Auch brave Mädchen tun's - Sabine Deitmer - E-Book

Auch brave Mädchen tun's E-Book

Sabine Deitmer

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Beschreibung

Eigenwillig sind sie, stolz, aufmüpfig und störrisch, die braven Mädchen. Eigensinnig beharren sie darauf, von ihrem Leben alles zu erwarten. Für dieses Ziel kämpfen sie, und wenn es sein muss, morden sie sogar Männer, die sich ihnen in den Weg stellen, wen sonst? Wenn brave Mädchen böse werden, müssen sich Männer warm anziehen. Zwei Meter unter der Erde kann es sehr kalt sein. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Sabine Deitmer

Auch brave Mädchen tun's

Mordgeschichten

FISCHER E-Books

Inhalt

Ein harter JobSchwimmen lernenLiebe und andere Krankheiten… wie schlechternährte SchulmädchenRosis rollende DiscoDer erste SommerMännerstadtEine Liebe in Badenweiler

Ein harter Job

Es gibt wenige Männer, die mich anmachen. Und ich kenn' keinen, der das morgens um sieben schafft, wenn ich meinen Kaffee noch nicht gekriegt habe. Der Typ, der sich da vor mir langmachte, war keine Ausnahme: Ich steh' nicht auf Typen mit spitzen Cowboystiefeln und dicken Gürtelschnallen über dem, was sie für ihren wertvollsten Körperteil halten. Die so aussehen, als hätten sie sich ein Kilo Weintrauben zwischen die Beine gesteckt, wenn sie breitbeinig an einem vorbei zum Männerklo walzen.

Es ist ein harter Job, als Freie durchs Leben zu tingeln. Für sechsundachtzig Pfennig pro Zeile und zwei magere Scheinchen für jedes Bild, das sie in ihrem Schmierblatt abdrucken. Preise wie vor vierzig Jahren, als es für 'nen Groschen noch'n Salzhering gab oder 'ne Tüte gemischte Bonbons. Dafür bist du immer im Einsatz. Rund um die Uhr. Kamera über der Schulter, Griffel hinterm Ohr, Ersatzfilme in der Jackentasche. Die Freiheit der Freien, daß ich nicht lache. Du bist frei, zu Zeiten zu arbeiten, wo alle Festen was Besseres vorhaben. Das, was alle vernünftigen Leute morgens um sieben vorhaben. Erst recht am Sonntag. Sie drehen sich noch mal in ihrem Kuschelbett um und setzen zum zweiten Nickerchen an. Nur das Leben hält sich an keinen vernünftigen Zeitplan und spult die spannendsten Sachen zu den unvernünftigsten Zeiten ab. Da müssen dann wir Freie ran. Wie ich jetzt zum Beispiel. Weshalb stand ich denn verdammt noch mal am heiligen Sonntag früh um sieben hier auf diesem Scheißcontainer und fror mir den Arsch ab? Weil Kreimeier, mein Freund und Gönner, festangestellter Redakteur in der Lokalredaktion der ›Morgenpost‹, es vorzog, das warme Bettchen zu hüten und die Decke über die Ohren zu ziehen. Deshalb stand ich jetzt hier mit meiner Kamera in der gottverdammten Kälte und durfte ackern. Und weil es auf meinem Konto genauso deprimierend aussah wie auf diesem Müllhaufen, hatte ich darauf verzichtet, das einzig Vernünftige zu tun, als mir Kreimeiers Stimme zu nachtschlafender Zeit durchs Telefon entgegenkroch. Ich hatte darauf verzichtet, den Hörer sofort wieder auf die Gabel zu knallen und ihm zu verraten, was ich von seinen schlechtbezahlten Scheißjobs wirklich hielt. Die Freiheit, das zu tun, hatte mir mein Kontostand schon seit Jahren nicht mehr erlaubt.

