Ausgeträumt, Amerika? - Jan Philipp Burgard - E-Book

Ausgeträumt, Amerika? E-Book

Jan Philipp Burgard

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Beschreibung

Mehr als ein Jahr lang reist ARD-Korrespondent Jan Philipp Burgard kreuz und quer durch Amerika und spricht mit den Menschen. Wie leben sie in einem Land, das mehr denn je gespalten ist zwischen Arm und Reich, Stadt- und Landbevölkerung, afroamerikanischen, lateinamerikanischen und weißen Bürgern? Amerika ist ein Land voller Widersprüche. Es kämpft mit Herausforderungen wie Armut, Rassismus, Strukturwandel und Klimawandel. Die Zukunftsängste wachsen. Burgard will wissen, wie es den Menschen jenseits der politischen Klasse geht. Er hört sich um bei den Hillbillys in West Virginia, entlang der Route 66, in Las Vegas und in Silicon Valley. Er trifft Cowboy-Kids in Texas, einen Sheriff an der Grenze zu Mexiko, Arbeiter in Kentucky, Umweltaktivisten in Alaska, Politiker und Journalisten in Washington. Ist der amerikanische Traum ausgeträumt, oder gibt es ihn noch irgendwo? Burgards mitfühlende Reportagen aus dem ewigen Eis Alaskas bis in die Wüste Arizonas, von den Bergen Montanas bis an die Strände Kaliforniens machen ein Land wieder fassbar, das uns immer fremder geworden ist.

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Jan Philipp Burgard

Ausgeträumt, Amerika?

Unterwegs in einem gespaltenen Land

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Mehr als ein Jahr lang reist ARD-Korrespondent Jan Philipp Burgard kreuz und quer durch Amerika und spricht mit den Menschen. Wie leben sie in einem Land, das mehr denn je gespalten ist zwischen Arm und Reich, Stadt- und Landbevölkerung, afroamerikanischen, lateinamerikanischen und weißen Bürgern?

 

Amerika ist ein Land voller Widersprüche. Es kämpft mit Herausforderungen wie Armut, Rassismus, Strukturwandel und Klimawandel. Die Zukunftsängste wachsen.

Burgard will wissen, wie es den Menschen jenseits der politischen Klasse geht. Er hört sich um bei den Hillbillys in West Virginia, entlang der Route 66, in Las Vegas und in Silicon Valley. Er trifft Cowboy-Kids in Texas, einen Sheriff an der Grenze zu Mexiko, Arbeiter in Kentucky, Umweltaktivisten in Alaska, Politiker und Journalisten in Washington.

 

Ist der amerikanische Traum ausgeträumt, oder gibt es ihn noch irgendwo? Burgards mitfühlende Reportagen aus dem ewigen Eis Alaskas bis in die Wüste Arizonas, von den Bergen Montanas bis an die Strände Kaliforniens machen ein Land wieder fassbar, das uns immer fremder geworden ist.

Über Jan Philipp Burgard

Dr. Jan Philipp Burgard, geboren 1985 in Iserlohn, studierte Politik, Neuere Geschichte und Öffentliches Recht in Bonn und Paris. Als Producer im ARD-Studio Washington erlebte er 2008 den Aufstieg von Barack Obama und promovierte 2011 über dessen «Jahrhundertwahlkampf». Nach Stationen bei den ARD-Tagesthemen, als Reporter für den NDR und das ZDF sowie als Referent des WDR-Intendanten wechselte Burgard 2016 in die Tagesschau-Redaktion. 2017 wurde er Korrespondent und stellvertretender Leiter des ARD-Studios in Washington.

