich, Vater, schön, dass du da bist«, vernahm der Altbauer die Stimme seines jüngeren Sohns.

»Servus Franzl. Sicher, an so einem herrlichen Tag hält mich nix am Hof. Passt alles beim Vieh?«

»Ja, die Sterndl hat gekalbt, ein kleiner Stier, magst schauen? Milch hat sie genug.«

»Sicher Bub.« Der Altbauer folgte Franzl in den Unterstand. Sein Herz erfreute sich am Scheckenkalb, das auf wackeligen Beinen nach der verlockenden Milch bei der Mutter suchte.

»Das Holztor der Scheune habe ich gerichtet, nun ist es wieder dicht und lässt weder Sturm noch Regen durch«, fuhr Franzl fort.

»Das sind gute Nachrichten. Was tät ich ohne dich.«

»Keine Sorge, ich bleib dir schon noch eine Weile erhalten.«

Der Winkler-Vater horchte auf. »Weshalb sagst du das? Willst du etwa fortgehen?«

»Nein, ich ganz sicher nicht«, wehrte Franzl ab.

»Dann meinst in Hansl? Der und seine Hirngespinste. Froh kann er sein, dass wir am Land sind!« Energisch hieb der Winkler-Vater den Stock in die Erde.

»Bittschön, nicht bös sein«, warf Franzl ein, »da musst ihn selber fragen.«

Unwillig rümpfte der Altbauer die Nase. »Das werde ich machen. So, wir sollten keine Zeit vertrödeln. Wir müssen oben am Sonnenhang wohl die Quelle neu fassen, das Wasser ist ganz braun.«

Franzl deutete zu Schaufel und Spaten. »Wir können gleich los.«

»Ich mag nimmer.« Hansl ächzte, als er die letzte Gabel Heu in die Futterraufe steckte.

»Wir sind eh schon fertig«, versuchte Gretl ihm gut zuzureden. Sie stand vom Melkhocker auf, und schritt mit dem schweren Eimer Milch auf ihren Mann zu.

»Fertig? Ständig dieselben Pflichten: Kühe, Pferde, Hühner, Schweine füttern … Dazwischen Futter machen, misten, mähen, Sachen reparieren … Tagein, tagaus … Ich bin dem allem überdrüssig! Wir kennen keinen freien Tag … Schau die Schwielen auf unseren Händen an! Die weiten Wege, die wir haben, um mal ins Dorf zu gelangen … Ich will nicht mehr!«

Gretl leerte die Milch in die vorgesehene Kanne. »Du willst also tatsächlich in die Stadt? Für die Kinder ist es schön hier. Schau, wie vernarrt die Zenzi in die jungen Kätzchen ist.« Sie deutete zum fünfjährigen Mädchen, während ihr gemeinsamer Bub im Heu lag und sich mit dem Hofhund darin wälzte.

»Du wirst sehen, in der Stadt ist es herrlich. Da musst du nicht arbeiten, sondern kannst dich um die Kinder kümmern, während ich mir eine Stelle suche und dafür einen Lohn bekomme. Und später können Zenzi und der Sepperl auf eine gescheite Schule gehen, aus ihnen soll was werden!«

»Keine Sorge, Schatz. Ich unterstütz dich bei allem, was du möchtest. Nur für den Vater wird es nicht leicht werden, zumal er darüber nachdenkt, dir den Hof offiziell zu vermachen.«

Hansl zog seine Frau an sich heran. »Danke, dass du zu mir hältst, das bedeutet mir sehr viel, und macht es mir einfacher, mit dem Vater zu reden.«

Der Winkler-Vater saß am Holzbankerl vor dem Haus. In der Hand hielt er eine Pfeife, paffte Rauchwölkchen in die Luft. Die Sonne verabschiedete sich mit einem blutroten Strahlen am Horizont. Noch war es angenehm warm.

»Du Vater«, wurde er von hinten angesprochen. »Darf ich mich zu dir setzen. Wir müssen reden.«

Der Altbauer rückte zur Seite und klopfte mit der Linken auf die hölzernen Bretter. »Ich hab mir schon gedacht, dass du kommst, so wie du in letzter Zeit um mich herumschleichst.«

»Es tut mir leid. Du weißt, was mein Begehr ist. Die Sehnsucht nach der Stadt lässt mich nicht los. Ich will das Leben dort kennenlernen. Auch wenn du es nicht verstehen kannst. Ich bin nicht mit der Natur derart verwurzelt, so wie du es bist.«

Der Vater unterdrückte ein Ächzen. Am liebsten hätte er Hansl die Schnapsidee ausgeredet, aber er wollte keinen Streit. »Nun, wie hast du dir die gesamte Sache denn vorgestellt?«

