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Bina Birnbaum ist die stärkste Hexe ihrer Generation - nur leider weiß das kaum einer. Umso begeisterter stürzt sich Bina auf ihren neuesten Auftrag: das Heben des Fluches, mit dem die benachbarten Werwölfe, die Martins, belegt sind. Ihr zur Seite steht der Waldelf Cianán, der selber gerade erst die Welt außerhalb seines Waldes entdeckt. Allerdings stellt sich der Auftrag als nicht so einfach wie gedacht heraus, und weckt zudem Geister der Vergangenheit, die Bina und ihre Freunde bald in ziemliche Bedrängnis bringen... Hexen mittendrin im Mix ist der zweite Teil der Trilogie Von Elfen und Wölfen.
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Seitenzahl: 715
Veröffentlichungsjahr: 2025
Widmung
Bina und die verflixte Neugier
Bina und der verflixte Fluch
Bina und das verflixte Drama
Cianán
Bina
Anhang
Erklärungen
Personen
Menschen trauern auf verschiedenste Art und Weise. Manche schließen sich ein. Manche weinen nur noch. Manche fangen an, das Leben jetzt erst recht zu genießen.
Und manche schreiben verrückte, fantastische und vielleicht ein wenig kuriose Geschichten.
Für Dich, Mama
In Erinnerung
Und für meine Familie
Danke, dass es Euch gibt
Als das Telefon klingelt, ist es noch mitten in der Nacht.
Ich wühle einen Arm unter meinem Deckenberg hervor, taste wirr herum – hauptsächlich, damit dieses infernalische Klingeln endlich aufhört! – und bin voller Erleichterung, als ich mein Handy finde und zu mir unter die Decken ziehen kann.
„Birnbaum“, nuschele ich.
„Bina?“, erklingt eine unglaublich wache Stimme. „Bist du das? Hab ich dich etwa geweckt?“
„Hm ...?“ Mir wird klar, dass hier etwas nicht stimmt. Zum einen ist es mitten in der Nacht nicht so hell. Und zum anderen habe ich tierische Kopfschmerzen.
„Wie spät ist es?“, frage ich vorsichtshalber. Es kommt etwas undeutlich hervor, was an meinem Deckengebirge und/oder auch an anderem liegen kann.
„Es ist kurz nach zwölf!“, sagt die Stimme, die ich inzwischen identifizieren kann. Sebastian Levinski, ein entfernter Cousin, guter Freund und zu Recht erstaunt, dass ich, Bina Birnbaum, mittags noch in den Federn liege. Ich setze mich auf.
Ah. Fehler.
„Sebastian?“, brumme ich und reibe über meinen armen Schädel.
Nur äußerst ungern mache ich meine Augen auf. Um mich herum herrscht das Chaos. Oh je. Lieber wieder zu. Ist auch besser, wegen des stechenden Lichtes.
„Bina!“, sagt Sebastian. „Ich habe eine Bitte an dich. Oder ist es schlecht? Du klingst so. Ich hoffe, die Party war es wert.“
Party? Ich war auf keiner Party. Ich hatte einen epischen Streit ... Uups. Ich erinnere mich, leider. Gestern habe ich mich von meinem Freund getrennt. Und anscheinend habe ich mich danach ins Koma getrunken.
„Keine Party“, seufze ich. Mein Fuß stößt gegen etwas Hartes. Ich wühle in den Decken herum und ziehe eine Wodkaflasche hervor.
Ernsthaft? Wodka?
„Keine Party? Bist du krank?“
„Nein“, meine ich und hoffe das wirklich, so schlecht wie mir ist. „Was ist los? Du klingst ernst.“
Ich versuche mich echt auf das zu konzentrieren, was er sagt. Ich kenne Sebastian praktisch schon mein Leben lang. Eine Tante dritten Grades hat in seine Familie eingeheiratet, oder war es eine Großtante ... Arabella wüsste das bestimmt. Aber ich bin nicht Arabella, und meistens ist mir egal, wie genau ich mit wem verwandt oder verschwägert bin. Ich weiß dies: Als wir beide noch Kinder waren, haben Sebastian und ich einen elenden, unglaublich langen Sommer zusammen im Feriencamp für Hexen gelitten. Er war damals acht, ich zehn.
Er hat gelitten, weil er offensichtlich überhaupt kein Talent für Magie hat, ich, weil ich meines gemäß Arabellas Anweisungen nicht zeigen durfte. Er litt folglich, weil er nicht zaubern konnte, ich, weil ich nicht durfte, und wir beide, weil die anderen Kinder des Camps uns als Verlierer bezeichneten. Naturgemäß haben wir uns verbündet. Wir hatten sogar kurzzeitig überlegt, ob ich nicht für ihn zaubern sollte, es aus praktischen Gründen aber lieber gelassen.
Zum Glück, es wäre bestimmt aufgeflogen, und dann hätte meine große Schwester mich übers Knie gelegt und außer Landes gebracht.
Ja, Arabella ist harsch.
Plötzlich fällt mir wieder ein, warum ich eine Wodka-Flasche in der Hand halte.
„Ha!“, sage ich spontan.
„Ha was?“, fragt Sebastian.
Oh je – der Arme hat die ganze Zeit geredet und ich habe nichts gehört.
„Wodka“, sage ich erklärend. „Es war Wodka, weil die Flasche sündhaft teuer war und William sie mir geschenkt hat. Ich mag gar keinen Wodka. Aber nach unserem Streit gestern dachte ich wohl, dies ist die beste Art, es ihm heimzuzahlen: Indem ich sein Geschenk vernichte.“
„War es ein schlimmer Streit?“, fragt er besorgt. „Werdet ihr euch wieder vertragen?“
Ich lasse kurz das Gesagte Revue passieren – zumindest das, woran ich mich erinnere – und schüttele dann den Kopf.
Eine doofe Idee. Sebastian kann es gar nicht sehen, und mein Schädel dankt es mir mit Donnern und Hämmern.
„Wohl kaum“, erwidere ich grimmig. „William ist Geschichte. Apropos Geschichte – warte kurz.“
Ich wühle mich zwischen den Decken hervor, tapse ins Bad und suche nach den Kopfschmerztabletten. Ein großes Glas Wasser dazu, nein, lass uns zwei draus machen, und mir geht es etwas besser. Ich kann sogar die Augen aufhalten, als ich zurück ins Zimmer komme, was gut ist, denn hier hat offenbar ein Tornado gewütet. Ich bin normalerweise schon nicht die ordentlichste Person der Welt, aber so schlimm bin ich sonst nie.
Habe ich wirklich alle Bilder zerschnitten?
Oh Mann. Wodka und ich, offenbar keine gute Kombination.
„So“, sage ich, als ich das Handy wieder aufnehme. „Da bin ich wieder. Ist alles okay bei dir? Bei Mika?“
Sebastian wohnt seit zwei Jahren mit einem süßen jungen Kunststudenten zusammen, den ich sehr mag. Er hat zwar gar nichts mit der magischen Welt zu tun, weiß aber erstaunlich gut darüber Bescheid, was meinem Freund sicher hilft.
„Es tut mir leid wegen William“, sagt Sebastian bedauernd. „Was machst du denn jetzt mit deinem Job?“
Noch so ein lästiges Detail. William war nicht nur mein fester Freund, er war auch mein Boss. Sozusagen. Oder vielleicht waren wir Geschäftspartner. Im letzten Jahr habe ich angefangen, ebenfalls Aufträge hereinzubringen, zwar nur ein paar, aber immerhin. Und ich habe mit Sicherheit mehr gelöst.
Dennoch – Magic Eye ist seine Firma. Da gibt es kein Vertun. Nicht einmal den Namen kann ich klauen, er hat ihn schützen lassen. Immerhin heißt er William Eyebottom. Das war es, was uns erst zusammenbrachte: Wir sind beide mit grauenvollen Namen gestraft. Ich meine, Bina Birnbaum klingt wie der Name eines Kinderbuchcharakters! Das ist mir durchaus bewusst!
Wenn man allerdings mit vollem Namen Marebina Lampedusa Cindy Birnbaum heißt, dann ist Bina eindeutig die beste Abkürzung. Für eine kurze Zeit im Grundschulinternat habe ich mich einmal als Cindy versucht, aber großer Gott, war das ein Reinfall. Ich war bei allen nur noch das Aschenputtel. Und mit Lampedusa will ich gar nicht anfangen. Zwar wurde ich nach der Insel benannt, bevor sie ihre traurige Berühmtheit erlangte, dennoch. Wer ist denn schon so geschmacklos und nennt sich wie der Inbegriff für eine Flüchtlingskatastrophe?
Dann lieber Bina, wirklich.
„Ich muss mir wohl einen neuen Job suchen“, gestehe ich Sebastian die traurige Wahrheit ein und lasse mich frustriert aufs Bett sinken.
