Brandstifter und ihre Mitläufer – Putin – Trump – Netanyahu - Rafael Seligmann - E-Book

Brandstifter und ihre Mitläufer – Putin – Trump – Netanyahu E-Book

Rafael Seligmann

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Beschreibung

Rafael Seligmann wirft einen einzigartigen Blick auf die politischen Karrieren führender Persönlichkeiten wie Putin, Trump und Netanyahu sowie die Dynamiken dahinter. Er zeigt auf, dass trotz individueller Unterschiede erstaunliche strukturelle Gemeinsamkeiten bestehen. Vor allem im Verhältnis zwischen den Anführern und ihren willigen Mitläufern. Ohne deren Unterstützung blieben die späteren Herrscher anonyme Postkartenmaler, Geheimdienstler oder Hochstapler … In erhellenden Kurzbiografien legt Seligmann dar, dass die wechselseitige Bindung zwischen Führer und Nachfolgern entscheidend ist. So u.a. auch bei Erdoğan oder Xi Jinping. Ein wichtiges historisches Buch, das nicht nur davor warnt, wie zerbrechlich Frieden und Demokratie sind, sondern auch dazu inspiriert, diese Werte zu verteidigen.

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Seitenzahl: 181

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Für Tamar, meine jüngste Enkelin

Rafael Seligmann

Brandstifter und ihre Mitläufer

Putin – Trump – NetanyahuWarum sie erfolgreich sind und wie man sie stoppen kann

Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: geviert.com, Michaela Kneißl, Schmiechen

Umschlagmotiv: ©Everett Collection/shutterstock; ©Alexandros Michailidis/shutterstock; ©Drop of Light/shutterstock; ©Asatur Yesayants/shutterstock; ©mauritius images/Pictorial Press Ltd/Alamy/Alamy Stock Photos

E-Book-Konvertierung: ZeroSoft, Timișoara

ISBN (Print): 978-3-451-39607-6

ISBN (EPUB): 978-3-451-83281-9

Das ist die Plage der Zeit, in der Verrückte Blinde führen.William Shakespeare, König Lear

Inhalt

Vorbemerkung: Keck und laut für die Freiheit

Feuer und Flamme

Verrückte führen Blinde

Der Vernichter: Hitler

Brandstifter der Gegenwart

Putin

Xi Jinping

Erdoğan

Netanyahu

Trump P01135809

Instrumente der Freiheit: Wie man ihre Feinde stoppt

Diplomatie zwischen Friedensangebot und Abschreckung

Unverzichtbares Gleichgewicht: Justiz – Parlament – Regierung

Unabhängige Presse

Integre Politiker und engagierte Bürger

Trennung von Staat und Religion

Soziale Dienstpflicht einschließlich Armee

Resümee: Guter Rat

Über den Autor

Vorbemerkung: Keck und laut für die Freiheit

Bestimmen fortan „starke Männer“ ohne Skrupel das Schicksal der Welt? In Diktaturen, aber auch in etablierten Demokratien? Putin, Trump, Netanyahu, Erdogan, Xi und ihre Brüder im Geiste geben vor, einfache und wirksame Lösungen für vielfältige Bedrohungen zu besitzen. Damit gelingt es ihnen, Millionen für sich einzunehmen, die fürchten, den fortwährenden Herausforderungen des digitalen Zeitalters nicht gewachsen zu sein. Diese Menschen haben Angst vor ihnen unverständlichen Veränderungen in Technik und Gesellschaft, vor Kriegen, Krisen und dem Verlust ihres Ansehens und Auskommens. Die vermeintlichen Alleskönner sind fähig, ihren Anhängern zumindest zeitweilig die Angst zu nehmen. Dieses Buch nimmt diese Führer, ihre Mobilisierungsmethoden, ihre Rezepte und deren Preis unter die Lupe. Es entlarvt sie als Brandstifter.