Immerhin war ich nicht umsonst aus dem Bett gekrochen. Der Tip, den Kreimeier von wer weiß wem gekriegt hatte, war echt. Mein Kreislauf kam auf Touren. Mir dämmerte, daß das hier 'ne Nummer größer war als die Silberhochzeiten und Kaninchenzüchtervereine, zu denen mich Kreimeier sonst so gern schickte. Und kein Kollege weit und breit, der mir die Story klauen konnte. Wow. Meine Stimmung stieg.

Ich sah mich um. Die Straße lag da wie tot. Ein paar aparte Flachbauten, Drahtzäune, geparkte LKWs. Noch nicht mal ein Schäferhund, der kläffte. Nur ein paar einsame Plastikfetzen und Bierdosen, die der Wind über die Straße fegte. Die reinste Idylle. Keine Konkurrenz in Sicht. Charlotte Lehmann als erste am Ort des Geschehens. Wenn das keine geilen Bilder gab, wollte ich freiwillig in Kreimeiers Gesellschaft eine Thunfischpizza verschlingen. Das wollte was heißen. Wenn Kreimeier mich großmütig zu 'ner Pizza einlud, mußte ich mir jedesmal sein Gesülze über Vor- und Nachteile der freien Marktwirtschaft reintun. Das tat echt weh. Ich brauchte keine Vorträge von diesem Langweiler, um zu schnallen, daß er die Vor- und ich die Nachteile bei unseren geschäftlichen Deals hatte. Aber das mußte ja nicht so bleiben. Die Schlagzeilen begannen bereits durch mein Hirn zu tickern. Das würde die heißeste Story meiner Laufbahn werden. Charlotte Lehmann exklusiv in der ›Morgenpost‹. Ich brachte die Kamera in Anschlag.

Das Klettern auf diesen Blechhaufen hatte sich echt gelohnt. Das sah aus wie gemalt. Ein Container voll mit ausrangierten Kühlschränken. Und mittendrin der Macho. Mit der protzigen Gürtelschnalle über seinem Allerfeinsten. Mausetot mit einem Messer in der Brust. Mir wurde warm ums Herz. So eine schöne Leiche. Ganz für mich allein. Klick. Fast friedlich lag der Cowboy da zwischen den Kühlschränken. Klick. So entspannt wie in der Hängematte. Klick. Klick. Den Rücken von einem Uraltmodell mit runden Türen sanft gestützt. Klick. Die Beine über die Arbeitsplatten von zwei Teilchen gelegt, die ich mit Kennerblick auf Mitte der Sechziger datierte. Klick. Klick. Der rechte Arm über der offenen Tür eines neueren Modells hängend, das noch ganz passabel aussah. Klick. Ein total friedliches Bild. Als ob er sich kurz vorm Einschlafen noch ein gutgekühltes Bier aus dem Kühlschrank angeln wollte. Das gab was her. Klick. Klick. Klick. Der erste Film war voll.

Mit diesen Fotos würde ich groß rauskommen. Da gab's kein Vertun. MORD IM GEWERBEGEBIET. TOTER AUF MÜLLCONTAINER. Das würde die Auflage in die Höhe treiben. EISKALT GEMORDET, UND WIR WAREN DABEI. Angebot und Nachfrage. Kreimeier hatte mir in seinen Vorträgen die Grundpfeiler des Journalismus nahegebracht. Jetzt war ich am Drücker. Während sich dieser Weichling in seinem Bett in der Wärme aalte, turnte ich topfit auf einem Müllcontainer in der Kälte herum. Im Zentrum des Orkans, da, wo Zeitungsgeschichte gemacht wird.

Mit klammen Fingern legte ich den nächsten Film ein. Der Ehrgeiz hatte mich am Wickel. Beim ersten war ich auf Nummer Sicher gegangen. Biedere Gebrauchsware. Bloß nichts verreißen. Jetzt wollte ich mehr. Auf der Kante des Containers hangelte ich mich rittlings vorwärts, sprang todesmutig in den Blechhaufen, kroch in den Spalten zwischen den Kühlschränken herum, schlug mir die Knie an irgendwelchen harten Griffen auf und robbte über Gefriertruhen, die bedrohlich unter mir schwankten. Das war Einsatz. Ich war total von mir begeistert. Wozu ich fähig war! Auf der Suche nach fetzigen Bildern. Ausschnitten, die was hermachten. Das kantige Kinn mit den Bartstoppeln und den auslaufenden Koteletten. Von unten angeschnitten. Klick. Die Spitze des Cowboystiefels vor einem Heer von Kühlschränken. Klick. Der Griff des Messers, steil aus der Brust ragend. Klick. Klick.

