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Ein Buch voller faszinierender Geschichten vom Meer: Gertrude von Holdt, die auf der Hallig Hooge lebt und einer breiten Öffentlichkeit als »Die Halligpastorin« bekannt wurde, hat viel zu erzählen – und die Bestseller-Autorin kann es gut. Mit einem Augenzwinkern berichtet sie von kantigen Seeleuten, ihrer Kapitäns-Verwandtschaft, hohem Seegang, fernen Ländern, dramatischen Situationen, heiligen Momenten. Von schwankenden Planken in der Kombüse und dem Mut, den es als junge Frau braucht, um auf einem Schiff anzuheuern. Viele aus ihrer Familie sind – wie sie – zur See gefahren. In diesem Buch sind ihre spannendsten und berührendsten Geschichten versammelt. »Mein Element ist das Wasser. Damit bin ich großgeworden, damit bin ich vertraut. Wasser – brüllend, spiegelblank, verlockend, unendlich, abweisend, aber nie beängstigend! Brüllend, wenn der Sturm es in seiner Gewalt hat. Spiegelblank an Tagen, an denen alles zur Ruhe kommt. Verlockend, wenn die kleinen Wellen wie Musik an den Steindeich plätschern. Unendlich, wenn es weit, weit draußen in den Horizont übergeht. Abweisend, wenn das Grau den Blick nach unten verwehrt. Und doch seit Kindertagen wie ein liebgewordener Freund!« Gertrude von Holdt
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Gertrude von Holdt
Geschichten zwischen Ebbe und Flut
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
»Mein Element ist das Wasser. Damit bin ich großgeworden, damit bin ich vertraut. Wasser – brüllend, spiegelblank, verlockend, unendlich, abweisend, aber nie beängstigend!«
Gertrude von Holdt, die auf der Hallig Hooge zu Hause ist, erzählt spannende und berührende Geschichten: von kantigen Seeleuten, ihrer Kapitäns-Verwandtschaft, hohem Seegang, fernen Ländern, dramatischen Situationen, heiligen Momenten. Von schwankenden Planken in der Kombüse und dem Mut, den es als junge Frau braucht, um auf einem Schiff anzuheuern. Viele aus ihrer Familie sind – wie sie – zur See gefahren.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.bene-verlag.de
Widmung
Prolog
Kapitäne, Seeleute, Seehundsjäger
Gedankenlose Jugend
Mann über Bord
Segler in Not
Lord
Tod auf der Sandbank
Wal in Sicht
Sturm über der Nordsee
Einmal Helsinki und zurück
Zwischenstopp Kopenhagen
Wasser und Eis
Helsinki
Routine macht viel aus, aber nicht alles!
Rotterdam oder der Rest vom Fest
Unterwegs mit dem Containerschiff
Epilog
Bevor es jetzt mit den Geschichten losgeht, möchte ich mich bedanken:
bei meiner Familie und meinen Freunden, die mich immer unterstützt und ermuntert haben, meine Ideen umzusetzen und Geschichten zu schreiben.
Mein besonderer Dank gilt denjenigen, die mir ihre Geschichten für dieses Buch zum Nacherzählen geschenkt haben.
Ich danke meiner Mutter, die leider im Februar verstorben ist. Ebenso auch meinem Bruder Arne und meinem Onkel Neuton, der mir ungehinderten Zugang zu alten Fotos und Bildern gewährt hat.
Das alles hat das Buch erst möglich gemacht. Danke und nochmals danke!
Und jetzt wünsche ich allen viel Freude beim Lesen!
Warten auf die Seehunde.
© Gertrude von Holdt
Ich wurde im Januar 1948 geboren. Mein Sternzeichen wäre ein Steinbock, dem man die Eigenschaften »bodenständig« und »erdverbunden« zuschreibt. Das Sternzeichen mag ich, in Australien habe ich sogar am Wendekreis des Steinbocks gestanden; nur leider passen die Eigenschaften nicht so richtig zu mir. Mein Element ist das Wasser. Ich bin mit dem Meer verbunden. Geboren wurde ich auf einer Nordseeinsel, und auf einer Hallig lebe ich. Die Hallig Hooge, auf der ich als Kind immer wieder bei meinen Großeltern zu Gast war, ist heute meine Heimat. Die Geschichten meiner Ahnen fließen durch meine Seele – auch mit ihnen bin ich verbunden.