Politische Pyromanen gelangen durch Propaganda und Zwang ans Ruder. Sie entscheiden, ob sie auch außenpolitisch in die Offensive gehen. Ihr Ziel ist die Macht zur Ausschaltung aller „Feinde“ sowie unumschränkte Herrschaft. Wie funktioniert das symbiotische Verhältnis zwischen Brandstiftern und ihren Mitläufern? Allein die schier bedingungslose Gefolgschaft des willigen Anhangs ermöglichte es dem anonymen Kriegsheimkehrer, dem ehemaligen Geheimdienstler, dem New Yorker Hochstapler, dem Istanbuler Religionsschüler, dem traumatisierten Bruder, zu Lenkern des politischen Geschehens mit destruktiven Möglichkeiten aufzusteigen. Die Schleifung der politischen Freiheiten empfindet ihre willige Gefolgschaft nicht als Einschränkung, sondern als Befreiung.

Die freiheitlichen Demokraten müssen und dürfen sich nicht als ohnmächtige Opfer der Brandstifter und ihres willfährigen Anhangs begreifen. Sie sollen sich auf allen Ebenen legal wehren. Gemäß Heinrich Heines Maxime fordern wir, „keck und laut“ die Freiheit zu verteidigen und deren Feinden wie Höcke und Konsorten entgegenzutreten, um sie zu hindern, „wohltemperierte Grausamkeiten“ zu begehen.

Berlin, Frühjahr 2024

Feuer und Flamme

Noch vor 35 Jahren strotzte die Welt vor Zuversicht. Im Sommer 1989 proklamierte Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte“. In seinem Aufsatz sagte der amerikanische Historiker den Anbruch eines friedlichen Zeitalters voraus. Die folgenden Ereignisse schienen Fukuyamas Prophezeiung zu bestätigen. Wenige Monate später fiel die Berliner Mauer, bald darauf brach die SED-Diktatur zusammen. Die DDR wurde Teil eines vereinigten demokratischen Deutschlands. In kurzen Abständen streiften die Menschen in den Staaten Osteuropas ihre kommunistischen Zwangsregime ab, bis schließlich die Sowjetunion in sich zusammenfiel. Damit endete der Kalte Krieg. Bestehende und entstehende Demokratien schienen einen langfristigen Frieden zu garantieren – wie Fukuyama dies prognostiziert hatte. Bereits 1989 aber riss als Folge des Auseinanderbrechens Jugoslawiens der Nationalist Slobodan Milošević in Belgrad die Herrschaft an sich und brach einen Krieg zur gewaltsamen Wiedervereinigung Jugoslawiens unter serbischer Führung vom Zaun. Sein Feldzug blieb erfolglos. Die NATO erzwang einen Waffenstillstand. Auch global wurde der Frieden einige Jahre später schlagartig beendet. Am 11. September 2001 attackierten Kommandos der Al Kaida Osama bin Ladens New York und Washington. Die Vereinigten Staaten antworteten mit Invasionen Afghanistans und später Iraks. Das Ende der Geschichte war vorbei, ehe es begonnen hatte. Stattdessen entwickelte sich ein neues Zeitalter der Brandstifter.

Als am 24. Februar 2022 russische Armee-Einheiten in die Ukraine einmarschierten und Moskaus Luftwaffe Kiew und andere Städte des Landes bombardierte, reagierten führende Politiker sowie Bürger der westeuropäischen Demokratien schockiert. Bis zuletzt hatten sie sich an die Illusion geklammert, Russland werde keinen Krieg beginnen. Obgleich in den zurückliegenden Jahren Moskau wiederholt Feldzüge innerhalb Russlands und jenseits seiner Grenzen geführt hatte. Zudem hatten westliche Geheimdienste, auch der Bundesnachrichtendienst, ihre Regierungen über die bevorstehende Invasion der russischen Streitkräfte informiert. Die Massenmedien berichteten ausführlich über Moskaus Kriegsvorbereitungen. Um den Ausbruch des Waffengangs zu unterbinden, um dessen Verhinderung sie sich mit allen Mitteln bemüht hatten, traten die Führer Europas Canossa-Flüge an. Im Kreml appellierten sie an Präsident Putin, von einem „möglichen“ Kriegsvorhaben abzulassen, lockten mit wirtschaftlichen Vorteilen, etwa der Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2, die Moskau weitere Milliardeneinnahmen bescheren würde. Umsonst. Der Möchtegernzar erteilte seinem Militär Kriegsbefehl.

