Bye-bye, Bruno - Sabine Deitmer - E-Book

Bye-bye, Bruno E-Book

Sabine Deitmer

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ärger mit den Jungs? Kein Problem! Im Grunde sind die Frauen, von denen hier erzählt wird, so normal und friedliebend wie du und ich. Wenn nur die Probleme mit den Männern nicht wären ... Doch je nach Temperament findet jede der porträtierten Frauen eine andere haarsträubende Lösung für ihren ganz speziellen Fall. Fünfzehn spannende und witzige, bissige und provozierende Geschichten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 187

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sabine Deitmer

Bye-bye, Bruno

Wie Frauen morden

FISCHER E-Books

Inhalt

Mit schwesterlichen GrüßenKaffeeklatschSchalentiereDer TraummannDie Männer von nebenanDurch dick und dünnEin Freitag wie jeder andereMaßgeschneidertVielleicht hat ihm ja nur ein Pferd gefehltAnnas SammlungMusik sprengt alle GrenzenPrachtkerleEine schöne GeschichteTür an TürWarme, weiche Frauen

Mit schwesterlichen Grüßen

Berlin, den 8. Mai 1988

Liebe Schwester,

Du hast Dich zu einem sechswöchigen Selbstverteidigungs-Fernlehrgang angemeldet. Dies ist der erste von sechs Briefen. In jedem Brief werden wir Dir für die darauffolgende Woche bestimmte Aufgaben stellen. Für den Erfolg des Lehrgangs ist es unbedingt notwendig, daß Du unsere Anweisungen aufs Wort befolgst. Hier sind Deine Aufgaben für die erste Woche:

Nimm Dir zwei, drei Illustrierte vor, am besten die letzten Nummern des STERN oder des SPIEGEL, und reiß alle Abbildungen heraus, auf denen Männer zu sehen sind. Suche Dir zehn Männer heraus, die Du auf Anhieb am abstoßendsten findest. Häng Dir diese Figuren gut sichtbar an eine Wand neben Dein Bett und sieh ihnen jeden Morgen und jeden Abend fest in die Augen. Erfinde ein unterschiedliches Schimpfwort für jeden einzelnen. Sprich jeden Mann mindestens zweimal täglich mit dem Schimpfwort an, das Du Dir für ihn ausgedacht hast. Steigere dabei Deine Lautstärke, bis Du laut schreist.

Berlin, den 15. Mai 1988

Liebe Schwester,

den ersten Teil des Lehrgangs hast Du mit Bravour hinter Dich gebracht. In der Benennung der Männer warst Du direkt und schöpferisch.

»Du Schwein, du Sau, du Ekel« sind zwar bekannt, aber wirkungsvoll. »Schlappschwanz, Schwanzficker, Widerling, Dickmops, Versager und Null« sind schöpferisch, jedoch weniger direkt.

Das haben wir uns für die zweite Woche für Dich ausgedacht: Du siehst Deinen Figuren nach wie vor mindestens zweimal täglich fest in die Augen und beschimpfst sie laut. Deine Beschimpfungen machst Du etwas lebendiger, indem Du sie mit Adjektiven anreicherst. Also nicht nur »du Schwein« sondern »du widerliches Schwein«. Du fährst fort mit »dich sollte frau doch« oder »dir sollte frau doch«, zum Beispiel »die Eier abschneiden«. Vergiß nicht, diese Drohungen laut herauszuschreien.

