Das Machaon-Projekt - Hanns Kneifel - E-Book

Das Machaon-Projekt E-Book

Hanns Kneifel

0,0

Beschreibung

Der Planet Machaon steckt mitten in der Kreidezeit. Dampfende Dschungel und gigantische Saurierherden erwarten das terranische Expeditionsteam. Doch als die Wissenschaftler auf einen Trupp menschlicher Jäger stoßen, geraten sie in einen Strudel unglaublicher Ereignisse, ebenso bizarr wie lebensgefährlich - denn Machaon wahrt sein wahres Geheimnis gut! Das Machaon-Projekt erschien 1964 in drei Heftromanen: »Dämonen der Nacht«, »Herrin der Fische«, »Projekt Eiszeit« (Terra 310, 312, 314) und 1972 weitgehend unverändert nachgedruckt als Terra Astra 22, 30, 36.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 452

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAS

MACHAON-

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

www.verlag-peter-hopf.de

© Cover: © Thomas Knip

ISBN ePub 978-3-86305-216-4

Folgen Sie uns für aktuelle News auf Facebook.

Alle Rechte vorbehalten

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Das Machaon-Projekt erschien 1964 in drei Heftromanen: »Dämonen der Nacht«, »Herrin der Fische«, »Projekt Eiszeit« (Terra 310, 312, 314) und 1972 weitgehend unverändert nachgedruckt als Terra Astra 22, 30, 36.

Im Frühjahr 1996 vom Autor für eine Komplettausgabe im Tilsner-Verlag umfassend überarbeitet, gewissenhaft angereichert und neu eingerichtet, mit großer ehrlich-nostalgischer Anhänglichkeit an den Urtext, und abermals 2011 für die eBook-Version gründlich durchgesehen und erheblich überarbeitet.

Inhaltsverzeichnis
Das Machaon-Projekt
Erster Teil: Dämonen der Nacht
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
Zweiter Teil: Herrin der Fische
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Dritter Teil: Projekt Eiszeit
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.

HANNS KNEIFEL

»Einer gefährlichen, wenn auch gut vorbereiteten Mission eine leicht verständliche Bezeichnung zu geben, scheint zu den größten Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens zu gehören. Mastergeplante Analoge Crewexpedition zur Hochgradigen Aufklärung in Optimaler Normzeit (=M.A.C.H.A.O.N./Machaon). Ist es nicht unausdenk- und unbezahlbar? Sie nannten also den dritten planetaren Begleiter Calbarakrab Deltas, was auf Arabisch »Herz des Skorpions« heißt, nach der mastergeplanten Expedition in Normzeit. Für ein Vorhaben, das der kolonisierenden Rasse des Homo sapiens stellaris möglicherweise in etlichen Jahrhunderten eine besiedelbare, reiche Welt erschließen könnte, wäre ein lodernder, triumphal-motivierender Begriff angebracht gewesen – phantasieloses bürokratisches Understatement mag hocheffizient sein, enträt indes meist einer begeisternden Komponente.«

Aus: Matos Slenirth/Jossel Seydenblum: AlmanachdesbegreifbarenUniversums, Non-Offprint-Verlag, Columbinya, Magna Doradus, II. Auflage, © July 2178; bei Projektbeginn.

1.

Der Nebel begann sich langsam zu lichten, die Schleier hoben sich zögerlich von den weißen Kieseln des Flussbettes, das hier eine weite Schleife zog; allmählich enthüllten die Sonnenstrahlen die Verlassenheit dieses Ortes. Vor Äonen war ein Feuerberg ausgebrochen und hatte den Fluss in ein neues Bett umgeleitet. Jetzt lag die Mündung im weiten Tal wasserlos da.

Es waren noch viele Tage bis an die Küsten des Nordmeeres. Nur Streifen bleicher Gräser zeigten an, dass zwischen den riesigen Geröllblöcken einmal Wasser versickert war. Die Sonne, eine milchig weiße Scheibe, schob sich über den Horizont, als erschrecke sie vor dem leeren, unbarmherzigen Land. Nach einiger Zeit begannen die Strahlen zu wärmen; Tau funkelte blitzend an den Spitzen der Halme. In einer Linie mit dem schwarzen Kegel eines Feuerbergs, von einem grellroten Steinblock aus gesehen, reckte ein riesiges Skelett seine Knochenbögen aus dem grauen Sand. Das schmutzige Weiß hob sich scharf vom Kobalt des Himmels ab.

Ein Zischen: Unter den Knochen hatte eine orangefarbene Schlange gelegen und die kalte Nacht verbracht. Sie hob den kantigen Kopf, riss den Rachen auf und züngelte; sie kroch aufreizend langsam zu einem großen Stein und in die Wärme. Die Sonne stieg, die Schatten wurden kürzer.

Das hammerköpfige Pteranodon hockte auf der Spitze eines gigantischen Findlingsblocks. Durch den Stein ging ein Spalt von oben bis tief ins Erdreich hinein. Die pergamentene Haut der Flügel bedeckte fast den gesamten Körper; die scharfen Krallen der Fänge zogen feine Rillen in den Stein. Gleichzeitig mit dem knirschenden Geräusch öffnete der große Flugsaurier die Augen: Kaum etwas entging diesen Linsen, das sich bewegte und angegriffen werden konnte, kein Lebewesen war vor der Mordlust und der Fressgier der Echse sicher. Das Pteranodon war lautlos schwebender Mord; jedes Tier, das von den Zähnen des langen Speerschnabels erfasst wurde, war verloren. Die Echse spähte reglos; sie hielt es halbe Sonnentage lang hier aus. Die weißen Kotstreifen auf den Flanken des Findlings bewiesen es. Das Tier war die Herrscherin über das umliegende Gebiet.

Plötzlich kam verhaltene Bewegung in den schlanken Körper. Das Pteranodon hatte etwas bemerkt. Wo zwischen den Hängen der nahen Hügel die Grasebene begann, zitterten die Spitzen der Farngräser. An dieser Stelle ging das kahle Flussbett in ein Hochmoor über und in sandige Flächen, die stechend weiß das Grün unterbrachen. Dort bewegten sich Tiere zur Morgentränke; dort war Beute. Langsam entfaltete das Pteranodon die langen Sichelschwingen und schüttelte die Feuchtigkeit der Nacht aus den ledernen Falten, riss den Schnabel auf und reckte die Reihen der nadelscharfen Zähne in die Sonne; ein trompetender Schrei gellte über das Land. Mit hängenden Schwingen und entspannten Muskelbündeln wartete die Raubechse.

Expeditions-Tagebuch von Wolf Sicard: 9. Tag, 2. Eintragung – kurz nach Sonnenaufgang: »Die kahle Verlassenheit des Landstrichs – und vieler anderer, die wir inzwischen selbst haben sehen können – bildet einen bemerkenswerten Hintergrund für die Richtung und Verzweigung der Evolution, so wie wir sie verstehen können. Tagsüber liegt die riesige Insel voller Schachtelhalme, Farne und Saurier unter dem schwach rötlichen Licht der dritten Scorpius-Sonne, nachts erhellt die hohe Albedo des noch namenlosen Mondes wildes Land und schier endlose Küsten. Auf der phosphorgelben Oberfläche der Vollmondscheibe bilden Krater, Verwerfungen und Maria eine nicht minder staunenswerte Struktur: einen sechsstrahligen Eiskristall. Stein, Sand, Schachtelhalme und erloschene Vulkane liegen unter diesem fast mythischen Licht, das aus jedem Tümpel, jeder Bodensenke exotische Orte Ungewisser Gefahren entstehen lässt.

Auf M.A.C.H.A.O.N. herrscht uneingeschränkt die Natur und regelt das Leben auf ihre Art; wir Menschen mögen die Art der Auslese grausam oder zufällig nennen. Auch wenn wir dem Mond keinen Namen geben, geht die Evolution ihren behäbigen Gang: diese Welt ist definitiv menschenleer.«

Die harten Muskeln des Flugsauriers strafften sich, die Schwingen falteten sich auseinander und hoben sich langsam. Ein Ziel war deutlicher geworden; die Echse richtete sich an der schroffen Spitze des keilförmigen Felsens auf. Die Schwingen waren viermal so lang wie die zweibeinige, aufrechtgehende Beute; noch nie hatte das Pteranodon in seinem Jagdgebiet jene Lebewesen gesehen. Der Instinkt sagte der Echse, dass sie eine leichte Beute sein würden. Die Sonnenwärme hatte den letzten Nebelrest gefressen, das Gestirn strahlte greller, und die schwarzgraue Wolke über dem Feuerberg wuchs höher und breiter in das Kobalt des Himmels hinein.

