Bank-Geheimnis - Nils Petersen - E-Book

Bank-Geheimnis E-Book

Nils Petersen

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Beschreibung

Nach dem vielbeachteten Ende seiner Laufbahn legt Nils Petersen seine Geschichte vor, die über eine reine Autobiografie hinausgeht. Es geht um Werte, Sichtweisen und Gedanken eines stets reflektierten Bundesliga-Fußballers, der als bester Joker der Historie die Schuhe an den Nagel hängt. Im Buch beschreibt Nils Petersen den Prozess seiner persönlichen Reifung zum Profi, sein privates Umfeld und wie er damit umgeht, Vorbild zu sein. Seine Karriere ist ein Beispiel für Leidenschaft, harte Arbeit, Geduld und Durchhaltevermögen. Dabei gewährt er seltene Einblicke hinter die Kulissen. Er erzählt intelligent, charmant-witzig und wunderbar selbstironisch über seinen sportlichen Werdegang und das Privileg, Profifußballer zu sein. »Bank-Geheimnis« ist das bewegende Selbstporträt eines bemerkenswerten Sportlers und Menschen, ein »Dankeschön« an alle, die ihn begleitet haben, und ein absolutes Must-Have für alle Fußballfans. Besonders für jene, die ihm auf seinen Stationen in Ost und West begegnet sind, zumal in Freiburg, wo er als »Fußballgott« Kultstatus erlangte. Mit vielen Farbfotos aus seiner aktiven Fußballerzeit.

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf

Umschlagfoto: Uwe Köhn, Halle (Saale)

Satz: dtp studio eckart | Jörg Eckart

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-03438-1

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83181-2

Mein Dank gilt allen, die mir den Weg in eine erfüllte Karriere als Leistungssportler bereitet und mich in 16 Jahren Profifußball geprägt und begleitet haben.

Taktische Aufstellung

Warm-up

Prolog

[1]–[34]

Spiel des Lebens –frei von taktischen Zwängen

[1] Kinder, wie die Zeit vergeht

[2] Auf die Plätze, fertig, los …

[3] Zwei Nummern zu groß

[4] (K)ein Leben lang Grün-Weiß

[5] Liebe auf den zweiten Blick

[6] Endgültige Ankunft

[7] Volksheld wider Willen

[8] Medialer Grand Slam

[9] Technik, die begeistert

[10] Risiken und Nebenwirkungen

[11] Vorbild auf Knopfdruck

[12] Wahl-Wessi mit Ost-Genen

[13] 11 Freunde müsst ihr sein

[14] Geld regiert die Welt

[15] Phänomen Freiburg

[16] Erwartbare Enttäuschung

[17] Prüfungsstress

[18] Finalstolz trotz Titelphobie

[19] Family & Friends

[20] Kollegialer Wettstreit

[21] Ohne Fleiß kein Preis

[22] Bank-Geheimnis

[23] Extrawurst

[24] Ballungszentrum 2018

[25] Menschliche Züge

[26] Die Freude ist ganz beiderseits

[27] Verzichtserklärung

[28] Branchenkumpels

[29] Bilaterale Beziehungen

[30] Botengänge

[31] Demut und Dankbarkeit

[32] Hobbykeller

[33] Finale furioso

[34] Zurück in die Zukunft

Epilog

Anhang

Abgerechnet wird zum Schluss: Qualen in Zahlen

Schriftführer

Bildnachweis

Warm-up

„Interessante Selbstgespräche setzen einen klugen Partner voraus.“ Dieses Zitat stammt wohl vom britischen Autor H. G. Wells. Das habe ich nachgeschlagen und nicht etwa gewusst. Nun bin ich weit davon entfernt, mich für sonderlich klug zu halten. Spätestens seit meinem vielzitierten Focus-Interview vom Dezember 2017 mit Spiegel-Reflex wurde mir die selbstkritische These der Verblödung permanent unter die Nase gerieben. Dennoch wähle ich zum Abschied von der deutschen Fußballbühne die Gattung des Selbstgesprächs zum Reflektieren meiner 16-jährigen Laufbahn als Profi und Privilegierter – nicht zuletzt deswegen, weil so niemand in meine rückblickenden Überlegungen hineingrätschen oder widersprechen kann. Es ist meine Sicht der Dinge, die ich hier vorlege: subjektiv, differenziert und so authentisch wie möglich. Gedanken-Lesen im wahrsten Sinne des Wortes also.

