Irrfahrt ins Gelobte Land - Anna K. Thomas - E-Book

Irrfahrt ins Gelobte Land E-Book

Anna K. Thomas

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Beschreibung

Man schreibt das Jahr 1147. Die Sarazenen haben soeben das christliche Edessa im Orient erobert. Als Antwort darauf macht sich der zweite Kreuzzug aus dem Abendland auf nach Osten, um den Feind wieder zu zurückzudrängen. Teil dieses Zuges sind die fünfzehnjährige Katharina mit Ehemann und Kindern sowie die Brüder Rudolph und Maximilian. Inspiriert vom Erfolg des ersten Kreuzzuges sind sie aufgebrochen, erfüllt von hehren Zielen, Profitgier und dem Glauben an die eigene Unbesiegbarkeit. Aber die Realität schlägt zu. Plötzlich, unvermittelt, stehen Max und Katja alleine da und müssen sich selbst ihren Weg durch ein feindliches Land suchen …

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Seitenzahl: 941

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Hinweis zum Inhalt

1. Kapitel: Eine Stadt namens Adrianopel

2. Kapitel: Im Land am Bosporus

3. Kapitel: Kleinasien

4. Kapitel: Durch Anatolien und Taurus

5. Kapitel: Ein Haushalt in Damaskus

6. Kapitel: Outremer

7. Kapitel: Die Heilige Stadt

8. Kapitel: Auf der Flucht

9. Kapitel: Von Rittern, Prinzen und Königen

10. Kapitel: Berge, Flüsse, Täler

11. Kapitel: Fahrendes Volk

12. Kapitel: Familienbande

13. Kapitel: Mehr als nur ein Ende, und ein Anfang

Epilog

Nachwort der Autorin

Anhang

Begriffe

Personenverzeichnis

Quellen

Stammbaum

Hinweis zum Inhalt

Dieses Werk beinhaltet Missbrauch und Vergewaltigung von Minderjährigen, Gewalt und Tod, wenn auch nicht explizit ausgeführt. Ebenso spielen die zeittypische Homophobie und religiöse Bigotterie eine Rolle. Katja und ihre Gefährten sind Kinder ihrer Zeit, aufgewachsen im Glauben der Epoche, und handeln oft entsprechend. Dies soll aber auf keinen Fall als Gutheißen dieses Gedankengutes verstanden werden. Weitere Erläuterungen folgen im Nachwort.

Und ein kleiner Zusatz: Irrfahrt ins Gelobte Land wurde 2007 geschrieben - es dauerte zehn Jahre, bis es veröffentlicht wurde, und weitere sieben für diese Überarbeitung. Die Welt hat sich verändert, manche Ansichten auch. Die Autorin bittet, das zu bedenken.

1. Kapitel: Eine Stadt namens Adrianopel

Katharina Vogelmann war fünfzehn Jahre alt und ihre Füße brannten wie Feuer.

Es waren nicht nur ihre Füße, die wehtaten. Auch ihr Rücken schmerzte, ihre Kehle war trocken und sie hatte furchtbaren Durst. Alles in allem, so dachte sie, während sie sich mühsam vorwärtsschleppte, war es mittlerweile zu schwer, zwischen den verschiedenen Schmerzen zu unterscheiden. Ihr kam es so vor, als würde sich alles langsam, aber sicher in einen einzigen wunden Punkt verwandeln, der Katharina Vogelmann hieß.

„Katja?“

Ein Ziehen an ihrer Hand weckte sie für den Moment aus ihrem stumpfen Trott. Lene, die Sechsjährige, sah sie ängstlich an. Katja versuchte zu lächeln.

„Ja?“, krächzte sie.

„Du bist ganz grün“, erwiderte die Kleine. „Wirst du sterben?“

Was für eine Frage, dachte Katja bitter, vielleicht wäre das sogar ganz gut.

Dann rief sie sich zur Ordnung. Sie wusste schließlich, wo ihre Aufgaben in dieser Welt lagen, und den mahnenden Blick ihres Ehemannes brauchte sie nicht, um sich das in Erinnerung zu bringen.

„Natürlich nicht“, antwortete sie tapfer.

Da dies nicht sonderlich überzeugend klang, besänftigte sich Lenes Blick nicht ein bisschen. Aber mehr war Katja nicht im Stande zu geben, mochte Ewald auch so grimmig gucken, wie er wollte. Am Tag zuvor hatte sie innerlich noch auf ihn geschimpft, weil er sie hierher geschleift hatte. Heute fehlte ihr die Kraft dazu. Einen Fuß vor den anderen zu setzen und dabei Lenes Hand nicht loszulassen, war alles, was sie noch vermochte.

Ewald war sowieso nicht zufrieden mit ihr, sie wusste es. Heute war es ihr gleich. Im Moment war ihr praktisch alles gleich, dachte sie erschöpft, während der Schmerz in ihrem Rücken wie mit Messern stach. Und in einem Aufwallen von Trotz entglitt ihr der Gedanke, dass Ewald schließlich nicht das Gewicht eines ungeborenen Kindes mit sich herumschleppen musste. Er hätte ihr wenigstens das Bündel abnehmen können, wenn er schon nicht für den Platz auf einem Esel für sie zahlen wollte.

Sie wusste nicht einmal mehr genau, wie lange sie schon unterwegs waren. Sie wusste zwar, wann sie ihr Haus in Mainz verlassen hatten oder welche Jahreszeit es gewesen war, als sie aus Regensburg aufgebrochen waren – doch das war alles so lange her, dass es wie in einem anderen Leben gewesen zu sein schien. Auch dieser Fußmarsch konnte noch nicht allzu lange dauern. Ihr kam es jedoch wie Jahre vor – das fremde Land, so weit von zu Hause, die fremden Pflanzen, die fremden Menschen, die fremde Sonne, viel heißer als daheim. Sie wusste zwar, dass das Land, durch welches sie zogen, von Bulgaren und Griechen bewohnt wurde, und dass sie unterwegs waren, um das Heilige Land von den Ungläubigen zu befreien – doch im Grunde waren das für Katja nur leere Worte.

Ihre Füße brannten, ihr Rücken stach, ihre Kehle schmerzte. Allmählich wurde ihr auch noch übel. Wenn sie sich mitten auf den Weg übergab, würde Ewald sie bestimmt ohrfeigen.

„Katja? Katja?“

Das war erneut Lene, aber diesmal hatte Katja nicht einmal mehr die Kraft zu antworten. Sie nickte lediglich mechanisch, kämpfte gegen die Übelkeit und während sich langsam ein dumpfer Druck auf ihre Ohren senkte, hörte sie durch den Schleier der drohenden Ohnmacht die Stimme eines Engels.

„Hey, Mädchen! Du fällst ja gleich um!“

Sie blieb automatisch stehen und blinzelte. Es war ein Engel, ohne Zweifel. Ein junger, schöner Mann mit goldenen Haaren und grünen Augen, mit rosigen Wangen und einem Lächeln um den Mund, sogar jetzt, wo er sie so besorgt ansah. Ein Engel war gekommen, um sie zu retten. Sie konnte ihn nur anstarren, nicht antworten.

„Sie ist ja schwanger“, erklang eine weitere Stimme, jünger und unhöflicher.

„Sie ist schwanger“, bestätigte eine Frau. „Sie hat hier nichts verloren.“

Zustimmendes Gebrummel wurde laut. Katja schwankte. Was diskutierten sie darüber? Sie wusste selbst, dass sie hier nichts verloren hatte, nicht mit einem Siebenmonatskind im Bauch und einem kleinen Mädchen an der Hand. Alle wussten das – bloß Ewald nicht. Und der ignorierte das Gerede der Leute.

Jetzt blieb ihm allerdings nichts anderes übrig, als sich einzumischen. Schließlich war Katja seine Frau.

„Ihr geht es gleich wieder gut“, sagte er mürrisch. „Sie muss etwas trinken. Geht weiter, Leute! Hier gibt es nichts zu gaffen.“

Er packte ihren Arm mit hartem Griff, stabilisierte sie und starrte die anderen böse an. Grummelnd löste sich die kleine Versammlung auf, wobei Katja sicher war, ein leises, gezischtes „Mädchenschinder!“ zu hören. Es hätte ihr unter anderen Umständen sehr wohl getan. So aber, in ihrer Erschöpfung und dem zunehmenden Unwohlsein, dachte sie nur panisch, dass man sie nicht zurücklassen durfte, dass sie keinen Schritt mehr machen konnte und dass – oh Gott – sie hier doch sterben würde, wenn nicht …

Und da erklang wieder die Stimme des Engels, höflich, ehrerbietig und dennoch bestimmt.

„Sie ist müde“, sagte er, „Meister, es wäre mir eine Ehre, wenn deine Frau auf unserem Wagen mitfährt – nur bis heute Abend. Wir verlangen nichts dafür.“

Der letzte Satz, das waren die Zauberworte. Ewalds gerunzelte Stirn glättete sich, während er einen Blick zu dem kleinen, hölzernen Karren warf, vor den ein Maultier gespannt war. Auf dem Sitz hockte ein Junge mit wirren blonden Haaren und hielt geduldig die Zügel fest.

„Hinten auf den Bündeln ist noch Platz“, sagte er achselzuckend.

Ewald zog wieder die Nase kraus.

„Ich fürchte, es schickt sich nicht, wenn meine Frau mit dir allein fährt“, sagte er von oben herab.