Das Pteranodon bewegte die Schwingen, stieß sich ab und schraubte sich in der heißen, aufsteigenden Luft höher. Die fremden Wesen waren hierher gewandert: Eine breite Spur zertretener Gräser und abgebrochener Sträucher führte auf die Stelle zu, vielleicht zwanzig, dreißig Flügelschläge entfernt, an der die Echse die Zweibeiner sah. In wenigen Augenblicken würden sie in wilder Flucht auseinanderspringen. Das Pteranodon fiel mit rauschenden Schwingen auf das Ziel zu.

Die Krallen der Fänge krümmten sich der Beute entgegen, der Schnabel öffnete sich; ein fauchender Schrei zuckte zum Boden. Der Schatten des Sauriers schob sich zwischen Sonne und Gras; die erste der braunen Gestalten bewegte sich schnell und sah in die Höhe. Das Trompeten der Echse sprengte die Beute auseinander, der Luftjäger ließ sich über der Gruppe fallen, und die Braunhäutigen bewegten sich so wie jedes Beutewesen bisher: Sie warfen sich nach allen Richtungen ins Gras und vollführten mit den oberen Gliedmaßen schnelle Bewegungen. Die Echse glitt auf die erste Gestalt zu, die Schnabelspitze zielte auf die Stelle, an der der Kopf in die Schultern überging; auf die Knochensäule, die unter dem ersten Biss brechen würde.

Vom Boden aus heulten weiße Stäbe auf die Flugechse zu. Die Beute wehrte sich, wurde gefährlich; einige Holzstäbe schlugen durch die Flügelhäute. Schmerz und Wut zuckten durch den Körper der Echse, der sich rasend schnell zu bewegen begann. Das Pteranodon peitschte die Luft und flog einen engen Halbkreis. Wieder pfiffen die Holzstäbe heran und verursachten dort, wo sie in den Körper eindrangen, glühende Schmerzen. Mitten im zweiten Anflug sackte die Echse ab. Ein Geschoss hatte die rechte Schwinge gelähmt; furchtbarer Schmerz tobte durch den Muskel. Wieder bohrten sich drei schlanke Geschosse mit blitzenden Spitzen in den Körper, der Flug des Pteranodons wurde zu unkontrolliertem Torkeln. Mit einem letzten Aufbäumen jener Kraft und der Zähigkeit, die ihn bisher am Leben erhalten hatte, griff der Saurier an und stürzte sich auf die größte Gestalt der Beute. Das letzte Geschoss bohrte sich mit hartem Schlag ins Auge und drang ins Gehirn; die Echse fühlte einen aufflammenden Schmerz und starb zuckend. Krachend, mit berstenden Knochen, stürzte das Pteranodon senkrecht ins Gras.

Aus mehr als einem Dutzend Wunden des braunen Körpers und dem Hammerkopf floss dickes rotes Blut. Scharen kleiner Käfer und Schwärme unterarmlanger, blitzender Libellen stürzten sich auf den Kadaver. Langsam kamen die braunen Gestalten heran und umstellten den erlegten Gegner; große, schlanke Jäger mit rötlich sonnengebräunter Haut. Der Größte der acht Jäger betrachtete prüfend den Saurier.

»Fünf Augenblicke später, und wir hätten unseren Anführer verloren«, sagte Nayar. »Der Drache wollte ohne Zweifel dich als Beute, Tarask.«

Tarask grinste knapp und entblößte kräftige weiße Zähne. »Dafür bin ich noch zu jung, zu schnell.«

Die Füße der Jäger steckten in Stiefeln aus gegerbter Saurierhaut, darüber lag eine Hose, deren Stoff aus stumpfglänzender Seide zu bestehen schien. Der breite Gürtel, mit eckigen Knochenplatten gepanzert, trug die Scheide einer fast armlangen Schlagwaffe. Tarask hieb mit seinem Schwert die Krallen der Echse ab und säuberte sie an einem Farnblatt, bevor er sie in einer Ledertasche verstaute, die er über dem Schenkel am Gürtel trug. Neben einem prallen Wassersack steckten zwei breite Dolche in Lederscheiden. Tarask hob den Arm.

»Schade«, sagte er und blickte seine Kameraden an. »Wir können ihn nicht häuten und das Leder mitnehmen. In der Siedlung könnten wir's gut gebrauchen.«

Die Jäger wehrten die Libellen ab und zogen die unbeschädigten Pfeile aus dem Kadaver. Die Spitzen der Pfeile waren breite Dornen des Metallbaumes; sorgfältig zugeschnittene Fischschuppen in den feinen Rillen der Schilfgras-Schäfte bildeten die Befiederung. Die Jäger rückten die Köcher auf den Rücken zurecht und versammelten sich um Tarask.

»Wie weit gehen wir heute noch?« Totona entspannte den Bogen und wickelte die Sehne um den Schaft.

Die rechte Hand des Anführers glitt über die Platten des Gürtels. Tarask blickte nach dem Feuerberg und versuchte die Schwierigkeiten des Geländes abzuschätzen. Jede Platte auf dem Saurierleder bedeutete einen Sieg über einen der gefährlichen Erddrachen; die hornüberwachsenen Knochenplatten schützten zwischen den Augen die Stirn der Bestie – gegen Speere aus feuergehärtetem Metallholz waren sie aber kein wirksamer Schutz, besonders dann, wenn Jäger wie Tarask oder Totona die Waffen schleuderten.

Aus dem Schlund des Feuerberges drang der Donner des Ausbruchs an die Ohren der Jäger. Acht Männer rissen die Köpfe herum und starrten die gelbdurchglühte Wolke an. Tarask winkte seinen Kameraden; er hatte genug gesehen.

»Wir gehen heute bis hinter den Wald dort, auf halber Höhe.«

Seine Hand deutete auf den Weg; die Spur führte durch die Zone des wasserlosen Flussbettes.

»Ich denke, der Ausbruch wird nichts verändern. Wenn es so bleibt, können wir bis Sonnenuntergang weiterlaufen – wir müssen unser Ziel erreichen.«

»Etwas viel für einen Tag«, sagte Nayar leise und hob die Schultern.

»Es geht nicht anders«, sagte Tarask entschlossen. Er ging an die Spitze der Gruppe und deutete zum Feuerberg. »Es ist wichtiger als nur der eine Tagesmarsch.«

Nayar zuckte mit den Schultern und folgte ihm. Die Jäger warfen zögernde Blicke auf den umwimmelten Saurierkadaver und gingen mit raumgreifenden Schritten weiter. In dieser Geschwindigkeit konnten sie bis Sonnenuntergang rund achtzig Ardons weit gehen. Tarask wischte den Schweiß von der Stirn, feuchtete das kurze schwarze Haar mit einigen Handvoll Wasser an und trank einige Schlucke; seit der alte Anführer von der Schlange getötet worden war, hatten sie neunzigtausend Ardons zurückgelegt. Charcas, der vierte Tote der Wanderung, war auf der Insel der Raupen begraben worden; die Hälfte seiner Waffen hatten sie in sein Grab gelegt. Seit Tarask führte, war kein Jäger getötet worden. Sie hatten fast drei Viertel der gesamten Strecke hinter sich gebracht, die sie noch von der Siedlung trennte.

Nach einem Tageszwölftel hatten sie heute die Grasebene verlassen und waren durch das Flussbett gewandert. Jetzt bewegten sie sich in Schlangenlinien zwischen den Moortümpeln hindurch und kamen auf die Sandflächen, die von einer der vielen Überschwemmungen angehäuft worden waren. Auf dem sandigen Landstreifen, der die Insel der Raupen von der Saurierinsel trennte, tobte sich in unregelmäßigen Abständen die Wut des Südmeeres und des Nordmeeres aus, warf mit gewaltiger Brandung Treibholz aufs Land, die Flutwellen gischteten weit ins Trockene herein und ließen tote Fische, Tang und ertrunkene Echsen zurück; Nahrung für unzählige Heere kleiner Käfer und gefräßiger Libellen.

Über dem Land kreisten gefiederte Gleitsaurier und, hoch über ihnen, hammerköpfige Flugdrachen, die einander bekämpften und entlang des Strandes nach Fischen jagten. Winzige Echsen und Schlangen flüchteten vor den Tritten der Jäger, die sich mit ihren Schwertern die Spur freischlugen, eine Spur, die auf der Landverbindung zwischen den Inseln angefangen hatte und sich zwischen Gingkosträuchern und Wucherfarnen fortsetzte, auf den Feuerberg zu, der jetzt schwieg. Die Wolke in der Luft war größer und weißer geworden; bald würde es wieder feine Asche auf die üppig wuchernden Pflanzen regnen.