1 Bye bye Bundesliga. Es war mir eine Ehre.

Prolog

Dem Fußball verdanke ich alles, was ich bin und habe. Deshalb beende ich meine aktive Laufbahn in kurzen Hosen mit einem weinenden Auge und der Ungewissheit, wie sich das Leben ohne Rasen, Training, Mannschaft und Spielplan anfühlt, aber auch nicht frei von Sorgen um die „schönste Nebensache der Welt“ mit ihren vielen Begleiterscheinungen und stetigen Entwicklungen. Denn in der scheinbar glamourösen Welt des Fußballs ist längst nicht alles Gold, was glänzt.

Nach dem emotionalen Abschied vom Freiburger Publikum und dem wehmütigen von den Stadien Deutschlands sage ich dem Bundesliga-Parkett, vor allem aber allen Wegbereitern und -begleiterinnen auf diesem Weg: DANKE! – eben in Buchform, was sonst nur deutlich Prominentere tun, und im Wissen darum, dass ich nicht annähernd so viele Titel, Triumphe und Tore vorzuweisen habe wie berühmtere Hobby-Autoren aus der Branche vor mir. Folglich geht es gewiss nicht um Selbstbeweihräucherung, eine Aufzählung von Einsätzen oder Statistiken als vielmehr um das Bedürfnis, nachfolgenden Generationen junger Talente, aber auch Fans und Verantwortlichen etwas zu hinterlassen: Gedanken eines scheidenden Profis eben.

In der Rückschau komme ich nicht umhin, zunächst von Beginn an chronologisch meinen fußballerischen Werdegang grob nachzuzeichnen, nicht weil dies sonderlich interessant wäre. Aber gerade die unterschiedlichen, nicht immer amüsanten Erfahrungen der ersten Jahre wurden zum Fundament für alles, worauf ich meine Karriere aufbauen konnte – durchaus nicht nur unter sportlichen Aspekten, sondern auch Bezug nehmend auf das, was mich in den vergangenen 16 Jahren hat reifen und bestehen lassen: die Entwicklung meiner Auffassung von Professionalität, mein Verhältnis zu den Menschen um mich herum, in den Teams und Vereinen, die Herausbildung mir wichtiger Werte in diesem Business: All dies soll im Folgenden zu Wort kommen. Jede Station, jeder Kurzeinsatz, jedes zu überwindende Hindernis haben mich dorthin geführt, wo ich jetzt zufrieden und stolz ein Fazit ziehen kann, und von alldem möchte ich nichts missen. Ohne Wernigerode kein München, ohne Jena kein Cottbus, ohne Bremen kein Rio de Janeiro, ohne Freiburg kein privates Glück. Der skizzierte Werdegang ist demnach Teil meiner Selbstvergewisserung, weil ich nie vergessen darf, woher ich komme und wo meine Wurzeln liegen.

Ich bedanke mich bei ausnahmslos allen Mit- und Gegenspielern, Trainern, Betreuern, Ärzten, Physiotherapeuten, Vereinsverantwortlichen und -mitarbeiterinnen, Fans, Sympathisanten, Freunden sowie vor allem bei meiner Frau und meiner Familie, die mich auf meinem Weg durch 16 Jahre Profifußball mit seinen Höhen und Tiefen begleitet und geprägt haben. Ihr Vertrauen und ihr Zuspruch waren stets die Basis, um einerseits Widrigkeiten und Zweifel zu überwinden, anderseits mich als Persönlichkeit zu entwickeln – und Tore zu schießen.

