Aufzeichnungen aus meiner Hütte - Kamo no Chomei - E-Book

Aufzeichnungen aus meiner Hütte E-Book

Kamo no Chomei

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Beschreibung

Erdbeben, Tsunami, Taifune – immer wieder wird Japan von Naturgewalten überfallen, die in ihrer ungeheuerlichen zerstörerischen Macht ganze Landstriche, Ortschaften und ihre Einwohner vernichten. In ihrer Berichterstattung bemühen ausländische Journalisten gerne Kamo no Chomeis Worte von der Flüchtigkeit des menschlichen Lebens und der menschlichen Behausungen, um ihr Entsetzen, insbesondere aber einen „typisch japanischen“ Stoizismus angesichts dieser Katastrophen zu beschreiben. Die Schreckensbilder, die uns in den vergangenen Wochen aus Japan erreichten, scheinen in der Tat den Chomei über achthundert Jahre früher skizzierten Naturkatastrophen verblüffend ähnlich. Die »Aufzeichnungen aus meiner Hütte« sind damals wie heute gleichermaßen aktuell. Japan im zwölften Jahrhundert. Großbrände, Wirbelstürme und Erdbeben haben die Hauptstadt Kyoto zerstört, Seuchen breiten sich aus, die Leichen der Verhungerten türmen sich an den Straßenrändern. Eindrucksvoll schildert der Mönch Kamo no Chomei (1155-1216) das Inferno und die Naturkatastrophen, von denen die Hauptstadt heimgesucht wird, das Elend und die Not der Menschen werden lebendig – »all diese Geschehnisse lehrten mich, die Mühsal, in dieser Welt zu leben, die Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers und der menschlichen Behausungen zu begreifen.« Nach den Erfahrungen von Elend, Tod und Vergänglichkeit zieht sich Kamo no Chomei im Alter von fünfzig Jahren von Hof und Amt zurück, um ein Schüler Buddhas zu werden. Er kehrt der Welt den Rücken und baut sich in den Bergen eine schlichte Klause, in der er die »Aufzeichnungen aus meiner Hütte« beginnt. Er berichtet von seinem Einsiedlerleben in der Abgeschiedenheit, seine Gedanken kreisen um das Ideal des einfachen Lebens, um die Abkehr von den materiellen Werten und um die Frage, ob ihm in seiner kontemplativen Zurückgezogenheit die Überwindung der weltlichen Bindungen geglückt ist.

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Seitenzahl: 72

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Kamo no Chōmei

Aufzeichnungen

aus meiner Hütte

Aus dem Japanischen übertragen

Originaltitel: Hōjōki

Die vorliegende Übersetzung erschien erstmals 1997

in der Japanischen Bibliothek im Insel Verlag.

Die Japanische Bibliothek wurde herausgegeben von

Irmela Hijiya-Kirschnereit.

epub Insel Verlag Berlin 2011

© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1997

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des

öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendung elektronische Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Aufzeichnungen aus meiner Hütte

1

Unaufhörlich strömt der Fluß dahin, gleichwohl ist sein Wasser nie dasselbe. Schaumblasen tanzen an seichten Stellen, vergehen und bilden sich wieder – von großer Dauer sind sie allemal nicht. Gleichermaßen verhält es sich mit den Menschen und ihren Behausungen.

Miteinander wetteifernd, recken sich in unserer prachtvollen Hauptstadt die Dächer der Häuser von Hoch und Niedrig, als könnten sie Generationen überdauern. Allein, es gibt nur wenige Häuser aus alter Zeit. Ein Haus mag im vergangenen Jahr niedergebrannt sein und schon in diesem neu erbaut werden. Ebenso kann ein herrschaftliches Anwesen von gestern bereits morgen zur Hütte verkommen. Den Bewohnern ergeht es kaum anders. Wie einst drängen sich die Menschen in den Straßen der Hauptstadt, doch wie wenigen begegnen wir, die wir in unserer Jugend kannten. Am Morgen gestorben, am Abend geboren, das ist das Geschick des Menschen – gleich den Schaumblasen auf dem Wasser. Und dieser Mensch, der geboren wird und stirbt, wer weiß schon, woher er kommt, wohin er geht? Ferner, wer vermag zu erklären, wofür der Mensch sich so plagt, eine Behausung zu schaffen, wenn sie doch letztlich vergänglich ist, und wie diese ihm solch eine Beglückung sein kann? Dabei scheint es, als ob Herr und Haus darüber stritten, wer von beiden denn wohl zuerst vergehe – sie sind wahrlich keinen Deut verschieden vom morgendlichen Tau auf den Blüten der Ackerwinde. Der Tau mag herabfallen und die Blüten fortbestehen, jedoch nur, um in der Morgensonne zu welken. Oder der Tautropfen mag sich auf der vergehenden Blüte halten, gleichwohl wird er den Abend nicht erreichen.