Die Jäger rasteten nicht, als das Tagesgestirn seinen Scheitelpunkt erreicht hatte, aber sie waren dankbar, dass sie im Schatten der Gingkos gehen konnten. Die Tage, in denen sie über die Landzunge aus Kies, Sand und Geröll gewandert waren, ohne Schatten, lebende Beute, ohne genügend Trinkwasser, lagen schwer in den Erinnerungen der Männer. Nayar hatte tagelang getragen werden müssen; er wäre während der dreißig Tage an Entkräftung gestorben. Als er daran dachte, lächelte Tarask in sich hinein: Er wusste, dass er ein Jäger von jener Art war, wie ihn sich die Stammesältesten wünschten. Groß, stark, mutig, listenreich und klug. Er legte die Probe seiner Männlichkeit auf dieser langen Wanderung ab. Kamen sie zurück, waren alle Jäger vollwertige Stammesangehörige. Wenn sie zurückkamen ...

Charcas aber und die anderen kamen nicht zurück. Sie waren den Gefahren und Strapazen des fast dreijährigen Weges erlegen, den die vollzählige Gruppe – zwölf Jäger – zu gehen hatte. Jeder Mann des Stammes war einst gen Sonnenuntergang aufgebrochen und gewandert; kam er zurück, feierte der Stamm ein großes Fest. Jeder, der zurückkam, war gereift, ertüchtigt für das Leben auf dieser Welt, denn er kannte alles. Kein Mann von den Jägerinseln, der nicht einmal die Welt zu Fuß umrundet hatte. Mit neunzehn Jahren wurde der Neophyt auf die Wanderung geschickt. Nur einmal in der Stammesgeschichte Chuas kam ein Jäger vor Ablauf der Dreijahresfrist zurück – er blieb zeit seines Lebens Herrscher auf einer Insel.

Einige Nächte lang hatte Tarask davon geträumt, allein und schneller als die anderen davonzuziehen. Als er sich von der Gruppe trennen wollte, verunglückte Charcas. Zweifelnd und grübelnd, schwankend zwischen Ehrgeiz und seinem Verantwortungsgefühl hatte Tarask sich vor eineinhalb Jahren dafür entschieden, die sieben Männer weiterzuführen; seither wusste er, dass er der Stärkste und Mutigste war, der Jäger mit der größten Vernunft. Und nun wanderten sie seit drei Tagen auf der Insel der Echsen.

Erzählungen der Alten und selbst erlebte Gefahren hatten sie längst vor dem Betreten der Insel gewarnt: Einen fliegenden Mörder hatte ihnen die Natur entgegengeschickt, um ihnen zu zeigen, was sie erwartete. Mit jedem weiteren Ardon veränderte sich die Landschaft. Zuerst waren es trockene Flächen heißen Sandes, der aus den Körpern die Feuchtigkeit sog, dann die riesige Grasebene, zwischen deren Gewächsen sich mörderisch flinke Echsen und Schlangen verbargen; an einem Schlangenbiss war Charcas gestorben, vielleicht ein besserer Jäger als Tarask. Moortümpel, Flugsanddünen und Wucherfarne lagen hinter den Jägern, und statt der angriffslustigen Libellen schnellten sich dornige Lianen auf die Wanderer.

Die Schwerter glitten aus den Scheiden. Von Tarask, Totona und Chime geschwungen, durchtrennte das metallharte und scharfgeschliffene Holz jede Pflanzenfaser. Von den Strünken der Schachtelhalme schwankten Lianen, die an grünen Schlangenleibern herrlich duftende Blüten trugen. Hinter der Schönheit der weißen Gebilde, die vor dichter stehenden Gewächsen schillerten, versteckten sich scharfgerandete Saugnäpfe, die nichts losließen, was sie einmal erfasst hatten. Tarask deutete zum dritten Mal auf ein Jägerskelett zwischen vertrockneten Ranken; er durchtrennte vier peitschende Tentakel, bückte sich und suchte nach dem Stammeszeichen um den Hals des Skeletts. Es war verschwunden.

»Weiter«, sagte er heiser. »Ich weiß, dass ihr hungrig seid. Ich bin's auch.«

Eine Stunde nach dem höchsten Sonnenstand kamen sie aus dem Wald hinaus. Vor ihnen, im tiefen Wasser eines Quellbaches, stand ein Saurier mit stämmigen Beinen in der Strömung und sank langsam ein, während er Wasser schlürfte. Das durchdringende Geräusch hatten sie schon vor hundert Schritten gehört, jetzt biss der durchdringende Echsengeruch in ihre Nasen. Tarask hielt an, sofort scharten sich die Männer um ihn, er deutete auf den vorletzten der Reihe.

»Kannst du hier Feuer machen, Nayar?«

Nayar hob fragend die weißen Augenbrauen, suchte mit Blicken die Baumwipfel ab und verfolgte den Weg eines Sonnenstrahls, in dem die Federn eines Echsenvogels aufleuchteten; als er den hellen Fleck auf dem fast blauen Moosboden sah, nickte er dem Bogenschützen zu.

»Ja. Kann ich.«

Tarask zog aus seinem Köcher abgebrochene Pfeile, gab sie zwei Jägern und sagte: »Chupi und Zaca, ihr holt leichtes Harz. Verstanden?«

Ein paar Atemzüge später huschten beide Jäger zwischen den Stämmen davon. Nayar zog aus seinem Gürtel ein seidenes Futteral und wickelte eine handtellergroße Glaslinse aus. Er hockte sich mitten im Sonnenlicht auf die Fersen und wartete. Tarask sah zum Saurier hinüber, bis Zaka ihm die Bündel filzartiger Blätter gab, die mit flüssigem Harz getränkt waren und sich um die Enden der Pfeile gewickelt hatten. Der Geruch, den das Harz verströmte, war fast betäubend. Nayar brachte den gebündelten Sonnenstrahl auf die Gebinde; augenblicklich begann das Harz zu schwelen, und als er darauf blies, brannte es rauchend und spritzend. Tarask und Totona legten die Pfeile auf die Bogensehnen und huschten davon, dem Plätschern des Bachs entgegen.

Aus der Stille des Waldes drangen plötzlich die gellenden Laute der Jägerstimmen. Der Saurier hob den kleinen Kopf und stierte in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Die Pfeile heulten von den Sehnen. Tarask hatte gut gezielt, Totonas Pfeil traf noch besser. Die brennenden Pfeile schlugen in den Kopf des Dreihornsauriers, das Harz flammte im Luftzug, betäubender, fetter Qualm blendete das Tier. Der Allosaurus raste in unbeholfenen Sprüngen durch das Unterholz davon, dessen Stämme wie trockene Halme brachen. Der Saurier brüllte vor Schmerz, krachte mit dem Schädel gegen einen Baum und überschlug sich; zurück blieben der Moschusatem der Beute und der betäubende Geruch des Harzes.

Die Quelle war frei. Die Jäger füllten die Wasserflaschen, tranken dann das kalte Wasser, schließlich zogen sie sich aus und wuschen sich gründlich. Während sie sich von der Sonne und dem warmen Wind trocknen ließen, packte Nayar faustgroße Früchte aus, die im Feuer des letzten Nachtlagers gebacken worden waren. Er verteilte sie, während Tarask und Zaka aus dem Schenkel des Sauriers große Fleischbrocken herausschnitten und, in Blätter eingeschlagen, zur Quelle brachten. Eine beinlange Fackel schwelte, ihr Mark glühte. Die Sonne wanderte eine Handbreit am Himmel weiter, dem Abend zu, und die Jäger gingen zwischen niedrigem Farn davon, dem Endpunkt der heutigen Wegstrecke entgegen.

2.

»Das Leben entwickelt sich offensichtlich – jenseits, abseits aller erfahrenen Verschlingungen evolutionärer Vorgänge –, nachdem ihm einmal gewisse Bahnen vorgeschrieben worden waren, elementar und logisch. Vorgänge, die man Zufall oder Mutation nennen könnte, sind keine Extravaganzen biologischer Art, sondern unverrückbare Bestandteile der Natur – überall im Universum beziehungsweise unserer Galaxis. Naturam non saltat; sie scheint nicht zu springen, nicht zu rechnen, aber durch das wunderbare instabile Gleichgewicht, das sie auftaut, sind die Vorgänge ebenso exakt wie berechnete Faktoren oder Ergebnisse. Es ist gleich, ob Homo sapiens eine halbe Million Jahre früher oder später seinen Planeten zu ruinieren beginnt, aber es ist nicht gleich, ob er dies fünfzig Millionen Jahre früher tut, als man es aus der Erdgeschichte oder der anderer Welten zu wissen scheint. Stets wird der Mensch versuchen, seine Umwelt zu beherrschen und seinen Zwecken dienstbar zu machen. Es scheint der Natur wichtig zu sein, überlebenstüchtige Individuen einer neuen Entwicklung zu züchten, also führt sie die natürliche Zuchtwahl mit unbarmherziger Konsequenz durch. Überleben leicht gemacht? Offensichtlich nicht dort, wo W. Sicard landete.«

Aus: Slenirth/Seydenblum: Almanach ... ; Kapitel: Zufälligkeiten oder das unerwartete Glück des Feldforschers.

