Das zweite Imperium der Menschheit - Hanns Kneifel - E-Book

Das zweite Imperium der Menschheit E-Book

Hanns Kneifel

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Beschreibung

Eine Space Opera, die Äonen und Sonnensysteme gleichermaßen umspannt. Mitte des 21. Jahrhundertes entdecken Wissenschaftler auf der Oberfläche des Planeten Jupiter ein künstliches Gebilde aus Metall, dem sie den Namen ENIGMA geben. Dieses Raumschiff einer untergangenen Rasse ermöglicht den Menschen den Sprung zu den Sternen. Im Lauf der nächsten Jahrhunderte gerät vieles in Vergessenheit, bis Forscher Ende des 39. Jahrhundertes auf ein Artefakt stoßen und so selbst erst nach und nach die Vergangenheit der Menschheit in den Sternen enthüllen ... »Das zweite Imperium der Menschheit« erschien 1964 in fünf Romanen innerhalb der Terra-Heftromanreihe im Moewig-Verlag. Die Romane wurden vom Autor für die vorliegende eBook-Ausgabe gründlich über- und bearbeitet.

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DAS

ZWEITE IMPERIUM

DER MENSCHHEIT

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

www.verlag-peter-hopf.de

© Cover: © jack1e – Fotolia.com

ISBN ePub 978-3-86305-217-1

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Alle Rechte vorbehalten

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis
Das zweite Imperium der Menschheit
Vorwort des Autors
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.

HANNS KNEIFEL

Dieser Band beinhaltet die Romane:

Der Götze des Untergangs

Im Licht der gelben Sonne

Das verlorene System

Die Welt der stählernen Spinnen

Vorwort des Autors

Es ist wie eine archäologische Ausgrabung: die Nummern 342 bis 355 der TERRA-Hefte aus den Jahren 1964. Vier Jahrzehnte der Science-Fiction sind (trotz der Neuauflage in TERRA ASTRA 1980) eine lichtjahreweite Reise in die Vergangenheit. Der damals etwa 30-jährige Autor, mitten in den aufregenden Wirren der ‘68er-Jahre, dessen SF-Weltbild von den bewunderten amerikanischen und englischen Autoren mitbestimmt war, und dessen Vorstellungen von Raumfahrt, Kolonisierung und (selbst relativ frisch von der Uni abgegangen) sich an der Machbarkeit aller Dinge orientierten, versuchte sich einen eigenen Kosmos zu schaffen, eine hermetische galaktische Welt.

Zugegeben: Dies war ebenso reizvoll wie unausgegoren. Die große barocke Geste herrschte vor, die Protagonisten waren mehr comichaft als wirklichkeitsnah, und auf 60 Seiten wurde so munter mit Jahrhunderten und Zivilisationen hantiert, als lebe man im Lego-Land (das damals auch noch nicht existierte). So kam es, dass bei der vorliegenden Bearbeitung, Straffung, Kürzung und Neueinrichtung die Rührung gegen die Freude kämpfte, nach so langer Zeit die Vergangenheit und die Gegenwart ohne Zeitlimit und üble Hastigkeit zusammenführen zu können.

Prolog

In den Jahren 2006 und 2007 n.d.Z. entstand in Polarnähe, in der dem GRF, dem Großen Roten Fleck gegenüberliegenden Hemisphäre des Planeten Jupiter (317,8 Erdmassen, 2,36 g, ein sehr dünner »Saturn«-Ring, ca. 63 Monde und Satelliten), ein zweiter Roter Fleck und begann seine Wanderung innerhalb der Wasserstoff-Helium-Atmosphäre um den Planeten. Verschiedene interplanetarische Sonden liefern aussagekräftige Fotos und Analysen.

Juli 2031: Im Zentrum des Zweiten Großen Roten Flecks messen irdische Astronomen einen offensichtlich metallenen Körper an, dessen Erscheinung auf eine exakt kugelförmige Form hinweist. Das Objekt ist mondgroß, besitzt einen Durchmesser von 25,9 Kilometern und scheint langsam aus der Mitte des ZGRF aufzutauchen.

Die Farbe des Körpers ist schwer zu bestimmen; atmosphärische Besonderheiten des Jupiters spiegeln sich darin ebenso wie prominente Sterne.

Im Jahr der Geburt Oliver Darius Sevenaers (des Ersten einer langen Reihe gleichen Namens), 2039, erfolgt der erste Vorstoß eines bemannten Raumschiffs zum fraglichen Objekt, das wahlweise Jupiter-ENIGMA, Sphaira, Moonflower, Ioves Eye oder Pallas Athene genannt wird (die Göttin entsprang der Stirn des griechischen Zeus’, dem römischen Iuppiter). Der unheilbar krebskranke Insasse des Raumschiffs stirbt beim Versuch der Annäherung an ENIGMA.

Zwischen 2042 und 2060 insgesamt neun aufwendige Expeditionen zu ENIGMA, die ausnahmslos scheitern. Die Kugel ist zu etwa einem Drittel aus den äußeren Schichten der Jupiter-Atmosphäre aufgetaucht. Für die wissenschaftlichen Theorien, das Objekt habe sich seit prähistorischer Zeit im Gasplaneten nahe dessen metallischen Kerns aufgehalten, gibt es ebenso viele Zustimmung wie Ablehnung.

2075: Irdische Wissenschaftler entdecken Verfahren, die Schwerkraft unter bestimmten Voraussetzungen zu manipulieren oder ganz aufzuheben. Große Expedition (GREX-ENIGMA) wird ausgerüstet. 2079: Oliver D. Sevenaer mit kleiner Mannschaft fliegt mit der GREX ENIGMA an. ENIGMA hebt sich zu zwei Dritteln aus der obersten Jupiter-Atmosphäre, öffnet eine Schleuse und lässt Sevenaer einfliegen. Wenig später nimmt ENIGMA Fahrt auf und verlässt überraschender Weise das irdische Sonnensystem. 2081 kehrt ENIGMA zurück, geht in einen weiten Orbit in Erdnähe und schleust ein Beiboot aus. (Kugelförmig, ca. 100 Meter Durchmesser, ohne sichtbare Antriebsöffnungen und dergl.). Das Boot landet auf dem großen Salzsee in Utah, USA, und Sevenaer mit seinem Team steigt aus. Der Historiker kann eine kaum fassbare Geschichte berichten:

Vor etwa 20 000 Jupiter-Jahren (= 11,9 Erdenjahren) hat ein Sternenreich, das sich P’kaithran nannte, aus den Tiefen der Galaxis kommend, einen stellaren Krieg verloren. Zuvor waren in galaktischem Maßstab wissenschaftliche Expeditionen in großer Zahl ausgeschickt worden. ENIGMA ist ein solches Expeditionsschiff, ausgerüstet mit Technik, die gleichermaßen hoch exotisch, verwirrend zu 90 Prozent auch Sevenaers Team unverständlich ist. Vom misslichen Ausgang des Krieges verständigt, versteckte der Kapitän das Schiff im größten Planeten eines unscheinbaren Sonnensystems, nämlich dem der Sonne SOL. ENIGMA schützte sich durch einen Panzer aus gefrorenem Methan, anderen Gasen und Eis und wartete. Bis einige Jahrtausende vor der Zeitenwende. Dann war zwar jedes intelligente Leben an Bord ausgestorben, aber die Expeditions-Wissenschaftler hatten ihre gesamte Erfahrung an einen allgegenwärtigen Hypercomputer weitergegeben und dieses Geschöpf mit jedem Teil ENIGMAs verbunden. Sevenaers kleines Team hat eine Wunderwelt betreten.

ENIGMA hat (etwa kopfgroße, kugelförmige »Drohnen«, die, sichtbar und unsichtbar, von eigenem Programm gesteuert, ihre »Gastgeber« ausspähen), mit seiner unfassbar großen Kapazität unzählige irdische Kulturen, Entwicklungen, Sprachen und Schriften studiert und »langweilt« sich. Nachdem Oliver Sevenaer (I.) Bericht erstattet hat, starten Beiboot und ENIGMA und bleiben bis zum Jahr 2090 »verschollen.«

CHRONIST: Oliver D. Sevenaer XXXI.

GESCHICHTE DES II. IMPERIUMS.

Robot-Handschriftliches Originalmanuskript, deponiert in Terra Central,

(DER GÖTZE DES UNTERGANGS – Auszug):

Die Zeitrechnung des Ersten Galaktischen Imperiums begann etwa um das Jahr 3000 und dauerte bis ca. 3750. Die zeitlichen Zuordnungen sind einerseits – logischerweise – willkürlich, entsprechen aber grosso modo den geschichtlich relevanten Landmarken. Von 2090 an übernahm mein erster Vorfahr die historische Dokumentation aller (?) Ereignisse, Rankünen und Vorfälle, die schließlich nach dem Aufstieg und Fall des Ersten ins Zweite Imperium mündeten. Ich bin der 31te Träger dieses Namens; also Oliver Dark Sevenaer XXXI.

Die irdische Raumfahrt begann zweifellos mit dem Tag, an dem das erste ENIGMA-Raumschiff auf einem Planeten außerhalb des Sonnensystems landete. Dies war der vierzehnte April 2087. Seit diesem Schlüsseldatum entdeckte man menschenähnliche Sternenvölker und solche, deren Aussehen, Denken und Evolution nicht mehr den herkömmlichen Denkschemata entsprachen. Menschheit und freiwillige Verbündete, also andere Imperiumsvölker, breiteten sich in einem unvergleichlichen Siegeszug bis zu den ersten Grenzen der Milchstraße aus. Die Sterne des Zentrums wurden den Frauen und Männern der dahinrasenden Raumschiffe immer fremder, und als man auf die Reste längst dahingegangener Kulturen stieß, erfolgte der erste und heilsame Schock.

