4,99 €
Die Reise der Kinder der Engel erreicht ihren Höhepunkt … Flo, Miriam und Daniel tun ihr Bestes, die Welt vor einem Krieg der Wandler zu bewahren, den diese vermutlich nicht überstehen würde. Doch plötzlich taucht eine neue Mitspielerin auf und verlangt ihre Unterstützung. Wer ist diese Bell, und warum ist sie gekommen? Ist es überhaupt möglich, den Krieg aufzuhalten? Und falls nicht – gelingt es, zumindest die Welt der Menschen vor der Vernichtung zu schützen? Flo, Miriam und Daniel sehen sich immer mehr genötigt, am Ende doch noch das ultimative Opfer bringen zu müssen … Dämonentraum ist der letzte Teil der abgeschlossenen Fantasy-Trilogy Die Kinder der Engel.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhalt
Prolog
Kapitel 1: Bell – Einbruch
Kapitel 2: Daniel – Schadensbegrenzung
Kapitel 3: Florian – Von Ringen und Herren
Kapitel 4: Miriam – Wissen und Nicht-Wissen
Kapitel 5: Daniel – Aufräumarbeiten
Kapitel 6: Bell – Planen und suchen
Kapitel 7: Florian – Hoffnung
Kapitel 8: Miriam – Glockenklang
Kapitel 9: Bell – Countdown
Kapitel 10: Florian – Vaterfreuden
Kapitel 11: Daniel – Fragen und Antworten
Kapitel 12: Miriam – Auf zum Opfer
Kapitel 13: Florian – Allmacht
Kapitel 14: Daniel – Endspiel
Epilog: Miriam – Schöne Neue Welt
Anhang
Sie hasste diese Welt. Sie hasste ihre Verluste, und sie hasste, hasste Treppenstufen. Warum musste er sich ausgerechnet hier oben befinden? Ausgerechnet hier?
Vorsichtig kletterte sie aus dem Fenster – verboten, das wusste sie schon, aber was machte es – und bahnte sich ihren Weg hinüber, sich an jeden Vorsprung krallend, den sie finden konnte. Er wusste, dass sie näherkam. Aber man sollte bloß nicht denken, dass er ihr half.
Endlich hatte sie ihn erreicht und lehnte sich gegen ihn. Die Wand hinter ihr war steil, der Abgrund vor ihr riesig, und wenn nur irgendjemand auf die Idee kam, hier hochzuschauen, würde es bestimmt einen Riesenauflauf geben.
„Du solltest nicht hier sein“, sagte er leise.
Oh, wirklich? hätte sie fast böse geantwortet. Aber bei ihm war Sarkasmus nie von Nutzen.
„Ich mag deine Welt nicht“, sagte sie bockig.
Er seufzte tief.
„Meine Welt“, flüsterte er, über die hunderten Dächer starrend, mit all diesen Fremden darin, „meine Welt war anders ...“
Bell wollte nicht hier sein.
Und wenn sie schon hier sein musste, dann wollte sie zumindest nicht einbrechen, da war sie sich ganz sicher. Aber sie hatte nicht die Leitung dieser Operation. Nein, die Leitung oblag Peter, und der fand es ganz offenbar richtig, in ein Haus einzusteigen, nachdem auf das Klingeln wieder einmal niemand reagiert hatte. Sie zupfte ihn am Ärmel.
„Wenn keiner hier ist“, flüsterte sie, „warum wollen wir dann hinein?“
„Weil es immer gut ist, sein Gegenüber zu kennen, Schätzchen“, sagte Maggie und schob sie zurück, „jetzt sei still. Er hat das Schloss gleich offen.“
Bell fragte sich, ob es vernünftig gewesen war, ausgerechnet diese Drei als ihre Beschützer auszuwählen. Gut, sie brauchte Schutz, sie wusste das. Maggie hatte ihr das noch einmal ganz deutlich gemacht. Und ja, sie war auch dankbar, dass Paul neben ihr stand, mit all seinem Wissen über diese Kreaturen, dass Peter so ein kräftiger Kerl war, und Maggie so rasch mit ihren Messern.
Aber eigentlich wollte sie nur wieder nach Hause.
„Drin“, murmelte Peter, „na los. Schauen wir uns mal um. Seid leise!“
Bell rollte insgeheim die Augen. Entweder es war niemand da, dann brauchte man auch nicht leise sein, oder es war jemand da, dann hätten sie besser an der Tür gewartet.
„Warum können wir nicht wiederkommen, wenn sie da sind?“, wisperte sie, „vielleicht haben sie einfach unsere Nachrichten noch nicht gelesen!“
„Dies sind keine normalen Leute, Schätzchen“, antwortete Maggie leise, „sie sind gefährlich, und sie sind mächtig. Sie können uns helfen, aber sie können es genauso gut lassen. Also wäre es besser, wenn wir etwas über sie wissen, was sie dazu ...“
Sie brach ab, und Bell sah erschrocken auf.
Über den Hintereingang waren sie in das Haus gekommen, in einen Raum mit großen Fenstern, in dem sich ein paar Trainingsgeräte befanden, offenbar gut benutzt. Eben noch war er völlig leer gewesen, doch jetzt stand ein Junge auf dem Treppenabsatz nach oben – ein blonder, schlanker Junge in hellen, weichen Kleidern. Seine himmelblauen Augen glitten einmal über die Truppe und landeten, wie von einem Magneten angezogen, auf ihr, Bell.
Sie gab ein kleines Quieken von sich. Maggie schob sie sofort hinter ihren Rücken.
„Besucher!“, sagte der Junge und lächelte breit, „wie ungewohnt! Was führt euch zu uns?“
Einen Moment war es still.
„Verzeiht die Störung“, antwortete Peter dann zu Bells Erstaunen, „wir dachten, niemand sei da.“
„Ah, ja“, meinte der Junge freundlich, „ein verständlicher Irrtum. Und warum dachtet ihr, ihr kommt trotzdem herein?“
Bell riskierte einen Blick. Etwas war seltsam an seiner Stimme, etwas ging von ihm aus, diesem hübschen Gesicht, diesen so jungenhaften Zügen ... Sie runzelte ihre Stirn. Seine Augen landeten wieder auf ihr, wie angezogen, und sie wich rasch zurück.
„Nichts für ungut“, meinte Peter, „wir wollten uns nur ein wenig umschauen. Wir wollten nichts stehlen, lediglich ... Informationen sammeln.“
Informationen sammeln? War es richtig, dass Peter dies verriet? Bell mochte ja wenig Ahnung von der Einbrecherei haben, aber wäre es nicht schlauer gewesen, wegzulaufen? Sie sah scheu zu Maggie hin, doch diese starrte nur den Jungen fasziniert an. Paul hatte sogar ein kleines, bewunderndes Lächeln auf den Lippen.