[1]–[34]

Spiel des Lebens –frei von taktischen Zwängen

[1] Kinder, vergeht wie die Zeit

Die Erinnerungen an den Beginn meiner immer noch anhaltenden Fußballbegeisterung sind arg verschwommen, sozusagen in Kinderschuhe eingezwängt. So blieb mir keine andere Wahl für die Rekonstruktion der Anfänge, als Zeitzeugen zu interviewen, idealerweise meinen Ballsport besessenen Papa Andreas. „Sag mal, wie war das eigentlich damals?“ Mir hätte ein kurzer Abriss allemal genügt zur Vervollständigung der Geschehnisse. Doch ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht und hätte es eigentlich besser wissen müssen. Denn prägnant-gebündelte Zusammenfassungen in wenigen Sätzen sind nicht die Stärke meines kommunikativen Vaters. Erstaunlich, welch scheinbar unerhebliche Details er noch immer aus der Hüfte schießt mit dem damit verbundenen Redeschwall, vermutlich dezent gefärbt mit Tendenz ins Rosarot. Sicherheitshalber habe ich auch die Gegenprobe gemacht – bei meiner Mutter Sabine. Aber siehe da: Sie hat die etwas ausufernde Version meines Vaters zumindest inhaltlich bestätigt.

2 Kindheitstraum. 20 Jahre später ging er in Erfüllung.

Demnach entwickelte sich meine Begeisterung für den Fußball an einem einzigen Tag, gewissermaßen von Null auf Hundert. Es fand die Weltmeisterschaft 1994 in den USA statt, ich war zarte fünfeinhalb Jahre alt und maulte noch am Vormittag irgendwas von „Fußball nervt!“ wegen der TV-Dauerberieselung in jenem Frühsommer. Am Abend dann durfte ich das Viertelfinalspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Bulgarien live am Bildschirm mitverfolgen. Ich hätte zwar lieber die „Olsenbande“ gesehen, aber Hauptsache länger aufbleiben als sonst. Doch plötzlich rollten die Tränen, Tränen der Wut und des Mitleids. Natürlich war ich für Schwarz-Rot-Gold und fand das Ausscheiden aus dem Turnier total blöd – schließlich waren wir amtierender Weltmeister. Ausgerechnet der kleine Thomas Häßler musste ins Kopfballduell gegen den 2:1-Siegtorschützen Yordan Letchkov, und der nicht viel größere Bundestrainer Berti Vogts wurde ob der Schmach von den TV-Reportern ordentlich gemaßregelt. Unfair! Am liebsten hätte ich die Verlierer persönlich getröstet, vermutlich erste Anzeichen von Gerechtigkeitssinn – schon damals.

3 Früh übt sich, wer Drecksarbeit verrichten will (beim Adidas-Cup 1996).

Von diesem Zeitpunkt an wollte ich jedenfalls auch Fußball spielen. Der Job meines älteren Herrn als Trainer beim SV Südharz Walkenried war für den Startschuss in Töppen wie gemalt. Ich konnte ihn oft begleiten, ein bisschen bolzen und die ersten Schritte unter Aufsicht machen. Bald fuhr ich zu jedem Training mit, eine Stunde quer durch den Höhenzug in Mitteldeutschland. Nicht selten war ich als ABC-Schütze erst nach 21 Uhr aus Niedersachsen zurück und somit nicht gerade altersgerecht im Bett. Aber ohne Fußball ging nun halt gar nichts mehr. Ich schnürte für meinen Heimatort Wernigerode die Schuhe, wurde dann von Germania Halberstadt aufgespürt. Noch immer nannte mich mein Vater „Dicker“, was nicht gerade an einen drahtigen Jungen denken lässt. Wo das Tor steht, habe ich jedoch ziemlich schnell entdeckt, ebenso den Teamgedanken. Nicht selten wunderten sich meine Eltern, dass ich bei Punktspielen auch mal draußen saß und meinen Mitspielern die Daumen drückte, obwohl mein Talent dem Vernehmen nach etwas größer war als das mancher Gleichaltriger. Aber die anderen Jungs wollten halt auch kicken, was ich absolut nachvollziehen konnte, weshalb ich auch schon mal zugunsten eines eher grobmotorischen Kumpels verzichtete.

Jedenfalls drehte sich fortan nahezu alles Außerschulische um das runde Leder. Da meine Eltern nicht immer die Fahrdienste übernehmen konnten und auch meine ältere Schwester Norma zum Fußballtraining musste – sie war übrigens besser als ich und mein großes Vorbild –, übernahmen Thomas Waldow und Uwe Gabler oft die Fahrerei. Noch heute bin ich meinen damaligen C-Jugend-Trainern dankbar, denn ohne sie wäre meine Leidenschaft wegen fehlender Trainingseinheiten nebst dem dort Erlernten womöglich beizeiten abgeebbt.