Noch bevor Menschen zu den Sternen aufbrachen, hatten jene verschwundenen Sternenvölker den Höhepunkt ihrer Kultur überschritten und waren verschwunden, ausgestorben, davongeflogen ...

1.

Januar 3781: »Welch eine Kostbarkeit!«, flüsterte Garry. Das Fundstück war siebenhundert irdische Normjahre alt; eine Doppelaxt, deren Schneiden in der Helligkeit glänzten. Die halbmondförmigen Hälften wurden durch ein vergoldetes Mittelstück zusammengehalten. Den Abschluss des Griffes bildete ein großer, gefasster Halbedelstein. Ein spiralförmiges Spruchband, das man mit irgendeiner Säure imprägniert hatte, umzog den Schaft aus Hartholz. Nur so war es möglich gewesen, dass dieses Material seit dem letzten Tag der Geschichte Chi Sakkaras nicht zerfallen war.

Garry Viper, auf Ninive, Sagitta V, geboren, war zwei Meter groß und hatte einen schlanken, schwarzen Körper. Sein Haar war nicht länger als vier Millimeter und fast weiß. Er saß in der Forschungsbaracke unter einer grellen Speziallampe und drehte das Fundstück in den Händen.

Er war der Chef des Teams von sieben Männern. Sie kamen aus allen Teilen des Imperiums und waren ausgesucht worden, weil sie, obschon Altertumsforscher, keine Spezialisten waren. Jeder von ihnen konnte die Aufgaben eines anderen übernehmen, wenn es darauf ankam. In den zwei Jahren ihrer Gemeinschaft hatten sie sich zu einem ausgezeichneten, leistungsfähigen Team zusammengefunden. Der besondere Reiz lag in der absoluten Verschiedenheit der Charaktere. Sie stritten – auf streng wissenschaftlicher Basis – häufig, aber jeder stand ohne lange zu überlegen für den anderen ein.

Ussarnesar, der Herr, stehe mir bei in allen meinen Kämpfen.

Das war der Text des Spruchbands, das Garry in mühevoller Arbeit vom Sand gereinigt hatte, der sich im Lauf von siebenhundert Jahren darauf angesammelt hatte. Er versah das Band mit einem Schild aus Plastik, das den Tag des Wiederauffindens trug, den Namen des Forschers, unter dessen Obhut es ausgegraben worden war, und den Namen der alten Kultur.

Die Streitaxt wurde neben andere Funde gelegt, von denen jedes einen ungeheuren ideellen Wert darstellte.

Außer Garry befand sich noch Jorge Andreatta in der Forscherbaracke. Andreatta, von Terra, hätte der jüngere Bruder Garrys sein können – nur die Farbe der Haut und des Haares unterschied die hoch gewachsenen Männer voneinander. Viper war einer der besten Archäologen, über die Sagitta, Ninive V, verfügte. Andreatta kam von einer der führenden Universitäten Terras, von Mars Technica. Es gab wenig praktizierende Forscher, die ähnliche Erfolge in der biologischen Beurteilung von Dingen um gestorbene Kulturen aufweisen konnten. Andreatta sah vom Mikroskop auf und blickte durch eines der großen Fenster, vor denen man die Blenden geöffnet hatte.

Sandiges Purpur brandete in den Raum. Nachdem es die Dünen in glimmende Wogenkämme eines Sandmeers verwandelt hatte, griff es nach den weißen Mauern aus Marmor, die unter der Plattform des Turmes in den Himmel ragten. Weit über ihnen leuchtete die silberne Kugel auf, das Herrscherzeichen der Fürsten Sakkaras.

Die Sonne ging hinter dem Horizont unter wie eine verhalten glühende Kugel aus Purpur, uralt wie der Sand dieses Planeten. Sand war hier alles; die wenigen Pfade vom Schiff in die Unterkünfte, vom Schiff zur Stadt und von der Stadt zu den Baracken. Sand unter den Sohlen und Sand zwischen allen Papieren. Überall hatte der feine, rötlichweiße Sand sich eingeschlichen – noch verschonte er die Kombüse des Raumschiffs. Sand auch noch im Essen hätte die Leute wahnsinnig gemacht.

Auch die Ausgrabenden hatten über denselben Feind zu klagen. Er lag auf ihren Leibern, die im Licht der untergehenden Purpursonne leuchteten. Das Heer der Roboter, wendige Maschinen, nur für diesen Zweck konstruiert, war Tag und Nacht beschäftigt.

Sie räumten seit elf Monaten Massen von Sand aus der versunkenen Stadt fort. Eine Feldbahn unterstützte sie dabei und fuhr ihn in Loren aus der Siedlung, um ihn draußen in der Wüste auszukippen. Maschinen und Sand-Schirme waren aufgebaut worden, um das weitere Vordringen der Wüste aufzuhalten. Die atombetriebene Lokomotive ratterte die ganze Nacht auf den schmalen Schienen. Sie arbeitete ebenso vollautomatisch wie die Roboter und verlegte ihre Schienen auf die notwendigen Kommandos hin selbsttätig. Die Wolke aus Motorenöl und Staub war den ganzen Tag über Sakkara zu sehen, jetzt rötete sie sich und löste sich auf. Der nächtliche Wind setzte ein und wirbelte Sand hoch.

»Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf vor Müdigkeit. Endlich weiß ich, womit sie ihre Töpferwaren glasierten und verzierten.«

Jorge schaltete die Beleuchtung unter dem Mikroskop aus und schwang seinen Sessel herum. Garry lächelte geduldig.

»Hoffentlich bringt dich diese Erkenntnis ins Bett, verschafft dir tiefen Schlaf und mir die Ruhe. Man müsste dich von Zeit zu Zeit von der Arbeit wegprügeln.«

»Du kennst mich lange genug, Garry. Du weißt, dass ich eine Sache gern in einem Zug hinter mich bringe«, antwortete Jorge Andreatta wenig beeindruckt. »Morgen früh würde ich keine rechte Lust mehr haben. So kann ich stattdessen den Abschlussbericht über die Keramik Sakkaras abfassen.«

»Natürlich, du hast recht.«

Garry holte ein Buch und spannte den Chip in die Maschine ein, die den Text auf einen Monitor von beträchtlicher Größe projizierte. Das Original des Buches lag in einem Safe im Zentrum des Zweiten Imperiums – auf Terra; über eine Million Kredite wert. Der Wert würde steigen, wenn Garry Vipers Expedition erfolgreich zurückkehrte.

Jorge Andreattas Züge drückten deutlich die Erleichterung über diese Feststellung aus. Sie waren seit fast einem irdischen Jahr hier auf Khorsabad, und gruben. Die vergleichsweise antike Ausrüstung hatte ein großzügiger Spender, eine Minengesellschaft, der Universität geschenkt. Sie freuten sich auf die Erde.

»Hoffentlich sind wir bald in der Lage, zu verkünden, dass die Stadt völlig ausgegraben ist. Ich sehne mich danach, den letzten Film abzudrehen, einige hundert Reihenfotos zu knipsen und endlich diese Sandwelt zu verlassen.«

»Wir sind noch lange nicht fertig. Wenn wir den Boden der Stadt erreicht haben, fangen die Komplikationen erst an. Ich habe ein eigenartiges Gefühl, kann es aber nicht genau in Worte fassen«, sagte Garry mürrisch.

Er drehte die Linse ein und schaltete die Lampe über seinem Kopf aus. Die Sonne war untergegangen, im Raum wurde es dunkler. Nur der Monitor und der Kegel von Jorges Tischlampe erhellten Teile des großen Tisches. Garrys Maschine surrte.

»Liest du schon wieder?«, wollte Jorge wissen.

»Nun, ich vertiefe meine Kenntnisse über Sakkara.«

»... begann, ein gewaltiger Herr zu werden auf der Welt. Seine Taten waren groß, und immer größer wurde seine Macht. Sein Glanz überragte alle Menschen, und er beschloss, eine Stadt zu bauen. Wo Fluss, Wüste und Steppe sich trafen, im Morgen-Schatten der Berge, sollte sie stehen. Er ließ Heere ausschwärmen, Steine zu brechen, zu behauen und herbeizuschaffen und Mauern daraus zu türmen. Man schuf die große Mauer in drei Jahren, der Segen des Mächtigen ruhte über ihrem Streben. Breit wurden die Mauern. Dann wurde der Fluss um sie geleitet, und siehe, die Mauern standen und waren höher als der höchste Baum und breit, dass Streitwagen darauf fahren konnten. Selbst Er schlug dort sein Lager auf und sah die Arbeit. Fünfzehntausend Fuß maß die Stadt im Durchmesser, und sie trennte Wüste von Wald ...«

»Seit zwei Jahren beschäftige ich mich mit dem Buch, Jorge. Wir säßen heute nicht hier, wenn ich nicht das Original übersetzt hätte.« Garry Viper sprach, ohne den Kopf zu wenden. »Es ist nicht so, dass mir nur der altertümliche Text imponiert – obwohl er eine Sache für sich ist. Die Übersetzung vermag außerdem nur einen Bruchteil der natürlichen Sprachschönheit wiederzugeben. Ich möchte nicht mythologisch werden, aber wenn man sich jahrelang mit Schriften, Funden und ähnlichen Relikten herumschlägt, bekommt man ein gewisses Gefühl für zu erwartende Überraschungen. Es ist etwas in dieser Stadt, das wir nicht kennen und viel weniger vermuten. Denke an das, was ich heute sage. Du wirst es bestätigt bekommen.«

Garrys kehlige Stimme schwieg erschöpft. Viele Bewohner Ninive Sagittas hatten etwas, das man gemeinhin mit dem sechsten Sinn bezeichnen konnte. Aber sie bezogen dieses eigenartige Können nicht aus erarbeiteten Fakten, sondern es war ihnen als Eigentümlichkeit ihrer Heimat mitgegeben worden, so wie die Begabung für Sprachen den Planetariern der Achernarplaneten.