„Meister Vogelmann!“, empörte sich eine der Frauen und der Engel sagte rasch: „Aber sie ist doch in Sichtweite. Max ist noch ein Junge. Und es wäre doch bloß heute.“

Katja spürte einen heißen Ball in ihrer Kehle aufsteigen. Ihre Knie waren so weich, eine Träne der Erschöpfung rann über ihre Wange. Sie konnte nicht mehr, oh süßer Jesus, sie konnte nicht mehr – verstand er das nicht? Ihre Kraft war einfach zu Ende.

Und Ewald schien plötzlich zu verstehen, denn nach einem forschenden Blick in ihr Gesicht gab er überraschend nach.

„Meinetwegen“, murrte er und setzte sogar etwas hölzern hinzu, „Habt Dank für euer Angebot.“

„Aber gerne!“, lachte der Engel, fasste unter Katjas Schultern und Knie, hob sie hoch, und ehe sie reagieren konnte, lag sie weich gebettet auf dem hölzernen Karren. Sie blinzelte.

„Und die Kleine kann mit auf mein Pferd“, beschloss der Engel kurzerhand und schnappte sich Lene. „Wir wollen doch nicht, dass sie verloren geht, oder, Meister?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Ewald steif.

„Na also“, strahlte der Engel. „Dann wäre alles geklärt. Wir sollten aufschließen. Die anderen sind schon ein gutes Stück weiter.“

Rumpelnd setzte sich der Wagen in Bewegung, mit Katja darauf, die sich noch immer staunend fragte, woher dieser Engel gekommen war. Vielleicht war es ihr Schutzengel. Vielleicht würde doch noch alles gut und sie würden Jerusalem sicher erreichen. Vielleicht war dies nur eine kleine Prüfung auf dem Weg des Herrn.

Aber als sie am Abend anhielten, um das Lager aufzuschlagen, blutete Katja und in der Nacht verlor sie ihr Kind.

Ein Kind im siebten Monat zu verlieren, war gefährlich. Katja wusste das, denn immerhin war ihre eigene Mutter an einer solch späten Fehlgeburt gestorben, als sie selbst noch sehr klein gewesen war. Voller Angst beobachtete sie deshalb die blutigen Leinen, die Gunild fortschaffte. War das genug, um zu sterben?

Lene hatte Gunild geholt, die erste Frau, die sie gefunden hatte, als Katja das Blut entdeckt hatte und nur noch stumpf auf dem Boden hockte. Ewald war nicht da gewesen und so hatte Gunild schlicht das Kommando übernommen. Man hatte Katja aufgehoben, in ein Zelt gebracht und auf eine alte Decke gelegt. Dann war auch Ewald wieder erschienen.

„Verliert sie das Kind?“, hatte er nach einem Blick auf seine zitternde, weiße kleine Frau gefragt.

„So Gott will“, hatte Gunild barsch geantwortet.

Leise hatte sie hinzugesetzt: „Besser wäre es, damit wir sie nicht verlieren.“

Ewald hatte noch einen Moment hinuntergestarrt.

„Braucht ihr den Arzt?“

Das war ungewöhnlich für jemanden, der so geizig war wie er. Unter anderen Umständen hätte Katja sich gefreut, dass ihr Mann Geld für sie ausgeben wollte. Jetzt aber war es ihr egal – und außerdem fürchtete sie sich immer ein wenig vor den Männern mit den schwarzen Röcken, so dass sie nicht böse war, als Gunild erwiderte: „Nein. Dies ist Frauensache. Verschwinde.“

Ewald gehorchte und verließ das Zelt.

Mit einem freundlichen Lächeln beugte sich Gunild zu Katja und sagte verschwörerisch: „Männer. Bei so was sind sie nur im Weg. Aber er sorgt sich um dich, Kleine. Er will dich nicht verlieren, du bist ihm wichtiger als das Kind. Da hast du Glück.“

Katja musste schlucken, bevor sie antworten konnte.

„Ich weiß“, sagte sie heiser. „Er hat schon Hildas Kinder. Er braucht keine neuen, er braucht eine Mutter.“

Das war ihre Aufgabe, nur deshalb hatte Ewald Vogelmann sie zur Frau genommen. Dass er dann ihren beginnenden Kurven und ihrer weichen Haut nicht hatte widerstehen können und tatsächlich mehrfach das Lager mit ihr geteilt hatte – nun, das war sein gutes Recht gewesen, aber sicherlich nicht der Grund für ihre Ehe. Ihre Schwangerschaft war ein Unfall – sie wusste das. Umso absurder erschien es, daran sterben zu müssen.

„Du bist sehr jung“, sagte Gunild sanft. „Lass dir ein wenig Zeit, die Männer zu verstehen. Dies ist deine erste Schwangerschaft, oder?“

Katja konnte nur nicken. Ungeweinte Tränen brannten hinter ihren Augen. Sie war jung, und dies war ihr erstes Kind. Sie hätte zu Hause bleiben sollen, in Mainz.

„Ich habe zehn Kinder geboren“, sagte Gunild fröhlich. „Da hat man schon einiges mitgemacht. Keine Angst, ich kenne mich aus.“

Sie drehte sich zur Seite. Katja, von einer plötzlichen Panik ergriffen, packte ihren Arm.

„Geh nicht fort“, würgte sie heraus.

Gunild wandte sich erstaunt um.

„Natürlich nicht“, sagte sie nach einem Moment. „Ich lass dich nicht allein, Kleines. Und du wirst es schaffen, du wirst sehen.“

Katja konnte das nicht so recht glauben.

Dass sie nicht allein war, in diesem riesigen Zug voller fremder Menschen, bewahrheitete sich in dieser Nacht. Gunild blieb bei ihr, während am Eingang des Zeltes immer wieder ihr unbekannte Frauen erschienen, die ihre Hilfe anboten. Einige brachten Wasser, einige einen kräftigenden Trank oder etwas Suppe, und zwei erboten sich, für frische Laken zu sorgen. Alle hatten denselben seltsamen Ausdruck im Gesicht, wenn sie auf Katja schauten – voller Mitleid, gepaart mit einer Mischung aus Schicksalsergebenheit und Zorn.

„Schafft sie es?“, flüsterte eine der Frauen Gunild zu.

„So Gott will“, antwortete Gunild leise. „Sie hat jetzt Wehen. Das ist ein gutes Zeichen.“

Katja konnte damit nicht viel anfangen. Mochte Gunild sich über die Schmerzen freuen, welche sie allmählich überfielen, sie selbst hätte gut darauf verzichten können. Sie versuchte, nicht zu schreien und beinahe gelang ihr das auch. Nur ganz zum Schluss, als das arme Wurm geboren wurde, da schrie sie doch. Aber dann war es ja auch ganz schnell vorbei.

Es war still, als die Schmerzen nachließen. Kein Kindergeschrei, doch das hatten sie erwartet. Eine andere Frau war gekommen und kümmerte sich um das Kind, während Gunild die Blutung kontrollierte, die Nachgeburt untersuchte und Katja anlächelte. Dann wandte sie sich ab zu der zweiten Frau.

„Sieht gut aus“, murmelte sie.

„In Ordnung“, sagte die andere. „Hier ist das arme Ding. Ich gehe und hole neues Wasser. Morgen früh werde ich dem Priester Bescheid geben.“

„Sag ihm, ich hätte das Kind getauft“, erklärte Gunild. „Eine Nottaufe, er wird es verstehen. Ich weiß nicht, wo man es hier begraben will.“

„Kommt Zeit, kommt Rat“, sagte die Fremde und ging hinaus.

Gunild kam zurück zu Katja, in ihren Armen ein Bündel, welche sie ihr vorsichtig übergab. Und da war es, ihr Kind. Ganz klein, so winzig, so zart. Das Gesicht war vollkommen, nichts fehlte, aber seine Haut war grau und löste sich ein wenig an der Schläfe.

Katja musste plötzlich weinen.

Armes Kind, niemand hatte es gewollt, weder sein Vater, der seinen Erben bereits hatte und seine eigene Tochter nur notgedrungen tolerierte, noch seine Mutter, die so bitterlich auf das Gewicht geschimpft hatte, welches sie tragen musste. Jetzt war es da, still geboren, ohne eine Chance auf Leben. Ihr Kind …

„Wein ruhig, Kleines“, sagte Gunild sanft. „Es gibt zwar Leute, die sagen, Gott straft die Menschen für ihre Sünden, in denen er die Kinder nimmt – aber ich kann nicht glauben, dass der Herr seinen Zorn an diesen Würmchen auslässt. Ich habe all meine zehn verloren, bevor sie richtig groß waren. Ich weiß, wie weh es tut. Also lass es jetzt raus, wein tüchtig, nimm Abschied. Nur so kannst du weiterleben.“

Katja schniefte und blinzelte. Gunilds Worte taten ihr wohl, zumal sie ihre Tränen sowieso kaum unterdrücken konnte – ganz so, als kämen sie aus einem unbekannten, übervollen Reservoir aus der Tiefe. Sie war halb versucht, das Kind auszupacken und in seiner Gänze anzusehen, und wagte es dann doch nicht, aus Angst, was sie vorfinden würde. So war alles, was sie tat, in das kleine Gesicht zu sehen, es ein wenig zu wiegen und zu weinen. Gunild streichelte einmal über ihre Schulter und ließ sie dann in Ruhe, um sich um die Wäsche zu kümmern.

Und da, als sie ihr Kind ansah und ganz allein war, da hörte sie es: eine weitere Stimme, draußen, vor dem Zelt, fragend, besorgt.

„Hat sie das Kind verloren?“

Es antwortete die zweite Frau, die Wasser geholt hatte und offensichtlich zurück war. Sie bejahte.

Stille. Und dann leise: „Arme Kleine.“

Mehr nicht. Aber Katjas Tränen versiegten.

Es war die Stimme ihres Engels gewesen.

