Comtesschen - Anny von Panhuys - E-Book

Comtesschen E-Book

Anny von Panhuys

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Beschreibung

„Reiches, gesellig lebendes Ehepaar sucht jüngere Dame von gutem Aussehen aus adeliger Familie, – tadelloser Ruf Bedingung, – die durch musikalische Vorträge, Deklamationen oder dergleichen Gesellschaften anregend zu gestalten weiß. Die Dame würde als völlig gleichberechtigter Gast eingeladen werden. Hohe Vergütung. Diskretion verlangt und zugesichert." Als Komtesse Ilse Bernow dieses Inserat liest und sich entscheidet, sich zu bewerben, weiß sie noch nicht, worauf sie sich da einlässt. Sie weiß nur, dass sie und ihre Mutter seit dem Tod ihres Vaters vor vier Jahren verarmt sind, dass ihre adelsstolze Mutter nicht will, dass ihre Tochter arbeitet, und dass ihre nervenkranke Mutter dringend eine Sommerreise zur Erholung nötig hat. Das dafür erforderliche Geld will Ilse nun verdienen. In der Tat hat ihre Bewerbung Erfolg, sie erhält den Zuschlag und tritt nun gegen Geld bei den Gesellschaften der reichen Familie Stangen auf. Dabei lernt sie Marie Stangens Bruder, den Baumeister Alfred Bardorf, kennen, und die beiden verlieben sich ineinander. Das Problem: Bardorf darf nichts davon erfahren, dass sie gegen Geld als Gesellschaftsdame arbeitet; er hält sie vielmehr für eine neue Freundin seiner Schwester, die Marie das Leben gerettet hat. Gleichzeitig muss sich Ilse gegen die Avancen des Barons Lurisch erwehren, der sie heiraten will, den sie indessen verabscheut. In ihrer Not wendet sie sich an ihren Onkel Graf Egon, der in den gesellschaftlichen Kreisen sein Inkognito wahrt und sich als Franzose ausgibt. Er beschließt, seiner Nichte zu helfen … Ein vergnüglicher Roman aus den Kreisen des verarmten Adels und der höheren Gesellschaft, wie ihn nur die große Unterhaltungsschriftstellerin Anny von Panhuys zu schreiben verstand!

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Anny von Panhuys

Comtesschen

Roman

Saga

Comtesschen

© 1920 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570333

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

„Du willst mich heute also wirklich nicht zu Tante Hortense begleiten?“ fragte die Gräfin Bernow.

„Nein, Mama, geh bitte allein zu Tante Hortenses Fünf Uhr-Tee, ich habe entsetzliche Kopfschmerzen und will mich ein wenig niederlegen.“ Komtesse Ilse schnitt ein wehleidiges Gesicht.

„Wie du willst, aber es ist schade, dass du nicht mitkommst, denn Baron Lurisch erscheint heute sicher auch.“

Die Gräfin bemerkte nicht, dass Ilse bei der Erwähnung des Namens eine kleine Grimasse schnitt.

„Bald fünf,“ die Aeltere sann einen Augenblick nach.

„Ich werde gegen halb acht wieder zurück sein.“ Sie zog den einfachen englischen Mantel, der über einer Stuhllehne bereit hing, an und setzte den nicht ganz modernen Hut auf das Haar, das so dunkel und kraus wie das Ilses war. Nur um Schläfe und Stirn schimmerten ein paar silberne Fäden.

Sie reichte Ilse die Hand. „Adieu, Kind, verschlaf also dein Kopfweh“ — —

Kaum hatte das kleine fünfzehnjährige Dienstmädchen hinter der Gräfin draussen die Korridortür geschlossen, richtete sich Ilse mit rascher Bewegung auf. Der wehleidige Zug schwand von dem blühenden Mädchengesicht, als hätte ihn eine Zauberhand fortgestreichelt und ein kleines schlaues Lächeln lagerte um den roten Mund.

Sie lauschte einen Augenblick, — der Mutter Schritte verklangen auf der Treppe.