Ja, mit dem Ende meiner Beziehung ist auch meine Anstellung bei Magic Eye hinfällig. Dem muss ich wohl oder übel ins Auge sehen.
Ins Auge – ha!
„Vielleicht ist es dann umso besser, dass ich einen Job für dich habe“, sagt er.
Ich setze mich auf.
„Wieso klingst du denn so seltsam?“, frage ich argwöhnisch. „Ein Job sollte doch etwas Gutes sein!“
„Es ist auch etwas Gutes“, beeilt er sich zu sagen. „Es geht um eine Freundin von mir, oder besser gesagt, um ihre Familie. Sie ist eine sehr gute Freundin, sehr lieb. Nur ihre Familie, die ist ...“
„Anders? Schwierig? Scheiße?“, schlage ich vor.
Meine Familie ist auch anders und schwierig. Und manchmal – na, lassen wir das.
„Nicht unbedingt“, sagt er langsam. „Anders, sicherlich. Aber die Deinen und Lucies Familie, ihr kommt nicht so gut miteinander klar. Ehrlich gesagt haben sie mich deshalb um Hilfe gebeten. Lucie vor allem, meine ich. Sie haben inzwischen alle möglichen Hexen angefragt, und keine will etwas mit ihnen zu tun haben. Dabei haben sie sich geändert, wirklich! Die Tatsache, dass sie Noel als gleichwertig akzeptieren, Noel und Markus sind sogar Freunde, laut Lucie zumindest, und man sollte nicht auf ewig für die Verbrechen seiner Ahnen zahlen müssen, nicht wahr ...“
„Sebastian“, unterbreche ich ihn freundlich. „Du plapperst. Heraus damit. Um wen geht es, und um was?“
Ich höre, wie er einmal tief Luft holt. Dann sagt er rasch: „Um den Fluch der Martins.“
„Was?“, kreische ich.
Ich bin mit einem Satz aus dem Bett, rasende Kopfschmerzen hin oder her.
„Die Martins?“, brülle ich ins Telefon. „Die Werwölfe? Kein Wunder, dass sie niemanden finden, kein Wunder! Und du fragst mich, eine Birnbaum? Du fragst mich, die ...“ Ich breche ab.
Nicht einmal mein guter Freund Sebastian weiß, warum ausgerechnet ich mich von den Martins fernhalten sollte. Genau genommen, wenn ich so richtig überlege, weiß das niemand außer meiner direkten Familie. Arabella hat es tatsächlich geschafft, alles geheim zu halten.
„Bina, Bina!“, ruft Sebastian bettelnd. „Bitte sei nicht sauer! Ja, ich weiß, die Birnbaums hassen die Martins, und ja, ich weiß auch, dass es mit Grund ist! Aber der alte Wolf ist schon so lange tot! Und sie haben sich geändert!“
Ich weiß, dass der alte Wolf tot ist. Seit genau neunzehn Jahren und dreihundertzwei Tagen, wie ich mit Blick auf das Datum sehe.
Aber das sage ich nicht laut.
„Wieso denkst du, dass sie sich geändert haben?“, zische ich.
Ich weiß alles über die Martins – eine arrogante, selbstverliebte und machtversessene Bande sind sie, jawohl!
„Weil Ben Martin anders ist, und weil Markus anders ist“, sagt Sebastian begütigend. „Sie wollen wiedergutmachen, was der Alte verbrochen hat. Bina. Du hast doch bestimmt gehört, dass Ben Martin die Elfen freigelassen hat?“
Habe ich das?
Sebastian seufzt.
„Ich bin mit Lucie und Noel zur Schule gegangen“, sagt er. „Das letzte Jahr.“
„Du meinst, weshalb ihr umgezogen seid?“, hake ich süffisant nach.
Sebastian war gar nicht glücklich, dass er ein Jahr zurück in die Schule musste. Allerdings hat er sich am Ende mehr als arrangiert – immerhin hat er Mika dort getroffen.
„Genau“, gesteht er. „Tante Caroline hatte uns darum gebeten, weil sie sich Sorgen um ihre Nichte machte. Wir sind Freunde geworden. Mika ist Noels bester Freund!“
„Und mit Noel meinst du Noel Tyll, nicht wahr?“, frage ich.
Ja, ich kenne den Namen des einzigen Elfenprinzen weit und breit. Ich müsste mich schämen, wenn ich es nicht täte. Elfenprinzen sind eine Rarität geworden, vor allem, nachdem der alte Wolf Königin Mab besiegte.
„Genau!“, sagt Sebastian. „Noel und Lucie sind ein Paar, schon seit Schulzeiten. Die Martins haben das akzeptiert.“
„Lucie Martin ist die zukünftige Ehefrau von Markus Martin“, korrigiere ich ihn. „Alle wissen das.“
„Nicht mehr“, beharrt Sebastian. „Fein, vielleicht gibt es den einen oder anderen, der hofft, sie fällt irgendwann in Markus‘ Arme, nachdem sie sich ein wenig ausgetobt hat. Aber Markus selbst glaubt es nicht. Und Ben verlangt es nicht. Das haben mir Lucie und Noel beide bestätigt! Markus und Noel sind Freunde! Und wenn Noel Tyll, der mehr Grund als wir beide hat, die Martins zu hassen, mich bittet, ihnen zu helfen, und wenn Lucie, die am meisten davon profitieren würde, wenn die Martinschen Leitwölfe ausgerottet werden würden, mich förmlich anfleht, ihrem Onkel zu helfen, dann, Bina, dann muss ich mir was einfallen lassen. Und du bist die Beste, die mir einfällt. Wenn eine diesen Fluch heben kann, dann du. Du bist die beste Hexe unserer Generation!“
Ich gebe zu, das verfehlt seine Wirkung nicht, das geht runter wie Öl. Vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass mein Leben gestern in Scherben zersprungen ist und ich dringend einen neuen Job brauche.
Wenn man zudem bedenkt, dass die Martins vermutlich keine Ahnung haben, was vor knapp zwanzig Jahren wirklich geschehen ist, und wenn man weiterhin bedenkt, dass ich noch eine Rechnung mit ihnen offen habe – eigentlich mehr als eine – dann ist das plötzlich ein verführerisches Angebot.
Ich könnte sonst etwas von ihnen verlangen. Keine Hexe unter Arabellas Regime wird es wagen, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Oh. Kehrseite. Arabella wird furchtbar sauer auf mich sein, wenn ich es tue.
„Was genau ist das denn für ein Fluch?“, frage ich vorsichtig.
Dieser Fluch, so erklärt mir Sebastian, ist das Werk einer Vampirhexe und beruht auf der lebenslangen, bitteren Rivalität zwischen dem alten Wolf und Björn Lamprecht. Ich weiß, dass es bei den Vampiren im Frühling einen Putsch gegeben hat, dass Björn tot ist und Victoria Lamprecht die Führung übernommen hat. Ich weiß auch, dass die Wölfe irgendwie darin verstrickt waren.
Aber Sebastian erklärt mir jetzt alles ganz genau. Während der alte Wolf, dieser Mistkerl, die Vampire heimlich mit einer Seuche vergiftete, bereitete Björn einen Fluch vor, der jeden Leitwolf in den frühen Tod treibt und dann automatisch auf den Nachfolger überspringt. Die beiden Bastarde hatten sich wirklich gegenseitig verdient, und gut, dass sie tot sind.
Blöd nur, dass Unschuldige unter ihrem Machtpoker leiden mussten. Und das betrifft nicht bloß die zahllosen Vampire, welche der Seuche zum Opfer fielen, sondern offenbar auch die Familie Martin selbst, die, wie Sebastian immer wieder beteuert, sich geändert hat.
Bei Letzterem bin ich allerdings nicht ganz so überzeugt. Vielleicht stellen sie sich lediglich jetzt harmlos dar, wo sie sozusagen mit dem Rücken an der Wand stehen. Vielleicht zeigt Ben sein wahres Gesicht, sobald der Fluch gehoben ist. Aber das ist nur ein weiterer Grund, weshalb ich den Job übernehmen sollte – ich kann eine Sicherheit einbauen. Sebastian hat schließlich Recht: Ich bin die stärkste Hexe unserer Generation. Und wenn eine von uns mit den Martins umgehen kann, dann wohl ich.
Arabella wird Feuer spucken, wenn sie das erfährt.
„Es ist klar, dass ich eine Bezahlung will, oder?“, frage ich schließlich.
Ich kann seine pure Erleichterung förmlich spüren.
„Natürlich!“, sagt er. „Du ziehst es in Betracht? Bina, wenn du das tust, wirst du praktisch alles von ihnen verlangen können!“
Ah. Was für ein wunderbarer Gedanke.
Vielleicht könnte ich als Austausch Joseph Martins Kopf auf einem Silbertablett fordern.