Bundeskanzler Scholz bekannte, Putin habe damit eine „Zeitenwende“ eingeleitet. Seine Vorgängerin Angela Merkel, die zeit ihrer Kanzlerschaft mit dem Kremlherrscher kooperiert hatte, erging es ähnlich wie vielen Demokraten, die meinten, mit einer beschwichtigenden Friedenspolitik einen Krieg auf ihrem Kontinent vermeiden zu können. Später rechtfertigte sich Merkel mit der Bemerkung, Diplomatie sei nicht falsch, weil sie in diesem Fall fehlgeschlagen sei. Aber es war falsch, sich ausschließlich auf sie verlassen zu haben.

Bereits während der späten 1930er Jahre versuchten Großbritannien und Frankreich durch ein Eingehen auf die Forderungen Berlins, Hitler von einem Krieg abzuhalten. Dafür waren sie bereit, die Integrität kleinerer Staaten zu opfern – wie im Münchner Abkommen von 1938 auf Kosten der Tschechoslowakei. Auf diese Weise meinten sie, „Frieden für unsere Zeit“ erkauft zu haben, so der damalige britische Premier Neville Chamberlain. Dies geschah mit der breiten Zustimmung der Bevölkerung. Ähnliche Tendenzen zur Befriedung auf Kosten der Nachbarn zeigen populistische Politiker in Europa und weltweit, wenn sie Verhandlungen mit Putin fordern und ein Eingehen auf seine territorialen Forderungen, um den „Frieden“ zu bewahren.

Als Benjamin Netanyahu Ende 2022 erneut Israels Regierungschef wurde, meinte er, sich vor allem auf eine Justizreform zu seinen Gunsten konzentrieren zu können. Als „Mr Sicherheit“ suggerierte der Premier, die Unversehrtheit der Bürger gewährleisten zu können. Tatsächlich aber untergruben die von Netanyahu angefachten inneren Konflikte die Sicherheit Zions. Das erleichterte den Massenmord der Hamas aus dem Gazastreifen am 7. Oktober 2023. Somit trägt Netanyahu Verantwortung für die zunächst fehlende Abwehrkraft der israelischen Streitkräfte.

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber Kriege und Diktaturen bleiben katastrophal. Wie können demokratische Staaten ihre Stärken Freiheit, Idealismus und Wohlstand nutzen, um Unterdrückung und Kriege zu verhindern?

Unterschiedliche politische Figuren wie Napoleon, Hitler, Pinochet, Trump bedienten sich gesellschaftlicher Umbrüche, um die Macht zu okkupieren. Grundbedingung hierfür waren sich auflösende soziale und politische Strukturen. Ein Klima der Orientierungslosigkeit und Angst ist eine Voraussetzung für charismatische Brandstifter, um Mitläufer, die ihr Weltbild teilen, zu rekrutieren. Hitler benötigte die Depression in der Folge des Ersten Weltkrieges, um aus der Anonymität eines Postkartenmalers in die Politik treten zu können.

Neben Brandstiftern wie Alexander dem Großen, Napoleon, Hitler, Milošević, die unbedingt danach streben, äußere Kriege zu entfachen, gibt es die Kategorie der zunächst rationalen Herrscher. An die Macht gelangt, beschränken sie sich vorderhand auf eine autoritäre Regentschaft im eigenen Land und vermeiden externe Konflikte. Prototypen sind neben Francisco Franco, Augusto Pinochet, Donald Trump, Benjamin Netanyahu und Victor Orbán. Ihre kriminelle Energie begrenzen sie auf die innerstaatliche Ebene.