Als Kind »spaddelte« ich stundenlang im Wasser, bis ich blau und verschrumpelt war. In den Ferien begleitete ich meinen Vater, wenn er mit seinem Schiff durchs Wattenmeer fuhr. Ich war sein Bootsmädchen. Im Studium arbeitete ich als Schiffsköchin und als Siebzigjährige unternahm ich eine mehrwöchige Reise auf einem Containerschiff. Das Meer begleitet mich in all seinen Formen – brüllend, spiegelblank, verlockend, unendlich, abweisend, aber nie beängstigend!
Brüllend, wenn der Sturm es in seiner Gewalt hat.
Spiegelblank an Tagen, an denen alles zur Ruhe kommt.
Verlockend, wenn die kleinen Wellen wie eine Melodie an den Steindeich plätschern.
Unendlich, wenn Himmel und Meer am Horizont verschwimmen.
Abweisend, wenn das Grau den Blick nach unten verwehrt.
Und doch, seit Kindertagen wie ein lieb gewordener Freund!
Teil 1
Ein ehemaliger Kapitän und ich haben eine Namensliste von Menschen der Hallig Hooge, die auf großer Fahrt waren, erstellt. Es waren Kapitäne, Decksleute, Maschinisten, Elektriker, Zimmermann oder Funker – und die Familie von Holdt hatte daran, wie wir feststellten, den größten Anteil. Wen wundert es da, dass ich eine starke Affinität zur Seefahrt und dem Wasser habe?
Zu diesen Seefahrern gehörten mein Urgroßvater, Großvater, Vater und Onkels und sie sind nur die engere Verwandtschaft.
Neuton, der jüngste Bruder meines Vaters, übernahm die Berechtigung meines Großvaters, Seehunde zu schießen. Doch neben der Jagd pflegte und versorgte er Jungtiere, verlassene Heuler und verletzte Tiere.
Diese Fürsorge hatte Tradition. Mein Urgroßvater, der »alte« Hein, war der Erste, der damit begann. Es war um 1900, in einer Zeit, in der jeder ein Gewehr hatte. Man durfte alles schießen, was vor die Flinte kam. Mein Urgroßvater verstand, dass die willkürliche Jagd dem Seehundbestand schadete. Für ihren Schutz setzte er durch, dass die Jagd auf Seehunde in die Jagdgesetze mit aufgenommen wurde.
Mit dem Jagdgesetz wurde auch die Dokumentation der Jagd zur Pflicht. Alles wurde notiert: Wer schoss wann und wo mit welchem Abstand wie viele Tiere? Die Einträge meines Urgroßvaters beginnen 1897 und lesen sich wie ein »who is who«, so viele illustre Namen sind da verzeichnet.
Ab Mitte der 50er-Jahre flog mein Großvater, der »junge« Hein, mit einem Fieseler Storch über das nordfriesische Jagdrevier, um einmal im Jahr den Bestand zu zählen. Danach richtete sich die gewährte Abschussanzahl pro Jäger.
Das Jagdbuch endet 1982. Inzwischen war der Bestand der Seehunde durch Krankheit so stark dezimiert, dass die Jagd verboten wurde, nur der Abschuss von kranken Tieren wurde erlaubt. Letztendlich gab mein Onkel Neuton die Seehundsjagd auf. Nun lebt er seit fast zwanzig Jahren auf dem Festland und wenn ich ihn besuche, höre ich seinen Geschichten aus vergangenen Tagen zu, über das Meer, die Menschen und meine Familie.
Mein Urgroßvater mit seinem Jagdhund, vor einem selbst gebauten Schrank mit ausgestopften Vögeln, die er geschossen hat.
© Gertrude von Holdt
Auf den Halligen Hooge und Langeness. Frühherbst 1950.
Ich bin zwei Jahre alt. Wenn meine Eltern unterwegs sind, geben sie mich bei meiner Großmutter ab. Mein Vater ist selbstständig als Schiffer und meine Mutter begleitet ihn oft. Diesmal sind sie unterwegs, um Grand für die Straßenbefestigung zu holen.
Meine Eltern fahren mit der Meta, einem Holzschiff, das schon meinem Großvater gehört hatte. Das Schiff ist klein, handlich, stabil, und noch wichtiger: Es sichert meinem Vater das Einkommen. Das Schiff ist etwa zwölf Meter lang und sein Laderaum umfasst sechs Kubikmeter. Das Ruderhaus steht auf einer quadratischen Fläche von 1,5 Meter. Es ist so klein, dass sich ein erwachsener Mensch darin gerade einmal umdrehen kann, wenn er am Steuer steht.