Im Dezember geboren, war ich in allen Nachwuchsteams zwangsläufig stets einer der Jüngsten, was in Altersgruppen mit plötzlichen Wachstumsschüben eine durchaus nicht unerhebliche Rolle spielt. Also musste ich bald lernen, mich gegen Größere und Robustere zu behaupten. Das machte sich bezahlt, spätestens als 15-Jähriger und inzwischen nicht mehr ganz so molliger Bengel. Noch immer war mein Vater Coach beim SV Südharz und fragte seine Mannschaft, ob er denn seinen Sohn mittrainieren lassen dürfe. „Nur, wenn er auch wirklich alles mitmacht und sich nicht die Rosinen rauspickt und vor dem Tor auf Zuspiele wartet“, lautete die Rückmeldung der Oberliga-Männer. Vielleicht hatte ich mir das nicht sonderlich gut überlegt, denn als Vertreter der alten Schule war mein Erzeuger ein ziemlich harter Hund mit hoch hängenden Fitness-Trauben und den gefürchteten Medizinbällen als treue Begleiter. Die vielen Läufe haben mir aber letztlich ebenso wenig geschadet wie den erwachsenen Leidensgenossen, und so durfte ich 2004 als Frischling wegen Personalmangels sogar bei einem Hallenturnier im benachbarten Thale mitwirken. Dort befand sich Heiko Weber unter den Zuschauern, der damalige Trainer des FC Carl Zeiss Jena. Sein geschultes Auge erkannte bei mir scheinbar irgendein Potential, von dem ich selbst gar nichts ahnte. Er legte den Nachwuchsverantwortlichen in Thüringen nahe, mich sofort auf die Sportschule zu holen. Magdeburg und Halle hatten zuvor keine Verwendung für einen Kicker aus Wernigerode in Sachsen-Anhalt, Jena schon. Das historisch tatsächlich so benannte „Paradies“ als jahrzehntelang titelträchtiges Schwergewicht des Ostfußballs war eine gute Adresse und zugleich eine Auszeichnung für mich. Ein offenbar unfallfreies Probetraining bei den dortigen B-Junioren und akzeptable Schulnoten sorgten dafür, dass ich 2005 plötzlich im Internat des Sportgymnasiums landete. Zu alldem war ich sozusagen wie die Jungfrau zum Kind gekommen, denn strategisch geplant oder gar angestrebt war dieser Weg zuvor keineswegs.

Weil sich die Leistungen fortan vermutlich recht ordentlich entwickelten, nominierte mich Frank Engel als DFB-Trainer 2007 sogar für die U19-Nationalmannschaft. Diese Auswahlehre wäre dann beinahe frühzeitig beendet worden. Denn als die A-Junioren des FC Carl Zeiss Jena zum Entscheidungsspiel um den Aufstieg in die Bundesliga gegen den 1. FC Magdeburg antraten, wurde ich händeringend gebeten, für den Verein aufzulaufen und nicht für die deutsche Equipe. Zwischen den Stühlen sitzt es sich mitunter recht unbequem, aber meine Mitschüler im Stich zu lassen, brachte ich nicht übers Herz. Weil mit einer Berufung ins Nationalteam wiederum nicht beliebig zu verfahren war, sondern Abstellpflicht herrschte, meldete mich der FCC beim DFB als verletzt. Dumm nur, dass ich dann beim 5:1-Sieg über Magdeburg zum Aufstieg in die höchste Spielklasse vier Tore beisteuerte und dies den Verantwortlichen in Frankfurt am Main naturgemäß nicht verborgen blieb. Sie fühlten sich zurecht an der Nase herumgeführt und luden mich nicht mehr ein – bis zu einem klärenden Gespräch, das sich eher zufällig am Rande der Saisoneröffnung 2007/08 in Jena mit den anwesenden DFB-Trainern ergab. Glück gehabt. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal.