Das wäre doch mal was.
*
Es ist genau genommen kein Wunder, dass die Martins bei ihrer allumfassenden Suche nach einer kooperierenden Hexe mich außen vor gelassen haben. Sie haben sicherlich Arabella kontaktiert, und die wird ihnen als Oberhaupt unseres Clans verboten haben, mich auch nur anzusprechen – vermutlich hat sie ihnen verboten, überhaupt eine Hexe in unserem Gebiet anzusprechen.
Dazu kommt noch etwas anderes: Ich mag die stärkste Hexe meiner Generation sein, aber das weiß kaum einer. Vor allem wissen die Martins das nicht. Und ich bin Anfang Zwanzig, erst seit zwei Jahren aus meiner Ausbildung heraus, und diese zwei Jahre habe ich unter Williams Fittichen verbracht.
Nicht jeder assoziiert mit dem Erfolg von Magic Eye das Wahnsinnstalent der Junghexe, die dort angestellt ist. Ich frage mich, ob auch dies zu dem Plan Arabellas gehört, mich zu schützen.
Ich liebe meine große Schwester, aber manchmal neigt sie dazu zu übertreiben.
Sie hasst die Werwölfe. Sie hasst sie mit gutem Grund. Sie wird ausflippen, wenn sie hört, dass ich ernsthaft in Erwägung ziehe, für Ben Martin zu arbeiten.
Und dann gibt es noch einen weiteren Punkt, weshalb die Martins mich vermutlich bislang nicht in Betracht gezogen haben, und der hat mit dem lieben Joseph zu tun. Wir sind nämlich eine Zeitlang auf dasselbe schicke Internat gegangen. Und tja, dass wir uns nicht verstanden haben, ist noch milde ausgedrückt. Joseph wäre am Ende fast rausgeflogen – was aber einzig und allein seine eigene Schuld gewesen wäre. Was musste er auch immer auf mir rumhacken! Natürlich habe ich mich eines Tages gerächt. Und dass er mir nichts nachweisen konnte – tja, Pech gehabt!
Er hatte es so was von verdient!
Aber aus all diesen Gründen – Neugier, Rache, Vorsicht und dann noch einmal Neugier – beschließe ich, mir anzuhören, was Ben Martin zu sagen hat, und beschließe zudem, Arabella erst einmal nicht zu informieren. Ich bin ihr zwar eigentlich lehnspflichtig, aber ich bin auch ihre kleine Schwester.
Und so hoffe ich, sie wird es nicht so eng sehen, dass ich nicht vorher ihre Erlaubnis eingeholt habe, als ich am nächsten Tag mit meinem klapprigen alten Auto hinüber zum Anwesen der Martins fahre.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt man ja.
Die Martins brauchen mich, erkläre ich mir den ganzen Weg über, um meine nervösen Nerven zu beruhigen; ich bin die Einzige, die eine Chance hat, sich Arabella zu widersetzen. Die Martins brauchen mich. Joseph Martin, der die Frechheit besaß, mich Bibi Blocksberg zu nennen, braucht mich! Denn wenn ich diesen Fluch nicht heben kann, wird er erst Ben und seine Söhne auslöschen, dann Theo, der meines Wissens keinen Sohn mehr hat, und dann ist Joseph dran!
Hach, das ist mir eine innere Wohltat. Und wenn sie mir krumm kommen, dann kann ich ihm endlich mal zeigen, was ich wirklich drauf habe, anstatt mich zurückzunehmen, wie dies Arabella immer von mir verlangt hat!
Allerdings, wenn ich im Haus der Martins einen Kleinkrieg anzettele, wird sie mich dafür zahlen lassen. Ich mag die stärkste Hexe meiner Generation sein, doch Arabella ist doppelt so alt wie ich, demzufolge erfahrener, und dann noch unsere Oberhexe. Nein, es ist besser, ich ignoriere Joseph.
Vielleicht ist er auch gar nicht da.
Hoffentlich ist er nicht da.
Es ist ein wunderschöner Sommertag, als ich schließlich die hochherrschaftliche Auffahrt hinauftuckere und meine kleine Rostlaube neben die schicken Flitzer stelle, die hier bereits parken. Und das sind ganz schön viele. Wenn die gesamte Familie versammelt ist, sinken meine Chancen, Joseph aus dem Weg zu gehen. Außerdem wette ich drauf, dass die Damen alle feine Sommerkleidchen tragen und die jungen Herren schicke Freizeitkleidung, während ich in Jeans und Top doch eher leger daherkomme.
Doch ich wäre nicht Bina Birnbaum, wenn ich mich davon einschüchtern ließe! Ich lasse mich auch nicht von dem Butler einschüchtern – also ehrlich, Leute! – der mich auf die Terrasse führt, wo, wie er sich ausdrückt, die jungen Herrschaften warten.
Ah. Klar.
Ich bin nicht im Mindesten eingeschüchtert, als ich in meinen geliebten abgeschabten Sommerstiefeln auf besagte Terrasse trete, die Hände in die Hüften stemme und mir die jungen Herrschaften anschaue.
Einige von ihnen sind wie erwartet – zwei Frauen in meinem Alter tragen tatsächlich schicke Sommerkleider, eine davon sogar mit Perlenkettchen und blondem Dutt. Dann gibt es die beiden jungen Herren, die das Klischee des verwöhnten, lässigen Sohnes aus reichem Hause inklusive der leicht zerknitterten Kleidung erfüllen.
Aber auf der Bank sitzen auch Zwei, die überhaupt nicht in meine Erwartungen passen: eine zierliche Rothaarige mit wilden Locken, über und über mit Schmuck behängt, und neben ihr ein Junge in Jeans und Turnschuhen, mit schneeweißen Haaren.
Das muss er sein, der Elfenprinz.
Aber wieso ist er hier?
Und dann ist da natürlich Joseph Martin, groß, muskulös, mit honigblonden Haaren, wie ein Modell, und einem harten Zug um das eckige Kinn.
„Bina Birnbaum“, sagt er grimmig.
Ich schenke ihm mein lieblichstes Lächeln.
Alter Drecksack!
Eine von den jungen Damen – die ohne Perlenkettchen – schubst ihn beiseite und sagt: „Ärgere sie nicht, Joseph! Hey! Ich bin Kyra!“
Sie streckt mir ihre Hand hin. Ich reagiere nicht darauf, außer dass ich sie mustere. Josephs Gesicht, das kann ich aus dem Augenwinkel erkennen, wird noch grimmiger.
„Ich an deiner Stelle wäre auch vorsichtig“, das ist die andere Blonde, die mit Kettchen, und ihre Stimme klingt so kühl und gelassen, wie sie selbst aussieht. „Kyra fragt dir sonst gleich ein Loch in den Bauch. Bina Birnbaum. Ich bin Sophie Martin, die Tochter von Ben, und wir sind froh, dass du dir Zeit für uns nimmst. Unsere Eltern sind gerade noch beschäftigt. Willst du dich einen Moment zu uns setzen?“
Es ist ein weiterer Versuch des Friedensangebotes, das erkenne ich sofort. Oh Mann, sie brauchen mich wirklich. Aber ehe ich mich entscheiden kann, ob ich ihn annehme – und ich bin so neugierig auf die anderen Zwei, die bislang kein Wort gesagt haben – erklingt hinter mir eine tiefe Stimme.
„Bina Birnbaum“, sagt Markus Martin. „Danke, dass du gekommen bist.“
Wenn sie noch höflicher werden, muss ich womöglich spucken.
Ich drehe mich mit einem nichtssagenden Lächeln um.
„Markus Martin“, sage ich. Meine Stimme klingt rauer, als ich es gewohnt bin. Aber ich lasse mir das nicht anmerken.
„Dein Vater ist verhindert?“, setze ich so unschuldig wie möglich hinterher.
Er seufzt.
„Wie man es nimmt“, sagt er müde. „Vater hatte gerade wieder einen ... Anfall. Es hilft ihm, wenn seine Geschwister bei ihm sind. Er hat mich an seiner Stelle geschickt.“
Es hilft ihm vermutlich auch, wenn sein Erbe bei ihm ist, denke ich, alle die, die dicht in der Thronfolge nach ihm stehen. Doch ich komme nicht dazu, etwas zu sagen, denn die zierliche Rothaarige hat einen Laut des Entsetzens ausgestoßen. In ihren großen graublauen Augen erscheinen Tränen.
„Geht es Onkel Ben gut?“, fragt sie zitternd.
Der Elfenjunge neben ihr legt seinen Arm um sie.