Nach dem zweiten Film hegte ich fast freundschaftliche Gefühle gegenüber dem toten Cowboy. War es denn ein Wunder? Immerhin versprach ich mir von diesem Macho, daß er meinem Leben den entscheidenden Kick geben würde. Nie mehr Miese auf dem Konto. Nie mehr malochen für die mageren Tarife der ›Morgenpost‹. Höchstens ein, zwei Reportagen pro Jahr, die ich meistbietend an ›Spiegel‹, ›stern‹ oder ›Geo‹ verhökern würde. Den Rest der Zeit würde ich mich dem süßen Leben ergeben. Jeden verdammten Tag der Woche so lange schlafen, wie ich wollte, und mir den Kaffee kannenweise ans Bett karren lassen. Ich war total gut drauf. Erstaunlich, was für positive Gefühle dieser Cowboy freisetzen konnte. Jedenfalls in seiner aktuellen Form. Als fotogene Leiche, die mir vor die Linse geflutscht war.

Echt liebevoll widmete ich mich jetzt der Ablichtung meines Cowboys. Klar, er war der letzte Macho. Daran gab es nichts zu rütteln. Aber ich wollte fair sein. Er hatte die gleichen schmalen Hüften und breiten Schultern, die ich durchaus geneigt war, bei anderen Männern sexy zu finden. Vermutlich gab es jede Menge Frauen, die meinen Cowboy unwiderstehlich fänden. Es gibt ja Frauen, die finden selbst Koteletten auf Kinnbacken sexy. Ganz zu schweigen von Brusthaaren, die aus offenen Hemden hervorquellen, und goldenen Kettchen mit frommen Anhängern. Männer sind nun mal Geschmackssache. Im allgemeinen und ganz speziell.

Meine Freundin Hella zum Beispiel. Die steht seit neuestem auch auf solche Typen. Und von der hätte ich das nie gedacht. Ich kenne sie schon seit der Grundschule. Einträchtig Seite an Seite hat sie mit mir Spazierstöcke gemalt. Aber in ihrem Männergeschmack kann ich ihr nicht mehr folgen. Bei unserem letzten Zug durch die Szene hat sie mich einfach abgehängt. Für so ein Schmuckstück, dem die Männlichkeit aus allen Poren triefte. Und das nicht zum erstenmal. Schon seit 'ner ganzen Weile war sie so komisch drauf. Kriegte auf einmal diesen starren Blick und sah nichts mehr außer IHM. Irgend so 'nen saublöden Macho von der gleichen Sorte wie mein toter Cowboy. Und dann war's um sie geschehen. Danach hatte sie nichts anderes mehr im Visier als IHN: fuhr ihr Fahrgestell aus und stolperte ihm mit einem kalten Zigarettchen entgegen. Und er nichts wie das Feuer springen und nichts anbrennen lassen. Die Nummer war immer die gleiche. Die Typen wechselten. Das war's dann für gewöhnlich. Hella düste mit der neuen Flamme von dannen, und ich kam mir vor wie 'ne alte, gebeutelte Handtasche, die auf 'nem Stuhl vergessen wird. Das war jetzt schon ein paarmal passiert, und ich war zur Zeit nicht besonders auf Hella zu sprechen. Seit sie ihren neuen Job in dem Frauenprojekt hatte, war sie echt komisch, drehte voll auf. Malte sich an wie Madonna, trug immer kürzere Röcke und fuhr auf ganz neue Typen ab, die früher bei ihr nie 'ne Schnitte gekriegt hätten. Da stand sie eher auf so lange Dünne mit Nickelbrille, die so schön geschwollen daherredeten. Das hatte sie jetzt vermutlich den lieben langen Tag bei den Arbeitssitzungen mit ihren Frauen im Projekt und stand deshalb in der Freizeit auf Kontrastprogramm. Konnte ich ja irgendwie verstehen. Aber daß es ausgerechnet diese Machos mit ihren abgestandenen Klosprüchen sein mußten … Ich betete, daß die trübe Phase bald vorüberginge. Lange ließ ich mir das nicht mehr gefallen. In aller Freundschaft.

