Chary lernt wieder lachen - Britta Frey - E-Book

Chary lernt wieder lachen E-Book

Britta Frey

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Beschreibung

Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! »Hanna! Herzlich willkommen in Berlin! Wie schön, dich zu sehen!« Rieke, eigentlich Frederike von Schweikart, siebenundzwanzig Jahre alt und bildschön, umarmte Doktor Hanna Martens herzlich. Die beiden Frauen kannten sich durch ihren Bruder Kay Martens und mochten sich sehr. »Hallo, Rieke! Ich freue mich so, dich wiederzusehen! Ich bin schon gespannt, dein Atelier zu sehen, und komme mir vor, als ob ich die Schule schwänze!« Rieke lachte und zog Hanna in die Wohnung, die ihr, der Malerin, gleichzeitig als Atelier diente. »Du meinst, weil die Kinderklinik Birkenhain einmal ein paar Tage ohne dich auskommen muß? Wie ich Kay kenne, wuppt er das schon! Vergiß mal alles, streich Ögela einfach aus deinem hübschen Kopf und genieße Berlin!« »Ja, ich werde mich bemühen. Allerdings muß ich erst einmal zu Hause anrufen und melden, daß ich gut an gekommen bin. Das habe ich versprochen, lach nicht so frech!« »Schon gut, Liebes, Telefon ist da hinten! Grüß deine Mutter und Kay schön von mir. Komm, gib mir deinen Koffer! Oh, ist der schwer, hast du ein paar Steine darin?« »Nein, ich habe ein paar hübsche Kleider mit, damit du dich mit mir nicht schämen mußt hier in der Großstadt.

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Kinderärztin Dr. Martens – 91 –Chary lernt wieder lachen

Hanna Martens war ihr rettender Engel

Britta Frey

»Hanna! Herzlich willkommen in Berlin! Wie schön, dich zu sehen!«

Rieke, eigentlich Frederike von Schweikart, siebenundzwanzig Jahre alt und bildschön, umarmte Doktor Hanna Martens herzlich. Die beiden Frauen kannten sich durch ihren Bruder Kay Martens und mochten sich sehr.

»Hallo, Rieke! Ich freue mich so, dich wiederzusehen! Ich bin schon gespannt, dein Atelier zu sehen, und komme mir vor, als ob ich die Schule schwänze!«

Rieke lachte und zog Hanna in die Wohnung, die ihr, der Malerin, gleichzeitig als Atelier diente.

»Du meinst, weil die Kinderklinik Birkenhain einmal ein paar Tage ohne dich auskommen muß? Wie ich Kay kenne, wuppt er das schon! Vergiß mal alles, streich Ögela einfach aus deinem hübschen Kopf und genieße Berlin!«

»Ja, ich werde mich bemühen. Allerdings muß ich erst einmal zu Hause anrufen und melden, daß ich gut an gekommen bin. Das habe ich versprochen, lach nicht so frech!«

»Schon gut, Liebes, Telefon ist da hinten! Grüß deine Mutter und Kay schön von mir. Komm, gib mir deinen Koffer! Oh, ist der schwer, hast du ein paar Steine darin?«

»Nein, ich habe ein paar hübsche Kleider mit, damit du dich mit mir nicht schämen mußt hier in der Großstadt. Wo ich doch vom Dorf komme, sozusagen!«

Rieke stieß Hanna liebevoll in die Seite.

»Das sieht man dir nicht an, also brauche ich nichts zu befürchten. Aber im Ernst, alle sind schon sehr gespannt auf dich. Ich habe ein großes Atelierfest geplant für morgen, damit du meine Freunde kennenlernst.«

»Herrlich! Ich komme mir ganz komisch vor, keine weißen Kittel weit und breit!«

»Nein, höchstens solche mit Farbflecken! So, dann telefoniere du endlich, damit deine Lieben beruhigt sind. Ich bringe den Koffer in dein Zimmer. Es ist da, neben meinem Schlafzimmer, das Bad ist gegenüber, aber das zeige ich dir dann alles.«

Hanna nickte und ging zum Telefon hinüber, während Rieke ihren Koffer verstaute.

Sie wählte und wartete, bis im fernen Ögela, dem hübschen kleinen Dorf in der Heide, der Hörer abgenommen wurde.

»Hier bei Doktor Martens, Rilla!« meldete sich die energische Stimme ihrer Haushälterin Jolande Rilla, die längst zur Institution geworden war im Doktorhaus.