Komtesse Ilse nickte ein paarmal vor sich hin, als wollte sie sich eine stumme Frage bejahen, dann holte sie aus ihrem Taillenausschnitt einen Brief. Ein grosses, elegantes Kuvert mit eingeprägtem Phantasiewappen. Im Zimmer duftete es plötzlich nach Ylang-Ylang und Ilse roch ein paarmal an dem Kuvert. Ein bischen aufdringlich fand sie das Parfüm und das Papier zu protzig. Das Kuvert trug nur eine Chiffreadresse und Ilse betrachtete lächelnd die Aufschrift: I. B. postlagernd Berlin SW., Postamt 11.

Als sie gestern auf dem Postamt 11 nach einem Brief unter I. B. fragte, hatte ihr der Schalterbeamte mit einem diskreten Lächeln dieses Kuvertungetüm ausgehändigt. Wenn der Beamte geahnt hätte, dass es sich um gar keinen Liebesbrief handelte, sondern beinahe um so etwas wie eine Stellung. Allerdings eine sonderbare Stellung, eine sehr, sehr sonderbare Stellung.

Langsam zog sie den Bogen aus dem Kuvert und las den Brief, den sie seit gestern schon mehrmals gelesen, wieder durch, gleichsam die Worte besser ausprägend:

„Geehrtes Fräulein!

Unter den vielen auf meine Annonce eingegangenen Offerten gefiel mir die Ihrige am besten. Da Sie Ihr Inkognito noch nicht lüften und mir nur mitteilten, dass Sie eine Komtesse sind, und in Ihrem kleinen Bekanntenkreis wegen Ihrer Lieder zur Laute immer viel Beifall erringen, will auch ich mit meinem Namen noch zurückhalten. Um uns kennen zu lernen und eventuell weiteres zu besprechen, bitte ich Sie, sich am Donnerstag Punkt sechs Uhr an der Ecke Königgrätzer- und Leipzigerstrasse vor dem „Fürstenhof“ einzufinden. Sie werden mich leicht erkennen. Ich habe goldblondes Haar und werde ein blaues Tuchkleid mit weissen Verschnürungen und einen weissen Federhut tragen.“

Ilse schwenkte den Brief wie eine Fahne und kicherte übermütig: „Hast ’ne ekliche Pfote, du goldblonde, weissverschnürte blaue Tuchkleiddame!“

Dann wurde sie plötzlich ernst und überlegte, ob sie nicht vielleicht im Begriffe stand, eine grosse Dummheit zu begehen.

Sie musste doch noch einmal die Annonce durchlesen, die den Anlass dazu gegeben, dass sie sich gestern den postlagernden Brief holen konnte.

Aus dem einen Kasten ihres am Fenster stehenden Schreibtisches kramte sie ein Zeitungsblatt heraus und es vor sich auf die Platte legend, glättete sie es mechanisch, während ihre Augen suchend über die Spalten irrten.

Halt, da war’s.

Die Annonce musste ja auffallen, so fett war sie gedruckt.

„Reiches, gesellig lebendes Ehepaar sucht jüngere Dame von gutem Aussehen aus adeliger Familie, — tadelloser Ruf Bedingung, — die durch musikalische Vorträge, Deklamationen oder dergleichen Gesellschaften anregend zu gestalten weiss. Die Dame würde als völlig gleichberechtigter Gast eingeladen werden. Hohe Vergütung. Diskretion verlangt und zugesichert.“

Die Zeitung verschwand wieder im Kasten, dann zerriss Ilse den Brief sorgfältig in kleine Fetzen und warf sie in den Papierkorb.

Sollte sie der Aufforderung Folge leisten oder nicht? Ein grüblerischer Zug legte sich um Ilses Lippen. — Gott, was riskierte sie denn? Nichts, gar nichts! Wenn ihr die Dame nicht gefiel, dann brauchte sie ja auch nicht auf sie zuzugehen. An der Ecke der Leipziger- und Königgrätzerstrasse herrschte ja gerade um die angegebene Zeit solch lebhaftes Treiben, dass sie sich die betreffende Dame in aller Ruhe ansehen und je nach dem Resultat des Eindrucks, den sie ihr machen würde, ihren Entschluss fassen konnte.