Für Anna Maria

Die Suche beginnt

Meine Hände zittern nicht nur wegen der Kälte, als Anna und ich vor dem Lincoln Memorial in Washington aus dem Taxi steigen. Noch nie in meinem Leben war ich so aufgeregt. Anna ahnt nicht das Geringste. Ich glaube, in ihren Gedanken lesen zu können, dass sie lieber direkt ins Restaurant gefahren wäre, statt bei arktischen Temperaturen und zu später Stunde noch ein Monument zu besichtigen. Den ganzen Tag hat Anna mich von Museum zu Museum geschleift, aber angesichts der Minusgrade scheint ihr Wissensdurst ausgerechnet jetzt am Lincoln Memorial gestillt zu sein. Außer uns ist kaum noch ein anderer Besucher zu sehen. Wahrscheinlich findet Anna meine Idee völlig verrückt, hier auf dem Weg zum Dinner noch haltzumachen. Und hätte sie vorher gewusst, dass ich sie nötigen würde, noch Dutzende Stufen zu erklimmen, die zu dem tempelartigen Bau hinaufführen, so hätte sie mit Sicherheit andere Schuhe angezogen. Doch sie lässt sich nichts anmerken. Als wir oben ankommen und an den dorischen Säulen vorbeischreiten, verspüre ich einen Hauch Erleichterung. Denn obwohl die Eiseskälte Annas Beine merklich zittern lässt, zieht die Magie dieses Ortes sie sofort in ihren Bann.

Dunkelheit herrscht in der Ruhmeshalle, nur Abraham Lincoln erscheint in geheimnisvollem Licht. Erschaffen aus weißem Marmor und stolze sechs Meter groß, blickt er von seinem Thron auf uns herab. Gütig, aber auch mit einer gewissen Strenge. «Das ist der wichtigste Moment deines Lebens. Vermassele es jetzt bloß nicht», höre ich Lincoln zu mir sprechen. Mein Puls geht schneller. «Wirklich beeindruckend», sagt Anna im Brustton der Überzeugung. «Aber sollen wir uns das nicht lieber noch mal im Hellen angucken, wenn es etwas wärmer ist? Vielleicht steht unser Taxi ja noch da unten.»

Jetzt habe ich ein ernsthaftes Problem. Soll ich meinen Plan besser verschieben? Oder würde ich dann unter den Augen des größten Präsidenten in der Geschichte der USA wie ein kleiner Drückeberger dastehen? Ich entscheide mich, an meinem Plan festzuhalten – und sofort stehe ich vor dem nächsten Problem. In der Dunkelheit finde ich die Stelle auf dem Boden nicht mehr, in der das Zitat eingemeißelt ist, das als Überleitung zu meiner alles entscheidenden Frage dienen soll. Jetzt marschiert auch noch eine Kleingruppe japanischer Touristen in unsere Richtung, die mit ihrem heiteren Geplapper im Begriff ist, die Intimität des Moments zu zerstören. Nun ist Improvisationstalent gefragt. Behutsam greife ich nach Annas Hand und ziehe sie entschlossen aus der Ruhmeshalle – weg von den japanischen Touristen, weg vom Fluchtweg zum Taxistand, weg vom strengen Mr. Lincoln. Ich führe Anna zur äußeren Säule des Tempels, weit und breit ist niemand mehr in Sicht. Dafür eröffnet sich hier ein atemberaubender Blick auf das Wasserbassin vor dem Lincoln Memorial, den sogenannten Reflecting Pool. Dahinter ragt ein riesiger Obelisk in die Höhe, das Washington Monument. Und in der Ferne erinnert uns die majestätische Kuppel des Kapitols daran, dass wir uns im Herzen der Weltmacht USA befinden.

«Wusstest du, dass dort vorne eine der bedeutendsten Reden in der Geschichte Amerikas gehalten wurde?», frage ich Anna und deute mit der Hand so souverän wie unter diesen Umständen möglich, in die Richtung der Stelle, wo ich die besagte Inschrift im Boden vermute. Anna schaut mich fast regungslos an, vielleicht ist sie schon schockgefroren. «Dort vorne hat Martin Luther King im August 1963 seine berühmte Rede gehalten», fahre ich fort. «Hunderttausende hatten sich hier rund um das Lincoln Memorial versammelt.» Anna scheint resigniert zu haben, ihr Blick wandert nicht mehr in die Richtung des Taxistands. Das ist meine Chance. Jetzt oder nie. «I Have a Dream!, hat Martin Luther King damals gerufen, und auch ich habe einen Traum. Ich träume davon, bis in alle Ewigkeit mit dir zusammen zu sein und eine Familie mit dir zu gründen. Ich träume davon, irgendwann mit dir und unseren Kindern hier in Amerika zu leben.»