»Tag, Füchsin, hier ist Hanna. Ich bin gut angekommen. Alles in Ordnung zu Hause?«

»Hanna! Ja, alles bestens. Warte, ich hole deine Mutter an den Apparat, sie wollte unbedingt mit dir sprechen, wenn du anrufst!«

Die Füchsin, so genannt wegen ihrer feuerroten Haare, rief nach Bea Martens, der Mutter von Kay und Hanna. Sie lebte seit über einem Jahr bei Hanna, nachdem ihr Mann, ebenfalls Arzt, gestorben war.

»Hanna, mein Liebes! War die Fahrt schön? Geht es dir gut? Was macht Rieke?«

»Ja, ja, und Rieke geht es fabelhaft«, beantwortete Hanna die Fragen ihrer Mutter lachend. »Es ist herrliches Wetter hier, ich freue mich schon auf Berlin. Morgen veranstaltet Rieke ein Fest für mich, damit ich ihre Freunde kennenlerne. Ich bin schon sehr gespannt. Und bei euch alles in Ordnung? Kommt Kay klar ohne seine tüchtige Schwester?«

»Na warte, wenn ich ihm das erzähle, daß du daran zweifelst! Das würde sein Selbstbewußtsein aber mächtig untergraben! Nein, es ist alles okay, mein Liebes. Genieße die freien Tage nach Kräften! Du hättest längst mal wieder einen richtigen langen Urlaub machen sollen!«

»Ach, Mama, in Ögela ist es doch wie im Urlaub, das bißchen Klinikalltag dazwischen! Aber schon gut, bevor du mir jetzt einen Vortrag hältst, daß ich zuviel arbeite, lege ich lieber auf. Grüß alle schön, auch Rieke läßt grüßen! Bis dahin!«

Lächelnd legte sie den Hörer auf. Ihre Mutter konnte es nicht lassen, um sie und Kay besorgt zu sein. Aber das war wohl das Vorrecht der Mütter!

Sie ging in das ihr von Rieke zugewiesene Zimmer und riß vor Überraschung die Augen auf. Es war ein herrlicher, sonnendurchfluteter Raum, schneeweiß geschlämmte Wände verstärkten die Farben der zwei großen Bilder, die an einer Wand hingen und unverkennbar von Rieke stammten. Ein flaches schwarzrotes Bett, eine elegante schmale Lampe mit schwarzem Lackschirm, ein Lacktischchen neben dem Bett und ein schwarzgoldener Schrank mit Schiebetüren vervollständigten den Eindruck, sich in einer anderen Welt zu befinden.

»Da staunst du, was? Das ist mein japanisches Zimmer, ich liebe es, eigentlich schlafe ich hier immer. Aber jetzt soll es für dich sein, solange du hier bist. Hast du schon einmal auf einem Futon geschlafen?«

Hanna sah auf das Bett hinunter und schüttelte den Kopf.

»Nein, aber es sieht sehr bequem aus. Der Raum ist wunderschön, Rieke! Und natürlich vor allem die Bilder!«

»Ja, ich mag sie auch, deshalb will ich sie auch nicht verkaufen. Ich male ja selten in diesem Stil, aber sie sind mir gut gelungen!«

Hanna packte ihren Koffer aus und ließ sich ein Bad ein. Es war warm draußen, die lange Fahrt hatte sie erhitzt. Als sie jetzt in dem lauwarmen Wasser lag, genoß sie die Stille um sich herum. Sicher, in Ögela gab es oft mehr Ruhe als gewünscht, aber ständig konnte das Telefon sie in die Klinik rufen. Hier war sie ausschließlich privat, brauchte sich vier Tage um nichts zu kümmern, was mit Problemen zu tun hatte! Herrlich, mal so richtig faulenzen zu können!

*

Als Rieke zurückkam, saß Hanna in der Küche auf einem der hübschen, bequemen Korbstühle und hatte einen Kaffee vor sich auf dem Acrylglastisch stehen. Sie stand auf und goß Rieke ebenfalls ein.

»Danke, Hanna, ich sehe schon, du wärest einer der wenigen Menschen, mit denen ich gut zusammenleben könnte. Keine überflüssigen Fragen, du findest dich sofort zurecht. Morgen zeige ich dir die Galerie, mal sehen, wie sie dir gefällt.«

Sie tranken ihren Kaffee zusammen, und Hanna mußte von Ögela und Kay berichten. Dann sprang Rieke auf und teilte mit, daß sie sich schnell umziehen wollte, um mit Hanna dann endlich loszuziehen, ihr ein Stück Berlin zu zeigen.