Ja, sich die Dame ansehen wollte sie auf jeden Fall, denn sonst hätte sie der Mutter ja gar nicht den Kopfschmerzschwindel vorzumachen brauchen. Dann hätte sie die Mutter zu Tante Hortense begleiten und deren Fünf Uhr-Tee-Gästen Lieder zur Laute vorsingen können.

Sie nahm ihr bestes Kleid aus dem Schrank und schlüpfte hinein. Fix und fertig zum Ausgang trat sie dann noch einmal vor den Spiegel hin und sah prüfend in das klare Glas.

In den blauen Augen, die so seltsam zu dem dunklen Haar kontrastierten, glomm ein Leuchten auf. Zufrieden sah Komtesse Ilse ihr Spiegelbild an. Hübsch war sie, sehr hübsch.

Schade, dass ich ein armes Komtesschen bin, dachte sie seufzend, aber gleich lächelte der kleine Mund wieder. Wenn man so jung und so hübsch ist, hat man keinen Grund traurig zu sein, auch wenn man ein armes Komtesschen ist.

Ilse verliess das Zimmer.

Leichtfüssig stieg sie die drei Treppen hinunter und ihre Hacken klappten mutwillig, da die kleinen Füsse über den Hof schritten, der das sogenannte Gartenhaus vom Vorderhaus trennte.

Seit vier Jahren wohnten Mutter und Tochter schon in dem Gartenhaus der Lützowstrasse. Seit vier Jahren, seit Graf Bernow gestorben war.

Ilse verlangsamte ihren Schritt und schlenderte wie eine müssige Spaziergängerin dahin. Sie befand sich ja dicht am Ziel. Sie äugte scharf umher und wiederholte sich in Gedanken: Goldblondes Haar, weissverschnürtes blaues Kostüm, weisser Federhut. Doch keine Dame, auf die diese Beschreibung passte, wollte sich zeigen. Aber auf der Uhr am Potsdamer Bahnhof fehlten ja auch noch reichlich fünf Minuten an der angegebenen Zeit.

Um diese Zeit hatte Ilse sonst keine Gelegenheit hierherzukommen, und das Leben und Treiben interessierte sie. Ein paar vorübergehende junge Mädchen erregten jetzt ihre Aufmerksamkeit und Ilse dachte, es müsse wohl hübsch sein, sich so kleidsam und vornehm anziehen zu können. Früher konnte sie das auch. Ihre Mundwinkel bogen sich herbe abwärts. Ja, früher, als Papa noch lebte und sie in dem schönen Frankfurt am Main wohnten. Früher. — Jetzt dagegen? — Jetzt war sie ein armes Komtesschen, das mit der Mutter im dritten Stock eines Gartenhauses residierte und das hier auf und ab flanierte, um eine Dame zu treffen, deren Gesellschaften sie durch Lautenspiel und Gesang beleben wollte, um sich vielleicht dadurch eine kleine Summe zu verdienen, damit die Mutter diesen Sommer einige Wochen aus dem grossen Berlin herauskonnte. In irgend einen hübschen nahegelegenen Luftkurort. Der Doktor meinte, das sei höchst notwendig, da die Nerven der Mutter sehr angegriffen seien. Tante Hortense dagegen erklärte einen Sommeraufenthalt für Luxus, trotzdem sie selbst während der heissen Zeit immer dem Häusermeer der Metropole entfloh. Aber Tante Hortense war wohlhabend, sie dagegen mussten mit jedem Pfennig rechnen, dachte Ilse bitter. Ilse bat die Mutter, doch in eine Kleinstadt überzusiedeln. Davon wollte die aber nichts hören. Sie war zu sehr an den Umgang mit ihrer Schwester gewöhnt, bangte sich auch vor den Umzugskosten. „Wir dürfen unser kleines Kapital nicht angreifen“, war ihre ständige Rede, „weder für einen Umzug noch für eine Sommerreise“. So hatte sich denn schon seit längerer Zeit in Ilse Bernows Kopf die Idee festgesetzt, auf irgend eine Art zu versuchen, sich wenigstens soviel zu erwerben, dass es für eine einfache Sommerreise reichte. Die Mutter erlaubte leider nicht, dass sie sich als Verkäuferin oder Gesellschafterin einen Broterwerb suchte.

