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JULIA JULIA verliebt sich unsterblich in ALAIN und merkt erst sehr spät, fast zu spät, daß er sie nur dazu bringen will, für ihn anschaffen zu gehen. AM ENDE EINES TAGES Nach einem Nervenzusammenbruch verbringt ALEX LEITNER ein paar Wochen in einer Spezialklinik. ALEX' erster Ausgang ist ein Ausflug in seine Vergangenheit - in die Stadt, in der seine Karriere begann, doch das Klima hat sich geändert, ist härter und eisiger geworden. DUNKEL IST DIE NACHT GREGOR hat sich gezielt und rücksichtslos seinen Platz im Leben erobert, doch angesichts des scheinbar sicheren Todes ziehen an GREGORs innerem Auge die entscheidenden Szenen seines bisherigen Lebens nochmal vorbei, unbestechlich wie Röntgenbilder.
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2016
Urs Aebersold
* 1944 in Oberburg / CH
1963 Abitur in Biel/Bienne (CH)
1964 Schauspielschule in Paris
und dort erster Kurzspielfilm "S"
Studium an der Universität Bern
Weitere Kurzspielfilme. "Promenade en Hiver",
"Umleitung", "Wir sterben vor"
1967-70 Studium an der HFF München
1974 Erster Kinospielfilm DIE FABRIKANTEN
als Co-Autor, Co-Produzent und Regisseur
Diverse Drehbücher für "Tatort"
1986-93 Spielfilmredaktion Bayerischer Rundfunk
Ab 1994 wieder freier Autor und Regisseur
2016 erste Buchveröffentlichung:
VERZAUBERT
NOVEMBERSCHNEE
DAS BLOCKHAUS
Drei Erzählungen
JULIAAM ENDE EINES TAGESDUNKEL IST DIE NACHT
Drei Erzählungen
Urs Aebersold
www.tredition.de© 2016 Urs Aebersold
Cover-Foto: Standbild aus dem Kurzspielfilm
PROMENADE EN HIVER von Urs Aebersold
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7345-4653-2
Hardcover:
978-3-7345-4654-9
e-Book:
978-3-7345-4655-6
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Alain bleibt für mich die Liebe meines Lebens, auch wenn ich jetzt hier in dieser engen, finsteren Wohnung stehe, die er für uns gemietet hat, mit einem Küchenmesser in der Hand, von dem noch sein Herzblut tropft.
Da, wo ich herkomme, aus einer kleinen Stadt in der Provinz, haben die Jungs keinen Respekt vor uns Frauen, sie halten uns für doof oder zickig, sie spielen ihre Spielchen mit uns, die nur dazu dienen, uns ins Bett zu kriegen und die Machtverhältnisse zu klären, für den Fall, daß eine mal blöd genug ist zu heiraten.
Alain dagegen mit seinen schwarzen Haaren und seinen großen dunklen Augen hat mich vollkommen überwältigt. Gleich beim ersten Mal hat er mich angesehen, da wurde mir ganz schummrig. Nicht so, wie die anderen Männer, die versuchen, einen mit Blicken auszuziehen, oh nein, seine Augen senkten sich ganz tief in meine Seele, und es war, als berührte er mich gleichzeitig ganz zart mit seinen Händen.
Daß ich überhaupt die Chance bekam, ihn kennenzulernen, verdanke ich meiner Tante Rosa. Im Gegensatz zu meiner Mutter, die nie aus dem Kaff hinaus gekommen ist, wo ich geboren wurde, und dort auch sterben wird, hat es meine Tante Rosa gewagt, in die große Stadt zu ziehen. Sie ist einem Typ nachgereist, der in unserem Kaff große Töne gespuckt und sie geschwängert hat und sich hinterher als kleiner Vertreter entpuppte, der kaum über die Runden kam. Bevor sie heirateten, verlor sie das Baby, und bald darauf machte der Dreckskerl die Fliege, seitdem arbeitet sie als Verkäuferin in einem großen Kaufhaus und schlägt sich alleine durch.
