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Eine Reihe mysteriöser Selbsttötungen bereitet Hauptkommissarin NINA BRANDNER und ihrem Partner beim Morddezernat schlaflose Nächte und entfremdet sie ihrem Freund. Auch wenn Beweise fehlen, kommt ihnen der schreckliche Verdacht, daß sie es mit einem bestialischen Serienkiller zu tun haben. Als man auch ihren Partner mit geöffneten Pulsadern auffindet, wird NINAs schlimme Ahnung zur entsetzlichen Gewißheit…
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2018
Urs Aebersold
* 1944 in Oberburg / CH
1963 Abitur in Biel/Bienne (CH)
1964 Schauspielschule in Paris, Kurzspielfilm "S"
Studium an der Universität Bern
Weitere Kurzspielfilme. "Promenade en Hiver",
"Umleitung", "Wir sterben vor"
1967-70 Studium an der HFF München
1974 Erster Kinospielfilm DIE FABRIKANTEN
als Co-Autor, Co-Produzent und Regisseur
Diverse Drehbücher für "Tatort"
1986-93 Spielfilmredaktion Bayerischer Rundfunk
Ab 1994 wieder freier Autor und Regisseur
Ab 2016 erste Buchveröffentlichungen:
VERZAUBERT / NOVEMBERSCHNEE / DAS BLOCKHAUS - Drei Erzählungen
JULIA / AM ENDE EINES TAGES /DUNKEL IST DIE NACHT Drei Erzählungen
NUITS BLANCHES – Roman
DER BAUCH MEINER SCHWESTER / EIN PERFEKTES PAAR / DIESES JÄHE VERSTUMMEN – Drei Erzählungen
Psychothriller
Urs Aebersold
© 2016 Urs Aebersold
Cover-Foto: Standbild aus dem Kurzspielfilm
BALLANTINE'S von Urs Aebersold
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7439-8681-7
Hardcover:
978-3-7439-8682-4
e-Book:
978-3-7439-8683-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
BLUT WIRD FLIEßEN
Während er auf den Aufzug wartete, schloß sich die Tür der Praxis hinter ihm mit einem mißtönenden, metallischen Knirschen. Er fühlte sich gedemütigt und leer. Dieses überhebliche Ärztepack! Sie hatten keinerlei Hemmungen, die Hand aufzuhalten und die Provisionen zu kassieren, die ihnen die Pharmakonzerne anboten, doch ihn, den Überbringer, behandelten sie wie den letzten Dreck, dabei kannte er aus geheimen Aufzeichnungen, die ihm für die Verhandlungen zur Verfügung standen, und aus den Gesprächen, die er führte, so viele mittelmäßig Begabte, die den Arztberuf nur gewählt hatten, um soviel Geld wie möglich zusammenzuraffen. Und ihm, der sie alle in die Tasche steckte, hatten sie das Diplom verwehrt, weil sie seine Überlegenheit spürten und ahnten, daß er sich nicht an ihre Spielregeln halten würde.
Er trat auf die Straße und fand sich im schlimmsten Feierabendverkehr wieder. Er verzichtete darauf, ein Taxi zu rufen, und ging zu Fuß zur der nächsten U-Bahnstation.
Im Hotel nahm er eine Kleinigkeit zu sich, noch viel zu aufgewühlt, um mit Genuß zu essen, ging auf sein Zimmer und rief seine Frau an. Ihre Stimme klang schwach, offenbar hatte sie sich immer noch nicht richtig von ihrer Grippe erholt. Er sprach ihr gut zu, die Medikamente zu nehmen, die er ihr besorgt hatte, morgen gegen Mittag sei er wieder zu Hause.
Im Fernsehen sah er sich eine Nachrichtensendung an und ging früh zu Bett, er wollte fit sein, wenn er morgen den ersten Flieger bestieg.
Zu Hause angekommen, wunderte er sich, daß seine Frau auf sein Klingeln nicht reagierte, er schloß auf und fand sie im Schlafzimmer, apathisch auf dem Bett liegend. Er beugte sich zu ihr nieder, küßte sie leicht auf den Mund und erstarrte. Ihr Gesicht war wächsern, ihre Augen fixierten bewegungslos die Decke, entlang der Beuge ihres Arms, der vom Bett herunterhing, zog sich ein roter Striemen. Blutvergiftung! Seine geliebte Frau, sein einziger Halt im Leben! Und er hatte nach Schüttelfrost und Fieberschüben Grippe diagnostiziert! Panik ergriff ihn, wie hatte er sich dermaßen irren können?
