Bauernopfer - Brigitte Pons - E-Book
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Bauernopfer E-Book

Brigitte Pons

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Beschreibung

Auftakt der spannenden Regionalkrimi-Reihe mit Frank Liebknecht!

Vielbrunn im Odenwald. Auf einem Feld wird die Leiche eines Bauern gefunden. Die Behörden gehen von einem tragischen Unfall aus. Doch der junge Polizist vor Ort, Frank Liebknecht, recherchiert auf eigene Faust und stößt schnell auf Ungereimtheiten: In dem einsamen Gehöft, das der Bauer angeblich allein bewohnte, findet er Hinweise auf die Anwesenheit einer Frau. Niemand im Dorf weiß etwas über sie. Franks Überzeugung wächst: Er muss die geheimnisvolle Fremde finden! Immer tiefer verstrickt er sich in den Fall - und gerät in einen Mahlstrom aus Verrat, Mord und fanatischer Verblendung ...

Dieser Krimi ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Celeste bedeutet Himmelblau" erschienen.

"Ein gelungener Serienauftakt mit viel Spannung, einem tollen Plot und einem sympathischen Polizisten. Ich bin absolut überzeugt und freu mich bereits auf den nächsten Teil." (Knorki, Lesejury)

Frank Liebknecht ermittelt weiter:

Kurz-Krimi (zwischen Band 1 und 2): Lärmfeuer.

Band 2: Raubjagd.

Band 3: Rachekreuz.

Band 4: Totengesang.

Band 5: Lügenpfad.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.


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Inhalt

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Samstag, 16. Juli, Borntal, 11:45 Uhr

Samstag, 16. Juli, Frankfurt, 13:55 Uhr

Samstag, 16. Juli, Borntal, 14:15 Uhr

Samstag, 16. Juli, Frankfurt, 16:25 Uhr

Samstag, 16. Juli, Vielbrunn, 19:40 Uhr

Sonntag, 17. Juli, Vielbrunn, 9:25 Uhr

Sonntag, 17. Juli, Frankfurt, 9:25 Uhr

Sonntag, 17. Juli, Borntal, 11:20 Uhr

Sonntag, 17. Juli, Vielbrunn, 19:05 Uhr

Montag, 18. Juli, Vielbrunn, 10:15 Uhr

Montag, 18. Juli, Frankfurt, 10:20 Uhr

Montag, 18. Juli, Vielbrunn, 18:55 Uhr

Montag, 18. Juli, Frankfurt, 21:05 Uhr

Dienstag, 19. Juli, Vielbrunn, 10:30 Uhr

Dienstag, 19. Juli, Frankfurt, 11:55 Uhr

Dienstag, 19. Juli, Vielbrunn, 15:50 Uhr

Mittwoch, 20. Juli, Vielbrunn, 7:45 Uhr

Mittwoch, 20. Juli, Frankfurt, 10:30 Uhr

Mittwoch, 20. Juli, Vielbrunn, 10:45 Uhr

Mittwoch, 20. Juli, Vielbrunn, 18:55 Uhr

Donnerstag, 21. Juli, Leibenstadt, 15:45 Uhr

Donnerstag, 21. Juli, Frankfurt, 16:15 Uhr

Donnerstag, 21. Juli, Vielbrunn, 19:15 Uhr

Donnerstag, 21. Juli, Borntal, 22:55 Uhr

Freitag, 22. Juli, Erbach, 9:30 Uhr

Freitag, 22. Juli, Vielbrunn, 11:30 Uhr

Samstag, 23. Juli, Paderborn, 9:40 Uhr

Samstag, 23. Juli, Frankfurt, 9:50 Uhr

Samstag, 23. Juli, Paderborn, 10:00 Uhr

Samstag, 23. Juli, Frankfurt, 11:00 Uhr

Samstag, 23. Juli, Paderborn, 11:15 Uhr

Samstag, 23. Juli, Vielbrunn, 13:55 Uhr

Samstag, 23. Juli, Paderborn, 14:30 Uhr

Sonntag, 24. Juli, Vielbrunn, 10:30 Uhr

Sonntag, 24. Juli, Frankfurt, 15:00 Uhr

Sonntag, 24. Juli, Vielbrunn, 18:00 Uhr

Sonntag, 24. Juli, Frankfurt, 22:00 Uhr

Montag, 25. Juli, Vielbrunn, 9:30 Uhr

Montag, 25. Juli, Frankfurt, 10:00 Uhr

Montag, 25. Juli, Vielbrunn, 10:30 Uhr

Montag, 25. Juli, Frankfurt, 14:55 Uhr

Montag, 25. Juli, Frankfurt, 16:00 Uhr

Montag, 25. Juli, unterwegs, 16:05 Uhr

Montag, 25. Juli, Borntal, 17:15 Uhr

Montag, 25. Juli, Vielbrunn, 18:25 Uhr

Montag, 25. Juli, Borntal, 19:40 Uhr

Montag, 25. Juli, Borntal, 19:55 Uhr

Dienstag, 26. Juli, Vielbrunn, 0:10 Uhr

März 1984, Zug 705, Valparaiso – Santiago de Chile, 18:35 Uhr

Dienstag, 26. Juli, irgendwo, 4:25 Uhr

Dienstag, 26. Juli, Borntal, 7:25 Uhr

Mittwoch, 27. Juli, Paderborn, 15:00 Uhr

Freitag, 29. Juli, Wiesbaden, 16:55 Uhr

Freitag, 29. Juli, Michelstadt, 23:00 Uhr

Samstag, 30. Juli, Marbachstausee, 14:00 Uhr

Freitag, 30. September, Vielbrunn, 16:30 Uhr

Nachwort der Autorin, Erläuterungen und Dank

Quellen und weiterführende Links

Weitere Titel der Autorin

Frank Liebknecht ermittelt im Odenwald:

Lärmfeuer (Kurz-Krimi zwischen Band 1 und 2)

Raubjagd (Band 2)

Rachekreuz (Band 3)

Totengesang (Band 4)

Band 5 in Planung.

Über dieses Buch

Auftakt der spannenden Regionalkrimi-Reihe mit Frank Liebknecht!

Vielbrunn im Odenwald. Auf einem Feld wird die Leiche eines Bauern gefunden. Die Behörden gehen von einem tragischen Unfall aus. Doch der junge neue Polizist vor Ort, Frank Liebknecht, recherchiert auf eigene Faust und stößt schnell auf Ungereimtheiten: In dem einsamen Gehöft, das der Bauer angeblich allein bewohnte, findet er Hinweise auf die Anwesenheit einer Frau. Niemand im Dorf weiß etwas über sie. Franks Überzeugung wächst: Er muss die geheimnisvolle Fremde finden! Immer tiefer verstrickt er sich in den Fall – und gerät in einen Mahlstrom aus Verrat, Mord und fanatischer Verblendung …

Dieser Krimi ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel »Celeste bedeutet Himmelblau« erschienen.

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.

Über die Autorin

Brigitte Pons schreibt Romane und Kurzgeschichten und ist Mitglied der »Mörderischen Schwestern«. Bei beTHRILLED sind bislang vier Regionalkrimis sowie eine Kurzgeschichte mit dem sympathischen Polizisten Frank Liebknecht erschienen, der in Vielbrunn im Odenwald ermittelt. Ein weiterer Band ist in Planung. Als Isabella Esteban veröffentlicht die Autorin Barcelona-Krimis bei Bastei Lübbe (Band 1: »Mord in Barcelona«).

Brigitte Pons ist verheiratet, Mutter von zwei erwachsenen Kindern und lebt in der Nähe von Frankfurt am Main.

Brigitte Pons

BAUERNOPFER

Frank Liebknechts erster Fall

Ein Odenwald-Krimi

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der Originalausgabe: »Celeste bedeutet Himmelblau«

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur EDITIO DIALOG, Dr. Michael Wenzel

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Redaktion: Lisa Kuppler

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock/evannovostro, © LeicherOliver/Shutterstock, © wedninth/Shutterstock, © Evgenii Emelianov/Shutterstock

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7325-8262-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Kein Vogel sang, kein Auto war zu hören, nicht einmal ein entferntes Flugzeug erfüllte die Luft mit leisem Motorengeräusch. Vielleicht lag es nur am geschlossenen Fenster, dass die Welt in einer Lautlosigkeit verharrte, die friedlich hätte wirken können, aber ganz im Gegenteil in diesem Augenblick etwas ungemein Beängstigendes mit sich brachte.