Alle haben immer nur schlecht geredet über Tante Rosa, nur meine Mutter nicht, sie wurde ganz still, wenn die anderen über sie herzogen, insgeheim beneidet sie wohl ihre jüngere Schwester um ihre Unabhängigkeit. Wenn ich bockig war, wurde sie mir als mahnendes Beispiel vorgeführt, was Frauen passiert, wenn sie ihren Kopf zu weit aus dem Fenster strecken. Überhaupt gelten Mädchen in unserer Familie nicht viel. Als es darum ging, ob ich die Realschule besuchen sollte, entschieden sich meine Eltern dagegen und schickten stattdessen meinen Bruder in eine Automechanikerlehre, er sollte ja später mal eine Familie ernähren, ich würde sowieso bald heiraten und mein Ehemann für mich sorgen. Jetzt wohnt mein Bruder immer noch zu Hause, und das einzige Auto, um das er sich wirklich kümmert, ist sein aufgemotzter VW Scirocco, der mit seinen überbreiten Reifen, dem tiefer gelegten Fahrwerk und den grotesk aufgedunsenen Radschwellern aussieht wie ein Blech gewordener Arnold Schwarzenegger auf Anabolika-Trip.
Als ich schon eine Weile von der Schule weg war und sich die Frage stellte, wie ich die Zeit verbringen sollte, bis ich geheiratet wurde, erhielt ich zu meinem siebzehnten Geburtstag eine Karte von meiner Tante, die mich fragte, ob ich sie nicht mal für ein paar Tage besuchen wollte. Alle in meiner Familie waren dagegen, auch mein Bruder, aber nur, weil ich es war, die seine geschmacklosen Hemden bügelte. Da jede Diskussion zwecklos war, packte ich heimlich das Notwendigste in einen kleinen Koffer und verschwand, als gerade keiner zu Hause war. Ein bißchen eigenes Geld hatte ich ja, da ich während der Schulzeit und auch danach regelmäßig gejobt hatte.
Meine Tante freute sich riesig, mich zu sehen, da sie bis auf ein paar Nachbarsfrauen, die sich gegenseitig halfen, niemand hatte, mit dem sie reden konnte. Ihre Wohnung war klein und alt, aber gemütlich. Die Küche war so groß, daß sie sie zum Wohnzimmer ausgebaut hatte, sogar ein Fernseher stand darin, in einer der beiden Kammern schlief sie, die andere war voller Gerümpel. Sie schien nur darauf gewartet zu haben, daß jemand kam, denn als erstes räumten wir diese Kammer leer und füllten damit eine ganze Tonne. Unter dem ganzen Krempel war eine Matratze zum Vorschein gekommen, eine Kommode und ein wackliger Nachttisch standen in einer Ecke, und ich hatte plötzlich ein eigenes Zimmer.
Die Überraschung und das Gezeter zu Hause waren groß, als sie merkten, daß ich einfach so verduftet war, doch da sie damit rechneten, daß ich bald wieder auftauchen würde und sie sowieso alle mit sich selbst beschäftigt waren, beruhigten sie sich wieder, aber ich bin sicher, daß sie jetzt genauso über mich herzogen wie über Tante Rosa.
Ich war sehr gespannt darauf, wo meine Tante arbeitete, und ich schlug vor, sie dorthin zu begleiten. Zu meiner Verwunderung wurde sie verlegen, zog mich zu sich aufs Sofa, legte eine Hand auf meinen Arm und sah mich bedeutungsvoll an. Ich dachte zuerst, sie geniere sich vielleicht, weil sie nur eine kleine Verkäuferin war, die sich herumschubsen ließ, aber dann kam etwas ganz anderes. Sie sagte, sie habe jetzt die Verantwortung für mich, ich solle auf mich aufpassen, ich sei ein attraktives junges Mädchen und es gebe genügend Mannsbilder, die nur darauf warteten, mich zu vernaschen, so direkt drückte sie sich aus. Ich war erleichtert, daß es nur darum ging, aber auch geschmeichelt, weil ich schon gemerkt hatte, daß mir die Männer hinterherschauten, ich war groß, blond, schlank, und meinen Busen muß man auch nicht mit der Lupe suchen, doch meine Tante war die erste erwachsene Person, die mir wortwörtlich sagte, ich sei attraktiv. Ich lachte etwas dümmlich und meinte, schlimmer als als bei uns zu Hause könnten die Männer hier doch wohl kaum sein.