Ewald kam nur wenig später. Dass er in dieser Nacht auch nicht geschlafen hatte, bewiesen die tiefen Ringe unter seinen Augen. Er war einsilbig wie immer, warf einen kurzen Blick auf das arme Wurm – ein Mädchen, wie Gunild sagte – und trat dann an Katjas Lager.

„Wie geht es dir?“, fragte er knapp.

Katja wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.

„Müde“, sagte sie schließlich.

Ewald nickte, wandte sich ab und richtete seine fragenden Augen auf Gunild. Diese zuckte mit den Achseln.

„Sie wird durchkommen, denke ich“, sagte sie. „Sie ist jung. Aber sie braucht jetzt unbedingt Ruhe, immerhin hat sie viel Blut verloren.“

„Ruhe“, meinte Ewald. „Die hat sie bis zum Morgen. Wir brechen früh auf. Es ist nicht mehr weit bis Konstantinopel.“

Gunild richtete sich empört auf.

„Meister!“, widersprach sie scharf. „Ich denke, du verstehst nicht. Deine Frau kann unmöglich morgen früh weitergehen. Sie braucht Ruhe. Sonst kriegt sie am Ende ein Fieber und einen Blutsturz und dann haben deine Kinder keine Mutter mehr.“

Katja fragte sich im Stillen, ob das wahr war oder ob Gunild diese Worte nur gewählt hatte, weil sie bei Ewald ins Schwarze treffen würden. Aber so oder so – sie hatte Recht. Die Vorstellung, am nächsten Tag weiterlaufen zu müssen, war schlicht nicht zu ertragen.

Ewald zog die Stirn kraus.

„Hm“, machte er. „Und wenn man sie wieder auf diesen Wagen …“

„Der Karren der Halbig-Brüder?“, entrüstete sich Gunild. „Dieses holprige, wackelige Gefährt? Meister, ich bitte dich. Wie kannst du das nur vorschlagen? Sieh sie dir an! Sie ist selbst noch ein halbes Kind, sie hat gerade ihr Erstgeborenes verloren, und du willst sie durch den Staub bis nach Byzanz schleifen?“

Ewalds Miene wurde zu Eis.

„Gevatterin“, erwiderte er kalt. „Ich bin dir mehr als dankbar für die Hilfe, die du heute Nacht meiner Frau hast angedeihen lassen. Aber Katharina ist noch immer mein Weib, und dein Tonfall gefällt mir nicht.“

„Was kümmert’s mich?“, gab Gunild barsch zurück. „Du kannst mir nicht den Mund verbieten. Wenn du die Kleine morgen zum Weiterlaufen zwingst, werde ich vor Gott und der Welt kundtun, was ich davon halte. Und ich werde mit meiner Meinung nicht allein sein!“

Katja hielt den Atem an. Noch nie hatte sie erlebt, dass jemand so mit Ewald gesprochen hatte – ja, noch nie hatte sie überhaupt erlebt, dass eine Frau dergestalt mit einem Mann geredet hatte – von der Bäckerin zu Hause einmal abgesehen, aber dann wusste man ja, dass ihr Mann bei ihr nichts zu sagen hatte. Ewald hingegen hatte eine Menge zu sagen, trotz der wenigen Worte, die er machte und er war dies bestimmt nicht gewöhnt.

Aber wie aufs Stichwort erschien die zweite Frau aus der Nacht und noch ein paar andere, die Arme verschränkt, den Blick grimmig.

Ewald wurde unsicher.

„Sie kann doch hier nicht bleiben“, sagte er zögernd. „Die Bulgaren sind wild, immer wieder hat es Zwischenfälle gegeben. Und den Griechen kann man nicht trauen. Denkt an Philippopolis! Sie ist nur im Zug sicher – und der wird ihretwegen nicht warten.“

Damit hatte er unzweifelhaft Recht. Die Tausenden von Menschen, die unterwegs ins Gelobte Land waren, würden bestimmt nicht anhalten, weil eine kleine Katharina aus Mainz ihr Kind verloren hatte. Auch die energischen Frauen mussten das einsehen. Gunild wurde sogar blass.

„Wartet“, sagte eine der anderen. „Ich habe gehört, dass einer der hohen Herren krank ist und sie ihn nach Adrianopel bringen wollen. Wir sind nicht weit von der Stadt entfernt. Vielleicht kann die Kleine bei ihnen bleiben.“

Gunilds Züge entspannten sich.

„Das wäre eine Idee“, sagte sie. „Ich würde mich anbieten, mit ihr zu gehen. Sie braucht jetzt eine Frau um sich. Du könntest mit deinen Kindern weiterziehen, Meister. Sobald der Herr sich erholt hat, kommen wir nach Byzanz. Dann hat sie zumindest noch etwas Ruhe.“

Ewald schien sich ebenfalls für den Vorschlag zu erwärmen.

„Wer ist denn dieser Herr?“, fragte er vorsichtig.

Die Frau zuckte mit den Achseln.

„Ich weiß es nicht genau“, gab sie zu. „Es ist ein Verwandter des Königs. Du müsstest das doch in Erfahrung bringen können, Meister. Dort gibt es bestimmt einen Friedhof, auf dem du deine Tochter beisetzen lassen könntet.“

„Ein Kind am Wegesrand zu verscharren, wenn man ins Heilige Land zieht, wäre ein böses Omen“, ließ sich eine andere vernehmen.

„Hm“, machte Ewald.

Mehr sagte er nicht. Er nahm das Bündel mit dem Kind und ging, wie es zu erwarten gewesen war. Doch am Morgen, als die Sonne aufging, kam er mit einem Karren zurück, auf dem der blonde Junge saß, und gemeinsam schafften sie Katja und Gunild zurück in die kleine Stadt Adrianopel.

Nur einen Tag zuvor hatte Katja Gunild noch nicht gekannt. Sie hatte sie vielleicht hin und wieder gesehen und stumm gegrüßt, als eine der vielen Frauen im Zug, aber die meiste Zeit war sie zu sehr mit sich, Ewald und den Kindern beschäftigt gewesen, als dass sie sich mit jemanden hätte anfreunden können. Folglich war diese Frau eine Fremde für Katja, wie all die anderen Menschen, mit denen sie in Adrianopel zurückgelassen wurde. Es machte ihr Angst. Da half noch nicht einmal die aufmunternde Grimasse, welche der Junge auf dem Karren für sie geschnitten hatte, bevor er sich auf die Hände gestellt und unter dem Gelächter der Reiter durch den Hof gesprungen war. Nein, das half nichts. So unwohl sie sich auch bei Ewald fühlte und so schwer ihr manchmal die Sorge für seine Kinder fiel – es war ihre Familie, seit vierzehn Monaten nun schon. Eine andere hatte sie nicht mehr.

Aber Gunild war freundlich, hatte sich als der lebensrettende Halt in der Nacht zuvor erwiesen und war sogar nett genug, Katja zu begleiten. Die Gefolgschaft des erkrankten Herrn hatte eher mit gerümpfter Nase auf sie herabgesehen. Von denen würde sie sicherlich keine Pflege erhalten.

Gunild schien ihr zuzustimmen.

„Na“, meinte sie aufmunternd zu Katja. „Jetzt suchen wir zwei uns ein hübsches Plätzchen, wo wir niemandem im Weg sind, was? Und dann besorge ich dir etwas zu essen. Du solltest ein wenig schlafen, Kleine, damit sich dein Blut wieder bildet.“

Katja nickte stumm. Sie warf Gunild einen unsicheren Blick von der Seite zu. Dies war die Frau, die dermaßen heftig gegen Ewald angetreten war – warum war sie zu ihr so sanft?

„Wir werden uns die Zeit gut vertreiben“, fuhr Gunild lächelnd fort. „Ich kenne viele Geschichten.“

Der königliche Verwandte war in einem Haus untergekommen, in das man Katja und Gunild gebracht hatte und wo sie die Erlaubnis bekamen, sich aufzuhalten, solange sie niemanden störten. Sie fanden eine geschützte Ecke im Hauptraum, abgeschirmt durch eine gemauerte Feuerstelle, wo sie ihr Lager aufschlagen konnten. Dann ging Gunild auf Erkundungstour, während Katja sich hinlegte. Im Stillen fragte sie sich, was wohl aus ihrem Kind geworden war. Aber schließlich taten Blutarmut und Müdigkeit ihr übriges, sie schlummerte ein und als sie aufwachte, war Gunild zurück und hatte etwas zu essen aufgetrieben.

Katja beobachtete sie unter den Wimpern, während sie aßen. Gunild hätte vom Alter her ihre Mutter sein können. Die Kleider, die sie trug, waren praktisch und aus gutem Stoff. Sie hatte ein Gebende mit einem Schleier darüber, wie Katja es getragen hatte, bevor die ständige Übelkeit sie dazu gebracht hatte, auf das Gebende zu verzichten und stattdessen einfach ein Tuch um den Kopf zu schlingen. Gunilds Haare waren kaum zu sehen; nur was an den Schläfen hervorlugte, war recht grau. Ihre Wangen waren rund, wie auch ihre Figur wohlgepolstert schien. Alles in allem war sie bestimmt keine Hungerleiderin. Aber sie schien allein unterwegs zu sein.

Wie kam sie in diesen Zug? Und warum war sie so nett zu Katja?

„Weshalb reist du allein ins Heilige Land?“, platzte Katja heraus, bevor sie sich auf die Lippen biss und zutiefst errötete. Ihre Unbeherrschtheit war ihr größter Fehler, sie wusste es. Der Vater hatte sie deshalb gewarnt, der Onkel mit ihr geschimpft – und Ewald sah sie immer so kalt an, wenn sie wieder einmal redete, ohne vorher nachzudenken.

