Totengesang - Brigitte Pons - E-Book

Totengesang E-Book

Brigitte Pons

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  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Was bleibt, wenn alle Hoffnung stirbt?

Ausnahmezustand in Vielbrunn: Die Teilnehmer einer Musik-Castingshow mieten sich zur Vorbereitung im Parkhotel mitten im Dorf ein. "Schlager reloaded" zelebriert die Wiederauferstehung der Siebzigerjahre. Alarmiert durch den vagen Hinweis auf ein bevorstehendes Verbrechen, startet der Polizist Frank Liebknecht in seinem Urlaub einen nicht genehmigten Undercover-Einsatz. Als tatsächlich eine Leiche im Hotelpool treibt und die Kollegen der Kriminalpolizei anrücken, gerät er in Erklärungsnot ...

Dieser Krimi ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Der Träume blauer Schlussakkord" erschienen.

LESERSTIMMEN:

"Das Buch ist nicht zuletzt dank der vielen ungeahnten Wendungen, Überraschungen und falschen Fährten von der ersten bis zur letzten Seite spannend und absolut fesselnd." (Knorki, Lesejury)

"Frank Liebknecht und auch seine Mitstreiter sind wirklich sympathische Protagonisten, die man schnell ins Leserherz schließt und deren Abenteuer man gerne mitverfolgt." (Beastybabe, Lesejury)

Alle Regionalkrimis mit Frank Liebknecht:

Band 1: Bauernopfer.

Kurz-Krimi: Lärmfeuer.

Band 2: Raubjagd.

Band 3: Rachekreuz.

Band 5: Lügenpfad.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



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Inhalt

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Mittwoch 22. Mai, Vielbrunn, 22:00 Uhr

Donnerstag 23. Mai, Vielbrunn, 10:50 Uhr

Freitag 24. Mai, Vielbrunn, 7:45 Uhr

Freitag 24. Mai, Vielbrunn, 9:45 Uhr

Freitag 24. Mai, Erbach, 14:00 Uhr

Freitag 24. Mai, Vielbrunn, 15:30 Uhr

Freitag 24. Mai, Vielbrunn, 18:30 Uhr

1979

Samstag 25. Mai, Vielbrunn, 8:30 Uhr

Samstag 25. Mai, Vielbrunn, 17:30 Uhr

Samstag 25. Mai, Vielbrunn, 20:30 Uhr

Sonntag 26. Mai, Vielbrunn, 8:15 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 7:10 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 7:10 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 8:00 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 8:05 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 8:30 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 10:00 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 13:45 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 15:00 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 15:00 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 15:30 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 15:45 Uhr

Montag 27. Mai, Vielbrunn, 17:15 Uhr

Montag 27. Mai, Erbach, 20:45 Uhr

1989

Dienstag 28. Mai, Erbach, 7:45 Uhr

Dienstag 28. Mai, Vielbrunn, 8:20 Uhr

Dienstag 28. Mai, Vielbrunn, 8:50 Uhr

Dienstag 28. Mai, Vielbrunn, 10:30 Uhr

Dienstag 28. Mai, Vielbrunn, 14:00 Uhr

Dienstag 28. Mai, Vielbrunn, 16:45 Uhr

Dienstag 28. Mai, Erbach, 19:15 Uhr

Dienstag 28. Mai, Vielbrunn, 19:30 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Vielbrunn, 1:00 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Erbach, 10:00 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Vielbrunn, 14:30 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Vielbrunn, 15:00 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Vielbrunn, 15:05 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Vielbrunn, 16:30 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Erbach, 18:45 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Vielbrunn, 20:30 Uhr

Mittwoch 29. Mai, Vielbrunn, 20:30 Uhr

1988

Donnerstag 30. Mai, Vielbrunn, 6:55 Uhr

Donnerstag 30. Mai, Vielbrunn, 7:05 Uhr

Donnerstag 30. Mai, Erbach, 10:45 Uhr

Donnerstag 30. Mai, Vielbrunn, 14:00 Uhr

Donnerstag 30. Mai, Erbach, 18:05 Uhr

Donnerstag 30. Mai, Vielbrunn, 18:30 Uhr

Donnerstag 30. Mai, Vielbrunn, 18:45 Uhr

Donnerstag 30. Mai, Vielbrunn, 22:10 Uhr

Freitag 31. Mai, Vielbrunn, 8:10 Uhr

Freitag 31. Mai, Erbach, 10:15 Uhr

Freitag 31. Mai, Vielbrunn, 10:30 Uhr

Freitag 31. Mai, Vielbrunn, 14:30 Uhr

Freitag 31. Mai, Vielbrunn, 14:30 Uhr

Freitag 31. Mai, Erbach, 19:15 Uhr

Freitag 31. Mai, Vielbrunn, 21:30 Uhr

1991

Samstag 01. Juni, Vielbrunn, 7:30 Uhr

Samstag 01. Juni, Erbach, 13:45 Uhr

Samstag 01. Juni, Vielbrunn, 20:30 Uhr

Sonntag 02. Juni, Heppenheim, 13:15 Uhr

Sonntag 02. Juni, Vielbrunn, 14:30 Uhr

Sonntag 02. Juni, Vielbrunn, 15:00 Uhr

Sonntag 02. Juni, Vielbrunn, 15:30 Uhr

Sonntag 02. Juni, Vielbrunn, 18:30 Uhr

Sonntag 02. Juni, Vielbrunn, 21:00 Uhr

1990

Montag 03. Juni, Erbach, 0:45 Uhr

Montag 03. Juni, Erbach, 8:00 Uhr

Montag 03. Juni, Vielbrunn, 8:00 Uhr

Montag 03. Juni, Vielbrunn, 10:05 Uhr

Montag 03. Juni, Vielbrunn, 12:30 Uhr

Montag 03. Juni, Vielbrunn, 16:00 Uhr

Montag 03. Juni, Vielbrunn, 16:00 Uhr

Montag 03. Juni, Erbach, 16:45 Uhr

Montag 03. Juni, Vielbrunn, 23:45 Uhr

Dienstag 04. Juni, Vielbrunn, 10:15 Uhr

Dienstag 04. Juni, Vielbrunn, 12:45 Uhr

Dienstag 04. Juni, Erbach, 15:30 Uhr

Dienstag 04. Juni, Vielbrunn, 16:30 Uhr

Samstag 29. Juni, Erbach, 20:10 Uhr

Nachwort der Autorin, Erläuterungen und Dank

Weitere Titel der Autorin

Frank Liebknecht ermittelt im Odenwald:

Bauernopfer (Band 1)

Lärmfeuer (Kurz-Krimi zwischen Band 1 und 2)

Raubjagd (Band 2)

Rachekreuz (Band 3)

Über dieses Buch

Ausnahmezustand in Vielbrunn: Die Teilnehmer einer Musik-Castingshow mieten sich zur Vorbereitung im Parkhotel mitten im Dorf ein. »Schlager reloaded« zelebriert die Wiederauferstehung der Siebzigerjahre. Alarmiert durch den vagen Hinweis auf ein bevorstehendes Verbrechen, startet der Polizist Frank Liebknecht in seinem Urlaub einen nicht genehmigten Undercover-Einsatz. Als tatsächlich eine Leiche im Hotelpool treibt und die Kollegen der Kriminalpolizei anrücken, gerät er in Erklärungsnot …

Dieser Krimi ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel »Der Träume blauer Schlussakkord« erschienen.

eBooks von beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung.

Über die Autorin

Brigitte Pons schreibt Romane und Kurzgeschichten und ist Mitglied der »Mörderischen Schwestern«. Bei beTHRILLED sind bislang vier Regionalkrimis sowie eine Kurzgeschichte mit dem sympathischen Polizisten Frank Liebknecht erschienen, der in Vielbrunn im Odenwald ermittelt. Ein weiterer Band ist in Planung. Als Isabella Esteban veröffentlicht die Autorin Barcelona-Krimis bei Bastei Lübbe (Band 1: »Mord in Barcelona«).

Brigitte Pons ist verheiratet, Mutter von zwei erwachsenen Kindern und lebt in der Nähe von Frankfurt am Main.

Brigitte Pons

TOTENGESANG

Frank Liebknechts vierter Fall

Ein Odenwald-Krimi

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der Originalausgabe: »Der Träume blauer Schlussakkord«

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur EDITIO DIALOG, Dr. Michael Wenzel

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Redaktion: Marion Heister

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © RobertBreitpaul/Getty Images; Guter Punkt

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7325-8265-5

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Die Schiebetüren zwischen Pool und Terrasse waren weit geöffnet, und der Duft des Sommers mischte sich mit dem Chlorgeruch des Wassers, der ein leichtes Beißen in der Nase verursachte. Es störte ihn nicht, im Gegenteil, für ihn war das der Inbegriff von Sauberkeit und Luxus. Ein Hallenbad mit Fliesenmosaik an den Wänden, umgeben von Pflanzen und Skulpturen und dazu der Blick hinaus in den weitläufigen Garten. Er hatte den Rasen gemäht und die Liegestühle aufgestellt, einen Teil davon in der Sonne, den anderen im Schatten der bunten Schirme.