„Informationen über uns?“, sagte der Junge, Erstaunen in der Stimme, „warum denn?“
Das schien Peter in die Bredouille zu stürzen.
„Es ist immer gut zu wissen, mit wem man es zu tun hat“, ließ sich Maggie zu Bells Verblüffen vernehmen, gar nicht so hart und heftig, wie sie sonst war, sondern ... freundlich?
„Ihr habt mit uns zu tun?“, hakte der Junge lächelnd nach.
„Noch nicht“, erklärte Peter, „aber wir haben eine Bitte ...“
Hier stimmte etwas ganz und gar nicht! Bell vergaß ihre Angst, ihre Schüchternheit, und machte einen großen Schritt nach vorne.
„Du!“, sagte sie empört und wedelte mit ihrer Hand in Richtung des Jungen, „du tust etwas mit ihnen! Hör sofort auf, das mit meinen Freunden zu machen!“
Die himmelblauen Augen erfassten sie, und ihr wurde schlagartig klar, dass sie vor ihren Beschützern stand, und dass dieser Junge, wenn er hier wohnte, wohl einer der war, die Maggie als mächtig und gefährlich eingestuft hatte. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um nicht wieder zu quieken.
„Na“, sagte der Junge, „du bist aber was ganz Interessantes!“
„Iiek“, machte Bell und wollte Schutz hinter Peters breitem Rücken suchen. Der drehte sich zu ihrem Erstaunen weg und musterte sie tadelnd.
„Bell“, meinte er, „sei doch bitte höflich zu ...“ Er sah wieder hinauf, und nun schien auch ihm zu dämmern, dass hier etwas nicht stimmte. Sein Gesicht verfinsterte sich.
Der Junge strahlte ihn an.
„Verzeihung“, sagte Peter.
Am oberen Ende der Treppe öffnete sich eine Tür. Ein zweiter Junge, kräftiger und größer, mit braunen Haaren, kam herunter, gefolgt von einem schlanken Mädchen mit einem langen, dunklen Zopf.
„Flo?“, sagte sie irritiert, „was ist los?“
Der blonde Junge machte eine weitausholende Geste zu ihnen hinunter.
„Seht doch selbst“, sagte er freundlich, und dann setzte er sich in Bewegung, kam die restlichen Stufen hinab und blieb direkt vor Bell stehen, als ob Peter kein bulliger, drohender Riese mit Piercings wäre, als ob Maggie nicht ein Messer an ihrem Gürtel stecken und Paul eine Pistole im Schulterhalfter hätte. Er stellte sich genau vor sie, senkte seinen Kopf auf ihre Höhe und wiederholte nachdenklich: „Du bist aber wirklich interessant.“
Bell konnte nicht einmal mehr ein Quieken von sich geben.
„Und du hast Angst“, sagte der Junge selbstvergessen, streckte eine Hand aus und fuhr ganz leicht über ihre Haare, „ich frage mich, wieso fürchtest du dich vor mir?“
„Flo“, sagte der andere Junge ärgerlich und schob ihn beiseite, „hör auf, sie zu verschrecken. Sie ist ja winzig! Hey, du! Wer bist denn du?“
Sie hatte drei Bodyguards. Sie hatte drei Bodyguards um sich herum, und keiner tat etwas! Wieso tat denn keiner was? Auch das Mädchen war jetzt hinabgekommen, und der Junge namens Flo legte seinen Arm um sie.
„Seht ihr, was ich sehe?“, fragte er amüsiert, „na, Daniel? Was ist sie?“
Daniel war also der Name des anderen, der, welcher sie jetzt musterte, als ob sie ein Fabelwesen wäre, als ob er wüsste ... Seine Augen waren schokobraun und ganz tief. Sie starrte hinein und glaubte sich zu verlieren. Sie vergaß sogar ihre Angst darüber. Da war etwas in ihm, in diesem Jungen, etwas das unter der Oberfläche tobte und brodelte, etwas das sie berührte ... Diesmal streckte sie ihre Hand aus, und wurde nur daran gehindert, ihn anzufassen, weil er plötzlich einen Schritt nach hinten trat und Peter aus seiner Erstarrung zu erwachen schien.
„Woa“, sagte der Junge namens Daniel, „ich habe keine Ahnung, ehrlich! Miriam?“
Er warf nur einen Blick auf Peter, der Bell plötzlich hinter sich schob, wie er es ja die ganze Zeit schon hätte tun sollen. Das Mädchen mit dem Zopf ignorierte Peter ganz, kam allerdings auch nicht näher.
„Sie ist zumindest nichts, was ich schon einmal gesehen habe“, meinte sie, „wahrlich interessant. Aber wir haben keine Zeit für Ablenkungen. Was tut ihr hier?“
Ihr Tonfall war sachlich, kühl und fordernd, und hatte so gar nichts mit der weichen, singenden Sprache des blonden Jungen zu tun. Es schien auch Maggie und Paul aus ihrer Betörung – ja genau, Betörung! Das war das richtige Wort! – zu reißen und wieder zu sich zu bringen. Sie nahmen unwillkürlich ihre Kampfhaltung an, und Bell verschwand gleich hinter drei Rücken.
„Wir haben ein Angebot“, sagte Peter, „ihr seid Cognitio, Compassio und Conversio, richtig? Wir haben euch bereits ein paar Nachrichten hinterlassen!“
Der Blonde winkte ab.
„Es war ziemlich hektisch in letzter Zeit“, sagte er, „keine Zeit, Briefe zu lesen. Aber weil wir nicht zurückgeschrieben haben, dachtet ihr euch, ihr schaut gleich mal persönlich vorbei?“
„An der Tür hat niemand geöffnet“, sagte Maggie, „der Hintereingang war auf.“
Das war gelogen. Doch anscheinend sagte sie es mit so viel Überzeugung, dass es zu helfen schien. Der Braunhaarige legte den Kopf schief.
„Ich bin Conversio“, sagte er, „aber wer seid ihr? Und was wollt ihr?“
„Wandler seid ihr zumindest nicht“, setzte der Blonde hinzu.
Bell war sich nicht sicher, was Wandler sein sollten. Sie wusste nur, dass sie definitiv keiner war.
„Wir sind Menschen“, sagte Peter, „und wir haben, wie bereits gesagt, ein sehr gutes Angebot für euch. Dies mag euch ungewöhnlich erscheinen, aber ich denke, ihr solltet uns anhören.“
„Ihr seid Menschen“, wiederholte das Mädchen – Cognitio, wenn sich Bell korrekt an Maggies Lehrstunde erinnerte, was aus dem Blonden Compassio machte. Sie sprach nicht fragend, sondern eher erstaunt.