Die Sonne sank hinter dem stumpfen Kegel des Feuerberges. Morgen würde sie eine neue Teilstrecke der Großen Wanderung beleuchten. Tarask ließ anhalten, als noch rotes Dämmerlicht über der Umgebung lag. Die Jäger schwärmten aus, durchsuchten den Umkreis des Lagerplatzes, durchstöberten jeden Busch und drehten große Steine um. Während der Suche sammelten sie essbare Früchte, und Nayar machte ein Lagerfeuer, noch ehe Teoti, der Nachtjäger, eine kleine Echse schoss. In der Mitte der Lichtung wuchsen die Flammen; die Sonne ging inmitten roter, schwarzer und blaugeäderter Wolken unter. An geschälten Ästen drehten sich die Fleischbrocken der Saurier, Fett tropfte in die Flammen, und wenn Tarask das Fleisch mit Salz bestreute, sprangen grüne Funken nach allen Seiten. In einer Lehmhülle brieten die Früchte in der Glut; Flammen und Schatten machten aus den Körpern der Jäger und den Büschen geheimnisvolle Gestalten: Dämonen der beginnenden Nacht. Am Stamm einer Cordaitpflanze kletterte ein Tier mit riesigen Facettenaugen in die Höhe.

»Erzählst du uns ein Märchen, Ticom?«, sagte Chime und zog die seidene Hängematte aus dem Rückenbeutel. Chupi trank einen Schluck, rülpste und verschloss den Wassersack. Er nahm die Waffen auf und setzte sich auf einen Stein, den Rücken am Cordaitstamm.

»Ja. Wartet noch.« Ticom nickte und blickte in die Sterne; er zögerte, ließ sich Zeit und schien eine neue, alte Legende zu ersinnen. Er wusste, dass kein anderer Jäger ihm im Erfinden neuer Abenteuer gleich kam; solcher Abenteuer, die Jäger zu bestehen hatten, die sich auf die Suche nach den Göttern dieser Welt aufgemacht hatten.

Auch diese Nacht webte er die Erzählung weiter:

»... Cuaro stieg auf den Berg, in dem die Flammen wohnen. Da sah er eine Lichtung zwischen roten Felsen, und hinter der Lichtung war ein riesiges Loch, aus dem die Götter aus der Tiefe der Welt kamen – so, wie es ihm seine Mutter oft erzählt hatte. Cuaro hielt den Bogen gespannt und schaute sich um. Da sah er, dass auf der Lichtung drei schwarze Zelte standen, und in der Mitte der Zelte war ein weißes Feuer, das keinen Rauch machte ...«

Seine Worte wurden leiser und eintöniger; ihr Klang beruhigte die Jäger, die trotz der geheimnisvollen Laute und der scharfen, harten Geräusche des Urwaldes langsam einschliefen. Zugleich mit den nachtlebenden Tieren schützte sie der undurchdringliche Wald. Nayar stieß im Schlaf einen langen Seufzer aus. Während Tarask den monotonen Worten Ticoms lauschte, lächelte er; nach Sonnenaufgang würden sie weiterwandern, dem fernen Ziel entgegen, dessen Entfernung fast unaufhaltsam von Tag zu Tag um ein paar tausend Schritte schrumpfte.

Schon vor der Morgenhelligkeit waren die Jäger an der Quelle, fünfhundert Schritt vom Nachtlager entfernt. Hängematten und Seidennetze wurden zusammengerollt, der Glutkrug gefüllt, die Reste des letzten Essens gegessen und das Feuer mit großer Sorgfalt gelöscht.

»Weiter, Freunde«, rief Tarask. »Wie immer: in bedächtiger Eile.« Er hockte auf dem untersten Ast eines Baumes, beschattete die Augen mit der Hand und beobachtete die Baumkronen und die schlanken Zweige der Cordait. Nachts war lautlos feine Asche aus dem Feuerberg gefallen und bedeckte als weiße Schicht ringsum die Blätter. Tarask prüfte den Streckenabschnitt, der vor seiner Gruppe lag. Der Wald war ruhig; weder die großen Saurier noch die kleinen, viel flinkeren, waren auf Nahrungssuche. Tarask kletterte hinunter und sagte unruhig:

»Der schwere Teil unseres Marsches fängt an. Denkt bei jedem Schritt zweimal an Gefahren!«

»Schaffen wir auch heute wieder achtzig Ardons?« Ticom knotete das Lederband des linken Stiefels. Tarasks Antwort klang grämlich:

»Kaum. Wir können froh sein, wenn wir sechzig schaffen.«

Totona starrte ihn unter gerunzelten Brauen an: Tarask fühlte lauernde Gefahren und fürchtete für seine Gruppe. Sie konnten sich zu jeder Stunde des Tages gegen einen einzelnen Saurier erfolgreich wehren, aber auf dieser Insel von unübersehbarer Größe waren die Echsen die Herren. Die Jäger würden in den kommenden Nächten wenig schlafen können; sie mussten wandern.

»Wie steht der Mond?«

»Er steigt.«

Auch in der letzten Nacht hatte seine Helligkeit die Sterne überstrahlt. Gut so: Die Jäger mussten nachts nicht in völliger Finsternis wandern. Heute würden sie das Tal zwischen den weißroten Felshängen der Länge nach durchwandern müssen; es hob sich und ging abermals in eine bizarre Landschaft aus Sand und Felsen über und fiel schroff zur riesigen Tiefebene ab. Die Jäger hatten auswendig gelernt, was die Ältesten ihnen geschildert hatten, und ständig mussten sie die Landschaft der Erzählungen mit derjenigen vergleichen, in die sie ihre Füße setzten.

»Du erkennst Schluchten und Schrunde vielleicht besser als wir, Tarask.« Nayar spannte den Bogen und sah zum Waldrand. »Keine Frage. Du übernimmst die Spitze.«

Der Anführer nickte, musterte seine Männer und sagte leise: »Seid ihr alle bereit? Ja? Fertig? – Wir gehen los!« Die Jäger schulterten ihre Waffen. Wieder schwoll und stieg die Wolke des Feuerberges; Staub und Asche würden sich des Nachts niedersenken. Staub rieselte aus den Bäumen, wenn sich Flugechsen oder kleine Säugetiere bewegten und zwischen den Ästen herumsprangen.

3.

Schon nach einem Viertelardon waren die Jäger mit weißer, nach Rauch und Schwefel riechender Asche bedeckt und schwitzten unter der brütenden Hitze des Morgens. Kein Wind war unter den Bäumen zu spüren. Stetig, ohne Pausen, ohne Aufenthalt und unter Anspannung aller ihrer Sinne wanderten die Jäger.

An diesem Tag hatten sie keinen Zusammenstoß mit den Erddrachen. Der Grund dafür wurde Totona und Tarask erst gegen Abend klar: Die Pflanzen! Totona blieb stehen und sog heftig Luft durch die Nase. Dann veranlasste er durch einen kurzen Ruf die Gruppe, sich um ihn zu sammeln.

»Was ist los?«, fragte Nayar leise.

»Riecht ihr nichts?«, sagte Totona. Er blickte sich im letzten Sonnenlicht um, dann sah er, was er suchte. Er winkte Tarask, während die anderen ihnen vorsichtig folgten. Am Rand des Waldes, der hier, fast auf der höchsten Erhebung des weiten Tales, schlagartig aufhörte, lagen große, runde Flächen; seltsam von Pflanzen entleerte Bestandteile der Ebene; möglicherweise gefährlich.

»Thlonai!«, flüsterte Nayar vor sich hin. »Und die Schmetterlinge.«

»Ja! Thlonai«, sagte Tarask schroff. »Wir kommen jetzt in die Zone, in der jeder falsche Schritt, jeder Augenblick, in dem einer von uns unaufmerksam ist, seinen und unseren Tod bedeuten kann. Darum werden wir wieder in einer Linie gehen, jeder in den Fußspuren des Vordermannes. Niemand weicht von dieser Linie ab. Die Thlonai können uns alle innerhalb kurzer Zeit in ein Skelett verwandeln. Heute gehen wir nicht mehr weiter!«

Sie suchten kurze Zeit, dann hatten sie zwischen den Thlonai und dem Waldrand einen geeigneten Platz für ihr Nachtlager gefunden. Mitten in der Nacht wachte Tarask auf. Er, dessen Sinne in dieser Gruppe für das Überleben sorgten, hatte die geringen Erschütterungen des Bodens wahrgenommen. Ein kämpfender Saurier, ein Drache, der von der matten Glut des Feuers angelockt worden war, oder ein Erdbeben? Tarask ließ sich aus der Matte fallen, griff nach seinem Schwert und lief einige Schritte bis außerhalb des Lagers. Dann sah er die Ursache der Geräusche:

Eine Thlonai, die mit einem Drachen kämpfte. Ihre zähen Ranken, die Verlängerungen der breiten, mit Dornen besetzten Blätter, hatten sich um den Körper eines Anatosaurus geschlungen und zogen ihn unaufhaltsam an sich. Ätzende Pflanzensäure, die der Thlonai den charakteristischen Geruch nach Gerbsäure gab, wartete darauf, das Fleisch der Echse aufzulösen und der Pflanze zuzuführen. Von den gelösten Stoffen lebten die Thlonai.