Markus Martin lächelt – erstaunlich, er kann tatsächlich lächeln! – und sagt beschwichtigend: „Es geht ihm schon wieder besser. Mach dir keine Sorgen, Lucie. Bina, darf ich dir meine Familie vorstellen? Meine Geschwister Sophie und Frederick, meine Cousine Kyra, meine Cousins Johann und Joseph, meine Cousine Lucie, und Noel natürlich.“
„Joseph kennt sie schon“, sagt Kyra und kichert fies.
Joseph sieht jetzt aus, als ob er erst seine Schwester und dann mich ermorden will.
Ich ignoriere ihn und sage nüchtern: „Noel Tyll ist wohl kaum ein Mitglied deiner Familie, Markus.“
„Ah“, macht Noel zu meinem Erstaunen gleichmütig. „Das ist schon okay.“
Er sieht Markus an und lächelt, und Markus Martin, welch Wunder, lächelt warm zurück. Es scheint, als seien die beiden wirklich Freunde, und das, obwohl Noel doch sein schlimmster Rivale sein sollte!
Lucie hingegen schaut mich an. Da ist etwas an ihrem Gesicht, etwas Fragiles, Zerbrechliches und zugleich wild Entschlossenes, was mich innehalten lässt.
„Kannst du uns helfen?“, fragt sie bittend, alle anderen ignorierend. „Es ist furchtbar, was mit Onkel Ben passiert. Und wenn es danach Markus ...“ Sie bricht ab. Ihre Augen schwimmen.
Noel zieht sie noch dichter an sich.
Ich fühle mich beinahe gezwungen, ihr zu antworten, ihr viel mehr als dem Rest ihrer Familie.
„Wahrscheinlich“, sage ich ehrlich. „Wenn es wirklich ein Fluch ist. Das muss ich aber erst einmal wissen.“
„Und wie kannst du es herausfinden?“, fragt mich Markus.
Ich räuspere mich.
„Ein Diagnosezauber“, sage ich. „Das ist nicht schwer.“
„Okay“, sagt er. „Benötigst du meinen Vater dafür, oder reiche auch ich?“
Ich beiße mir kurz auf die Lippen. Sein Vater wäre vermutlich besser, doch wenn der gerade einen Anfall hatte, ist zu verstehen, dass sie ihn schonen wollen. Außerdem finde ich es einfacher, mich mit den Werwölfen meiner Generation auseinanderzusetzen, als mit ihren Eltern.
Und letztendlich umfasst dieser Fluch dem Wissensstand nach die ganze Familie.
„Ich schätze, wir können mit dir anfangen“, sage ich langsam.
„Was brauchst du?“, will er wissen.
Ich lächele kalt.
„Eine Geschäftsvereinbarung“, sage ich.
Was denkt er denn? Zauberstab und Hexenkessel? Aber Markus reagiert nicht verschnupft, sondern ganz gelassen. Joseph hingegen sieht aus, als würde er gleich explodieren.
Oh, ist das schön.
„Nenne deine Bedingungen“, sagt Markus.
Ich räuspere mich erneut.
„Dies gilt erst einmal nur für die Diagnose, klar?“, halte ich fest. „Ich habe ansonsten noch nicht zugestimmt. Und dafür bekomme ich meinen üblichen Stundensatz, inklusive der Anfahrt hierher, und ich will einen Gefallen, nicht näher spezifiziert, in Zukunft einzulösen.“
Insgeheim habe ich meinen Stundensatz längst verdoppelt, als ich Sebastian die Daten zukommen ließ. Ich vermute stark, dass dies kein Problem sein wird. Der zweite Teil meiner Bedingungen hingegen ist neu und heikel.
Noel schnaubt, was wie ein halbes Lachen klingt.
„Ah“, sagt Frederick, der bis dahin still gewesen ist. „Wir haben keine so guten Erfahrungen mit diesen Gefallen, oder?“
„Am Ende hat es ihm geholfen“, meint Kyra kryptisch. „Na los, Markus. Sie weiß, du weißt, wir alle wissen, du hast keine Wahl.“
Die brutale Wahrheit, offen ausgesprochen. Ich verkneife mir mein Lächeln und sehe Markus Martin gerade an. In den zwei Jahren mit William habe ich gelernt, wie man verhandelt.
Pokerface, dein Name ist Bina!
Er holt tief Luft.
„Doch näher spezifiziert“, sagt er. „Nichts, wodurch jemand zu Schaden kommt, und damit meine ich Schaden an Leib und Seele. Keine Verletzungen, kein Mord, kein Totschlag, keine Folter, weder direkt noch indirekt. Und diesen Gefallen bekommst du nur von mir.“
Wofür hält er mich eigentlich? Mord und Totschlag? Ich bin versucht, beleidigt zu gehen.
„Nicht nur von dir“, beharre ich. „Von einem Mitglied deiner Familie, meiner Wahl.“
„Ah“, erwidert er. „Ich bin nicht mein Vater. Ich kann nicht dergestalt über meine Familie verfügen. Ich kann sie dazu nicht verpflichten.“
„Wie wäre es damit“, mischt sich Kyra ein. „Einer von uns kann diesen Gefallen freiwillig übernehmen, und einer von uns muss ihn übernehmen, wenn Markus es nicht erfüllen kann. Dazu können wir uns doch verpflichten.“
Das ist clever. Und sollte ich den Fluch wirklich aufheben, kann ich einen weiteren Gefallen von Ben Martin fordern, den aber ohne Bedingungen.
Mord und Totschlag! Folter! Die haben sie doch nicht mehr alle!
„Ich wäre damit einverstanden“, sage ich, ohne eine Miene zu verziehen. „Für den Diagnosezauber.“
„Für den Diagnosezauber“, sagt Markus. „Aber wenn er an mir nicht funktioniert, wiederholst du ihn ohne zusätzliche Bedingungen bei meinem Vater.“
Fair genug. Ich neige meinen Kopf zum Einverständnis.
„Es gilt“, sage ich.
Markus scheint seine Hausaufgaben gemacht zu haben, denn er streckt mir nicht die Hand hin, sondern imitiert meine Geste.
„Es gilt“, wiederholt er.
„Fein“, sage ich und trete einen Schritt zurück. Es kribbelt mir plötzlich in meinen Fingerspitzen. Ich bin neugierig, will wirklich wissen, was das für ein putziger Fluch ist, will nicht länger warten. Das ist es vor allem, was mich zu so einer guten Mitarbeiterin bei Magic Eye gemacht hat – ich bin neugierig.
„Wie? Jetzt? So?“, stottert Frederick, als ich schon tief Luft hole.
„Halt die Klappe, Freddie“, sagt Kyra.
Markus hingegen tritt ein wenig von der Gruppe weg, meine Augen festhaltend, als wolle er die Gefahr von den anderen abwenden.
Ich verdrehe besagte Augen.
„Haltet alle die Klappe“, meine ich wenig charmant, und dann schicke ich meinen Zauber los.
William bevorzugte immer das dramatische Ausstrecken der Hände, und meistens habe ich ihm das nachgemacht. Aber ich brauche meine Hände nicht, ich brauche auch keine dusseligen Schüttelreime. In meinem Fall reicht es, den Zauber in meinem Kopf zu formulieren und mit genügend Magie versehen auszusenden. Arabella kann das ebenfalls. Sebastian sagte mal nach einer geteilten Flasche Tequila zu mir, er würde töten, um das zu können. Er war sehr betrunken, und ich habe ihn nicht ernst genommen.
Ich weiß, wie besonders dieses Talent ist, so ganz ohne Hilfsmittel zaubern zu können. Die Tatsache, dass ich mit Anfang zwanzig schon mehr Magie habe als Arabella in meinem Alter, lässt vermuten, dass die Wahrsagungen Recht haben. Vielleicht sollte ich dramatisch die Hände ausstrecken, vielleicht sollte ich mit einem Stab herumwedeln, damit die Wölfe nicht kapieren, was ich vermag.
Aber ich will nicht. Ich will jetzt kein Schnickschnack, und ja, sollen sie doch.
Sollen sie es sich doch zusammenreimen, wenn sie das können.
Der Zauber gleitet über Markus. Er ist verflucht, ich kann es sehen, und ich kann wie kleine Tentakel erkennen, dass dieser Fluch verzweigt ist, dass er alle männlichen Mitglieder der Familie betrifft. Die weiblichen nicht – ein sexistischer Fluch also. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Martins nicht gerade für ihre liberale Haltung bekannt sind. Es gab noch nie eine Leitwölfin.
Und dann ist da noch etwas.
„Hm“, mache ich verblüfft. „Seltsam. Bleib stehen. Noel, würdest du dich hinter mich stellen? Oder vielleicht reingehen?“
„Bringt er deinen Zauber durcheinander?“, fragt Joseph giftig.
Noel hingegen erhebt sich ohne Worte und stellt sich hinter mich. Ich wiederhole meinen Spruch, dann schicke ich ihn rein und wiederhole es noch einmal. Er kommt sofort wieder heraus, als ich fertig bin und tritt zu Lucie, die ganz blass ist.