„Woher kennt ihr uns, wenn ihr Menschen seid?“, fuhr sie fort.
Peter richtete sich zu seiner gesamten Größe von eindrucksvollen Zweimeterfünf auf.
„Wir haben Kontakte“, erwiderte er, „es ist viel geschehen in der Welt, und nicht alle Menschen versuchen, die Probleme der Dämonen und ihrer Jäger zu verdrängen. Wir kennen uns aus.“
„Tja“, sagte der Dunkelhaarige, „wenn ihr das wirklich tätet, wüsstet ihr, dass wir das Wort Wandler anstelle von Dämonen und Jäger bevorzugen. Aber vielleicht sollten wir wirklich reden. Wer ist das Mädchen?“
Anders als der Blonde sagte er wer, und nicht was, wofür Bell dankbar war. Sie wagte ein scheues Lächeln. Er lächelte schwach zurück. In ihrer Kehle tat es einen Satz.
„Das Mädchen steht unter unserem Schutz“, erklärte Peter, „unser Auftrag hat mir ihr zu tun. Seid ihr bereit, uns anzuhören?“
Und dann geschah etwas Unglaubliches.
Was sagt ihr? Das war der Blonde, obwohl er nach wie vor lächelte, und seine Lippen sich nicht bewegt hatten.
Keine normalen Halunken, sagte der Braunhaarige, definitiv nicht. Ich glaube, ich will’s hören. Auch sein Mund bewegte sich nicht, und das wusste Bell ganz genau, weil sie darauf gestarrt hatte, auf die vollen, weichen Lippen ...
Nein. Der lange Dürre hat Wandlerblut – der Blonde.
Du hast doch gesagt, es wären keine Wandler? – das Mädchen.
Ich glaube nicht, dass er es weiß – wieder der Blonde.
Und was ist mit der Kleinen? – der Braunhaarige.
So etwas wie sie habe ich noch nie gesehen! – der Blonde.
Ich auch nicht – das Mädchen – etwas stimmt nicht mit ihr.
Sie hatte Angst vor mir – der Blonde.
Du warst ja auch nicht gerade nett zu ihr, Flo – der Braunhaarige, mit spöttischem Unterton.
Ich war nicht anders zu ihr als zu den anderen – der Blonde – und die hatten keine Angst, obwohl sie viel mehr Grund dazu hatten!
Wir sollten uns anschauen, was sie ist – das Mädchen, und auch sie hatte was gesagt. Bell beschloss, sie nicht zu mögen.
Unbedingt – der Braunhaarige – Miriam hat Recht. Sie ist sehr interessant.
Ich kann mir schon vorstellen, was du interessant findest – der Blonde, mit einem Lachen in der Stimme.
Und sie kann uns hören – das Mädchen, warnend.
Bells Kopf war während der ganzen Unterhaltung, die so stumm geführt wurde, hin- und hergeschossen, zwischen den einzelnen Sprechern. Das war ein Fehler gewesen, wie sie jetzt mit Schrecken bemerkte. Außer ihr hatte offenbar keiner gehört, was da gerade passiert war – und sie hätte es anscheinend ebenfalls nicht hören dürfen. Sie wurde vor Entsetzen knallrot.
Das Mädchen räusperte sich.
„Gehen wir nach oben“, beschied sie knapp. Und laut.
Peter nickte. Das Mädchen wandte sich ab, marschierte die Treppe hinauf, und der Blonde folgte ihr, ein maliziöses Lächeln auf den Lippen. Der Braunhaarige – Bell beschloss, ihn in Gedanken Daniel zu nennen, und nicht Conversio – warf ihr noch einen forschenden Blick zu, bevor er sich ebenfalls nach oben begab. Und dann wurde Bell von Maggie die Treppe hinaufgeschoben. Sie war sicher, lieber wieder gehen zu wollen. Obwohl – so ganz sicher war sie nun doch wieder nicht. Der süße Daniel fand sie interessant. Noch besser hätte sie es gefunden, wenn er schön gesagt hätte, aber nun gut, sie war nicht wählerisch.
Im Stockwerk darüber, das aufgrund der Hanglage das eigentliche Erdgeschoss war, befand sich ein großer, offener Wohnbereich. Das Mädchen – Miriam – setzte sich auf eines der Sofas, und der Blonde – Flo – ließ sich neben sie fallen, seinen Arm wieder um ihre Schultern. Daniel hockte sich auf den Rand des Sessels daneben.
„Bitte“, sagte Flo mit einer weiteren Geste, „nehmt doch Platz. Verratet uns, womit wir diese Ehre verdient haben!“
Peter, mit mehr Chuzpe, als Bell jemals haben würde, setzte sich auf das Sofa gegenüber. Sie selbst blieb mit Maggie und Paul lieber dahinter stehen.
„Dies“, sagte Peter mit einer Handbewegung zu ihr, „ist unsere Bell. Sie ist etwas Besonderes, wie ihr ja bereits festgestellt habt, und sie steht unter dem besonderen Schutz der okkulten Sozietät.“
„Der okkulten was?“, unterbrach ihn Flo rüde. Gutes Benehmen schien ja wohl nicht gerade zu seinen Eigenschaften zu gehören.
„Sozietät“, wiederholte Peter, „eine Gemeinschaft, die sich mit dem ... Außergewöhnlichen beschäftigt.“
„Aha“, ließ sich Daniel vernehmen, „ihr meint also, Jäger, und Dämonen, und Engel ...“
Sein Tonfall hatte etwas Geringschätziges, was Paul die Röte in die Wangen trieb und Bell fast dazu gebracht hätte, ihn nicht mehr zu mögen, wenn er nicht ... wenn er nicht so schöne braune Augen gehabt hätte. Mist.
Peter hingegen ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
„So ist es“, meinte er, „es ist eine große Gemeinde. Wir sind in der Vergangenheit oft belächelt worden, doch ich denke, ihr wisst besser als jeder andere, dass Dämonen existieren, und dass es das Außergewöhnliche gibt.“
„Nun“, sagte Miriam, „Dämon ist ein Name. Wir bevorzugen die Bezeichnung Schattenwandler. Es ist eine lange Geschichte, von der ich nicht glaube, dass ihr sie wirklich kennt. Sind Saga unter euch?“
Bell hatte das Wort erst einmal zuvor gehört, und das war nicht in dieser Gruppe gewesen. Sie warf einen Blick zu Paul.
„Die Saga“, begann dieser, „sind eine Legende ...“
„Falsch“, unterbrach ihn Daniel, „mein Bruder ist einer. Wie seid ihr zu dem Mädchen gekommen?“
Jetzt war Paul richtig rot. Peter räusperte sich.