Ich flieg' eher auf so schüchterne Typen mit Dackelblick.

Aber daß die nur Freude verbreiten, wäre glatt gelogen. Wenn der erste süße Wahn vorbei ist und ich ihnen beibiege, daß sie gefälligst ihre Barthaare im Waschbecken selbst entsorgen, oder anrege, daß sie mal 'nen Kasten Sprudel organisieren, sind sie weg. Auf Nimmerwiedersehen. Dabei traue ich mich gar nicht erst, sie mit anspruchsvolleren Aktivitäten zu fordern. Mit Umzügen zum Beispiel. Die besorge ich, seit ich denken kann, im trauten Kreis meiner Freundinnen. Ohne männlichen Beistand. Na ja, Männer sind bekanntlich Geschmackssache. Im besonderen und ganz speziell.

Auf einmal kam mir die Idee, was ich Hella zu ihrem nächsten Geburtstag schenken könnte. Fotos von meinem toten Cowboy. In seine saftigsten Einzelteile zerlegt. Die konnte sie sich meinetwegen übers Bett hängen, solange die Machowelle bei ihr anhielt. Und wenn sie vorbei war, würden sie doppelt wertvoll. Als Abschreckungsmaterial.

Wenn ich bloß 'nen Farbfilm dabeigehabt hätte. Der Cowboy konnte sich sehen lassen in Bunt. Der rote Griff des Messers auf dem verwaschenen Blau der Jeansjacke. Die Blutflecken, die von der Brust nach unten kleckerten. Und wenn ich das Ganze mit etwas Ketchup aufpeppen würde … Ich durfte gar nicht daran denken. Eine Orgie in Rot, Weiß, Blau. Irre. Aber was nicht ist, das ist nicht. Die Bilder waren auch in Schwarzweiß ein Knaller.

Als der dritte Film voll war, stieg ich vom Container.

Meine Knie zitterten, als ob ich das Matterhorn bestiegen hätte. Ich hatte Hunger, spürte es derb im Rücken und fühlte mich wie fünfundneunzig. Mich haut es immer von einem Moment auf den anderen um. Rambam. Da half nur 'ne kleine Pause. Ich packte mich auf den Boden neben den Container. An die Seite, die der Wind verschonte. So halbwegs jedenfalls. Mit vor Hunger und Kälte zittrigen Fingern begann ich die Taschen meiner Jacke nach einer Notration zu filzen. In der Brusttasche wurde ich fündig. Eine halbe Tafel Schokolade. Nicht mehr ganz die handelsübliche Form. Mit ein paar Streifen Silberpapier darum, die an einigen Stellen eine innige Verbindung mit der Schokolade eingegangen waren. Ich zupfte das Silber herunter, so gut es ging, und stopfte mir das Stück in seiner vollen Größe in den Mund. An dem bißchen Silberpapier würde ich nicht krepieren. Die Wirkung war überwältigend. Die Füllungen meiner Backenzähne zuckten, und dann spürte ich die Energie in die entlegeneren Körperteile wandern. Energie würde ich heute noch jede Menge brauchen. Meine Zunge machte sich auf die Suche nach dem Silberpapier, das an meinen Zähnen und dem Gaumen klebte. Ein paar Stunden Maloche in meinem Fotolabor und an der Maschine waren mit Sicherheit nötig, ehe ich die Früchte meiner Arbeit in der freien Wildbahn ernten konnte. Ich spuckte das Silberpapier auf den Boden und ging auf die Suche nach einem Nachtisch. In solchen Momenten zahlt es sich echt aus, daß ich meine Jacken nach der Menge der vorhandenen Taschen aussuche. Diese hier hatte circa zehn. Da ging was rein. Die reinsten Wundertüten, wenn frau die Taschen nicht öfter als einmal pro Jahr ausräumte. Was sich da alles fand. Zum Beispiel dieses hübsche blaue Päckchen mit den braunen Krümeln, dem weißen Papier und einem Flammenwerfer, der voll funktionstüchtig war. Süchtig zog ich an meinem Glimmstengel. Es ging nichts über ein kleines Öfchen in dieser Kälte. Langsam fand ich wieder zu meiner alten Form. War heiß drauf, nach Hause zu kommen, die Filmstreifen in meine Entwicklerdose zu knallen und zu sehen, wie die Bilder geworden waren. Ich warf die Kippe weg. Auf dem Platz, wo sie landete, glitzerte es hell. Heute war mein Glückstag. Das konnte ich förmlich riechen. Ich griff mir das Glitzerteil vom schwarzen Boden. Ein Glitzerschleifchen. Süß.Blinkte wie ein Diamant. Ich bohrte es durch den Kragen meiner Windjacke und stellte den Stopper fest. Jetzt war Luxus angesagt. Die Zeit der Fülle angebrochen. Bisher war ich immer zu kniepig gewesen, so ein Glitzerteil auf dem freien Markt zu erstehen. Jetzt hatte ich eins. Einfach gefunden. Und glitzerte mit. Zum Nulltarif. So ließ ich mir das gefallen.