Anna legt ihren Kopf an meine Schulter. «Das ist auch mein Traum», sagt sie liebevoll. Mein Herz hüpft. Aber die Tragweite meiner Worte scheint sie irgendwie noch nicht begriffen zu haben. Kein Wunder, in der Aufregung habe ich ganz vergessen, auf die Knie zu gehen und den Ring aus der Manteltasche zu ziehen. Das hole ich jetzt nach und stelle die entscheidende Frage. Sie strahlt und fällt mir in die Arme.

Diesen historischen Moment möchten wir natürlich mit einem Foto festhalten. Doch als wir gerade abdrücken wollen, taucht wie aus dem Nichts plötzlich eine Großfamilie vor unserer Säule auf. Sechs Kinder umschwärmen uns. «Soll ich ein Bild von euch machen?», fragt die Mutter der Kompanie freundlich und pfeift ihre Kinder zurück. Dankbar und überschwänglich drücken wir ihr das Handy in die Hand. Während sie die perfekte Einstellung sucht, erzählt sie, dass sie mit der ganzen Familie aus dem US-Bundesstaat Utah angereist sind, um sich die Hauptstadt anzusehen. Sie seien Mormonen. Dann geht die Frau extra auf die Knie, um das Foto von uns aus dem perfekten Winkel zu schießen.

«Es ist äußerst nett von Ihnen, dass Sie für uns sogar auf die Knie gehen», sage ich. «Ich bin zufällig auch gerade auf die Knie gegangen, um meiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen.» Die Frau aus Utah springt auf und umarmt uns wie eine enge Verwandte. «Herzlichen Glückwunsch! Gott schütze euch! Gott möge euch viele Kinder schenken!»

Und der liebe Gott scheint damals sehr genau zugehört zu haben. Er hat es wirklich gut mit uns gemeint. Inzwischen leben wir in Washington und sind stolze Eltern einer kleinen Tochter. Unser persönlicher amerikanischer Traum erfüllt sich.

 

Und der amerikanische Traum beschäftigt mich weiter, jetzt beruflich. Einer meiner ersten Arbeitstage als Korrespondent im ARD-Studio Washington war der letzte Arbeitstag von Präsident Barack Obama. Kein anderer Politiker hat aus meiner Sicht den amerikanischen Traum so sehr verkörpert wie er. Und jedenfalls den Traum des Bürgerrechtlers Martin Luther King, der gegen die Rassentrennung kämpfte und deshalb ermordet wurde. Der erste schwarze Präsident in der Geschichte der USA war in meiner Wahrnehmung auch der lebende Beweis, dass man in Amerika, selbst aus einfachen Verhältnissen stammend, alles im Leben erreichen kann, wenn man nur hart genug dafür arbeitet. Obama wuchs ohne Vater auf, er studierte Jura und arbeitete sich vom Sozialarbeiter in Chicago zum Senator in Washington hoch. Weil ihm kein Traum zu groß erschien, trat der junge, international noch völlig unbekannte Politiker 2008 bei den Präsidentschaftswahlen an – und triumphierte. Nun ist seine Ära zu Ende. An Obamas letztem Tag als Präsident schaute ganz Amerika ausgerechnet auf «unser» Lincoln Memorial. Dies hatte mit Obamas Nachfolger zu tun. Zu Ehren von Donald Trump wurde hier am Vorabend seiner offiziellen Amtseinführung ein Konzert gegeben.

Als ich Trump vor der Statue Lincolns posieren sah, konnte ich immer noch nicht ganz fassen, dass er der neue Präsident der Vereinigten Staaten sein wird. Denn im Wahlkampf hatte der frühere Unternehmer und Reality-TV-Star so ziemlich das Gegenteil von dem verkörpert, was man von einem großen amerikanischen Staatsmann erwarten würde. Statt die Gesellschaft zu einen, hat er ihre Spaltung vorangetrieben. Statt Hoffnung zu verbreiten, hat er Angst und Wut gesät.