„Bell ist per Zufall zu uns gelangt“, gestand er, „und selbst wenn wir nicht wissen, was ihr wisst, sind wir nicht ganz so lächerlich, wie ihr zu glauben scheint. Sie steht unter unserem Schutz, bis sie bekommen hat, was sie braucht. Leider können wir ihr dies nicht selber beschaffen. Aber es gibt genügend Gerüchte in der okkulten Welt, und immer wieder Neuigkeiten von euch. Ihr seid Cognitio und Compassio, das verheißene Jägerpaar, und Conversio, der verwandelte Mensch. Ihr seid in der geheimen Burg der Jäger ein- und ausgegangen, wie ihr wollt, habt mit Dämonen gesprochen und gegen Erscheinungen gekämpft. Ihr wart in der Wüste, als sie zu strahlen begann. So ist es doch, oder?“
Die Drei wechselten einen verblüfften Blick.
Wusstet ihr, dass wir eine Legende in der Menschenwelt sind? fragte Daniel.
Sicherlich nicht, erwiderte Flo, wann hast du das letzte Mal gegoogelt? Du solltest uns mal googeln, Daniel!
Sie kann uns hören, ließ sich Miriam mahnend vernehmen.
„Es tut mir leid!“, platzte Bell heraus und wurde knallrot, „ich mache das ja nicht mit Absicht!“
Sie spürte die Irritation ihrer Begleiter und wurde noch verlegener. Aber jetzt hatte sie die Aufmerksamkeit der Drei.
„Also verstehst du uns tatsächlich“, sagte Miriam nachdenklich, „ich frage mich, wieso. Niemand hat das bisher geschafft. Was bist du, Bell?“
Peter räusperte sich, um das Gespräch wieder zurückzuerobern.
„Bell“, sagte er gewichtig, „ist eine Fee.“
Oh nein, dachte Bell bei sich. Sie brauchte nicht einmal in die Gesichter der Drei vor ihr zu schauen, um ihre Reaktionen zu sehen – Verblüffung, Unglaube, bis hin zu grenzenloser Erheiterung. Sie war sicher, im Erdboden versinken zu müssen, falls auch nur einer von ihnen zu lachen anfing.
Zum Glück lachte keiner, obwohl jemand ein ersticktes Geräusch von sich gab, und der Junge namens Flo so unverschämt grinste, dass sie ihn am liebsten geschlagen hätte. Was hätte sie denn sagen sollen? Dass sie vom Himmel gefallen war?
„Eine ... Fee“, wiederholte Miriam. Ihr Gesicht zumindest war kein Bild der Heiterkeit.
Peter straffte seinen Rücken.
„Bell stammt nicht aus dieser Sphäre“, sagte er steif, „damit solltet ihr euch wohl auskennen, oder?“
Und falls sie das jetzt verneinten, würde Paul ein noch größeres Problem bekommen, als er nach der Bemerkung über die Saga schon hatte. Bell biss sich vor Anspannung auf die Lippen. Zu ihrem Erstaunen – und geheimen Entzücken – verschwand schlagartig jegliche Heiterkeit aus den Gesichtern. Alle drei lehnten sich vor.
„In der Tat“, sagte Miriam, „wie ... interessant.“
„Das ist in der Tat interessant“, sagte Daniel, „was für eine Sphäre ist das denn?“
Er schien ehrlich interessiert, was Bell fast dazu bewogen hätte, genauso ehrlich zu antworten. Aber dann fiel ihr Blick auf Flo, der den Mund hielt, sie jedoch so intensiv musterte, dass sie glaubte, sie wäre aus Glas. Sie hob den Kopf.
„Ich kann dazu keine genaue Auskunft erteilen“, sagte sie mutig, „es ist kein Wissen, das hierher gehört!“
„Nun“, sagte Daniel, „die Sphäre der Schattenwandler können wir schon einmal ausschließen.“
„Können wir das?“, fragte Miriam mit gerunzelter Stirn, „vielleicht ist sie nur eine besondere Art Wandler, die uns bisher noch nicht untergekommen ist. Sie ist uns nicht unähnlich.“
„Sie ist den Lichtwandlern nicht unähnlich“, sagte Flo langsam.
Bell begann, ihn zu hassen.
„Ich weiß nicht, wer eure Wandler sind“, sagte sie heftig, „aber ich bin keiner! Ich bin einzigartig! Ich bin ... eine Fee!“ So! Mochten sie doch darüber lachen, wenn sie mussten. Sie schob ihr Kinn vor.
„Bedeutet das, es gibt noch mehr Sphären außer denen von Menschen und Wandlern?“, sagte Miriam langsam.
Bell verlor ihre Geduld.
„Wieso wäre das so ungewöhnlich?“, fauchte sie, „haltet ihr euch denn für so einzigartig?“
Die Drei hielten inne. Und wenn sie sich nicht ganz stark irrte, hatten ihre Drei aufgehört zu atmen. Oh-oh. Dass ihr Temperament aber auch immer wieder mit ihr durchging, wenn es gar nicht passte. Sie errötete heftig und überlegte, einfach die Flucht zu ergreifen.
„Eine vierte Sphäre“, flüsterte Miriam, „warum nicht ... warum sollte das nicht möglich sein? Natürlich ist es möglich ...“
Flo griff herüber und drückte ihre Hand.
„Nicht jetzt meditieren“, sagte er streng, „nicht jetzt. Sie sagt die Wahrheit. Glaube ich zumindest. Wenn sie doch ein Wandler sein sollte, dann der Ungewöhnlichste, den ich je gesehen habe.“
Ich bin kein Wandler! zischte Bell ihn in Gedanken an, und er grinste breit, als ob sie laut gesprochen hätte. Sie war sich ganz sicher, die Lippen fest aufeinander gepresst zu haben, und weder Daniel noch Miriam reagierten auf ihre Worte.
„Du bist aus einem bestimmten Grund zu uns gekommen“, hakte Daniel wieder ein, „so ist es doch, oder? Ihr sagtet, sie braucht etwas, und ihr könnt es ihr nicht beschaffen. Ich vermute, wir sollen es stattdessen tun?“
Seine Augen waren so warm und wirkten besorgt. Es fiel ihr schwer, eine Gefahr in ihm zu sehen.
„Bell?“, sagte Peter leise, „warum erklärst du ihnen nicht, was du uns erklärt hast?“
Wo du offensichtlich sowieso nicht deinen Mund halten kannst, schwang ungesagt hinter drein. Er klopfte auf den Platz neben sich, und Maggie schob sie sacht vorwärts. Bell seufzte und gab nach. Sie ließ sich Zeit, nahm erst umständlich Platz, faltete die Hände, und löste sie wieder, weil sie fand, dass es zu kindlich aussah. Sie durften sie nicht für ein Kind halten.