Ilse spottete manchmal gutmütig über den Adelsstolz der Mutter, aber oft litt sie darunter, sie hätte sich so gern betätigt wie so viele junge erwerbende Mädchen. Der Titel „Komtesse“ würde sie dabei nicht gestört haben, den konnte sie ja wegpacken, beiseite legen.

Plötzlich hörte Ilse die Stimme einer Vorübergehenden sagen: Es ist gerade sechs! Da fiel es Ilse wieder ein, weshalb sie eigentlich hier auf und abspazierte. Ihre Augen suchten, um sich dann fast erschreckt an einer dicken kleinen Dame festzusaugen, die direkt an der Ecke Posto gefasst hatte und nun mit ihren kleinen zwinkernden Augen Umschau hielt. Goldblondes Haar, das eigentlich mehr auf die Farbe kanariengelb Anspruch erheben konnte, wand sich in kunstvollem Bau unter einem kecken weissen Seidenhut hervor, um den sich zwei breite köstliche Straussenfedern schlangen. Den dicken eingeschnürten Körper umhüllte ein knappsitzendes blaues Jackettkleid, das überreich mit weissen Schnüren verziert war. Jetzt hob die dicke, weissbehandschuhte Rechte eine Lorgnette vor die Augen und in dem breiten unschönen Gesicht prägte sich eine gewisse gemütliche Neugier aus.

Das musste sie sein, die Dame, die sie hierher bestellt hatte.

Ilse war unschlüssig. Die fast lächerlich auffallende Kleidung wollte sie schon veranlassen zu gehen, doch das gutmütige Gesicht lockte sie näher. Ilse dachte an die hohe Vergütung, die in der Annonce versprochen wurde und plötzlich, beinahe gegen ihren Willen, ging sie auf die kleine Dicke zu, die ihr mit freundlichem Erstaunen entgegensah.

„Komtesse?“ klang eine fragende Stimme an ihr Ohr.

Ilse neigte den Kopf und ein einziger Blick in das unendlich gutmütige Gesicht sagte ihr, dass sie ruhig ihr Inkognito fallen lassen könnte. „Ich heisse Komtesse Bernow, Ilse von Bernow.“

Die Dicke nickte lächelnd. „Wer ich bin, will ich Ihnen auch jleich erzählen, drinn’ bei Aschingern, wir trinken doch ’n Tässchen zusammen, nicht wahr, Komtesse?“ Ein dicker Arm schob sich unter Ilses Arm und dirigierte sie, ohne erst eine Antwort abzuwarten, in das Café.

„Jott, wie voll das ist, nicht wahr, Komtesse?“ Die kleine, allzumollige Frau führte Ilse durch das sehr besetzte Lokal. Das Wort „Komtesse“ sagte sie auffallend laut. Ein paar Leute sahen auf Ilse. Es war ihr peinlich. Die Dicke dagegen strahlte. Im Damenzimmer fand sich noch ein kleiner Tisch. „Kommen Sie, Komtesse, hier machen wir’s uns bequem.“ Sie winkte dem Kellner. „Wir trinken Kaffee, was essen Sie dazu, Komtesse?“

„Dasselbe wie Sie, gnädige Frau, wenn es Ihnen recht ist,“ antwortete Ilse und dachte, wenn die andere nur nicht jeden Satz mit dem Wort „Komtesse“ schliessen wollte.

Bald standen Kaffee und Kuchen auf dem Tisch und die goldblonde Frau, die ungefähr Ende der Vierzig sein mochte und deren Gesicht von nahem ziemlich verfaltet aussah, langte ordentlich zu.