„Ich brauche einen Zettel und einen Stift“, fordere ich.
Ich trage zwar mein Notizbuch bei mir, doch für diesen seltsamen Fluch ist es zu klein. Irgendwer drückt mir ein großes Blatt und einen Bleistift in die Hand, und ich setze mich ohne Umstände an den Tisch und zeichne auf, was ich gesehen habe.
Hier ist ein kleines Geheimnis: Jeder Fluch, Zauber oder ähnliches hat ein Muster. Schrift ist letztendlich auch nichts anderes als ein Muster, Runen sind nichts anderes. Dieses Muster jedoch ist bizarr. Ich habe es jetzt dreimal gesehen, und mein fotografisches Gedächtnis – unglaublich wichtig für eine Hexe, die etwas leisten will – lässt es mich nicht vergessen. Aber ich will es vor mir haben, um es zu verstehen.
Als ich fertig bin, stehen sie fast alle hinter oder neben mir, die Augen auf das Papier gerichtet.
„Was ist das?“, fragt schließlich Kyra.
Dafür haben sie bezahlt. Ich muss vielleicht ein wenig vereinfachen, damit sie es auch kapieren.
„Das ist das Muster des Fluches“, sage ich. „In Hexenschrift, sozusagen. Hier ist der Teil, der die Folgen auslöst.“ Ich deute auf ein dunkles, zackiges Gekritzel. Mein Gedächtnis ist besser als meine Zeichenkünste. Ich weise auf die verzweigten Teile daneben hin.
„Dieser Teil bezieht sich auf die Familie und die Weitergabe des Fluches“, sage ich. „Sebastian meinte, eine Vampirhexe habe damit zu tun gehabt? Dazu passt die Art des Musters hier.“
„Okay“, meint Markus, obwohl er sicherlich gar nichts versteht.
„Was verwirrend und ungewöhnlich ist“, fahre ich fort, „ist dieser Teil hier. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich kann dir aber schon eines sagen, Markus Martin.“
Ich hebe den Kopf und sehe ihn an. In seinen Augen erkenne ich Hoffnung. Zu blöd für ihn.
„An diesem Fluch“, sage ich langsam und bestimmt, „war mehr als nur eine Hexe beteiligt. Und um ihn aufzuheben, muss ich herausfinden, woher die einzelnen Teile stammen, wie sie zusammengefügt wurden und wie ich sie am besten auflöse. Oder anders ausgedrückt: Ich habe keine Ahnung, ob ich dies kann.“
Tja, und das ist die bittere Wahrheit. Oder vielleicht besser ausgedrückt, bitter für die Wölfe, spannend für mich.
Noch nie habe ich einen derart komplexen Fluch gesehen! Ich bin fast so weit, die Aufgabe für lau zu übernehmen, nur um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen!
„Wenn du es nicht kannst, kann es eine andere“, sagt Joseph kalt. „Markus. Lass uns noch einmal Boten ausschicken. Sie ist eine Junghexe! Natürlich ist dies zu groß für sie! Können wir nicht noch einmal diesen Hackendahl ...“
Was für ein Arsch!
Ich donnere beide Fäuste auf den Tisch und springe auf.
„Etwas Besseres als mich wirst du nicht finden, Joseph Martin!“, zische ich ihn an. „Keine Hexe unter Arabellas Regime wird sich mit euch abgeben, und selbst wenn! Dies ist mein Spezialgebiet! Ich arbeite seit Jahren daran, Flüche aufzuheben, und wenn ich es nicht kann, kann es wahrscheinlich niemand!“
Okay, das ist ein großes Stück Angeberei, das weiß ich. Aber ich koche vor Wut!
„Bitte, bitte beruhige dich“, sagt Markus. „Joseph, verdammt, wir hatten doch vorher darüber gesprochen! Sie kommt mit den allerbesten Empfehlungen!“
„Weil Lucies Freund sagt ...“, begehrt Joseph auf.
Kyra rammt ihm mit voller Wucht ihren Ellbogen in den Magen und er bricht keuchend ab.
„So ganz Unrecht hat er aber nicht, Markus“, sagt Sophie mit ihrer kühlen Stimme. „Wenn Bina sagt, sie kann es nicht, sollten wir dann nicht jemanden suchen, der es kann? Wir haben nicht mehr sehr viel Zeit.“
Mit ihrer rationalen Kritik kann ich besser umgehen als mit dem Arsch, so dass ich nicht zornentbrannt von der Terrasse stürme und sie alle zusätzlich verfluche. Ich hole tief Luft.
„Ich habe nicht gesagt, dass ich es nicht kann“, erwidere ich grimmig. „Ich habe gesagt, dass ich es nicht weiß! Ich weiß zu wenig darüber! Und bevor du wieder irgendeinen Scheiß von dir gibst, Joseph – dies ist ein mehr als ungewöhnlicher Fluch. Ich studiere Flüche, seitdem ich laufen kann, und ich habe noch nie so eine Konvergenz von unterschiedlichen Arten gesehen!“
„Eine was?“, macht Johann verwirrt.
Ich hämmere mit meinem Finger auf einen Teil des Papiers.
„Dies“, sage ich laut und zornig, „trägt die Züge alter Vampirmagie. Ungewöhnlich genug, aber erklärbar, aufgrund seiner Geschichte. Dies hier“, ein anderer Teil, „ist klassisches Hexenwerk. Dies hier kann ich gar nicht zuordnen und dies hier“, mein Zeigefinger bohrt fast ein Loch in das Blatt, „ist definitiv Elfenmagie! Und das alles zusammen! Ihr sagt, eine Vampirhexe hat den Fluch gewirkt? Nie und nimmer! Sie muss Hilfe gehabt haben!“
„Woa“, sagt Frederick. „Elfenmagie? Echt? Wie sieht das aus?“
Seine Reaktion ist so verblüfft und fast kindlich, dass es mich wie kaltes Wasser abkühlt.
Es sitzt ein Elf unter ihnen, einer, mit dessen Volk sie vor kurzem noch verfeindet waren. Ich hatte das fast vergessen. Lucie hat ihren Arm um seine Schultern geschlungen und beißt sich auf die Lippen. Noel selbst starrt vor sich auf den Boden, als ginge ihn das alles gar nichts an.
„Der Fluch ist alt, richtig?“, fragt Markus stirnrunzelnd. „Älter als wir?“
„Mindestens so alt wie wir“, meine ich.
Hört außer mir noch jemand den Elefanten durch den Porzellanladen trapsen?
„Der Fluch ist alt“, wiederhole ich sicherheitshalber. „Vermutlich älter als jeder von uns. Und es ist unmöglich, dass jemand aus Mabs Volk dabei mitgewirkt hat, denn ein solcher Fluch braucht eine gewisse Zeit der Vorbereitung.“
Wir alle wissen, dass Mabs Volk im Alten Wald eingesperrt war. Dreihundert Jahre lang waren sie dorthin verbannt, ihre Herrin in die Hügel selbst, in denen sie, soweit ich weiß, heute immer noch sitzt. Erst, seitdem dieser Prinz aus dem Nirgendwo aufgetaucht ist und Ben Martin ihm seinen Wald zurückgegeben hat, sind die Elfen wieder frei. Es schadet nichts, darauf noch einmal hinzuweisen, finde ich.
„Abgesehen davon“, setzte ich hinzu, um keine unbehagliche Stille aufkommen zu lassen, „wäre es hilfreich, mit jemandem zu sprechen, der daran beteiligt war. Es ist vor allem absolut unumgänglich, dass ich zumindest die magische Signatur der Beteiligten kenne, wenn ich den Fluch aufheben soll. Normalerweise ist das kein Problem, weil sie immer am Muster zu erkennen ist – aber hier? Hier ist mehr als nur ein bisschen Detektivarbeit vonnöten. Außerdem werde ich Hilfe brauchen. Wo ist diese Vampirhexe?“
Ah, da ist sie wieder, die unangenehme Stille.
Markus räuspert sich.
„Sie ist tot“, sagt er.
War ja klar.
„Heißt das, du brauchst die Hilfe eines Vampirs, um das zu entschlüsseln?“, fragt Kyra, die mit der Nase fast auf dem Tisch hängt, so genau studiert sie mein Gekritzel.
„Mit ein bisschen Geduld kriege ich das mit dem Vampirteil hin“, erwidere ich. „Vampirflüche sind selten, aber das ist nicht der Erste, den ich sehe. Ich hätte die Hexe vor allem gebraucht, um zu erfahren, wer noch daran gearbeitet hat.“
„Du brauchst Hilfe mit dem Elfenteil“, schlussfolgert Kyra.
Ich zucke mit den Schultern.