Berlin, den 22. Mai 1988

Liebe Schwester,

dies ist nun schon der dritte Brief, und wir sind recht zufrieden mit Dir. »Du elendes Schwein, dich sollte frau lebendigen Leibes mit einem rostigen Messer kastrieren« hat uns sehr gut gefallen, ebenso wie »du mieser kleiner Arschficker, dir sollte frau dein Rohr einbetonieren«. Merkst Du eigentlich schon, wie Du Dich durch unser Programm veränderst, wie Du mutiger wirst? Aber wir wollen uns nicht mit dem bisher Erreichten zufriedengeben, und weiter geht's. Das steht für Dich auf dem Programm der kommenden Woche: Mach Fotokopien von den Widerlingen, die bei Dir neben dem Bett hängen, und kleb sie auf Styroportafeln. Tapezier Dir jetzt eine ganze Wand, mindestens jedoch eine Fläche von zwei mal ein Meter fünfzig, voll mit den Bildern Deiner Lieblingsekel. Wähl Dir aus allen Abbildungen Dein Superekel und behandle es gebührend. Mit Filzstiften kannst Du es verschönern, indem Du Kreise um Teile seines Körpers oder Gesichts ziehst. Jetzt pack Dir Dein Ekel. Kauf Dir ein paar Wurfpfeile und versuche, sie genau in die Kreise zu plazieren. Schrei laut bei jedem Pfeil, den Du dem Ekel entgegenwirfst, was Du ihm antun wirst. In der Art von »du widerlicher Vergewaltiger du, dir werde ich mit meinem Pfeil deine dreckigen Hoden durchbohren«. Verbringe mit diesem Spielchen mindestens eine halbe Stunde pro Tag.

Berlin, den 29. Mai 1988

Liebe Schwester,

ja, so ist es richtig. Langsam kommst Du in Fahrt. Diese Widerlinge haben bei Dir nichts mehr zu lachen. Gut so. Übrigens hast Du schon die Hälfte des Kurses hinter Dir. Also, paß gut auf, was Dir die nächste Woche bringt. Besorg Dir einen Sack aus dickem, festem Stoff. Den bekommst Du in jedem Wäschegeschäft. Pack ihn voll mit alten Klamotten, wie zum Beispiel ausrangierten Kleidungsstücken, alten Decken und ähnlichem. Wenn er voll ist, mach ihn gut zu und befestige ihn an einer dicken Schnur am Türrahmen Deines Schlafzimmers. Er soll frei baumeln können. Das reicht eigentlich schon, aber besser ist, wenn Du Dir einen Eimer Kleister anrührst und die Fotokopien Deines Superekels auf den Sack pappst. Sobald der Kleister getrocknet ist, darfst Du Dich auf den Sack stürzen. Bearbeite ihn mit Händen und Füßen, sooft Du Lust dazu hast, mindestens jedoch eine Stunde pro Tag. Schrei dem Widerling dabei die Schimpfworte entgegen, die Du bisher gelernt hast. Hoffentlich wohnst Du in keinem Neubau.

Berlin, den 5. Juni 1988

Liebe Schwester,

Dein Paket mit den seltsamen Fleischschnipseln haben wir sofort nach Erhalt an unsere Katzen verfüttert. Du bist nicht die erste, bei der unser Kurs voll eingeschlagen hat, und langsam wird uns der Boden hier in Berlin etwas heiß.Sobald die Geschäfte abgewickelt sind, hoffen wir, in wärmere Gegenden umziehen zu können.

Wenn Du uns einen Gefallen tun willst, dann erinnere alle Frauen, die Du kennst und die in der letzten Zeit den Kurs bei uns gemacht haben, daran, daß wir das Geld schnellstens brauchen. Denn bisher hat uns allein die schlampige Zahlungsmoral unserer Kundinnen noch hier gehalten.

Wir fordern Dich nachdrücklich auf, jeden weiteren Kontakt zu uns einzustellen.

 

Mit schwesterlichen Grüßen

Kaffeeklatsch

Die fünf älteren Damen, die sich um den ovalen Holztisch zusammengefunden hatten, trafen sich seit nahezu zwanzig Jahren einmal im Monat zum gemeinsamen Kaffeeklatsch. Es hatte jedoch Seltenheitswert, wenn alle fünf beisammen waren. Jede von ihnen verreiste gerne und oft, so daß das Damenkränzchen selten in voller Besetzung tagte, wie es heute nach fast zwei Jahren zum ersten Mal wieder der Fall war. Käthe Trautwein war die Gastgeberin. Mit fünfundsiebzig die älteste unter den anwesenden Damen, erfreute sie sich bester Gesundheit, versorgte ihr großes Haus selbst, und wer sie mit ihren blitzenden Augen sah, schätzte sie auf allerhöchstens sechzig. Die Treffen bei Käthe waren berühmt-berüchtigt, da sie sich nicht selten bis spät in die Nacht fortsetzten, dank Käthes ausgezeichneten Sherry- und Portweinvorräten. Es war sogar schon vorgekommen, daß Käthe die Gästebetten herrichten mußte und die Damen des Kränzchens allesamt bei ihr übernachteten.