Zum fünften Mal polierte er die Gläser und hielt sie prüfend gegen das Licht. Die Strohhalme, Servietten und Untersetzer lagen bereit, alles farblich aufeinander abgestimmt in Orange und Grün. Er konnte kaum erwarten, dass der Park und die Bar sich mit Leben füllten, auch wenn er sich gleichzeitig immer ein wenig davor fürchtete. Hinter dem Tresen nahm ihn keiner wirklich wahr. Er war nur der Junge, der die Getränke heranschleppte, für den Barkeeper Eiswürfel auffüllte und mit Putzlappen und Schaufel losrannte, wenn etwas zu Bruch ging. Der Unsichtbare mit den schulterlangen Haaren, hinter denen sich die letzten Pubertätspickel verstecken ließen. Die Aushilfe, die sich in den Sommerferien ein Trinkgeld verdiente.

Danach würde er etwas Vernünftiges machen und einen anständigen Beruf erlernen, das hatte er versprochen. Warum auch nicht? Er hatte noch keinen Plan für die Zukunft. Aber ohne den ging es nicht. Letztlich blieb ihm gar nichts anderes übrig, als zu machen, was seine Eltern wollten, solange er nicht volljährig war. Er sehnte schon jetzt den Tag seines einundzwanzigsten Geburtstages herbei. Viel zu lange musste er noch warten, bis die große Freiheit endlich beginnen konnte.

Das Wasser im Pool schwappte leise hin und her, die Lüftung summte. Die sollte er besser ausschalten. Solange die Türen offen standen, nutzte sie ohnehin nichts. Der Hotelpark döste in der gleißenden Julihitze, während die Musiker in ihren Zimmern tief und selig schlummerten. Nachts sind sie unterwegs, tagsüber schlafen sie, hatte die Chefin zu ihm gesagt, den Kopf geschüttelt und dabei gelacht. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen.

Der Bereich um die Suite war einzig für den Leader reserviert. Und für die Jungs. Niemand sonst durfte sich dort blicken lassen. Die Chefin hatte tatsächlich Jungs gesagt. Als ob es eine x-beliebige Tanz-Combo wäre, die mit drei, vier Mann über Dorffeste tingelte. Dabei war es einer der ganz Großen, der mit seinen Leuten hier abgestiegen war, mitten im Odenwald, um Ruhe zu tanken in der gesunden Luft und sich von der letzten Tournee zu erholen.

Er legte das Geschirrtuch beiseite, ging nach draußen und schaute zum Haupthaus hinüber. Nichts rührte sich. Wenn er die Augen ein wenig zukniff, konnte er sich vorstellen, dass die Hitze auf seiner Haut von Scheinwerfern herrührte und nicht von der Sonne. Das Wasserplätschern verwandelte sich in Applaus. So musste es sich anfühlen, auf einer großen Bühne zu stehen. Für einige selige Sekunden legte er den Kopf in den Nacken und breitete die Arme aus, dann zuckte er zusammen. War er denn völlig übergeschnappt? Es sollte ihn besser niemand in dieser idiotischen Pose herumstehen sehen. Eilig ging er zurück hinter die Poolbar.

Als Kind hatte er im Chor gesungen, bis es ihm albern vorgekommen war und peinlich. Dabei hatte es Spaß gemacht. Nachts sind sie unterwegs, tagsüber schlafen sie. Das machte bestimmt auch Spaß. Genau wie die Frauen zu sehen, die kreischend auf Autogramme lauerten, und manchmal auf mehr. Er schluckte. Frauen. Jede Menge Frauen konnte man haben, wenn man berühmt war. Die Mädchen in der Schule kicherten, wenn er den Mund aufmachte, weil er Sätze nur mühsam herausbrachte, oft stotternd vor Verlegenheit. Der Stimmbruch hatte seine Tonlage verändert und in den letzten Monaten viel tiefer werden lassen, was sich ungewohnt anfühlte. Aber singen konnte er immer noch.

Er nahm eine der Flaschen aus dem Regal und hielt sie sich wie ein Mikrofon vors Gesicht. Schottischer Whisky, der honiggelb schimmerte. Beim Singen stotterte er nicht. Wie Elvis Presley klang er dann. Der Song schallte durch die Schwimmhalle, die Töne brachen sich an den Wänden, bis er nicht mehr weiterwusste. Egal, es hörte ja niemand zu. Schnell wechselte er zu einem deutschen Schlager, bei dem er den Text sicher beherrschte, wurde mutiger, lauter. Sein Herz raste. Wenn ihn doch jemand hörte? Die Chefin besser nicht, die hatte ihn gestern in der Nähe der Suite erwischt und verwarnt. Aber jemand vom Orchester vielleicht, der ihn gut fand, richtig gut und dann …

Tief in ihm entzündete sich ein Funke. Eines Tages würde er wieder hier sein. Genau hier in diesem Hotel. Dann wohnte er in der Suite, und die Frauen bettelten darum, von ihm eingelassen zu werden, weil er der Star war. Reich und berühmt.

Draußen im Park wurde sein Name gerufen. Bestimmt hatte er vergessen, die Schubkarre wegzuräumen. Er wischte den Schweiß von der Oberlippe, über der ein spärlicher Schnurrbart spross, und stellte das Hilfsmikrofon zurück ins Regal. Nein, er hatte immer noch keinen echten Plan für seine Zukunft. Aber er hatte einen Traum.

Mittwoch 22. Mai, Vielbrunn, 22:00 Uhr

– Frank Liebknecht –

Die Katze lag auf seinen Beinen, eng an den Bass geschmiegt und schnurrte zu den tiefen Tönen, die den Korpus zum Vibrieren brachten. Normalerweise wurde Trinity um diese Zeit längst unruhig, wollte nach draußen, sobald die Dämmerung einsetzte. Heute zeigte sie sich anhänglich und wich seit Stunden nicht von seiner Seite. Frank schlug ihren Lieblingsakkord an und kraulte sie zwischen den Ohren. Er durchschaute sie. Vielleicht nicht ganz so gut, wie sie ihn durchschaute, trotzdem war ihm klar, dass sie blieb, um seine Stimmung aufzuhellen.

Seit eineinhalb Jahren wohnte er in der kleinen Wohnung im ausgebauten Heuboden. Ein Provisorium, an das er sich gewöhnt hatte. Jetzt musste er raus. Die Ankündigung hatte ihn härter getroffen als erwartet. Er hasste es, private Entscheidungen zu treffen. Er hasste Veränderungen, er hasste das Alleinsein. Und ja, manchmal hasste er auch diese Wohnung, in der fast nichts ihm gehörte außer dem Bass und der Katze. Möbliertes Notquartier bei seiner Exkollegin im Ruhestand, nachdem seine erste Wohnung in Vielbrunn ausgebrannt war.

»Ein Zuhause wäre schön«, seufzte er, schob die Hand unter Trinitys Bauch und hob sie auf seine Brust. »Für dich und mich. Ein Ort zum Wohlfühlen. Aber sieh dich mal um, ich habe dafür kein Talent.«

Trinity verpasste ihm einen weichen Hieb auf die Nase. Sie nahm dazu immer das Bein, an dem die Pfote fehlte. Nie die Krallen.

»Ja, okay, ich höre schon auf zu jammern.«

Das Telefon klingelte, dienstlich, erkennbar an der Nummer, die die Rufumleitung anzeigte. Er setzte die Katze auf dem Sofa neben sich ab, ehe er das Gespräch entgegennahm.

»Frank Liebknecht, polizeilicher Bezirksdienst Vielbrunn, guten Abend.«

»Hier iss der Kurt. Biss du das, Frank?«

»Ja, bin ich. Was ist los, Kurt, geht es dir gut?«

»Alles paletti. Mit mir.« Die Antwort kam schleppend und mit schwerer Zunge. »Aber ich muss ein Verbrechen anzeigen.«

Frank stellte den Bass weg und suchte auf dem Tisch zwischen den Resten seines Abendbrots, Zeitschriften und unerledigter Post nach Stift und Schreibblock. »Okay, dann mal los. Was ist passiert?«

»Nix.«

Am anderen Ende blieb es kurz still. Frank wartete. Bei Betrunkenen dauerte es meistens etwas länger, bis sie zum Punkt kamen. Probeweise malte er mit dem Kugelschreiber Kringel aufs Papier.

»Nix ist passiert. Noch nicht. Wird aber. Gibt böse Menschen, weißt du das? Richtig böse Menschen.«

»Ja, weiß ich Kurt. Ich bin Polizist. Was haben sie denn vor, die bösen Menschen?«

»Weiß ich nicht. Nicht genau jedenfalls. Aber …« Kurt schnaufte kurzatmig.