An diesem Herbsttag steuert mein Vater das Schiff bei überraschend gutem Herbstwetter zum Middelloch, einer Sandbank aus grobem Kies. Sie liegt zwischen Amrum und Föhr. Luftlinie sind es nur ungefähr 60 Kilometer, aber für ein kleines Schiff auf seiner Route ist es ein weiter Weg.
Mein Vater fährt die Sandbank so an, dass die Meta bei Ebbe trockenfällt. Erst dann beginnt er, das Schiff mit Grand zu beladen – nur mit Hand und seiner Körperkraft. Schaufel für Schaufel! Es ist harte Knochenarbeit. Meine Mutter versorgt ihn zwischendurch mit Tee und Broten, ansonsten sitzt sie an Deck und genießt den sonnigen Tag.
Als es dämmert, ist der Laderaum mit Grand beladen und auch auf dem Deck erhebt sich ein Haufen aus Sand, Muscheln und Schlick. Nur langsam kommt das überladene Schiff in Bewegung und dreht ab in Richtung Hooge.
In der Dämmerung zeigt sich das wahre Herbstwetter. Es frischt auf und die Meta holt Wasser. Es schwappt durch die Tür ins Ruderhaus. Auf der einen Seite rein, auf der anderen raus. Vater hält in der einen Hand das Ruder, mit der anderen drückt er die Lenzpumpe auf und nieder. Mutter braucht beide Hände, um sich an der Ruderbank festzuhalten.
Der Wind verwandelt sich in einen brüllenden Sturm. Er türmt Wellen mit gewaltigen Schaumkronen auf. Die Meta schlingert wie ein Pingpongball dazwischen. Wasser dringt von allen Seiten auf das Schiff. Meine Mutter hat längst die Orientierung verloren. Sie hofft und betet, dass sie sicher ankommen.
Plötzlich verliert der Sturm an Wucht. Das Wasser wird ruhiger und die Meta läuft ganz langsam und gezielt in einen Wasserlauf. Dieser Priel heißt Ilef und er mündet in einem kleinen Hafen auf Langeneß.
Mein Vater hat die Orientierung nicht verloren und er weiß, was jetzt zu tun ist: einen sicheren Hafen suchen. Langeneß liegt 6,5 Seemeilen nördlich von Hooge. Um nach Hooge zu kommen, würde es noch etwas mehr als eineinhalb Stunden dauern. Da ist der kleine Hafen auf Langeneß schon besser!
An der Hafenkante steht ein Mann mit einer Tranfunzel, der die Leine entgegennimmt und das Schiff festmacht. Keiner sagt ein Wort. Man versteht sich auch so, selbst als sie gemeinsam zum Haus von Lorenz gehen, schweigen sie. Was sollten sie auch sagen?
In einem Lukebett schlafen meine Eltern tief und lang und erst am nächsten Morgen versucht man »bi de Ool«, beim Alten, meinem Großvater, anzurufen. Es wäre zwecklos gewesen, es nachts zu versuchen. Denn die Dame vom Amt, die die Verbindungen in der Telefonzentrale stöpselt, schläft dann.
Die ganze Nacht lang war mein Großvater immer wieder in die Warft gelaufen, um nach der Meta Ausschau zu halten. Er musste annehmen, dass sie in Seenot geraten war. Große Erleichterung, als er endlich seinen Sohn am anderen Ende der Leitung hört.
Nach dem Frühstück fahren meine Eltern fröhlich und ausgeschlafen nach Hooge.
Mein Vater ist noch öfter in Bedrängnis geraten, weil er seine Schiffe grundsätzlich überlud und dann die Luken nicht schloss. Einmal soffen er und mein Bruder tatsächlich ab – allerdings nur mit erheblichen Materialschäden.
Mein Vater war immer risikofreudig, denn er kannte das Wattenmeer und vertraute auf sein Wissen, seine Erfahrung und sein Gespür.
Ich denke, dass es mehr als nur Vertrauen war, das ihn glauben ließ, dass alles gut gehen würde, sondern: De dor baaben war mit ihm! Der da oben? Mein Vater war kein Kirchgänger und trotzdem ein gläubiger Mensch.
Alte Ansicht von Hanswarft auf Hooge.