Gunild lächelte, ein wenig gequält.

„Ich war nicht allein, als wir aufbrachen“, erklärte sie. „Wir haben meinen Mann in Ungarn begraben. Er hatte ein schwaches Herz und schaffte den Weg nicht mehr. Er wollte so gerne nach Jerusalem. Jetzt gehe ich für ihn.“

Katja biss sich auf die Lippen.

„Verzeih“, murmelte sie. „Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich wollte auch keine schmerzhaften Erinnerungen wecken, wo du …“

Sie brach ab. Gunild musterte sie neugierig.

„Wo ich was?“

Katja schluckte.

„Warum bist du so freundlich zu mir?“, fragte sie schüchtern.

Zu ihrem Erstaunen lachte Gunild leise.

„Oh Kleines“, sagte sie amüsiert. „Du hast viel mehr Freunde, als dir bewusst ist. Glaubst du denn, du wärst nicht aufgefallen? Es gibt nicht viele Mädchen in deinem Alter, die hochschwanger nach Jerusalem wandern. Die Frauen hätten dir gerne eher geholfen, aber …“

Sie vervollständigte den Satz nicht, doch Katja hatte auch so verstanden: Ewalds Stolz hätte es nicht zugelassen. Und sie war nicht geschickt genug, um Wege darum herum zu finden, zumal sie nicht einmal etwas von dieser Aufmerksamkeit mitbekommen hatte, die sie erregt hatte.

„Wir haben uns schon seit Tagen Sorgen um dich gemacht“, fuhr Gunild fort. „Du wurdest immer blasser und stiller. Ein Blinder konnte sehen, dass es dir nicht gut ging.“

„Meinem Mann war das egal“, murmelte Katja.

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Gunild tadelnd, so dass Katja wieder rot wurde.

„Nun ja … Er kümmert sich schon“, murmelte sie. „Er … er hat nur Sorgen.“

Damit hatte sie offensichtlich den richtigen Tonfall getroffen, denn Gunilds Gesicht wurde sanft.

„Ich gebe zu“, meinte sie, „Männer sind nicht immer einfach zu verstehen. Aber ich will dir gerne dabei helfen. Erzähl mir doch von ihm.“

„Erzählen?“ Jetzt war Katja verwirrt.

„Wir wollen uns doch die Zeit vertreiben“, sagte Gunild belustigt. „Dann können wir uns auch besser kennen lernen. Also, erzähle mir etwas.“

„Und was?“, erwiderte Katja.

Gunild zuckte mit den Schultern.

„Warum seid ihr unterwegs, zum Beispiel?“, fragte sie. „Seid ihr schon lange verheiratet? Es ist seine zweite Ehe, nicht wahr?“

„Seine dritte“, korrigierte Katja. „Ewald hat dreimal geheiratet. Die Meisterin Gertraude, Hilda, und mich. Die Kinder sind von Hilda.“

„Sie sind noch ziemlich klein, oder?“

„Lene ist sechs, und Teddy vier.“

„Man würde denken, dass man so kleine Kinder zu Hause lässt, wenn man durch die ganze Welt reist“, meinte Gunild.

Katja seufzte.

„Ja“, gestand sie. „Ich wäre auch gerne zu Hause geblieben. Nicht, dass ich Jerusalem nicht sehen wollte!“, setzte sie hastig hinzu. „Wirklich, ich freue mich darauf. Aber der Weg …. Der Weg ist doch recht beschwerlich.“

„Das ist nun einmal leider so“, lächelte Gunild.

„In Mainz“, erklärte Katja weiter, „wo wir gelebt haben, da gab es niemanden, bei dem Ewald die Kinder oder mich unterbringen konnte. Er sagte, es wäre einfacher, wenn wir alle beisammenbleiben würden. Außerdem würde es mir nicht schaden.“

„Dir?“, hakte Gunild nach.

Diesmal wurde Katja brennend rot.

„Ja, mir“, nuschelte sie. „Wegen … des Kindes … und …“

„Dein Kind? Was du verloren hast? War es denn nicht von ihm?“, fragte Gunild verblüfft.

Katja schluckte.

„Doch“, flüsterte sie.

„Aber?“, forschte Gunild.

„Aber“, wiederholte Katja. „Aber ich glaube … ich glaube, es ist meine Schuld, dass es gezeugt wurde. Er wollte keine Kinder mehr, er hat doch Teddy, na ja und Lene – die nimmt er eben so hin. Mein Onkel sagte, es wird meine Aufgabe sein, auf Hildas Kinder zu achten, weil es Hilda nicht mehr kann, das letzte Kind hat sie getötet … und er ist ein reicher Mann, so dass ich es schlechter hätte treffen können. Ich würde mein Auskommen haben, brauche mir keine Sorgen zu machen, und ich müsste auch keine Angst haben, so zu sterben wie meine Mutter – ja, all das hat mein Onkel gesagt, aber dann ist er gestorben und ich bin doch schwanger geworden, und jetzt sind wir hier.“

Wie ein kleiner Wasserfall war das rausgesprudelt, ohne dass sie ihre Geschichte dieser Fremden hatte anvertrauen wollen. Wie sollte sie ihr auch die Ehrfurcht deutlich machen, welche die kleine Katharina einst vor dem Goldschmiedemeister gehabt hatte, den man seiner Kunstwerke wegen den Vogelmann nannte, oder vor seiner ehrwürdigen, gestrengen Frau Gertraude. Katja war noch sehr klein gewesen, als besagte Frau des Meisters gestorben war, und trotzdem sah sie selbst heute noch das harte Gesicht vor sich, die kalten Augen, die nur für ihren Mann weich wurden. Sie hatte Hilda nicht beneidet, als diese die zweite Frau des Meisters Vogelmann wurde. Und als Hilda dann im Kindbett starb und zwei kleine Würmchen zurückließ, da war sie, Katja, gerade vierzehn geworden und bekam ihre erste Blutung. Sie hatte sich keine Gedanken gemacht, dass der Meister ihr auf der Straße nachsah und später im Haus ihres Onkels erschien. Sie war vielmehr aus allen Wolken gefallen, als der Onkel ihr erklärte, sie würde die dritte Frau des Vogelmannes werden. Bittere Tränen waren in ihrer Kammer geflossen, die Angst vor ihm kochte in ihr hoch, und nur das sanfte Zureden ihrer Cousine hatte sie so weit aufgerichtet, dass sie ihren Pflichten nachkommen konnte. Eine Wahl hatte sie sowieso kaum: Der Onkel war ihr Vormund, und was er wollte, würde mit ihr geschehen.

So war sie an einem Spätfrühlingstag die Braut von Ewald Vogelmann gewesen. ‚Maienhochzeit – Totenhochzeit’, hatte die Alte geraunt, die in der Küche des Onkels aushalf, und Katja war ein Schauer den Rücken hinuntergelaufen.

Aber Ewald hatte nicht auf den Juni warten können, hatte nicht einmal die Trauerzeit abgewartet, denn er hatte zwei kleine Kinder daheim und brauchte eine Frau. Vermutlich war es das gewesen, was er in Katja gesehen hatte – jung, kräftig, in der Lage, die Kinder groß zu bekommen und sich in seinem Alter um ihn zu kümmern. Die Hochzeitsnacht hatte er noch vollzogen, rasch und ohne viel Enthusiasmus, damit niemand die Ehe mehr anzweifeln konnte. Aber den ganzen Sommer über hatte Katja wie eine Kinderfrau in seinem Haus gelebt, und erst im Herbst, als der Onkel schon gestorben war, war er in ihre Kammer gekommen.

Ewald durfte sie ihre Schwangerschaft nicht übelnehmen, es war sein Recht gewesen und ihre Aufgabe, Kinder zu bekommen. Aber der Onkel, der ihr falsche Dinge erzählt und sie an den Vogelmann verkauft hatte, dem grollte sie insgeheim. Sie wusste ja, dass der Onkel froh gewesen war, sie loszuwerden. Er hatte sie ohnehin nur ungern nach dem Tod des Vaters in sein Haus genommen und sie immer so misstrauisch angesehen, denn der Onkel konnte sich im Gegensatz zu Katja noch gut an ihre Großmutter erinnern. Katja war die Einzige, die von der Familie der Russin übriggeblieben war. Aber sie war keine Hexe, sie hatte nicht das wilde Temperament der Großmutter. Lediglich die Haare und ihren Kosenamen, den hatte sie von der Russin geerbt. War das ein Grund, ihr zu misstrauen?

Also – wie hätte sie das Gunild erklären sollen? Es hätte eine Ewigkeit in Anspruch genommen, und so verstummte Katja wieder, wurde noch dunkler und sah zu Boden.

Gunild antwortete zunächst nicht. Dann räusperte sie sich.

„Weißt du, Kleines“, sagte sie sanft. „Als ich dich gesehen habe, da musste ich an meine Tochter denken, meine Jüngste. Die hatte auch so schöne, kastanienfarbene Zöpfe wie du. Sie ist gestorben, bevor sie sich selbst daran freuen konnte – aber ich, ich habe es genossen, ihre Haare zu kämmen und Schleifen hineinzubinden. Sie ist am längsten bei mir geblieben – fast fünf war sie, als ich sie verlor. Als sie starb, wusste ich, dass wir keine anderen Kinder mehr haben würden. Vielleicht verstehst du mich jetzt.“

Katja sah auf. Gunild musterte sie freundlich, eine unbestimmte Trauer ganz hinten in ihren Augen und ja, plötzlich konnte Katja es wirklich verstehen, diese Sanftheit der älteren Frau, diese Fürsorge, obwohl sie sich kaum kannten. Wenn Gunild ihrer Mutter mehr geähnelt hätte, vielleicht hätte Katja von Anfang an genauso empfunden.