Die Krümel auf den Tortenplatten mit den weißen Deckchen in der Mitte des Tischs neben den frisch duftenden Fresien sowie die Südweingläser, die schon seit einer Weile neben den Kaffeegedecken standen, zeigten an, daß sich das Kaffeekränzchen in fortgeschrittenem Stadium befand. Bereits zum zweiten Mal füllte Käthe die Kristallgläser nach und freute sich, daß die Freundinnen es sich augenscheinlich Wohlergehen ließen.

Gretl Driehorst öffnete den obersten Knopf ihrer Seidenbluse und fuhr sich verträumt mit der Hand über den Halsansatz. Zwei weiße Strähnen hatten sich aus dem Knoten am Hinterkopf befreit, und ihre Schuhe standen längst einsam neben dem Tischbein, während Gretl auf Strümpfen über den Teppich strich.

Therese Gottlieb strich sich mit den Fingern durch die leuchtend roten Haare, nahm ihr perlmutternes Brillengestell von der Nase und begann inbrünstig die Gläser zu putzen. Ein sicheres Zeichen, daß sie ganz bei der Sache war und nichts verpassen wollte.

Lore Ganter schüttelte ungläubig ihren Kopf mit den kurzgeschorenen silbergrauen Haaren, murmelte »ts, ts« und fuhr energisch mit dem Zeigefinger durch die Luft.

Minchen Silbermann hielt wie immer Strickzeug in ihren flinken Händen, und ihre Wangen hatten die leicht rote Färbung, die die interessantesten Geschichten erwarten ließ.

Käthe stellte die Portweinflasche in die Mitte des Tischs. Das war das Zeichen, daß die Freundinnen sich von nun an selbst bedienen konnten.

»Heute ist ein ganz besonderer Tag«, sagte Minchen, durchbohrte das Wollknäuel mit den beiden metallenen Stricknadeln und legte den giftgrünen Schlauch, der einmal als Kuschelschlange für ihren jüngsten Enkel enden sollte, in den Schoß.

»Du hast dein siebtes Enkelkind bekommen, einen Monat zu früh«, vermutete Gretl, die bisher erst einmal Großmutter geworden war.

»Ohne uns etwas zu verraten, hast du den Führerschein gemacht – und bestanden«, schlug Therese vor, die Minchen häufig im Auto herumchauffierte.

»Du bist den ›Anonymen Alkoholikerinnen‹ beigetreten«, frotzelte Lore, denn Minchen war mit Abstand die trinkfesteste unter ihnen.

»Du kommst ins Fernsehen. ›Minchens Stricktips für werdende Mütter‹«, versuchte es Käthe.

»Falsch, alles falsch«, triumphierte Minchen, »was ihr mir zutraut, also wirklich. Es ist ein ernster Gedenktag. Einer, zu dem mir unser Herr Pfarrer höchstpersönlich einen Gruß geschrieben hat. Mein Fritz ist nämlich heute vor genau zehn Jahren beigesetzt worden.«

»Die Zeit vergeht«, kommentierte Käthe als einzige.

»Heute vor genau zehn Jahren«, wiederholte Minchen. »Und wißt ihr, was mir unser Pfarrer heute schreibt? Er schreibt, daß er mich beglückwünscht zu dem Mut, mit dem ich mein Leben seither gemeistert habe, und daß Fritz ein aufrechter Christ gewesen sei, eine Säule seiner Gemeinde, ein Pfeiler, auf den man bauen konnte.«

»Ein Pfeiler«, spottete Lore.

»Eine Säule«, schmunzelte Käthe.

»Und wißt ihr, was das erste war, was mir einfiel, als ich an Fritz dachte? Seine Unterhosen.«

»Seine Unterhosen?«

»Ja, seine Unterhosen«, fuhr Minchen fort und stärkte sich mit einem Schluck Portwein, »er trug nämlich zeit seines Lebens lange Unterhosen, der Fritz. Im Winter wollene, innen aufgerauhte, im Sommer baumwollene. Jahrein, jahraus. Und wenn er einmal in der Woche die Unterhosen neben das Bett hing, dann wußte ich Bescheid … ›Was gut ist gegen die Kälte, ist auch gut gegen die Wärme‹, pflegte er zu sagen.« Minchen errötete.