Die Forscher arbeiteten in der Stadt, von der das Buch berichtete. Es war die einzig bedeutende Stadt des Planeten Khorsabad. Das Buch nannte sie Chi Sakkara. Und Ussarnesar-apper war der Gewaltige, der sie erbauen ließ. Seine Linie war es, die dreihundert Jahre lang diese Welt beherrschte. Dann wurde sie von etwas abgelöst, das so einmalig war in der Geschichte eines Planetenvolkes, dass die Männer des Teams gedacht hatten, sie träumten.

Sie verglichen den Text des Buches mit den Funden und sahen, dass jede Zeile des Buches mit ihren Forschungen übereinstimmte. Jeder Tag und jedes neue Fundstück bestätigte ihre Annahmen. Sie hatten mehr gefunden als jedes Forscherteam auf jedem anderen Planeten des Imperiums. Und daran war der Sand schuld. Er hatte nicht zerstört, sondern nur verschüttet und vor Korrosion und Zerfall geschützt; unzählige Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Kultgeräte und zerfallene Kleider in knochentrockenen Kisten und Truhen. Sie waren in den Häusern herumgekrochen und hatten Aufnahmen und Radiokarbontests gemacht. Und immer war die verschollene und durch einen Zufall wiederentdeckte Handschrift dabei ihr Führer und die genaueste Chronik der Stadt, die sie sich wünschen konnten.

Aber sie war nicht vollständig. Als das Ende der Kultur näher gekommen war, hörte der unbekannte Chronist auf, Ereignisse und Daten festzuhalten – oder er starb. Niemand fand sich, der das Buch weitergeschrieben hätte. Es wurde vor acht Jahren von einem Vermessungsschiff gefunden und zur Erde gebracht, wo man es Viper übersetzen ließ.

Die Maschine ENIGMAs, von den Wissenschaftlern UNIGRYPH getauft, kannte alle Sprachen der Erde, desgleichen alle Schriften und Zeichen, die jemals entdeckt und aufgeschrieben wurden, und alle bekannten Übersetzungsarten. Jederzeit konnte ein Text aus der Keilschrift in Sekundenschnelle in einen tibetanischen Dialekt übersetzt werden und zurück in die Terranische Universalsprache oder in Transterranisch. Es war möglich, neue Schriften zu entziffern, aber man musste vorsichtig sein. In der Möglichkeit, Gedachtes oder Gesagtes niederzuschreiben, einzumeißeln oder aufzumalen, waren der Variationsbreite Grenzen gesetzt. Verschiedene Symbole blieben gleich, ob es sich um Nahrung der alten Ägypter handelte oder um Nahrung von Wegaplanetariern; oft fand man ähnliche Zeichen. Außerdem konnte die Maschine kombinieren, und sie tat es auch.

So legte man dem UNIGRYPH einen fotografierten Text des Buches vor und wartete zwei Tage. Danach stanzte der Schnelldrucker in Plastikfolie die Worte der terranischen Umgangssprache. Außerdem hatte die intelligente Mechanik von UNIGRYPH versucht, die merkwürdige, an der Art alter Auslegungen des Buches der Bücher orientierte Schreibweise zu rekonstruieren, mit dem Erfolg, dass die Worte des Khorsabadbuchs biblischem Klang entsprachen.

Fünfhundert Jahre geschriebene Geschichte der Stadt Chi Sakkara deckten sich mit den Funden des Teams. Aber die letzten hundert Jahre waren abgetrennt und mussten mühsam rekonstruiert werden.

Das Raumschiff war voll wertvoller Fundstücke und würde noch mehr aufnehmen müssen. Aber die Männer waren mit ihrer Arbeit noch lange nicht fertig. Sollte es noch ein Jahr dauern, bis sie hier die Forschungen abschließen konnten?

»Wir stehen praktisch mitten in einer fast vollständig erhaltenen Stadt von über fünfhundert Metern Durchmesser. Jedes Haus und jeden Tempel kennen wir bis in die letzten Winkel und wissen über jeden Brauch Bescheid. Meinst du, dass uns noch Überraschungen bevorstehen?«, sagte Jorge Andreatta nicht zum ersten Mal.

»Gewiss, der Kult um Mordok ist noch nicht entschleiert, weder seine Herkunft noch seine Auswirkung«, antwortete Garry. »Aber das Ende dieser Kultur und mit ihr des intelligenten Lebens ist Bestandteil der Herrschaft Mordoks. Wie lange arbeiten wir zusammen?«

»Drei Jahre. Seit dem Tag, als wir als Archäologen aufbrachen und auf Cedar VII schürften. Unser erstes Feld. Wir fanden nicht viel, aber wir konnten alles entschlüsseln. Unser erster Erfolg.«

»Byblun auf Cedar war eine plötzlich gestorbene Kultur. Sie starb durch einen Angriff von außen – ebenso wie fast alle anderen, die wir ausgruben. Dies ist die erste Hochkultur, die sich von innen derart zersetzte, dass sie enden musste. Deshalb beharre ich hartnäckig auf einer intensiven Suche. Wir müssen auch den Rest schaffen«, gab Andreatta zurück.

Sicher war, dass die Wahrscheinlichkeit bestand, noch einiges zu entdecken, von dem man sich Hinweise auf die letzten Jahre Sakkaras erwarten durfte. Andreatta, der Biologe, lächelte, als er zurückdachte. Sie hatten damals mit viel Eifer und jungendlichem Feuer gegraben und Reste einer Höhlenkultur von merkwürdiger Schönheit entdeckt – als ob intelligente Wesen sich mit einfachen Geräten zum Überleben hätten einrichten müssen, fern von der gewohnten Umwelt.

Sie waren bekannt, wenn nicht berühmt geworden. Aber daran lag ihnen nur insofern, als sie dadurch Unterstützung und Finanzierung ihrer Expeditionen erlangen konnten. Sie gruben nicht, um bekannt zu werden, sondern sie waren von der gleichen Arbeitswut besessen wie schon ihre antiken Vorgänger, die auf Terra gegraben hatten. Koldewey, Schliemann, Sir Arthur Evans und Champollion.

Garry ließ den Drehstuhl herumschwingen und brannte eine Narkorette an. Es wurde kühl in dem Raum, und mit einem Handgriff schaltete der Chef die Heizung an.

»Dies ist wahrscheinlich nicht nur das erste, sondern auch das letzte Mal, dass uns Gelegenheit geboten wird, eine in sich geschlossene Kultur von ihren Anfängen bis zu ihrem Ende zu verfolgen. Drei Viertel des Weges haben wir zurückgelegt, das letzte Viertel schaffen wir auch noch.«

»Ich zerbreche mir seit drei Monaten den Kopf«, entgegnete Garry, »und bin sicher, dass die anderen es auch tun, wie Mordok und die Katastrophe miteinander in Einklang zu bringen sind. Es muss zuletzt sehr schnell gegangen sein. Von der Art des Untergangs haben wir keine Ahnung. Und die wenigen Skelette, die wir erhalten fanden, geben uns ebenfalls keinen Hinweis. Sie weisen keine Verletzungen auf, die auf gewaltsamen Tod schließen lassen.«

Nachtwind kam auf und wimmerte um die Wände des Kunststoffwürfels des Forschungsgebäudes. Es stand innerhalb einer winzigen Siedlung aus sechs Hütten.

»Ich konnte mit Hilfe des Buches«, Garry sah Andreatta nachdenklich an, »die Fakten vergleichen. Es ist, wie die Genesis von Terra, eine Art Entwicklungsgeschichte. Alles bis zum Ende der Kultur – genauer bis zu Mordok – ist geklärt. Wenn du morgen deinen Keramikbericht abgefasst hast, haben wir bis zu diesem Zeitpunkt Klarheit und können den ersten Teil abschließen. Wir gehen in ein neues Stadium.«

Jorge Andreatta stand auf und dehnte schläfrig seine Muskeln.

»Und ich gehe ins Bett – oder was allgemein dafür gilt«, sagte er. »Die nächste Expedition jedenfalls wird mit anderen Liegestätten ausgerüstet. Ich schlafe von Nacht zu Nacht schlechter; daran ist bestimmt nicht Mordok schuld. Sind die anderen schon wieder zurück?«

»Es hat sich noch niemand gemeldet. Sie werden, denke ich, morgen gegen Mittag zurückkommen und erst ausschlafen wollen. Bis dann! Ich mache noch weiter.«

Andreatta nickte seinem Freund zu und riss die Tür auf. Draußen hatte der ewige Wind nachgelassen. Nachtwolken zogen über das ferne Band der Milchstraße. Die Tür schob sich knirschend in die Fugen zurück. Im Zurückblicken hatte Jorge gesehen, wie sich Garry über seine Lesemaschine beugte und die Linse einschaltete. Der Text lief weiter.

»... und er kam und zeichnete im feuchten Sand, wie die Stadt gebaut werden sollte. In Ton wurden die Häuser geschaffen, der Tempel und der Turm Sakkaras. Die Arbeiter begannen, und es wuchs die Stadt zur größten und mächtigsten der Welt. Ein Volk arbeitete an ihr, und alles, was sie taten, glänzte von Gold und anderer Pracht, so es schien wie zwei Sonnen – eine am Himmel und die andere im Morgenschatten der Berge Chis ...«

Zweihundert Meter von den Hütten entfernt sah die planetare Nacht anders aus. Hier brannten Tiefstrahler, die weite Kreise der Stadt zu nächtlichem Leben wiedererweckten. Die silbernen Körper der Roboter schimmerten in der Dunkelheit. Zweihundert Wesen, menschenähnlich bis auf die spezialisierten Werkzeuge, gruben eine Kultur aus, die untergegangen war, als die ersten Roboter auf Terra zu funktionieren begannen.