„Mir schmeckts immer,“ erklärte sie und lächelnd setzte sie hinzu: „Ich jlaube, Ihnen schmeckts nicht immer, Komtesse, sonst wären Sie nicht so mager. Aber eijentlich ists schön, so mager zu sein,“ fuhr sie in ihrer Betrachtung fort, „ich jäbe was drum, wenn ich so ’ne moderne Fijur hätte wie Sie. ’N bisschen mollig war ich aber von jeher, es liejt so in unserer Familie. Ich bin ’ne jeborene Bardorf. Mein Vater hatte das jrosse Möbeljeschäft an der Janowitzbrücke.“

Treuherzig fuhr sie fort: „Vor allem, nun ich weiss, wer Sie sind, will ich mich Ihnen auch vorstellen. Ich bin Marie Stangen und mein Mann, was der Stangen ist, war nach unserer Verheiratung die Kompagnie von unserer Möbelfirma Bardorf und Kompagnie. Vater ist schon lange tot und Stangen hats Jeschäft verkauft. Nu sind wir Privatier, mein Mann, der Stangen, nennt sich lieber Rentier. „Sie bog sich ein wenig vor und meinte: „Seit es mit dem Jeschäft aus ist, langweilen wir uns jrässlich und da leben wir, um uns zu amüsieren und die Zeit hinzubringen, sehr jesellig. Wir haben ’ne Masse Bekannte, noch von früher, von der Möbelfabrik her.“ Sie bog ihren Kopf noch näher und nach einem Blick auf die Nachbartische verfiel sie in einen Flüsterton: „Ich habe eine Bekannte, eine jewisse Frau Zengler, bei der ist auch immer was los, ich meine, sie lädt viel ein, macht ein Haus, wie man so sagt. Und die Frau Zengler kennt nun ein Fräulein von Stein, die deklamiert sehr schön, und vorijen Winter habe ich mich immer darüber jeärjert, was die Zenglers mit dem blassen Rotkopf für’ Wesen machen, bloss weil sie adlig ist. Ja, über die Zenglern und ihr Fräulein von Stein habe ich mich ordentlich jefuchst und immer dachte ich drüber nach, ob ich nicht auch so ’ne Bekanntschaft machen könnte. Mein Mann, was der Stangen ist, hat mich ausjelacht und jejagt,“ — sie brach plötzlich ab und füllte die kleine Verwirrungspause durch ein Hüsteln aus. Beinahe hätte sie der hübschen Komtesse wiederholt, was ihr Mann gesagt hatte. Und das ging doch nicht. Sie konnte doch der Komtesse nicht erzählen: Mein Mann hat gesagt, wenn du so’n Adelrappel hast, dann miete dir doch so was Adliges als Dekorationsstück. Für Geld kann man ja heutzutage alles haben! Und dass diese Worte ihres Mannes ihr zuerst den Gedanken an die Annonce eingegeben, nein, darüber wollte sie auch schweigen, umsomehr, da nicht einmal ihr Mann etwas von der Annonce wusste, zu der er doch eigentlich den Anlass gegeben.

Das Hüsteln war vorbei, Frau Stangen entschuldigte sich: „Der Atem ist mir in die falsche Kehle jekommen.“ Und dann rückte der Kopf wieder näher: „Und als mein Mann mir nicht helfen konnte, er kennt ja auch bloss Bürjerliche, da fiel mir ein: Versuche es mal mit ’ner Annonce.“ Ihre Hand machte eine bezeichnende Bewegung: „So ’nen Stoss Offerten habe ich mir von der Expedition abjeholt.“ Sie lachte: „Ein paar Ulkbriefe waren auch dabei. In dem einen stand z. B. eine japanische Prinzessin sei jerne bereit, meine Jesellschaften durch Seiltanzen zu verschönern.“

Ilse musste gleichfalls lachen.

„Aber die meisten Offerten waren ernst und die von Ihnen hat mir am besten jefallen.“ Die kleinen harmlos gutmütigen Augen musterten Ilse gönnerhaft.