Trump bezeichnete Mexikaner pauschal als «Vergewaltiger», die «Drogen und Verbrechen bringen», und versprach, eine «große, schöne, mächtige Mauer» an der Grenze zum Nachbarland Mexiko hochzuziehen. Barack Obama nannte er einen «Gründer» des sogenannten Islamischen Staates. Den Namen seiner Gegnerin Hillary Clinton verwendete er selten ohne das Adjektiv «betrügerisch». Trump bestritt die Existenz der globalen Erwärmung. Unbequeme Fragen einer Journalistin erklärte der Präsidentschaftskandidat indirekt mit ihrer Menstruation. Doch selbst als kurz vor der Wahl ein Video aus Trumps Zeit als Reality-TV-Star auftauchte, in dem er damit protzte, Frauen nach Belieben zwischen die Beine greifen zu können, ohne Gegenwehr fürchten zu müssen, schadete ihm dies nicht. «Ich könnte auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschießen und würde keine Wähler verlieren.» Mit diesem Satz hatte Trump vermutlich recht. Entgegen vieler Voraussagen von Umfrageforschern und Experten gewann er die Präsidentschaftswahl. Die ganze Welt war überrascht, teilweise schockiert. Was war passiert?

In seiner Siegesrede in der Wahlnacht sagte Trump einen Satz, der mich aufhorchen ließ. «Wir werden den amerikanischen Traum erneuern.» Lag genau hier der Schlüssel zu Trumps Erfolg? Hatten die für ihren Optimismus bekannten Amerikaner den Glauben daran verloren, dass sich der Traum vom eigenen Haus und von einer soliden Ausbildung für die Kinder erfüllt, wenn sie nur hart genug dafür arbeiten? Tatsächlich dachte im Wahljahr mehr als die Hälfte der Amerikaner, dass es ihren Kindern schlechter gehen wird als ihnen selbst. Und vieles deutet darauf hin, dass sozialer Aufstieg in den USA immer schwerer wird. Während die Reichen immer reicher werden, werden die Armen immer ärmer. Die reichsten zehn Prozent besitzen 75 Prozent des Gesamtvermögens. Die Mittelklasse schrumpft. Die Reallöhne sind seit mehr als 20 Jahren nicht gestiegen. Aber inzwischen verdient ein Vorstandsvorsitzender eines mittelgroßen US-Konzerns rund 350-mal so viel wie ein einfacher Angestellter. Rund 50 Millionen Amerikaner leben laut US-Statistikbehörde unter der Armutsgrenze und sind auf Lebensmittelmarken des Staates angewiesen. Warum wird dieser Riss, der durch die amerikanische Gesellschaft geht, immer schneller immer größer? Funktioniert der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär nur noch in Hollywood-Filmen? Warum glauben Millionen von sozial abgehängten Amerikanern, dass ihnen ausgerechnet ein bereits in eine reiche Familie hineingeborener Milliardär aus Manhattan ihren amerikanischen Traum zurückgeben wird? Und wie verändert Donald Trump dieses Land, das wir zu kennen glaubten, aber das uns nun immer fremder wird?

Antworten auf diese Fragen verspreche ich mir nicht gerade von Politikern in der als «Blase» bekannten Hauptstadt Washington. Ich will nicht über die Menschen draußen im Land sprechen, sondern mit ihnen. Brechen wir auf zu einer Reise kreuz und quer durch Amerika. Auf der Route 66 werden wir ein Stück von Mike mitgenommen, dem Mechaniker. Er versucht, die gute alte Zeit zurückzuholen, indem er Oldtimer repariert. Wir werden Joshua und Brook kennenlernen, die am Straßenrand in einer Sozialwohnung leben und dort ihren Sohn großziehen. Wir werden Tom treffen, den Trucker, der fahren muss, bis er tot umfällt. Ihre Geschichten können uns mehr über Amerika verstehen lassen als manche Statistik oder Studie. In West Virginia werden wir die Hillbillys besuchen, die «Hinterwäldler», die im Rest Amerikas oft belächelt werden. Aber in ihren Wäldern, Kohlegruben und Herzen verbirgt sich ein Geheimnis über die Seele Amerikas.

Ich hatte immer geglaubt, der amerikanische Traum bedeute nicht nur das Versprechen von gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten für Amerikaner. In meiner Vorstellung durfte jeder, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe, in den USA sein Glück suchen und finden. So sagt es Lady Liberty, die Freiheitsstatue in New York, in ihrer Inschrift: «Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren. Die bemitleidenswerten Abgelehnten eurer gedrängten Küsten. Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen.» Donald Trump hingegen verkündete ein Einreiseverbot für Menschen aus sechs mehrheitlich muslimischen Ländern. Außerdem unterschrieb er einen Erlass, um den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko vorzubereiten. Damit löste er zwar international eine Welle der Empörung aus, und in einigen Teilen der USA kam es zu Protesten – eine Überraschung sind Trumps Taten allerdings nicht. Der Präsident versucht wohl schlicht, die Versprechen einzulösen, für die er gewählt wurde.