Die Feldbahn zwischen der Stadt und einem Feld in der Wüste summte auf den schlangenförmig verlegten Gleisen. Jorge wandte seinen Blick von der Stadt. Er betrat seinen Raum in der Personalbaracke. Das Zimmer enthielt neben einem Fenster, dessen Blenden jetzt zugefahren waren, nur einen Schrank mit einer Schreibplatte, auf der die Computer und Aufnahmegeräte standen, einen bequemen Kontursessel und eine Liege. Andreatta zog sich aus, wusch sich flüchtig und legte sich hin. Im Schein der Lampe betrachtete der Biologe noch einmal die Herrscherliste Sakkaras und die Namen, die in kleinen Feldern inmitten des komplizierten Stammbaums prunkten.

Takolti-apalescaro, der erste Hirtenkönig, der die Volksstämme des Grenzlands vereinigte. Er zwang durch Klugheit und wirtschaftlichen Weitblick Hirtenvölker, streifende Nomaden und ackerbestellende Dorfbauern in die Gemeinschaft eines vielgestaltigen Stammes und machte sich zu dessen Herrscher.

Sein leiblicher Sohn, Ussarnesar-apper, sein einziger, wie das Buch wusste, gezeugt mit einer fremden Sklavin, war der nächste in der Hierarchie. Er betrieb klug die Politik wirtschaftlicher Stärke und sorgte für das Wohlergehen der Menschen. Er ließ Flüsse des Landes kultivieren und Häfen anlegen. Handel und Reichtum begannen in einem organischen Prozess aufzublühen und zu wachsen.

Sanaccho-oreb folgte, dessen Sohn die kleinen Fürsten beseitigte und sie zu Beamten des Hofes machte. Sie weiteten die Grenzen des Landes, besiedelten es und brachten Sklaven ein, die arbeiteten und für die Herrlichkeit des ersten Königs sorgten, der noch folgen sollte.

Usserheddan war der erste König, genannt Der Mächtige. Tausende arbeiteten unter seiner Regie an der Erstellung der Großstadt Chi Sakkara. Innerhalb von zehn Jahren brachte der König es fertig, die Stadt zu bauen und zu befestigen, den Strom umzuleiten und einen Hafen zu schaffen. Er nahm die Führung dieser neuen Macht selbst in die Hände. Sein Verstand und seine Klugheit mussten für die damalige Zeit beträchtlich effizient sein.

Dann wechselte die Regierungsform, und ein Götze wurde das Symbol alles übersteigender Gewalt. Eine Kaste von Priestern regierte nach Usserheddan weiter, nicht weniger wirkungsvoll als der König. Aber sie verehrten keinen Menschen mehr: Die Gottheit, von der die Forscher zahlreiche Abbilder fanden, änderte ihr Aussehen, bis sie zuletzt den Ausdruck einer vermenschlichten Großkatze trug.

Die Priester wurden für eine kurze Zeit von Atamoniris abgelöst, einem Nachkommen des letzten Königs. Er versuchte, die monarchistische Regierungsform wiederherzustellen, wurde durch den Widerstand des Volkes daran gehindert und verschwand von der Bühne der Oberschicht.

Dann kam Mordok. Mordok – der Gott des Untergangs.

Ich werde unter ihnen sein wie ein Komet, hell in der Nacht und mächtig in meiner Kraft. Ich werde sie führen zu meinem Glanze, und meine Strafen werden groß sein und fürchterlich mein Zorn. Ich werde herrschen eine Zeit und zurückkehren in die Nacht, und ein neuer Komet wird kommen und leuchten.

Dieser Spruch war unter jedem Abbild Mordoks zu lesen.

Mit dem zornig-verschlagenen Katzengesicht Mordoks vor Augen und im Sinn, schlief Jorge Andreatta ein. Wie würde er erwachen, wenn er plötzlich mit den Ereignissen konfrontiert würde, die sich irgendwo unter der Stadt vor sechshundert Jahren zugetragen hatten und die von Garry schemenhaft geahnt wurden?

Garry Viper las weiter. Er flüsterte:

»... und an dem Turm bauten sie dreißig Mal sieben Tage. Dann war er groß und mächtig, und die Künstler brachten Bilder an und schilderten die Taten des Mächtigen. Sie schufen Bilder aus Elektrum, Kupfer, Gold und Glasfluss. Das Leben in des Mächtigen Stadt wurde geschildert, und der Turm war wie eine Flamme unter dem Sonnen! Man konnte ihn sehen von den Bergen Chis ...«

Seit dem Ende dieser Kultur hatte nur eine einzige Kraft an den Gebäuden genagt – der wandernde Sand. Aber indem er zerstörte, konservierte er auch. Der Sandsturm verschüttete nicht nur das Bett des Flusses, der sich um Sakkara herumzog, sondern er füllte auch die Prunkstraße und die Höfe der Tempel.

Unmengen feinen, rötlichen Sandes kamen aus der Wüste, die so alt war wie der Planet. Immer höher wuchsen die Dünen, schlichen sich durch die Tore und begruben lautlos die Stadt. Kein Leben stellte sich ihnen entgegen. Der Wald starb, vom Sand völlig bedeckt. Die Stadt war tot und begraben. Nur noch die Ziggurah von Chi Sakkara stand einsam in der Wüste. Die silberne Plattform zwischen den vergoldeten Säulen blinkte im Sternenlicht.

So fand sie ein ENIGMA-Beiboot, dessen Crew neue Planeten suchen sollte. Die Männer wollten das Sonnenbanner der Erde weit hinaustragen in den Raum. Nichts, was über Kleinformen tierischen Lebens hinausging, lebte auf dieser Welt. Das Imperium legte seine Hand auf Khorsabad. Bei einer späteren Landung sahen die Männer des schnellen Forschungskreuzers den Schatten des Turmes und schickten ein Kommando aus, das Innere zu erforschen. Nachdem sie die Plattform fotografiert und staunend die fremdartigen Tiere, Menschen und Symbole bewundert hatten, gelangten sie zu der Wendeltreppe und tasteten sich hinter den Strahlen ihrer Lampen hinunter ins Dunkel, das nach Moder, Schutt und geheimnisvoller Geschichte roch.

Sie kamen in den Zeremoniensaal in der Mitte des Turms. Damals lag noch Sand in den Fenstern. Sie sahen den Altar Mordoks, entdeckten die Kiste aus Metall und Glasflussornamenten und brachten sie ins Schiff. Dort wurde sie geöffnet, das Buch wurde gefunden.

So kam die Gruppe um Garry Viper, den Sagittaner aus Ninive, zu ihrem neuen Auftrag.

Garry schaltete die Maschine aus. Er holte den Umhang, schlug die Kapuze über den Kopf und schaltete Licht, Heizung und Ventilation ab. Er musste nach den Robotern sehen, die Stadt inspizieren und danach schlafen gehen; als Kopf des Teams trug er die Verantwortung. Hinter ihm knirschte die Tür in die Verschlüsse. Das automatische Schloss verriegelte sich.

Er holte Atem, als der Sturmstoß sich gelegt hatte. Dann wandte er sich aus dem Windschatten der Forschungsbaracke der Stadt zu. Die nächsten zweihundert Meter überquerte er flaches Gelände, das aus Büscheln kümmerlichen Grases und gerilltem, hart gepresstem Sand bestand. Endlich gelangte Garry an die Gleise der Feldbahn und wartete, bis der Zug aus der Wüste zurückkehrte. Er ließ die Lok anhalten, schwang sich auf ein Trittbrett und fuhr durch das Haupttor und die Prozessionsstraße zum Platz vor dem großen Tempel.

Dorther kamen Geräusche; der Klang von Metall auf Stein, das Summen des Siebmotors, das Rattern der Doppelsiebe und der Lärm des Förderbands. Die Helligkeit nahm zu, je näher der Zug dem Tempel kam. Endlich stand die Feldbahn, die Loren rüttelten dumpf in den Kupplungen.

Zweihundert Roboter arbeiteten Tag und Nacht. Sie schnitten den festgepackten Sand auf, hoben ihn in Stücken ab und brachten ihn auf die Gitter der Siebe. Dort zerbröselte der Sand – größere Fundstücke fingen sich im groben Sieb und die kleineren in dem nachfolgenden. Von dort lief der Sand über ein Band in die Loren, die sich in der Wüste selbsttätig entleerten. Die biopositronischen Hirne der Robots waren mit dem Programm für archäologische Arbeiten geladen; je sechs Roboter primitiver Bauart unterstanden einem Gruppenrobot. Die Gruppenrobots vermochten zu unterscheiden, ob ein Fundstück drei Jahre alt war oder dreihundert.

Die geschulteste menschliche Hand konnte nicht behutsamer mit Fundstücken umgehen, die fast immer an Licht und Luft schnell zu zerfallen drohten. Man konnte sich auf die Sklaven aus den Werkstätten ENIGMAs verlassen.

Die Lok verlegte ihre Gleise selbst und kehrte automatisch zurück. Fundstücke wurden zurechtgelegt, bis sich die Forscher darum kümmerten. Jederzeit gaben die Gruppenrobots präzise Erklärungen über Grabungsverlauf, Funde und voraussichtliche Arbeitsdauer ab. War das Gelände von Sand gesäubert, kamen die Forscher und nahmen die Fakten auf, sortierten die Funde und fotografierten alles. Die Speicher enthielten Tausende Hologramme, die Chi Sakkara von allen Seiten zeigten.

Es würde noch mehr Bilder und Berichte über Sakkara geben, wenn er, Garry, recht behalten würde. Auf diese Weise hatten sie seit elf Monaten innerhalb der mächtigen Stadtmauer mit den metallenen Verzierungen alles freigelegt bis auf drei Wohnhäuser und den Platz des Tempels. In einigen Teilen waren die marmornen Quader freigelegt, auf denen Usserheddans Lieblingssklavinnen einhergegangen waren.