Plötzlich war ich mittendrin in der wohl schönsten Zeit des Sportlerlebens – Internat halt. Keine elterlichen Vorschriften, Überwachungen oder Appelle, die Hausaufgaben zu machen, einfach nur ganztägiger Schwerpunkt Fußball mit Gleichgesinnten, ein bisschen wie Studentenleben, nur mit Rasenplatz statt Hörsaal.

4 Der Schüler Petersen im Jenaer Sportinternat. Die Internatszeit gehörte zu den schönsten und unbeschwertesten meiner aktiven Laufbahn.

Und was heute beinahe unvorstellbar zu sein scheint: kein Fernseher im Zimmer, ohne Computer oder internetfähiges Handy. Ablenkungsfreiheit, für die ich rückblickend sogar dankbar bin. Als ich dann an einem freien Wochenende als einziger Sportschüler in Jena blieb, statt nach Hause zu fahren, kam ein Anruf vom Jenaer Profiteam. Wer denn noch da sei, denn für ein wettkampfnahes Spiel 11 gegen 11 würden Nachwuchsjungs gebraucht. Die Angst vor dem ersten Training bei den gestandenen Männern war um einiges größer als meine Lust auf die sportliche Herausforderung. Ich hielt mich auch nicht ansatzweise für geeignet, da oben mitmischen zu können. Offenbar stellte ich mich dann aber nicht allzu ungeschickt an und durfte fortan als 17-Jähriger regelmäßig ungerade Zahlen auffüllen, also einspringen, wenn Not am Mann war. Bereit für höhere Aufgaben fühlte ich mich dadurch jedoch noch längst nicht. Einmal geriet mein Auftritt im Abschlusstraining vermutlich unterbewusst dermaßen unterirdisch, dass mich der Chef, anders als ursprünglich geplant, aus dem Spieltagskader der Profis strich. Das kam mir gelegen, denn die 2. Mannschaft des FC Carl Zeiss kickte an diesem Wochenende gegen die Mannschaft meines Vaters, worauf ich naturgemäß deutlich mehr Lust hatte als auf die ungemütliche Ersatzbank einige Ligen darüber. Doch gab es immerhin 200 Euro Monatshonorar für mich in der 2. Bundesliga, ein stattliches Taschengeld für einen Teenager. In der Euphorie der ersten Zweitliga-Einwechslungen hatte ich mir sogar einen Vier-Jahres-Vertrag mit 900 Euro netto plus Zivildienstkohle aufschwatzen lassen und dachte damals tatsächlich, damit der reichste Mann Thüringens zu sein.

Da bei einigermaßen vielversprechenden Talenten dieses Alters viele Leute sehr genau zu wissen glauben, was gut für einen ist und entsprechende Empfehlungen abgeben, wurde wegen des Interesses des 1. FC Köln und des drohenden Jenaer Abstiegs aus der 2. Bundesliga Ende der Saison 2007/08 mein Wechsel von der Saale an den Rhein in Angriff genommen. Gespräche mit dem damaligen FC-Manager Michael Meier hatten bereits stattgefunden, meine Bude in Jena war gekündigt und eine neue Bleibe in Köln gefunden. Für die damalige Premieren-Saison der 3. Liga 2008/09 besaß ich nämlich keinen gültigen Vertrag mehr im Paradies – das wurde mir jedenfalls so erklärt. Nach Ansicht der Jenaer Club-Verantwortlichen und leider auch des Amtsgerichts lagen die Dinge jedoch ein wenig anders, so dass ich weiter beim FCC für neun Hunderter im Monat die Schuhe schnürte – statt für einiges mehr in Köln. Zu allem Überfluss musste ich auch noch das Geld für drei Monatsmieten Kaution für die nicht genutzte Wohnung am Rhein zusammenkratzen. Der Rat meines Umfelds stellte sich also am Ende als ziemlich teuer für mich heraus. Zum Zuge kam ich in Jena unter drei Trainern in wenigen Monaten jedoch nur noch sporadisch. Wenig begeistert waren auch die Carl Zeiss-Fans, spätestens nachdem mich die Bild-Zeitung nach den bekannt gewordenen Wechselambitionen nach Köln als „Söldner, Schmarotzer, Stinker“ betitelt hatte. Das ändert aber nichts daran, dass die Jahre in Jena zu den schönsten meiner Karriere gehörten – auch wegen meiner ersten Liebe.