Hansl räusperte sich. »Ich weiß, der Franzl ist noch jung, aber er taugt als Bauer bei weitem mehr als ich. Könntest du mir stattdessen das zustehende Erbteil ausbezahlen? Dann hätten Gretl, die Kinder und ich ein Startkapital. Ich hab gehört, dass Kutscher gesucht werden. Dafür wären ein Gespann und Pferde ebenso von Vorteil.«

Der Winkler-Vater zog heftig an der Pfeife. Ein schmerzhafter Stich trieb durch sein Inneres. Das Haus würde leer werden, wenn die vier auszögen. Alles verändert sich … Und ich kann es nicht aufhalten! Genauso machtlos hatte er sich bei Marias Tod gefühlt. Lass ihn ziehen … Er ist erwachsen … Auch wenn es schwer ist …

»Vater, was sagst dazu?«, hakte Hansl vorsichtig nach. »Die meiste Arbeit ist getan, zumindest haben wir die heurige Ernte eingebracht.«

Rastlos erhob sich der Vater, ging ein paar Schritte. »Ist gut. Ich werde am Montag zur Bank gehen, und eine große Summe Geld abheben. Ich schau auch gleich, ob der Notar Zeit hat, dann werden wir alles regeln. Franzl bekommt den Hof, und dich lass ich ziehen.«

September 1930

Die Abreise stand bevor. Hansl, Gretl und die Kinder hatten ihre Koffer gepackt und alles verladen. Zudem befand sich reichlich Proviant dabei: Speck, Brot, Butter, Honig und ein paar Säcke Erdäpfel. Der ältere Sohn hielt nicht nur ein dickes Kuvert mit Geld in seinen Händen, sondern bekam das schönste Gespann und die vier besten Pferde aus dem Stall.

Wehmütig blickte der Altbauer seinen Ältesten an. »Mach’s gut Bub, passt’s auf euch auf!«

Sie nickten einander zu. Gretl wirkte angespannt, der Sepperl schaute ganz verzwickt drein, während die Zenzi an ihren Zöpfen zwirbelte und sich auf die Ausfahrt freute. Hansl winkte allen fröhlich zu, ehe er schnalzte und die Pferde antrieb.

Kläffend lief der Hofhund dem Gespann nach, als wollte er sich verabschieden und wüsste, dass sie so schnell nicht wieder heimkämen. Dem Winkler-Vater war es schwer um sein Herz. Der Franzl legte sanft die Hand auf dessen Schulter. »Vater, mach dir keine Sorgen, sie werden heil in die Stadt kommen, und mit der Burgi und dem Fredl schaffen wir die Arbeit auch zu viert.«

»Bin froh, dass du dableibst«, entgegnete der Winkler-Vater. »Bitte, geh schon mal vor in den Stall, ich komm gleich nach.«

Franzl ließ sich nicht lange bitten, wusste, dass sein Vater einen Moment für sich alleine brauchte. Der Altbauer blieb stehen, schaute auf das bunte Laub ringsum. Ein einzelnes Blatt segelte auf den Boden und gesellte sich zu den anderen, die bereits unten lagen. Der Hofhund kam zurück, setzte sich neben ihn auf die Erde und blickte ihn erwartungsvoll an. Vom Gefährt war längst nichts mehr zu sehen.

»Gell Bello, du wirst sie auch vermissen.«

Der Hund gab ein lautes Wuff von sich, als hätte er ihn verstanden. Kurz spähte der Winkler-Vater hinauf zu den Wolken. »Ach Mirl, bitte beschütz sie von dort oben.«

Gretl staunte, als sie in die Stadt kamen. So viele Häuser standen eng beieinander. Aber irgendwie wirkte es zugig zwischen den Gassen. Der Hansl steuerte auf ein Gebäude zu, deutete auf ein Schild. »Siehst, da können wir uns eine Wohnung nehmen.«

Die Vermieterin, die sich als Vroni vorstellte, wirkte sehr nett. Sogleich zeigte sie ihnen die Räumlichkeiten. Während sie das Erdgeschoss bewohnte, sollten Hansl und seine Familie im ersten Stock ihr neues Zuhause finden. Sogar für die Kinder gab es ein eigenes Zimmer, und fließendes Wasser befand sich im Gebäude.

»Ich habe nicht zu viel versprochen, oder?«, bemerkte Hansl stolz. Ja, so hab ich mir das vorgestellt!

Gretl nickte, strich über die Spüle, die feinen Möbel. Nie mehr müsste sie in die Kälte hinausgehen, um Wasser zu holen. Statt Petroleumlampen oder Kerzen gab es einen Schalter, mit dem man das Licht anknipsen konnte. Sie bemerkte, wie Hansl aus dem dicken Kuvert Scheine hervorholte, um die erste monatliche Zahlung zu tätigen.