© Gertrude von Holdt
Das sogenannte »Eisboot«, mit dem im Winter die Post zur Hallig und zum Festland transportiert wurde.
© Gertrude von Holdt
In einem kleinen Fischerhafen des Nordfriesischen Wattenmeers. Vorweihnachtszeit der 1930er-Jahre.
Sie tragen Öljacken und Wathosen, rüsten sich gegen das raue Wetter, doch die Kälte, der Regen und der Wind fressen sich durch ihre Haut und reißen an ihren Knochen.
Es ist noch dunkel, als die Männer den Fischkutter zum Auslaufen klarieren. Die Helfer holen die Leinen ein und fluchen leise: »Bi dit Schietwetter jaagt de Ole uns rut, man kann dat gor nich glöben. As wenn he nich al genog verdeent hett!« (Bei diesem Mistwetter jagt der Alte uns raus, man kann es gar nicht glauben. Als wenn er nicht schon genug verdient hätte.)
Der Alte, Neuton, ein Bruder meines Großvaters Hein, steht hoch und trocken im Ruderhaus. Er kann seine Männer nicht hören, und wenn, dann gnade ihnen Gott, denn wenn er eines nicht leiden mag, wenn rumgemeckert wird. Der Alte trägt eine dicke Joppe und Latschen. Diese Latscho sind oben mit Leder und unten mit Gummi bezogen.
Langsam löst sich der Kutter vom Pier und schippert aus dem dunklen Hafen. Die Maschine stampft wie ein Walross und tuckert zu den Krabbenfangstätten. Ein Netz nach dem anderen ziehen die Männer an Deck und mit jedem Hol wird die Laune schlechter. Es ist harte Arbeit unter harten Bedingungen. Zwei Männer bedienen eine Winsch, um die Netze aus dem Wasser zu heben. Dann blockieren sie die Winsch und mit einem »Ranholer« wird der »Steert« mit dem Fang von den Jungs über die Reling gehievt und geöffnet. Der Fang, Krabben, kleine Fische, Muscheln und Grünzeug, ergießt sich über das Deck. Nun müssen sie mit einem viereckigen Standsieb den Fang sortieren. Die kleinen Krabben fallen durch das Sieb, alles andere muss ausgesammelt werden.
Einer schaufelt den Fang auf das Sieb, ein anderer schüttelt. Hol für Hol, Netz für Netz. Sieb für Sieb. Mittlerweile ist es heller, aber immer noch trüb und grau. Der Wind frischt auf und die See wird rauer. Regen läuft den Jungs übers Gesicht und in den Kragen. Der Wind zerrt an ihrer Kleidung. Die Hände sind steif und taub vor Kälte, als wären die Finger nicht Teil ihres Körpers. Regen- und Salzwasser haben das Deck mit einer glatten Eisschicht überzogen. Reste von Grünzeug aus den Netzen schlingen sich um ihre Schuhe. Es ist rutschig und gefährlich. Nach dem Sieben kommt das Kochen. Kessel für Kessel. Stundenlang! Dabei müssen sie sehr wachsam sein: Werden die Krabben zu lange gekocht, färben sie sich grau, aber sind gut zu pulen. Werden sie zu kurz gekocht, bleiben sie rot und sind nur schlecht aus der Schale zu bekommen. Egal, was um sie herum geschieht, sie müssen aufmerksam sein. Abwechselnd gehen sie ins Ruderhaus, um einen Becher heißen Tee zu trinken, ein Brot zu essen und ein bisschen Wärme zu tanken. Doch die Aufwärmphasen, die ihnen der Alte zugesteht, sind viel zu kurz. Während der Alte warm und trocken auf seinem Hocker sitzt, scheucht er seine Jungs wieder an die Arbeit. Fluchend und schimpfend schleppen sie sich an Deck, das immer rutschiger wird.
Sie arbeiten sich ab an Hol, Winsch, Steert, Sieben und Kocher. Das Gros der Porren (Krabben) haben sie im Laderaum verstaut, als die Hölle über sie hereinbricht. Der Kutter holt über und eine gewaltige Wasserflut rollt über das Deck. In diesem Moment stößt der Alte die Tür seines Ruderhauses auf, schreit einen Befehl, den der Sturm sofort schluckt. Niemand bemerkt ihn. Die Tür wird ihm aus der Hand gerissen und er verschwindet mit der rückläufigen Wasserflut im Nirgendwo. Sein Schrei geht im Getöse unter.