Brandstifter wie Vladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan passen ihre Taktik der jeweiligen politischen Großwetterlage an. Sie sind latent darauf aus, neben der Macht im eigenen Land auch Herrschaft in angrenzenden Territorien zu erobern, jedoch nur, wenn dies relativ risikolos erscheint. In der Anfangsphase ihrer öffentlichen Karriere treten sie als demokratische Erneuerer auf. So gewinnen sie die Zustimmung der Bevölkerung, unabhängiger Medien und des Auslands. Doch je länger sie mit den Jahren Gefallen an der Ausübung der Macht finden, desto schneller verlieren sie die Geduld mit politischen Opponenten, einer unabhängigen Justiz und der freien Presse. Auch die Bereitschaft, außenpolitische Widerstände zu tolerieren, schwindet. Innenpolitische Gegner werden zunehmend durch gezielte Verfolgung ausgeschaltet. Gleiches gilt für die Judikative. Parallel dazu wächst die Bereitschaft, internationale Interessenkonflikte durch Krieg zu lösen, falls der Widerstand auswärtiger Rivalen, speziell Demokratien, nicht abschreckend wirkt.

Viele der genannten Figuren verbinden das Schicksal ihres Landes mit ihrem individuellen Los. Scheitern sie, nehmen sie ihren Staat in Geiselhaft.

Was bewegt Brandstifter? Wodurch gewinnen sie Gefolgschaft? Der unwiderstehliche Trieb zu siegen, zu erobern, zu zerstören ist entscheidend. Politische Marodeure versuchen, komplexe Herausforderungen mittels Unterdrückung, Erpressung, Gewalt und Krieg zu bestehen. Sobald ein Gegner überwältigt ist, setzen sie sich immer neue Ziele. Zudem besteht eine Komplizenschaft, ja eine Abhängigkeit zwischen Brandstiftern und ihren Mitläufern, da sie die gleichen Werte und aggressiven Methoden teilen. Der Brandstifter erringt und erzwingt das latente Verlangen seines Anhangs. Das ist sein Charisma. Moralische und rechtliche Kriterien werden ausgeschaltet. Richtig ist, was der Führer befiehlt. Anderes ist falsch und wird sanktioniert.

Das Wirken politischer Brandstifter kann nicht vollständig unterbunden werden. Gesellschaftliche Verwerfungen sind mitunter unvermeidlich, ja notwendig. Karl Marx nannte Revolutionen „Lokomotiven der Geschichte“. Dem Philosophen kam nicht in den Sinn, dass Zugwagen auch in die falsche Richtung gelenkt werden können. Millionen Menschen mussten die Irrfahrten mit dem Leben bezahlen – wenn Kutscher oder Lokomotivführer wie Napoleon, Lenin oder Mao den Weg bestimmten.

Demokratien haben sich als relativ zuverlässiger Schutz erwiesen. Ihre Gesetze und Institutionen sorgen in der Regel dafür, dass die schmerzhaften Nebenwirkungen der gesellschaftlichen Umbrüche abgefedert werden. Falls diese sich aufgrund von technischen und wirtschaftlichen Erneuerungen dennoch ereignen, gewinnen selbst in etablierten Demokratien wie Großbritannien, den USA und Israel Demagogen Zulauf, die eine Einschränkung der politischen Freiheit, der unabhängigen Rechtsprechung und Medien anstreben.

Eine stabile Freiheitsordnung ist das Ergebnis einer überzeugten Bevölkerung und freier Institutionen. Bemerkenswert ist dabei, dass Indien seine demokratische Struktur bewahren konnte, während sie in Pakistan, das ebenso wie Indien und Ceylon bis 1946 in der gleichen Kolonie von Großbritannien regiert wurde, stets aufs Neue abgeschafft wurde. Das überlieferte islamische Kultur- und Politikverständnis, das eine Trennung von Staat und Religion nicht kennt, spielt hier eine entscheidende Rolle. Kein muslimisch ausgerichteter Staat blieb dauerhaft demokratisch. Oktroyierte, formale Demokratien, wie sie von den USA in Afghanistan und Irak etabliert wurden oder zuvor bei Abzug der Kolonialmächte aus den ehedem kolonisierten Ländern in Afrika und Asien, besitzen nicht die notwendige Widerstandskraft gegen entschlossene Feinde.