Wieder einmal fragte sie sich, wann sie den Mann zuletzt gesehen hatte, der hinausgegangen war, hinter die Mauer, auf die Straße, die am Grundstück vorbei- und nach einer lang gezogenen Rechtskurve weiter ins nächste Dorf führte.

Sie öffnete den Wasserhahn, der, begleitet von einem dünnen braunen Rinnsal, nur ein tiefes Röcheln ausstieß, ehe die Rohre in ein dumpfes Vibrieren verfielen, das sich durchs ganze Haus zog und den Fußboden erzittern ließ. Eine Weile erfreute sie sich an den Lauten und der Bewegung, gab sich ihrer tröstlichen Gesellschaft hin. Sie legte die Hand an das pulsierende Wasserrohr, strich beinahe zärtlich darüber, drehte dann den Hahn zu und ging hinaus auf den Flur.

Voll Unbehagen zog sie den Kopf zwischen die Schultern, als ihr Blick die Kellertreppe streifte und weiter zu der Leiter glitt, die aus einem viereckigen Loch in der Decke ragte. Lange war die Klappe geschlossen gehalten worden, und die Stange mit dem Haken, mit dessen Hilfe sie sich öffnen ließ, hatte im Wandschrank gestanden.

Jedes Mal, wenn sie nach oben kletterte, beschlich sie dieses eigentümliche Gefühl, sie könnte nie wieder hinuntersteigen und wäre gezwungen, oben zu bleiben für alle Zeit, oder würde ganz verschwinden, ohne ein Zeichen zu hinterlassen, dass es sie je gegeben hatte. Dennoch spürte sie den Drang immer wieder, vermochte sich ihm nicht zu entziehen, sosehr sie es auch wünschte.

Das Atmen fiel ihr schwer in der aufgeheizten Luft des Dachbodens, zwischen Erinnerungen, die sie nicht fassen konnte, und verhüllten Möbelstücken, die wie Spukgestalten halb lebendig, halb tot nach ihr zu greifen schienen.

Sonnenschein tropfte wie flüssiger Honig durch das kleine Fenster mit dem verrosteten Metallbügel, das zwischen zwei Sparren klemmte und sich nicht mehr öffnen ließ. Filigrane Staubpartikel tanzten im einfallenden Licht einen stummen Reigen, bald hinauf zur Glasscheibe, dann abwärts zu den hölzernen Dielen. In den Spinnweben am Fenstergriff baumelten Fliegen, wehrlos gefangen, tot wie die einstige Jägerin, die mit eingerollten Beinen noch am eigenen Faden neben ihnen hing.

Ein muffiger Geruch schlich sich aus den alten Schränken, in denen die Vergangenheit eingelagert darauf wartete, wiederauferstehen zu dürfen.

In einem sinnlosen Anflug von Mitgefühl zerriss sie das Netz, befreite die längst vertrockneten Kreaturen und weinte tränenlos um das vergeudete Dasein.

Rückwärts bewegte sie sich in Richtung der Leiter, stieß den Stuhl um, von dem eine Staubwolke emporstob, berührte dabei versehentlich den Rest des Seils, das vergessen bleiben sollte. Sie hastete die Stiege hinab, rannte blindlings ins Freie, keuchend und getrieben von dem Gefühl, das einzige lebende Wesen zu sein. Überall umgaben sie nur Sterben und Stille, der Atem verflossener Jahre, des Todes und des Verfalls.

Begierig sog sie die frische Luft in ihre Lungen und hustete den Nachgeschmack des Dachbodens aus sich heraus. Endlich, als der Anfall vorüber war, vernahm sie ein tiefes, zunächst leises, dann lauter werdendes Brummen, das jäh verstummte, als ein grün schillernder Käfer auf ihrem Arm landete. Federleicht berührte er ihre Haut und reckte die Fühler zur Sonne. Der unerwartete Kontakt mit diesem lebendigen Geschöpf löste ihre lähmenden Fesseln.

Sie drehte dem Haus den Rücken zu, ließ die Finger durch die Blätter der Hecken gleiten und trat durch das Tor auf die Straße. Ein Falter erhob sich taumelnd aus einem Gebüsch, und sie folgte seinem Weg, der sie immer weiter fort führte.

Samstag, 16. Juli, Borntal, 11:45 Uhr

– Frank Liebknecht –

Die feuchte Erde verstopfte schon nach wenigen Metern das Profil seiner Schuhe. Zwischen den blühenden Kartoffelpflanzen hindurch bahnte Frank Liebknecht sich einen Weg quer über den Acker den Hügel hinauf. Sein Fahrrad lag hinter ihm im Straßengraben. Bei jedem Schritt klatschte ihm das tropfende Kraut gegen die nackten Waden, und er fragte sich, warum er nicht auch das letzte Stück um den Acker herumgefahren war. Am Feldrand hätte er bequem über die Obstwiese laufen können. Dafür war es jetzt zu spät. Er schob die Sonnenbrille zurecht und wappnete sich innerlich gegen Brunhildes unvermeidlichen taxierenden Blick. Sie musste kein Wort sagen, damit er sich unbeholfen vorkam. Das Hochziehen ihrer Augenbrauen genügte. Dann würde sie vermutlich lächeln, freundlich und ein wenig mitleidig, und dabei den silbergrauen Schopf zur Seite neigen. Er atmete tief durch. Mit den Fingern der linken Hand simulierte er ein paar fetzige Gitarrenriffs zur Beruhigung.

Im Schatten eines Apfelbaums erkannte er Brunhilde, die auf einen Mann einredete. Unmittelbar daneben stand der Streifenwagen. Seine Kollegin hatte keinen Umweg gemacht und keinen Kompromiss und war bis auf wenige Meter herangefahren. Irgendwie hatte die Frau es echt drauf. Frank ließ den letzten Akkord in seinem Kopf ausklingen und schob sich die braunen Locken hinter die Ohren. Von optischer Seriosität war er dennoch meilenweit entfernt.

»Gut, dass du da bist«, empfing ihn Brunhilde Schreiner und sah tatsächlich erleichtert aus. Ihre Augenbrauen bewegten sich nicht. »Das ist Herr Wörner. Er hat mich angerufen.«

Die funktionale Trekkingbekleidung wies Wörner als Profi im Gelände aus, für alle Fälle gerüstet.

»Und das ist mein Kollege Frank Liebknecht.«

»Vielen Dank, dass Sie uns sofort informiert haben.« Frank streckte Wörner die Hand entgegen und sparte sich eine Erklärung für seinen Aufzug. Es war Samstagmittag; dass er gerade nicht im Dienst gewesen war, als Brunhilde ihn zum Einsatz beordert hatte, konnte man sich denken.

»Frau Wörner habe ich in den Streifenwagen gesetzt. Sie ist ein bisschen mitgenommen.« Brunhilde deutete über ihre Schulter, während Wörner Franks Hand kräftig schüttelte. In seinen Augen lag keine Spur von Unbehagen. Offensichtlich brachte ihn nicht einmal der Fund einer Leiche aus der Fassung.

»Mein GPS hat mir gesagt, dass wir hier abkürzen können – wir waren auf dem Weg nach Laudenbach und dann wollten wir an den Main. Tja, und da lag er.«

Frank drehte sich um und folgte dem ausgestreckten Arm mit den Augen. Unweit der Stelle, an der er selbst durch den Kartoffelacker gestapft war, sah er eine unförmige Erhebung zwischen den Furchen, die ihm zuvor nicht aufgefallen war. Fragend schaute er Brunhilde an. »Bist du sicher, dass er tot ist?«

»Mehr als sicher.«

»Da waren schon Viecher dran. Die haben ihn angefressen«, erklärte Wörner unbeeindruckt.

»Doktor Kreiling ist unterwegs, um den Tod offiziell festzustellen.« Brunhilde bedeutete Frank mit Handzeichen, sich selbst ein Bild zu machen.

Doch er blieb neben ihr stehen und schaute hinüber zum Wagen, in dem zusammengesunken Wörners Frau kauerte.