Im Kaufhaus arbeitete meine Tante in der Herrenabteilung, was ich etwas enttäuschend fand, denn dort war nicht viel los. Um den Leerlauf zu verschleiern, sprachen sich die Verkäuferinnen gegenseitig ab, sortierten ständig das Sortiment um, falteten heimlich Pullis und T-Shirts auseinander, um sie dann gut sichtbar langsam und sorgfältig wieder zusammenzulegen, als hätte sie gerade ein Kunde anprobiert.
Auch meine Tante war darin sehr routiniert und ließ sich nie erwischen, schon gar nicht vom Abteilungsleiter, der auf einmal neben ihr stand, angeblich, weil er wichtige Informationen zu einem neuen Herrenanzug hatte, in Wahrheit angelockt von einem Honigtopf, den er erspäht hatte, und der Honigtopf war ich. Er sprach wichtigtuerisch auf meine Tante ein und schielte dabei immer wieder nach mir, und da er nicht wußte, ob ich eine Kundin war oder was ich sonst bei seiner Untergebenen zu suchen hatte, wandte er sich plötzlich mit gespielter Unterwürfigkeit an mich und betonte, es sei sonst nicht seine Art, ein Kundengespräch zu unterbrechen.
Ich sagte wahrheitsgemäß, daß Rosa meine Tante sei und daß ich nur sehen wollte, wo sie arbeitete. Entzückt richtete er sich wieder an meine Tante und fragte sie übertrieben teilnahmsvoll, ob die Abteilung nicht vielleicht eine Hilfe gebrauchen könnte und ob ich vielleicht interessiert sei.
Tante Rosa und ich sahen uns an und mußten uns beide sehr beherrschen, um nicht laut loszuprusten. Tante Rosa blickte ihren Vorgesetzten ernst an und murmelte scheinbar verlegen, sie hätte nie gewagt, einen solchen Wunsch auszusprechen, aber in der Tat, eine Hilfe könnten sie gut gebrauchen.
Der Abteilungsleiter sah wieder mich an, doch diesmal gelang es ihm nicht rechtzeitig, das Lüsterne in seinem Ausdruck zu unterdrücken. Ich sah fragend zu meiner Tante, die mir unmerklich zuzwinkerte, dann wandte ich mich wieder an ihren Vorgesetzten und sagte mit leiser Stimme, wie er es sich von einem jungen Mädchen wie mir wohl erwartete, daß ich mir durchaus vorstellen könnte, hier für ihn zu arbeiten.
Es entsprach nicht gerade meiner Traumvorstellung, in der Herrenabteilung eines Kaufhauses in den Ernst des Lebens einzusteigen, aber ich war noch jung, und es mußte ja nicht für alle Zeiten sein. Meine Eltern willigten überraschend schnell in meine Pläne ein, wahrscheinlich waren sie froh, mich loszuwerden, und so begann ich meine Lehrlingskarriere unter den Fittichen meiner Tante.
Die Langeweile war das Schlimmste, an das ich mich gewöhnen mußte. Die paar Männer, die sich dort allein herumdrückten, versuchten sich so unauffällig wie möglich umzusehen, als würden sie etwas Verbotenes tun, und wenn sie sich für etwas entschieden hatten, packten sie den Artikel und preßten ihn gegen den Körper, als hätten Sie Angst, auf dem Weg zur Kasse ihrer Unterhose oder ihrer Socken beraubt zu werden.
Kamen die Männer dagegen in weiblicher Begleitung zum Einkaufen, ging es selten ohne Drama ab. Erst wurden sie von ihren Frauen bei der Auswahl ihrer Klamotten bevormundet wie Kinder, die nicht wissen, was ihnen guttut, und wenn sie es wagten, auf ihren eigenen Wünschen zu beharren, hatten sie meistens nicht den Mumm, die Sache bis zum Ende durchzufechten, schon allein deshalb nicht, weil sie im Gegensatz zu ihren Frauen lautstarke Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit fürchteten wie der Teufel das Weihwasser und wohl auch den Hausfrieden nicht gefährden wollten. Sie beugten sich dann mit verkniffenen Gesichtern dem Willen ihrer besseren Hälfte, auch wenn deren Geschmack noch so fürchterlich war.