Das Licht des gelben Mondes lag über den Pflanzen und machte die tiefen Schatten zu Drohungen. Das Gelb wurde durch den Schleier des Ascheregens gefiltert und erhielt dadurch einen unheimlichen Glanz. Unter diesem vagen Licht kämpfte der pflanzenfressende Saurier seinen letzten Kampf. Er wehrte sich verzweifelt.

Wie aus dem Boden geschossen war plötzlich ein Schatten neben Tarask. Der Anführer fuhr herum, duckte sich; in wildem Schwung sauste das lange Schwert durch die Luft. Das Zischen ließ Tarask innehalten – es war Teoti, der Nachtjäger.

»Ich bin durch die Geräusche des Kampfes wachgeworden und hab gesehen, dass deine Matte leer war. Ich suchte dich«, sagte er. Auch Teoti hatte sein Schwert in der Hand.

»Gut – aber gib nächstens das Zeichen ein paar Augenblicke früher. Ich hätte dich fast erschlagen.«

Tarask lächelte grimmig in der Finsternis. Die Klauen des Sauriers rissen Erde und kleine Felsen aus dem Boden und schleuderten sie in die Luft. Der Saurier wurde von einem zweiten Rankenzweig der Pflanze getroffen, der sich um seinen Kopf wickelte. Peitschend riss eine der zähen Lianen, eine andere schnellte heran. Immer schneller wurde die Echse herangezogen, immer näher kam der Körper, der sich in verzweifelten Zuckungen aufbäumte und schüttelte, dem Mittelteil der Pflanze, die sich nur nachts öffnete, in einer strahlend weißen, gelb überflammten Blüte, deren Anblick Schönheit mit Tod vereinigte.

In der Mitte der Blüte ragte ein roter Dorn hervor, der sich in wenigen Augenblicken in den Leib der Echse bohren und einen Strahl Gift ausspritzen würde, das wie der Zahn der Gelbschlange auf der Stelle tötete. Zitternd schob sich der Stachel aus der Blüte.

Nach knirschendem Kampf hatten es die Ranken fertiggebracht, den Saurier so zu fesseln, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Die Thlonai begann sich zusammenzuziehen. Der Saurier wurde herangezerrt, die breiten Blätter rollten ihn auf das Herz der Pflanze zu. Die Jäger sahen atemlos zu, wie die Pflanze ihr mörderisches Werk vollendete. Endlich kippte die Echse mit einem letzten Schwung in die Blüte. Die weich federnden Blätter bogen sich nieder, der Stachel bohrte sich in den Schenkel des Drachen. Mit kurzem Zittern starb der gepanzerte Saurier.

»Verstehst du jetzt die Warnungen unserer Väter, als sie uns von den Thlonai erzählten, Teoti?«, sagte Tarask beeindruckt.

»Schon längst. Wehe uns, wenn wir ungeschützt in den Bereich dieser Lianen kommen! Wir sind verloren.«

Teoti stieß sein Schwert in die Scheide zurück und drehte sich von der zusammengekugelten Pflanze weg.

»Und wir werden noch lange nachts wandern müssen – das ist das Schlechte daran.« Tarasks Stimme warnte sorgenvoll.

»Du wirst uns gut führen müssen, Tarask«, sagte Teoti leise. Er wusste, welche Verantwortung sein Freund trug.

»Ich weiß!« Tarask ging langsam zum Lager zurück, ließ sich in die Matte gleiten und war bald eingeschlafen. Der Instinkt, angesammelt in Generationen von Jägern, ließ ihn rascher einschlafen, als er wollte. Er wusste, dass er viel Schlaf brauchte; seine Natur verlangte danach. Bald würden noch größere Gefahren als Thlonai und Saurier der Gruppe gegenüberstehen – Gefahren aus der Luft. Die Schmetterlinge! Alle wussten davon, niemand aber sprach es aus.

Feuer war das einzige Mittel, mit den Lianen fertigzuwerden. Die Jäger hatten acht Nächte lang Fackeln aus trockenem Holz mit einer Füllung weichen Harzes getragen. Die Lichter hatten zwar keine Saurier angelockt, aber Teoti und Nayar, die auch nachts gut schossen, hatten andere Tiere abgewehrt. Jede Thlonai, die ihre Lianen nach den Jägern schleuderte, wurde vom brennenden Harz aus Pflanzenrohren abgeschreckt und ließ die Jäger passieren.

Dann lag der Pflanzengürtel hinter ihnen – der Fels, mit windverschliffenen Blütencordaitbäumen bestanden, stieg an bis an den Rand der riesigen Ebene. Die Blüten der Cordaiten rochen gut, aber sie würden die nächste Gefahr anlocken – die Geister der Nachtluft.

Tarask hatte die Jäger bisher sicher geführt. Sie waren nur von kleinen Drachen angegriffen worden; dennoch waren große Umwege um Tümpel und Lichtungen, in denen die Drachen lebten, notwendig geworden. So kam es, dass die Jäger in neun Tagen und acht Nächten nicht mehr als fünfhundert Ardons schafften: trotzdem eine gute Strecke. Sie befanden sich nicht mehr weit vom Mittelpunkt der Insel entfernt.

»Wie viele Tage trennen uns noch von den Schwärmen der Nachtgeister?«

Nayar stand neben Tarask und überlegte, was er dem Anführer antworten sollte. Nachdem er den Stand des Mondes mit der Erinnerung an die vergangenen Tage und Zeiten verglichen, die Unterschiede zwischen Kälte und Wärme und seine Erfahrung bedacht hatte, sagte er leise:

»Ich schätze, dass wir innerhalb von zwanzig Tagen mit ihnen rechnen müssen. Wir sind dann wahrscheinlich an den Flanken der jenseitigen Gebirge, aber auf keinen Fall weiter. Sie werden uns mitten zwischen den Saurierherden überraschen.«

»Hmm – zwanzig Tage«. Tarask überlegte. Sie hatten bisher noch keinen einzigen früchtetragenden Cordaitbaum gesehen, aber sie brauchten die Früchte dringend, um die Nachtgeister überleben zu können. Zwar waren sie alle in bester körperlicher Verfassung, denn viel Wasser, gutes Fleisch und viele Früchte, keine Gewaltmärsche – das alles trug dazu bei, den allgemeinen Zustand als auch die Stimmung zu verbessern. Die Gestalten der Jäger wanderten unaufhaltsam weiter, sammelten Wurzeln der Siegelsträucher, die nichts anderes darstellten als Heilmittel, die selbst hier zu finden waren. In Wasser aufgeweichte Scheiben der Wurzeln, die man trocknen und mitnehmen konnte, verhinderten das Entzünden von Stichen, Schrammen und Wunden, verhüteten Fieber und Narben. Die Wirkung war fast verwunderlich gut, wenn die Scheiben rechtzeitig aufgelegt wurden. Der Sud, über dem Lagerfeuer gekocht, war ein Mittel gegen Vergiftungen jeder Art; war die Wunde ausgesogen und ausgebrannt, half er als Trunk und ziehende Salbe auch gegen den Biss der Gelbschlange.

Erfahrungen von Generationen Neophyten, die den Planeten vor ihnen umrundet hatten, halfen den Jägern weiter. Sie bewahrten die pfahlförmigen Wurzeln auf, nachdem sie auf den Spitzen der Bögen in der Sonnenhitze getrocknet und geschrumpft waren; alle diese Arbeiten hielten sie nicht in ihrem Wandern auf. Noch immer fanden sie keine Frucht des Cordaitbaumes – keine Hilfe gegen die Nachtgeister.

Über ihnen schwebten und flatterten tagsüber Pteranodonten, die ersten Saurierherden kamen in Sichtweite, der nächtliche Regen wurde kräftiger; weniger Wald war um sie herum. Jetzt begannen die Vorbereitungen auf den großen Aufstieg vor der Riesenebene. Moortümpel und Grasflächen wurden sichtbar, als die acht höher kletterten. Wind kam auf und strich ihnen den Schweiß der Sonnenhitze von den Körpern. Das Wasser wurde knapp.

Mitten in einer Geröllhalde hielt Tarask an und deutete aufgeregt nach vorn. Hinter einem Felsblock erhob sich der kahle Schaft einer spitzen Pflanze, die mehr als zehn Mannesgrößen hoch war.