„Ich sollte nicht hier sein“, bekannte sie schließlich, „es war ein Unfall. Ich war ... zu neugierig. Ich bin sozusagen gefallen.“
Miriam hob ihre Hand.
„Das heißt, in eurer Sphäre weiß man von uns?“, unterbrach sie.
Bell biss sich auf die Lippen.
„Einige wissen von euch“, sagte sie vorsichtig, „mein Vater, zum Beispiel. Er hat euch schon sehr lange studiert. Und als ich ... ich habe einfach nicht aufgepasst, in Ordnung? Ich hätte vorsichtiger sein sollen. Ich hätte nicht fallen dürfen.“
Verdammt. Sie hatte nicht weinen wollen, aber jetzt hingen doch Tränen an ihren Wimpern. Sie blinzelte heftig.
„Und du kannst nicht zurückkehren?“ Das war Flo. Erstaunlicherweise klang er diesmal beinahe sanft. Aber sie wusste ja bereits, welche Wirkung ihre Tränen hatten. Wenn sie diese nur kontrollierter einsetzen könnte!
„Ich könnte vielleicht schon“, gab sie zu, „aber als ich fiel ... Ich bin anders als ihr. Ich geriet in Panik und erinnerte mich nur an das, was mein Vater mir erklärt hatte. Ich habe mich euch angepasst. Und um das zu tun, musste ich einen Teil von mir sozusagen ... abspalten. Ich musste ihn verwandeln.“ Sie schluckte. Die Erinnerung an ihren Sturz, an ihr Entsetzen und hastige, zu hastige Reaktion waren ihr immer noch so gegenwärtig, als sei es gerade erst geschehen. Keiner sagte etwas, sondern alle sahen sie abwartend an. Sie räusperte sich.
„Und dann“, fuhr sie leise fort, „habe ihn leider verloren. Ich kann nicht zurück, nicht ... ohne.“
„Und was genau ist es, was du verloren hast?“, fragte Miriam.
Bell kniff die Augen zusammen.
„Meine Flügel“, flüsterte sie.
Stille. Dann holte Daniel tief Luft.
„Ich dachte, du seist eine Fee, keine Elfe“, platzte er heraus.
Bell öffnete verletzt ihre Augen, und er hob sofort beschwichtigend beide Hände.
„Ich will dich nicht beleidigen, wirklich nicht“, sagte er, „ich will es bloß verstehen!“
Nun gut. Weil er so schöne Augen hatte, war sie gnädig.
„Meine Flügel“, erklärte sie, „sind die Kraft, die mich trägt. Ohne sie bin ich nur halb. Aber hier hat niemand so etwas wie ich, und deshalb ...“ Sie konnte nicht weitersprechen, es würgte sie plötzlich in der Kehle. Sie spürte Maggies Hand auf ihrer Schulter und blinzelte heftig.
„Deine Energie“, sagte Miriam, „das kann ich verstehen. Gut. Du hast sie also abgetrennt und verwandelt, richtig? Und dann hast du sie verloren, und wir sollen sie für dich finden und dir wiederbringen, damit du heimkehren kannst.“
Bell war unfähig zu sprechen, sie nickte nur. Oh Himmel, sie hatte dies jetzt schon so oft erzählt. Erst war sie ausgelacht worden, dann hatte ihr jemand zugehört, dann wieder, und keiner hatte ihr helfen können. Immer war sie weitergereicht worden – und wenn diese hier jetzt, die laut Paul die stärksten Jäger der Zeit waren, sie ebenfalls abwiesen, dann war sie bereit zu verzweifeln. Sie schaute sie bittend an, alle drei.
Miriam runzelte die Stirn, Flo hatte beide Hände aneinander gelegt und betrachtete sie nachdenklich, und Daniel sah mitleidig aus. Ja, sie wusste, warum sie ihn am liebsten mochte, und das lag nicht nur an seinen schönen braunen Augen!
„Wie sehen sie denn aus ... deine Flügel?“, fragte Daniel.
Zumindest sagten sie nicht sofort nein, oder was für einen Schwachsinn sie doch daher redete! Erleichterung überrollte sie.
„Ein Ring“, sagte sie sofort, „ich musste schnell handeln. Ich dachte, einen Ring am Finger würde ich nicht verlieren! Aber leider ...“ Oh, sie konnte sich selbst beißen für ihre Dummheit!
„Leider geriet er mir zu groß“, setzte sie kleinlaut hinzu.
Daniels Augen fielen sofort auf ihre Hände, und sie ballte sie zu Fäusten. Ja, sie wusste, wie klein sie war. Als ob Größe wichtig wäre!
„Ein Ring“, wiederholte Miriam, „ein Ring der Macht.“
Jetzt huschten Daniels Augen zu ihr, und er wirkte, als ob er lachen wollte. Bell spürte Zorn in sich aufsteigen. Aber Miriam blieb ganz ernst.
„Weißt du vielleicht etwas genauer, wo wir suchen sollten?“, hakte sie nach, „immerhin ist die Welt ziemlich groß für einen einzelnen Ring.“
Bell wurde wieder verlegen.
„Ich weiß, wo ich gelandet bin“, gestand sie, „er kann nicht weit sein. Aber ... ich bin schon ein bisschen hier. Ich fürchte, jemand hat ihn gefunden. Zumindest war er nirgendwo, wo ich gesucht habe.“
„Du bist Cognitio“, mischte sich Paul leise ein, „du bist Seherin und Sucher. Kannst du Bells Ring nicht finden? Sie gehört nicht in diese Welt. Sie muss nach Hause.“
Miriam lehnte sich zurück, sah Daniel an, sah Flo an.
„Wenn ich das tue“, sagte sie schließlich, „dann will ich etwas dafür. Nichts für ungut, aber wir stehen an der Schwelle eines Krieges, und genau genommen haben wir überhaupt keine Zeit, jemandem einen Gefallen zu tun.“
Peter räusperte sich.
„Wir können euch bezahlen“ sagte er, und setzte nach einem Blick durch das Haus hinzu, „falls euch das etwas bedeutet.“
Daniel grinste.
„Tut es nicht“, sagte er, „Flo hat mehr Geld, als er jemals ausgeben könnte. Wenn wir es tun, dann nicht für Geld. Wir tun es nur, wenn Bell uns mehr über ihre Sphäre erzählt, und wie man zu so einer gelangt.“
„Oder besser ausgedrückt“, setzte Miriam hinzu, „alles, was sie darüber weiß. Wir helfen ihr, sie hilft uns. Was sagst du, Bell? Dein Wissen gegen unsere Hilfe? Gegen deine Heimkehr?“
Bell kaute heftig auf ihrer Unterlippe herum.