Ich sprang auf, kletterte in meine Ente und tuckerte der nächsten Telefonzelle entgegen. Bei der dritten hatte ich Glück. Da war der Hörer nach wie vor mit dem grauen Kasten verbunden, und es summte freundlich an meinem Ohr. Ich tat meine staatsbürgerliche Pflicht und verriet der Polizei, daß ein paar Straßen weiter ein toter Cowboy auf einem Container lag und fror. Dann fuhr ich zurück, um mich den Vertretern der Staatsgewalt in voller Lebensgröße zu präsentieren. Die Frau, die die Leiche fand. Ich begann, die Rolle zu genießen.

Die Bullen kamen im Pulk. In Uniform, in Zivil und die Sanis in Weiß.Alle taten völlig geschäftig, liefen vor und zurück, standen in Grüppchen beieinander. Ich vermutete, daß sie die Ergebnisse der Bundesligaspiele vom Samstag austauschten. Der Cowboy fror jedenfalls weiter. Nach 'ner Weile passierte dann was. Ein Mann mit Köfferchen stieg zu dem Cowboy auf den Container. Die Sanis machten 'ne Trage klar. Ein paar Grüne postierten sich neben dem Container. Der junge Typ in Zivil, der auf mich lossteuerte, kam mir irgendwie bekannt vor. Dann dämmerte es mir. Wir hatten auf der gleichen Klitsche die Schulzeit durchlitten und zusammen die Schülerzeitung gemacht. ›SPIELWIESE.‹ Nicht besonders originell, aber die Mädels und Jungens hatten sie uns aus der Hand gerissen, wenn sie grad mal verteilt werden konnte und nicht auf dem Schreibtisch des Herrn Direktor auf Eis lag. Solche Erfahrungen verbinden.

»Na, du Bulle«, blökte ich ihn freundschaftlich an. An seinen Namen konnte ich mich nicht erinnern.

»Charlotte, der Schmierpinsel«, grinste er zurück.

Auch schon Jahre her, daß ich so genannt wurde. Ich lächelte geschmeichelt. So auf Anhieb konnte ich mich an keine Katastrophen im Zusammenhang mit unserer gemeinsamen Vergangenheit erinnern. Ihm schien es ähnlich zu gehen. Er schrieb sich meinen Namen und meine Adresse auf. Rein dienstlich. Er war seit einem Jahr verheiratet, erzählte er stolz. Mit Renate. An die würde ich mich doch bestimmt erinnern. Ich erinnerte mich an keine Renate. Das schien ihn zu enttäuschen. Sein Rasierwasser stieg mir in die Nase, und ich erinnerte mich daran, daß er immer furchtbar gestunken hatte, wenn wir mit der Zeitung in Verzug kamen. Aber vielleicht mochte Renate das ja.