Das Taxi hielt vor der Haustür, er schob seine Frau auf den Rücksitz, setzte sich neben sie und hielt ihren Arm umklammert, als könnte er damit seinen Irrtum ungeschehen machen, doch insgeheim wußte er, daß sie verloren war.
1
Es war noch früh im April, die Dämmerung war hereingebrochen, und ein leichter Nieselregen setzte ein. Der mausgraue Fiesta stand auf dem freien Platz zwischen riesigen, menschenleeren Lagerhallen, versteckt neben einem Tieflader, auf dem ein Bagger festgezurrt war, und einem schmutzigen Pick-up, von dem man nicht sagen konnte, ob er noch fahrtüchtig war, dahinter stand ein Container, der von Bauschutt überquoll.
Nina Brandner, die langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, rutschte nervös auf ihrem Fahrersitz hin und her und versuchte krampfhaft, die Einfahrt zu den Lagerhallen im Auge zu behalten. Das hatte gerade noch gefehlt! Sie konnte kaum noch etwas erkennen, die Lampen, die hoch oben an den Toren der Hallen befestigt waren, verbreiteten nur einen trüben Schimmer, und die Scheibenwischer durften sie auf keinen Fall betätigen, und sei es nur für eine einzige Wischbewegung, falls sie nicht ihre Tarnung riskieren wollten.
Nina sah zu ihrem neuen Kollegen Hannes Balkenhausen hinüber, mit dem sie zum ersten Mal im Einsatz war, und ärgerte sich augenblicklich über ihn. Blond und eckig, die Haare modisch geschnitten und gegelt, biß er seelenruhig von einem Sandwich ab und trank aus einem silbernen Becher Kaffee, den er in einer Thermoskanne mitgenommen hatte.
Balkenhausen spürte ihren Blick und wandte fragend den Kopf.
"Was ist? Warum machen Sie die Scheibenwischer nicht an?"
Nina versuchte ruhig zu bleiben.
"Wieso nicht gleich das Fernlicht, damit jeder weiß, daß wir hier sind?"
"Wir warten jetzt schon über eine Stunde auf das Phantom... warum gehen wir nicht einfach rein und suchen selber nach dem Diebesgut?"
"Schon vergessen? Ein Ladenbesitzer wurde niedergeschossen, wir suchen einen Mörder, wir sind nicht das Raubdezernat..."
"Sind Sie sicher, daß sich Ihr Tipgeber nicht irrt?"
"Falls der Mann, auf den wir warten, zum Versteck geht, das auf diesem Gelände sein soll, dann gehört er tatsächlich zur Bande, wie unsere Kollegen vermuten, vielleicht ist er auch der Mörder..."
Nina sah wieder angestrengt aus dem Fenster. Balkenhausen stopfte sich den Rest des Sandwichs in den Mund, trank den Kaffe aus, stellte den Becher auf den Boden und richtete sich wieder auf. Nina stieg der Geruch des billigen Gels in die Nase, mit dem er sich die Haare in Form brachte, und im gleichen Moment flammten weit vorne zwei Autoscheinwerfer auf, die sich langsam näherten.
Nina sah ihren Kollegen scharf an. Ihre dunklen Augen schienen ohne Pupillen.
"Es geht los... denken Sie daran, wir sind hier, um zu beobachten und Fakten zu sammeln. Zugriff nur auf mein Kommando... und jetzt ducken Sie sich..."
"Sie sind der Boß..."
Balkenhausen nahm seine Waffe aus dem Holster und entsicherte sie, Nina tat es ihm gleich, beide rutschten auf ihren Sitzen nach vorne.
Das Auto, ein großer Kombi, bog um die Ecke, seine Scheinwerfer wischten kurz über den Parkplatz, auch über die regennasse Windschutzscheibe des Fiesta, der genauso verlassen wirkte wie die anderen abgestellten Fahrzeuge.
Der Kombi kam zum Stehen, ein Mann stieg aus, ging schnell zu einem verschlossenen Nebeneingang und öffnete umständlich das Vorhängeschloß. Kaum war er im Inneren der Halle verschwunden, stieß Nina Balkenhausen an und machte ihm ein Zeichen mit dem Kopf. Leise und geduckt stiegen sie aus ihrem Auto, schlossen geräuschlos die Türen und eilten dem Mann nach, nicht ohne sich vorher das Nummernschild des Kombis zu merken.