1

2

In den etwa vierzig Jahren, seit ich begann, den Grund der Dinge zu erkennen, habe ich so manche Merkwürdigkeit gesehen.

Es geschah, wenn ich mich recht entsinne, im dritten Jahr der Ära Angen (1175), am 28. Tag des vierten Monats. Ein Sturm kam auf und beruhigte sich auch gen Abend nicht. Dann, in der Stunde des Hundes (20 Uhr), brach im Südosten der Hauptstadt ein Feuer aus, das der Wind hinüber bis an die nordwestlichen Grenzen der Stadt blies. Am Ende erfaßte das Feuer gar das Suzaku-Tor und die Daikyoku-Halle des Palastes, die Akademie und das Kaiserliche Büro für Innere Angelegenheiten. In ei­ner einzigen Nacht legte das Feuer alles in Asche.

Es hieß, das Feuer sei in den Unterkünften der Bugaku-Tänzer an der Higuchi-Tominokoji-Straße ausgebrochen. Die Windböen bliesen die Flammen hierhin und dorthin, so daß sich das Feuer wie ein geöffneter Fächer ausbreitete. Die abgelegeneren Häu­ser umschloß dichter Rauch, während die näher gelegenen in Flammen aufgingen und dem Erdboden gleichgemacht wurden. Wolken schwarzer Asche verhängten den Himmel, in denen sich glutrot die Flammen spiegelten. Der Wind schien mit den Flammen zu spielen, ergriff sie und fegte sie über ein, zwei Viertel hinweg. Wer hätte in diesem Inferno noch besonnen bleiben können? Die einen brachen, vom Rauch erstickt, zusammen, andere fielen den Flammen zum Opfer und starben auf der Stelle. Anderen wiederum gelang es zwar, ihre Haut zu retten, aber sie vermochten nicht, ein einziges ihrer Besitztümer dem Feuer zu entreißen. So verwandelten sich ungeahnte Kostbarkeiten zu Asche. Wie groß mag wohl der Schaden gewesen sein? Allein sechzehn Anwesen des Hochadels brannten nieder, und niemand vermag die Zahl der Häuser zu schätzen, die darüber hinaus vernichtet wurden. Insgesamt wurde mehr als ein Drittel der Hauptstadt zerstört, Tausende von Männern und Frauen kamen ums Leben und eine unbestimmte Anzahl von Pferden und Ochsen.

Unter allen fruchtlosen Bemühungen des Menschen ist wahrlich keine so töricht wie jene, sich zu plagen und ein Vermögen aufzuwenden, um an einem so gefährlichen Ort wie der Hauptstadt ein Haus zu erbauen.

Dann, im vierten Monat des vierten Jahres der Ära Jishō (1180), gab es einen Wirbelsturm, der von dem Viertel um Naka-no-mikado und Kyōgoku gen Rokujō fuhr. Über drei, vier Viertel wütete der Sturm, und von den Häusern, die er erfaßte, blieb nicht ein einziges, gleich ob groß oder klein, unversehrt. Ei­ni­ge fielen flach in sich zusammen, von anderen blieben nur Pfosten und Tragbalken stehen. Von den Toren riß der Orkan die Dächer mit sich, um sie vier oder fünf Viertel weiter abzusetzen. Bei anderen An­wesen wiederum fegte er die Zäune hinweg, so daß sie eins mit dem ihrer Nachbarn wurden. Allerlei Ge­genstände wurden in den Himmel gehoben, Dach­schindeln und Bruchstücke von Holz tanzten Herbstblättern gleich in der Luft. Dick wie Rauch waren die Staubschwaden, so daß man die Hand vor Augen nicht mehr erkennen konnte. Wie furchtbarer Donner heulte der Sturm, man vermochte sein eigenes Wort nicht mehr zu verstehen. Der Wind des Karma, der in der Hölle braust, konnte, so woll­te mir scheinen, nicht verheerender und angsteinflößender sein. Doch nicht genug damit, daß viele Häuser zerstört worden waren, unzählige Menschen wurden bei dem Versuch, sie instand zu setzen, verletzt oder verkrüppelt. Als der Orkan schließlich nach Südwesten abdrehte, brachte er außerhalb der Hauptstadt noch vielen Menschen mehr Elend und Verdruß.