»Cordaitbaum – mit Früchten, sehr gut! Eine Sorge weniger«, sagte Tarask zu Totona hinter ihm. »Jetzt können wir auch den Nachtgeistern beruhigt entgegensehen.«

»Du hast recht«, antwortete der Jäger. »Eine kleine Sorge weniger.«

Sie legten den halben Ardon bis zu dem Baum zurück. Als sie die Cordait, die verblüht war und Früchte trug, erreicht hatten, sahen sie, dass hinter ihr noch andere standen, und rochen auch das Aroma der kleinen, fleischigen Früchte.

Zaca, Chime und Ticom legten ihre Waffen ab und kletterten auf den Baum. Kurz nachher fielen wie dichter Regen die Früchte herunter und wurden eingesammelt. Die Gruppe konnte nicht genug Vorräte der Früchte haben, wenn die Geister zu schwärmen begannen.

Die Nachtgeister, die von niedrigen Schuppenbäumen Blütenstaub sammelten, um sich davon zu ernähren, ließen Spuren dieses betäubenden Stoffes fallen – jedes Lebewesen, auch die Jäger, wurde davon bewusstlos und zur leichten Beute der Geister. Kein Tod auf Machaon war so grässlich wie der, von den Nachtschwärmern als lebender Leichnam, als Fraß für ihre Eier zu dienen. Man verfaulte bei lebendigem Leibe und bei wachem Verstande, wenn erst die Wirkung des Narkotikums nachgelassen hatte.

Nie würde Tarask die Schreie vergessen, die ihn ein Ardon lang durch den Wald gehetzt hatten. Als er den Neophyten fand – es war auf der Insel der Raupen – sah er, dass jede Hilfe zu spät kam. Der junge Jäger trug schon die Spuren des Todes. Tarask hatte lindern, aber nicht helfen können.

Endlich war die Cordait leer. Schwer atmend sprangen die Jäger von den untersten Ästen.

»Ich schlage vor, Tarask, wir machen für heute Schluss. Ich habe von oben«, die Hand Ticoms wies nach links, hinter eine Felsnadel aus Kreide, »einen kleinen See gesehen. Am Ufer wachsen Pfeilgräser. Mein Köcher ist fast leer.«

»Richtig«, warf Nayar ein. »Wir brauchen neue Pfeile. Die meisten sind verschossen oder brüchig. Ich habe unterwegs viele Dornen und Harz gesammelt.«

»Einen Tag lang Pfeile machen – das kostet uns kaum eine lange Wegstrecke, aber wir haben neue Pfeile. Ich bin auch dafür«, rief Totona, der seine Waffen aufnahm und in seinen Köcher sah.

»Gut.« Tarask entschied. »Wir bleiben. Morgen werden neue Pfeile gemacht.«

Es herrschte der grelle Sonnenschein des frühen Nachmittags. Jetzt waren die Jäger in der Zone der bewachsenen Felsen; die letzte Landschaftsveränderung vor der Ebene, die den Mittelpunkt der Insel ausfüllte. Weit unter ihnen, hinter der Linie des langen Abhanges, den sie heraufgekommen waren, weideten Saurier. Die Jäger richteten an dem kleinen See, der klar und ruhig zwischen den kantigen Felsen lag, ihr Lager. Während die halbe Gruppe die Matten ausspannte, für das Feuer Holz und Harz herbeitrug und die Umgebung nach Spuren oder Schlangen durchsuchte, schnitten die anderen die hochaufgeschossenen Gräser. Sie schleppten viele Armvoll der zukünftigen Pfeilschäfte heran, schossen während ihrer Arbeit kleine Säugetiere und badeten im kalten Wasser des Sees.

Der Abend brach herein. Lange, bevor der Mond hinter den Felsschroffen hochglitt, entzündeten sich im rußschwarzen Firmament die Lichter der Ahnen – Lagerfeuer, an denen die gestorbenen und im Kampfe gefallenen Jäger saßen und sich Geschichten erzählten; das waren die weißen Lichter am schwarzen Himmel.

4.

Nachdem die Köcher gefüllt, die Jäger ausgeruht und ausgeschlafen waren, konnte die Wanderung fortgesetzt werden. Sieben Tage lang zog die kleine Karawane durch Geröll und angewehte Sandflächen des Mittelgebirges, dann war sie am Rande des steilen Felsens. Unter ihnen lag die unermessliche Weite der Ebene. Die Jäger standen staunend; unmittelbar vor ihnen ging es dreihundert Mannslängen senkrecht in die Tiefe. Es schien, als wäre diese Ebene vor grauen Urzeiten ein Meer gewesen und diese Felsen die Steilufer. Unter den Jägern wogte die Steppe, durchbrochen von Waldstücken, Flussläufen und Moorseen. Winzig, wie kleine Käfer, bewegten sich Herden von Sauriern dazwischen; grau, braun und unscheinbar. Die Herden mussten Hunderte von Drachen zählen, alte und junge. Tarask blickte schweigend hinunter.

»Diese Entfernung« – er konnte den jenseitigen Rand nicht sehen, sondern nur hinter dem Dunst ahnen – »müssen wir noch durchwandern. Dann trennen uns ein Meeresarm, eine andere kleine Insel und wieder ein Stück des Meeres von der Siedlung.«

»Wie sollen wir das schaffen?«, fragte Nayar schaudernd, voller Zweifel. Tarask legte dem Jungen die Hand auf die Schulter.

»Wir werden es so schaffen, wie wir es bisher geschafft haben; wandern und aufpassen, jagen und schlafen wie bisher. Eines Tages – dann sind wir Männer geworden.«

»Ja, eines Tages.« Nayar schien es nicht glauben zu können.

»Wahnsinn«, flüsterte neben ihnen Totona. Er war neben Tarask der stärkste Jäger und starrte gebannt auf die unfassbare Weite zu seinen Füßen. Mitten über der Ebene entstand eine weiße Wolke und zog ihnen entgegen.

»Heute Nacht wird es regnen«, murmelte er.

»... die Blüten der Cordaiten dort unten werden aufbrechen, die verfluchten Schwärmer werden kommen – die große Gefahr beginnt.«

Der Abstieg war nicht so gefährlich, wie die Jäger befürchtet hatten. Ein Ardon nach links fiel der senkrechte Abhang in einer allmählich schräger werdenden Platte ab, mündete von dort auf einen großen Tafelberg und glitt in die Ebene hinunter. Neben der Stelle, an der der Abhang in die Steppe überging, entsprang aus einer unterirdischen Höhle ein Fluss, der im Westen, unter der Scheibe der Abendsonne, ins Südmeer mündete. Die Jäger schafften am ersten Tage die Strecke bis auf das darunterliegende Land, das sich als eine ebene Fläche entpuppte, die dicht mit verschiedenen Bäumen und Pflanzen bestanden war. Hier wucherten runde Thlonai mit gezackten Blättern; eine ungefährliche, kleinere Form, die keinen Giftstachel hatte.

Der Schein des kleingehaltenen Lagerfeuers flackerte auf. Inmitten farbensprühenden, von wandernden Lichtbalken durchbrochenen Wolken sank die Sonne hinter die Berge. Plötzlich ... Nayar sprang auf und wies gegen die tiefrote Dämmerungssonne. Er schrie: »Die Schwärmer!«

Sofort war Totona auf den Beinen, neben ihm sprang Tarask hoch. Was sie sahen, erfüllte sie mit Schrecken. Wie der gewundene Stamm eines Staubsturms, wie hungrige Finger, die vom Land unter ihnen Besitz ergreifen wollten, langte eine schwarze Hand nach der Ebene. Ein ungeheurer Schwarm schwarzer Nachtdämonen, die ihren tödlichen Flug angetreten hatten. Jetzt waren sie nach dem langen Weg über das Nordmeer auf der Insel der Saurier angelangt.

Ein breites Band, das vor der Sonne aus dem Horizont herauszuwachsen schien, spaltete sich in fünf Züge, die sich auflösten. Kleinere Schwärme fielen aus der unübersehbar großen Masse heraus und dem Boden entgegen. Von unten, aus der grauen Ebene, über die dunklere Schatten huschten, klang das ängstliche Gebrüll einer Saurierherde. Totona fühlte, wie ihm ein kaltes Gefühl über den Rücken glitt.

»Sie sind da«, stöhnte einer der Männer. »So unzählbar viele! Ich habe den Alten nie glauben können, dass sie so zahlreich werden.«

»Noch vier Stunden, und sie sind über uns. Hier wachsen besonders viele Cordaits. Kannst du dir vorstellen, welchen Kampf wir gegen die Raupen werden führen müssen?«

»Diesen Kampf verlieren wir. Das ist das Ende unserer Inseln!«

Mit einigen Schritten, noch während er redete, war Tarask beim Feuer und löschte es mit Wasser aus zusammengefalteten Blättern. Nayar stieß hervor:

»Wohin? Wir entkommen ihnen nicht!« Er hob die Schultern. »Ich weiß etwas!«

»Was weißt du?« Totona beobachtete wachsam den Himmel. Hastig und laut teilte Nayar mit, was ihm ein alter Jäger vor drei Jahren erzählt hatte.