»Fünfzehn Paar lange Unterhosen hat er mit in die Ehe gebracht. Ich habe vielleicht Augen gemacht.«

»Sag bloß, das war auch schon so in den Flitterwochen?«

»Aber selbstverständlich. Da gerade. Wir waren vierzehn Tage lang an der Nordsee. Im März! Könnt ihr euch das vorstellen? Dafür hatte ihm seine Mutter die ganze Winterkollektion eingepackt.«

»Hat er die Unterhosen denn wenigstens öfter als einmal pro Woche neben das Bett gehängt?«

»Wo denkt ihr hin, mein Mann war ein Mann mit Grundsätzen. Ein aufrechter Christ, eine Säule der Gemeinde, wie der Herr Pfarrer gesagt hat. Und streng katholisch. Eine katholische Säule sozusagen. Luther war für ihn ein Lustmolch.«

»In der Woche zwier, schadet weder ihm noch ihr«, warf Lore ein, die auch schon Religionsunterricht gegeben hatte.

»Von wegen zweimal, nicht bei Fritz. Einmal pro Woche, und als die vier Kinder da waren, in jedem Jahr eins, da hat er die langen Unterhosen für immer anbehalten.«

»Immer?« fragte Therese spöttisch.

»Immer, wenn wir uns gesehen haben. Das war ja selten genug, die paar Tage Fronturlaub hier und da.«

»Und später?«

»Später ist er dann nur noch einmal schwach geworden. Aber das war Jahre später. Da hat er dann noch einmal die langen Unterhosen neben das Bett gehängt. Das ist dann unsere Jüngste geworden, die Bettina. Der Schreck ist ihm für immer in die Glieder gefahren. Von da ab waren Fritz und seine Unterhosen eins. Ich jedenfalls habe ihn nie mehr ohne zu Gesicht bekommen. Von dem Augenblick an, als ich ihm gesagt habe, daß ich wieder schwanger war.«

»Wie alt warst du eigentlich damals, Minchen?«

»Also die Bettina ist im August fünfunddreißig geworden. Als sie kam, muß ich so um die Dreißig gewesen sein. Mein Gott, wie die Zeit vergeht.«

Für eine Weile wurde es still an der Kaffeetafel. Jede der Anwesenden hing ihren Gedanken nach.

»Meine Flitterwochen waren das Beste an der ganzen Ehe«, durchbrach Gretl die Stille, »zwei Wochen Venedig im Juni. Das war was. Wenn ich daran noch denke. Groß und schlank war der Anton da. Ein gutaussehendes Mannsbild«, versonnen schob Gretl die Finger der rechten Hand in den Ausschnitt der Seidenbluse und fuhr sich über ihren Halsansatz.

»Venedig«, Gretl ließ das Wort auf der Zunge zergehen.

»Vom Balkon unseres Hotelzimmers sahen wir direkt auf den Hof einer Autowerkstatt. Das war wunderbar, diese Aussicht.«

Minchen schickte einen vielsagenden Blick zu Therese, die ein Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.

»Geschlafen haben wir kaum damals, so aufregend fanden wir das alles.«

»Die Autos?« fragte Lore ironisch.

»Nicht nur die Autos. Obwohl das auch schon was war damals. Nein, nicht die Autos. Venedig und die Menschen und die Kunst und alles. Und mein Anton hat mir das alles so schön erklärt, den Dogenpalast und die Geschichte und den Baustil der Paläste. Als ob er den Kunstführer selbst geschrieben hätte. Ohne hineinzugucken hat er das erklärt, so feinsinnig, und dabei hat er meine Hand gestreichelt. Jedesmal, wenn er mir wieder etwas Neues über Venedig erzählt hat, hat er meine Hand gestreichelt.«

»Vierzehn Tage lang«, gab Therese zu bedenken, »da muß er sich ja eine Sehnenscheidenentzündung geholt haben bei so viel Streicheln.«