„Es ist nicht schön, wenn Menschen sterben“, sagte sie unwillkürlich.

Gunild lächelte trotz drohender Tränen.

„Nein, Kleines“, sagte sie liebevoll. „Das ist es nie.“

Was Katja noch an Bedenken Gunild gegenüber gehabt hatte, war mit dieser Unterhaltung verschwunden. In den nächsten zwei Tagen kümmerte sich die Ältere fürsorglich um sie und sie genoss es. Es war sehr lange her, dass jemand Aufheben um ihr Wohlergehen gemacht hatte. Fast fühlte sie sich in das Haus ihres Vaters zurückversetzt.

Und Gunild konnte erzählen – keine Märchen oder Sagen, wie die Schausteller auf den Jahrmärkten, sondern handfeste Geschichten von Leuten, die sie kannte. Katja liebte es, zuzuhören, lachte sich halb kaputt über den einfältigen Sohn des Schusters, der versuchte, Leisten für Gänschen aus Stroh zu machen, und weinte stumme Tränen, wenn Gunild über ihre toten Kinder sprach.

Außerdem hatte sie einen schier unerschöpflichen Vorrat an weisen Sprüchen, die sie nur zu gerne teilte.

„Du musst lernen, dir selbst zu helfen“, sagte sie zu Katja. „Sonst hilft dir niemand.“

Natürlich relativierte sie diese harte Aussage sofort, verwies auf Gott, auf den man ja schließlich immer bauen konnte, und auf den Ehemann, auf den man zumindest bauen sollte. Zu letzterem hatte sie aber noch ein paar Weisheiten mehr.

„Du muss deinem Mann immer gehorchen“, sagte sie streng. „Das hat Gott so gewollt.“

Katja sah sie daraufhin etwas zweifelnd an, immerhin war dies Gunild, die sich gegen Ewald derart heftig aufgelehnt hatte. Gunild lächelte schwach.

„Es gibt allerdings“, schränkte sie ein, „es gibt Möglichkeiten, auch für eine Frau. Manchmal musst du ihm helfen, etwas besser zu verstehen. Vielleicht greifst du auch nur vor. Dein Mann, zum Beispiel, hätte bestimmt von selbst erkannt, was für ein Unsinn es gewesen wäre, eine Wöchnerin in deinem Zustand weiterzutreiben. Wir haben ihm bei der Erkenntnis bloß ein wenig geholfen.“

Katja fand diese Weisheit überaus faszinierend. Außerdem beruhigte sie die Vorstellung, dass Ewald das alles über kurz oder lang selbst eingesehen hätte, und dass er im Grunde nur ihr Bestes im Sinn hatte – denn schließlich, und da hatte Gunild absolut Recht, war sie von ihm abhängig und musste ihm gehorchen. Sagte die Kirche nicht auch, dass der Mann viel klüger war als die Frau? Nun, wenn Gunild und ihre Freundinnen und sogar sie, Katja, gewusst hatten, dass sie nicht weitergehen konnte, dann hatte das Ewald niemals verborgen bleiben können. Es waren bloß seine Sorgen, die ihn von der raschen Erkenntnis abgehalten hatten. So gesehen hatte Gunild sich auch gar nicht aufgelehnt, sondern Ewald nur unterstützt. Vielleicht konnte sie ebenfalls lernen, ihren Mann auf diese Art zu unterstützen. Sie äußerte diesen Gedanken zu Gunild.

„Ja“, sagte diese vage. „Sicherlich. Vergiss aber nicht, wie jung du noch bist, Kleines. Bis du etwas älter und weiser geworden bist, solltest du besser einfach nur gehorchen. Mach dir keine Sorgen. Du hast jetzt doch mich und ich sorge schon dafür, dass du mit deinen Kindern sicher nach Jerusalem kommst.“

Gunild, das hörte man schnell aus den Gesprächen heraus, hatte nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihren Mann sehr geliebt. Katja wurde ein wenig neidisch, wenn sie hörte, wie zärtlich und sanft sie von dem Verstorbenen sprach, und was für wundervolle Dinge er für sie getan hatte. Bei Ewald konnte sie sich all dies nur schwer vorstellen.

Immerhin hatte er ihr diese Unterkunft besorgt und einen Karren, der sie hergebracht hatte.

„Wem gehörte der Wagen?“, fragte sie Gunild.

„Welcher Wagen?“

„Der mit dem Maultier. Der uns hergefahren hat.“

„Ach! Das sind die Halbigbrüder. Du hast Max doch gesehen, oder?“, meinte Gunild. „Du musst ihn gesehen haben. Mätzchen-Max nennen sie ihn, weil er immer Faxen machen muss.“

Jetzt, wo sie es sagte, erinnerte sich Katja wieder an den strohblonden Jungen, der auf seinen Händen durch den Hof gehopst war und Grimassen geschnitten hatte.

„Mätzchen-Max?“, hakte sie naserümpfend nach.

„Er heißt Maximilian“, erklärte Gunild. „Der jüngere der Halbigbrüder. Sein älterer Bruder, das ist ein vernünftiger Mann und so freundlich. Du hast auf seinem Wagen gelegen, als du zu bluten angefangen hast. Daran musst du dich doch erinnern, Katharina.“

Katja erinnerte sich nur noch nebelhaft an diesen schmerzerfüllten Tag. Der Engel war gekommen und hatte sie gerettet und ja, sie hatte auf einem Karren gelegen. Was hatte der Engel doch gleich gesagt?

„Ich weiß es nicht mehr so genau“, entschuldigte sie sich.

Gunild lächelte.

„Das ist verständlich“, meinte sie begütigend. „Es ist nicht weiter schlimm. Sie haben es aus Nächstenliebe getan. Wahrscheinlich werden wir sie nicht so schnell wiedersehen. Sie wollten mit dem Heer weiterziehen, und wir, wir müssen ja erst einmal überhaupt nach Byzanz, nicht wahr? Dem hohen Herrn hier geht es nicht sehr gut. Es wird noch ein paar Wochen dauern, bis wir dort sind.“

„Ja“, sagte Katja.

Aber bereits in dieser Nacht sollte sich all das ändern.

Katja schlief. Sie lag an der Wand, ihr Tuch um sich gewickelt. Gunild hatte den Platz vor ihr eingenommen, denn obwohl Katja gerade eine schwere Fehlgeburt überlebt hatte, so sagte die Ältere, war sie doch jung und hübsch und manche Männer manchmal sehr unsensibel. Katja hatte es nicht weiter kommentiert. Sie mochte es, Gunild dicht neben sich zu wissen. Die Frau roch immer ein bisschen nach Zwiebeln, was sie seltsam beruhigend fand, und sie strahlte eine vertrauliche Wärme aus. Mit Gunild an ihrer Seite hatte Katja jede der letzten Nächte friedlich geschlafen.

Es war ein Laut, der sie weckte, etwas, was umfiel. Einen Moment lang konnte sie es nicht zuordnen, war merkwürdig verwirrt im Dunkel der Nacht. Gunild regte sich neben ihr. Katja richtete sich auf und öffnete den Mund, um sich über die Ruhestörung zu beschweren.

„Still, Kleines“, sagte Gunild leise. „Da stimmt etwas nicht.“

Ihre Stimme klang anders als jemals zuvor. Erst nach einem Moment begriff Katja, was so anders war: Gunild hatte Angst.

Sie waren durch das Land der wilden Bulgaren gezogen. Immer wieder hatte es Überfälle gegeben, und dann waren da auch noch die Räuber, die sie ständig heimgesucht hatten, und dieses seltsame kleine Heer von Griechen aus Konstantinopel, welches ihnen beharrlich folgte und beim König schon einigen Unwillen hervorgerufen haben sollte …

Sie waren weit, weit fort vom vertrauten Mainz, mit seinen dicken Mauern und sicheren Schlössern, mit den Nachtwächtern und Toren …

Sie waren weit fort von Ewald, Lene und Teddy und von dem Engel, der sie doch schon einmal beschützt hatte …

Sie waren hier ganz allein, in einer Stadt voller Fremder, in einem feindlichen Land und da waren unbekannte Gestalten vor der Tür.

Katja spürte, wie die lähmende Panik mit kalten Krallen nach ihr griff. Aber Gunild hatte angestrengt gelauscht und regte sich jetzt.

„Das sind Griechen“, sagte sie kaum hörbar. „Kleines, erinnerst du dich an die Luke?“

Unweit von ihrem Lager war eine Luke im Boden, die in den darunter liegenden Keller führte. Sie war im Boden eingelassen, kaum sichtbar am Tag, und unsichtbar in der Nacht. Katja nickte heftig, bevor sie begriff, dass Gunild sie nicht sehen konnte.

„Ja“, flüsterte sie.

„Gut“, antwortete Gunild. „Kriech dorthin, mach keinen Laut. Vielleicht ist es gar nichts, aber besser, wir verstecken uns unten. Ich trau den Griechen nicht.“

Wenn Gunild ihnen nicht traute, dann würde Katja es erst recht nicht tun. So nickte sie erneut, raffte sich auf und rutschte lautlos über den Boden, bis sie mit klammen Fingern die Luke fand. Sie hatte sich schon wieder recht gut von dem Blutverlust erholt, aber jetzt schwindelte ihr und in ihren Ohren sauste es.

„Ich mach das“, murmelte Gunild an ihrem Ohr. „Halt das.“

Sie drückte Katja die Decken in die Hand und diese verstand, dass Gunild jegliche Spur von ihrem Lager hatte verschwinden lassen. Es war also wirklich ernst. Aber bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, war die Luke offen, Gunilds Hand fand sie und drängte sie vorwärts. Blind tastete sich Katja mit Händen und Füßen den Weg hinunter. Das Deckenbündel landete mit einem kaum hörbaren Laut neben ihr, dann klackte das Holz, als Gunild die Luke schloss, und dann waren sie allein.