Woher aber stammen all die Angst und die Wut so vieler Amerikaner, die Trump mit seiner Fremdenfeindlichkeit als Sprachrohr und Vertreter ihrer Interessen empfanden? In den schneebedeckten Bergen Montanas suchen wir nach einer Erklärung für den erstarkenden Rechtsextremismus in den USA. Dort erleben wir auch, wie sich der amerikanische Traum für die Familie Han zu einem Albtraum zu verwandeln droht. In der Wüste Arizonas werden wir den Rancher Jim fragen, warum er hofft, dass ausgerechnet auf seinem Grundstück die Mauer zu Mexiko errichtet wird. Und wir werden dort den aus Mexiko stammenden Sheriff fragen, wie er über die Mauer denkt. Was die neue Abschottungspolitik für die Wirtschaftsmacht USA und für ihre Innovationskraft bedeutet, erleben wir im Silicon Valley. Und wie gespalten das Land zwischen unbedingtem Fortschrittsglauben und dem Wunsch nach einer Rückkehr in vergangene Zeiten ist, können wir in Las Vegas beobachten. In Texas sind wir dabei, wenn kleine Jungen mutig auf Bullen reiten, ihre Eltern aber Angst vor der Welt jenseits des Zaunes ihrer Ranch haben. Abends im Fernsehen läuft ausschließlich der politisch rechtslastige Sender Fox News. Ob die Medien zur Spaltung des Landes beigetragen haben, wollen wir im Presseraum des Weißen Hauses herausfinden. In Washington drängt sich auch die Frage auf, ob Donald Trump einen Psychiater braucht. Sein großes Vorbild Richard Nixon ließ immerhin gezielt verbreiten, er sei verrückt geworden. Wer in Amerika krank wird, steckt schnell in finanziellen Schwierigkeiten. Denn Millionen US-Bürger sind nicht, oder unzureichend versichert. In Kentucky erfahren wir, woran das System krankt.

Außerdem machen wir uns auf den weiten Weg nach Alaska. Denn Donald Trump hat den Klimawandel als «Erfindung der Chinesen» bezeichnet. Auf einem riesigen Gletscher treffen wir den Wissenschaftler Eran Hood. Er weist nach, wie schnell das Eis schmilzt und erklärt uns, warum er sich durch Präsident Trump in seiner Arbeit bedroht sieht. In Alaska begegnen wir auch dem Inupiat-Eskimo Esau Sinnok. Er nimmt uns mit auf seine Insel, die wegen des Klimawandels nach und nach im Meer versinkt. Vielleicht verrät er uns auch, ob er trotzdem noch Hoffnung hat für sich selbst und für Amerika. Ich freue mich, dass sie mich begleiten, auf der Suche nach dem verlorenen Traum.

Die Straße der geplatzten Träume

Unterwegs auf der Route 66

Die Route 66 ist viel mehr als eine Straße. Wer auf ihr unterwegs ist, sucht den amerikanischen Traum von grenzenloser Freiheit. Und die Route 66 ist der zu Asphalt gewordene Glaube, dass jeder einen Neuanfang schaffen kann, selbst wenn das Schicksal ihn hart getroffen hat. Begründet wurde dieser Mythos schon während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Verheerende Staubstürme suchten Teile der «Great Plains» (Großen Ebenen) östlich der Rocky Mountains heim und verwandelten große Gebiete, die von der Landwirtschaft lebten, in «Dust Bowls» («Staubschüsseln»). Dürren zwangen Hunderttausende Farmer und ihre Familien, sich auf den Weg ins westliche Kalifornien zu machen, um dort nach fruchtbarem Land zu suchen. Die Route 66 war die Straße, auf der sie dem Neuanfang entgegenfuhren. Der Schriftsteller John Steinbeck hat die Geschichte dieser Farmer in seinem Roman «Früchte des Zorns» erzählt und beschrieb die Route 66 als «Mutter aller Straßen.» Selbst als die einfache, oft kurvenreiche Landstraße ab Mitte der 1950er Jahre nach und nach durch die moderne Autobahn Interstate 40 ersetzt wurde, bestand der Mythos fort.