»Machst du gerade einen Waldlauf? Bleib stehen, Kurt und konzentrier dich. Warum genau hast du mich angerufen? Sag mir einfach das, was du weißt.«

»Im Hotel passiert was. Bald. Das hat er gesagt, und ich sag es jetzt dir. Nur dir. Weil du, du musst das verhindern. Das Komplott. Weiß sonst keiner. Die glauben mir sowieso nicht, die andern. Die meinen immer, ich spinne. Der Unger auch. Der Sack. Rückt kein Bier mehr raus und keinen Schnaps.«

Ihm keinen Alkohol mehr auszuschenken, war garantiert eine gute Idee vom Wirt des Dorfkrugs gewesen. Kurt hatte eindeutig schon mehr als genug. Mit ein wenig Zuspruch konnte Frank ihn hoffentlich dazu bewegen, keinen Unsinn anzustellen. Sicher war er allerdings nicht. Auch wenn ihr Gespräch einen vertrauten Eindruck machte, waren sie keineswegs gute Bekannte.

»Ich glaube dir, na klar. Wer hat dir von dem Komplott erzählt?« Er notierte Datum und Uhrzeit, dazu Kurts Namen; wenn nichts dahintersteckte, verschwendete er maximal einen Bogen Papier.

»Nicht erzählt. Gehört hab ich es. Ge-hö-ert. Aber niemand gesehen.«

Frank kritzelte Fragezeichen hinter das Wort »Komplott«. »Bist du noch im Dorfkrug oder schon auf dem Heimweg?« Es rumpelte und fluchte leise. Die Oderfrage war möglicherweise zu schwierig. »Wo bist du gerade?«

»Arrogantes Pack«, meldete sich Kurt wieder zu Wort. »Sollten mir doch eigentlich ganz egal sein, oder? Haben es nicht besser verdient. Hat er gesagt. Und da hat er recht. Die wollen dauernd nur haben, haben, haben. Nur Sonderwünsche, und dann gucken sie dich nicht mal an, die Fernsehleute. Gucken dir nie ins Gesicht. Mache ich nicht mehr lange mit. Ohne mich. Sollen sie doch sehen, was sie zu fressen kriegen … Hab die Schnauze voll, so voll.«

Das Gerumpel im Hintergrund verhieß nichts Gutes, außerdem wurde Kurt immer leiser. »Rechnung bezahlen. Müssen wir alle. Die auch. Endabrechnung, hat er gemacht …«

»Gehst du nach Hause?«, fragte Frank erneut und bekam nur ein ausweichendes Brummen zur Antwort. Das Gespräch hatte so wenig Zweck. »Hör zu, Kurt, entweder sagst du mir jetzt, wo du bist, und ich komme zu dir, damit wir reden können. Oder du versprichst mir, dass du sofort in dein Bett gehst und keinen Mist baust, nur weil der Unger dich aus der Kneipe geschmissen hat. Dann meldest du dich morgen wieder, wenn du ausgeschlafen hast.«

Etwas quietschte. »Ist gebongt, Sheriff. Ich trink nur noch einen, bevor ich schlafen gehe.« Kurt prustete unterdrückt. »Auf die Schlageraffen und Giraffen.«

Na bitte, das klang doch schon besser. »Sehr gut. Wir sehen uns also morgen, und dann sagst du mir, was im Hotel passieren soll.«

Frank hörte Kurt den Deckel von einer Flasche hebeln und dann gluckernd ein paar Schlucke trinken.

»Ein Mord«, sagte Kurt. »Ein Mord wird passieren.«

Donnerstag 23. Mai, Vielbrunn, 10:50 Uhr

– Frank Liebknecht –

Kurt Gössner hatte sich nicht mehr gemeldet. Der Zettel, auf dem Frank die wirre Aussage mitgeschrieben hatte, lag auf seinem Schreibtisch bereit. Vielleicht sah das geplante Mordkomplott im Morgenlicht betrachtet auch für Kurt nicht mehr ganz so eindeutig und zwingend aus wie noch am Abend zuvor. Wirklich viel hatte er dazu ohnehin nicht mehr zu sagen gehabt. Nur, dass er zufällig ein Gespräch mitgehört hatte, geflüstert im Halbdunkel.

Frank schloss die Tür der Dienststelle zu und setzte sich aufs Fahrrad, um seine Runde durch den Bezirk zu drehen. Er bog vor dem Friedhof rechts ab und legte einen kleinen Sprint ein, um richtig warm zu werden – am Ortsrand entlang und vorbei an einem Aussiedlerhof bis zum oberhalb des Dorfes gelegenen Sportplatz. Die sanften Hügel verbreiterten sich auf Höhe der Landstraße zu einem Plateau, an dessen Flanken sich Vielbrunn anschmiegte und je nach Blickwinkel völlig in der Senke verschwand oder wieder auftauchte. Unverkennbar durch die leuchtend gelbe Kirche in der Dorfmitte.

Er rückte den Fahrradhelm zurecht und hauchte auf seine klammen Finger. Noch nicht mal zehn Grad. Der Mai erlebte einen unangenehmen Kälteeinbruch, und der Himmel blieb auch heute wieder freudlos grau, ohne Aussicht auf Sonne. Das passte perfekt zur drohenden Wohnungssuche und zum anstehenden Urlaub, bei dem die Planung danebengegangen war. Ohnehin erinnerte er sich nur ungern an die letzten Wochen.

Das Jahr war verhext. Vor gut einem Monat hatte er einen Freund und Kollegen beerdigen müssen und die aufkeimende Beziehung mit einer Frau beendet, noch bevor sie richtig beginnen konnte. Sollte er wirklich erwarten, dass jetzt plötzlich alles besser wurde? Statt wie üblich einen der benachbarten Ortsteile anzusteuern, lenkte er das Rad kurzentschlossen zurück nach Vielbrunn.

Wie war das noch mit dem Berg und dem Propheten? Wenn Kurt sich nicht meldete, dann würde eben er dem Hotel, in dem die Fernsehleute abgestiegen waren, einen Besuch abstatten. Rein prophylaktisch. Seit einer Woche herrschte im Dorf ihretwegen der inoffizielle Ausnahmezustand. Offiziell nahm keiner Notiz von dem Fernsehteam und den Teilnehmern der Castingshow, die sich im Parkhotel eingemietet hatten.

Dafür gab es eine Vielzahl an Gründen. Zum einen wollte sich niemand Neugier nachsagen lassen oder aufdringliches Verhalten. Schließlich waren neben den vielen unbekannten Nachwuchstalenten auch drei echte Stars der Schlagerszene dabei, seit Jahrzehnten im Geschäft. Zum anderen war das Kulthotel an der Hauptstraße nicht unumstritten. Der Beschluss der jungen Hotelchefin, das Flair der Siebzigerjahre zu konservieren, betraf auch die Fassade. Und was man in den Siebzigern als chic betrachtet hatte, durfte – mit einigem Recht – heute als hässlich bezeichnet werden. Wuchtiger grauer Beton kombiniert mit braun getönten Rauchglasscheiben, und das über zwei ganze Stockwerke und mindestens fünfzehn Meter Straßenfront an der Ortsdurchfahrt.

Schön ging anders, das sah auch Frank so. Aber authentisch war es, und darum musste es so bleiben. Von den unzähligen Betrieben zur Blütezeit des Fremdenverkehrs, als Vielbrunn noch den Status eines Luftkurortes innehatte, existierte heute nur noch eine Handvoll. Frank vermutete stark, dass es in der Vergangenheit genügend Anlässe für Rivalitäten unter den Gasthausbetreibern gegeben hatte – und auch heute noch Abneigungen, die auf alten Eifersüchteleien beruhten. Die Odenwälder waren ein dickschädeliger Menschenschlag, das hatte er am eigenen Leib zu spüren bekommen. Wahrscheinlich fühlte er sich ihnen deshalb so verbunden. Stur sein konnte er auch.

Vor dem Tor am Parkplatz auf der Rückseite des Hotelgeländes sah er Hanna Thaler auf und ab gehen, eine Hand in die Hosentasche der Jeans geklemmt, in der anderen eine Zigarette. Sie hatte etwa Franks Alter und fast seine Größe, aber deutlich kürzere Haare.

»Guten Tag, Frau Thaler«, grüßte er und stieg ab.

Kommentarlos ließ sie den Rauch aus dem Mundwinkel strömen und verdrehte die Augen.

»Kein guter Tag?« Ihr Hund kam aus dem weitläufigen Garten geflitzt, durch den man zum Hoteleingang gelangte, und sprang an Franks Beinen hoch. Ein Fellknäuel im Handtaschenformat. »Hey, Frodo.« Er nahm den Winzling auf den Arm.

Hanna schüttelte den Kopf. »Ich dreh am Rad. Aber ich bin selbst schuld. Ich habe kurz hintereinander zwei Fehlentscheidungen getroffen, die sich gerade bitter rächen. Dabei hätte ich es wissen können.« Verkrampft lachte sie auf und warf den Zigarettenstummel auf den Boden, wo sie ihn mit dem Turnschuh austrat. Ausgiebig und nachdrücklich zerquetschte, als wollte sie ihn ins Pflaster einmassieren.