»Zu reanimieren braucht Kreiling den Mann jedenfalls nicht mehr«, fuhr Brunhilde fort. »Herr Wörner, Sie dürfen sich jetzt gerne um Ihre Gattin kümmern. Sie kann Ihren Beistand bestimmt ganz gut brauchen. Sobald es ihr besser geht, können Sie weiterziehen. Ihre Aussage und die Adresse habe ich ja.«

Unschlüssig betrachtete Frank die abgeknickten Kartoffelpflanzen, dann hob er langsam den Zeigefinger. »Moment noch, Herr Wörner. Haben Sie eine Ahnung, wer der Mann ist?«

»Ich? Woher sollte ich den denn kennen? Wir sind ja nicht von hier. Kommen nur manchmal zum Wandern in die Gegend.«

»Haben Sie den Toten angefasst?«

»Nein!« Jetzt klang Wörner zum ersten Mal entsetzt. »Ich fasse doch keine Leiche an.«

»Das heißt, Sie haben ihn genau so gefunden, wie er jetzt daliegt, und nichts verändert?«

Wörner zögerte und schob den Unterkiefer vor und zurück. »Na ja, ich habe nur so mit dem Stock …« Er pikte mit einem seiner Teleskopstöcke in Richtung Boden. »Geschubst habe ich ihn, ob er sich noch bewegt. Und dann umgedreht, auf den Rücken. Vorher hat er auf der Seite gelegen, also halb auf dem Bauch. Aber sonst habe ich nichts gemacht.«

Frank schnaubte verärgert. Nichts gemacht. Nur einmal um den Toten herumgetanzt, mit seinen dicken Wanderstiefeln. Und die Lage der Leiche verändert. Damit gab es dann wohl keine Originalspuren mehr, auf die er Rücksicht zu nehmen brauchte.

»Ich musste doch nachsehen, was los ist«, verteidigte sich Wörner.

»Schon in Ordnung.« Brunhilde beschwichtigte ihn freundlich. »Der Mensch hat es ja nicht täglich mit Toten zu tun, nicht wahr? Das ist gar kein Problem. Aber vielleicht bleiben Sie dann doch besser noch einen Moment. Falls meinem Kollegen noch mehr Fragen einfallen.«

Kein Problem. Na klar. Gar kein Problem! Wenn der Kerl nicht mit einem eindeutigen Herzinfarkt zusammengeklappt war, sondern Doktor Kreiling nur den geringsten Zweifel an einem natürlichen Tod äußerte, dann wimmelte es hier in Kürze nur so von Kommissaren der Kriminalpolizei und Mitarbeitern der Spurensicherung aus der Stadt. Und die Landeier hatten mal wieder ganze Arbeit geleistet beim Vernichten von Beweismaterial. Für Brunhilde war das kein Problem. Die stand da lässig drüber, mit einem Schulterzucken. Keine Aufregung wert, die Angelegenheit. Die Kriminalkommissare kamen und gingen auch wieder, so sah sie das Ganze. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Nur er schwitzte schon jetzt bei der Vorstellung. Matuschewski würde dabei sein. Und bei seinem Glück auch Neidhard.

»Danke, aber im Augenblick habe ich keine Fragen mehr an Sie, Herr Wörner. Den Toten schau ich mir gleich an. Aber zuerst sehe ich mal nach Ihrer Frau.« Die Aussage eines zweiten Zeugen konnte möglicherweise aufschlussreicher sein, vor allem, wenn er nicht durch den danebenstehenden Ehepartner beeinflusst wurde. Frank joggte die paar Schritte zum Streifenwagen.

»Frau Wörner?«

Die Angesprochene nickte, ihre Unterlippe zitterte, und sie tupfte sich verlegen die Augenwinkel.

Frank stellte sich vor und setzte sich neben sie in der offenen Autotür auf die Trittleiste. »Sie waren dabei, als Ihr Mann die Leiche entdeckte?«

Frau Wörner schluchzte auf, brachte aber kein Wort heraus.

»Und Sie haben sie auch angesehen?«

Frank konnte ein schwaches Nicken erahnen.

»Ich weiß, das ist schwer für Sie, aber es ist wichtig, dass Sie genau überlegen. Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen an dem Toten oder in der direkten Umgebung?« Geduldig wartete Frank, bis sie sich einigermaßen unter Kontrolle hatte. »Jede Kleinigkeit kann von Bedeutung sein.«

»Die Augen«, wisperte sie. »Es war so schrecklich, als mein Mann ihn umgedreht hat. Wie er sich bewegt hat, fast lebendig, aber doch irgendwie eher so wie eine Gummipuppe. Und dann habe ich in die Augen gesehen. Und dann nichts mehr. Ich bin weggerannt und habe …« Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und rang verzweifelt nach Atem.

Frank konnte riechen, dass sie sich übergeben hatte.

»Es ist vorbei«, versuchte er sie zu trösten. »Sie müssen das nie wieder sehen. Ich schicke Ihnen Ihren Mann, und dann«, er kramte im Handschuhfach und fand eine Tüte Pfefferminzbonbons, »dann lutschen Sie eines hiervon. Das beruhigt.«

Aufmunternd nickte er ihr zu, ehe er sie allein ließ und sich dem Toten näherte.

Langsam ging Frank neben dem Leichnam in die Hocke. Die Kleidung des Mannes war alt und abgetragen, aber vollständig. Gezielt atmete Frank dreimal in die Körpermitte, ehe er den Toten einer genaueren Betrachtung unterzog. Vielleicht hätte er sich vorher auch ein Pfefferminz gönnen sollen.

Die Augen. Er verstand nun, was Frau Wörner so aus der Fassung gebracht hatte. Sie waren nicht mehr da. Fraßspuren entstellten das ganze Gesicht. Nicht gerade das, was man auf nüchternen Magen sehen wollte. Eine Identifikation durch bloße Betrachtung war somit ausgeschlossen. Auch der Bauch des Mannes wies auf der linken Seite eine große Wunde auf. Unwillkürlich sog Frank die Luft durch die Zähne.

Brunhilde war hinter ihn getreten und schaute ihm über die Schulter. »Alles okay mit dir?«

»Ja. Ja klar.« Er wippte auf den Zehenspitzen auf und ab und federte dann nach oben. »Ist nicht meine erste Leiche. Was machen wir mit Herrn Wörner?«

»Gar nichts, der ist sich selbst Programm genug und genießt die Show.«

Auf Brunhildes Anweisung war Wörner unter dem Apfelbaum stehen geblieben. Von dort aus beobachtete er sie neugierig. Er machte weiterhin keine Anstalten, sich um seine Frau zu kümmern.

»Ich habe vorhin schon mal in die Taschen des Toten geguckt. Ausweis hat er keinen bei sich, aber einen Schlüsselbund. Der kann uns sicher noch weiterhelfen. Jetzt sichern wir zuerst mal den Fundort und sperren weiträumig ab. Komm mit.« Brunhilde holte ihr Handy hervor und ging gemächlich Richtung Wagen. »Auch wenn Kreiling beleidigt sein wird, schätze ich, dass wir nicht mehr auf sein Urteil warten müssen und die Erbacher Kripo gleich anrufen können. Das ist zumindest ein Unfalltod.«

Widerwillig stimmte Frank ihr zu. Es nutzte nichts, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Immerhin hatte er noch mit einem kleinen Trumpf aufzuwarten. »Mach das. Ich habe zwar keine Ahnung was passiert ist, aber ich denke, ich weiß, wer unser Toter ist.«

Innerhalb der nächsten halben Stunde trafen nacheinander Doktor Kreiling und eine Handvoll missmutiger Kollegen aus der Kriminalinspektion Odenwald ein, deren Wochenendplanung sich gerade erledigt hatte. Obwohl der Juli viel zu feucht und zu kühl war, nutzte fast jeder das Wochenende zum Grillen und vertrieb sich die bundesligafreie Zeit mit den Spielen der Frauenfußballweltmeisterschaft. Frank hatte zwischenzeitlich den Fundort markiert und dann sein Fahrrad geholt, das nun an einem Baum lehnte. Er stand daneben, als ob es ihm Deckung geben könnte sowie eine Rechtfertigung für seinen Aufzug. Seht her, ich hatte auch frei, genau wie ihr. Obwohl es sich bei dem Rad um ein offizielles Dienstfahrzeug handelte. Beamter des besonderen Bezirksdienstes in der Anlernphase. Der Schutzmann an der Ecke, der Dorfschupo. Das war in den Augen der anderen wahrscheinlich schon lächerlich genug. Warum zum Teufel hatte er im Halbschlaf ausgerechnet die Bermudas mit den hawaiianischen Blumen greifen müssen, um zum Leichenfund auszurücken?