Auf welche Weise können freiheitlich gesinnte Bürger und demokratische Einrichtungen einen wirksamen Schutz etablieren, der sie vor Brandstiftern bewahrt? Dass dies geboten und möglich ist, zeigten zuletzt Beispiele der Vereinigten Staaten und Brasilien. Deren Wähler sowie die demokratischen Institutionen widersetzten sich den Versuchen der abgewählten Präsidenten Donald Trump und Jair Bolsonaro, in einem kalten Staatsstreich die Macht an sich zu reißen. Zur massenhaften Gegenwehr braucht es demokratisches Selbstbewusstsein und Mut. Diese Tugenden müssen fortwährend gepflegt werden. Doch auch bewährte Demokratien besitzen keinen Ewigkeitsschutz. Sie müssen ihre Resilienz stetig festigen. Denn demokratische Freiheit ist nicht umsonst zu haben.

Verrückte führen Blinde

„Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“

Wer sich mit Brandstiftern beschäftigt, gelangt unwillkürlich zur Frage Georg Büchners. Der Autor konnte sie vor knapp 200 Jahren ebenso wenig schlüssig beantworten wie wir heute – allen neueren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz. Die Geisteswissenschaften haben hier keinen Durchbruch erzielt. Man mag Erbauung in den Werken von Karl Marx, Jean-Paul Sartre oder Sigmund Freud, Alfred Adler, Hannah Arendt und weiteren klugen Frauen und Männern suchen und finden. Eine schlüssige Erklärung für den persönlichen Antrieb von Diktatoren und Tyrannen von Attila bis Saddam Hussein und darüber hinaus vermitteln diese Schriften nicht. Eine Kindheit in Armut und Not, sadistische Väter, liebende Mütter – oder umgekehrt –, Mangel an Zuneigung und manches Quälende mehr kennzeichnen mitunter das Aufwachsen späterer Brandstifter. Hitler und Stalin müssen zur Bestätigung der sozialen These herhalten. Doch Millionen Kinder wuchsen unter ähnlichen Umständen auf – ohne sich zu Kriegstreibern und Massenmördern zu entwickeln. Die pauschale biblische Antwort „Sünde als Teufelswerk“ genügt in der Postmoderne nicht. Kurz, es ist vergebliche Mühe, die Blackbox psychosozialer Antriebe der Brandstifter bestimmen und eine allgemeine Ursachenformel destillieren zu wollen. Zu unterschiedlich sind die Persönlichkeitsbilder der Protagonisten, ihre Empfänglichkeit für das Zeitgeschehen und die Einwirkung auf ihre Umgebung. Dies darf jedoch nicht als Alibi zur Aufgabe des Erkenntnisinteresses über politische Marodeure dienen. Die durch sie hervorgerufenen Verheerungen und die Gefahr, dass sie und ihre Epigonen neues Unheil heraufbeschwören, gebieten, nicht von Büchners Frage abzulassen.

Eine bemerkenswerte Rolle kommt dabei der Literatur zu. Sie entspringt einer langen Tradition des Begreifenwollens. Die Autoren stehen auf den Schultern ihrer Lehrer aus Kultur und Kunst, sie verfügen über ein feines Sensorium, das es ihnen ermöglicht, die Charaktere der Brandstifter zu erspüren. Beispielhaft sind dabei William Shakespeare, Fjodor Dostojewski und Max Frisch.

In seinem Roman „Der Spieler“ beleuchtet Dostojewski dominante Wesenszüge der Hasardeure. Gewinne fachen ihre Spielsucht an, Verluste nicht minder. Sie werden von Gier getrieben, wollen um jeden Preis obsiegen, kriegen nie genug. Der Reiz des ständigen Risikos dominiert jede vernünftige Überlegung. Sie ignorieren die Erkenntnis, dass eine unentwegte Siegesserie unmöglich ist und ihr Tun am Ende unweigerlich zum Verlust führen muss. Dermaßen agierten in Politik und Krieg etwa Schwedens Karl XII., Napoleon, Hitler.