»Haben Sie Stress mit Ihren Gästen?«

Hanna schaute auf ihre Armbanduhr. »Geht noch. Aber ich schätze, in einer guten Stunde, spätestens in zweien, brennt hier die Hütte. Dann schreit die Bande da drinnen nämlich Hunger. Und so wie es aussieht, können die Herrschaften lange schreien.« Sie nahm das Handy aus der Brusttasche ihres karierten Hemdes und fluchte unterdrückt. »Nichts. Immer noch nichts. Um die Versorgung der Raubtiere kümmert sich ein Partyservice.«

»Kurts Kantine?«

»Ja, eigentlich. Aber der lässt mich offensichtlich heute hängen. Mich hat einer der Angestellten angerufen, dass der Chef nicht aufgekreuzt ist und sie nicht in die Küche können. Ich krieg ihn auch nicht ans Telefon. Und nun stehe ich da und muss abwägen, ob ich drauf vertraue, dass der Kurt noch zu Potte kommt – im wahrsten Sinne –, oder ob ich ersatzweise einen anderen Caterer engagiere. Je länger ich warte, umso unwahrscheinlicher wird es, dass ich einen finde, der mir mal eben auf die Schnelle ein Mittagessen für rund fünfunddreißig Personen zaubert – zu einem akzeptablen Preis. Was ich wahrscheinlich sowieso vergessen kann. Wenn ich Pech habe, sitze ich am Ende mit doppelt so vielen Mahlzeiten da, wie benötigt und darf natürlich auch die doppelte Rechnung bezahlen. Bestellt ist bestellt.«

»Unzuverlässig und wenig kompromissbereit, der Kurt Gössner?«

Hanna steckte die nächste Zigarette an. »So ist es. Wie gesagt: zwei Fehlentscheidungen.«

»Und die andere?« Frank sah einen Mann in Latzhose eine schwer beladene Schubkarre über den Parkplatz schieben. »Ich rate mal und sage, Handwerker.«

Hannas Blick folgte seinem, aber sie schüttelte den Kopf. »Der macht nur ein bisschen Chaos, weil er langsam ist und seinen Krempel herumstehen lässt. Der Gartenweg braucht ein neues Pflaster. Frostschäden und Verwerfungen durch Baumwurzeln.« Sie winkte ab. »Irgendwas fällt dauernd an. Nein, die zweite Fehlentscheidung war es, das Hotel exklusiv für die Showvorbereitung zu vermieten. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da einlasse.«

»Starallüren?« Frank setzte den zappelnden Hund zurück auf den Boden.

»Das kann man nicht beschreiben, muss man erlebt haben.« Hanna machte eine wegwerfende Handbewegung und schaute dann erneut auf die Uhr. »Ich muss wieder rein. Länger als zehn Minuten kann man die nicht alleine lassen. Haben Sie einen klugen Tipp für mich?«

»Keine Panik? Was Besseres fällt mir gerade nicht ein. Oder doch: Ich radle mal bei Kurt Gössner vorbei und sehe nach dem Rechten. Dann ruf ich Sie an.«

»Besten Dank. Wenn Sie ihn erwischen, treten Sie ihm gepflegt in den Allerwertesten, mit Gruß von mir.«

»Im Zweifel für den Angeklagten, Frau Thaler. Ich guck erst mal, ob er es verdient hat. Dann gerne.«

Seine Vermutung zu den Hintergründen für Kurts Abwesenheit behielt er für sich. Kein Anschwärzen ohne Beweise. Wenn Gössner immer noch seinen Rausch ausschlief, sah Frank keine Veranlassung mehr für Gnade, aber es bestand auch die Möglichkeit, dass er sich die Knochen gebrochen hatte und nun hilflos irgendwo herumlag. Nach seiner Information lebte Kurt allein in Vielbrunn und betrieb den Partyservice vom knapp fünfzehn Kilometer entfernten Erbach aus. Rechnete Frank die Strecke vom Dorfkrug nach Hause dazu, fanden sich reichlich Gelegenheiten, volltrunken einen Unfall zu bauen. Dem musste er nachgehen, berufsbedingt und auch aus persönlichem Interesse. Der angeblich geplante Mord im Hotel ging ihm nicht aus dem Kopf.

Eine Viertelstunde später lehnte Frank mit dem Rad an Kurt Gössners Gartenzaun und wählte Hanna Thalers Nummer.

»Sie brauchen einen Ersatz. Ich habe bei Kurt Sturm geklingelt und durch alle Fenster geguckt. Da rührt sich nichts, kein Licht an und kein Hinweis, dass er da sein könnte. Wissen Sie, ob er eine Freundin hat? Dann würde ich es dort noch mal probieren.«

»Ach verdammt, ich habe es befürchtet. Danke, dass Sie nachgesehen haben. Von einer Freundin habe ich nie etwas mitbekommen. Würde mich auch wundern. Er ist kein besonders einnehmender Zeitgenosse.«

»Haben Sie sich gestritten?«

»Nicht direkt. Er schimpft halt am laufenden Band über alles und jeden. Klar, die Gäste hier sind anspruchsvoll, aber er ist kleinlich. Wahrscheinlich will er mir nur zeigen, dass ich auf ihn angewiesen bin, und am Ende mehr Geld rausschlagen.«

Nachdenklich schaute Frank auf das stille Haus mit den leicht vergilbten Gardinen und dem verwilderten Garten. »Sie nehmen also nicht an, dass ihm etwas zugestoßen ist?«

»Nein. Ich nehme an, dass er mir eins auswischen will, weil ich ihn gestern ein bisschen zusammengefaltet habe.«

»Dann hatten Sie doch Streit mit ihm?«

»Ich habe ihm gesagt, dass er rückständig ist und von zeitgemäßer Küche und Service keinen Schimmer hat. Wenn ein Gast vegetarisch essen möchte oder vegan, kann er sich nicht hinstellen und sagen, es ist doch Brot da und Salat. Dann packt er seine alten Geschichten aus, wo er schon überall in der Welt gekocht hat und dass es da immer allen geschmeckt hat. Wenn er nicht in den nächsten Stunden auftaucht, war es das, dann kündige ich seinen Vertrag. Sprengt mir zwar vermutlich das Budget, aber immer noch besser, als wegen ihm ein Magengeschwür zu bekommen.«

Veganes Kochen gehörte ganz sicher nicht zu den klassischen Odenwälder Standards. Das Bild, das zu Kurts Ausraster geführt hatte, verdeutlichte sich: Er hatte die Schnauze voll, darum blieben die Teller leer. Da steckte eine gewisse Logik drin. Aber das war nur die eine Hälfte der Geschichte.

»Eine Frage noch, Frau Thaler. Kurt Gössner hat mich gestern angerufen und behauptet, im Hotel plane jemand ein Mordkomplott.«

»Wie bitte?«

»Halten Sie das für denkbar?«

Hanna seufzte. »Kam Ihnen Kurt bei dem Anruf nüchtern vor?« Frank zögerte eine Sekunde. Zu lange für ein klares Ja. »Bitte, da haben Sie Ihre Antwort. Ich bin so ein dummes Huhn. Das habe ich davon, dass ich ihm eine Chance geben wollte. Obwohl jeder weiß, wie gern er einen zischt.«

»Ist er Alkoholiker?«

»Den Eindruck macht er nicht. Aber wenn er trinkt, dann richtig, und cholerisch ist er auch. Lassen Sie es gut sein. Wo auch immer er steckt, der versoffene Mistkerl, sobald ich ihn erwische, präsentiere ich ihm die Rechnung. Mal sehen, ob er es dann immer noch witzig findet, unsere Abmachung nicht einzuhalten. Und die Sache mit dem Mord ist womöglich Teil seines eigenen Komplotts: gegen mich.«

Irgendetwas von Endabrechnung hatte Kurt auch gefaselt. Aber so sauer wie der gewesen war, konnte es durchaus sein, dass er gerade im Stillen seine Rache feierte.

»Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden und geben Sie mir Bescheid, sobald er bei Ihnen auftaucht. Ich würde gern noch mal mit ihm über die Sache mit dem Mord reden.«

»Logisch. Aber wenn hier demnächst ein Mord verübt wird, dann hab wahrscheinlich ich den Hohlkopf auf dem Gewissen.«

Dazu würde es hoffentlich nicht kommen. Frank ließ den Verschluss seines Fahrradhelms unterm Kinn einrasten. »Das Geständnis merke ich gerne vor, für alle Fälle.«

Freitag 24. Mai, Vielbrunn, 7:45 Uhr

– Hanna Thaler –

In der Küche stülpte Hanna eine Haube zum Warmhalten über das letzte Frühstücksei und stellte es neben den Obstsalat aufs Tablett. Wurst, Käse, Orangensaft – alles vorbereitet, und später wieder die obligatorische Rundfrage nach Joghurt und sonstigen Extrawünschen. Noch bevor sie den ersten Gast gesehen hatte, wurde sie nervös. Das Frühstück stemmte sie mit links, auch wenn alle gleichzeitig abgefüttert werden wollten. Das war normal. Nur bei voller Belegung kam zusätzlich eine Hilfskraft ins Haus. Aber nach dem Frühstück wurde es heute eng. Es sei denn, ein Wunder brachte ihr Kurt Gössner zurück.