[2] Auf fertig, die los Plätze, …

Es war einmal 2007. Der VfB Stuttgart wurde Deutscher Meister, Schalke 04 und Werder Bremen zogen in die Champions League ein und der 1. FC Nürnberg holte den DFB-Pokal. Das klingt wie ein Märchen aus längst vergangener Zeit, als lägen zwischen damals und heute mehrere Generationen. Mitnichten, es sind gerade erst 16 Jahre vergangen, also exakt die Zeitspanne seit meinen ersten Schritten im deutschen Profifußball bis zum nunmehrigen Abschied von der Bundesliga-Bühne.

Inzwischen kaum noch vorstellbar, spielte mein Ausbildungs-Verein FC Carl Zeiss Jena tatsächlich in der 2. Bundesliga. Gar nicht so schlecht, als Aufsteiger hielt die Truppe zunächst locker die Klasse und ermöglichte jungen Kerlen wie mir, erste Sporen zu verdienen. Natürlich werde ich meinen ersten Einsatz nie vergessen, auch wenn er nur einige Sekunden dauerte. Der Klassiker für eingewechselte Stürmer – in der 89. Minute. Am 4. Februar 2007, wenige Wochen nach meinem 18. Geburtstag, hoffte Trainer Heiko Weber wohl auf einen Lucky Punch der jugendlichen Unbekümmertheit, als Carl Zeiss vor 42.000 Zuschauern beim 1. FC Köln mit 0:1 zurücklag. Es blieb eine Verzweiflungstat. Ergo startete ich mit einer Niederlage und ohne ernstzunehmenden Ballkontakt in den bezahlten Männerfußball, es war dennoch ein unvergessliches Erlebnis – und der Grundstein für alles, was seitdem folgte.

Reibungslos und wie im Bilderbuch verlief die weitere Laufbahn dann keineswegs. Die nächste Saison 2007/08 bescherte mir immerhin 20 Einsätze mit Jena in der 2. Bundesliga mit vier Toren, den Premierentreffer gleich zum Auftakt im Spiel gegen Alemannia Aachen. Während unser Team in dieser Spielzeit in der Meisterschaft nichts auf die Reihe bekam und in Summe als Tabellenletzter abstieg, erlebte ich eine erste Lektion in Sachen Männerfußball am eigenen Leib hautnah: Der Pokal hat seine eigenen Gesetze! Im Elfmeterschießen setzte sich der FC Carl Zeiss gegen den 1. FC Nürnberg durch, kegelte danach Arminia Bielefeld nach Verlängerung aus dem Wettbewerb und sorgte dann schließlich für einen Husarenstreich im Viertelfinale: Beim amtierenden Deutschen Meister VfB Stuttgart um Thomas Hitzlsperger, Yıldıray Baştürk und den überragenden Mario Gómez in seinen jungen Jahren durfte ich wenige Wochen nach meinem 19. Geburtstag 120 Minuten um mein Leben rennen. Dann drückte ich im Mittelkreis beim Elfmeterschießen erfolgreich die Daumen – 5:4 für Jena, eine Sensation! Das folgende Halbfinale bescherte uns als Zweitligisten dann stolze 80.000 Zuschauer im Dortmunder Westfalenstadion und eine glatte 0:3-Niederlage, wieder durfte ich in der Startelf ran. Prägende Erlebnisse mit bleibenden Eindrücken und der Gewissheit: Im Fußball ist alles möglich. Naja, fast alles.

5 Aller Anfang ist schwer. Auch mit dem FC Carl Zeiss Jena beim torlosen Remis gegen Dynamo Dresden.

Es schlossen sich allerdings zwei beinahe komplette Kalenderjahre ohne persönliches Erfolgserlebnis an. Das hatte ich bis dato gar nicht mehr auf dem Schirm und wohl verdrängt. Aber tatsächlich: 2008 und 2009 verzeichnet meine fußballerische Vita nur ein Punktspieltor für die Profis (erst am letzten Spieltag vor der Winterpause 2009/10 durfte ich wieder jubeln – aber das fiel eher dezent aus, es war nämlich der Treffer zum 0:4-Endstand kurz vor Schluss im Cottbus-Trikot gegen Rot Weiss Ahlen). Für einen Angreifer, der über Tore abgerechnet und beurteilt wird, war die Jahresbilanz schlicht eine Vollkatastrophe. In der Rückrunde 2007/08 ging ich komplett leer aus und stieg als Tabellenletzter mit Jena ab, in der 3. Liga 2008/09 standen in Halbserie eins nur fünf Startelfeinsätze und 13 Einwechslungen unter drei verschiedenen Trainern zu Buche. Ohne eigenen Treffer, wie gesagt.