„Es ist über dreihundert Jahre her, dass die letzten Elfen hier frei rumliefen“, sage ich etwas bissiger als geplant. „Niemand hat Erfahrung damit.“
Stille. Stille. Die Stille könnte man fast mit Messern schneiden, so dick ist sie.
Markus räuspert sich erneut.
„Noel?“, fragt er leise.
Jetzt wendet unser Elfenprinz seinen hübschen Kopf. Er sieht nachdenklich aus, nicht besorgt, was ich erwartet hätte, und kaut auf seiner Unterlippe herum.
„Tja“, meint er. „Schaut mich nicht an. Ich habe damit keine Erfahrung. So was habe ich nie zuvor gesehen.“
„Du hast so etwas noch nie gesehen?“, frage ich erstaunt.
Er lächelt schwach.
„Ich bin unter Menschen aufgewachsen“, sagt er. „Bis ich fünfzehn war, hatte ich keine Ahnung, wer ich bin, noch in was für einer Welt wir leben. Also. Meine Ausbildung ist ein bisschen ... hm ... dürftig, was die Theorie anbetrifft. Ich kann dir da nicht helfen.“
„Aber andere Elfen kennen wir nicht, oder?“, fragt Johann besorgt.
„Markus“, meint Kyra und fährt vorsichtig ein paar Linien nach. „Ich weiß ja nicht, aber ich glaube, es wäre eine blöde Idee, das hier in den Alten Wald zu bringen.“
„Das denke ich auch“, sagt Sophie. „Ich mag mir nicht vorstellen, was Mab damit anfangen könnte.“
Ich will gerade sagen, dass Mab erstmal an mir vorbei müsste, wenn sie damit etwas anfangen will, doch Markus kommt mir zuvor.
„Wir lassen Mab außen vor“, sagt er bestimmt. „Noel hat genug für uns getan. Kommt schon, Leute. Dies ist unser Problem, nicht dass der Elfen!“
„Markus hat Recht“, sagt Frederick sofort. „Wir müssen dies selbst lösen. Bina. Was können wir tun?“
Es steht plötzlich nicht einmal mehr zu Debatte, ob ich den Job übernehmen will oder nicht. Es steht nicht einmal mehr für mich zur Debatte, denn das ist mit Abstand der komplizierteste Fluch, den ich je gesehen habe, und ja, ich will ihn lösen!
Nur leider ... leider fällt mir niemand ein, der auf dem Gebiet ein Experte ist. Ich könnte vielleicht die Bücher studieren, oder ich könnte mit Arabella reden, die vermutlich im Dreieck springen wird, was aber immer noch besser wäre, als wenn ich zu Mab gehen würde, die bloß einen Blick auf mich werfen muss und weiß, wofür ich stehe. Nein, um Mab mache ich besser einen Bogen, so oder so.
Trotzdem ...
„Ich brauche einen Elfen“, sage ich schicksalsergeben. „Tut mir leid, Leute. Ohne einen Elfen finde ich diese Signatur nie heraus, und dann ist da noch der Part, den ich gar nicht zuordnen kann. Das ist ... das ist wie ein Pullover, den man aufribbeln will, und man findet den Anfang nicht.“
„Wenn man bei einem Pullover den Anfang nicht findet, kann man doch einfach hineinschneiden“, sagt Joseph. Es ist das Erste, was er sagt, was nicht wütend klingt, sondern eher fragend.
Ich verziehe das Gesicht.
„Leider weiß man da nie, wie tief man schneiden muss“, spinne ich die Analogie weiter. „Ich brauche einen Anfang. Ich brauche die Signaturen. Ich brauche einen Elfen.“
„Du kannst Noel nicht haben“, sagt Markus bestimmt. „Er hat genug von seinem Leben mit den Untaten des Alten verschwenden müssen!“
„Noel nützt mir ohnehin nichts, wenn er von Elfenmagie keine Ahnung hat“, gebe ich spitz zurück.
„Oh Mann“, murmelt Frederick. „Und das bei dem Typen mit der hypnotischen Stimme, der ganze Gärten explodieren lassen kann. Er weiß nicht, was er tut. Noel, ich habe Angst vor dir.“
„Vielleicht muss es nicht Noel sein“, mischt sich Kyra ein. „Inzwischen sind doch einige seines Volkes wieder draußen. Was ist denn mit dieser süßen kleinen Nymphe, die du dir hältst, Markus?“
Verblüfft sehe ich ihn an, und er wird knallrot. Irgendjemand unterdrückt ein prustendes Lachen.
Ich schüttele jedoch den Kopf.
„Eine Nymphe hilft mir nicht“, sage ich. „Ich weiß, zu Mabs Volk gehören Irrlichter, Waldschrate, Nymphen und allerlei andere. Das hier ist mehr als eine Nymphe vermag. Ich brauche einen Elfen.“
„Aber der einzige Elf, der den Alten Wald verlassen hat, ist Cianán“, sagt Frederick. „Und der lebt bei Vic Lamprecht.“
„Vic hat versprochen, uns zu helfen“, sagt Sophie.
„Sie wird trotzdem ihre Liaison zu Noels Volk nicht gehen lassen“, erwidert Kyra. „Mal ganz abgesehen davon, dass sie mit ihm schläft.“
„Und mal ganz abgesehen davon, dass auch Cianán mehr als genug für uns getan hat“, mischt sich Markus wieder ein. „Er hat sein Leben für uns riskiert!“
„Nein“, erklingt Noels Stimme, ein wenig resigniert. „Er hat es nicht für euch riskiert, sondern für sein Volk, und das weißt du, Markus. Er hat es getan, damit der Alte Wald frei und sicher ist. Freddie hat Recht – er ist der Einzige außer mir, der den Alten Wald verlassen hat. Er kennt sich zudem bestimmt besser als ich mit Magie aus.“
„Wie?“, sagt Frederick erstaunt. „Ich dachte, er kann sich nur unsichtbar machen, sonst nichts!“
Ich rolle meine Augen.
„Das ist Magie“, weise ich streng zurecht.
„Und man kann sich wohl kaum schlechter damit auskennen als ich“, seufzt Noel. „Verdammt. Markus, ich tue dies für dich, damit du es weißt. Ich will nicht, dass du der Nächste bist, der dahinsiechen muss. Wenn Cianán will, kann er Bina helfen. Aber ihr haltet dies von Mab fern. Und die Sache mit Vic Lamprecht musst du klären.“
„Wird Cianán wollen?“, fragt Sophie. „Wenn du ihm die Wahl lässt, Noel? Immerhin hat er gerade erst einen riskanten Auftrag abgeschlossen.“
Noel grinst.
„Cianán ist immer für etwas Neues zu haben“, meint er.
„Obwohl er das Bett mit Vic Lamprecht teilt?“, erwidert Sophie. „Und das offenbar freiwillig?“
„Es heißt ja nicht, dass er für immer daraus verschwinden müsste“, sage ich und verdrehe wieder meine Augen. „Ich bräuchte ihn nur für ein paar Tage, eine Woche vielleicht. Ich würde ihn mir bloß ausleihen.“
„Wird Vic ihn denn gehen lassen?“, fragt Kyra spöttisch.
„Vic Lamprecht befiehlt Cianán nicht“, sagt Noel sofort. „Er ist freiwillig bei ihr.“
„Aber es gehört zu unserer Vereinbarung, dass er bei ihr ist“, korrigiert Sophie.
„Es gehört zu eurer Vereinbarung“, erinnert sie Noel. „Ich habe nicht vor, den Kontakt zu ihr abzubrechen, wenn Cianán irgendwann mal woanders leben möchte. Ihr müsst euch überlegen, was ihr Vic als Ausgleich gebt. Darum ging es ihr doch – ich bin zu sehr an euch gebunden, durch Lucie, und sie will nicht, dass das Gleichgewicht aus den Fugen gerät.“
„Wenn ihr glaubt, dass ich Beere zu Vic Lamprecht lasse ...“, beginnt Markus drohend.
Noel seufzt erneut.
„Auch Beere ist meine Verantwortung, nicht deine“, sagt er. „Aber sorge dich nicht. Ich werde sie zu nichts zwingen. Mai ist noch nicht bereit, und Nara ... nein. Ich habe niemanden, den ich ihr als Ausgleich anbieten kann. Höchstens meine Handynummer.“
Ein bisschen dünn, das finde selbst ich. Außerdem finde ich es erstaunlich, was Noel Tyll und die Seinen offenbar alles auf sich genommen haben, um den Wölfen zu helfen. Hier sind ein paar echte Gefallen notwendig, finde ich. Sie haben die Gutherzigkeit und junge Liebe des kleinen Prinzen ganz schön ausgenutzt.
„Kennt dein Cianán sich wirklich mit Magie aus?“, frage ich Noel.
Er lächelt schief.