Mit äußerster Vorsicht schoben sie sich durch die Eisentür und lauschten auf die Geräusche des Mannes, der vor ihnen die Halle durchquerte und sich gut auszukennen schien. Ganz hinten befand sich eine Art Büro mit winzigen Fenstern zur Halle, dessen Tür ebenfalls mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Der Mann schien sich sehr sicher zu fühlen, denn kaum war er in dem Verschlag verschwunden, ging dort das Licht an.
Nina gab Balkenhausen wieder ein Zeichen, beide huschten lautlos durch die Halle und duckten sich unter die Fenster, aus denen ein schwacher Lichtschein in die Halle fiel. Nina hob ihren Kopf bis unter den Fensterrahmen und schob ihn für einen Sekundenbruchteil so weit vor, daß sie einen Blick in den Raum werfen konnte. Der Mann stand mit dem Rücken zu ihr und starrte in die riesigen Metallschränke, die er geöffnet hatte und vollgestopft waren mit Laptops, Smartphones, Fernsehern, Musikanlagen und anderem elektronischen Gerät. Nina wagte sich noch einmal vor und sah, wie der Mann, immer wieder auf ein Blatt Papier blickend, offensichtlich verschiedene Geräte für eine Bestellung zusammenstellte.
Nina überlegte fieberhaft und blickte zu Balkenhausen hinüber, der seine Neugier nicht zügeln konnte und ebenfalls einen Blick riskierte. Zu ihrem Entsetzen stand er danach auf, ging, ohne sich mit ihr zu verständigen, um die Ecke herum und spazierte mit gezogener Pistole ins Büro.
"Hände hoch und ganz langsam umdrehen..."
Nina schnellte hoch, packte ihre Waffe, rannte ins Büro und ließ den Mann nicht aus den Augen, der Balkenhausens Anweisungen widerstandslos zu befolgen schien, doch dann ließ er sich blitzschnell seitwärts fallen und hatte plötzlich einen Revolver in der Hand. Balkenhausen war so verwirrt, daß er zweimal ins Leere schoß, und nur ein rascher, gezielter Schuß Ninas in den Arm des Mannes verhinderte, daß er seine Waffe abfeuern konnte.
Nina wandte sich wutentbrannt an ihren Kollegen.
"Verdammt nochmal, haben Sie den Verstand verloren?"
Balkenhausen schien wie aus einem Traum zu erwachen und sah zu, wie Nina die Waffe des Mannes mit einem Fußtritt aus dessen Reichweite beförderte, den gesunden Arm mit Handschellen an die Heizung fesselte und sich um die Wunde kümmerte.
"Ein glatter Durchschuß... Sie haben Schwein gehabt..."
Der Mann murmelte ein paar Flüche und ließ sich widerwillig von Nina verarzten, die sich kurz zu Balkenhausen umwandte.
"Los, fordern Sie Verstärkung an, die Spurensicherung, das ganze Programm, und wir brauchen einen Krankenwagen..."
Balkenhausen steckte seine Pistole zurück ins Holster, griff nach dem Mobilfunkgerät und erledigte den Auftrag, dann trat er neben Nina und ließ sich reumütig neben ihr in die Hocke nieder.
"Tut mir leid... ich weiß auch nicht, was mit mir los war, es schien alles so einfach..."
Nina öffnete den Gürtel des Mannes, zog ihn ab und wickelte ihn um den verletzten Arm, um die Blutung zu stillen.
"Sparen Sie sich ihre Worte, bis unsere Leute hier sind..."
Müde und abgekämpft drückte Norbert Wagner die Tür zum dunklen, verlassenen Dienstzimmer auf und machte das Licht an. Es war ein anstrengender Tag gewesen auf der Intensivstation, ganz zuletzt wurde noch ein Mann eingeliefert, der mitten auf der Straße einen Herzinfarkt erlitten hatte und es nur dank aufmerksamer Passanten, die sofort eine Ambulanz riefen, und dem Geschick der Sanitäter bis ins Krankenhaus schaffte. Eine Notoperation rettete ihm endgültig das Leben, wenn er Glück hatte, dämmerte er jetzt seiner Genesung entgegen.
Wagner hängte den Arztkittel in den Spind, schlüpfte in sein Jackett und wusch sich nochmal gründlich die Hände. Im Hinausgehen warf er einen Blick in sein Postfach, das mittags noch leer gewesen war, und sah einen weißen Umschlag darin liegen. Er zog ihn heraus, es war ein Schreiben seines Arbeitgebers. Hastig riß er ihn auf, faltete den Brief auseinander und erschlaffte. Nichts wurde aus seiner Ernennung zum Oberarzt, sie vertrösteten ihn auf unbestimmte Zeit. Was, wenn er bis dahin dem Spardiktat zum Opfer fiel? Er hatte eine Wohnung gekauft im festen Glauben, daß seine positiven Bewertungen honoriert werden würden, und seine Frau erwartete das erste Kind. Er schob den Brief wieder in den Umschlag, stopfte ihn in die Jackentasche, löschte das Licht und schloß wütend die Tür mit einem lauten Knall hinter sich.