Der Caterer, der gestern für zwei Mahlzeiten eingesprungen war, verlangte pralle Aufschläge für den Notfallservice, und was er dafür ablieferte, riss niemanden vom Hocker, aber ein mächtiges Loch in ihre Kalkulation. Mit einem Hüftstoß öffnete sie die Schwingtür. Lächeln, immer schön lächeln.

Im Frühstücksraum gegenüber der Theke hatten sich die ersten Tische bereits gefüllt. Die Jüngsten unter den künftigen Schlagersternchen waren zeitig auf den Beinen, das musste sie ihnen lassen. Die älteren Semester trödelten da schon eher und die Crew sowieso.

Hanna versuchte gar nicht erst, sich alle Namen zu merken. Am Wochenende war für einige der Newcomer sowieso bereits wieder Schluss bei Schlager reloaded, dann saß die Jury über ihr Talent zu Gericht. Hannas Lächeln wurde freundlicher, als sie in die hoffnungsvollen und gut gelaunten Gesichter schaute. Woher nahmen die nur alle ihren Optimismus? Am Ende konnte es nur einen Gewinner geben, einen Siegestaumel und einen Plattenvertrag. Alle anderen mussten sich mit der zweifelhaften Auszeichnung, dabei gewesen zu sein, begnügen. Sie versprach sich selbst, wenigstens für eine anständige Henkersmahlzeit zu sorgen, um ihnen den schweren Gang zum Casting-Galgen zu erleichtern, und winkte in eine Handykamera. Im Stillen verwünschte sie Kurt, dem sie die mörderischen Assoziationen verdankte.

»Ich bringe gleich den Kaffee und die Brötchen.«

Frodo raste kläffend zum Eingang, um die nächsten Gäste zu umschwänzeln. Er machte keine Unterschiede und begrüßte jeden mit der gleichen Begeisterung.

»Ist das zu viel verlangt?«

Die Handykamera am Tisch schwenkte in Richtung der Stimme. Frodo hüpfte wie ein Gummiball neben zwei Männern auf und ab, fand aber keine Beachtung.

»Wenigsten ein bisschen Ruhe und Privatsphäre! Außerdem ist die Öffnungszeit einfach inakzeptabel. Das habe ich dir schon mehrfach gesagt. Ich brauche meinen Sport vor dem Frühstück. Davor, nicht danach. Sonst fehlt die Zeit für die Arbeit mit meinem Team.«

Das fing ja super an. Hanna stützte das leere Tablett gegen den Bauch und ging auf die beiden zu.

»Guten Morgen Herr Martens, guten Morgen Herr Ziegler – was kann ich Ihnen denn Gutes tun?«

»Siehst du Martens, die Frau hat es begriffen.« Ziegler legte eine Hand auf ihren Arm. »Die Sache ist die …«

»Richard, jetzt lass uns erst mal einen Kaffee trinken.«

»Nein. Du magst der Produzent sein, aber ich« – Richard Ziegler tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust und flüsterte – »ich bin das Zugpferd in deinem lahmen Zirkus. Das scheinst du leider des Öfteren zu vergessen.«

Dieser Gesprächsanteil war sicher nicht für ihre Ohren bestimmt, und Hanna bemühte sich, ihn zu ignorieren. Gern hätte sie sich in die Küche davongeschlichen, aber Ziegler hielt sie weiter fest.

»Wie sehen Sie das, Frau Thaler? Kann es tatsächlich ein Problem sein, dass man das Hallenbad am Morgen etwas früher aufschließt? Denn Martens meint, das sei ein Ding der Unmöglichkeit. Vielleicht meint er das aber auch nur, weil er selbst unflexibel ist. Oder weil mir jemand sogar dieses klitzekleine Entgegenkommen missgönnt?«

»Sei nicht albern, Richard.«

»Albern? Du hattest mir die Suite zugesagt!«

»Das war ein Missverständnis. Ich dachte, das hätten wir geklärt«, zischte Martens und drehte sich mit dem Rücken zum Frühstücksraum. Ihm lag offenbar daran, die Angelegenheit weniger öffentlich auszudiskutieren. »Bei drei Jurymitgliedern wäre es ein Affront den anderen gegenüber, die Suite zu vergeben. Darum haben wir im Sender entschieden, sie gar nicht zu nutzen. Ich hätte sie auch selbst beziehen können. Habe ich aber gelassen.«

Richard Ziegler schnaubte. »Großartig, ich bin dir ewig dankbar.«

»Das solltest du auch sein, lieber Richard – genau wie wir alle hier!« Mit aufreizendem Gelächter schlenderte das einzige weibliche Mitglied der Jury heran, das zudem noch an die zwanzig Jahre jünger sein mochte als ihre beiden männlichen Kollegen. Leandra, deren tiefe Stimmlage in auffallendem Kontrast zu ihrem zierlichen Körperbau stand. »Zynismus macht Falten«, fügte sie leiser hinzu und hauchte Richard Ziegler dann einen Kuss auf die Wange. »Beginne jeden Tag mit einem Lächeln! Und mit einem Kännchen grünen Tee. Sind Sie so nett, Frau Thaler? Ich setze mich an den Tisch ganz hinten links.«

»Natürlich, kommt sofort.« Endlich ließ Richard Ziegler Hannas Arm los, und sie belohnte das mit einem freundlichen Nicken. »Also von meiner Seite spricht nichts dagegen, wenn Sie das Hallenbad schon eine Stunde früher nutzen wollen.«

»Da hast du es, Martens. Meinen herzlichen Dank, Frau Thaler – ich muss nur gerade noch klären, ob der Herr Produzent das erlaubt.« Ziegler streckte Martens die Hand entgegen. »Eine Stunde für mich. Exklusiv. Von sieben bis acht Uhr Alleinnutzung des Hallenbades, ohne Störung. Darauf will ich dein Wort. Danach kann sich dort tummeln wer will.«

»In Gottes Namen, wenn es dir so wichtig ist. Bitte.«

Martens schlug ein, und Richard Ziegler nickte bedächtig. »Dann ist es also beschlossen.« Als er den Kopf hob, schaute er direkt in die laufende Handykamera. »Wie sagte die bezaubernde Leandra gerade? Beginne jeden Tag mit einem Lächeln!« Schelmisch kniff er ein Auge zu.

Freitag 24. Mai, Vielbrunn, 9:45 Uhr

– Frank Liebknecht –

Hannas Anruf erwischte ihn alles andere als unvorbereitet. Unter ihren Ärger mischte sich zunehmend Sorge.

»Das kommt mir jetzt doch komisch vor. Gössner mag ein nachtragender Hornochse sein, aber hier geht es ja auch um sein Geld und um seine Angestellten. Kann ich Kurt bei Ihnen vermisst melden? Oder wie läuft das ab?«

»Genau so läuft das. Vermisstenmeldung geht nachher gleich raus. Die Daten habe ich ja. Immerhin kann ich Ihnen schon sagen, dass er sich nicht im Suff in der eigenen Wohnung den Hals gebrochen hat. Ich habe heute Morgen rumtelefoniert und mir dann seinen Ersatzschlüssel bei der Nachbarin geholt.«

Frank stand im Schlafzimmer. Nachdem er sich zuerst versichert hatte, dass Kurt nirgendwo im Haus war, warf er nun einen Blick in die Schränke. Schwer zu sagen, ob von seinen Sachen etwas fehlte. Große Lücken zwischen den Kleidungsstücken gab es nicht. Noch sah er keine Veranlassung für eine gründlichere Durchsuchung, und es gab auch keine rechtliche Grundlage, die ihm das erlaubt hätte. Kurt war ein erwachsener Mann, es stand ihm frei zu gehen, ohne sich abzumelden, auch wenn es unüblich war und weder Hanna noch seinen Angestellten gegenüber anständig.

»Die zweite gute Nachricht: Er ist nicht im Krankenhaus gelandet.« Und auch nicht im Leichenschauhaus. Tödliche Unfälle waren in den vergangenen beiden Tagen und Nächten in der näheren Umgebung keine gemeldet worden, trotzdem hatte er das geprüft. »Ab morgen sind die Erbacher Kollegen zuständig, wenn noch was ist. Ich bin dann im Urlaub und eine Woche außer Dienst.«

»Alles klar.« Hanna blieb weiter in der Leitung, und er verwünschte sich dafür, dass er wieder einmal den Absprung aus dem Gespräch nicht schaffte.

»Wirklich alles klar, Frau Thaler?« Er lauschte ihrem Schweigen und zog eine Schublade auf. Einzelsocken, unsortiert, mit Löchern und ohne.