Irgendein Obermufti mit Hut winkte ihn zu sich. Sie steckten die Köpfe zusammen. Der Cowboy wurde gerade ins Warme geschoben. Das würde ihm auch nicht mehr helfen. Mein Bulle kam zu mir zurück. Ich versuchte, von der guten Stimmung zu profitieren und ihn über den Cowboy auszuquetschen. Er sprudelte nur so los. Ich machte mir Notizen. Bei meinem Cowboy handelte es sich um einen Zuhälter. Stadtbekannt. Ich dankte dem Himmel, daß ich seine Bekanntschaft erst gemacht hatte, als er zu keiner Schweinerei mehr fähig war.

»Profiarbeit«, raunte mir mein Informant hinter vorgehaltener Hand zu. »Das waren Killer von der Mafia. Zwei Stiche, genau zwischen die Rippen plaziert. Absolute Spitzenklasse. Die fliegen ihre Killer aus Italien ein, und wenn wir anfangen zu ermitteln, sind sie schon längst weg. Das ist der dritte Loddel innerhalb von zwei Monaten. Da tobt ein Krieg im Sperrgebiet.« Ich hing an seinen Lippen. »Uns ist das im Grunde ganz recht«, verriet er mir. »Wenn die sich gegenseitig abschlachten, haben wir weniger zu tun.« Ich dankte ihm für die Story und verabschiedete mich.

Jetzt war ich voll auf dem laufenden. Total heiß die Kiste. Genau, wie ich vermutet hatte. Ich war wild darauf, so schnell wie möglich die ersten Kontaktstreifen in die Hand zu kriegen und loszulegen. Die saftigsten Fotos würde ich mir neben die Maschine legen. Das beflügelte. Und dann würde ich meine Story schreiben. Meine Knüllerstory. Charlotte Lehmann und die Mafia. Ich stieg in die Eisen und hetzte meine Ente gen Heimat. Als erstes brauchte ich ein paar Liter Kaffee. Dann konnte das Ackern losgehen. Charlotte Lehmann schlägt zu. Kreimeier ahnte ja nicht, was da auf ihn zukam.

Gegen achtzehn Uhr steuerte ich total kaputt und bester Laune das Redaktionsgebäude der ›Morgenpost‹ an. Kreimeier hing vor seinem Schreibtisch und sah etwa so dynamisch aus wie ein Käsesoufflé, das zu früh an die frische Luft geraten war. Das übliche Bild. Er zog nicht mal 'ne Augenbraue hoch, als ich mich vor ihm in den Sessel knallte und ihm quer über den Schreibtisch die fette Beute zuschob. Fünfzehn gestochen scharfe Fotos meines Cowboys plus dem Aufmacher, den ich geschrieben hatte. Einen satten Dreispalter. Für die Titelseite. Wenn die schon voll war mit den blöden Agenturmeldungen, mußten sie die eben weiter nach hinten schieben. Oder ganz rausschmeißen. In der Überschrift hatte ich mich klug zurückgehalten. In letzter Minute MORD: CHARLOTTE LEHMANN VOR POLIZEI AM TATORT durch MORD: ›MORGENPOST‹ VOR POLIZEI AM TATORT ersetzt. Kreimeier breitete die Fotos vor sich aus. Fünf Bilder pro Reihe. Drei Reihen. Er verzog keine Miene. Ganz schön ausgebufft, der alte Fuchs. Mit beiden Händen schob er die Reihen wieder zusammen und schichtete sie fein säuberlich auf einen Haufen. So wortkarg erlebte ich ihn selten. Er vertiefte sich in meinen Aufmacher und las, ohne mit einer Wimper zu wackeln. Das verdammte Pokerface.