Aber existiert der amerikanische Traum auch heute noch in den Menschen, die am Rande der Route 66 leben? Das möchte ich in Arizona herausfinden. Hier liegt der längste verbliebene Originalabschnitt der Route 66. Schon nach kurzer Zeit entdecke ich im Vorbeifahren direkt neben der Straße einen Ort, der uns viel über Amerika verrät. Auf einem umzäunten Platz steht ein Oldtimer neben dem nächsten. Unzählige Autos aus einer goldenen, aber längst vergangenen Zeit.

Ich klopfe an die Tür einer Werkstatt in der Mitte des Platzes und trete einfach ein. Etwas verdutzt schaut mich ein Mann mit Igelhaarschnitt und leicht ergrautem Vollbart an. Er trägt ein langärmliges T-Shirt mit Superman-Logo auf der Brust und stellt sich mir als Mike O’Neal, Mechaniker, vor. Für einen Mann, der täglich harte körperliche Arbeit verrichtet, ist er relativ schmächtig. Mike schleift gerade an einem Wagen, von dem nur noch die Karosserie aus Stahl und Holzteilen übrig ist. Es ist ein Ford V8. In so einem Wagen sei das legendäre Gangsterpaar Bonnie und Clyde auf der Flucht gewesen, erklärt mir Mike. Hiermit habe er noch einige Monate Arbeit vor sich. Aber er verleihe selbst der ältesten Rostlaube neuen Glanz. Zum Beweis führt mich Mike stolz zu seinem aktuellen Meisterwerk, einem rosafarbenen Cadillac. «Das ist genau das Modell, das Elvis Presley seiner Mutter geschenkt hat.» Der Cadillac ist von atemberaubender Schönheit. Ich frage Mike, ob ich den Wagen anfassen darf. Er lächelt und nickt, ich lasse die Finger meiner rechten Hand über die formvollendete Heckflosse gleiten.

Mike restauriert nicht einfach Autos, er hat seine Lebensaufgabe gefunden. «Manchmal haben die Besitzer Tränen in den Augen, wenn sie ihr restauriertes Auto abholen», verrät Mike. «Sie haben dann das Gefühl, die gute alte Zeit lebe wieder auf.» Dieser guten alten Zeit trauert Mike hinterher. Doch ausgerechnet jetzt will ihm die Rückreise in diese Zeit nicht so recht gelingen. Als er mich in einem weißen Chevrolet Deluxe aus dem Jahr 1949 auf eine Probefahrt mitnehmen will, springt der Motor nicht an. Qualm dringt aus dem Armaturenbrett in den Innenraum. Mike wird nervös, immer wieder drückt er auf den Startknopf. Seine ölverschmierten Hände weisen Verformungen auf, als sei ihm schon mehrfach schweres Werkzeug ausgerutscht. Immerhin hört es schnell auf zu qualmen. «Das war wohl nur Staub auf dem Radio, der sich erhitzt hat», meint Mike. Er öffnet die Motorhaube, schleppt einen Benzinkanister herbei und füttert den Tank. Dann betätigt er wieder den Startknopf. «Komm schon, Baby», beschwört er den Chevrolet heiser. Seine Stimme klingt etwas ungeölt – wie die eines Mannes, der kaum spricht, während er sein Tagewerk vollbringt. Endlich springt der Motor an, es war tatsächlich nur der Tank leer gewesen.