Katja hätte fast geschrien, als ein winziges Licht aufzuckte.

„Still!“, warnte Gunild leise. „Komm jetzt. Nimm das Bündel. Besser, wir verstecken uns.“

Der Keller war größtenteils leer, aber er hatte zwei weitere Räume mit ein paar Fässern und Kisten. Gunild schob ein paar davon zusammen, breitete die Decken dahinter aus, hieß Katja sich niederlegen und streckte sich ebenfalls aus, nachdem sie das Licht ausgeblasen hatte.

„Ich bin eine alte Unke“, murmelte sie. „Vermutlich werden wir morgen darüber lachen.“

Und dann brach über ihnen die Hölle los.

Gunild war keine alte Unke, sondern hatte den richtigen, den siebten Sinn bewiesen. Was sich da über ihren Köpfen abspielte, war unzweifelhaft ein Überfall, und zwar einer, den die Deutschen verloren. Sie hörten es an dem Geschrei, an den fallenden Körpern und sie sahen es bald auch durch den hellen Schein, der durch die Ritzen der Luke fiel.

„Sie brennen das Haus ab“, flüsterte Gunild. „Oh süße Mutter Maria!“

Katja und sie saßen in der Ecke, geschützt durch Fässer und Kisten, so weit wie möglich vom Eingang entfernt, und klammerten sich aneinander. Katja hatte längst angefangen, vor Angst zu weinen. Die meiste Zeit über vergrub sie ihr Gesicht in Gunilds Kleid, während sie leise vor sich hin jammerte. Glücklicherweise hatte sie sich noch so weit unter Kontrolle, dass sie nicht zu viel Lärm machte – aber bei dem Lärm über ihnen konnte es das vermutlich sowieso niemand hören.

„Wir können hier nicht raus, wir können nicht raus!“, schluchzte sie.

Gunild hielt sie fest, strich über ihre Haare und antwortete: „Nein, das können wir nicht. Aber der Herr Jesus wird uns beschützen.“

„Sie brennen das Haus ab!“

„Mutter Maria wird nicht zulassen, dass uns etwas geschieht“, erwiderte Gunild. „Sie beschützt alle Frauen. Und du hast dein Kind gerade verloren. Auf dich wird sie ganz besonders achten.“

Oh, Katja hoffte es, hoffte es so inbrünstig, denn egal, was für eine Qual das Leben sein konnte, sie wollte nicht sterben. Sie hatte entsetzliche Angst.

Der Lärm ließ schließlich nach, ohne dass jemand die Luke entdeckt hatte, aber der Feuerschein wurde stärker, dann wurde es warm, und dann verstummten auch Gunilds beruhigende Worte, während sie sich aneinanderklammerten und mit den Tüchern ihre Gesichter schützten. Katja hatte schließlich nicht einmal mehr die Kraft zu weinen. Mit einem hässlichen Bersten stürzte die Luke irgendwann herab – aber anscheinend wachte Maria im Himmel tatsächlich über sie oder vielleicht war es das steinerne Gelass oder die dicken, schwer brennbaren Eichenbohlen, denn der Keller fing tatsächlich kein Feuer.

Der Morgen kam letztendlich, mit ihm Löschtrupps und mit ihm, irgendwann, wieder bekannte deutsche Stimmen.

„Komm!“, sagte Gunild energisch zu der erschöpften Katja. „Das schaffst du. Zu denen müssen wir jetzt!“

Hauptsächlich, weil Gunild von hinten schob, gelang es Katja, die wacklige, mitgenommene Treppe hinaufzukriechen. Oben hielt sie entsetzt inne. Das ganze Haus war buchstäblich über ihren Köpfen abgebrannt, nur noch die Mauern standen.

„Geh weiter!“, schimpfte Gunild und dann eine andere Stimme: „Was haben wir denn da?“

Ein Arm kam aus dem Nirgendwo, packte Katja, zog sie auf die Füße und drehte sie herum. Sie stand einem Hünen gegenüber, den Kopf voller roter Haare, mit einem kupfrig schimmernden Bart.

Sie konnte nichts sagen.

Gunild krabbelte neben ihr die Leiter hoch.

„Oh Herr!“, rief sie und knickste, „Euch schickt der Himmel, Herr! Wir hatten hier Unterschlupf gefunden. Die Kleine hatte eine schwere Fehlgeburt und konnte nicht reisen, und man hatte uns gütigst erlaubt, dass sie sich hier ausruhen durfte. Sonst hätten wir keinerlei Schutz gehabt in diesem Land!“

„Na“, meinte der rote Riese. „Der Schutz hat euch ja wirklich was genutzt, Frau. Wo kommt ihr denn her?“

„Aus dem Keller, Herr“, erklärte Gunild rasch. „Wir hatten ein Geräusch gehört, und ich dachte doch … das Mädchen ist hübsch und ich hatte Sorge um sie. Also haben wir uns da unten versteckt.“

„Was euch unzweifelhaft das Leben gerettet hat“, grinste der Riese. „Ihr hattet unfassbares Glück. Das war ein Überfall – verdammte Griechen! Ich möchte wissen, wie viel sie gestohlen haben. Wir werden es uns schon wieder holen!“

„Sicherlich, Herr“, sagte Gunild und knickste erneut. „Aber ich bitte Euch, Herr, wir gehören zu den Pilgern. Wir können doch hier nicht mehr bleiben. Herr, wenn Ihr uns Euren Schutz gewähren würdet … seht Euch das Mädchen an, wie blass sie ist. Ihr Ehemann ist mit seinen älteren Kindern beim Zug geblieben, aber sie konnte nicht mehr laufen. Was soll denn nun aus uns werden? Wir müssen doch nach Konstantinopel kommen, Herr.“

Der Riese, der während des gesamten Gespräches seine Augen eher auf Katja als auf Gunild gerichtet, hatte, begann jetzt zu lächeln.

„Meinen Schutz, so“, sagte er. „Wie heißt du, Frau?“

„Gunild“, sagte Gunild und knickste erneut. „Mein Name ist Gunild. Mein Mann ist in Ungarn verstorben.“

„Schon gut“, sagte der Riese. „Und du, Kleine? Wer bist du?“

Katja hatte trockene Lippen und musste erst schlucken.

„Katharina, Herr“, sagte sie, bevor ihr herausrutschte. „Und Ihr?“

Der rothaarige Hüne lachte schallend auf, beugte sich vor und kniff sie in die Wange.

„Ich bin Friedrich von Schwaben“, sagte er augenzwinkernd. „Man nennt mich den roten Friedrich. Deine Haare gefallen mir, Kleine. Wir Rothaarigen müssen zusammenhalten, nicht wahr? Also – die zwei hier stehen unter meinem Schutz.“

Er richtete sich auf, winkte einen weiteren Mann herbei.

„Besorgt ihnen was zu essen und zu trinken“, befahl er. „Sie sollen sich irgendwo ausruhen können. Wir wollen hier mal aufräumen und dann schauen wir, was wir mit der Sauerei anfangen.“

Dies war das erste Mal, dass Katja dem jungen Herzog von Schwaben begegnete. Gunild erklärte ihr, dass er der Neffe des deutschen Königs Konrad wäre, ein ungestümer, tatkräftiger Mann, dem im Gegensatz zu seinem Onkel alles zu glücken schien. Das Volk liebte den roten Friedrich.

Und Katja fand ihn äußerst beeindruckend.

„Sie verhandeln immer noch, Katja“, sagte Gunild müde. „Komm von der Tür weg.“

„Ich will doch nur wissen, um was es geht!“, beharrte Katja, die neugierig lauschte.

Draußen sprachen Friedrich von Schwaben und dieser byzantinische Hauptmann mit dem komischen Namen. Prosouch. Da merkte man wieder, dass man in fremden Landen war.

„Es geht um Geld, was sonst“, murrte Gunild, „Katharina! Wenn sie dich beim Horchen erwischen, ergeht es uns beiden übel. Nur weil er dich anlächelt, ist er noch lange nicht harmlos.“

Und für sich murmelnd setzte sie hinzu: „Gefällt mir sowieso nicht, wie er dich anlächelt.“

Katja ignorierte das. Ihr Entsetzen hatte sich angesichts ihres neuen Schutzes rasch aufgelöst, die zunehmende Vertrautheit mit Gunild tat ihr übriges, und dazu kam noch, dass sie sich jeden Tag körperlich besser fühlte. Sie war wieder obenauf. Sobald Friedrich diese Sache mit dem Geld geklärt hatte, würden sie zum Haupttrupp der Kreuzfahrer zurückkehren und alles wäre wieder in Ordnung.

Soweit es in Ordnung sein konnte, verstand sich. Abgesehen davon war sie neugierig. Sie wusste, Gunild würde sie weder verraten noch übermäßig schelten, wenn sie etwas herausfand. Sie lauschte angestrengt. Prosouchs Deutsch war in etwa so schlecht wie Friedrichs Griechisch, und deshalb sprach man per Dolmetscher, was die Sache für Katja erheblich erleichterte.

„Wusstest du, dass unsere Leute um Philippopolis herum gehaust haben wie die Schweine?“, fragte sie nach einem Moment.

„Hm?“ Gunild hatte die Augen geschlossen und öffnete sie eher unwillig.