Für das Haus der Priester, den einstigen Königspalast, gab es in den Kulturen der neuen Planeten keine Parallelen. Sie hatten sich mit allem Prunk umgeben, dessen dieses Volk fähig war. Und hier war die Metallschmiedekunst zur einsamen Höhe gelangt. Die Priester stellten die Ansprüche für einen Gott, der nicht nur in ihrer Vorstellung und im Zusammenwirken von Gewitter, Regen und Sturm existierte, sondern persönlich anwesend war im Haus der Priester.

Ein fremder Gott, auf dem Planeten geboren, kein Mensch und kein Tier, sondern etwas, das jede Norm sprengte. Aber davon ahnte nicht einmal Garry etwas.

Viper sah den Robots zu und erkannte, dass sie auf eine fundreiche Schicht gestoßen waren. Er winkte einem Gruppenrobot. »A-drei. Komm her und berichte!«

Der Gruppenrobot nahm seine Finger von einem Basrelief der Platzumhüllung und eilte auf Garry zu. Seine sechs Submaschinen verlangsamten ihre Arbeit und belasteten die Kapazität ihrer Rechner mehr, als sie es unter seiner Aufsicht getan hatten. Der silberne Robot blieb vor Garry stehen.

»Ist etwas von größerem Wert gefunden worden?«

»Nein, wir brachten den Sand weg, säuberten die Platten der Umfriedung und besprühten die Fronten des Reliefs mit Konservierungslack.«

»Meldungen der anderen Gruppenrobots?«

»Nichts. Routinearbeit. Wir fanden Skelette mit Resten von Kleidung und Waffen. Keinerlei Besonderheiten.«

»Meinen Weckruf kennt ihr und auch das Verbot, irgendjemand anderen zu wecken, solange ich mich in den Baracken befinde?« »Selbstverständlich.«

»Wenn etwas gefunden wird, das nach Analyse Gruppe drei beachtenswert ist, weckt mich. Verstanden?«

»Jawohl.«

An einen Pfeiler des Tempels gelehnt, beobachtete Garry noch eine Weile die Arbeit. Die Feldbahn kam beladen von dem Platz, er ließ sich von ihr bis in Lagernähe tragen. Dann sprang er ab, ging in sein Zimmer und schlief rasch ein.

Die Berge, nach Osten Khorsabads gelegen, warfen schwarze Morgenschatten bis an die Mauern Sakkaras. Der Turm spiegelte an der Ostseite die roten Flammen des Sonnenaufgangs. Sein kantiger Schatten reichte weit in die gelbrote Wüste, ebenso wie der des Raumschiffs. Die Luft war kalt.

Der große Tempel hatte an seiner Seite ausragende Dächer, eine architektonische Besonderheit. Diese Kultur kannte Stahl und Eisen noch nicht als Trägerelement und musste sich daher auf Ziegelmauern und zyklopische Gefüge beschränken. Die Dächer bestanden aus je drei behauenen Basaltblöcken, die nebeneinander auf Pfeilern ruhten und zu zwei Dritteln auslegten. Auf dem anderen Drittel standen Hochmauern des Tempels. Dort arbeiteten die Robots, als der Tag begann.

Nur die Dächer standen auf glatt abgeschnittenen Sandblöcken. Diese wurden nun in Angriff genommen. Gefilterter Sand ergoss sich stäubend in die Loren. Das Sieb zerkleinerte einen Brocken, und der eingeschlossene Gegenstand fiel durch die fünfzehn Zentimeter des Zwischenraums. Das nächste Doppelsieb wirbelte ihn über die Gitterfläche. Er rollte in die Auffangkästen.

Der dritte Robot einer Gruppe nahm den Gegenstand aus dem Kasten. Ein unhörbares Signal des Robots rief seinen Gruppenrobot herbei. Er nahm Drei den Fund aus der Hand. Das Identifikationsprogramm lief an.

Dieser Planet kannte noch keinen Stahl. Die Bewohner kannten Eisen in Form von Schwertschneiden, Pfeilspitzen, Lanzenblättern, als Beschlag von Panzern und Streitwagen. Aber sie vermochten zu keinem Zeitpunkt einen präzise geformten Gegenstand aus blau vergütetem Stahl herzustellen noch ihn mit einer Rille zu versehen und mit etwas auszurüsten, einem Druckschalter ähnlich, einer Halbkugel, die an einer Stelle aufragte.

Ohne in seinen Überlegungen weiterzugehen, drehte sich der Gruppenrobot um und schwebte mit seinem Fund davon. Innerhalb von vier Minuten drückte er den Weckruf neben der Tür Vipers.

Garry sah auf seine Uhr, als er mit brummendem Schädel aufstand. Er stellte den Summer ab. Auch Jorge war wach geworden, und beide Männer traten aus dem überdachten Eingang, wo der Roboter auf sie wartete.

Dann sahen sie den Gegenstand in der Hand des Robots.

Unbewusst zögerten sie, ihn anzufassen. Es war, als ginge eine unerklärliche Warnung von dem Fund aus. Er schimmerte bläulich im Morgenlicht. Endlich griff Jorge zu und nahm dem Robot den Fund ab.

»Wie habt ihr die Kugel gefunden?«

In präzisen Sätzen schilderte die Maschine, woher der Fund stammte. Atemlos lauschten die Forscher. Sie ahnten, dass sie nicht grundlos dort gelegen hatte. In ihrer Nähe mussten noch weitere interessante Funde liegen! Garry wandte sich an Jorge. »Was hältst du von der Sache?« Andreatta fuhr sich mit einer Hand über die Augen und wog in der anderen die Kugel ab. Etwas mehr als tausend Gramm. Ihr Gewicht verriet, dass sie einen größeren Hohlraum enthalten musste.

»Alles und nichts. Wenn du Recht hast – und ich kann mir vorstellen, was du denkst –, dann ist es das Bedeutendste, das wir hier finden konnten. Aber es kann sich genauso gut als glatter Fehlschlag herausstellen. Versuchen wir die Kugel gleich zu öffnen?«

»Nein, das wäre gegen jede Gewohnheit. Wir warten, bis das gesamte Team anwesend ist. Außerdem ... was ist das?«

Die Frage bezog sich auf einen zweiten Gruppenrobot, der über die freie Fläche schwebte. Er hatte nichts in seinen Händen, aber sofern eine Maschine aufgeregt sein kann, war sie es. Der Robot berichtete, was sich weiter an dieser Fundstelle zugetragen hatte. Die Forscher warteten auf jedes Wort, das der Robot mit seiner unmodulierten Stimme sprach.

Nachdem der erste Gruppenrobot sich mit der Stahlkugel in Richtung auf die Forscherunterkünfte entfernt hatte, wurden seine Untergeordneten aus dem Grabprozess entfernt, weil die Kapazität ihrer Hirne nicht ausreichte, derart diffizile Arbeiten auszuführen. Der Sand wurde von Gruppenrobots gelockert und ausgebreitet, ohne ihn dem Rütteln der Doppelsiebanlage auszusetzen.

Sie schabten eine Sandschicht nach der anderen ab und entdeckten menschliche Knochen, steinhart getrocknet und mit dem gelben Pergament der Knochenhaut überzogen. Sie registrierten:

Es war einer der Priester, erkenntlich am Ring des Gottes Mordok am Mittelfinger seiner vierfingrigen Hand. Sein vergoldetes Stirnband war mit einer pulvrigen Schicht Blut überzogen, vor sechshundert Jahren getrocknet. Das Skelett wies keinerlei Besonderheiten auf, wenn man von dem Speer absah, der sich an der Wirbelsäule vorbei in eine Rippe gebohrt hatte und von dem nur noch das eiserne Blatt vorhanden war.

Dieser Priester trug einen Kasten in den Armen. Der Mann musste verwundet worden sein. Mit letzter Kraft hatte er sich weitergeschleppt und war zusammengebrochen. Die Ausgräber markierten auf den Bodenplatten die Lage des Fundes, dokumentierten die Vorgänge und sonderten beide Dinge aus.

Der Robot beendete seinen Bericht. Der Kommandant der Expedition nickte und befahl den Gruppenleitern, zurückzugehen und diesen Winkel vor dem Tempel vollends auszugraben. Die Robots machten eine Kehrtwendung und setzten sich in Richtung auf die Stadt in Bewegung.

»Dir scheint es nicht zu eilen, wie?« Jorge vergaß über dem sensationellen zweiten Fund den ersten: Die stählerne Kugel. Er hielt sie in der Hand und sah Garry an.

»Noch nicht«, sagte Garry gedankenvoll, »ich sehe, dass unsere Kollegen und der Kapitän zurückkommen und werde die Gelegenheit wahrnehmen, um mit ihnen zu frühstücken. Hast du keinen Hunger?«

»Natürlich. Aber ich könnte warten.«

»Ich nicht.«

Garry zeigte auf den glitzernden Punkt, der sich der Siedlung näherte; Sonnenlicht funkelte auf dem Allzweck-Shuttle. Die Forscher, der Kapitän und zwei Mann der Besatzung kamen von ihrem Ausflug zurück.

»Außerdem möchte ich, dass wir alle hinübergehen und uns ansehen, was die Burschen ausgegraben haben. Wahrscheinlich werden die Spezialisten mehr entdecken, als wir beide in einigen Stunden. Jetzt gib mir bitte die Kugel.«

Garry drehte sich um, öffnete die Tür zum Forschungszimmer, ließ die Blenden der Fenster auseinanderfahren und öffnete einen Schrank. Dann legte er die Kugel hinein und schloss ab. Langsam gingen die Männer zum Raumschiff, dessen Rampe ausgefahren war. Summend griffen die Traktorstrahlen des Bootes nach der Sandfläche und setzten den silbernen Tropfen vorsichtig ab. Die durchsichtige Muschel teilte sich, die Sitzreihen schwenkten herum. Als erster verließ der Kapitän das Shuttle.