»So werden wir es machen«, bestimmte Tarask. Er raffte seine Waffen zusammen, riss das Messer aus dem Gürtel, winkte Totona und schrie: »Je zwei Mann zusammen!«

Die Jäger stoben in alle Richtungen auseinander, suchten die Thlonais auf und begannen zu arbeiten. Zuerst schnitten sie in die sich wehrenden Blätter kleine Löcher und warfen die Pflanzenreste fort. Dann hieben sie mit den Schwertern die Ranken an den Blattspitzen ab; von den zielenden Händen geführt, glitten die Spitzen der Schwerter neben der Hauptwurzel der Pflanze in den Boden, bis sie die Rinde erreicht hatten; immer wieder warfen sie Blicke auf die unübersehbar große Menge der Schmetterlinge. Dann ließen sich die Jäger paarweise auf die breiten Blätter fallen. Sofort handelten die empfindlichen Nervenzellen der Blume. Die Blätter rollten sich zusammen und wölbten sich mit unaufhaltsamer Gewalt empor, bis sie die Form von Kelchen annahmen. Die Spitzen der Blätter begannen die Lücken zu schließen, so dass eine geschlossene Kugel entstand. Noch bevor sich die Thlonai vollends schloss, setzte einer der Männer das Messer an die Hauptader der Blätter, den Zusammenschluss sämtlicher Nerven.

Dann schloss sich die Thlonai. In vier Blumen waren acht Jäger verborgen, nur Köcher und lange Bögen lagen neben den Pflanzen. Noch waren die Löcher offen; bald würde die Thlonai anfangen, neues Gewebe zu bilden. Zartes Pflanzengespinst würde zwei Tage lang luftdurchlässig sein, aber die einschläfernden Wirkstoffe der Cordaitblüten würden nicht durchgelassen werden. Die Männer dachten an die eindringliche Warnung Tarasks – sie suchten in der pechschwarzen Dunkelheit in ihrem Gepäck, bis sie die vertrockneten Früchte des Pyramidenbaumes fanden. Sie fingen an, darauf zu kauen. Es schmeckte bitter, aber nach einiger Zeit gewöhnten sich die Gaumen daran. Über das Atemzentrum lahmten die Blütengifte der Cordait das Bewusstsein, aber die Säfte der Frucht verzehrten das Gift und neutralisierten es. Nichts anderes half. Was konnte schon eine Gruppe von acht Jägern gegen einen Schwärm von abertausend mal tausend Geistern ausrichten – nichts!

Während draußen die Saurierherden in wilder Panik durch die Nacht donnerten, während die Millionen des großen Schwarmes über die Insel flatterten, während andere, unfassbare Dinge geschahen, schliefen die Jäger. Sie waren geschützt – zwei Tage lang. Aus unbekannten Gründen schlossen und öffneten sich die Thlonai in zweitägigem Abstand. So lange waren die Jäger gefangen – aber ihre Schwerter und Messer bargen auch die Möglichkeit, die Blüten früher zu öffnen. Zwei Tage lang schwirrten Dämonen durch die Luft – danach waren sie nicht mehr gefährlich. Tarask schlief nachdenklich ein. Er hoffte, dass sein Instinkt ihn bei der geringsten Gefahr aufwachen ließ, glaubte, sich darauf verlassen zu können, aber er war alles andere als sicher.

Vier Riesenblumen waren zur Kugelgestalt zusammengerollt.

Daneben lagen die Waffen. In der Luft waren Dämonen, die alle Cordaitblüten anflogen, um sich das Lähmungsgift zu holen. Die sternklare Nacht sog die Kühle des Meerwindes in sich auf, der fahle Mond kroch über den Himmel; die Jäger schliefen. Ihr letzter Schlaf? Was war, wenn sie erwachten? Langsam verstrich die Nacht des bleichen Mondes.

5.

Wolf Sicard beobachtete das Ausschiffen der drei Bayards. Der Expeditionsleiter stand neben der Schleuse, eine Hand am Griff der Waffe in der Gürteltasche, in der anderen Hand eine unangezündete schwarze Zigarette. Seine Augen waren hinter den Gläsern der Sonnenbrille verborgen. Wolf, einen Meter und neunzig Zentimeter groß, wog einhundertachtzig Pfund und trug seine braunen Haare auffallend kurzgeschoren. Er lehnte sich an das warme Metall der Schiffshülle. Über eine kurze Rampe aus verstrebtem Stahlblech rollten mit brummenden Motoren die Bayards. Der blonde Alpa saß am Steuer des ersten Expeditionsfahrzeuges und fuhr das Mehrzweckfahrzeug, nachdem er den Laderaum der Galaxy Queen verlassen hatte, zehn Meter weiter in den Schatten eines ausladenden Pyramidenbaumes, stellte den Motor auf Leerlauf und stieg aus. Der zweite Bayard schoss ungebremst die Rampe hinunter, schaukelte über die niedrige Bodenwelle und hielt rutschend neben dem ersten Gefährt. Tony Petraco kurbelte ein Fenster seiner Kuppel zurück und lachte. Sicards Fahrzeug, noch in auffallendem Gelb, mit Manny Tinna am Steuer, folgte. Hintereinander kamen die übrigen Mitglieder der Expedition aus dem Schiff. Sicard blieb unbeweglich stehen und musterte sie sorgfältig. Keiner der Männer und keine der zwei Frauen kannte Sicards Aufgabe. Nur ein Crewmitglied schätzte Sicard richtig ein. Auch dieser Umstand gehörte zu Sicards Arbeit.

Kapitän D'este verließ hinter den Expeditionsmitgliedern sein Schiff. Wie immer, wenn er sich beobachtet wusste, grinste er. Er sah sich um, bemerkte den ungezügelten Charakter und die Gerüche der Landschaft, lachte den Fahrern zu und kam zu Wolf.

»Hier endet meine Aufgabe, Sicard.« Seine Stimme war voll überströmender Herzlichkeit. Wolf kannte D'este seit Jahren – er wusste, welche Energie und Hartnäckigkeit diesen Mann auszeichneten. Er hatte Respekt vor ihm, war aber stets bemüht, es nicht allzu deutlich zu zeigen. Er nickte dem Kapitän zu.

»Die Galaxy Queen hat uns gut hierhergebracht – hoffentlich könnt ihr uns im selben Zustand abholen.«

»Sicher – jetzt beginnt deine Aufgabe. Ich denke, du schaffst es.« D'este sah sich um und blinzelte in die Sonne.

»Aber natürlich.« Sicard tat, als sei er mit jeder Einzelheit des Ausladens seit Jahrzehnten vertraut. »Stimmung und Mannschaft sind bestens, von den Bayards weiß ich, wie gut sie sind; hoffentlich bist du in einem Jahr in der Lage, uns zu holen.«

»Ich werd's versuchen«, sagte D'este leise und ohne jedes Lachen. Seine Stimme wurde eindringlich und besorgt. »Leb wohl, Wolf.«

»Danke«, sagte Sicard im gleichen Tonfall.

Clingmueller und Viking, Archäologe und Hydrobiologin, sahen sich an, Viking tippte bei den lauten Worten Sicards, die sich auf die Stimmung bezogen, bezeichnend an die Stirn. Clingmueller nickte. Sie sahen zu, wie D'este Sicards Hand schüttelte und sich den anderen zuwendete. Er verabschiedete sich lachend von ihnen und wünschte viel Erfolg. Dann kletterte er durch die Schleuse in die Galaxy Queen zurück. Sekunden später schloss sich die Schleuse, nachdem die Rampe sich zusammengefaltet und hineingeschoben hatte.

»Alle Mann auf ihre Plätze.« Sicard zündete sich endlich seine Zigarette an; exotisch riechender Qualm dampfte auf. Dann drehte er das kleine Mikrophon an die Lippen, das mit einem Bügel am Rand der Mütze befestigt war. Einige harte Worte in Stellarkode – dann öffnete sich die Schleuse wieder.

»Was ist los?«, fragte die lachende Stimme D'estes.

»Miss Grant hat leider ihren Feldstecher und die Kiste mit den Reservemagazinen für ihre Waffe im Schiff liegenlassen. Chris – sei so nett und hol sie, ja?«, sagte Sicard verbindlich zur Xeno-Animalpsychologin.

Chris Grant warf ihm einen giftigen Blick zu, rannte ins Schiff und kam nach einer Minute wieder, den Feldstecher um den Hals und die schwere Kiste in der Rechten.

»Danke.« Sicard trat seine Zigarette aus und winkte nach oben, wo er das Gesicht D'estes hinter dem dicken Fenster der Kabine wusste.