Der Lockruf aus Cottbus kam in der Winterpause deshalb ebenso überraschend wie gerade recht. Was folgte war eine echte Nacht-und-Nebel-Aktion: Der FC Energie als Flaggschiff des Ostens spielte immerhin in der Bundesliga, Manager Steffen Heidrich sah scheinbar in mir als gerade 20 Jahre alt gewordenem Jüngling eine lohnende Investition in die Zukunft und überwies dem Vernehmen nach 250.000 Euro an den FCC. Gerüchten zufolge brauchte Cottbus dringend einen deutschen Spieler, zwölf mussten damals laut Statut zwingend zum Profikader gehören, „Local Player-Regelung“ nannte sich das. Noch bevor ich einen Euro verdient hatte, raste ich mit 170 km / h in einen Blitzer auf dem Weg zum Medizincheck in der Lausitz (und war danach für einen Monat Fußgänger ohne Fahrerlaubnis), hechelte zurück nach Hause und musste mir noch vor Abreise ins Trainingslager bei Takko ein schwarzes Poloshirt kaufen – um einheitlich gekleidet in den Flieger steigen zu können. Unterwegs achtete ich zwischen all den neuen Mitspielern peinlich genau darauf, dass niemand meinen Last-Minute-Erwerb vom Wühltisch allzu akribisch in Augenschein nahm. Abfällige Kommentare noch vor dem ersten gemeinsamen Training wollte ich unbedingt vermeiden. Das Kennenlernen des neuen Teams war durch die Einzelzimmer-Belegung auf Zypern auch kein Selbstläufer, zur Kummer-Bekämpfung musste ich mir vor Ort am Kiosk erstmal eine Packung Zigaretten besorgen. Die reichte dann knapp für die Woche.

Die ersten Wochen nach Rückkehr aus dem Trainingslager in einem Hotel der fremden Stadt waren ebenso gewöhnungsbedürftig. Weil ich nur ein Tageslimit Kohle abheben konnte und die Ausgaben für Provision und Kaution der ins Auge gefassten City-Wohnung ziemlich üppig waren, stocherte ich mir regelmäßig Kleingeld für den abendlichen Subway-Besuch aus dem Porzellansparschwein. Mittags gab‘s gern mal Aufgetautes aus dem Tiefkühlregal, das bis zur zweiten Trainingseinheit eher schwer im Magen lag. Meine Ernährung war damals genauso unprofessionell wie die bis zum letzten Glockenschlag ausgedehnten Heimfahrten. Lieber raste ich morgens um fünf Uhr mit zwei Schokomuffins in Jena los, um in Cottbus rechtzeitig zum Vormittagstraining zu erscheinen, als einen weiteren Abend im Hotel abzuhängen. Zwar war ich als Fernfahrer in bester Gesellschaft, weil auch Leistungsträger wie Keeper Gerhard Tremmel und Igor Mitreski mit Wohnsitz in Berlin gern schon mal vier Stunden täglich auf der Autobahn verbrachten; aber mich mit den alten Recken zu vergleichen, verbot sich von selbst.

Die Eingewöhnungsphase mit Lerneffekt kam mir mit zeitlicher Verzögerung durchaus zugute. Auch das Training des Vielvölkeraufgebots half, vom Talent zum Profi zu reifen. Nicht selten standen wir täglich zweimal zwei Stunden partiell untätig auf dem Rasen herum, um dem generalverdächtigen Taktikfanatiker Bojan Prašnikar aus Slowenien mit dem unstillbaren Cola-Durst bei seinen mehrsprachigen Anweisungen am Reißbrett zu folgen. Und wenn dann doch mal wettkampfnah geübt wurde, war ich in Zweikämpfen als schmächtiger Hungerhaken gegen gestandene Bulldozer wie Vragel da Silva oder Mariusz Kukiełka eher Opfer als Täter.