Q.T. Tomessen, genannt Cutie, war ein Planetarier von Coma Berenicae Vier. Der Riesenplanet trug eine Menschenrasse, die in dreihundert Jahren derart mutiert war, dass sie die doppelte Erdschwere aushielt, die an der Oberfläche von Coma Vier herrschte. Demgemäß war auch Cutie ein breitschultriger Mann mit stahlharten Muskeln.

Cutie schlug den beiden Männern auf die Schultern, so dass Jorge meinte, sein Schlüsselbein müsste splittern. Dann schüttelte er ihnen mit ähnlicher Gewalt die Hände und riss die Männer mit sich zum Schiff.

»Kinder, habe ich einen Hunger! Koch!«

Sein Bass hallte durch die Schleuse. Der Posten im Schatten blinzelte, dann stand er auf und schüttelte sich den Sand aus den Kleidern. Der Kapitän lachte ihn an. Seine gute Laune teilte sich dem anderen mit.

»Sie werden Ärger kriegen, Kapitän. Der Koch wartet seit zwei Stunden mit dem Frühstück. Wir haben uns erlaubt, etwas zeitiger zu essen.«

»Macht nichts, Dave. Ich hoffe, der Kaffee ist noch heiß?«

»Jawohl, aber nicht mehr lange!«

Der letzte Ruf kam irgendwo aus den Tiefen des Schiffes. Der Koch teilte den Forschern mit, dass in der Kapitänsmesse gedeckt sei. Jorge verschwand im Waschraum und kam Minuten später rasiert und gewaschen an die Tafel. Acht Männer saßen bereits, und Jorge begrüßte den Rest.

Neben dem Kapitän saß schweigend der Floridonier Aston Kyler und rührte in seinem Kaffee. Garry erzählte die Geschichte der beiden Funde. Kyler war das Ergebnis einer Reihe von Kleinmutationen unter der anderen Strahlung seiner Heimatsonne, die verschieden war von dem GO-4-Typ der terranischen Zentralsonne.

Er war einer der fähigsten Imperiumsforscher. Er kannte jedes Datum aus der Geschichte des Ersten Imperiums, ebenso des Zweiten, und über einige Dutzend andere Separatkulturen wusste er Bescheid. Keiner konnte wie er Zusammenhänge erkennen und die hauchdünne Trennlinie zwischen inneren Ursachen und äußeren Wirkungen festlegen. Auch die generelle Ausarbeitung der Geschichte Khorsabads stammte aus seiner Feder. Aber auch er war nicht weitergekommen als bis zu dem Begräbnis Usserheddans, mit dessen Schilderung das »Buch« schloss.

Andreatta nahm seine Tasse in Empfang und hörte zu, wie Garry erzählte. Kaum hatte er geendet, erhoben sich Theorien und Gesprächsfetzen. Der Bass des Kapitäns drang durch die abgehackte Sprechweise Clintons, des Historikers. Andreattas ruhiges Organ, mit dem er die Fragen des Schiffsführers beantwortete, kreuzte sich mit den präzisen Formulierungen des Imperiumsforschers. Der gallige Witz des Historikers Van Clinton zerschnitt die sachlichen Thesen der anderen und brachte Lachen in die Unterhaltung.

Clinton war ein feiner Kerl, und jeder hatte ihn gern, aber das erklärte Ziel seines Spottes war der Homo sapiens imperialis, der in großen Schiffen durch die Milchstraße zog und erlebte, wie wenig der Einzelne oder die Intelligenz der Imperialisten gegenüber der Natur, dem Kosmos und dem unbarmherzigen Rhythmus der Entwicklungsgeschichte bedeutete. Schließlich schwiegen sie und warteten darauf, dass Garry die Entscheidung fällte. Der dunkelhäutige Sagittaner stand auf.

»Ich schlage vor, wir sehen uns alle den Fund unter dem Seitendach des Tempels an. Dann setzen wir uns in der Forscherbaracke um den großen Tisch und öffnen die Kugel. Kommt ihr?«

Sie nahmen den geländegängigen Wagen, für den weder Sumpf, Steppe, Geröll oder Sand ein Hindernis darstellten. Sie rollten neben dem Gleis in einer wirbelnden Sandwolke auf den weißen Tempelplatz. Dort sprangen die Robots zur Seite und sahen zu, wie Aston bremste.

»Hier ist kein Sand. Die Funde könnt ihr hier besichtigen.«

Jorge Andreatta rückte die Sonnenbrille zurecht. Garry trat an die sonnendurchglühte Tempelmauer und betrachtete die Stelle, wo sich die Linien der Markierung befanden.

»Wenn der Mann hier gestanden hat, dann kann er den Speer nicht in den Rücken bekommen haben. Es sei denn, der unbekannte Gegner hätte einen halben Meter zyklopischer Mauer durchgestoßen. Also ist das Opfer entweder auf der Flucht hierher gerannt, die Waffe schon im Rücken, oder ...«

»Und das ist die größere Wahrscheinlichkeit. Versuchen wir’s.«

»Ein Hammer!«

Ein Robot brachte eine Spitzhacke. Mark Sheroy, der Achernarier, nahm sie ihm ab. Er begann systematisch, den Boden abzuklopfen. Er begann mit der äußeren Ecke und hatte es insofern leichter, als er nur die Quader aus Marmor mit hellblauem Geäder abzählen musste. Die erste Reihe ergab den gleichen dumpfen Ton, der darauf schließen ließ, dass starker Untergrund aus Schotter, Fels oder Sand unterhalb der mächtigen Platten lag. Die zweite Reihe. Wieder nichts. Aber der achte Stein der vierten Reihe klang hohl!

Sie reinigten mit Messern die Fugen, die mit festem und durch Sickerwasser erhärtetem Sand gefüllt waren. Robots saugten den Sand weg. Dann sahen sie die Vertiefung, die auf einen tiefer gelagerten Drehpunkt schließen ließ.

»Die Platte öffnet sich wahrscheinlich nach oben. Hier ist nichts, das auf ein Scharnier hinweist.«

Sheroy, dessen Spezialgebiet Fundamente, Gewölbe und Höhlen alter Kulturen waren, stemmte den gehärteten Stahl zwischen die Quader. Er suchte einen sicheren Stand, packte den Pickel und zog. Langsam knirschte die Platte hoch. Zwei Männer sprangen hin, um in den entstehenden Längsspalt Geräte zu legen, die ein Zurückgleiten verhindern sollten. Schließlich stand die Platte senkrecht. Den sieben Männern schlug ein Geruch entgegen, in dem sich Moder, Grauen, Geheimnis und sechshundert Jahre tote Kultur mischten.

Würde sich hier das Geheimnis um das Sterben Chi Sakkaras, die Person Mordoks und den Tod des intelligenten Lebens des Planeten Khorsabad lösen?

CHRONIST: Oliver Sevenaer XXXI.

GESCHICHTE DES II. IMPERIUMS

Robot-Handschriftliches Originalmanuskript, Terra Central (Auszug)

»Zwischen ca. 3000 und 3750, in der aufregenden Phase der forschenden Expansion, inzwischen weit ferne Vergangenheit, entstanden bemerkenswerte schriftliche (durch optische Dokumentationen der jeweils modernsten Technik, mit akustischen und lexigrafischen Highlights unterfütterten) Dokumentationen der irdischen Raumfahrt. Besonders erwähnt sollen – stellvertretend für Dutzende anderer, ebenso wagemutiger und gründlicher Raumfahrer, Forscher und Wissenschaftler – folgende Autoren erwähnt werden: (Ihre Werke sind längst Standardwissen und wurden kaum jemals ernsthaft korrigiert):

Baron Achill Hylobatos jr., Prof. Yves-Khalil-Manjaossi & Capitána Sonaida Sharçais; Sir Austin Healy Farthingales MYTHOLOGISCHE EXPEDITION; (2981 bis 2989); Jossel Seydenblum, Söhne und Neffen gleichen Namens; Katatympalo und Dr. Isfried Nonsuch.«

2.

»Die Zelle ist der kleinste Bestandteil organischen Lebens. Auf den Erbträgern sind alle Merkmale, die später ein ausgewachsenes Individuum kennzeichnen, vorgezeichnet. Jede befruchtete Eizelle ist ein komplettes Wesen im Mikroformat. Die Forscher sind schon lange in der Lage, Vorgänge innerhalb der Zellen zu studieren und wissenschaftliche Erkenntnisse zu fassen – bei dem bekannten irdischen Leben.

Aber was geschieht, wenn sich Fachleute konfrontiert sehen mit Mikro-Organismen, die sich nicht in die bekannten Formen einordnen lassen – Organismen, die kleiner sind als die kontrollierenden Zellkerne und die auf die Zellen angewiesen sind, um leben zu können? Dinge, die aus einer fremden Welt zu kommen scheinen. Was kann geschehen? Heute wissen wir es ...«

Inmitten des Lichtkegels der Deckenlampe lag die schwarze Kugel. Clinton hatte die Lampe heruntergeschoben. Der Schatten des verstellbaren Armes zeichnete einen Balken an die Decke des Forschungsraums. Der süßliche Geschmack aus der Narkosepfeife des Floridonianers mischte sich mit dem Geruch der Baracke. Die Forscher saßen gespannt in ihren hochgeschobenen Drehsesseln. Garry Viper hatte eine Holokamera aufgebaut und stellte die Lichtstärke ein. Sein weißes Haar lag in der Dämmerung wie eine Kappe um seinen schmalen Schädel. In der Ecke lief ein Aufnahmegerät – Mikrophone und Linsen hingen über den Köpfen der Männer.