»Also ich fand das wunderbar damals. Bis ans Ende der Welt wäre ich mit dem Anton gegangen, ohne eine Sekunde zu überlegen. Bis nach Grönland wäre ich mit ihm gegangen, obwohl es in Venedig so schön warm war.«

»Spätestens in Grönland hättest du ihn gegen einen Pinguin eingetauscht«, witzelte Therese weiter, »die sind so korrekt gekleidet und so höflich, da wäre selbst dein Flitterwöchner nicht mitgekommen.«

»Spottet nur, aber so wohlerzogen waren eure sicher noch nicht einmal während der Flitterwochen. Immer hat er mir den Stuhl zurechtgerückt und sich selbst erst gesetzt, wenn er sicher war, daß ich einen guten Platz hatte.«

»Gute Kinderstube«, stellte Käthe sachlich fest.

»Gibt es heutzutage ja überhaupt nicht mehr«, ergänzte Lore, »bei meinem Schwiegersohn, da muß man aufpassen, daß er einem den Stuhl nicht unter dem Hintern wieder wegzieht, falls man zufällig vor ihm einen gefunden hat.«

»So wie in Venedig hat er mir nie wieder einen Stuhl angeboten, der Anton, nie mehr«, Gretl fingerte eine dicke Haarnadel aus ihrem Knoten und steckte die losen Haarsträhnen fest, die sich beim Erzählen gelöst hatten, als suche sie Halt für das, was noch kommen sollte.

»Hinterher mußte ich ihm immer den Sessel zurechtrücken, so geschafft ist er abends aus dem Geschäft nach Hause gekommen. Ganz klein ist er da in dem Sessel geworden, die Schultern sind ihm fast nach unten weggesackt, so ist er in sich zusammengesunken. Zwei Kinder hatte ich da auf einmal. Meine Große, die gleich im ersten Ehejahr zur Welt kam, und den Anton. Ich dachte, ich hätte einen großen starken Mann geheiratet, und stand da mit zwei Babys. Gerade, daß ich den Anton nicht zu wickeln brauchte wie die Ilse. Füttern mußte ich ihn genauso, und Aufmerksamkeit brauchte er mindestens genausoviel, wenn er mir erzählt hat, wie schlimm es wieder mit den Angestellten im Geschäft war. Da habe ich ihm immer über die Backen gestreichelt genau wie bei der Kleinen, oder ich habe ihm etwas zu schlecken in den Mund gesteckt. Da kriegte er wieder gute Laune. Stellt euch vor, einmal habe ich ihm doch wirklich den Schnuller von der Kleinen aus Versehen in den Mund gesteckt. Und er kaute eine ganze Weile darauf herum, bis er ihn wieder ausgespuckt hat.«

»Ein Baby, ein Riesenbaby«, Minchen kicherte los und wischte sich mit einem Taschentuch die Lachtränen ab.

»Ich fand das gar nicht lustig.«

»Einen Schnuller, nein wirklich«, amüsierte sich Käthe, »einen Schnuller.«

»Lieber ein Baby als ein Halbstarker«, warf Therese in die Diskussion und fuhr sich mit einer resoluten Handbewegung durch die kurzgeschnittenen und perfekt gefärbten roten Haare.

»Wieso Halbstarker?«

»Der Erwin hat zeit seines Lebens jede freie Minute mit einem Motorrad verbracht. Entweder ist er darauf rumgebrettert wie ein Wilder, oder er hat darunter gelegen und irgend etwas repariert oder frisiert oder Öl gewechselt. Alle naselang hat er Öl gewechselt. Das stand dann kannenweise in der Garage herum, das ganze alte Öl. Eine Verschwendung war das. Und dann hat er stundenlang bunte Streifen auf seine Maschine gemalt. Und mich hat er jedesmal komisch angeguckt, wenn ich mir die Zehennägel rot lackiert habe …«

»Mein Enkelsohn hat gerade ein Mofa zu seinem Geburtstag bekommen. Darauf kommt er angeknattert, um mich zu besuchen«, sagte Käthe, »das ist ein ganz normaler junger Mensch.«

»Wie alt ist dein Enkel denn?«

»Sechzehn.«

»Also mit sechzehn ist das ganz normal. Auch noch mit dreißig. Auch für einen Mann mit dreißig fand ich das noch ganz normal. So alt war der Erwin, als ich ihn kennenlernte. Das konnte ich verstehen, daß er nach dem Krieg die Uniform als erstes gegen die Motorradkluft eingetauscht hat. Wo er nie eine richtige Kindheit hatte und schon so früh arbeiten gehen mußte, weil sein Vater im Ersten Weltkrieg geblieben war. Ich habe das verstanden, daß er sich noch austoben mußte und wie stolz er auf seine erste BMW war. Das habe ich alles verstanden.«

»Ganz ansehnliche Kerls sind das in den Ledersachen«, warf Lore ein.