Brunhilde spürte seine Anspannung und boxte ihm aufmunternd gegen die Schulter, während die Ermittler aus ihren Autos kletterten. »Jetzt entspann dich doch. Wir überlassen denen die Drecksarbeit, dann sind sie glücklich. Jedem das, was er verdient. Wir zwei Hübschen sollten uns nicht mit halb verwesten Leichen rumärgern müssen.«

Als höherrangige und dienstältere Beamtin begrüßte sie die Kollegen und übernahm die Kommunikation, während Frank zunächst Herrn Wörner beaufsichtigte, damit dieser niemandem in die Quere kam oder sich ungefragt einmischte.

Doktor Kreiling machte ein saures Gesicht und schnauzte Frank stellvertretend für alle anderen an, als er mit dem Toten fertig war. »Wenn die sowieso mit dem ganz großen Zirkus anreisen, hätten sie auch gleich einen Rechtsmediziner mitbringen können. Wozu braucht ihr dann noch einen alten Mann wie mich?«

Frank verkniff sich die zustimmenden Worte, die ihm auf der Zunge lagen. Noch einer, der lieber sein Verdauungsschläfchen nach dem Mittagessen gehalten hätte, als sich um eine Leiche zu kümmern. Kreiling sollte ohnehin schon längst nicht mehr praktizieren. Alles, was über eine deutlich hörbare Erkältung hinausging, konnte der kurzsichtige Arzt nicht mehr diagnostizieren, geschweige denn behandeln. Aber für viele seiner Patienten war er die einzige Anlaufstelle und der Weg in die nächste Stadt mit dem Bus einfach zu weit. Darum machte Kreiling weiter und erfreute sich großer Beliebtheit.

»Konnten wir doch vorher nicht wissen, Herr Doktor, was da draus wird«, entschuldigte Frank sich halbherzig.

Mühsam schaukelnd setzte Kreiling seinen Weg hangabwärts über die unebene Streuobstwiese fort. Fehlte nur noch, dass der jetzt in eines der tausend Karnickellöcher trat und sich den Fuß verknackste.

Frank fluchte leise und folgte ihm. Mit ein paar schnellen Schritten hatte er Kreiling eingeholt. »Warten Sie, lassen Sie mich die nehmen.« Er griff sich die schwere, altertümliche Arzttasche. »Ich begleite Sie zum Wagen. Und danke noch mal, dass Sie gekommen sind.«

Besorgt verfolgte Frank kurz darauf das Wendemanöver des PS-starken BMW. Aber fahren konnte Kreiling eindeutig besser als laufen.

Dicht neben seinem Ohr hörte er plötzlich Marcel Neidhard flüstern: »Echt cooler Job, muss ich schon sagen. Taschenträger beim Landarzt. Mein Lieb-er-Knecht.«

Tolles Wortspiel. Frank vermied es, Neidhard anzusehen. Er spürte ein Ziehen unterhalb des linken Rippenbogens.

»Mir gefällt es hier«, antwortete er gepresst. Aber seine Stimme klang längst nicht so überzeugt, wie er gehofft hatte.

Brunhilde winkte ihn vom Kartoffelacker aus mit beiden Armen zu sich. Er hob die Hand zur Bestätigung, dass er sie gesehen hatte. »Ja, mir gefällt es hier«, wiederholte er und schaute an sich hinunter zu den bunten hawaiianischen Blüten auf seiner Hose. »Und die coolere Dienstkleidung habe ich auch.« Damit ließ er Neidhard stehen und sprintete quer über die Wiese.

Das Laufen tat ihm gut, befreite ihn für einen kurzen Moment von lästigen Gedanken. Sollte Neidhard sich doch mit der Gammelleiche herumschlagen, wenn ihm das Spaß machte.

»Was gibt es, Frau Schreiner?« An Brunhildes Seite stand der leitende Kommissar, weshalb Frank sie nicht wie sonst mit dem Vornamen ansprach.

»Du hattest eine Idee zu dem Toten, und die möchte Kriminalhauptkommissar Brenner gern hören.«

Brenner hatte sich bei Franks Ankunft umgedreht, lächelte ihn nun an und kniff ein Auge zu. »Moment, ich hab es gleich. Frank, nicht wahr? Aber den Nachnamen hab ich vergessen.«

»Liebknecht«, half Frank weiter und fühlte trotz der freundlichen Begrüßung schon wieder beklemmende Unsicherheit. »Aber Frank ist schon in Ordnung.«

»Wir kennen uns aus Darmstadt. Ich habe dort einige Seminare gehalten«, fügte Brenner zu Brunhilde gewandt hinzu. »Dann lass mal hören. Wer ist der Tote?«

»Na ja, ganz sicher weiß ich es nicht. Aber die Leiche muss schon eine Weile daliegen, nicht erst seit zwei, drei Tagen. Eher zwei bis drei Wochen. Da ist es doch seltsam, dass niemand den Mann früher gefunden hat. Ich weiß, hier am Feld geht kein offizieller Weg durch. Aber dem Bauern hätte der Tote auffallen müssen. Allerdings sieht der Acker aus, als ob sich schon länger keiner mehr darum gekümmert hätte. Zwischen den Pflanzen ist alles voller Unkraut, da hat keiner geharkt.« Er brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass seine Ohren feuerrot glühten. »Meine Eltern haben auch ein paar Reihen Kartoffeln hinterm Haus; daher weiß ich …« Er unterbrach sich. »Na ja, jedenfalls bin ich deshalb der Meinung, dass der Tote der Bauer selbst sein muss.«

Brenner rieb sich die Nase. »Und warum hat ihn keiner vermisst?«

»Das kann ich erklären«, schaltete Brunhilde sich ein. »Die Felder hier auf der Lichtung gehören alle zum Brettschneiderhof. Das ist der da hinten am Waldrand. Von dort sind es nur noch ein paar Hundert Meter bis zur Grenze nach Bayern. Auf dem Hof lebt nur noch der Theodor. Oder lebte, wenn er das wirklich ist. Und das könnte schon gut sein.«

»Dann sollten wir das doch als Erstes überprüfen. Ich schicke am besten …«

»Uns«, unterbrach ihn Brunhilde und hob dabei entschuldigend die Achseln. »Schicken Sie uns. Mal angenommen, Theodor ist nicht unser Toter, dann sollten wir ihm auf jeden Fall ein paar Fragen stellen. Aber der Brettschneider ist ein grober Klotz und, ich will es mal wohlwollend formulieren, ein Einsiedler. Mich kennt er, und den Frank hat er wahrscheinlich auch schon im Dorf gesehen. Aber er redet praktisch mit niemandem, und wenn Fremde auf dem Hof auftauchen, macht er gar nicht erst auf.«

Brenner schaute über die Felder in die von Brunhilde angegebene Richtung. Undeutlich erkannte Frank die Umrisse eines Gehöfts, die mit den angrenzenden Bäumen am Hang zu einer dunklen Masse verschmolzen.

»Einverstanden.« Brenner grinste. »Von einem Eremiten aufs Korn genommen zu werden, der ihm am Ende noch den Hofhund auf den Hals hetzt, das ist sicher nicht nach Neidhards Geschmack.«

Minuten später saß Frank neben Brunhilde im Auto, die kräftig aufs Gaspedal trat.

»Na, wie habe ich das gemacht?« Sie feixte. »Die dürfen weiter über den schlammigen Acker kriechen, und wir gucken mal, ob der Brettschneider noch schnauft.« Sie musterte Frank von der Seite. »Spuck’s schon aus. Was ist heute los mit dir? Du hast nicht nur zu wenig Schlaf gekriegt, du hast ein Problem mit den Erbacher Kollegen. Wieso?«

Der Streifenwagen krachte durch die Schlaglöcher der schmalen Straße, die sonst nur von landwirtschaftlichen Fahrzeugen genutzt wurde.