Andreatta sah gebannt auf das Ding. Diese Kugel stammte nicht von diesem Planeten. Immer wieder hämmerte etwas in seinem Hirn diese Worte. Jorge riss sich los und zog die Gummihandschuhe glatt.

Der weiße Bart Van Clintons schien sich zu bewegen, aber es waren nur der Reflex der silbernen Hände des Roboters, die sich unschlüssig vor der Kugel bewegten. Es konnte sein, dass etwas in dem Ding enthalten war, das sich mit einer donnernden Explosion entlud und die Hände des Öffnenden zerriss.

Der Robotfachmann und Technologe Doug Wayman hatte seinen besten Gruppenrobot herbeizitiert und bangte um seinen Schützling. Er war aus dem System Alpha Fomalhaut und besaß das Gefühl für Mikrotechnik, das bei den positronischen Hirnen der eisernen Sklaven als Voraussetzung mitgebracht werden musste.

Klick ... klick ... machte die Kamera. Das Aufnahmegerät summte. Die Männer zogen sich zurück. Hier war etwas, das sie weder greifen noch abschätzen konnten.

»Fangen wir an.«

Garry nickte scharf in die Richtung von Doug Wayman. Dieser zuckte nervös zusammen.

»D-acht! Du lässt die Kugel auf dem Tisch liegen und versuchst, den schwarzen Knopf zu drücken. Wenn sie sich nicht oder schwer öffnen lässt, nimmst du dieses Skalpell und drückst in die feine Rille. Achte darauf, dass wir nicht verletzt werden. Verstanden?«

»Völlig.«

Der Robot machte einen Schritt vorwärts und beugte sich nach vorn. Ein zweiter Scheinwerfer sprang an. Die Lichtkegel trafen sich über den silbernen Händen mit den Plastikhandflächen der Maschine. Der Knopf wurde gedrückt. Die Schalen der Kugel gingen unter den zart zugreifenden Fingern auseinander, bis sie zwei Halbkugeln bildeten.

Eingebettet in die Höhlung zeigte sich eine weitere Kugel. Sie wurde von winzigen Federn in der Schwebe gehalten und war durchsichtig. Ihr Inhalt opalisierte unter dem Licht.

Klick, machte die Kamera, klick.

Dann zerriss eine Detonation die kleine Kugel und überschüttete die Forscher mit einem sprühenden Regen. Andreatta riss die Hände hoch, um sein Gesicht zu schützen. Zu spät! Ebenso zu spät kam die Reaktion des Floridonianers. Er ließ sich seitwärts aus dem Sessel kippen. Seine Nägel rissen lange Kratzer in den Kunstlederbezug. Der Robot stellte die Kugel vorsichtig auf den Tisch und trat drei Schritte zurück.

Sie sahen, dass Dave M. Sarcec eine kleine Wunde hatte. Ein Stück des Materials, aus dem die kleinere Kugel bestand, war ihm gegen die Stirn geprallt.

»Ist meine Aufgabe beendet?«

Der Roboter sprach zögernd. Seine positronischen Denkkreise konnten mit diesem Geschehen nichts anfangen. Hierüber waren ihm bei seiner Herstellung keinerlei Informationen geliefert worden.

»Du kannst zurück in die Stadt schweben.«

Der Roboter verließ die Forscherbaracke. Die Kamera lief immer noch. Ihre Weitwinkellinse erfasste die verblüfften und ängstlichen Gesichter der Forscher. Garry schaltete den Apparat aus. Van Clinton hatte sich als erster gefangen und begann zu lachen. Er betrachtete die Gesichter seiner Freunde und lachte noch mehr. Dann stand er auf, schaltete das Band ab und schlug Andreatta auf die Schulter. Auf seinen Fingerdruck schoben sich die Blenden der Fenster auseinander. Licht drang in den Raum. Die Scheinwerfer erloschen. Clinton lachte noch immer.

»Was, bei aller Freundschaft, gibt es zu lachen?«

Sheroy fuhr Van aufgeregt an. Clinton zerfurchte seinen Bart.

»Das ist so ungemein lustig: Wir graben ein Jahr lang nach einer antiken Kultur, und wir finden eine Kugel, die nichts mit diesem Planeten zu schaffen hat. Sie stellt sich als ein Scherzartikel von kosmischer Bedeutungslosigkeit heraus, indem sie in einer Wolke wässrigen Nebels explodiert. Ist das nicht köstlich?«

»Das ist die eine Möglichkeit. Es gibt immer bei einer Theorie mehrere Arten, sie anzugehen. Ich habe mich mit einer anderen auseinandergesetzt. Sie ist weniger spaßig.«

»Ich weiß«, entgegnete Clinton dem Sagittaner, »aber ich nehme es zunächst, da doch nichts mehr zu ändern ist, von der komischen Seite. Wenn du Recht hast, sind wir soeben infiziert worden. Es kann sein, dass es sich als harmlos herausstellt, aber es kann auch eine Art planetare Pest sein, an der die Leute hier vor sechshundert Jahren gestorben sind. Ihre Kultur kannte keine Abwehrmittel gegen Virusinfektionen, das wissen wir.«

Auf jeden Fall – keinerlei Kontakt während der nächsten Zeit mit den Leuten im Schiff, Cutie eingeschlossen. Klar?«

Das war ein dienstlicher Befehl Garrys, und sie alle würden ihn befolgen.

»Das Essen werden wir uns bringen lassen müssen. Duschen können wir uns am Fluss.«

»Das wird einige Männer nachdenklich machen, besonders den Kapitän. Sie werden wissen wollen, was los ist«, meinte Andreatta.

»Sagen wir ruhig die Wahrheit – wir sind wahrscheinlich von einem Fund infiziert worden. Aber wir sollten ihnen eine harmlosere Version erzählen und Ausdrücke wie Pest vermeiden.«

»Gut«, sagte Andreatta, nahm den Hörer des Feldtelefons ab und meldete Cutie den Vorfall in allen Einzelheiten. Zunächst wollte Cutie nichts von Vorsichtsmaßnahmen wissen, aber auf die Gefahr einer weiteren Verseuchung nach der Heimfahrt aufmerksam gemacht, ließ er sich überzeugen. Er versprach, das Nötige zu veranlassen.

»Gehen wir die Punkte dieser Angelegenheit einmal durch. Jeder Spezialist gibt einen Überblick. Woher kann diese Kugel stammen, wenn nicht von hier?«

Garry wandte sich an Sarcec, den Mann, der am meisten von Fremdsprachen, Schriften anderer Kulturen und ihrer Deutung verstand.

»Nun, hier herrschte eine archaische Kultur. Unter diesem Begriff verstehen wir heute etwas anderes als vor dem Ende des Ersten Imperiums. Jede Kultur ohne Raumflug ist für uns archaisch. Sie konnten hier recht gut Eisen bearbeiten. Mit weicheren Metallen konnten sie besser umgehen als jemals die Künstler Tutanchamuns. Aber sie waren nie in der Lage, eine gehärtete Stahlkugel von solcher Präzision herzustellen oder Glas so zu präparieren, dass es mehrere Atmosphären Überdruck aushält – sechshundert Jahre lang. Auch dieser Verschluss ist etwas, wozu sie niemals fähig waren. Für mich ist das Fehlen jeglicher Zeichen ein Hinweis, dass dieser Körper von außerhalb dieses Planeten kommen muss.«

»Hat jemand zu dieser Annahme etwas hinzuzufügen?«, rief Garry.

Niemand zweifelte daran. Der wendige Achernarier setzte sich zurück.

»Das Buch?«

Garry fühlte sich angesprochen. Sheroy, der diesen Einwurf machte, wusste, dass jedes Wort und auch jede verborgene Bedeutung inzwischen von Garry entschlüsselt worden war. »Das Buch sagt nichts über diese Kugeln, auch ist in keiner Silbe enthalten, dass fremde Wesen hier gelandet wären. Es sei denn, sie taten es vor der Zeit der geschriebenen Geschichte – plus einem beliebigen Zeitfaktor –, in der die Erzählungen, Legenden und Märchen dem Chronisten zugänglich waren. Drei Generationen – etwa zweihundert Khorsabadjahre – einhundertneunzig terranische. Nichts!«

»Die anderen Völker, meist kleine Stämme, die unorganisiert in der Weite des Planeten lebten, kommen als die Erzeuger ebenfalls nicht in Frage. Sie waren zu jeder Zeit nur ein schwacher Abklatsch der Intelligenz Chi Sakkaras und hatten weder qualifizierte Leute noch die handwerklichen Fähigkeiten und Geräte. Sie scheiden bei dieser Betrachtung aus«, erklärte der Historiker Van Clinton. Der Gewölbespezialist stellte die erwartete nächste Frage:

»Können wir mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass diese Kugel – oder mehrere von dieser Sorte – aus dem Weltraum gekommen, ist?«

Kyler, der Imperiumsforscher, meldete sich zu Wort:

»Grundsätzlich ja. Wir wissen, dass die Leute, denen wir auf Cedar begegneten, genauer dem, was sie übrig gelassen hatten, den drohenden Untergang ihres Systems abwenden wollten und jahrelang Botschaften in Miniaturschiffen in den Raum hinausschossen. Sie hatten insofern Erfolg, als die Schiffe einer anderen Rasse sie evakuieren konnten. Ihre Raumschiffe waren klein, weil sie auf dem Planeten zu wenig Erz hatten, um große Schiffe zu bauen. Am Ende ihrer Aktion wurden in den Werken selbst Maschinen eingeschmolzen, um Blech für die Hüllen herzustellen. Die Möglichkeit, dass unser Fund aus einem anderen Teil der Milchstraße kommt, ist durchaus nicht abwegig.