»Er hat mir ja auch gefallen, der Erwin, in den dunklen Ledersachen. Aber irgendwie habe ich doch gehofft, daß sich das gibt mit den Jahren. Daß er erwachsen wird und auch mal wieder aus der Motorradkluft aussteigt und seinen Vaterpflichten nachkommt. Das genaue Gegenteil war der Fall. Der Kleine hat ihn nie interessiert. Dafür hätte er wohl mit einem Motorradhelm durch den Geburtskanal schießen müssen, am besten meinem Erwin direkt auf den Lenker. Aber so war das halt nicht. Mit dem Kleinen konnte er überhaupt nichts anfangen. Gleich nach seiner Geburt ist er in den Motorradklub eingetreten und war noch seltener zu Hause.«

»Motorsport«, sagte Käthe sachverständig.

»Motocross«, verbesserte Therese, »wißt ihr überhaupt, was das ist?«

»Gelände, mit dem Motorrad durchs Gelände«, bot Gretl an, die sich bei jedem Thema zu einem Beitrag berufen fühlte.

»Gelände ist gut. Morast, Schlammgruben und Sumpflöcher wären treffender. Mindestens einmal im Monat gibt es irgendwo solche Schlammfahrten. Und für die Schlammfahrten muß natürlich auch geübt werden. Könnt ihr euch überhaupt vorstellen, wie die danach aussehen, wenn sie wieder nach Hause kommen?«

»Sportlich.«

»Gestählt.«

»Verschwitzt.«

»Wie die Wildschweine, die sich eingesuhlt haben«, ergänzte Therese. »Und mit diesen schlammbespritzten Anzügen und matschverkrusteten Stiefeln spazieren sie geradewegs in eure sauberen Wohnzimmer. So müßt ihr euch das vorstellen, daß es nur so knirscht auf dem Parkett.«

»Er hätte ja die Stiefel vor der Tür ausziehen können«, schlug Minchen vor, die das gerade erst bei ihren Enkelkindern eingeführt hatte.

»An den Dreck hätte ich mich ja noch gewöhnen können. Aber dieses Siegerlächeln, auch wenn er als letzter durchs Ziel ist. An ihm hat es nie gelegen. Das Lächeln ist ihm nie vergangen. ›Saubere Arbeit‹, hat er mir gesagt, ›dein Erwin hat saubere Arbeit geleistet. Du kannst stolz auf mich sein, Therese.‹ Stellt euch das vor. ›Saubere Arbeit‹, hat er gesagt, bei dem ganzen Dreck, den er mir hereingetragen hat. ›Saubere Arbeit.‹«

»Saubere Arbeit, das muß ich mir merken«, kicherte Minchen und dachte an ihre Enkelkinder.

»Das Schlimmste für mich«, fuhr Therese fort, »war der Beiwagen. Das Allerschlimmste. Am Anfang, als ich mich geweigert habe, zu ihm auf das Motorrad zu steigen, hat er einen Beiwagen gekauft. Und stolz war er darauf. Ich kann euch sagen. Zwei Wochenenden habe ich es darin ausgehalten. Die Kurven. Ihr könnt euch das nicht vorstellen. In jeder Kurve dachte ich, gleich würde ich allein mit dem Beiwagen durch die Leitplanken schießen. Todesängste habe ich ausgestanden. Und ihm hatten es vor allem die Kurven angetan. Das war für ihn das allergrößte: mit Karacho in die Kurve, so daß die Räder von meinem Beiwagen quietschten. Die tollste Kurve war die vor dem Ortseingang, da ist er noch einmal in die vollen gegangen. Und ich habe gezittert und mich am Chassis festgekrallt. ›Nichts für Weiber‹, hat er verständnisvoll gegrinst, als ich für immer ausgestiegen bin. ›Nur was für Männer. Harte Männer.‹«

»Mit dem konntest du dich sicher gut unterhalten«, spottete Gretl jetzt und setzte nach, »über Motorräder.«

Minchen, Käthe und Lore schmunzelten entzückt.