»Neidhard kenne ich von der Polizeischule, und mit Matuschewski von der Spurensicherung hatte ich auch schon mal dienstlich zu tun. Reicht es, wenn ich dir sage, das sind Arschlöcher?«

Brunhilde lachte. »Schön, dass du das so präzise formulierst. Ich kenne dich jetzt gute drei Monate, Frank. Wenn du sagst, das sind Arschlöcher, dann glaub ich es. Und zum Stichwort glauben«, sie malte Anführungszeichen in die Luft, ergriff dann aber schnell wieder mit beiden Händen das Lenkrad, »du solltest endlich anfangen, an dich zu glauben. Du hattest sicher deine Gründe, aus Darmstadt wegzugehen. Und mein Nachfolger zu werden, wenn ich in Pension gehe, ist nicht der schlechteste Job. Die Leute hier werden sich schon noch an dich gewöhnen.« Sie tätschelte ihm mütterlich das Bein. »Aber an die Hose gewöhnen sie sich sicher nicht. Und die Locken müssen auch runter, auch wenn du das nicht wahrhaben willst. Vertrau einer Frau, die drei Söhne großgezogen und ihr ganzes Leben hier in der Prärie verbracht hat. Ein Polizist auf dem Dorf braucht einen ordentlichen Haarschnitt. Männlich kurz und keine Strubbellocken. Damit beeindruckst du vielleicht die Mädels, wenn du mit deiner Gitarre klimperst, aber nicht die Bauern rund um Vielbrunn.«

Sie lenkte das Auto auf den Grünstreifen neben der Straße, brachte es mit einem Ruck zum Halten und stieg aus. Den Zündschlüssel ließ sie stecken. Eine Angewohnheit, die Frank nur schwer akzeptieren konnte. Es war nicht zu erwarten, dass sie gleich in halsbrecherischem Tempo eine Verfolgungsjagd starten mussten, die diese Maßnahme notwendig machte.

Er folgte ihr, klappte die Tür zu und legte die Arme auf das Wagendach. »Warum hast du diesen Brettschneider eigentlich noch nie erwähnt?«

Bruni durchschritt zielsicher das fast zwei Meter hohe Holztor. Eine bröckelige Sandsteinmauer umschloss das große Grundstück. »Worauf wartest du?«, rief sie über die Schulter, statt ihm zu antworten.

Man hätte klingeln können, überlegte Frank, ließ die Sache aber auf sich beruhen. Im Vorbeigehen konnte er auch keine Klingel entdecken.

Hinter dem Tor umfing sie grünes Halbdunkel. Frank betrachtete misstrauisch einen Holzverschlag. Doch aus der finsteren Öffnung drang kein Knurren, und die massive Kette bewegte sich nicht. Er trat mit dem Fuß gegen den umgekippten Blechnapf, in dessen Unterseite sich Regenwasser und Blätter gesammelt hatten. Hier war schon ewig kein Hund mehr gefüttert worden. Dennoch schaute er sich nochmals gründlich um.

Mächtige Bäume und Hecken säumten den Hof, um den sich mehrere niedrige Gebäude an den Hang duckten. Auf einem Sandsteinsockel saß das eingeschossige Fachwerkhaus, eingeklemmt und abweisend unter dem dunklen, weit heruntergezogenen Krüppelwalmdach. Nur am Fuß der Steinstufen, die zum Eingang führten, gab es einen sonnenbeschienenen Fleck. Bienen summten. Mehr war nicht zu hören. Frank zuckte zusammen, als Brunhilde plötzlich laut nach Theodor Brettschneider zu rufen begann.

Nichts rührte sich, und sie stiegen die Stufen hinauf. Die Haustür stand weit offen.

»Bist du da, Theodor? Hallo?« Brunhilde klopfte mit der Faust gegen das Holz und lauschte in die Stille. Sie kramte den Schlüsselbund des Toten aus der Hosentasche. Neben drei altmodischen dicken Schlüsseln fand sich nur einer mit einem flachen Bart, den sie probeweise ins Schloss steckte. Er hakte, ließ sich dann aber mühelos drehen.

»Sieht schlecht aus für den guten Theodor«, murmelte sie. »Na, dann lass uns mal reingehen.« Betont laut stampfte sie auf die Holzdielen. »Brettschneider – wo steckst du?«

Die Lampe im Flur funktionierte nicht, sodass der hintere, fensterlose Bereich dunkel blieb. Frank erahnte mehrere Türen und eine Treppe. Rechts hinter dem Eingang lag ein Paar verdreckter Gummistiefel, darüber hing an einem krummen Nagel ein Regenmantel. Als seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, schlüpfte er aus seinen Turnschuhen, die er neben den Stiefeln abstellte, und betrat auf Socken die Wohnküche.

Als Erstes fiel Frank auf, wie ordentlich aufgeräumt der Raum war. Kein Topf auf dem Herd, kein Geschirr in der Spüle, nicht einmal ein benutzter Teller. Er schnupperte, aber da lag keine Spur von Kaffee oder gebratenem Speck in der Luft. Und es war kalt, obwohl an diesem Tag die Temperaturen endlich auf sommerliche Werte gestiegen waren. Auf dem Esstisch vor einer Bank in der Ecke war ein weißes Tischtuch ausgebreitet, mit einem kleinen Strauß welker Wiesenblumen in der Mitte, davor einige ungeöffnete Briefe, die Kante auf Kante übereinandergestapelt lagen.

Vom Essplatz aus konnte er den Weg überblicken, der vom Tor heraufführte, und durch ein zweites Fenster den seitlich neben dem Haus gelegenen Kräutergarten. Mehrere Beete mit schnurgeraden Reihen kleiner Pflanzen.

Von der Küche aus gelangte Frank in ein winziges Bad. Auf dem Waschbeckenrand lag ein unförmiges Stück Kernseife. Darüber hing ein Schränkchen mit einer Zahnbürste, Rasierzeug und einigen Medikamentenpackungen, daneben ein abgenutztes Handtuch. Einen Spiegel gab es nicht.

»Kommst du mal rüber, Frank?«

Eilig schloss er sich Brunhildes Rundgang an, die ihn vor einer Schlafkammer erwartete, in der etliche Kleidungsstücke herumlagen. Sie hatte bereits alle Türen auf dem Flur geöffnet, und da sie nichts weiter sagte, warf Frank zunächst auch in die anderen Zimmer einen kurzen Blick. Spartanisch schien ihm der passende Ausdruck für die Möblierung: Bett, Schrank, Stuhl. Überall das Gleiche, bis auf die verstreute Wäsche.

»Hast du Handschuhe für mich?« Frank kehrte mit einem verlegenen Grinsen die leeren Taschen seiner Bermudas nach außen. »Kommt nicht wieder vor. Versprochen.«

Brunhilde hob die Augenbrauen und reichte ihm ein Paar der dünnen Einmalhandschuhe, die zur Grundausstattung ihrer Dienstausrüstung gehörten. »Wozu brauchst du die?«, fragte sie. »Wir sind fertig. Der Brettschneider ist nicht da, der Schlüssel passt – du hattest den richtigen Riecher. Ich denke, wir können die Geschichte getrost an deine Freunde übergeben. Dann tippen wir noch schnell einen Bericht, und das Wochenende kann weitergehen.«

»Ja, schon …« Der Latex legte sich wie eine zweite Haut auf Franks Finger. »Aber können wir damit noch einen Moment warten? Ich meine, wenn wir schon da sind, spricht doch nichts dagegen, dass wir uns auch ein wenig umschauen. Und außerdem sind es nicht meine Freunde.«

»Was glaubst du denn, was du hier finden kannst? Brettschneider war nur etwas sonderbar, sonst nichts.« Sie deutete auf das ungemachte Bett. »Und schlampig ist er gewesen, so viel steht fest.«

Frank blickte sie überrascht an, schob sie ein Stück beiseite und schlüpfte an ihr vorbei ins Zimmer. »Nein, eigentlich eher nicht. Die Küche sieht jedenfalls aus wie geleckt und alle anderen Zimmer auch.« Er deutete vor sich auf den Boden. »Hier ist irgendein Dreck. Mach doch bitte mal das Licht an.«

Brunhilde betätigte den Kippschalter, aber nichts passierte. Sie klappte den Hebel mehrfach hin und her.

»Kein Strom«, verkündete sie, nachdem sie es auch in den Nebenzimmern probiert hatte.

»Hast du eine Taschenlampe?« Frank kauerte auf allen vieren auf dem Boden und konnte trotzdem nichts erkennen.

»Selbstverständlich, Herr Kommissar. Wie viel Watt hätten Sie denn gern?«

»In Darmstadt hatten wir immer … ach, egal.« Er tupfte vorsichtig mit dem Finger auf die undefinierbare, eingetrocknete Substanz.

»In Darmstadt, aber da bist du nicht mehr, mein Junge. Und ich bin kein wandelnder Kramladen.«

»Entschuldige, Bruni, ich habe es schon kapiert. Hör mal, das könnte durchaus Blut sein.« Er kratzte mit dem Fingernagel über den Fleck und hoffte, dass der Handschuh nicht einriss.