„Er hat zumindest eine bessere Ausbildung bekommen als ich“, sagt er. „Und er ist der Einzige, der mir einfällt, es sei denn, du willst doch mit dem Fluch in den Alten Wald. Und das, ehrlich gesagt, fände ich nicht so toll. Cianán liebt Abenteuer. Frage ihn. Ich bin sicher, er hat nichts dagegen, dir zu helfen.“
„Und Victoria?“, setze ich hinzu. „Das ist ein unsicherer Friede zwischen den Lamprechts und den Martins. Wie reagiert sie, wenn ich vorbei komme und ihr nicht nur ihren Liebhaber, sondern auch noch ihre Liaison zu dir wegnehme? Selbst wenn es nur für ein paar Tage ist?“
„Wir werden uns etwas als Ausgleich einfallen lassen“, bestimmt Markus. „Sie hat versprochen, uns zu helfen. Auch das war Teil des Deals.“
„Vic Lamprecht hat versprochen, euch bei der Aufhebung des Fluches zu helfen?“, frage ich erstaunt.
„Nicht ganz“, meint Sophie. „Sie hat versprochen, bei den Hexen ein gutes Wort für uns einzulegen. Was bislang von unerfreulich wenig Erfolg gekrönt war.“
„Niemand hätte bei Arabella mit einem guten Wort für euch Erfolg gehabt“, murmele ich.
„Ist das so?“, fragt Kyra mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wieso hat sie dann dir erlaubt, uns zu helfen?“
Ah. Falsche Frage. Ich muss meine ganze Pokerface-Kunst aufbringen, um nicht zu erröten. Kyra scheint mich dennoch zu durchschauen, denn sie lacht plötzlich.
„Mit Arabella rede ich schon noch“, meine ich steif – verdammt, ich will dieses Rätsel lösen! Ich will!
„Und ich rede mit Victoria“, sagt Joseph. „Kommt schon, starrt mich nicht so an. Keiner der Älteren kann jetzt von Onkel Bens Seite, und du schon gar nicht, Markus. Ich begleite Bina zu den Lamprechts.“
Es muss der Schock sein, dass ich ihn habe ausreden lassen. Er will mich begleiten? Er?
„Auf gar keinen Fall!“, protestiere ich heftig.
Joseph strafft sich.
„Ich bin der älteste Enkel nach Markus“, sagt er hart. „Victoria Lamprecht wird mit einem von uns reden wollen, wenn es um Cianán geht. Und falls sie nicht einverstanden ist, solltest du jemanden an deiner Seite haben!“
„Wofür? Um Cianán zu entführen?“, frage ich empört.
„Falls sie auf dich losgeht!“
„Warum sollte Vic auf mich losgehen?“
„Weil du für uns arbeitest und etwas haben willst, was sie nicht hergeben möchte – vermute ich zumindest!“
„Er ist ein Elf, kein Ding!“, schnauze ich ihn an.
„Das weiß ich!“ Er wirft wütend die Hände hoch. „Ich will dir doch helfen!“
„Glaubst du wirklich, ich brauche deine Hilfe, wenn eine Vampirin auf mich losgeht?“, frage ich fassungslos.
„Was?“, zischt er. „Bist du so großartig, dass du niemand benötigst, der dir den Rücken freihält? Oh, ich vergaß ja, du bist Bina Birnbaum!“
„Genau!“, sage ich grimmig. „Ich bin Bina Birnbaum! Und es ist eine Frechheit zu glauben, ich könnte dies nicht alleine!“
„Aber du kannst es doch auch nicht alleine!“ brüllt er.
Hm. Er hat Recht. Ich kann es wirklich nicht alleine. Nur benötige ich nicht seine Hilfe, sondern die eines Elfen. Und der einzige Elf, der da ist, tut nichts, um mir zu helfen, sondern sieht nur höchst interessiert und belustigt zu, wie wir uns anschreien.
Genauer gesagt, tun dies alle.
Nimmt Kyra mit ihrem Handy etwa ein Video auf?
„Bitte brüllt nicht so“, erklingt eine kultivierte Stimme von der Tür. „Man hört euch ja bis in die nächste Stadt. Markus, dein Vater wäre jetzt so weit. Ist dies die Hexe, die uns helfen will?“
„Mutter!“, sagt Markus und springt auf. „Wir haben schon eine Idee! Ja, dies ist Bina. Und ich hoffe, sie will uns immer noch helfen, auch wenn Joseph sie ... hm ... ein wenig verärgert hat. Er meint das nicht so, Bina. Sei ehrlich. Wäre es nicht wirklich hilfreich, jemanden bei den Vampiren dabei zu haben?“
„Bei den Vampiren?“, fragt die Frau, die wohl Charlotte Martin sein muss, Ben Martins Ehefrau. „Was genau ist das für ein Plan?“
Ich reiße mich zusammen. Unprofessionell hat mich William genannt, und ja, mein Ausrutscher eben mit Joseph war genau das – unprofessionell. Ich bin nicht aus Vergnügen hier.
Ich bin hier, weil ich einen Job erledigen will.
„Ich kann Ihnen dies erklären, Frau Martin“, sage ich sachlich. „Am besten, ich erkläre es Ihnen und Ihrem Mann zugleich. Dann kann ich meine Diagnose sicherheitshalber noch einmal bestätigen.“ Und mit Ben Martin verhandeln.
Denn dass ich dies nicht ohne ein entsprechendes Entgegenkommen machen werde, das ist ja wohl sonnenklar.
*
Zwei Stunden später habe ich genau dies getan – meinen Diagnose-Zauber bei Ben Martin wiederholt, im Beisein seiner Geschwister, und bestätigt bekommen, was ich zuvor gesehen habe. Nur, dass der Fluch bei seinem direkten Opfer viel düsterer und heftiger war als bei Markus selbst, was mich ein wenig erschüttert hat. Mein Pokerface war mehr als vonnöten, als ich den älteren Martins ebenfalls das Muster und seine Herausforderungen erklärt habe, und den Plan, den wir bereits entwickelt haben. Für die Verhandlungen war ich mit Ben Martin allein.
Und dann ... dann folgt das unschöne, aber leider notwendige Gespräch mit Arabella.
Nach dem initialen Gebrüll, meinen schwachen Erklärungen, sowie wütenden Verwünschungen und Drohungen ihrerseits habe ich sie endlich so weit, dass sie mir zuhört. Ich will diesen Job. Vor allem will ich diesen Job, weil er das Herausforderndste ist, was mir in meiner bisherigen Karriere begegnet ist.
Aber meine Argumente gehen in eine andere Richtung: Es schadet nichts, neue Beziehungen mit den Wölfen aufzubauen, es ist besser, wenn ich dies tue und nicht jemand Wildfremdes, der am Ende sonst was mit dem Fluch anstellt, und ich kann eine kleine, gemeine Sicherheit einbauen, die den Fluch triggert, sollten die Wölfe uns jemals angreifen wollen. Arabella weiß, dass ich es kann. Ihr Argument, dass ich mich von den Wölfen hätte fernhalten sollen, wegen du-weißt-schon-was, kann ich leicht entkräften, weil es dazu ohnehin zu spät ist und sie außerdem offenbar alle keine Ahnung von du-weißt-schon-was haben.
„Das hoffst du“, meint Arabella schließlich grimmig. „Du hoffst es!“
„Ich weiß es“, behaupte ich.
„Aber Joseph Martin besteht darauf, dich zu begleiten? Das riecht doch!“
„Joseph Martin hat einfach diese seltsame Vorstellung, ich könnte Schutz benötigen“, sage ich, meine Augen verdrehend. „Im Grunde meint er es nur gut.“
„Tatsächlich? Reden wir von demselben? Reden wir von Joseph, dem Arsch, der deinetwegen fast von der Schule geflogen wäre?“
„Es ist überhaupt nicht bewiesen, dass das meine Schuld war. Jeder könnte ihn reingelegt haben.“
„Bina. Ich kenne dich.“
„Er kann es sich nicht leisten, mich wirklich zu verärgern“, erwidere ich rasch. „Irgendwann geht der Fluch auch auf ihn über. Es ist in seinem Interesse, dass dies funktioniert.“
„Hm“, murrt sie. „Ich vermute mal, er hat einen anderen Grund. Aber du wolltest mir das ja noch nie glauben.“
„Fang bitte nicht wieder damit an.“
„Er hat dich nur geärgert, weil er dich süß fand, Kleine.“
„Es ist mir egal, warum er mich geärgert hat. Er war ein Arsch.“
„Ich wette, er will mit, weil er dich immer noch süß findet“, stichelt sie. „Außerdem weiß ich, warum du dies wirklich machen willst.“
„Echt?“, frage ich schwach.
„Deine Neugier bringt dich noch mal ins Grab, Schwesterchen“, sagt sie.