„Das hat er gerade gesagt, dieser Grieche“, meinte Katja. „Er sagt, Friedrich sollte sich nicht zu sehr beschweren, schließlich wären die Deutschen genauso schlimm. Oder sogar viel schlimmer. Hm, erstaunlich. Sonst drückt er sich immer so salbungsvoll aus.“

„Er wird sich bestimmt nicht höflich ausdrücken, dieser Grieche, wenn er dich beim Spionieren erwischt“, schimpfte Gunild.

„Dann ist es besser, er erwischt mich nicht“, erwiderte Katja strahlend. „Aber im Ernst. Wusstest du das? Sie sollen geplündert und geraubt haben.“

„Die Griechen hatten es vermutlich verdient. Die verlangen sowieso viel zu viel für etwas zu essen.“

„Dürfen sie nicht verlangen, was sie wollen?“

„Wir sind Kreuzfahrer. Jeder Christ sollte uns freiwillig geben.“

„Und wenn sie nicht freiwillig geben, dann dürfen wir sie zwingen?“

„Na ja“, machte Gunild unbehaglich. „Kann schon sein, dass unsere manchmal ein wenig übertrieben haben. Das musst du doch mitbekommen haben.“

„Ehrlich, Gunild“, sagte Katja offen. „Ich glaube, seit der ungarischen Grenze habe ich überhaupt nichts mehr mitbekommen. Also haben sie geplündert. Hatte die Kirche das nicht verboten? Ewald meinte, Priester Bernhard hätte gesagt, wir dürften nie vergessen, dass wir Christenmenschen sind und nach den Geboten Gottes leben. Das heißt doch, wir dürfen nicht stehlen. Und plündern ist stehlen. Rauben sowieso.“

„Katja“, erklärte Gunild streng, „Gott wird besondere Regeln für Kreuzfahrer haben. Schließlich ist dies eine besondere Situation. Das Königreich Jerusalem ist bedroht und wir sind im Namen der gesamten Christenheit unterwegs, um es gegen die Sarazenen zu verteidigen. Willst du, dass Jerusalem fällt, nur weil ein paar Griechen Angst um ihre Kuh haben?“

„Nei-ein“, meinte Katja zögerlich. „Aber trotzdem kommt’s mir falsch vor. Wenn ich eine Kuh hätte …“

„Wenn du eine Kuh hättest, würdest du sie dann nicht freiwillig hergeben, um die Stadt des Herrn zu schützen?“, unterbrach Gunild sie rasch.

Katja biss sich auf die Lippen.

„Doch“, gab sie zu, obwohl sie sich im Innern fragte, ob das stimmte. Schließlich hatte sie Jerusalem noch nicht einmal gesehen. Schließlich hätte sie überhaupt nichts dagegen gehabt, in Mainz zu bleiben und einem anderen ihren Anteil an der gestohlenen Kuh zu überlassen – oder wie auch immer man das ausdrücken wollte.

„Friedrich scheint Plündern ebenfalls nicht so schlimm zu finden“, sagte sie langsam, das Ohr wieder an die Tür gepresst. „Ich glaube, sie verhandeln jetzt wirklich. Es klingt, als hätten sie schon einige Übung darin.“

„Immerhin folgt uns der vermaledeite Grieche, seitdem wir die byzantinische Grenze überschritten haben“, knurrte Gunild. „Macht mich ganz verrückt. Wir kommen, um der Kirche zu helfen und der Beschützer der Ostkirche schickt uns einen Wachhund auf den Hals.“

„Wer ist der Beschützer der Ostkirche?“

„Der Kaiser Manuel, in Konstantinopel. Soll ein ganz ausgekochter Fuchs sein.“

„Und warum schickt er uns einen Wachhund?“

„Was weiß ich. Vielleicht, weil alle Griechen hinterlistige, durchtriebene Schlitzohren sind, die uns im Schlaf ermorden wollen? Du stellst zu viele Fragen, Katharina.“

„Hm“, machte Katja, aber für sich dachte sie, dass jemand, der seine Kuh nicht aufgeben wollte, sich über einen Wachhund wie diesen Prosouch sehr freuen würde.

Und außerdem hatte sie den stillen Verdacht, dass die Sache nicht ganz so einfach war.

Es ging tatsächlich um Geld – irgendwelches Geld, welches dieser überfallene Verwandte des deutschen Königs in Adrianopel bei sich gehabt hatte und welches jetzt verschwunden war. Wenn man Friedrich so zuhörte, konnte man den Eindruck bekommen, das Geld würde ihm wichtiger als das Leben seines Verwandten sein, aber da konnte man sich natürlich auch irren. Katja zumindest war geneigt, dem roten Friedrich so einiges nachzusehen, allein schon wegen der Haarfarbe – auch wenn er sich getäuscht hatte, denn ihre Haare waren nicht rot, sondern kastanienfarben.

Das war ein Unterschied.

Trotzdem mochte sie sein Lächeln und trotzdem band sie ihr Kopftuch nicht allzu fest in diesen Tagen, obwohl Gunild sie argwöhnisch musterte. Sie hatte keine Hintergedanken dabei, immerhin war sie verheiratet. Aber wenn sein Lächeln sie streifte, hatte sie das Gefühl zu wachsen, und da sie dieses Gefühl so mochte, sorgte sie dafür, dass sein Lächeln sie so oft wie möglich streifte.

Gunild klebte an ihr wie ein Wachhund.

Wäre Friedrich von Schwaben, der junge Neffe des deutschen Königs Konrads, in diesen Tagen nicht so beschäftigt gewesen – damit, das Geld zu finden, und damit, die strapazierten Beziehungen zu den strapazierten Griechen zu pflegen, damit sein Onkel das Ziel auch erreichen würde – wer weiß, vielleicht hätte Katja dann bald noch etwas anderes außer ihrem Kopftuch aufschnüren müssen. Doch das Schicksal war auf ihrer Seite. Friedrich hatte einfach keine Zeit für ein kleines Mädchen. Der einzige Genuss, in den sie kam – und das war ungewöhnlich genug – war ein Ritt auf seinem Pferd.

Letztendlich hatte man die leidige Angelegenheit geklärt. Katja wusste nicht genau wie und es war ihr auch egal, aber so richtig konnte sie sich nicht darüber freuen. Dies bedeutete die Rückkehr zum Trupp der Kreuzfahrer und damit würde sie wieder Ewalds Aufsicht unterstellt, hatte Lene und Teddy, für die sie sorgen müsste, und weder Gunild für vertraute Gespräche noch Friedrich, damit er sie anlächelte. In der Masse der Pilger würde sie einfach untergehen.

So stand sie ziemlich bedrückt da, ihre magere, übrig gebliebene Habe in ein kleines Bündel geschnürt und wartete auf den Aufbruch. Die Pferde wurden gesattelt. Gunild, die erfahren hatte, dass es keine Wagen gab, sondern dass die Männer je eine der Frauen im Sattel hinter sich nehmen würden, musterte die Tiere mit argwöhnischem Blick. Seit der Geschichte mit der Kuh vermutete Katja, dass sie in Tieren grundsätzlich nur ihren Nutzwert sah. Sie selbst hingegen freute sich an dem Farbenspiel der Felle, den dunklen, feuchten Augen und den langen Hälsen. Auch das würde sie bald nicht mehr sehen, denn die Klepper aus ihrer Abteilung des Zuges waren durch nichts mit diesen Pferden zu vergleichen. Ewald hatte sogar nur ein Maultier, auf dem, zwischen die Bündel gebettet, Teddy ritt.

„Nanu, Kleine? So unglücklich?“, erklang eine dröhnende Stimme neben ihr.

Sie sah erschrocken auf und wurde rot. Friedrich war herausgekommen, rückte sein Kettenhemd zurecht und strahlte auf sie herunter.

„Ich hätte gedacht, du freust dich darauf, zu den anderen zurückzukommen“, fuhr er freundlich fort. „Deine Freunde, deine Familie, die Sicherheit …“

„Aber ich habe mich sicher gefühlt, seitdem Ihr da seid“, sprudelte Katja heraus. „Und ich dachte gerade … ich dachte …“ Zögernd streckte sie eine Hand aus und fuhr dem nächstbesten Pferd ganz vorsichtig über das Fell. Sie war noch nie geritten, außer auf einem Esel.

„Was dachtest du?“, hakte er nach.

Sie senkte den Kopf.

„Dass ich das vermissen werde“, murmelte sie.

Friedrich sah auf sie herunter, einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Dann lachte er plötzlich.

„Die Gäule wirst du vermissen, Kind?“, grinste er. „Wenn’s weiter nichts ist! Dann wollen wir dir den Abschied versüßen, was? Du kannst mit mir reiten. Das ist nämlich mein stolzes Ross, dass du da gerade kraulst.“

Katja zog erschrocken die Hand zurück. Das hatte sie nicht gewusst.

„Verzeiht“, sagte sie unsicher. „Ich habe nicht … Ich dachte …“

„Was denn jetzt?“, unterbrach er sie augenzwinkernd. „Willst du nicht mit mir reiten?“

Sie hielt einen Moment inne. Dann kroch vorsichtig, ganz verhalten ein Lächeln über ihr Gesicht, welches immer strahlender wurde.

„Doch, gerne!“, sagte sie glücklich.

Und unter Gunilds strafenden Blicken ließ sie sich überwältigt auf das Pferd heben.

Es wurde dann nicht ganz so schön, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie saß im Damensitz hinter ihm, klammerte sich an seinem Gürtel fest und hatte Schwierigkeiten mit ihrem Halt, denn Friedrich von Schwaben hielt nichts von Trab oder Schritt. Schön war das sicherlich nicht. Sie bekam zunehmend Schmerzen, ihr wurde immer schwindliger. Schließlich hätte sie fast seinen Gürtel aus den Händen verloren, als das Pferd durch eine Senke sprang. Da schien er zu merken, wie es um sie stand.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er über die Schulter hinweg.