»Nein, gar nichts. Aber das ist nun echt nicht Ihr Problem. Ich steh halt genauso dumm da wie gestern. Dabei hatte ich fest damit gerechnet, dass Kurt mich heute dreist erpresst und den abgemachten Preis neu verhandeln will. Im Augenblick wäre ich fast froh drum … Wir haben für die Hotelküche nur die Lizenz, um Frühstück zu machen. Die ganze alte Einrichtung entspricht nicht mehr den modernen Standards. Sollte einer von der Behörde mitkriegen, dass ich mich nicht an die Auflage halte, machen die mir den Laden dicht, wenn ich Pech habe. Sonst hätte ich es mit der Versorgung selbst versucht, zusammen mit meiner Oma.«

Die Seniorchefin war mehr als nur der gute Geist des Hotels. Trotz ihrer achtzig Jahre war sie immer präsent und werkelte fleißig mit. Stillsitzen lag ihr nicht. In der Hinsicht erinnerte sie Frank stark an Brunhilde. Ja, natürlich: Brunhilde!

»Ich glaube, ich hab die Lösung für Ihr Problem. Wenn Sie wollen, dann …« Verdammt, schon wieder. Wieso konnte er sich nicht einfach raushalten und musste jede Idee aussprechen, noch bevor sie richtig zu Ende gedacht war? Hannas hoffnungsvolles Atemanhalten zwang ihn, den Satz zu vervollständigen. »Dann versuche ich Ihnen ein Spezialeinsatzkommando fürs Mittagessen zusammenzutrommeln.«

»Ich kann Ihnen gerade nicht folgen, Herr Liebknecht.«

Wie sollte sie auch? Frank wühlte sich in stummer Verzweiflung durch die Haare. Er war gerade mal wieder dabei, sich selbst zu überholen.

Frank fand Brunhilde Schreiner im Garten. Dick eingemummt saß sie in ihrem Strandkorb – dem Weihnachtsgeschenk ihrer Söhne –, den sie in Erwartung des Sommers hartnäckig seit Anfang Mai benutzte. Neben ihr lagen unangetastet ein Stapel Bücher, die Tageszeitung und die Lesebrille. Sie konnte noch nicht lange hier gesessen haben.

»Hast du viel zu tun?«

»Nichts, was ich nicht aufschieben könnte.«

In ihren Augen blitzte die Vorfreude auf ein wenig Abwechslung. Jahrzehntelang war sie die Beamtin im besonderen Bezirksdienst in Vielbrunn gewesen – Vollblutpolizistin, Ansprechpartnerin in allen Notlagen und Fels in der Brandung für alle im Dorf. Zum Ende ihrer Dienstzeit hatte sie Frank für die Stelle eingearbeitet, ihn in die ungeschriebenen Gesetze des Gemeindelebens eingeweiht und schließlich fast adoptiert, als er kurzfristig eine Unterkunft gebraucht hatte. Für sie war der Ruhestand eine Zumutung und kein Segen und trieb sie zu immer neuen Experimenten, um die ungeliebte Freizeit zu füllen.

»Es ist wegen Kurt Gössner.« Ihr wissendes Nicken machte lange Erklärungen überflüssig. Sein Verschwinden hatte sich längst herumgesprochen und Hanna Thalers dadurch entstandene Misere garantiert auch. »Das Parkhotel findet keinen schnellen Ersatzlieferanten: die Bude voller Fernsehleute und nix zu beißen.«

»Ja, und?«

»Hanna Thaler hat Kurt offiziell bei mir vermisst gemeldet, deshalb würde ich ihr gerne helfen. Meine Fähigkeiten als Koch kann ich ihr aber schlecht anbieten.«

»Fähigkeiten?« Brunhilde lachte.

»Siehst du, du weißt genau, was ich meine.« In puncto Essenszubereitung war er eine absolute Niete. »Darum dachte ich an dich und deinen Hausfrauenverein.«

»Hausfrauenverein? Pfui schäm dich. Wir sind das Frauennetzwerk Vielbrunn, das ist eine ganze Menge mehr als ein Hausfrauenverein!«

Automatisch zog er das Genick ein. »Weiß ich doch, Bruni.« Computerclub, Generationenhilfe, Forum für Selbstständige. »In dem speziellen Fall bräuchte es aber tatsächlich vor allem hauswirtschaftliche Fähigkeiten. Meinst du, du kannst dein Netzwerk-SEK mobilisieren, um Nothilfe im Hotel zu leisten?«

»Du versuchst mich um den Finger zu wickeln. Und dann steigst du mit einem Machospruch à la Marcel Neidhard ein? Hausfrauenverein!« Kopfschüttelnd schaute sie ihn an. »Spar dir den Bettelblick, Frank.«

»Das war doch nicht Macho und auch …«

Mit dem erhobenen Zeigefinger schnitt sie ihm das Wort ab. »So leicht kommst du mir nicht davon. Das war Macho – und die Hotelchefin gehört nicht zu unserem Netzwerk, das ist dir schon klar, oder? Wahrscheinlich hält sie uns auch für einen drögen Hausfrauenverein, der nichts anderes im Sinn hat, als Topflappen zu häkeln.«

Sie schälte sich aus der Fleecedecke und klappte die Fußstütze weg, auf der sie ihren verstauchten Knöchel gelagert hatte. Folge eines Fehltritts beim Absteigen von der Leiter, als sie eine neue Lampe im Flur montiert hatte.

Frank streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen, aber Brunhilde zog es vor, diese zu ignorieren, und wuchtete sich alleine hoch.

»Jetzt braucht die Hanna Thaler also jemanden, der ihr die Schlagerfuzzis bekocht. Und du organisierst für sie das SEK.« Brunhilde baute sich vor Frank auf. Er musste immer ein wenig zu ihr hochsehen, was ihn am Anfang verunsichert hatte. Ihrem Rüffel zum Trotz schenkte er ihr erneut ein zaghaftes Lächeln und sie verpasste ihm einen Klaps auf die Wange. »SEK. Das gefällt mir. Du Lump. Das gefällt mir, und das hast du ganz genau gewusst. SEK!«

Ertappt hielt er ihr auch die andere Wange hin und holte sich einen zweiten Klaps ab. Das war besser gelaufen, als er zu hoffen gewagt hatte.

»Lass mich mal machen«, brummte Brunhilde und humpelte ihm voraus über den Hof. »Lass mich einfach machen und sag der Hanna Bescheid, dass die Sache läuft. Und jetzt hau ab, ich habe zu tun.«

»Du bist ein Schatz, Bruni!«

Mit zwei schnellen Schritten überholte er sie, warf ihr eine Kusshand zu und rannte dann halb seitwärts, halb rückwärts stolpernd zum Tor.

Er brauchte nur wenige Klicks, um die Vermisstenmeldung abzuschließen. Alle relevanten Daten standen im Protokoll und waren im Computer erfasst. Eigentlich war die Sache damit für ihn erledigt. Er trommelte mit dem Kuli auf dem Schreibtisch und griff zum Telefon.

»Neidhard.« Die geschnauzte Begrüßung durfte er getrost persönlich nehmen. Seine Rufnummer wurde auf dem Apparat des Kollegen angezeigt, und Marcel Neidhard erkannte sie garantiert sofort. Also wollte er unfreundlich sein.

»Hey, Marcel.« Frank überging die Missstimmung. »Ich habe gerade eine Vermisstenmeldung eingegeben und wollte dir …«

»Online reicht doch.«

»Ja, aber ich bin nächste Woche nicht im Dienst, und deshalb …«

»Ist mir bekannt. Wir kriegen das hin, auch wenn du Urlaub machst.«

»Mann, jetzt lass mich doch mal ausreden.« Der Clip seines Kugelschreibers zerbrach mit hässlichem Knirschen und flog quer durch die Dienststelle. »Die Sache ist ein bisschen verzwickt. Der Mann hat mich kurz vor seinem Verschwinden angerufen und von einem Mord gefaselt.«

»Mord? Dann ist es ein Fall für die Chefin. Ich verbinde dich.«

»Nein, warte!« Pausenmusik dudelte vom Band. »Verdammt.«

Marcel hatte ihn einfach in die Warteschleife geschaltet. Na großartig. Seit die neue Kommissariatsleiterin ihren Dienst aufgenommen hatte, kam mit Marcel kein normales Gespräch mehr zustande. Frank reckte den Hals. Der Clip war direkt vor der Tür gelandet. Er umrundete den Schreibtisch und zog die Schnur des alten Telefons lang, um ihn aufzuheben. Den Hörer behielt er dabei am Ohr. Ob die Frau dafür sorgte, dass keiner mehr ein privates Wort mit Kollegen wechselte?

Das erklärte allerdings nicht, warum sie sich auch außerdienstlich kaum noch trafen. Eigentlich waren sie doch Freunde. Die Musik brach ab, es folgte das Besetztzeichen, und Frank legte auf. Eigentlich, dem Wort haftete immer auch ein gewisser Zweifel an. Er warf den Clip in den Müll und wartete, eine Minute, zwei Minuten, drei. Das Telefon klingelte.

»Hallihallo, sorry, Frank, du bist gerade aus der Leitung geworfen worden.« An Marcels Stelle meldete sich Sylvia Klingelhöfer.