Aber woher und zu welchem Zweck die Viren oder Bakterien herumgeschossen wurden, das kann ich nicht ... Halt! Natürlich. Sie können nur einen Zweck haben, nämlich den, andere Wesen zu infizieren. Sonst wäre diese Apparatur nicht gebaut worden.«

Doug Wayman holte aus einem der Schränke verschiedene Gerätschaften. Er schloss das Elektronenmikroskop an und nahm einige Schaltungen vor. Dann näherte er sich vorsichtig Dave Sarcec und strich etwas von dem geronnenen Blut aus der Wunde auf einen Objektträger, den er unter die Linse des Kombimikroskops brachte.

Nacheinander nahm er verschiedene Einstellungen vor und vergrößerte die Zellen bis zur Auflösungsgrenze. Die Forscher sahen ihm schweigend zu, dann blickte auch Andreatta, der Biologe, durch den Gummiwulst und drehte an den Hebeln.

»Nichts. Die Viren oder Bakterien müssen sich unglaublich schnell in unser Inneres verzogen haben. Sie sind außerhalb der Wunde nicht mehr feststellbar. Wir sind alle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit infiziert. Zu spät, um darüber zu diskutieren.«

Götterstandbilder und Fetische Mordoks und seiner Untergötter, golden, aus Elektrum, reich mit Steinen und Glasfluss verziert, grinsten die Forscher von den Regalfächern an. Sie standen an den Wänden hinter einem Geflecht aus durchsichtigen Nylonfäden, die ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleisteten.

»Wenn niemand dagegen ist, möchte ich mir von Jorge einmal anhören, was nun mit uns geschieht. Jedes Opfer hat das Recht, etwas über seine Todesart zu erfahren. Jemand dagegen?«

Niemand hatte Einwände. Jorge klopfte mit dem Stiel seiner Pfeife gedankenverloren gegen die Kante des weißen Tisches. Dann schob er die Pfeife in die ausgebeulte Brusttasche seiner Lederjacke und begann leise zu sprechen. Seine Freunde beugten sich vor.

»Ein Virus benötigt zum Leben nur eines – Leben. Es findet es in der Zelle des Säugetiers, die anderen Virusarten auch in pflanzlichen Zellen. Das Virus frisst die Bestandteile des Zellmaterials, das Protoplasma auf und wächst mit Hilfe dieser Nahrung. Der Prozess ist kompliziert – das Virus zwingt den Stoffwechsel der Wirtzelle in seinen Dienst und verdoppelt sich schließlich, wenn es satt genug ist. Dieser Prozess wächst in geometrischer Progression, und schließlich stirbt die Zelle infolge des Nahrungsmangels ab – das Leben stirbt.«

»Keine andere Möglichkeit, Jorge?«

Viper wollte nicht, dass das Gespräch mit dieser dumpfen Einsicht endete. Jorge begriff und sprach weiter, ohne seinen Freunden Gelegenheit zum Nachdenken zu geben.

»Es entspinnt sich vor dieser Entwicklung ein Kampf, der tödlich ist. Wenn man diese wütenden Aggressionen unter der Linse des Mikroskops beobachtet, vergisst man, was man eigentlich sieht. Die Zelle wehrt sich gegen den Eindringling und schafft Abwehrstoffe, die zunächst das Wachstum des Virus hemmen und es schließlich zu einem unbedeutenden Mitglied des Körpers machen können. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit für eine Virusentwicklung:

Die Eiweißmoleküle des Zellkerns und der Gene, auf denen die Erbmerkmale aufgezeichnet sind, und andererseits die Viren gleichen einander. Es ist möglich, dass dieser Kampf eine Verdoppelung des Zellkerns oder einiger seiner Teile bewirkt – meist aber wuchert die Zelle aus. Versuche in Mars Technica, der biologischen Universität, die mich ausgebildet hat, ergaben aber auch bloße Verdoppelungen des Zellkerns mit künstlich geschwächten Viren. Wir kamen aber nur bis zu diesem Punkt. Die verdoppelten Zellen innerhalb einer Kaninchenleber sind nicht weiter interessant. Aber Neurozellen oder Hirnzellen würden vermutlich anders aussehen. Noch etwas – bitte keine Panik! Wir sind mit Serum vollgepumpt worden, und keine bekannte Krankheit dieser Art innerhalb des Imperiums kann uns ernstlich gefährden. Auch ein neuartiges Virus wird mit zahlreichen Abwehrstoffen in unserem Blut zu kämpfen haben. Das ist alles.«

»In Ordnung, Jorge; es besteht wohl kein Grund zur Panik. Ich schlage vor, wir öffnen jetzt den Metallkasten, den die Robots bei unserem Skelett fanden.«

Zwei Männer holten die Kiste und stellten sie in die Mitte des Untersuchungstisches. Ein breites Spruchband zog sich, in der Mitte getrennt, um die Senkrechte des Behälters. Sarcec versuchte, die Anfangsrunen zu entziffern, hörte aber sofort auf. Er schaffte es nicht ohne Bestimmungsbuch und elektronische Hilfen, auch hätte es zu lange gedauert. Ein Skalpell blitzte in Garrys Hand auf und zog einen raschen Schnitt durch die Dichtung aus vertrocknetem Harz. Dann klappte der Archäologe vorsichtig den Deckel hoch. Die Männer an seiner Seite sahen hinein.

Das Pergament aus Tierhäuten roch nicht nur – es stank geradezu. Aber niemand störte sich daran, als Garry ein archaisches Schreibzeug hervorholte. Die Schreibflüssigkeit in einer getriebenen Metallschale mit Glasflussverzierungen in intensivem Blau war noch sichtbar in Form einer schwarzen Rußschicht. Die drei Stempel, mit deren Zeichen die vollständige Keilschrift der Sakkaraner auskam, lagen auf den säuberlich geschnittenen und mit goldenen Nägeln zusammengehefteten Bogen des Pergaments.

Garry hob beides vorsichtig heraus. Stempel, Schale und Nägel würden nicht zerfallen. Aber das Pergament war jetzt, der frischen Luft ausgesetzt, in stärkstem Maß bedroht. Die Männer holten Kunststofffolien und lösten vorsichtig die Nägel ab. Dann umhüllten sie die Blätter mit der Folie, pressten sie behutsam an und verschweißten sie an den Rändern, so dass die Blätter wieder luftdicht verpackt, aber die Zeichen durch den Kunststoff lesbar blieben.

Dann war die Kiste leer. Alle Dinge wurden hinter die Glaswand eines Schrankes gestellt. Die Männer riefen hinüber zum Schiff. Man brachte ihnen nach einer Viertelstunde das Essen, gut verpackt und in Einweggefäßen. Kyler übergoss sie später mit Konservierungslack, mit dem die Robots freigelegte Bilder und Friese bestäubten, und zündete sie an. Das Plastikmaterial verbrannte, und der Rauch wallte um die Flachdächer der fünf Baracken. Dann rüsteten sie die kleine Gewölbeexpedition aus, die am Nachmittag gestartet werden sollte.

Seit einigen Monaten war Clinton ungenießbar und erklärte jedem, der nach Gründen fragte, dass er es satt habe und darauf wartete, dass auf diesem Sandplaneten einmal etwas geschah, das man als Abwechslung bezeichnen könne. Sie hatten damals noch nichts von Mordok gewusst, und die Geheimnisse um das Ende der Kultur waren noch nicht in diesem Maße drückend geworden. Jetzt hatte er, was er gesucht hatte!

Abwechslung – es konnte sein, dass sie ausgesprochen tödlich war. Das kennzeichnete die Gedanken, mit denen er sich auf seine Art herumschlug.

Die verschiedenen Geräte lagen bereit. Es war Nachmittag, vier Uhr, als Garry zur Gruppe stieß und sich umsah. Mark Sheroy hatte eine gefütterte Jacke an, die ihn vor eventuell herunterstürzenden Trümmern schützen konnte, einen Helm aus unzerbrechlichem Plastik auf dem Kopf und ein Sauerstoffgerät auf der Brust. Dünne, griffige Nylonseile wanden sich um die Schultern – er trug eine Energiewaffe am Gürtel. Die Hände steckten in Lederhandschuhen, die bis zu den Ellenbogen reichten.

Aston Kyler, der Imperiumsforscher, sah ähnlich aus. Er hatte auf die Jacke verzichtet und trug stattdessen eine schwarzlederne Weste mit großen Taschen, in denen sich Mikrokamera, Blitzgerät und Funkanlage befanden. Das Zweitgerät stand unter einem Sonnensegel neben dem Tempel. Auf einem Feldstuhl hockte Wayman, der Robotmechaniker, und drehte an den Abstimmungsknöpfen. Aston zählte laut bis zehn und streifte sich seine Handschuhe über die Finger. Garry nickte ihm zu.

»Gehen wir?«

»Von mir aus, sofort. Bist du klar?«

»Völlig.«

Garry trug die gleiche Kleidung wie der Imperiumsforscher. Nacheinander griffen die Männer zu den Pickeln und ließen sich über den Rand der aufgeklappten Schachtanlage in die Tiefe. Eine schmale Treppe begann unter dem viereckigen Loch.

»Der Empfang ist ausgezeichnet – bitte erzählt uns sofort, wenn ihr etwas Besonderes erlebt.«

Garry, der als letzter einstieg, winkte mit dem Pickel zu Doug zurück. Dann waren sie verschwunden. Nur der Widerschein ihrer Gürtellampen geisterte durch den Schacht, über den sich Andreatta gebeugt hatte. Er klopfte sich Sand von den Hosen und ging zu Doug hinüber. Aus dem Lautsprecher erklang das Geräusch der vorsichtigen Tritte der drei Forscher. Sand knirschte in den hochempfindlichen Mikrophonen.