Dann gab es noch die Gestörten, die garantiert keine bessere Hälfte zu Hause hatten und gar nicht mit der Absicht kamen, etwas zu kaufen, sondern nur, um Dampf abzulassen. Sie schnappten sich herrisch die erstbeste Verkäuferin, hielten ihr ein teures Hemd unter die Nase, zweifelten an der Qualität, schimpften auf den überhöhten Preis, fragten nach Marken, von denen sie genau wußten, daß das Kaufhaus sie nicht führte, beschwerten sich über den unfreundlichen Ton des Personals und zogen schließlich ab im trügerischen Hochgefühl ihrer vermeintlichen Überlegenheit.
Nach der Langeweile war es vor allem der Abteilungsleiter, der meine Nerven strapazierte. Immerzu erfand er fadenscheinige Gründe, sein Kabuff zu verlassen und um mich und meine Tante herumzuscharwenzeln, und damit es nicht zu auffällig wurde, blieb er gelegentlich auch bei den anderen Verkäuferinnen stehen, die jedoch schon längst kapiert hatten, worum es ihm in Wahrheit ging.
Ich weiß nicht, was er eigentlich von mir wollte, ich war ja nicht einmal volljährig und stand in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm, aber ich spürte, daß er sich jedesmal in einem absoluten Ausnahmezustand befand, wenn er sich mir näherte, der Schweiß brach ihm aus und seine Augen glitschten wie Zungen über meinen Körper, aber er redete nur darüber, wie toll der Job hier sei und welche Aufstiegsmöglichkeiten sich boten, dabei waren ihm seine schmutzigen Absichten für alle sichtbar von der Stirn abzulesen.
Dann kam der Tag, an dem Alain in mein Leben trat.
Es dauerte eine Weile, bis ich ihn wahrnahm, denn er verhielt sich zunächst wie alle Männer, die allein einkauften. Er drückte sich an den äußersten Regalen entlang, äugte immer wieder zu mir herüber, kam langsam näher und verharrte zuletzt vor den Krawatten ganz in meiner Nähe, obschon ganz offensichtlich war, daß er niemals welche trug.
Ich wandte mich um und ging die paar Schritte auf ihn zu, bis ich dicht vor ihm stand. Sein Blick aus tiefschwarzen Augen traf mich unvorbereitet und drang tief in mich ein. Sein Haar war dicht und strubbelig und ebenso tiefschwarz wie seine Augen, auch seine blassen, glattrasierten Wangen schimmerten schwarz. Er hatte etwas Trauriges und gleichzeitig Tierhaftes an sich, und sein untersetzter, muskulöser Körper schien ständig auf dem Sprung.
Als ich mich erholt hatte, fragte ich ihn lächelnd, ob ich ihm helfen könne. Er runzelte die Stirn und schien erst jetzt darüber nachzudenken, was er eigentlich hier wollte, ließ mich aber keine Sekunde aus den Augen. Mir wurde langsam schummrig, und ich wollte mich schon in Sicherheit bringen, als er endlich, leise und heiser, hervorstieß, er suche eine Krawatte zum Geburtstag seines Vaters, Geld spiele keine Rolle.
Froh, etwas tun zu können, griff ich nach den Seidenkrawatten, legte sie über meinen Arm und hielt sie vor ihn hin, damit er sie besser sehen konnte. Er griff nach einigen Exemplaren, ließ sie behutsam durch seine Finger gleiten und berührte dabei ganz leicht meine Hand. Sogleich lief ein Schauer durch meinen Körper, meine Beine gaben nach, und ich mußte mich gegen den Warentisch lehnen.
Er schien zu merken, daß etwas Außergewöhnliches in mir vorging, und fragte mich, ob alles in Ordnung sei. Ich lächelte ein bißchen zu sehr und piepste, das Stehen den ganzen Tag über mache mich schwindlig, dabei hielt ich immer noch meinen Arm mit den Krawatten ausgestreckt.
Er griff nach den Krawatten, hob sie von meinem Arm herunter und legte sie bedächtig auf den Warentisch. Ich ließ meinen Arm sinken und erwartete jeden Augenblick, daß er mich an sich reißen und küssen würde, doch er sah mich nur ernst an, sagte, er könne sich noch nicht entscheiden und werde morgen wiederkommen. Er ging ein, zwei Schritte rückwärts, sah mich unverwandt an, drehte sich abrupt um und war auf einmal verschwunden.