Dann kam Leben in ihn. Er knallte meinen Aufmacher vor sich auf den Schreibtisch und begann, das Papier mit der geballten Faust zu bügeln. Die körperliche Betätigung schien ihm gut zu bekommen. Er hatte die Sprache wiedergefunden. »Eine Leiche zwischen vergammelten Kühlschränken. Mit Messer in der Brust. Ich glaub, du spinnst total. Du hast ein Rad ab. Das kannst du an die ›Bildzeitung‹ verhökern. Wir machen seriösen Journalismus.«

Eins mußte ich Kreimeier lassen. Er konnte mich immer noch überraschen. Es ging im gleichen Stil weiter. Wenn er einmal in Bewegung kam, war er schwer zu stoppen. Wie 'ne alte Dampflok. Jetzt patschte er mit seinen Fettfingern auf dem Text herum, dem ich drei Stunden meines Lebens geopfert hatte.

»Das ist Schundjournalismus. Übelster Schundjournalismus.« Er steigerte sich. »Übelriechendster, schleimigster Schundjournalismus.«

Was war denn auf einmal los? Ich hatte an seinen Artikeln gelernt. Mochte er sich etwa selbst nicht mehr? Oder hatte er nur ein schlechtes Wochenende verbracht?

Kreimeier schnaubte noch 'ne Weile so weiter. Ich hatte Zeit, mir ein paar Gedanken zu machen. Über Machos und das Milieu. Über den Puff, der gerade mal wieder aus dem Bahnhofsviertel verbannt und auf die grüne Wiese verlagert werden sollte. Über die Freiheit der Presse im allgemeinen und im besonderen. Über die ›Morgenpost‹. Angeblich unabhängig und überparteilich. Haha. Die Fotos waren astrein, das konnte mir keiner einreden, daß mit denen was nicht stimmte. Kreimeier schon lange nicht. Und der Artikel war auch nicht schlechter als das, was ich früher geliefert hatte. Eher 'ne Spur peppiger. Wann kriegte die ›Morgenpost‹ schon mal so 'ne brandheiße Sache angeboten? Ein stadtbekannter Zuhälter mit Messer in der Brust zwischen Kühlschränken zum Verrotten abgelegt. Wenigstens kam Kreimeier mir nicht mit Jugendschutz. Wenn er nicht anbiß, mußte es ganz andere Gründe geben … Ich tippte darauf, daß die Partei, der die angeblich überparteiliche ›Morgenpost‹ so innig verbunden war, die Diskussion um die Verlegung des Puffs nicht wieder aufleben lassen wollte. So kurz vor den Wahlen konnte sie kaum damit punkten. Das mußte ich zugeben. Angebot und Nachfrage. Die Grundpfeiler der freien Marktwirtschaft. Mein Thema war einfach nicht gefragt. Nicht bei Kreimeier. Und wenn er nicht anbiß, konnte ich aus meinem Artikel einen Papierflieger machen. Bei den Jungs von der Konkurrenz brauchte ich es gar nicht erst zu versuchen. Die waren noch schlimmer. Da hatte garantiert die Hälfte der Belegschaft Geschäftsanteile am Puff und fürchtete sinkende Einnahmen, wenn sich rumsprach, wie locker die Messer im Milieu saßen. Rosige Aussichten für eine dynamische Jungjournalistin mit der heißesten Story des Jahres. Selbst Kreimeier hatte Mitleid. Er entdeckte die Reste seines sozialen Gewissens und schob mir einen Blauen über den Tisch.

»Für deine Auslagen. Du kannst nicht sagen, daß ich nicht fair bin.«

Ich enthielt mich des passenden Kommentars. Was er mir an den Kopf geworfen hatte, war ja wohl auch eher für ihn selbst bestimmt. Damit er nicht kotzen mußte, wenn er in den Spiegel sah. Jeder hat so seine spezielle Art, sich in die Tasche zu lügen.