Als sie zurückkam, trug sie eine schmale schneeweiße Hose, dazu eine Seidenbluse in wilden, starken Farben, die ihr hervorragend stand.

»Oh, siehst du toll aus, Rieke. Da komme ich mir ja richtig provinziell vor!«

Hanna sah an der hellbeigen Leinenhose und dem nougatbraunen Seiden-T-Shirt hinunter.

»Nein, du siehst sehr elegant aus, Hanna. Mit deinen blonden Haaren und deiner hellen Haut darfst du nur zarte Töne tragen. Das unterstreicht deinen Typ. Lachs, Mint, alle Farben, die jetzt modern sind, stehen dir bestimmt hervorragend. Leggings solltest du dir zulegen. Bei deiner Figur sähe es bestimmt umwerfend aus. Dazu lange, lockere Oberteile, doch, ich denke, danach sollten wir morgen mal Ausschau halten. Hast du Lust?«

»Klar! Welche Frau kauft sich nicht gern schicke Sachen? Und wenn ich dann eine so gute Beratung habe! Du kennst dich ja aus mit Farben. Ich bin zu jeder Schandtat bereit!«

Sie lachten sich an, und spontan gab Rieke Hanna einen Kuß auf die Wange. Der Kontrast zwischen den beiden Frauen hätte nicht größer sein können, aber sie verstanden sich wirklich so gut, als wären sie schon ihr Leben lang befreundet.

*

Am Abend suchten sie eine typische Künstlerkneipe auf. Hanna amüsierte sich, als sie den Namen auf dem großen beleuchteten Schild über dem Eingang der Eckkneipe las. »Zum dicken Otto«, stand da in schwarzen, schwungvollen Buchstaben auf gelbem Grund.

»Du wirst gleich verstehen, warum sie so heißt. Otto ist der Besitzer, ein wahnsinnig netter Typ. Er unterstützt die armen Schlucker, die noch nicht das Glück hatten, Bilder oder Skulpturen verkauft zu haben, indem er ihre Bilder in Zahlung nimmt, bis sie genug Geld haben, um sie wieder auszulösen. Dadurch können sie sich durchfuttern bei ihm. Allerdings nimmt er auch nicht jeden unter seine Fittiche. Die, die nur glauben, Künstler zu sein, was bedeutet, bis mittags zu schlafen und dann ein bißchen zu malen, haben bei ihm keine Chance. Er hat echt ein Gespür für Talente!«

Hanna wurde neugierig auf den dicken Otto. Sie fühlte sich zunehmend in eine Phantasiewelt versetzt. Alles hier war laut, ein bißchen schmuddelig, fröhlich. Ögela erschien ihr plötzlich, als sei es zwei Jahrhunderte hinter der Zeit zurück mit den überaus sauberen, gefegten Bürgersteigen, den gepflegten Vorgärten, wo die Tulpen in Reih und Glied standen. Aber jede der beiden Welten hatte ihre Existenzberechtigung. Wer weiß, ob sie es immer aushalten könnte hier.

Lautes Stimmengewirr empfing sie, als sie die Kneipe betraten. Dichte Rauchschwaden hingen unter der Decke, die sparsame Beleuchtung ließ Hanna befürchten, jemanden anzurempeln, als sich jetzt Rieke vor ihr den Weg durch die Leute bahnte. Sie wurde von allen Seiten begrüßt.

»Hallo, Rieke! Komm, setz dich zu uns, hier ist noch ein Plätzchen frei für eine schöne Frau!«

»N’abend, Beppi! Heute sind es zwei schöne Frauen, hoffentlich hältst du das aus!«

Rieke zog Hanna am Arm zu sich heran, damit der mit Beppi Angesprochene sie sah.

»Wow!« entfuhr es ihm anerkennend. Dann schob er die neben sich auf der dunkelgebeizten Eckbank Sitzenden einfach ein Stück weiter und machte so mehr Platz.

»Hanna, darf ich dir Beppi Kranach vorstellen! Kein entfernter Nachfahre des bekannten Malers! Beppi, das ist Doktor Hanna Martens, meine Freundin!«

Eine große, kräftige Hand umschloß Hannas und schüttelte sie ausgiebig.

»Sehr angenehm! Oder sind Sie etwa Kunstkritikerin? Ich meine, wegen des Doktors!«

»Nein, unschuldig! Ich bin Kinderärztin, habe also nichts mit Ihrem Fach zu tun. Darf ich mich dann setzen?« ging Hanna auf seinen Ton ein.