Jetzt nimmt Mike mich mit, auf seine Route 66. Hier wagte er mit Anfang 50 einen Neuanfang, als er vor einigen Jahren in Nevada seine Arbeit als Mechaniker verlor. «Unsere Jobs wanderten nach China. Aber auch hier muss ich wieder kämpfen, um überhaupt Arbeit zu haben», sagt Mike, während er behutsam die Geschwindigkeit des Chevrolets steigert. Die tief stehende Sonne taucht die Straße in goldenes Licht. Ich frage ihn nach seinem persönlichen amerikanischen Traum. «Einfach gut zu leben und voranzukommen. Das ist mein amerikanischer Traum. Doch für teure Hobbys wie Oldtimer haben viele Leute kein Geld mehr. Unser Land ist insgesamt in keiner guten Verfassung. Das muss repariert werden», sagt Mike. Der richtige Mann für diese Reparatur sei Donald Trump. Als Geschäftsmann wisse der schließlich genau, wie man die Wirtschaft wieder in Schwung bringe. Besonders gefällt Mike das Versprechen Trumps, dafür zu sorgen, dass in den USA wieder mehr produziert werde. «Wir haben viel zu lange japanische Autos gekauft und dabei verlernt, selbst gute Autos zu bauen. Das muss sich ändern.» Der Chevrolet, in dem wir auf der Route 66 unterwegs sind, sei das perfekte Beispiel für die großen Leistungen, zu denen die amerikanische Autoindustrie einst imstande war. «Donald Trump wird diese Zeit zurückbringen», da ist sich Mike sicher. Als Mike den Chevrolet wieder langsam in die Werkstatt rollt, entdecke ich eine kleine braune Puppe, die kopfüber von der Decke hängt. «Ist das eine Voodoo-Puppe?», frage ich. «Nein, das ist Obama.»

 

Arizona ist bekannt für seine Wüsten. Erst mit der Verbreitung von Klimaanlagen in den 1960er Jahren siedelten sich viele Amerikaner hier an. Heute hat Arizona knapp sieben Millionen Einwohner und ist einer der am schnellsten wachsenden US-Bundesstaaten. Politisch ist Arizona so rot wie der Grand Canyon. Rot ist die Farbe der Republikanischen Partei, die hier bei Präsidentschaftswahlen seit Jahrzehnten fast immer das Rennen macht. Ich fahre nach Flagstaff, einer demokratischen Enklave und Trutzburg. Viele Liberale leben in dem bunten Universitätsstädtchen. Flagstaff verdankt seinen Namen Siedlern, die nach Westen zogen und hier anhielten, um den Unabhängigkeitstag der Vereinigten Staaten zu feiern. Die Siedler wollten die amerikanische Flagge hissen, doch es fehlte ein Mast. Also köpften sie einen Baum und befestigten daran die Flagge. So sagt es zumindest die Legende.

Als Bierliebhaber fällt mir sofort das Schild einer Brauerei ins Auge, die «Motherroad» heißt und ein Auto in ihr Emblem aufgenommen hat. Der Geruch von Malz liegt in der Luft. Ein Arbeiter in Gummistiefeln klettert eine Leiter empor und macht sich an einem der meterhohen Kessel zu schaffen. Auch hier ist man trotz meines unangekündigten Besuchs sofort sehr gastfreundlich. Eine junge Frau mit modischem Kurzhaarschnitt und auffälligen türkisfarbenen Ohrringen stellt sich als die Chefin vor. Alissa Marquess stammt aus der Gegend. Was es ihr bedeute, direkt an der Route 66 aufgewachsen zu sein? «Für mich bedeutet die Route 66 Heimat. Sie ist ein Sinnbild der Möglichkeiten, der Reise und des Abenteuers.»

Das Abenteuer Brauerei hat sie vor fünf Jahren mit ihrem Mann Michael gestartet. Alissa hat eigentlich Tanz und Kunst studiert. Michael war Unternehmensberater, doch irgendwann sah er keinen Sinn mehr in seinem Job. Heute braut das Ehepaar nicht nur mit Leidenschaft, sondern auch mit Erfolg. 650000 Liter Motherroad produzieren sie pro Jahr. Die Nachfrage ist so groß, dass sie die Kapazität verfünffachen wollen. Die sogenannten Craft-Biere boomen in den USA. In den letzten zehn Jahren sind landesweit rund 3000 Minibrauereien entstanden. Motherroad sucht den Wettbewerb und soll irgendwann nicht nur in Arizona vertrieben werden, sondern entlang der gesamten Route 66 fließen – von Chicago in Illinois bis Santa Monica in Kalifornien. Neun verschiedene Sorten sind schon jetzt im Sortiment, darunter ein Schwarzbier namens «Lost Highway» und sogar ein Kölsch-Style-Ale. Alissa zwingt mich förmlich, einen Schluck zu probieren, und will wissen, ob ihr Kölsch mit dem in Deutschland mithalten kann. Es kann.