Reglos, mit gesenktem Kopf, saß Wagner eine Weile am Steuer seiner Limousine, dann drehte er energisch den Zündschlüssel und wand sich aus der engen Tiefgarage. Draußen war um diese Zeit kaum noch Verkehr, er überließ sich ganz den vertrauten Handgriffen des Fahrens, und dieses ruhige Dahingleiten schien ihn allmählich zu beruhigen.
Wagner war nicht aufgefallen, daß ihm schon seit der Ausfahrt aus der Tiefgarage ein kleines schwarzes Auto folgte, das keine Mühe hatte, unauffällig an ihm dranzubleiben. An der Stadtgrenze gab er Gas, er hatte es nicht mehr weit bis nach Hause. Mit der Fernbedienung öffnete er die Tiefgarage der Wohnanlage und rollte hinunter auf seinen Parkplatz. Als das Tor schon wieder zuglitt, fuhr das schwarze Auto rasch hinterher. Wagner stellte den Motor ab und atmete ein paarmal tief durch, dann öffnete er bedächtig die Tür und stieg aus. Wie sollte er diese demütigende Neuigkeit seiner Frau beibringen? Er hatte sie doch die ganze Zeit in Sicherheit gewiegt, als sei seine Beförderung beschlossene Sache! Ein plötzlicher Schmerz oberhalb der Schulterblätter veranlaßte ihn, nach hinten zu greifen, doch da spürte er bereits eine Lähmung, die jede Bewegung unmöglich machte. Bevor er fiel, stand plötzlich ein Mann vor ihm, um die fünfzig, in enganliegender, schwarzer Trainingskleidung, das Gesicht bleich, mit dicker Hornbrille, deren Gläser seine Augen grotesk vergrößerten, und verblichenen, nach hinten gekämmten, strähnigen Haaren. Mit beiden Händen, die in lila Gummihandschuhen steckten, griff der Mann nach seinen Schultern und stieß ihn grob ins Auto zurück. Dann war auf einmal ein Skalpell in seiner Hand, er faßte nach Wagners Arm, der kraftlos herunterbaumelte, und sah ihm prüfend in die Augen. Wagners Pupillen weiteten sich in stillem Entsetzen, die einzige Reaktion, derer er noch fähig war, gleichzeitig wunderte er sich über die tiefen Falten auf der Stirn des Mannes, die dessen Gesicht einen unangemessen kummervollen Ausdruck verliehen.
Im Dienstzimmer korrigierte Nina Brandner ungeduldig ein paar Fehler in ihrem Bericht, druckte ihn aus und legte ihn Hannes Balkenhausen zur Unterschrift vor. Die ganze Zeit hatte er in gedrückter Stimmung neben ihr gesessen und nur ab und zu mit Formulierungsvorschlägen ausgeholfen. Er setzte seine schwungvoll verschnörkelte Unterschrift unter den Bericht, bevor ihn auch Nina unterschrieb. Von nebenan aus dem Konferenzraum drangen Gelächter und Stimmengewirr herüber, und Nina wandte sich fragend an ihren Kollegen.
"Walter Helwig feiert seinen Fünfundsechzigsten, in ein paar Monaten hört er auf... kommen Sie noch mit rüber, um ihm zu gratulieren?"
Balkenhausen vermied es, ihr in die Augen zu schauen.
"Bitte tun Sie's in meinem Namen... ist heute nicht mein Tag..."
Balkenhausen packte seine Sachen zusammen, nickte Nina zu und war schon aus der Tür.
Nina sah ihm erbost nach, legte den Bericht in den Postausgang, schloß das Dienstzimmer ab und öffnete die Tür zum Konferenzraum.
Nur noch wenige Kollegen feierten mit Hauptkommissar Walter Helwig, ihrem Partner. Vor einer Woche war er von einem mordverdächtigen Drogendealer mit einem Messerstich verletzt worden und heute extra nur zu seiner Geburtstagsfeier erschienen. Es war eine sehr frugale Party, auf der keiner über die Stränge schlug, ein Kasten Bier und ein paar Schalen mit Chips waren das höchste aller Gefühle.