»Lass das! Wenn es wirklich Blut ist, sollen sich die Spezialisten drum kümmern. Das da drüben könnte ein Schuhabdruck sein. Die ziehen dir das Fell über die Ohren, wenn du hier was durcheinanderbringst. Ich rufe die jetzt an.«

»Fünf Minuten, Bruni!«, bettelte Frank und brachte seine Nase ganz nah an den Boden. »Riechen tut’s nicht.« Langsam rutschte er vorwärts. »Hier ist noch mehr.« Als er sich umsah, stand Brunhilde direkt hinter ihm. Er kam sich lächerlich vor, wie er da vor ihr herumkroch, den geblümten Hintern in die Luft gereckt. »Siehst du?« Er tippte gegen ein zusammengeknülltes Stück Stoff, und Brunhilde streckte ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Auf seinen nackten Knien zeichnete sich die Maserung der Holzdielen ab.

»Ja, sehe ich. Da neben dem Kissen, das ist ein Hemd, da sind auch Flecken drauf. Und unter dem Fenster liegt noch ein Tuch. Der Tote im Feld hatte eine Verletzung am Bauch. Sieht fast aus, als hätte sich hier jemand selbst verarztet. Spricht also auch dafür, dass es Brettschneider ist. Passt alles zusammen.« Sie behielt Frank fest im Blick, als sie das Handy zückte, um Kriminalhauptkommissar Brenner genau diese Überlegungen umgehend mitzuteilen.

Mit einem kurzen Kopfnicken fügte Frank sich ihrer Entscheidung. Nichts zu machen. Das war nicht ihre Baustelle und auch nicht seine.

»Hallo, Herr Brenner, sieht so aus, als hätten wir einen Treffer …«

Brunis sachliche Erklärung wollte Frank sich nicht anhören. Die Geschichte war gelaufen. Er trollte sich auf den schmalen Flur, den der Abgang zum Keller und eine Leiter zusätzlich verengten. Durch ein dunkles Loch in der Decke führte die Leiter hinauf zum Dachboden. Die höher steigende Sonne schickte bei jedem Windstoß, der draußen die Bäume bewegte, zuckende Reflexe über die Fußmatte vor dem Eingang. Der Luftzug richtete die Haare an Franks Waden und Unterarmen auf. Die offene Tür war ein leuchtendes Rechteck.

Wie in einem Horrorfilm. Wenn er jetzt losrannte, würde die Tür im letzten Augenblick vor seiner Nase zuschlagen, und er wäre gefangen.

Er schüttelte sich. Es hatte eindeutig auch etwas Gutes, wenn er sich nicht länger in dieser miefigen Bude herumdrücken musste. Noch drei Stunden bis zum Spiel um den dritten Platz. Frankreich gegen Schweden. Vorher noch ein bisschen Radfahren in der Sonne. Dann ein Bier.

»… Stichverletzung … Unfall? Na ja, könnte … Sollen wir? Okay … nein, wir fassen nichts an … garantiert nicht.« Wortfetzen von Brunis Telefonat drangen zu ihm herüber.

Eine Stichverletzung. Nachdenklich legte Frank die Hand auf seinen Bauch. Der Mann hatte sich wohl kaum freiwillig selbst aufgeschlitzt. Das verdammte Fußballspiel interessierte ihn, wenn er ehrlich war, nicht die Bohne.

Rasch ging er zurück in die Küche und blätterte vorsichtig die Briefe durch. Drei Umschläge vom Stromversorger, der offenbar inzwischen den Saft abgedreht hatte, einer von der Stadtverwaltung und fünfmal Werbung. Die ältesten Briefe waren bereits vier Wochen alt, aber er konnte nicht alle Daten auf den Poststempeln entziffern. »Mist!« Er richtete die Post wieder genauso aus, wie sie zuvor platziert gewesen war. Gelber Blütenstaub rieselte auf das Tischtuch, als er gegen die Stängel in der Vase stieß. In seinem Bauch klopfte es herausfordernd unter der Narbe. Das war nicht die viel beschworene Intuition eines Polizisten, der eine Fährte witterte, da machte er sich keine Illusionen. Eher ein diffuser Cocktail aus Widerwillen, Furcht und Unzufriedenheit. Trotzdem wollte er die Zeit bis zum Eintreffen der Kollegen unbedingt nutzen, um sein Bild von Theodor Brettschneiders Leben zu vervollständigen.

Er ignorierte Brunhildes fragenden Blick und nahm noch einmal die anderen Schlafkammern in Augenschein. Kissen und Decke auf den Betten waren frisch bezogen, als warteten sie darauf, benutzt zu werden. Er wischte über das Fensterbrett. Kein Staub. Doch die Luft schmeckte abgestanden und muffig. Jedes billige Hotelzimmer erschien dagegen wie ein heimeliger Ort voll persönlicher Ausstrahlung. Erst im letzten Raum legte sich Franks Unbehagen etwas. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den Schrank. Ein Hauch von Sommer streifte seine Nase. Woher dieser Eindruck kam, konnte er nicht sagen. Für einen Moment ließ er sich davon einfangen.

Bilder der vergangenen Nacht rauschten ihm durch den Kopf. Die Bar, die Band, laute Musik, Lachen. Eine spontane Jam-Session, in blindem Verständnis gespielt. Ein Groove, wie zuletzt im gemeinsamen Urlaub am Mittelmeer vor ein paar Jahren. Dort hatte es auch so gerochen … In Gedanken ließ er die Finger über die Saiten tanzen. Doch die angeblich so gefühlsechten Handschuhe wehrten sich gegen die schnelle Akkordfolge.

»Wir sollten am Tor warten.« Bruni stand im Türrahmen, als er die Augen öffnete. »Der Feierabend ruft.«

Mit den Schultern drückte Frank sich vom Schrank ab. »Was waren das bloß für Leute?« Die halblaute Frage richtete sich nicht direkt an Bruni. »Haben die überhaupt gelebt?«

»Leben ist relativ.« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Und Einstellungssache. Die Familie hat sehr zurückgezogen gelebt; sie waren in keinem Verein, gingen auf kein Fest, auch nicht am Sonntag in die Kirche. Na ja, da wird schnell viel dummes Zeug geredet. Theodors Frau Marie ist schon vor Jahren abgehauen; nicht lange nach dem Tod seines Vaters. Für Marie war hier wohl auch zu wenig Leben. Und Theodors Mutter Johanna hat es im vergangenen Winter erwischt. Ist die Kellertreppe runtergestürzt.« Fröstelnd rieb Brunhilde sich die nackten Unterarme. »Du siehst, viel Leben und vor allem viel Glück gab es wirklich nicht in dem Gemäuer. Und darum brauche ich jetzt frische Luft und Sonne. Hier kann man ja vor lauter Gespenstern kaum atmen.«

Samstag, 16. Juli, Frankfurt, 13:55 Uhr

– Dieter Strobel –

Über die Fanmeile am Frankfurter Mainufer schlenderte ein durchweg gut gelauntes Publikum. Die Musik der verschiedenen Bühnen mischte sich mit dem Lachen von Kindern, dem Kreischen der Teenager und vielfältigen Sprachfetzen. Dieter Strobel machte einen kleinen Bogen um eine Pfütze und hakte die Daumen unterhalb seiner Rot-Kreuz-Weste in den Gürtelschlaufen ein. Am vorletzten Tag der Weltmeisterschaft erwartete er eine ruhige Schicht, ohne besondere Vorkommnisse beim Public Viewing. Zufrieden genoss er den Anblick der vielen weiblichen Fans, die leicht bekleidet dem kühlen und feuchten Wetter trotzten. Gewohnheitsmäßig rüttelte er alle paar Meter an den Absperrgittern an der Uferkante und ließ den Blick erst über das graue Flusswasser und dann über die Sitzplätze und Fressbuden wandern. Alles fest, alles sicher, alles im grünen Bereich.

Eine Wolke aus Popcornduft streifte ihn. Eigentlich hatte er keine Zeit mehr. Aber die anderen Jungs im Sanitätszelt würden sicher auch zugreifen, wenn er einen Eimer mit noch warmem Popcorn auf den Tisch stellte.