„Ich kann euch aber nicht alles erzählen!“, sagte sie fast verzweifelt, „mein Vater sagte immer, dieses Wissen ist nicht für die Erde bestimmt! Er war da ganz streng! Was richte ich am Ende damit an?“
„Nun“, sagte Miriam mit dem Hauch eines Lächelns, „vielleicht rettest du damit am Ende einer Spezies das Leben. Darauf hoffen wir zumindest. Aber so oder so, das ist unser Preis. Wir haben keine Zeit für etwas anderes. Und wenn es dich tröstet“, sie beugte sich wieder vor und musterte sie genau, „erzähle es nur uns, uns dreien. Wir können Geheimnisse bewahren.“
Vor allem, wenn es uns vielleicht das Leben kostet, ließ sich Daniel stumm vernehmen.
Sie hört dich, Schwachkopf, sagte Flo, ohne sich zu rühren, sei still.
„Leben?“, wiederholte Bell zaghaft.
Miriam sah sie ernst an.
„Leben, Bell“, sagte sie, „es geht um die Existenz einer ganzen Welt. Hilfst du uns?“
Sie hätte vermutlich ablehnen sollen. Sie hätte vermutlich ihr Wissen wie versprochen für sich behalten, ihr Versprechen nicht brechen sollen, auch wenn dies bedeutet hätte, dass sie hier zugrunde ging.
Aber sie sagte ja.
Kaum, dass sie zugestimmt hatte, setzte Flo sich gerade hin und klatschte in die Hände.
„Abgemacht“, sagte er, „noch eins. Sie bleibt hier. Ernsthaft, Leute. Euer okkultes Verständnis und eure schicken Waffen in allen Ehren, aber die Kleine ist am besten in diesem Haus aufgehoben, unter unserem Schutz.“
Und unter unserer Bewachung, setzte Bell still hinzu und warf ihm einen zornigen Blick zu. Er erwiderte ihn völlig gelassen.
„Wie Miriam gesagt hat, wir stehen an der Schwelle eines Krieges, der jeden Moment eskalieren kann“, sagte er, „wenn wir zusammenarbeiten sollen, wenn es schnell gehen soll – und das muss es – dann sollte sie hier sein.“
„Ich stimme zu“, sagte Miriam, „sie muss bleiben. Ich werde sie beim Suchen brauchen.“
„Flo hat Recht“, sagte Daniel, „wenn sie kein Mensch ist, ist es viel zu gefährlich für sie da draußen. Ihr könnt sie nicht genug beschützen. Es war gut, dass ihr sie zu uns gebracht hat.“
Aber so leicht ließ sich Peter nicht verdrängen.
„Bell steht unter unserem Schutz!“, begehrte er auf, „wir haben geschworen, alles zu tun, damit sie heimkehrt! Woher sollen wir wissen, was ihr mit ihr macht?“
„Dann bleibt eben einer von euch auch hier, als Babysitter“, sagte Flo mit einer nachlässigen Handbewegung, „Platz genug haben wir. Für einen, wohlgemerkt. Einigt euch. Miriam? Willst du unsere Kontakte anrufen? Vielleicht weiß einer von ihnen mehr.“
„Warte! Moment!“, rief Peter, und seine Stimme klang plötzlich schrill, „ihr könnt doch nicht einfach so übernehmen! Ihr müsst doch zumindest ...“
Flo beugte sich plötzlich vor, und seine Stimme klang wieder so sanft und freundlich wie zuerst.
„Eure Besorgnis und euer Engagement ist mutig und ehrenhaft“, sagte er, „wir erkennen das an. Deswegen lasse ich auch einen von euch bei ihr bleiben. Und ihr könnt mir eure Nummer geben. Wir sollten in Kontakt bleiben, nicht wahr?“
Peter starrte ihn an, als sei er hypnotisiert.
„Ja, in Ordnung“, stammelte er, „gut. Wer bleibt?“
„Ich“, sagte Maggie sofort, „eine Frau sollte bei ihr sein. Ich passe auf sie auf. Und ich habe Peters Nummer.“
Flo lächelte sie großzügig an.
„Es kann nicht schaden, sich doppelt abzusichern“, meinte er, „was mich dazu bringt, dass ich dringend neue Handys besorgen muss. Bell, hast du eines? Nein? Ich dachte es mir. Hast du Gepäck? Dinge, die sie dir bringen sollen?“
Denn ich lasse dich nicht mehr gehen, setzten seine Augen ungesagt hinterher. Bell schluckte.
„Sie hat einen Rucksack im Auto“, meinte Peter bereitwillig.
Hieß das, so schnell wurde sie ihre Bodyguards wieder los, wurden diese ersetzt durch diese Drei? Bell sah sich unsicher um. Ihre Augen trafen auf Daniels, und spontan wurde ihr wieder warm.
„Ich gehe hinaus mit euch“, sagte Daniel, „dann könnt ihr mir die Sachen geben.“
Miriam war bereits aufgestanden und sprach in ein Telefon am anderen Ende des Raumes. Flo lächelte breit.
„Brauchst du etwas ... Wie heißt du eigentlich?“, wandte er sich an Maggie.
„Maggie, und ich komme zurecht“, antwortete sie knapp.
Bell spürte insgeheim Erleichterung, dass Maggie offenbar nicht wieder so rasch dem Charme dieses Jungen verfiel, wie das bei Peter der Fall gewesen war. Und dann ging es so schnell. Sie wurde in Peters Arme gezogen.
„Es ist richtig so“, flüsterte er ihr zu, „niemand kann dir besser helfen als sie.“ Er wischte eine Träne von ihrer Wange und trat beiseite. Paul umarmte sie fest, und diesmal hatte sie sich genug im Griff, um ihm ins Ohr zu wispern: „Schlage Saga nach.“ Sie wurde mit einem raren Lächeln belohnt.
„Wir werden dich im Auge behalten“, versprach er.
Daniel ging mit allen dreien hinaus und kehrte kurz darauf mit ihrem Rucksack und Maggie zurück. Flo, der leise mit Miriam gesprochen hatte, nickte und sagte nur: „Ich bin so schnell wie möglich zurück.“
Kurz darauf rollte die Garage auf, und ein Motorrad schoss heraus. Miriam trat zu Daniel neben das Fenster zur Auffahrt, wo man wenige Minuten vorher den Wagen mit Peter und Paul hatte fortfahren sehen. Ihre Augen folgten dem Motorrad, das dicht über dem Asphalt um die nächste Kurve sauste, bevor es ebenfalls aus dem Blickfeld verschwand.
„Wie kann er nur so sicher auf dem Motorrad sein, und dabei ein so lausiger Autofahrer?“, sagte sie, Verwunderung in der Stimme.
Daniel lachte, drehte sich ab und grinste Bell und Maggie an.