»Hey, Sylvie. Hat Marcel mich absichtlich rausgekickt?«

»Zuzutrauen wäre es ihm. Er durchlebt gerade eine akute Kotzbrockenphase. Aber in deinem speziellen Fall: nein. Das lag an der neuen Telefonanlage, mit der haben wir alle Stress. Warum er jetzt weg ist, statt dich selbst zurückzurufen, wissen die Götter. Jedenfalls habe ich dir Grüße von der Chefin auszurichten, sie ist gerade in einer Besprechung. Du sollst heute Mittag mal bei ihr reinkommen und ihr die neuste Vielbrunn-Story live berichten. Um zwei Uhr, wenn dir das passt.«

»Ja, ist in Ordnung. Sag mal, Sylvie, muss ich noch was wissen, über die Neue? Wie ist sie so?«

Bisher waren sie einander noch nicht begegnet. Als Leiterin der Abteilung Kapitalverbrechen in der Kriminalinspektion Erbach war Isolde Dannenberg ihm nicht vorgesetzt. Trotzdem machte ihn das bevorstehende erste Zusammentreffen nervös. Von Marcel hatte er nach ihrem Einstand kaum etwas erfahren.

»Kein Kommentar. Mach dir selbst ein Bild und gib ihr eine Chance. Sie kann nichts dafür, dass Brenner nicht mehr da ist.«

»Ich bin nicht Marcel.«

Sylvie seufzte gedehnt. »Da sagst du was.«

Freitag 24. Mai, Erbach, 14:00 Uhr

– Frank Liebknecht –

Frank stand im Eingangsbereich der Kriminalinspektion und wartete darauf, von Isolde Dannenberg abgeholt zu werden. Persönlich, wie ein Besucher. Sonst war er einfach zu den Kollegen durchmarschiert, nachdem er sich am Empfang kurz angemeldet hatte. Er zupfte an einem Faden auf der Innenseite seiner Dienstmütze, ließ sie am Finger schaukeln, schnappte nach, als sie fast fliegen ging. War das ein Psychotest, ihn hier zappeln zu lassen? So was Bescheuertes. Seine Finger zuckten.

Neben dem Eingang steckten Flyer im Regal. Aufklärungsmaterial für die Bevölkerung, Hilfsangebote. Er konzentrierte sich darauf, die Hände stillzuhalten und nicht irgendwelche Gitarrenriffs zu üben, auch wenn ihn das immer beruhigte. Die Töne und Bewegungen mussten in seinem Kopf bleiben.

Er hörte schnelle Absätze die Treppe herunterkommen und drehte sich um. Dynamischer Schritt, gerader Blick, der ihn interessiert, aber zurückhaltend musterte.

»Frank Liebknecht?« Isolde Dannenberg streckte ihm die Hand entgegen, und er nickte stumm.

»Na dann wollen wir mal.«

Schweigend folgte er ihr und verpasste Sylvie im Vorbeigehen einen kurzen Handschlag. Marcels Platz war leer. Im Büro setzten sie sich einander gegenüber.

»Schön, dass es geklappt hat. Gespräche Auge in Auge sind doch etwas anderes, als nur zu telefonieren.«

Auge in Auge. Sie schaffte es tatsächlich, den Satz nicht ironisch klingen zu lassen und ihn, ungeachtet seines leichten Schielens, weiter direkt anzusehen. Frank blinzelte. Sie sah genauso aus, wie Marcel sie beschrieben hatte. Groß, schlank, Hosenanzug in hellem Grau, kurze, sehr exakt geschnittene Frisur. Automatisch überlegte er, ob er sich am Morgen gründlich genug rasiert hatte und ob es sie wohl störte, dass er die Haare im Nacken zu einem kurzen Zopf gebunden trug. Nein, er hatte kein Problem mit weiblichen Vorgesetzten – mit Brunhilde war er super klargekommen –, nur mit Frauen im Allgemeinen. Darum achtete er auch darauf, dass ihm Hanna gegenüber nicht versehentlich ein Du herausrutschte. Obwohl er sie gerne mochte. Aber beim letzten Mal war das gründlich schiefgelaufen. Jetzt setzte er auf Distanz. Bei Isolde Dannenberg fiel ihm das leicht.

»Ich habe es gerne einfach und präzise, ohne langes Palaver drum herum. Was hat es mit dem angeblichen Mordkomplott auf sich? Was ist der verschwundene Caterer für ein Typ? Wie glaubhaft ist das Ganze?«

So knapp wie möglich schilderte Frank die Lage im Hotel und die Spannungen zwischen Kurt Gössner und Hanna Thaler.

»Bei seinem Anruf war Gössner angetrunken«, schloss er den Bericht. »Insofern ist es schwer zu beurteilen, wie glaubhaft die Bedrohung ist. Zumal er weder den Namen eines potenziellen Opfers noch des Täters nennen konnte.«

»Aber genau die Beurteilung will ich jetzt hören, denn auf die werde ich mich beziehen, wenn ich mit wem auch immer über die Fakten spreche.« Sie tippte sich gegen die Schläfe. »Frank Liebknecht hat mir gesagt, dass … Hm?«

Seine Hand krampfte sich um sein Knie, während er überlegte.

»Mal angenommen, es stünde kein Urlaub an. Säßen wir uns dann jetzt auch gegenüber? Mal angenommen, es gäbe keine Kriminalinspektion Erbach …«

»Wenn ich es allein machen müsste, würde ich mit dem Verantwortlichen vom Fernsehteam im Hotel reden. Ansonsten hätte ich Kurt Gössner als vermisst gemeldet, genau wie ich es jetzt auch getan habe, um auf Nummer sicher zu gehen. Und ich würde in beiden Fällen mit Frau Thaler in Kontakt bleiben und genau beobachten, ob da noch etwas nachkommt.«

»Damit uns hinterher keiner etwas vorwerfen kann.«

Frank nickte. »Ja. Auch wenn Kurt vielleicht nur sauer war und abgehauen ist.«

»Abgehauen?«

»Er hat mir gegenüber mehrfach betont, dass er die Schnauze voll hat. Und Frau Thaler sagt das auch.«

Isolde Dannenberg lehnte sich zurück, die Ellbogen aufgestützt, und klopfte die Fingerspitzen gegeneinander.

»Tja, sich abzusetzen ist sein gutes Recht. Weshalb mir die Bedrohung im Hotel nicht in letzter Konsequenz überzeugend scheint. Ein verärgerter Suffkopp, der von Mord fantasiert und verschwindet. Aber wenn wir nicht mehr haben, dann ist das eben so. Ich kümmere mich.« Ihr knappes Nicken signalisierte das Ende des Gesprächs. »In diesem Sinne: Ich wünsche einen schönen Urlaub.«

Freitag 24. Mai, Vielbrunn, 15:30 Uhr

– Hanna Thaler –

Die Bürotür neben der Rezeption war wie meistens nur angelehnt. Für ihre Gäste wollte Hanna Thaler jederzeit erreichbar sein, auch wenn sie Verwaltungsarbeiten erledigte. Buchungsanfragen, Materialbestellungen, Eventorganisation – in den letzten Tagen hatte sie einiges liegen lassen müssen – darunter auch Dankesbriefe an Stammkunden, die ihren Aufenthalt zugunsten der Fernsehleute verschoben hatten. Mit etwas Glück schafften die es heute noch zur Post. Hanna legte den letzten Briefumschlag beiseite.

»Ich hab keinen Bock mehr, Martens. Das ist doch alles Kinderkacke hier.«

Draußen braute sich offenbar schon wieder neuer Ärger zusammen. Dabei hatte sie nach dem erfolgreichen Mittagessen gerade einmal kurz durchatmen können. Sie erhob sich vom Schreibtisch und schob den Türspalt weiter auf.

»Kin-der-ka-cke!« Skandiert und erheblich lauter wurde die Botschaft wiederholt.

Leise trat Hanna aus dem Büro und machte sich am Rezeptionstresen zu schaffen.

»Wie war das?«

Veit Martens sprang von seinem Platz am Fenster auf und versuchte, den Mann am Arm zu packen, der ihm am nächsten stand. Mit einem Schritt rückwärts wich er Martens aus. Hanna erkannte in ihm einen der Musiker. Die anderen scharten sich im Halbkreis hinter ihm.

»Die Schlagerleute, die können Sie von mir aus weiter verarschen, aber mich und die Jungs nicht. Kommt doch nicht von ungefähr, dass der Koch hingeschmissen hat.« Er rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander. »Keiner kneift, solange die Kohle stimmt. Auch wenn die Arbeitsbedingungen bescheiden sind. Aber wenn beides nicht passt?« Verächtlich hob er die Hände. »Äh … Dann verlassen die Ratten das sinkende Schiff.«

»Soll das heißen, dass Sie eine Ratte sind, Reff?«

»Ich bin Musiker, und zwar nicht erst seit gestern. Wir sind für eine professionelle Fernsehproduktion engagiert worden …«

»Dann benehmen Sie sich gefälligst auch wie Profis!«

»… stattdessen hocken wir in diesem Saftladen mit Scheißakustik, müssen uns permanent zur Sau machen lassen und schlafen in Zwei- und Dreibettzimmern, mit Dusche und Klo auf dem Flur.«

Im unteren Stockwerk klappte eine Tür, es folgte Lachen und abwechselnder Gesang in unterschiedlichen Tonlagen, der sich zum Kanon teilte und wieder zusammenfand.