Seufzend gab er der Versuchung nach und kramte in seinem Portemonnaie nach den passenden Münzen. Ein Zweieurostück rutschte ihm durch die Finger, plumpste auf den Kies und rollte davon. Das hatte er nun von seiner Gier. Schimpfend folgte Dieter dem Geldstück um den Popcornwagen herum, wo es direkt vor den Füßen eines Mädchens liegen blieb, das an einen Baum gelehnt auf dem Boden saß. Er bückte sich und lächelte verlegen, als er sich aufrichtete. Hoffentlich hatte die Kleine seine unflätigen Flüche nicht gehört.

Sie erwiderte das Lächeln nicht. Ihre Hände lagen gefaltet auf den angewinkelten Knien. Eine einzelne Haarsträhne lugte unter ihrem hellen Kopftuch hervor. Dieter musste sich konzentrieren, damit ihm der Mund nicht offen stehen blieb. Unter seiner Zunge sammelte sich Speichel, und er schluckte hastig. Dann rieb er sich mit der flachen Hand über die Wangen und zog an seinem Kragen, während er mit der anderen Hand das Eurostück umklammerte.

»Hallo«, krächzte er und schalt sich zugleich einen Vollidioten. Es gab keinen Grund, die Kleine so anzustarren, dass sie am Ende noch Angst vor ihm bekam. In ihrem Gesicht konnte er keine Gefühlsregung erkennen. Dennoch wirkte sie verloren. »Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?«

Ihre Augen folgten jeder seiner Bewegungen mit ernsthafter Aufmerksamkeit. Das war kein Kind, sondern eine junge Frau. Und Augen waren das auch nicht. Jedenfalls nicht von dieser Welt.

»Ich bin der Dieter.« Er zupfte an seiner Weste und zeigte ihr den Aufdruck. »Siehst du? Ich bin Sanitäter. Also, wenn ich etwas für dich tun kann …«

Sie fixierte ihn weiter. Stumm. Auf seiner Stirn bildete sich ein feiner Schweißfilm. Er rief sich zur Ordnung. Natürlich waren das Augen. Ganz normale Augen. Nur sehr groß. Und so unglaublich blau, wie er es noch nie gesehen hatte.

Samstag, 16. Juli, Borntal, 14:15 Uhr

– Frank Liebknecht –

Neben einem verblühten Fliederstrauch machte Brunhilde Kriminalhauptkommissar Brenner ordnungsgemäß Meldung über alle Erkenntnisse und Vermutungen, zu denen sie bei ihrer Ortsbegehung gelangt war. Insgeheim zollte Frank ihr dafür Respekt. Sie bewahrte eine tadellose Haltung, während er sich wie ein ausgespuckter Kaugummi vorkam, um den alle einen Bogen machten. Die Spurensicherer schleppten ihre Ausrüstung ins Haus. Er war nutzlos und stand im Weg.

Neidhard klopfte ihm im Vorbeigehen auf den Rücken. »Na, dann wollen wir mal sehen, was du uns an Spuren übrig gelassen hast, Lieb-er-Knecht.«

Brenners Kopf schnellte im selben Moment hoch. »Marcel!«, bellte er, packte Neidhard am Arm und zerrte ihn ein Stück beiseite. Leise, aber eindeutig verärgert zischte er ihm einige Worte zu, die Frank nicht verstehen konnte. Dann wandte Brenner sich mit entschuldigendem Lächeln wieder Brunhilde zu, wirkte jedoch weiter angespannt.

Sie deutete mit dem Kinn Neidhard hinterher und grinste verständnisvoll. »Der Bursche schreit nach der kurzen Führungsleine, was? Hören Sie, wenn Sie uns hier nicht mehr brauchen, Herr Brenner, würde ich gern meinen Bericht schreiben. Dann wartet der schon auf Ihrem Schreibtisch, wenn Sie zurück sind. Sie und Ihre Leute kommen ja wohl alleine klar, oder?«

»Sicher. Gehen wir mal davon aus, dass es sich bei dem Toten um Brettschneider handelt – und die Indizien sprechen ja dafür –, dann sollte das keine allzu große Sache werden. Draußen auf dem Feld deutet nichts auf einen Kampf hin. Und im Haus auch nicht, so wie ich Sie verstanden habe. Dazu das Verbandsmaterial im Schlafzimmer und kein Telefon, mit dem er einen Arzt hätte rufen können … Wenn er sich die Fleischwunde auf dem Hof zugezogen hat, haben wir es vermutlich mit einem Unfall zu tun und nicht mit einem Verbrechen. Dafür sollten sich genügend Beweise finden lassen.«

»So ist es«, bestätigte Brunhilde.

»Klingt für mich nach unglücklichen Umständen, aber das finden wir heraus. Staatsanwalt Kreim müsste auch gleich da sein. Der wollte nur erst noch raus aufs Feld.« Brenner lachte ein wenig gezwungen. »Dem wäre es sicher auch lieber gewesen, wir hätten Fremdeinwirkung gleich ausschließen können. Aber bei dem Zustand der Leiche, da muss einer genauer hinsehen als nur mit dem bloßen Auge, um das zu entscheiden.«

Frank trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und vermied es, Bruni anzusehen. »Ich kann noch bleiben«, platzte er heraus. »Mir sind da ein paar Dinge aufgefallen, und ich würde gern …«

»Frank«, unterbrach ihn Brunhilde sanft, aber bestimmt, »ich habe Kommissar Brenner doch alles gesagt. Du fährst mit mir. Ich bringe dich zu deinem Fahrrad.«

Brenner nickte. »Danke trotzdem für das Angebot, Frank. Aber es reicht, wenn wir uns das Wochenende um die Ohren schlagen.«

Für einen Augenblick ließ Frank die Schultern hängen und starrte auf seine erdverkrusteten Schuhe. Wenn die Kollegen nur nach der Bestätigung für die Unfalltheorie suchten, dann würden sie vielleicht auch nichts anderes finden. So wie Bruni. Die konnte ja gar nicht schnell genug von hier wegkommen. Er musste wieder in das Haus. Unbedingt.

»Ist Matuschewski schon drin?«, fragte er und drehte sich um. »Nur ganz kurz, ich muss ihn was fragen. Warte nicht auf mich, Bruni.«

Am oberen Ende der Treppe kickte Frank wieder die Schuhe von sich und stürmte durch die Tür.

Matuschewski kommandierte zwei seiner Mitarbeiter in Theodor Brettschneiders Schlafzimmer herum und grunzte nur missmutig in Franks Richtung, als der ihn ansprach.

»Sind das Schuhabdrücke vor dem Bett?«

»Nach erstem Augenschein, ja.«

»Und die Flecken sind Blut?«

»Nach erstem Augenschein, ja.«

»Aber nur hier drin, oder? Auf dem Flur ist nichts, weder Abdrücke noch Blut, richtig?«

»Liebknecht! Ich bin erst seit fünf Minuten an der Hütte dran, was willst du eigentlich?« Matuschewski musterte ihn grimmig. »Warte gefälligst die Analyse ab. Wenn ich alles vorher wüsste, wäre ich Hellseher. Und zieh verdammt noch mal Einwegschuhe über. Das ist möglicherweise ein Tatort, du Anfänger! Ich will nicht überall deine Sockenflusen aufsammeln.« Matuschewski drückte Frank ein paar Überzieher gegen die Brust und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Frank zog die Plastikhüllen an und blieb auf der Schwelle stehen.

»Was denn jetzt noch?« Matuschewski richtete einen Scheinwerfer aus.

»Ist schon jemand im Keller? Und oben auf dem Dachboden? Die Luke steht offen, und ich dachte …«

»Denken ist Glückssache.« Neidhard streckte den Kopf ins Zimmer. »Habe ich schon beides gecheckt. Ich bin nämlich ein fixer Bursche. Der Keller war abgeschlossen. Schlüssel steckte von außen und keine weitere Leiche drin. Zufrieden? Und da oben ist nichts von Bedeutung, alles eingestaubt und uninteressant. Kannst du gerne überprüfen, dort richtest du wenigstens keinen Schaden an. Jetzt geh uns aus dem Weg, wir haben zu tun.«

Keiner schenkte ihm weitere Beachtung, und Frank zog sich leise auf den Flur zurück. Er knirschte mit den Zähnen. Nein, er würde die Kollegen nicht weiter belästigen. Aber er hatte auch nicht vor, einfach so zu gehen. Vielleicht war Matuschewski nachher etwas zugänglicher, wenn dieser Kotzbrocken Neidhard nicht dabei war. Matuschewski musste doch merken, dass etwas nicht stimmte, wenn zwar das Zimmer voller blutiger Abdrücke war, nicht aber der Flur, die Küche oder das Bad. Es war auch ungewöhnlich, dass Brettschneider das ganze Haus so sauber und ordentlich hielt, nur sein eigenes Zimmer nicht.