»Zweihundert Meter«, sagte er, nachdem er sich in den Schalensessel neben Tinna gesetzt hatte. Tinna, ehemaliger Rennfahrer, acht Monate lang Taxifahrer in Nova York und seit drei Monaten Angehöriger von Azimut, Nadir, Zenit & Associated, wendete und ließ den Wagen anfahren. Die Lautsprecher übertrugen den Satz in die Kabinen der anderen Wagen. Hintereinander fuhren sie die angegebene Strecke, dann hielten sie im kleinen Kreis. Alle Bayards standen auf einer weißen Sandfläche, die an den Rändern in kümmerliches Gras überging.

»Bitte alle zur ersten Besprechung«, sagte Sicard und sprang aus der offengelassenen Tür. Hinter ihnen erklang grüßend dreimal die Sirene des Schiffes. Dann startete die Queen mit kreischenden Düsen in einer schwarzen Wolke. Sie war nicht mehr die Jüngste – aber ein zuverlässiges Schiff mit einem phantastischen Kapitän. Die Mitglieder der Expedition standen in einem Halbkreis um Sicard, der auf einem Felsen saß. Ohne die Brille abzunehmen, sagte er langsam:

»Wir sind hier. Hier – das bedeutet Machaon, ein Planet, von dem wir nichts kennen außer Karten mit Gradnetz, ohne Bezeichnungen; nur die Informationen des Galaktischen Seouls und die Daten der Erkundungssatelliten. Hier – das bedeutet ferner, dass wir ein Jahr lang nichts anderes machen als messen, zeichnen, fotografieren, loten, kurz: den Planeten erforschen. Dafür sind zwei Bedingungen zu erfüllen. Erstens: jeder muss seine Aufgabe ernst nehmen. Ich werde dies tun – auch wenn ich nichts anderes ernten sollte als Verwunderung; ich bin Leiter der Expedition. Je vier Mann nehmen ein Fahrzeug.

Da sich gewisse – nun, sagen wir, Sympathien gebildet haben, denke ich, sollte die bisherige Gruppierung beibehalten werden. Zweitens ...«, Sicard machte eine Pause, »... werden wir ein Jahr lang mit- und nebeneinander arbeiten müssen. Die Bedingungen sind kaum immer ideal. Ich hoffe, jeder unterstützt jeden. Ich stehe jederzeit für jede Frage zur Verfügung; wenn es nötig ist, werde ich die Expedition auch mit Gewalt leiten. Sollte mir etwas zustoßen, ist Crossette mein Vertreter.«

Der große, schlanke Mann, der eine .6,5 Mannlicherbüchse mit Zielfernrohr im Arm hielt, blickte Sicard mit feinem Lächeln an, drehte sich in die andere Richtung. Dann krachte sein Gewehr; der Pulverrauch wehte in einer dünnen Spirale davon.

Vierzig Meter hinter den drei Bayards brach ein Allosaurus nieder, dem ein Teil des Kopfes weggerissen war. Eine Erschütterung lief durch den Boden. Sicard nickte, während die anderen ihre Waffen einsteckten. Er sagte:

»Ja – so gefährlich ist das hier! Wahrscheinlich wollte der Kerl nicht einmal etwas Böses – die Fluchtdistanz ist auf unbewohnten Planeten sehr gering bis nicht vorhanden. Aber er könnte unsere Wagen umwerfen oder zerbeulen. Soll schon vorgekommen sein.«

Sicard schwieg. Er sah in den Gesichtern der Crew, dass sie nachdachten. Hoffentlich, dachte er, kommen die Wissenschaftler auch zu den richtigen Schlüssen.

»Wir fahren am besten in Dreieckposition.« Crossette zeichnete ein spitzes Dreieck in die Luft. »Sicard an der Spitze, rechts und links hinter ihm die anderen. Die Geschütze auf den Kuppeln können dann jeweils ein Gebiet von hundertzwanzig Grad bestreichen. Das genügt. Heute können wir uns die Gegend ansehen, morgen suchen wir uns eine Basis und operieren getrennt. Ist das in deinem Sinne, Wolf?«

Crossette lud sein Gewehr durch und nahm es wieder unter den Arm. Sicard nickte.

»Also gut – fahren wir. Richtung auf diesen Berg«, sagte er.

Die Expeditionsmitglieder kletterten in die Wagen, die breiten Räder drehten sich, die Profile griffen, im Dreißigkilometertempo fuhren sie über die Steppe.

Die Wagen waren konstruktive Meisterleistungen. Acht Räder, einzeln angetrieben, mit Unterdruckreifen, die praktisch unzerstörbar waren, wurden von einer Plutoniumturbine angetrieben; mit Brennstoff für zwei Jahre ununterbrochener Belastung. Sie versorgte die Expedition zusätzlich mit jeder anderen Energie. In jedem Fahrzeug waren vier Sitze in der Kugelkabine aus durchsichtigem Kunststoff, die Fenster, Türen und wahlweise eine Schleuse besaß. Der Turm, auf dem sich ein 2-cm-Rotor, ein Kampflaser und ein Narkosegeschütz befanden, konnte sich um dreihundertfünfundfünfzig Grad drehen. Seiltrommel, zehn Scheinwerfer, von denen sechs Suchscheinwerfer waren und eine doppelte Schraube am Heck vervollständigten die technische Einrichtung, die Vorräte reichten für ein Jahr. Die Fünfzehntonner hatten in ihrer Hülle – Leichtmetall, mit Stahl verstärkt und isoliert – Schlafplätze für je vier Personen, eine winzige Kombüse und ein Laboratorium, in dem nur ein Mann oder eine Frau arbeiten konnte. Fenster und eine Öffnung im Dach sorgten für Luft und Licht; eine große Wasser-Regenerieranlage war eingebaut, ferner eine Rampe und aufklappbare Sonnendächer. Instrumente, Vorräte, Geräte und Waffen, Kleidung und Ersatz für lebenswichtige Motorteile und Teile der Lenkung waren tief unten zwischen den Rädern eingelagert. Jedes der drei Amphibienfahrzeuge war für ein halbes Jahr autark; ein Bayard führte einen robusten Zweipersonen-Gleiter auf der Dachlast mit, ein anderer ein zerlegbares Boot. Gegenwärtig leuchteten die Expeditionsfahrzeuge in grellem Gelb; dank der Liquid-Crystal-Pigment-(LCP-)Lacke, und mit minimalen Steuerimpulsen konnte jede andere Farbe gewählt werden.

Sie legten an diesem Tag eine Strecke von achtzig Kilometern zurück. Als sie im Lichte der untergehenden Sonne den Fuß eines Hügels aus Schutt erreichten, den irgendwann ein Gletscher oder ein Fluss herantransportiert hatte, fuhren die Bayards nebeneinander und hielten.

»Es wäre nicht ungeschickt, wenn wir dort hinauffahren würden. Wir wären einigermaßen geschützt, hätten einen guten Überblick und könnten ruhig schlafen«, sagte der Biologe Roman Loomis, der seit zwei Stunden hinter dem Teleskop saß und die Gegend beobachtete.

»Ausgezeichnete Idee«, lobte Sicard. »Hinauf, Manny.«

Sein Fahrer legte den Geländegang ein und ließ mit heulender Turbine den Wagen den Abhang anfahren. Die Profile mahlten über Schutt, kleine Pflanzen und Gräser. Der Bayard schlich langsam hoch, umfuhr den schuppigen Stamm eines Siegelbaumes und hielt nach zwanzig Minuten auf der Hochfläche.

Die Landschaft war den Wissenschaftlern nicht fremd. Alle Mitglieder hatten auf Planeten in der Kreidezeit gearbeitet, sie kannten Saurier, ihnen waren Steppen aus Farnen, Schachtelhalmen aller Variationen und den ersten Gräsertypen bekannt, ebenso die stinkenden schwarzen Sümpfe der Endkreidezeit; Niederungen voll schwirrender Libellen, deren schimmernde Flügel wie große Edelsteine schillerten und deren Geräusch den Anbruch des Morgens ankündigte. Pteranoda und Archäopteryges, Flugechsen, die sich wütend auf alles stürzten, was sich bewegte: Die Wissenschaftler vermochten auch in Zonen zu leben, die voller eruptiver Vulkane steckten, deren Aschewolken die Sonne verfinsterten. Aber da war jemand, der sie unsicher machte: Wolf Sicard.

Niemand wusste etwas über diesen Mann. Wolf schien ein wohlausgebildeter Laie zu sein, der von allem etwas verstand, aber nicht alles; für Spezialgebiete waren die Wissenschaftler da. Wolf gehörte zu den Menschen, die sich mit der treffsicheren Gewandtheit der Generalisten zwischen den Dingen bewegten; ein erfahrener Teamleiter. Seine Qualifikation: er besaß reiche Erfahrung, wie eine solche Expedition zu leiten war – und die notwendige Schärfe, sich gegenüber jedem Mitglied durchsetzen zu können. Sicard war zugleich Kontrolle und Koordination.