Ich atmete tief ein und bewegte meine Glieder, als hätte ich die ganze Zeit unter Hypnose gestanden. Ich wandte mich um und bemerkte erst jetzt, daß meine Tante offenbar alles beobachtet hatte und entgeistert zu mir herüberstarrte.
Zu Hause sprachen Tante Rosa und ich zunächst kein Wort miteinander, ich, weil ich mich gekränkt fühlte von ihrer Reaktion auf meine Begegnung mit Alain, diesem überirdisch tollen Mann, von dem ich ja noch gar nicht seinen Namen kannte, und sie, weil sie nicht wußte, wie sie es anfangen sollte, mit mir zu reden, ohne mich sogleich in eine Trotzhaltung zu treiben.
Schließlich fragte sie mich vorsichtig, wer das denn gewesen sei, den ich so zuvorkommend bedient hatte, ob ich ihn von irgendwoher kenne.
Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte gleich mit einer Moralpredigt angefangen, so in der Art, daß man sich Kunden gegenüber zwar freundlich, aber nicht so vertraulich benehmen dürfe, dann hätte ich einen Grund gehabt zu explodieren, so konnte ich nur gereizt erwidern, dieser Mann sei der erste Kunde gewesen, der Ahnung von Mode gehabt zu haben schien - daß er morgen wiederkommen wollte, erwähnte ich lieber nicht.
Tante Rosa ließ nicht locker und erkundigte sich beiläufig, ob zu meiner Vorstellung von angemessener Kundenbetreuung auch gehöre, sich rücklings gegen den Warentisch zu lehnen und sich gleichzeitig fast waagrecht nach hinten zu biegen, ob man diese Haltung bei einer Verkäuferin nicht leicht mißverstehen könne.
Jetzt hatte meine Tante endlich den Punkt getroffen, damit ich loslegen konnte, und ich tat mir keinen Zwang an. Ich fing damit an, daß sie doch nur neidisch sei, weil ich jung und attraktiv sei, daß sie verbittert sei, weil sie betrogen und verlassen wurde und nicht mehr daran glaube, daß es so etwas gebe wie spontanes, uneigennütziges Sichverlieben.
Bei meinen letzten Worten horchte mein Tante auf und sah mich aufmerksam an, daran merkte ich, daß ich mich verplappert hatte. Ich bedauerte auch gleich meine Ausraster mit dem Betrogen- und Verlassenwerden, doch meine Tante blieb gelassen und schien das gar nicht registriert zu haben, sie machte einen Schritt auf mich zu, faßte mit beiden Händen zart mein Gesicht und sagte mit einer Stimme, die große Anteilnahme verriet, sie wolle doch meinem Glück nicht im Weg stehen, sie bitte mich nur, ab und zu einen Schritt zurückzutreten und genau zu prüfen, ob ich auch wirklich gutheiße, was mit mir geschehe.
Eine solche Wendung unserer Auseinandersetzung hatte ich nicht erwartet, die sanfte, verständnisvolle Art meiner Tante, die ich von meiner Mutter nicht kannte, trieb mir die Tränen in die Augen, ich umarmte sie ungestüm und brach in heftiges Schluchzen aus.
Am nächsten Tag versuchte ich mich so herzurichten, daß es Alain, von dem ich den Namen ja immer noch nicht kannte, auffallen würde, ohne den Argwohn meiner Tante zu wecken.
Es dauerte bis Mittag, bis er endlich auftauchte, doch davor mußte ich wieder einmal das sinnlose Geschwätz des Abteilungsleiters ertragen, der sich diesmal so stark parfümiert hatte, daß mir fast übel wurde.
Wie schon beim ersten Mal schlich Alain zuerst außen um die Regale herum, doch als er mich erspäht hatte, bewegte er sich zügig auf mich zu. Meine Tante hatte gerade mit einem Kunden zu tun, und ich zog mich unauffällig hinter eine Säule zurück, damit sie mich diesmal nicht überwachen konnte.
Alain blieb nahe vor mir stehen und baute sich fast drohend vor mir auf. Er sagte, das mit der Krawatte gestern sei nur ein Vorwand gewesen; als er mich gesehen habe, sei sein einziger Gedanke gewesen, mich persönlich kennenzulernen.