„Ich zeige euch die Zimmer“, sagte er.
Und so schnell landete Bell in der Höhle des Löwen.
Allerdings war es eine komfortable Höhle des Löwen, wie sie eingestehen musste. Ihr Zimmer war geräumig, hatte ein weiches Bett und sogar einen Sessel am Fenster. Das Bad musste sie mit Maggie teilen, deren Zimmer direkt neben ihrem lag – im dritten Obergeschoss, wie Daniel sagte, am weitesten weg von der Tür und damit am sichersten. Er sagte dies mit einem Lächeln, und Bell fragte sich insgeheim, ob er nichts von Bedrohungen wusste, die von oben kamen.
Daniel verschwand, damit sie sich einrichten konnte – was ungefähr fünf Minuten dauerte, bei der geringen Habe, die sie besaß. Dann hing sie ein wenig unsicher in ihrem Zimmer herum, bevor Miriam an die Tür klopfte.
„Möchtest du etwas essen, bevor wir suchen?“, fragte sie, „Flo und Daniel sind noch beschäftigt.“
Da Maggie hinter ihr stand und Bell ohnehin nichts zu tun hatte, nickte sie und folgte. Ein Sandwich im Magen tat ihr wohl. Sie hörte die Geräusche von unten, wo der große Trainingsraum lag, durch den sie hereingekommen waren. Aber ohne, dass sie fragen musste, sagte Miriam, ganz sachlich und kühl: „Ich lasse die Schlösser austauschen und die Türen verstärken.“
Bell wurde feuerrot. Natürlich wussten die Drei, dass sie eingebrochen waren, natürlich!
Maggie biss von ihrem Brot ab, als ob sie nichts gehört hatte, oder sich keiner Schuld bewusst war.
Kurz darauf kamen Daniel und Flo von unten hoch. Daniel rieb sich mit einem Lappen die Hände sauber, während Flo ihn angrinste.
„An dir ist ein Handwerker verloren gegangen“, behauptete er.
„An dir jedenfalls nicht“, erwiderte Daniel mürrisch, „du musst dem Fachmann nicht im Weg rumstehen und schlaue Kommentare zu allem und jedem abgeben. Es reicht, wenn du ihn bezahlst.“
Flo lachte, was Bell – wenn sie ihn gemocht hätte – sympathisch gefunden hätte. Daniel hingegen schenkte ihr ein Lächeln, bevor er zu Miriam sagte: „Alles okay. Unser Heim ist wieder sicher.“
„Dann bin ich beruhigt“, meinte Miriam seufzend, „ich würde gerne anfangen.“
„Heißt das, keiner unserer Kontakte wusste etwas?“, hakte Daniel nach.
Sie zuckte mit den Achseln.
„Sie wollen nachforschen“, erklärte sie, „Deborah sprach von Ismael, und Luzifer will herumfragen. Er meint, dass da schon länger etwas im Busch sei, und ja, vielleicht hat es mit Bells Ring zu tun. Er war ziemlich vage.“
„Oh“, sagte Flo und hieb seine Zähne in eines der vorbereiteten Brote, „dann sollten wir vermutlich aufpassen, dass er sich den Ring nicht selber unter den Nagel reißt, oder?“
Daniel hob die Augenbrauen.
„Ich dachte, du bist ein Luzifer-Fan?“, sagte er.
Flo grinste.
„Ich verstehe ihn“, sagte er nur, „und deshalb sage ich ja, wir sollten aufpassen. Iss auf, mein Freund. Miriam wird uns wieder über Stunden strapazieren, und du weißt doch, wie kräftezehrend das ist.“
Miriam rollte mit den Augen, wurde jedoch erstaunlicherweise einen Hauch rot. Maggie räusperte sich, als ob sie einen Laut unterdrücken wollte. Bell verstand nicht, worum es ging, und ihr offenbar vollkommen ahnungsloser Gesichtsausdruck brachte Flo dazu, laut herauszulachen, Daniel dazu, ihn zu boxen und sein Sandwich mit zwei Bissen zu verschlingen, und Miriam dazu, zu seufzen und zu sagen: „Gehen wir hinunter.“
Im Trainingsraum angekommen, holte sie ein paar Matten hervor. Sie drückte Bell auf die mittlere.
„Setz dich“, sagte sie, „Maggie, du musst zusehen. Störe mich bitte nicht. Flo, Daniel, ihr wisst ja Bescheid.“
Sie ließ sich vor Bell im Schneidersitz nieder. Flo plumpste zu ihrer Rechten auf die Matte, wackelte mit den Augenbrauen und sagte: „Fürchte dich nicht, kleine Tinkerbell. Es tut fast gar nicht weh.“
Daniel, der auf Miriams anderer Seite saß, schüttelte den Kopf.
„Es tut überhaupt nicht weh“, sagte er, „hör doch bitte auf, sie zu ärgern. Und seit wann kennst du Tinkerbell? Hat Peter Pan zu eurer Ausbildung gehört? Bist du der Junge, der nicht erwachsen werden will?“
„Ich wurde bereits erwachsen“, sagte Flo trocken, „besten Dank.“
„Er schläft schlecht“, unterbrach sie Miriam, „was du weißt, Daniel. Und Daniel hat Recht, Flo, höre auf, Bell zu ärgern. Sonst könnte man wirklich meinen, du willst nicht erwachsen werden. Seid jetzt still. Ich muss mich konzentrieren, und Bell braucht keine Ablenkung durch euer Geplänkel.“
Sie verstummten. Miriam beugte sich vor, nahm Bells Hände in ihre und sagte: „Du musst wirklich keine Angst haben. Denk einfach nur an deinen Ring. Ich mache den Rest, okay? Und ignoriere diese beiden dort. Sieh einfach nur mich an.“
Es war schwer, sie zu ignorieren, fand Bell, wo der eine doch so süß und der andere so nervtötend war. Aber hier ging es um ihr Leben, um ihre andere Hälfte, und sie sollte sich besser nicht irritieren lassen. Sie überließ Miriam ihre Hände, sah erstaunt, dass sowohl Daniel als auch Flo ihre Finger um Miriams bloße Unterarme legten und ihre Augen schlossen. Sicherheitshalber tat sie es auch.
Abgesehen davon geschah gar nichts. Sie wollte irgendwann schon ihre Augen wieder öffnen, und fragen, ob sie etwas falsch machte, als ihr aufging, dass die Drei in exakt demselben Rhythmus atmeten, tief und langsam.
So ganz falsch konnte es also nicht sein. Sie hielt still.