„Ja“, antwortete Katja erstickt.

Er verlangsamte die Gangart, warf einen Blick zurück und hielt an.

„Wartet mal“, murmelte er, drehte sich herum, packte ihre Taille und hob sie mit einem Schwung nach vorne. Jetzt saß sie sicherer, direkt in seinen Armen.

„Du bist aber ganz schön blass, Kleine“, sagte er kopfschüttelnd.

„Ihre Fehlgeburt liegt erst eine Woche zurück!“, ließ sich lauthals Gunild vernehmen, deren Reiter jetzt ebenfalls herangekommen war. Sie hatte vor Empörung zornrote Wangen und nahm es mit dem Respekt nicht mehr ganz so genau.

„Stimmt ja“, meinte Friedrich leise. „Das hatte ich ganz vergessen. Du hättest etwas sagen sollen, Katharina.“

Er hatte sich ihren Namen gemerkt – in Katja ging die Sonne auf. Die Farbe kehrte in ihre Wangen zurück.

„Ich wollte kein Hemmnis sein, Herr“, sagte sie stolz.

Er grinste, schüttelte den Kopf und sagte laut: „Ich glaube, es wird uns nicht umbringen, wenn wir etwas später bei meinem Onkel ankommen. So eilig haben wir es nicht. Weiter, meine Herren!“

Er drückte dem Pferd die Schenkel in die Flanken, so dass es sich langsam in Bewegung setzte. Die anderen folgten ihm, wobei der Reiter mit Gunild wohlweislich ein wenig zurückfiel.

Nun war es nur noch schön. Ein Teil von Katja brannte zwar vor Verlegenheit, aber der Rest genoss den bequemen Sitz, die festen Arme, die sie hielten, die verbesserte Aussicht und manchmal, wenn sie sich traute, den Blick Friedrichs von Schwaben.

„War das dein erstes Kind?“, fragte er unvermutet.

Katja wurde dunkelrot. So etwas konnte man doch nicht mit einem Mann besprechen!

„Ja“, würgte sie heraus.

Und weil es der Herzog war und er so nett lächeln konnte, setzte sie unbeholfen hinzu: „Es war zu klein. Konnte noch nicht allein leben.“

„Hm“, machte er. Offensichtlich war er mit diesem Thema ebenfalls nicht vertraut.

Sie schwiegen einige Minuten.

„Dein Mann“, startete er dann erneut. „Der ist auch Kreuzfahrer?“

„Ja, Herr.“

„Ein Ritter?“

„Oh nein, Herr“, erklärte sie schnell. „Er ist Goldschmied. Er war in Frankfurt, als Bernhard von Clairvaux dort predigte.“

„Ah“, machte Friedrich. „Der heilige Bernhard. Ich verstehe. Dann hat ihn also die christliche Inbrunst gepackt, so wie den Großteil der Leute?“

Sie wusste nicht genau, was das zu bedeuten hatte.

„Ich denke schon“, meinte sie unsicher.

„Und du? Warum bist du dabei?“

Was sollte man dazu schon sagen?

„Meister Vogelmann wollte eben, dass ich mitkomme“, erklärte sie schlicht.

„Wie viel älter ist er als du?“

„Woher wisst Ihr …“ platzte sie heraus.

Er grinste.

„Dein erstes Kind und ältere Kinder mit ihm beim Zug“, zählte er auf. „Das war nicht schwer auszurechnen. Also, wie viel?“

„Er ist fünfzig Jahre diesen Sommer, Herr“, antwortete sie ehrlich.

„Und du?“

Sie konnte ihn nicht mehr ansehen und schaute lieber über seine Schulter.

„Fünfzehn, Herr“, gestand sie. „Darf ich … darf ich Euch etwas fragen, Herr?“

„Ja“, sagte er grinsend.

„Warum hat uns der Kaiser Manuel einen Wachhund geschickt?“

„Oh!“ Seine amüsierte Miene wurde schlagartig ernst.

„Wie kommst du darauf?“, fragte er streng.

Katja bedauerte ihre Frage sofort, egal, wie sehr sie ihr auf den Nägeln gebrannt hatte. Jetzt lächelte er sie nicht mehr an. Oh, Gunild hatte so Recht gehabt.

„Weil …“ stotterte sie. „Weil … weil er uns folgt … seit der Grenze … und weil … weil man sagt, dass die Griechen … dass man denen nicht vertrauen darf, weil sie einen im Schlaf ermorden … und ja, das hat man ja mit Gunild und mir auch fast getan, nicht wahr?“

„Hm“, machte er. „Gut, was das anbetrifft, hast du Recht. Aber Prosouch folgt uns nicht nur, damit er auf uns aufpassen kann. Er folgt uns auch, damit er auf seine Leute aufpassen kann.“

„Und warum?“, fragte sie verständnislos.

Das Lächeln kehrte auf Friedrichs Gesicht zurück.

„Kleines“, sagte er. „Hast du dir mal unser Heer genau angesehen? Hast du mal geschaut, wer da so alles mitläuft?“

„Ich verstehe nicht“, murmelte sie.

„Nun.“ Jetzt grinste er. „Zum einen sind da Leute wie du und deine Gunild und dann sind da ausgebildete Kämpfer, ein paar rauflustige Bauern, ein paar von Edelmut überwältigte Bürger, ein paar von Habgier überwältigte – oder auch mehrere – ein paar Ritter, ein paar Grafen und Barone, ein paar Frauen und Kinder …“

„Was wollt Ihr damit sagen?“, unterbrach sie ihn.

„Na“, lachte er, „dass dies vermutlich der bunteste, undisziplinierteste und unorganisierteste Haufen ist, der je aufgebrochen ist, um ein Land zu befreien. Wir können es Edessa nur wünschen, dass sich dieses Heer ein bisschen besser strukturieren lässt, bevor wir angekommen sind. Mit anderen Worten, mein ahnungsloser Engel – hier Ordnung zu halten ist mehr, als nur ein einzelner Mensch vermag. König Konrad tut sein Bestes, aber darauf allein vertraut der Kaiser in Byzanz nicht. Und weil es genau deshalb immer wieder Probleme zwischen uns und den Griechen gibt, weil immer mal wieder irgendwo ein paar Tölpel über die Stränge schlagen, ist Prosouch da. Er glättet die Wogen. Wir wollen alle möglichst wenig Ärger miteinander.“

„Aha“, machte Katja. „Und in Adrianopel, wo war er da?“

„Er kann nicht immer überall sein, Kleines. Ich bitte dich. Glaubst du, er wird uns angreifen? Prosouchs Leute sind viel, viel weniger als wir. Und Manuel hat ein Interesse daran, dass die Heiden wieder zurückgedrängt werden. Sie stehen nämlich auch an seinen Grenzen.“

Katja sinnierte darüber eine Weile nach.

„Das heißt also, sie haben geplündert und geraubt“, sagte sie schließlich. „Ich meine, unsere Leute. Die Kreuzfahrer.“

„Und vermutlich auch ein wenig gebrandschatzt, vergewaltigt und gemeuchelt, ja“, gab er bereitwillig zurück. „Das ist kein Haufen reiner Engel, mit dem du da unterwegs bist, mein hübscher Schatz.“

„Hm“, machte Katja. „Mag sein. Aber ist das wirklich alles?“

„Das“, erklärte Friedrich von Schwaben spöttisch, „ist alles, was du wissen musst.“

Sie hatten keine Schwierigkeiten, ihre Leute in der riesigen Masse von Kreuzfahrern wiederzufinden. Zwar ritten Friedrich und seine Leute direkt bis vor das Zelt König Konrads, aber als sie abgesessen hatten und Gunild und sie sich ihren Weg suchen wollten, stand der blonde Junge vor ihnen.

„Max!“, sagte Gunild erfreut. Ihre Laune war sprunghaft gestiegen, seitdem Katja von Friedrichs Pferd herunter war.

„Wir sind zurück!“, setzte sie hinzu. „Wir konnten nicht bleiben. Es gab einen Überfall.“

Max ignorierte sie, er starrte stattdessen auf den jetzt leeren Platz und Katja.

„Mann!“, sagte er. „Du bist mit dem Herzog von Schwaben geritten!“

Katja hob das Kinn.

„Ja“, erwiderte sie nur. „Und?“

Max schüttelte ungläubig den Kopf.

„Irre!“, sagte er.

Dann musterte er sie genauer.

„Siehst ja besser aus“, erklärte er. „Nicht mehr so käsig. Du hast auf meine Jacke geblutet, weißt du das? Und auf Rudolphs Schwert, aber der meint, das wäre nicht schlimm. Ich weiß nicht so.“

„Maximilian Halbig!“, fuhr Gunild empört auf. „Rede nicht so mit der Frau vom Meister Vogelmann! Sie hat genug durchgemacht – und überhaupt sollest du ihr Blut nicht einmal erwähnen!“

Katja war bei dieser Erwähnung tatsächlich wieder rot geworden. Jetzt streckte sie stolz das Kinn vor.

„Beschwer dich doch beim Herzog“, sagte sie kalt.

Aber der Junge reagierte nicht wie erwartet, sondern begann zu grinsen.

„Och nö, lieber nicht“, meinte er. „Ich kann das schon verschmerzen. Gevatterin, wenn du mich weiterhin so böse anschaust, werde ich tot hier zusammenbrechen, und dann musst du Fragen beantworten.“ Er verdrehte die Augen, schlang die Hände um den Hals und begann, Würgegeräusche von sich zu geben.

Zu Katjas Erstaunen lachte Gunild.