»Aber immer, willkommen in unserem Kreis. Rieke, komm an meine andere Seite. Ich steige gleich im Ansehen, wenn ich so schöne Frauen um mich schare. Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n«, hub er zu singen an.

Rieke stieß ihm in die Seite.

»Komm zu dir, Beppi. Was soll Hanna denken, wo sie hier gelandet ist? Er tut nur immer so, in Wirklichkeit ist er ein lieber, dicker Brummbär.«

Treffend, dachte Hanna. Er sah wirklich aus wie ein Bär. Seine schwarzen, krausen Haare gingen in einen gewaltigen Bart über, der ihm bis auf die Brust hing. Trotzdem wirkte er nicht grobschlächtig, seine Augen waren hellwach, der Mund, sofern man ihn überhaupt erkennen konnte, sensibel.

Die anderen Leute am Tisch, die nur kurz zu ihnen hinübergeschaut und genickt hatten, waren schon wieder in eine laute Diskussion über Impressionismus, eine Stilrichtung der Malerei, wie Hanna wußte, vertieft.

Jetzt kam ein Mann an den Tisch heran. Er wedelte mit einem weißen Tuch einmal über die Tischplatte und grinste breit. Hanna klappte schnell den Mund zu, um sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen. So einen Menschen hatte sie noch nie gesehen.

Er war fast zwei Meter groß, ein wahres Schwergewicht. Seine Oberarme, die wie dicke Säulen und muskelbepackt aus dem T-Shirt herauswuchsen, hatten den Umfang von Hannas Taille, so schätzte sie. Ein Löwenkopf thronte auf einem breiten Hals, umgeben von einer eisengrauen Mähne. Seine blauen Augen waren von tausend Fältchen umgeben, als er sich jetzt sichtlich freute, Rieke zu sehen.

»Rieke, altes Mädchen, sieht man dir och mal wieder! Ick globe, du bist noch scheener jeword’n, wat?« Seine Stimme dröhnte in tiefstem Baß.

»Otto, laß deine Berliner Nummer ruhig weg, Hanna ist meine Freundin aus Ogela, du weißt schon, die Schwester von Kay!«

Jetzt wandte sich Otto, der Wirt, lächelnd an Hanna. Er entblößte dabei eine Reihe makellos weißer Zähne. Sein Händedruck war sanft, erstaunlich sanft für die riesigen Pranken.

»Ich freue mich, dich kennenzulernen, Hanna. Dein Bruder hat uns gut gefallen. Jetzt noch mehr, wo wir nicht mehr befürchten müssen, daß er uns die Rieke abschleppt in die Lüneburger Heide.«

»Guten Abend, Otto. Ich freue mich auch, hier zu sein. Ja, ich hätte Rieke auch gern bei uns gehabt, aber sicher ist es besser so.«

Rieke und Kay hatten sich in Berlin kennengelernt und waren sehr verliebt gewesen. Aber dann hatten sie einsehen müssen, daß ihre jeweiligen Leidenschaften, ihre Berufe, noch stärker waren als ihre Liebe, und sie waren zu guten Freunden geworden.

»Was darf ich euch bringen?«

»Zuerst einmal eine Weiße mit Schuß, damit Hanna sie kennenlernt. Dann später deine Hausmarke, Otto.«

Er grinste und schob im Weggehen die Leute auseinander wie ein Schiff die Bugwellen.

»Na, habe ich dir zuviel versprochen? Das ist der dicke Otto. Er ist unglaublich nett. Stört dich doch nicht, daß er dich einfach duzt?«

»Nein, im Gegenteil, ich fühle mich geschmeichelt, daß ich gleich so selbstverständlich aufgenommen werde hier. Wo ich doch gar kein Künstler bin!«

»Du bist in deinem Beruf eine Künstlerin, liebe Hanna. Und das ist sehr viel schwerer, als ein bißchen Farbe auf eine Leinwand zu tupfen«, antwortete Rieke herzlich.

»Bevor ihr euch jetzt auch noch in die Arme fallt, Rieke, und mir die Tränen kommen, sag mir noch mal, wann es morgen losgeht bei dir. Um acht?«

»Sag bloß, du willst pünktlich sein, Beppi? Das wäre dann neu. Hanna, du scheinst Einfluß auf ihn zu haben. Als er das letzte Mal eingeladen war, kam er morgens um zwei, die anderen Gäste waren schon alle weg. Er sah mich mit seinen großen Teddybäraugen an und meinte treuherzig, er hätte gar nicht auf die Zeit geachtet!«

»Inmitten eines kreativen Schaffensprozesses denkt man nicht an Schrippen und Wein«, antwortete er ernsthaft und brach dann in ein dröhnendes Lachen aus.