Der Ring, Bell, klang Miriams Stimme in ihrem Kopf. Ach ja, richtig. Sie sollte sich auf den Ring konzentrieren. Na gut, dann tat sie das eben. Sie vergegenwärtigte sich den schlichten Reif, den sie in ihrer Panik geschaffen hatte, an seinen Glanz, seine Perfektion. Sie begann, ein bisschen aus Langeweile, in Gedanken Verzierungen hinzuzufügen – ein Ornament dort, eine Ziselierung hier. Sie konnte sich eine ganze Weile damit beschäftigen, stellte sie fest, denn als Miriam ihre Hände losließ, waren ihre Beine eingeschlafen.
Flo und Daniel wandte sich gleichzeitig zu Miriam.
„Und?“, sagte Daniel, angespannt klingend.
„Ich habe eine Halle gesehen“, offerierte Flo, „sie kam mir bekannt vor.“
„Mir auch“, sagte Miriam, „es ist die Halle, in der wir uns wiedergefunden haben. Das ist nicht weit von hier. Wollen wir?“
Daniel streckte eine Hand nach Bell aus, als wüsste er, dass ihre Beine ihr kaum gehorchten. Dankbar ergriff sie seine Finger und wurde hochgezogen. Sie biss sich auf die Lippen, als das Blut schmerzhaft zurückschoss.
„Ihr wisst, wo mein Ring ist?“, fragte sie ungläubig.
„Wir wissen zumindest, wo er war“, sagte Miriam, „er hat eine Signatur, so wie du. Die habe ich gefunden. Also, wollen wir?“
Ja , und wie Bell wollte!
*
Sie fuhren zu fünft in einem weißen Transporter, völlig unauffällig von außen, aber mit getönten Scheiben. Miriam saß am Steuer, Flo neben ihr, und Daniel teilte sich die Rückbank mit Maggie und Bell, wofür sie aus mehr als einem Grund dankbar war. Sie lächelte ihn scheu an, als er sich neben sie setzte, und dachte im Stillen, dass sie, wenn sie ihren Ring fand, vermutlich bald verschwunden war.
Im Grunde war dies ein Jammer.
Das Auto kam schließlich in einem Industriegebiet zum Stehen, unweit einer Lagerhalle. Nun gut – bei Halle hatte Bell eher an etwas Prächtiges gedacht, eine Festhalle oder etwas in der Art – aber sie war nicht wählerisch. Aufgeregt versuchte sie, ihren Ring zu spüren. Ja, hier war etwas, ganz sicher. Aber sie war nicht sicher was. Natürlich hatte sie ihre Kraft noch nie von außerhalb wahrgenommen, und so gesehen war es natürlich möglich, dass Miriam recht hatte.
Daniel schnitt durch das Schloss an der Tür mit etwas, das wie grauer Stahl aus seinen Fingern glitt. Bell machte große Augen.
„Das letzte Mal bin ich durch ein Fenster eingestiegen“, sagte Flo.
„Du kannst ja klettern, wenn du willst“, murmelte Daniel, „ich habe keine Lust, in diesen Schießscharten stecken zu bleiben. Wir können ihnen ein neues Schloss schicken.“
„Du gehst ziemlich großzügig mit meinem Geld um, weißt du das?“, konterte Flo.
Daniel schnaufte.
„Du hast es doch ohnehin uns allen zur Verfügung gestellt“, sagte er, „immerhin hast du mir eine Kreditkarte gegeben. Geld ist dazu da, auszugegeben zu werden.“ Er grinste jetzt ebenfalls, als ob er Flo provozieren wollte.
„Ihr könnt euch später kabbeln“, unterbrach Miriam streng, „suchen wir Bells Ring. Folgt mir.“
Sie marschierte in die riesige, dunkle Halle, in der sich Container stapelten, ganze Abteilungen mit Gitterwänden abgeschlossen waren und so manches Seltsame zu lagern schien, was Bell unter anderen Umständen neugierig gemacht hätte. Jetzt jedoch folgte sie Miriam mit klopfendem Herzen und dachte plötzlich, dass sie doch eigentlich diejenige sein müsste, die hier führte.
Es war ihr Ring, ihre Flügel – ihr Weg nach Hause.
Oh, wie sehr sie ihre Heimat vermisste. Ihr Herz zog sich zusammen. Sollte sie tatsächlich ihrem Ziel endlich so nahe sein? Sollte sie ... sollte sie es dann nicht spüren ...?
„Hier war es“, sagte Miriam und blieb vor einer Abteilung stehen, „hier habe ich etwas gesehen. Ich bin nicht sicher, was, aber ...“
Eine unerwartete, dröhnende Explosion schnitt ihr die Worte ab. Etwas packte Bell, wirbelte sie durch die Luft, verschwand genauso plötzlich, und sie kam hart auf dem Boden auf. Jemand kauerte auf einmal über ihr.
„Ich hab’s nicht kommen sehen, gar nicht“, erklang Flos abgehetzte Stimme, „wo ist Daniel?“
„Getroffen“, sagte Miriam, „wie Maggie. Gib mir Schutz.“
Getroffen? Bell erstarrte und wollte sich aufrichten, aber das Knie auf ihrem Rücken drückte sie erbarmungslos nach unten. Sie konnte lediglich ihren Kopf drehen, und sah Maggie ... Maggie...
Maggie lag unweit von ihr, verdreht, blutend, ihre Messer um sie verstreut. Sie starrte sie an, starrte sie an – und dann begann sie, sich heftig gegen das Knie in ihrem Rücken zu wehren.
„Ich habe ihn“, sagte Miriam keuchend, „er ist bewusstlos. Scheint gegen die Wand geprallt zu sein. Ich weiß nicht, wie lange ... Flo, hältst du es aus?“
„Nicht ewig“, sagte Flo, mit den Zähnen knirschend, „und wenn dieser Zwerg hier ... Verdammt, Bell, bleib unten! Bleib unten! Wer ist es?“
Einen Moment herrschte Stille. Als Miriam sprach, klang ihre Stimme ungläubig.
„Asmodeus und Baal, denke ich“, sagte sie fassungslos, „und nicht allein. Wir können hier nicht bleiben!“
„Wir können aber auch nicht weg, nicht, wenn unser Fluchtweg ausgeknockt ist“, erwiderte Flo bissig, „also gut. Wie wäre es mit Schutz? Anderem als meinem? Da oben ist eine Empore.“
„Ja“, sagte sie nach einem Moment, „das müsste gehen. Du musst mir mit Daniel helfen.“
„Mache ich“, antwortete er, „Bell? Bell, hör zu, das ist wichtig. Wir werden angegriffen, und zwar von zwei mächtigen Fürsten. Miriam und ich können sie aufhalten, und sobald Daniel wieder wach ist, werden sie sich wünschen, sie hätten es gelassen. Aber bis dahin brauchen wir eine bessere Position. Hörst du mir zu?“