Ich schnappte mir den Artikel und die Fotos und fühlte mich wie ein Aktionär am schwarzen Freitag. Damit konnte ich jetzt mein Klo tapezieren. Es lebe die freie Marktwirtschaft. Eine Sensationsstory, die keiner haben wollte, und nichts als ein Blauer als Schmerzensgeld. Es war ein harter Job, als Freie durchs Leben zu tingeln.

Das war wieder mal einer der seltenen Momente, wo ich bedauerte, daß meine Schmerzgrenze so niedrig war. Daß es so verdammt viele Typen gab, die mich ankotzten und deren Gegenwart ich nur in kleinen Dosen aushielt. Wenn überhaupt. Wenn ich nur 'ne Spur flexibler wär', ging's leichter. Dann würde ich in Kreimeiers Partei eintreten, die auch die Partei von Kreimeiers Chef war und die vom Herausgeber der Zeitung. Und dann würde ich das gleiche schreiben, was ich jetzt für sechsundachtzig Pfennig pro Zeile schrieb, hätte einen geräumigen Schreibtisch und eine nette Sekretärin und ein Konto, auf dem es entschieden freundlicher aussehen würde. So einen Flop wie gerade eben würde ich nie landen. Ich wüßte immer genau, was ich zu schreiben hätte und was nicht. Mit dem Rest würd' ich meine Zeit gar nicht erst vertun. Es gibt wenige Typen, die mich anmachen. Und Heerscharen, die mich ankotzen. Das ist mein Problem.

Ich überlegte. Vielleicht ließ sich ja doch noch was aus meiner Story machen. Eine saubere Hintergrundrecherche im Milieu. Was richtig Ordentliches. Das kriegte ich todsicher in 'ner Szenezeitung unter oder in der ›TAZ‹ oder ›EMMA‹. Viel sprang dabei auch nicht raus. Außer dem bißchen Ruhm und der Ehre und dem guten Gefühl, was geschrieben zu haben, was sonst unter den Teppich gekehrt würde. Dazu brauchte ich Zeit. Das hieß im Klartext, daß ich Hella mal wieder anpumpen mußte, wenn ich mir diesen Luxus gönnen wollte. Hella war die einzige, die ich kannte, die eine feste Stelle hatte mit Weihnachtsgeld, Tarifurlaub und einem bezahlten Haushaltstag pro Monat. Aber dafür war sie auch an manchen Abenden völlig geschafft von der Arbeit und jaulte mir stundenlang einen vor. Quatschte mir die Ohren voll mit dem, was die Mädchen, die von zu Hause ausgerissen waren, so alles mitmachten, ehe sie die Kurve kratzten und sich verabschiedeten. Das war eher von der härteren Sorte. Auch keine Geschichten, die die ›Morgenpost‹ ihren Lesern erzählen mochte. Nur bei der Eröffnung des Weglaufhauses durfte ich mal ein Foto von Hella und der Frauencrew bringen und einen knappen Zweispalter. Danach war das Thema tot. Für Kreimeier und die ›Morgenpost‹. Das Konkurrenzblatt hatte die Eröffnung des Hauses gar nicht erst erwähnt.

Hella war gerade dabei, die Tapeten von den Wänden ihres Wohnzimmers zu reißen. Es war richtig gemütlich. Sie pfiff ein Liedchen und war deprimierend gut gelaunt.

»Was hast du denn?« fragte sie mitfühlend, als sie mich sah.

»Eine Superstory. Und keinen Abnehmer.« Ich legte den dicken braunen Umschlag auf meinen Handteller und hielt ihn Hella unter die Nase. Hoffentlich biß sie auch diesmal an.

»Wenn noch was daraus werden soll, brauch' ich Zeit.« Das war so ein Satz von mir, den Hella nicht zum erstenmal hörte.

»Wenn du bis zum fünfzehnten wartest, kann ich dir was leihen.«

Ich wußte, daß ich mich auf sie verlassen konnte. Ohne ihr etwas zu sagen, beschloß ich großmütig, ihr die Verirrungen der letzten Zeit zu verzeihen. Die Cowboys, für die sie mich so locker abgekoppelt hatte. Hella war schon in Ordnung.