Ein Wirbelsturm ist an sich nichts Ungewöhnliches, dieser jedoch war ohne jeden Zweifel von einer anderen Art, und so fragte sich ein jeder bange, ob er nicht eine Warnung der Götter gewesen sei.

Nur wenige Monate später, im ’wasserlosen‘ (sechsten) Monat desselben Jahres (1180), wurde völlig überraschend die Hauptstadt an einen anderen Ort verlegt. Ein unvorstellbares Geschehen! Schließlich ging nach den Überlieferungen die Einrichtung der Hauptstadt in Kyōto auf den Saga Tennō1 zurück, und nichts und niemand hatte für vierhundert Jahre daran etwas ändern können. Da ein Hauptstadtwechsel eine Angelegenheit ist, die nicht ohne schwerwiegende Gründe durchgeführt werden sollte, war es nur allzu verständlich, daß sich die Bewohner beunruhigten und jammerten.

Allein, ihr Lamentieren half nichts – angefangen von unserer Majestät, dem Mikado, den Ministern und dem Hochadel hatte der gesamte Hofstaat umzuziehen. Welcher von jenen, die Namen und Rang besaßen, um ein Amt bei Hofe zu bekleiden, wäre da alleine in Kyōto zurückgeblieben? Und so beeilten sich alle, die auf Amt und Würden spekulierten oder von der Gunst ihrer Herren abhingen, so schnell wie irgend möglich in die neue Hauptstadt umzuziehen. Nur jene Hoffnungslosen, die ihre Chance versäumt hatten oder entlassen worden waren, blieben wehklagend in der alten Hauptstadt zurück. Die einst glanzvollen Anwesen, die sich dicht aneinander reih­ten, verfielen zusehends. Etliche Häuser wurden zerlegt und den Yodo-Fluß hinunter in die neue Hauptstadt geflößt, während sich ihre ehemaligen Standorte im Nu in Äcker verwandelten. Auch die Gesinnung der Menschen veränderte sich schlagartig. Nun schätzte man Pferd und Sattel des Samurai, und niemand benutzte mehr die ungleich würdevolleren, von schwarzen Ochsen gezogenen Karossen. Ferner suchte ein jeder, Landbesitz in den Gebieten der neuen Herren im Westen und Süden zu erlangen, während sich keiner mehr um Ländereien im Norden und Osten bemühte.

Nun gab es Angelegenheiten zu dieser Zeit, die mich zufällig in die neue Hauptstadt Fukuhara in der Provinz Settsu brachten. Als ich mir die Gegend betrachtete, mußte ich feststellen, daß dieser Landstreifen viel zu schmal war, um eine Hauptstadt entsprechend der Tradition mit einem Gitterwerk von Alleen anlegen zu können. Zum Nordosten begrenzten die Stadt hohe Berge, im Süden engte sie das Meer ein. Außerdem toste an dieser Küste das Meer besonders laut, und der Seewind blies außerordentlich kräftig. Den Palast hatte man direkt an den Bergen errichten müssen. Er war aus unbearbeiteten Baumstämmen erbaut und wirkte daher wie jener »Blockhaus Palast«2 vor langer, langer Zeit – nicht gerade, wie man sich eine kaiserliche Residenz vorstellt, aber einige mochten diesem seltsamen Stil durchaus seine reizvollen Seiten abgewinnen. Wo aber waren all die Häuser geblieben, die man abgebrochen und den Fluß hinuntertransportiert hat­te, daß man ihn fast gestaut hätte, so wunderte ich mich; denn es gab noch etliche brachliegende Grundstücke und nur wenige Bauten.