»Wenn Ihnen das nicht fein genug ist, bitte. Ein Vertragsbruch macht sich bestimmt gut bei der nächsten Bewerbung um einen Job«, zischte Martens gedämpft.

»Hey, davon hat keiner was gesagt. Alles, was wir wollen, ist ein Vorschuss als Zeichen guten Willens und als Beweis, dass die Supershow hier nicht schon pleite ist, bevor es richtig losgeht.« Reff behielt seine Lautstärke bei und folgte Martens’ Blick auf das singende Grüppchen Showteilnehmer, das nun die Treppe heraufkam. »Sofortige Bezahlung, mindestens für die ersten beiden Wochen – dann pennen wir auch weiter in einer Bude, als wären wir auf Klassenfahrt, und halten brav die Schnauze.«

Eines der Mädchen schwenkte die Handkamera zu den Streitenden hinüber. Martens drückte den Brustkorb raus.

»Wollen Sie mir etwa drohen? Sie und Ihre Jungs?« Er schaute in die Runde. »Ich sage Ihnen mal was: Sie alle haben Verträge unterschrieben, und wenn Sie vorher das Kleingedruckte nicht lesen, ist das Ihr Problem und nicht meins. Diese Produktion ist etwas Besonderes, sie hat einen experimentellen Charakter, eine Vision. Wenn Sie meinen, eine Revolte anzetteln zu müssen, sehe ich mich gezwungen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Ich kann nicht dulden, dass Sie den Teamgeist untergraben.«

»Teamgeist?« Reff drehte sich weg, stampfte mit dem Absatz auf und schnauzte ein lautes »Buh!« in die Kamera. Das Mädchen dahinter quiekte.

»Komm weg hier, Eileen.« Ein anderer Kandidat zog sie zur Seite.

»So sieht für Sie Teamgeist aus?« Reff lachte spöttisch. »Kuschende Hosenscheißer. Wir machen das nicht mit.«

Flüsternd sammelten sich die Kandidaten vor der Rezeption.

»Was ist da los, Frau Thaler? Worüber streiten die?«

Hanna legte den Finger vor die Lippen. Sie wollte nicht riskieren, das Ende des Schauspiels zu verpassen.

»Das war es, Reff. Nun reicht es endgültig!«

»Schmeißen Sie uns raus oder was?«

»Mitnichten.« Martens fixierte sein Gegenüber. »Sie, nur Sie verlassen das Schiff – um im Bild zu bleiben – wegen Meuterei. Es sei denn, es ist sonst noch jemand da, der mit Ihnen gehen möchte.« Er legte eine Hand an sein Ohr. »Möchte jemand?«

Keiner bewegte sich. Mit ausgebreiteten Armen genoss Martens den Triumph. »Sehr vernünftig.«

»Echt jetzt?«

Eileens Kamera zoomte hörbar heran. Reff drehte sich um und zeigte erst ihr, dann der Reihe nach allen anderen den Mittelfinger. »Elende Wichser.«

»Nicht so schnell, Reff.« Bedächtig trat einer der Männer vor. »Ich bin auch raus.« Er hob die Hand, und die beiden klatschten einander ab, besiegelten den Ausstieg mit einer ruppigen Umarmung.

»Sieht so aus, Martens, als bräuchten Sie einen neuen Bassisten und einen Percussionisten. Wissen Sie was, ich mache mir jetzt ein schönes Wochenende und hole meinen Krempel am Montag ab. Bin gespannt, ob Sie dann nicht auf Knien ganz lieb bittebitte sagen, dass wir wieder einsteigen.« Reff machte einen schnellen Schritt zu Eileen, packte ihren Arm mit der Kamera und hob sie dicht vors Gesicht. »Viel Spaß bei der Show ihr Loser. Ihr wisst es vielleicht noch nicht, aber hier wird es keinen Gewinner geben. Schlager ist tot. Was ewig lebt ist Rock ’n’ Roll. Yeah!« Er drehte die gehörnte Hand vor der Linse, ehe er das Mädchen wieder losließ.

»Totgesagte leben länger.« Richard Ziegler kam in Begleitung des Aufnahmeleiters aus dem angrenzenden Sitzbereich. Im Vorbeigehen zwinkerte er Eileen zu oder vielleicht auch nur ihrer Kamera. Eine Angewohnheit, die Hanna ständig an ihm beobachtete. »Und wir alle arbeiten an der glorreichen Wiederauferstehung. Zumindest wenn wir nicht durch das Krakeelen aufgeblasener Wichtigtuer gestört werden. Meinen Kaffee hätte ich schon gern in Ruhe getrunken. In Ruhe – kannst du mit dem Ausdruck etwas anfangen, Reff, oder muss ich es erklären?« Er setzte eine Kunstpause, in der man nur den Akku der Kamera piepsen hörte. »Bantow und ich haben die Show für Sonntag besprochen, das ist für alle von uns wichtig.«

»Du hast den Schuss ja wohl auch nicht gehört, Ziegler.« Reff lachte trocken. »Toter als du kann man überhaupt nicht sein. Da hilft auch kein Kaffee. Und du irrst dich: Eure Drecksshow ist eben nicht für alle wichtig.«

Oliver Bantow gab Eileen stumme Signale, die Aufzeichnung zu stoppen. Cut – Handkante quer über den Hals – cut, cut, cut.

»Mach das Ding aus«, flüsterte Hanna und tippte ihr auf die Schulter. »Sonst kriegt gleich noch jemand einen Anfall.«

»Wer nicht will, der hat schon, oder?« Martens klatschte in die Hände. »Und damit verabschieden wir uns von unseren beiden Exbandmitgliedern und wünschen eine gute Heimreise.«

Mit einer lässigen Verbeugung zog Reff symbolisch den Hut, dann trollten sich beide Musiker, und das tatsächlich ohne noch mal verbal nachzulegen.

Bantows Miene gefror, während ihm die Bedeutung des Vorfalls klar wurde. »Kann ich dich kurz sprechen, Veit?«

Martens nickte knapp. »Selbstverständlich.«

Bantow hob die Stimme. »Meine lieben Kandidaten und Kandidatinnen, nach meinem Tagesplan liegt gerade keine Pause an. Also: Worauf warten Sie? Ihre Coachs stehen bereit. Richard, sind da auch welche von deinen Schäfchen dabei? Dann nimm sie bitte direkt mit. Wir machen später weiter.«

An den Rezeptionstresen gelehnt blieb Oliver Bantow stehen und gab sich Mühe, Ruhe zu bewahren, bis er mit Veit Martens allein war. Hanna setzte ein verbindliches Lächeln auf und ließ sich nicht anmerken, dass sie die negativen Schwingungen spürte und jedes Detail der brisanten Situation mitverfolgt hatte.

»Kann ich Ihnen noch etwas bringen, Herr Bantow? Einen weiteren Kaffee vielleicht … und für Sie, Herr Martens?«

»Cognac. Zwei doppelte«, sagte Bantow mit Blick auf Martens und dann leiser: »Und eine Schrotflinte.«

Für wen er sich die wünschte, ließ er offen, und Hanna fragte lieber nicht nach.

»Ich bringe Ihnen den Cognac rüber.« Sie beeilte sich, die Gläser zu füllen und zu der Ledergarnitur im hinteren Loungebereich zu bringen. Der Ausblick in den Garten mit den hohen alten Bäumen wirkte meistens beruhigend und brachte die Seele zurück ins Gleichgewicht. Aber davon war Oliver Bantow weit entfernt.

»Sag mal, Veit, tickst du noch ganz richtig? Hast du allen Ernstes gerade zwei der Musiker gefeuert?«

»Nur einen. Der andere hat von selbst hingeschmissen.«

»Als ob das einen Unterschied macht!« Bantow hieb auf die Sofalehne ein. »Wo kriegen wir jetzt Ersatz her? Am Sonntag müssen die Aufnahmen für die zweite Ausscheidungsshow aufgezeichnet werden. Maske und Kamerateam sind bestellt, wir haben sogar einen echten Beleuchter, damit Christoph sich ausschließlich um den Ton kümmern kann. Die Kandidaten sind einigermaßen in der Spur, aber der Herr Produzent entlässt mal eben – zack – zwei Musiker!«

Martens öffnete den Mund, aber Bantow fuhr ihm schon vor dem ersten Wort in die Parade. »Wenn du noch mal was von freiwillig hingeschmissen sagst, flippe ich aus. Der Ziegler ging mir heute schon so auf die Nerven.«

»Der Ziegler?« Martens lachte meckernd. »Kann ich mir kaum vorstellen. Ist doch ein ganz Bescheidener …«

»Wenn du da mal nichts verwechselst. Aber Richard ist gerade nicht meine Hauptsorge. Du schuldest mir eine Erklärung, wieso du deine Differenzen mit Reff nicht anständig klären konntest – ohne die Hälfte der Teilnehmer als Zeugen. Und dem Team schuldest du zwei Musiker.« Er kippte den Cognac und schnippte mit den Fingern. »Frau Thaler?«