Der französische Kaiser Napoleon hatte alle europäischen Gegner militärisch besiegt, ehe ihm der Bruch der Kontinentalsperre durch Russland den Vorwand lieferte, mit seiner Grande Armée in das Zarenreich einzufallen. Strategisch war der Krieg sinnlos – selbst wenn Frankreich gewonnen hätte. Nimmt man aber Napoleons Risikotrieb als Motor, wird die Psycho-Logik seines Russlandfeldzugs deutlich. Der Kaiser befehligte ein Heer nie gekannter Größe. Er errang erneut Schlachtentriumphe – ehe seine Verbände an der Weite des Landes, an Seuchen, Hunger und Erschöpfung zugrunde gingen. Der Soldatenkaiser rettete sich nach Paris und ließ bekannt geben: Die Gesundheit seiner Majestät sei „nie besser gewesen“.

Fjodor Dostojewski hat Spielsucht authentisch geschildert, denn er war selbst ihr Sklave gewesen. Der Schriftsteller hatte sich der Risikogier in „Roulettenburg“ ergeben. Der Einsatz von Geld interessierte Alexander, Napoleon, Hitler nicht. Sie wählten den höchsten Preis, den Massenkampf auf Leben und Tod: Krieg. Der Reiz dieses „Spiels“ ist den Protagonisten bewusst. „Ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million (Soldaten)“, bekannte der von seinen Grenadieren adorierte Kaiser. Ihr Leben bedeutete Napoleon und Konsorten weniger als die Spannung des Kriegsspiels. Schrankenlose Zerstörer sind rationalen Argumenten nicht zugänglich.

Napoleon ließ sich 1813 vom österreichischen Kanzler Klemens von Metternich zu einem sechswöchigen Waffenstillstand überreden. Danach aber überwältigte ihn erneut die Risikosucht – was zu seinem Unterliegen in der Völkerschlacht bei Leipzig führte. Dies hatte Napoleons Abdankung und sein Exil auf Elba zur Folge. Ein letztes Mal noch versuchte der Despot wider alle Vernunft und militärische Kraftverhältnisse, das Glück bei Waterloo zu zwingen. Nach dem Unterliegen wurde er nach St. Helena verbannt. Dort nannte Napoleon die Annahme des Waffenstillstands seinen größten Fehler. Damit machte der geschlagene Feldherr deutlich, dass er nichts aus seinen Niederlagen lernen wollte. Entscheidend für ihn blieb die Sucht nach dem Risiko. Diesen mentalen Antrieb sinnlich nachvollziehbar aufgezeichnet zu haben, ist das Verdienst Fjodor Dostojewskis.

Ein entscheidender Unterschied zwischen Dostojewskis Spieler und Brandstiftern à la Napoleon und Putin ist nicht nur die Art und die Höhe, sondern auch die Komplexität des Einsatzes. Das macht Max Frisch in seinem Drama „Biedermann und die Brandstifter“ deutlich. Der Brandstifter kann seine volle kriminelle Energie erst im Zusammenwirken mit den Biedermännern entfalten. Selbst als sie den Verbrecher durchschauen und vor seinem zerstörerischen Wirken gewarnt werden, unterwerfen sie sich ihm weiterhin. Am Ende liefern sie dem Verbrecher gar die Zündhölzer. Die Zustimmung der Biedermänner ist die Geschäftsgrundlage aller politischer Autokraten. Ohne ihre Kooperation sowie ihre Opferbereitschaft bleiben sie ungehörte Hetzer. Dies gilt, einerlei, ob die Brandstifter grenzenlos agieren, wie Napoleon und Hitler, oder ob sie kühl abwägende Gewaltherrscher sind wie Franco oder Pinochet – alle bleiben auf ihre Partner angewiesen.

Die Biedermänner ignorieren, dass der Brandstifter auf ihr Leben scheißt. Sie folgen ihm, weil sie davon durchdrungen sind, dass der Anführer ihre Interessen authentisch vertritt, und machen sich so zu dessen unentbehrlichen Mittätern.