»Ihr seid gemein. Ihr wißt genau, daß ich nichts mehr davon hören will, von all den Kawakikis, Suzukis und wie sie alle heißen. Kindische Namen. Er ist sie auf jeden Fall alle gefahren: amerikanische, deutsche, japanische. Was ihr wollt. Alle Klassen. Alle Pferdestärken. Wollt ihr vielleicht noch einen kleinen Vortrag hören, wie schnell jedes von diesen Biestern innerhalb von dreißig Sekunden beschleunigt? Weiß ich alles. Dazu reicht es noch bei mir.«

»Wir wollen uns ja kein Motorrad anschaffen, oder?« lenkte Käthe, die Gastgeberin, ein.

»Vielleicht doch«, meinte Therese scheinheilig, »so, wie ihr euch dafür interessiert, sollte ich mal eine BMW mit Beiwagen organisieren. Wen darf ich denn nächsten Monat damit zu Hause abholen?«

Therese fuhr sich mit den Fingern durch ihre roten Haare und nahm einen kräftigen Schluck von ihrem Portwein.

»Zum Schluß hat er mir dann einen tollen Streich gespielt. Ich dachte, ich würde nie mehr eine Motorraduniform sehen, auf jeden Fall nicht mehr bei mir. Und wer kommt zur Beerdigung? Auf Erwins ausdrücklichen Wunsch? Der ganze Motorradklub. Dreißig Motorradfreunde in schwarzem Leder sind in Dreierreihe hinter seinem Sarg hergefahren mit einem Kranz aus weißen und schwarzen Nelken. Ich wußte vorher gar nicht, daß es so was gibt. Schwarze Nelken«, schloß Therese, goß sich ihr Glas voll und leerte es in einem Zug.

»Meiner stieg nicht auf oder unter die Maschinen, meiner stieg in die Maschinen«, verkündete Lore in einer Lautstärke, die ausgereicht hätte, eine Horde plärrender Erstkläßler zu übertönen, »sofern sie groß genug dafür waren«, fuhr sie in gemäßigter Stimmlage fort. »Er hätte in einem Maschinenpark leben können, da wäre er so richtig glücklich gewesen. Mit lauter Motoren und Kolben und Rädchen und Drehscheiben und Schrauben und Muttern und Schraubzwingen und mit einer großen Kanne Öl, das hatte er mit Erwin gemeinsam. Ohne Öl ging nichts. Öl war wichtig. Besonders wichtig, damit alles reibungslos laufen konnte. So ein beständiges Surren Tag und Nacht, das war das Größte für meinen Fredy.«

»Dafür mußtest du dich nie mit Handwerkern rumplagen«, vermutete Therese.

»Ich durfte mich nicht mit Handwerkern rumplagen«, verbesserte sie Lore. »Ich hätte das liebend gern getan, aber ich durfte es nicht. Selbst als der Abfluß unserer Toilette über Tage nicht freizubekommen war, durfte ich keinen Klempner holen. Als die Kinder es leid waren, Garageneinfahrten zu suchen und bei Dunkelheit in die Vorgärten der Nachbarn einzufallen, habe ich vorsichtig angedeutet, ob nicht vielleicht doch eventuell ein Fachmann hinzugezogen werden sollte. Da ist er durchgedreht, der Fredy. So habe ich ihn noch nie erlebt. ›Dein Fachmann. Hier hast du deinen Fachmann‹, hat er geschrien und mit der Rohrzange nach mir geworfen. Heute noch habe ich davon eine Narbe am Oberarm. Tief aufgerissen war das Fleisch bis auf die Knochen.«

Lore knöpfte die Manschette ihrer Hemdbluse auf und zeigte auf eine pfenniggroße weiße Narbe in Halbmondform, die in braune Pigmentflecken eingebettet lag.

»Der war ja richtig gefährlich, dein Fredy.«