Alissa lebt ihren Traum, da muss sie keine Sekunde überlegen. Drei Kinder mit einem eigenen Unternehmen ernähren zu können, das ihr und ihrem Mann jeden Tag Freude bereite, sei ein unbeschreibliches Glück. Sie glaubt, dass der amerikanische Traum auch allgemein noch lebt. «Allerdings kämpft unsere Gesellschaft gerade mit viel Rassismus. Das darf den amerikanischen Traum aber nicht zerstören, sondern muss uns reifen lassen. Wir brauchen endlich eine große Debatte darüber, was für eine Gesellschaft wir sein wollen.» Alissa missfällt, dass es in der Politik keine kultivierte Streitkultur mehr gebe und das Land nach außen hin gespalten erscheine. Man müsse sich wenigstens einigen können, sich nicht einig zu sein. Das gehe übrigens am besten bei einem Bier.

Auf Donald Trump angesprochen, wird Alissa etwas vage. «Als Unternehmer leben wir in einer Grauzone. Manchmal vertreten wir eher konservative Politik, zum Beispiel wünschen wir uns weniger Regulierung. Als Kleinbetrieb ernähren wir schließlich 14 Familien. Privat hingegen vertreten wir eher liberale Ansichten.» In dem kleinen Schankraum, der direkt neben den Braukesseln liegt, spricht sie nur sehr ungern über Politik. Sie erzählt mir lieber die Geschichte der Theke, die aus dem Holz eines Waldes am Rande der Route 66 geschreinert worden sei. Der Schreiner setze auf «Nachhaltigkeit». In diesem Teil Amerikas hört man das Wort «Nachhaltigkeit» nicht allzu oft, deshalb lasse ich mir von Alissa den Namen und die Adresse des Schreiners geben.

 

Draußen vor den Toren von Flagstaff führt ein langer Schotterweg zu Silas Page. Umgeben von Wäldern, hat er auf einer großen Freifläche ein kleines Sägewerk aus dem Boden gestampft. Silas bedient gerade die Hebel einer Maschine, die mit unerschütterlicher Präzision die Rinde von einem Baum schält. Dabei trägt er eine dunkle Schutzbrille, die seine Augen vor den umherwirbelnden Sägespänen schützt. Die Maschine ist so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Als der Baum skalpiert ist und die Säge endlich schweigt, erzählt mir Silas seine Geschichte. Direkt nach dem Biologiestudium war ihm klar, dass er seine Philosophie von Nachhaltigkeit am besten als Selbständiger umsetzen kann. «Ich verwende vor allem Holz, das sonst weggeworfen worden wäre. Zum Beispiel Bäume aus Wäldern, die für den Straßenbau abgeholzt wurden oder aus Aufforstung stammen», erklärt Silas, der trotz beträchtlicher Kälte nur ein Holzfällerhemd trägt. «Außerdem verkaufe ich meine Produkte nur in der Umgebung. Das spart Transportkosten und ist gut für die Umwelt.»

Leben und arbeiten im Einklang mit der Natur – Silas hat seinen persönlichen Lebenstraum verwirklicht. Und auch Amerika insgesamt sieht er noch auf dem richtigen Weg. «Ich denke, der amerikanische Traum lebt immer noch. Er hat sich vielleicht schleichend verändert, denn man muss ein bisschen härter arbeiten, um den Traum zu realisieren. Und heute braucht man dafür Bildung, während Amerika früher eher eine von Produktion geprägte Gesellschaft war.» Die größte Sorge mache ihm der Umgang Amerikas mit der Natur. «Wir vergessen manchmal, dass auch zukünftige Generationen noch hier leben wollen», sagt Silas.

Während ich ihm zuhöre, kann ich mir nicht verkneifen, aus dem Augenwinkel seine Finger zu zählen. Denn als kleines Kind war ich begeistert von der Schauergeschichte eines Großonkels, der als Schreiner bei der Anfertigung eines Bücherregals einen Daumen verloren hatte. Silas allerdings hat nicht nur das Wohl der nachfolgenden Generationen fest im Blick, sondern auch seine eigenen Hände.

 

Auf der Weiterfahrt bemerke ich direkt am Straßenrand ein riesiges, rechteckiges Schild mit der roten Aufschrift «66 Motel». Ich erinnere mich, dass ich einen