Draußen im Hof sah Frank Hauptkommissar Brenner auf und ab schreiten, der telefonierte und hektisch rauchte. Der groß gewachsene Mann, der neben ihm wartete und im Sekundentakt auf seine Armbanduhr schaute, musste Staatsanwalt Kreim sein. Er schaute übellaunig drein.

Frank trug immer noch die Handschuhe und nun auch die Überzieher über den Socken. Warum sollte er nicht tatsächlich selbst schnell die Leiter zum Speicher hinaufklettern? Schließlich musste es für die offene Luke einen Grund geben. Er wippte auf den Zehenspitzen und lauschte, aber außer dem Knistern des Kunststoffs an seinen Füßen war nur leises Gemurmel aus den angrenzenden Räumen zu hören.

Die Sprossen federten beim Hochklettern unter seinem Gewicht. Abgedeckte Möbelstücke und Kisten überzog eine weiche Staubschicht. Eine deutliche Laufspur führte auf direktem Weg von der Luke bis zum vorderen Giebelfenster und zurück, dann noch eine quer dazu. Sie stammte vermutlich von Neidhard. Frank legte den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. Manche Dinge brauchten einen anderen Blick und zeigten sich erst, wenn das Offensichtliche in den Hintergrund trat. Waren da noch andere Abdrücke unter denen von Neidhard?

Direkt neben seiner Hand, mit der er sich noch am Holm der Leiter festhielt, war der Boden dunkler, die Staubschicht dünner, als hätte jemand vor nicht allzu langer Zeit darübergewischt oder draufgesessen. Frank zog sich das letzte Stück nach oben und bemühte sich, in Neidhards Spur zu treten. Vorsichtig machte er Schritt um Schritt, vorbei an einem umgekippten Stuhl, hob hier und da ein Tuch an und spähte darunter: ausrangiertes Geschirr, Körbe mit Ballonflaschen und andere vorsintflutlich anmutende Gerätschaften, möglicherweise noch aus den Anfangsjahren des vergangenen Jahrhunderts. Ein Karton mit Stoffresten und einer mit Kinderkleidern stand daneben, vor Schmutz geschützt durch einige Lagen Zeitungspapier. Die trockene Luft kitzelte Frank in der Nase, und er presste die Hand davor, um nicht niesen zu müssen. Langsam atmete er aus. Um einen Balken geschlungen hing ein Seil herab. Frank schnippte mit dem Finger dagegen, beobachtete missmutig die schaukelnde Bewegung und wandte sich ab.

Wirklich zielgerichtet war es nicht, was er gerade machte. In Neidhards Fußabdrücken balancierte er zurück zur Leiter und ließ sich dort auf dem Boden nieder, um die Umgebung auf sich wirken zu lassen. Es gab keine Anzeichen, dass jemand etwas angefasst hatte. Aber wieso war dieser Jemand dann heraufgekommen? Was gab es hier zu sehen? Und wieso war die Luke offen geblieben? Die Leiter stand auf dem Flur im Weg, wenn man zur Hintertür oder in die letzte Kammer wollte.

»Wo ist denn unser geblümter Dorfsheriffsgehilfe hin?«

Neidhards Schritte näherten sich. Automatisch hielt Frank die Luft an und zog die Füße und den Kopf ein Stück zurück.

»Könnte sein, dass ich das Corpus Delicti entdeckt habe, das für das Loch im Bauch der Leiche verantwortlich ist. Ich will natürlich nicht, dass sich das Lockenköpfchen erschreckt.«

»Halt den Schnabel!« Direkt unter der Luke blieb Brenner stehen. »Dein Geschwätz kann ich heute echt nicht ertragen. Zeig her, was hast du?«

»Den Treppenhaken, mit dem man die Klappe für die Schiebeleiter zum Dachboden öffnet. Ganz schön spitz, ganz schön verbogen und ganz schön verdreckt. Lag da hinten an der Wand, ich hätte ihn fast nicht gesehen. Ist aber auch dunkel wie in einem Bärenarsch hier.«

Brenner gab ein unwirsches Schnauben von sich. »Das ist keine Entschuldigung. Ich dachte, ihr hättet was dazugelernt.«

»Was willst du denn? Ich habe ihn doch! Und das ist nicht alles. Draußen steht eine Mülltonne voll mit Altglas. Vornehmlich Flaschen mit ehemals hochprozentigem Inhalt. Schätze, der Hausherr hat sich einen hinter die Binde gekippt, mit dem Haken rumhantiert und ist dann über eins dieser ausgelatschten Bodenbretter oder eine Türschwelle gestolpert. Fertig war der Odenwälder Bauernspieß.«

»Verflucht, reiß dich zusammen mit deinen blöden Sprüchen, Marcel!«

»Gib her, ich pack ihn ein.« Das war Matuschewski. Die Hakenspitze durchquerte Franks Blickfeld. »Wir haben schon den kompletten Inhalt der Besteckschublade eingetütet. Kommt natürlich noch alles mögliche andere in Betracht. Es stehen ein halbes Dutzend Schuppen, Ställe und Verschläge auf dem Gelände, wo er sich überall irgendwie verletzt haben könnte.« Matuschewski zögerte, ehe er weitersprach. »Peter, mir wäre es trotzdem lieb, wir könnten zuerst dieses Ding überprüfen, bevor wir das ganze Grundstück auf den Kopf stellen. Es sieht vielversprechend aus. Und …«

Brenner unterbrach ihn. »Und? Dann gemütlich Fußball gucken, oder was? Vergiss es. Wenn es eine Sackgasse ist, geht zu viel Zeit verloren. Von mir aus schick dein Team nach Hause und leite die Untersuchung von diesem Hakending in die Wege. Aber wir drei bleiben hier, bis wir hinter jede verdammte Tür geguckt haben. Dann wird das gesamte Grundstück erst mal versiegelt, damit kein Unbefugter sich hier reinverirrt und damit der Nachlass für das Amtsgericht gesichert ist und die Herrschaften in Ruhe nach möglichen Erben Ausschau halten können. Ganz vorschriftsmäßig. Ja, ich weiß, wenn Brettschneider nachher höchst lebendig über den Hof gelatscht kommt, war der ganze Aufstand umsonst. Rein von der Wahrscheinlichkeit her und in Anbetracht der Indizienlage können wir darauf aber nicht spekulieren. Und wenn wir warten, bis die DNA der Leiche mit dem Blut aus dem Zimmer abgeglichen ist, springt uns die Staatsanwaltschaft mit dem nackten Hintern ins Gesicht. Kreim hat sich unmissverständlich ausgedrückt. Der ist immer noch angepisst, weil wir ihm neulich zu langsam waren. Allerdings kann ich euch ein kleines Zugeständnis machen angesichts der Überstundensituation und der Personalknappheit. Wenn wir nirgendwo einen griffigen Hinweis auf Fremdeinwirkung finden, machen wir Montag weiter, sobald die Obduktion durch ist. Das heißt aber trotzdem, dass wir jetzt ratzfatz jeden Stein umdrehen. Klar? Ich werde mir nicht noch mal vorwerfen lassen, dass wir Indizien übersehen haben, weil wir pünktlich Feierabend machen wollten! Und du«, Brenners Zeigefinger bohrte sich in Neidhards Brust, »darfst gerne mit zur Obduktion gehen und mir Bericht erstatten, ob der Tote Brettschneider ist, ob er alkoholisiert war und ob es sich beweisen lässt, dass der Mann zufällig in den Spieß gestolpert ist.«

Samstag, 16. Juli, Frankfurt, 16:25 Uhr

– Dieter Strobel –

Am Anfang hatte Dieter gar nicht gemerkt, dass sie ihm folgte, und es für bloßen Zufall gehalten, dass er ihr noch mehrfach auf der Fanmeile begegnet war. Aber dann war es den Kollegen aufgefallen. Wenn die auch weniger auf die Augen des Mädchens achteten als auf seine wohlproportionierte Figur, die sich unter dem seltsam altbackenen Kleid erahnen ließ. Dieter Strobel versuchte, das alles zu ignorieren. Das Mädchen an sich. Und die Kollegen. Es war doch nichts falsch daran gewesen, ihr eine Tüte Popcorn zu schenken. Ganz ohne Hintergedanken.