»Oh, Beppi, du bist umwerfend. Du mußt dir sein Atelier zeigen lassen, Hanna. Man kann gar nicht glauben, daß er da überhaupt je irgend etwas findet! Aber seine Bilder sind einfach wahnsinnig gut.«

»Ja, komm gern vorbei, Hanna. Die vorlaute Rieke wird dir zeigen, wo es ist. Ich male jeden Tag von acht bis eins und zwei bis sieben.«

Hanna sah ihn erstaunt an, ob er sich vielleicht über sie lustig machte. Aber er nickte nachdrücklich.

»Wenn Rieke auch so tut, als wäre ich chaotisch, Arbeitsstunden habe ist wie ein preußischer Beamter. Sonst schafft man nichts, wenn man nur hin und wieder mal zum Pinsel greift.«

Sie nickte und beobachtete dann, wie Otto sich wieder an ihren Tisch heranarbeitete, um die Berliner Weiße, große bauchige Gläser mit einer hellen Flüssigkeit, durch die sich grüne Spuren zogen, vor ihnen abzustellen.

»Prost, ihr beiden. Ich muß wieder nach vorn. Wenn ihr was wollt, ruft laut, ich komme dann.«

»Danke, Otto. Da, Hanna, probier mal, das Grüne ist Waldmeistersirup. Schmeckt gut.«

Hanna nippte an dem erfrischenden Getränk und trank dann einen großen Schluck.

»Schmeckt gut. Sag mal, Rieke, gibt es viele so urwüchsige Kneipen in Berlin? Ich finde das wirklich hochinteressant hier!«

»Ja, eine Menge, und jede hat ihr eigenes Gesicht. Du wirst noch ein paar sehen, aber Otto ist mein Liebling. Er hat mir damals nämlich sehr viel Mut gemacht, als mir keiner so recht eine Chance gab.«

Sie plauderten und lachten noch eine Weile mit Riekes Freunden, von denen noch einige an den Tisch kamen. Hanna fühlte sich, als gehörte sie dazu, denn keiner behandelte sie als Fremde. Als sie schließlich gingen, leicht angeheitert vom Hauswein des dicken Otto, kam sich Hanna fast in ihre Studentenzeit zurückversetzt vor. In Ögela wäre man erstaunt, sie kichernd und herumalbernd am Arm von Rieke durch die Straßen ziehen zu sehen. Wahrscheinlich würde manch einer indigniert die Nase rümpfen über die Frau Doktor.

*

Am nächsten Tag machten sie Einkäufe, und Rieke zeigte ihr die Stadt. Den Ku’damm, den Alex, das Brandenburger Tor und alle anderen größeren und kleineren Wahrzeichen und Merkmale dieser Weltstadt. Mittags saßen sie in einem Bistro, neben sich prallgefüllte Tüten mit dem Aufdruck namhafter Boutiquen. Hanna hatte richtig zugeschlagen, wie sie fröhlich bemerkte, aber auch für ihre Mutter und Kay eine Kleinigkeit erstanden.

»Mensch, das hat mir richtig Spaß gemacht, mal so ordentlich über die Stränge zu schlagen. Meinst du wirklich, ich sehe gut aus in dem Kleid?«

»Du siehst aus wie eine Femmé fatale«, lachte Rieke. »Für die Klinik ist es freilich nicht geeignet, aber hier wirst du heute abend der Star sein!«

Hanna hatte ein schwarzes, sündhaft teures Seidenkleid erstanden. Es war vorn hochgeschlossen, schmal geschnitten bis zur Wade, hatte hinten aber ein atemberaubend tiefes Dekollete das im Nacken von einer Seidenschleife zusammengehalten wurde. Wirklich ungewöhnlich, aber so schick, daß sie nicht widerstehen konnte. Zum Wohltätigkeitsball der Ögelaer Feuerwehr würde es wahrscheinlich einen Alarm auslösen, dachte sie schmunzelnd. Aber mal so ein bißchen verrucht zu erscheinen, machte ihr Spaß. Schließlich war sie erst Ende Zwanzig. Für graue züchtige Strickkleider war später noch Zeit.

Sie tranken einen Cappuccino, aßen Salat und machten sich dann auf den Heimweg.

Am Nachmittag wollten sie alles für die Party am Abend vorbereiten.

*