Lange vor Dostojewski und Frisch dramatisierte William Shakespeare die Zwanghaftigkeit, den Vernichtungstrieb, den Zynismus, aber auch die schiere Dummheit der Rattenfänger und die Blindheit ihres Anhangs. In seinem Drama „Richard III.“ wird der Herzog von Gloucester von brennendem Ehrgeiz getrieben – auch um seine körperliche Verunstaltung zu überspielen. Systematisch mordet er sich durch das Königshaus. Selbst die im Tower gefangenen jungen Prinzen lässt er beseitigen. Schließlich erobert er die Krone. An der Macht, nennt der Herrscher „Gewissen ein Wort, das Feiglinge nutzen, erfunden einst, die Mächtigen in Furcht zu halten“. Shakespeares Richard bedient sich der Sprache, die später Napoleon, Hitler, Putin und Wesensverwandte benutzten. So exemplifizierte er die Vernichtungssucht und den Untergang der Getriebenen. Im Drama „König Lear“ zeigt der Dichter den Einfluss der Epoche auf die bestimmenden Akteure und ihre Mitläufer auf: „Das ist die Plage der Zeit, in der Verrückte Blinde führen.“

Ringen um Macht ist menschlich. Es geschieht in Familien, Schulen, im Militär wie in Verbrecherbanden, in Firmen, in Regierungen. Auseinandersetzungen um legitimierte Macht sind Bestandteil demokratischer Systeme. Politische Marodeure nutzen demokratische Institutionen als Vehikel, um an die Schalthebel der Macht zu gelangen. Ihr Ziel ist die umfassende Herrschaft. Shakespeare durchschaute die unweigerliche Reaktion auf das gewissenlose Agieren Richards. Zunächst handelt er schlau, umschmeichelt seine potenziellen Mitläufer, setzt sie geschickt ein. Doch sobald er als unumstrittener Herrscher seinem Zerstörungstrieb folgen kann, tut er es ungehemmt und nimmt nicht länger Rücksicht auf seine Helfer. Dies ist die Stunde seiner Feinde und der enttäuschten Paladine. Sie ruhen nicht, bis der Usurpator zur Strecke gebracht ist. Prigoschin und Nawalny werden sicherlich nicht die letzten Rebellen gegen Putin bleiben.

Die Engländer erkannten als Erste den destruktiven Charakter Napoleons. Ihr fähigster Admiral, Horatio Nelson, vernichtete 1798 vor Abukir die Flotte Napoleons. Der ließ seine Armee im Stich und segelte nach Frankreich. Als er dort die Macht gewonnen, die Armee nach seinem Gusto geformt und mit den Eroberungen begonnen hatte, sandten die Briten dem Usurpator erneut Nelson entgegen. Der Admiral schaltete 1805 Frankreichs Flotte bei Trafalgar endgültig aus und bezahlte die Pflicht zum Sieg mit seinem Leben. Später fiel General Wellington mit seinem Expeditionskorps immer wieder auf dem Kontinent ein, um Napoleons Macht zu dezimieren. Bei Waterloo besiegelte er gemeinsam mit dem Preußen Blücher die Niederlage des Korsen.

Nach dem Fall Frankreichs 1940 bekämpfte Churchill als einziger europäischer Staatsmann Hitler unerschrocken. Wenige Jahre später hatte er den unüberwindbar scheinenden „Führer“ zur Strecke gebracht. Nicht aufgrund Britanniens Stärke, vielmehr weil der Nazi von seinen destruktiven Kräften getrieben wurde, sich immer mehr Feinde zu schaffen. Shakespeare skizzierte die Blaupause für den Niedergang Hitlers und von dessen Geistesbrüdern.

Politische Brandstifter nehmen, wenn sie keine Wahl haben, selbst in einer labilen Demokratie wie in Weimar oder in der Türkei den formal korrekten Weg, um an die Macht zu gelangen. Erdoğan erläuterte die Funktion der Demokratie in seiner Sicht als Vehikel zur Macht. Im Besitz der Herrschaft ließ Hitler wie von ihm angekündigt Köpfe rollen.

Hitler war ein Vernichter. Erdoğan dagegen ist ein politischer Opportunist, der mit allen Mitteln die uneingeschränkte Macht erstrebt. Er nutzt alle innen- wie außenpolitischen Krisen zur Machtakkumulation. Gelegentlich erzeugt er selbst Krisen. Die politische Erstarkung der Kurden, der amateurhafte Putsch von Teilen der türkischen Armee – stets entfachte Erdoğan die Flammen, um Konkurrenten wie die Gülen-Bewegung darin zu verbrennen. Droht das Feuer seiner Kontrolle zu entgleiten, wie nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges oder der Besetzung kurdischen Gebiets im Irak und in nachfolgenden Gefechten, macht Erdoğan Rückzieher. Denn der „Lider“ verstand, dass eine bedingungslose Eskalation von ihm nicht beherrschbar war. Für Adolf Hitler dagegen kam nach der Münchner Konferenz im September 1938, als er sich im Besitz überlegener Schlagkraft wähnte, selbst ein temporärer taktischer Stillstand nicht infrage. Er gab dem Feuer immer mehr Nahrung.