„Das freut mich, gnädige Frau,“ weiter wusste sie nichts zu erwidern. Sie fühlte sich bedrückt, denn nun würde die Dicke sicher alle möglichen persönlichen Fragen tun.

Doch sie hatte das Zartgefühl der goldblonden Frau Stangen unterschätzt. „Was nun zwischen uns zu besprechen ist, das besprechen wir am besten bei mir,“ sagte sie eben freundlich, „besuchen Sie mich.“ Sie ward wieder lauter. „Ich wohne Kurfürstendamm.“ Sie holte aus ihrem goldenen Handtäschchen eine Visitenkarte. „Damit Sie meine Adresse haben.“

Ilse dankte und steckte die Karte nach flüchtigem Blick in den selbstgehäkelten Pompadour, den sie am Arm trug.

„Nachmittags bis fünf bin ich in den nächsten Tagen immer zu Hause, Komtesse.“ Sie rief den Kellner und zahlte.

Draussen fragte Frau Stangen, wo Ilse wohne und als die Strasse und Nummer nannte, meinte sie: „Da bummeln wir noch ein Stückchen durch die Potsdamerstrasse zusammen, Komtesse.“ Und ungeniert hängte sie sich wieder an Ilses Arm.

Die ergab sich resigniert in ihr Schicksal, die dicke Frau Stangen war ihr doch, trotz ihres auffallenden Aussehens und der häufigen lauten Anrede „Komtesse“ sympathisch. Es ging von ihr ein Hauch von warmer Menschenfreundlichkeit aus und von gesundem starken Frohsinn.

„Meine Mama hat keine Ahnung, dass ich mich auf die Annonce gemeldet habe, ja, sie hat die Annonce nicht einmal gesehen,“ begann Ilse stockend.

„Ach, Komtesse, wir sinnen uns einen kleinen Schwindel aus. Mein Mann, was der Stangen ist, braucht auch nicht zu wissen, wie ich Komtesschen kennen lernte. Dass Sie sich Jeld verdienen wollen, ist ja keine Schande, aber es jeht in diesem Fall keinen was an als uns beide janz allein.“

„Mama hindert mich, durch Arbeit Geld zu erwerben,“ sagte Ilse einfach, „Mama ist sehr adelsstolz und unser Vermögen ist nur klein.“

Die Sprechende fühlte einen festen Druck an ihrem Arm: „Lassen Sie, Komtesse, kein Jeld zu haben, schändet nicht. Von Ihrem Zuhause erzählen Sie mir, wenn Sie zu mir kommen, ja? Uebrigens fällt mir da jleich ein kleiner Schwindel ein.“ Die Dicke lachte vergnügt. „Wir wollen janz einfach sagen, ich hätte am Potsdamer Platz über den Damm jehen wollen und Sie hätten mich im letzten Augenblick vor einem Auto zurückjerissen.“

Sie blickte Ilse triumphierend an.

„Aber, gnädige Frau, die Lüge wäre doch wohl zu gross, dadurch würde ich ja zur Lebensretterin.“

„Nu, das ist doch famos und riesig jlaubwürdig. Erzählen Sie das Ihrer Mama, der Frau Gräfin, und sagen Sie ihr, ich käme Sie morjen besuchen. So’n Dankbesuch, wissen Sie. Das andere findet sich dann schon.“ Sie strahlte. „Meinem Mann, was der Stangen ist, mache ich dasselbe vor. Also ich komme morjen. Ich lotse Sie dann schon raus, Komtesse. Und wenn Sie so schön singen und spielen können, wie Sie aussehen, dann bin ich sehr zufrieden. Dann muss die dumme Zenglern janz still werden und mit der ewigen Renommiererei von dem Fräulein von Stein aufhören.“

Ilse ward angst und bange bei dem Gedanken, dass Frau Stangen zu ihnen kommen wollte. Mama würde schöne Augen machen, wenn die dicke goldblonde Dame erschien.