Es ehrte mich zwar, dass mich der Energie-Manager nach vier Zweitliga-Toren zu Höherem berufen sah. Dieser Meinung war er aber offenbar allein, denn Bojan Prašnikar konnte im knallharten Abstiegskampf der Elite-Liga mit mir herzlich wenig anfangen. Dass er sich meinen Namen nicht merken konnte und mich konsequent Jens nannte, machte es nicht wesentlich besser. Am vorletzten Spieltag 2008/09 gehörte ich überhaupt erstmals zum 18-köpfigen Kader, am 34. und letzten durfte ich dann endlich erstmals Bundesliga-Luft schnuppern: geschlagene sechs Minuten eingewechselt gegen Bayer Leverkusen, als die Partie nach drei Toren des überragenden Ervin Skela längst für uns entschieden war (3:0) – und Cottbus in die Relegation durfte im Kampf um den Klassenerhalt. Obwohl mit Dimitar Rangelov und Ivica Iliev die beiden bis dato besten Cottbuser Offensivspieler ausgerechnet in den beiden Entscheidungsspielen angeschlagen fehlten, sah ich mir das Heimspiel-Desaster gegen den Zweitligisten 1. FC Nürnberg 90 Minuten von der Bank aus an. 0:3 endete diese Farce, 0:2 aus Cottbuser Sicht das Rückspiel. Immerhin war ich auf dem Spielfeld live dabei, als sich Energie Cottbus nach der vermutlich langweiligsten Relegation seit Einführung damals aus der Bundesliga verabschiedete. Für den Verein und die Lausitz eine Tragödie, für mich angesichts des notwendigen Neuanfangs in Liga zwei ein Segen.

5.000 Fans sorgten nur wenige Wochen nach dem Abstieg aus der höchsten Spielklasse beim Trainingsauftakt für ungeahnte Euphorie. Der Kader wurde runderneuert, ein radikaler Umbruch erfolgte mit namhaften, jungen Neuzugängen wie Marc-André Kruska und Markus Brzenska. Neue Chance, neues Glück – auch für mich, dachte ich jedenfalls. Denn zum gesetzten Stürmer Emil Jula wurde kurz vor Saisonstart noch sein rumänischer Landsmann Sergiu Radu verpflichtet, eine Institution in Cottbus aufgrund früherer Heldentaten und demzufolge mit Bonus am Start. Léonard Kweuke gab es auch noch im Konkurrenzreigen, ein Kerl mit Oberschenkeln wie Baumstämme. Und wenn keiner von uns den charismatischen Coach Claus-Dieter „Pelé“ Wollitz restlos überzeugte, stellte er eben Dribbelkönig Stiven Rivić in die vorderste Spitze. Am 17. Spieltag erzielte ich als Einwechselspieler gegen Rot Weiss Ahlen immerhin meinen ersten Treffer für Energie Cottbus (zum 0:4-Endstand); als Belohnung lautete die Transfermarkt-Statistik in den darauffolgenden drei Partien: Ohne Einsatz im Kader.

Der Knoten platzte zu Jahresbeginn 2010. Cottbus lag gegen TuS Koblenz im heimischen Stadion der Freundschaft zur Pause 0:1 zurück. Der völlig frustrierte Pelé Wollitz hatte sich in der Halbzeitansprache Gerüchten zufolge schon fast vom Team verabschiedet und brachte mich eine knappe halbe Stunde vor Schluss links im offensiven Mittefeld auf eher ungewohnter Position – als letzte Patrone sozusagen. Wenig später gelang mir der Treffer zum 1:1-Endstand, und Pelé versicherte mir anschließend sinngemäß: Du spielst die nächsten fünf Begegnungen von Anfang an, egal was passiert. Vorschusslorbeeren, die ich als Vertrauen verstand und rechtfertigen konnte. Es folgten weitere acht Saisontreffer und ein Stammplatz im Team, der mich in der Folgesaison 2010/11 zum Torschützenkönig der 2. Bundesliga beförderte. Denn plötzlich gelang mir fast