Der Unterschied sowie die Gemeinsamkeiten zwischen dem zwanghaften Vernichter und dem berechnenden Machtmenschen wurde bei der einzigen persönlichen Begegnung zwischen Hitler und Franco in Hendaye am 23. Oktober 1940 deutlich. Die Wehrmacht hatte im Juni den größten Triumph der deutschen Kriegsgeschichte errungen. Paris und große Teile Frankreichs waren von deutschen Truppen besetzt. Hitler war der Beherrscher Europas. Franco dagegen war in einer schwachen Position. Er hatte den von ihm angezettelten Bürgerkrieg nur dank der militärischen Unterstützung Italiens und Nazideutschlands gewonnen. Der Krieg hatte eine halbe Million Menschenleben gefordert und große Teile der Wirtschaft und der Infrastruktur zerstört. Franco, seine Generäle und Falangisten konnten sich nur mit Gewalt an der Macht halten. Doch der „Caudillo“ trat Hitler keineswegs als Bittsteller gegenüber. Im Gegenteil: Franco stellte unerfüllbare Forderungen. Hitler benötigte für seinen bevorstehenden Feldzug gegen die Sowjetunion spanische Soldaten als Kanonenfutter. Das wollte der kalt analysierende General, der die Geschichte des spanischen Guerillakriegs gegen die französische Besatzung ab 1808 und den Russlandfeldzug Napoleons kannte, unter allen Umständen verhindern. Um nicht Nein sagen zu müssen, schraubte Franco seine Forderungen immer höher, bis der NS-Führer nach sieben Stunden das Gespräch verärgert abbrach. Franco hatte sein Ziel erreicht. Er bewahrte sein Militär und damit seine Machtbasis – während der Hasardeur Hitler im Folgejahr den Ostfeldzug startete.

Hitler jagte sich am Ende seines Krieges 1945 eine Kugel in den Kopf – Franco dagegen beherrschte Spanien noch 30 Jahre, ehe er entschlief. Hitler und Franco repräsentieren Prototypen: triebhafter Zerstörer und emotionsloser Rechner. Der Vernichtungswahn Hitlers enthüllte sich in dem Völkermord an den Juden. Für ihre Auslöschung stellte er während des Krieges Einsatzgruppen und KZ-Personal sowie Transportkapazitäten bereit, die der Front fehlten. Der Massenmord besaß für Hitler Vorrang. Die übrigen Gewaltherrscher stehen zwischen diesen Extremen. Alle trachten danach, reale und potenzielle Gegner unschädlich zu machen und uneingeschränkt zu herrschen. Der Unterschied ergibt sich aus der Varianz der Risikobereitschaft. Alexander, Attila, Napoleon, Hitler wollten alle Völker des Erdenkreises unterwerfen. Taktierende Marodeure dagegen erstreben das jeweilige Ziel durch Einsatz begrenzter Mittel. Zu dieser Kategorie zählen neben Franco unter anderem Putin, Trump, Erdoğan, Netanyahu. Ergeben sich Gelegenheiten, etwa wenn Gegner Schwäche zeigen, dann versuchen solche Aggressoren, die Umstände für sich zu nutzen. Vladimir Putin wollte die scheinbare militärische Ohnmacht sowie die vermeintliche politische Isolation der Ukraine instrumentalisieren, um das Nachbarland erobern zu lassen. Doch das Urteilsvermögen des Kremlchefs hatte während der Jahrzehnte an der Macht und durch eine Reihe leichter Siege gelitten. Er überschätzte sich und seine Streitkräfte. Daher scheiterte er – zunächst.