Insgeheim seufze ich erleichtert auf. Wenn Arabella mich so nennt, habe ich gewonnen. Zum Glück kann sie mir nie lange böse sein. Und ich weiß auch, dass sie stolz auf mich ist, und dass sie noch stolzer sein wird, wenn ich dies schaffe.
Sie wird es Ben Martin spüren lassen, oh ja.
„Aber nicht heute“, sage ich vergnügt. „Habe ich dein Okay? Ich würde gerne keine Zeit mehr verlieren. Es geht ihm ziemlich schlecht.“
„Heißt das, du willst heute noch zu den Lamprechts hinüberfahren?“, fragt meine große Schwester.
„Ich habe immer ein paar Klamotten im Auto“, antworte ich.
Das muss ich, denn mein Job hat schon die eine oder andere unerwartete Reise mit sich gebracht, und leider auch den einen oder anderen unerwartet notwendigen Kleidungsbedarf. Manche Flüche sind echt hinterlistig.
Arabella seufzt.
„Ich rufe Victoria an“, sagt sie. „Ich weiß, Ben Martin macht dies vermutlich ohnehin, aber ich will sie wissen lassen, dass du unter meinem Schutz stehst. Und du hältst mich auf dem Laufenden, ja? Wo ist eigentlich William?“
„Ah“, mache ich unbestimmt. „William ist nicht mehr.“
„Was?“, fährt sie auf. „Er ist doch nicht etwa ...!“
„Nein, nein!“, beschwichtige ich sie rasch. „Er ist nicht tot! Wir haben uns getrennt! Und dies kann ich sowieso besser alleine. Ehrlich, Bella! Ich halte dich auf dem Laufenden! Es wird schon gutgehen!“
„Ach“, brummt sie. „Mit dir? Es wird bestimmt die eine oder andere Katastrophe geben. Aber am Ende“, sie seufzt schwer, „am Ende, da hast du Recht, ist bisher immer alles gut ausgegangen.“
Tja. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.
*
Ich habe Arabellas Einverständnis, erfolgreiche Verhandlungen mit Ben Martin und mich zudem damit abgefunden, dass Joseph mich begleiten will, obwohl ich die Unterstellung meiner Schwester absurd finde. Joseph Martin hat auf mich herabgesehen, seitdem wir uns das erste Mal begegnet sind – ich mit Zahnspange und Zöpfen, ja, leider, und er schlaksig, von sich selbst und der Großartigkeit der Martins überzeugt. Es hat mich damals furchtbar geärgert, dass ich mich außerhalb der Familie mit meiner Magie so zurückhalten musste, denn er hat mich nicht eine Sekunde ernst genommen.
Bis es fast zu spät war.
Danach hat er mich gehasst.
Ich gönne mir die Zeit, mir meinen Streich mit all seinen für Joseph so grässlichen Konsequenzen genüsslich in Erinnerung zu rufen, und verspüre selbst jetzt, nach mehreren Jahren, noch immer keine Reue. Im Gegenteil, meine Laune steigt und steigt. Ich verabschiede mich fast euphorisch von den Martins und bin nach wie vor so vergnügt, als Joseph mir auf den Parkplatz vor dem Haus folgt.
Er macht eine Bewegung zu einem der Sportschlitten hinüber.
„Hier“, sagt er brummig. „Wir nehmen mein Auto.“
Bitte?
„Es ist viel schneller und zuverlässiger als ... deins“, setzt er hinzu, mit einem Blick auf das gute alte Bina-Mobil.
Es ist ja nicht so, als ob Arabella mir kein anderes Auto kaufen würde, wenn ich sie darum bäte, oder dass ich mir gar nichts Besseres von meinem Gehalt leisten kann. Es ist nur so, dass man in meinem Job lieber nicht mit einem schicken Sportflitzer durch die Gegend saust. Manches geht einfach nie wieder aus den Ledersitzen raus.
„Nein“, sage ich zuckersüß und trete zu meinem Auto.
Ich höre ihn schwer seufzen, als ob die Last der Welt auf seine Schultern fallen würde.
„Dann lass mich zumindest fahren“, sagt er.
Wo sind wir hier? In Macho-Mania?
„Nein“, sage ich, immer noch zuckersüß.
„Bina!“, meint er grimmig. „Bitte! Du hast heute schon zwei Zauber durchgeführt, und wer weiß, was bei Victoria auf uns wartet! Wäre es nicht besser, du wärst ausgeruht?“
Niemals kriegt er die Schlüssel zum Bina-Mobil. Nur über meine kalte, erstarrende Leiche.
„Wenn du solche Probleme bei den Lamprechts erwartest, solltest besser du ausgeruht sein“, sage ich freundlich. „Immerhin bist du der Muskelmann, oder?“
„Sei bitte nicht unvernünftig“, sagt er.
Er streckt tatsächlich noch immer die Hand nach dem Schlüssel aus.
Ich steige ein und stecke besagten Schlüssel ins Schloss.
„Du hast zwei Möglichkeiten“, sage ich zuvorkommend. „Du kannst Platz nehmen oder hinterherfahren. Na? Na? Deine Wahl.“
Ich drehe den Schlüssel und zu meiner insgeheimen Erleichterung springt der Motor sofort an. Nicht, dass er das sonst nicht auch tut, aber es wäre so peinlich gewesen, hätte mein Auto mich ausgerechnet jetzt im Stich gelassen!
Und Joseph gibt nach. Mit einem Fluch ist er auf der Beifahrerseite, reißt die Tür auf, fegt einmal den Sitz frei – ja, das ist notwendig, leider, ich hatte nicht mit Passagieren gerechnet – und schließt die Tür, nachdem er seine Beine eingefaltet hat.
Ich habe kein Mitleid mit ihm. In seinem Sportwagen ist bestimmt noch weniger Platz.
*
In seinem Sportwagen würden wir zudem bestimmt irgendwelche komische elektronische oder klassische Musik hören. Hier, in meinem Refugium, habe ich die Macht über die Beschallung. Das Bina-Mobil ist zu alt für eine Bluetooth-Schnittstelle, aber ich habe eine schöne CD aus den rockigeren Zeiten der Kelly-Family eingelegt und singe lauthals alle Lieder mit. Ich bin sicher, Joseph hasst jede Sekunde davon. Bestimmt bereut er schon zutiefst, dass er mich unbedingt begleiten wollte.
Ich werfe einen Blick hinüber.
Seltsam. Er sieht gar nicht so leidend aus, wie ich erwartet habe, sondern eher ... befriedigt.
Ein schrecklicher Gedanke durchfährt mich. Sollte Arabella am Ende mit ihrer Einschätzung doch Recht haben? Steht Joseph Martin auf mich? War all sein böses Gelächter über die kleine Bibi Blocksberg mit ihren Rattenschwänzen am Ende nur der ungeschickte Ausdruck der geheimen Faszination eines Teenagers?
Ah, Blödsinn. So was passiert nur in Schnulzen.
Auf der anderen Seite – selbst wenn er mich wirklich genauso gehasst hat, wie ich ihn damals gehasst habe, muss dies heute immer noch so sein? Er wollte unbedingt mit. Vielleicht wollte er mit, weil er mir nicht traut? Das ist nicht von der Hand zu weisen, in Anbetracht unserer Historie. Aber wie will er eingreifen, er, der noch weniger von Magie versteht als der kleine Elfenprinz?
Welcher übrigens überhaupt nicht mehr so klein war, als er aufstand. Ich bin kein Zwerg, und er konnte mir locker auf den Kopf spucken. Seine zierliche Freundin reicht ihm gerade mal an die Schulter.
Sebastian hat Recht gehabt – die Martins haben sich verändert. Nach allem, was ich von ihnen weiß, was Arabella von ihnen weiß, hätte der alte Wolf niemals eine Liaison zwischen seiner Enkelin und einem Sohn von Königin Mab gestattet, vor allem nicht, wo er ihr Leben doch schon verplant hatte. Arabella zufolge hat er fast einen Krieg vom Zaun gebrochen, als sein jüngster Sohn mit einer Künstlerin durchbrannte. Nur die Tatsache, dass besagte Künstlerin eine halbe Beauvoirhexe ist, hat ihn von einem Massaker abgehalten.
Ben Martin ist gar nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Mal abgesehen davon, dass er ein todkranker Mann ist, ist er eher eine ältere Ausgabe von Markus als eine jüngere des Alten – ruhig, besonnen, ein wenig steif.
Vielleicht litt der Alte ja an Tollwut. Ich muss unwillkürlich grinsen.
„Was ist so lustig?“, fragt Joseph.
Er brüllt fast, aber das muss er auch, bei der lauten Musik. Ich zucke nur mit den Achseln und grinse noch breiter. Wir sind jetzt schon eine Stunde unterwegs, und ich musste noch kein Wort zu ihm sagen.
Er streckt die Hand aus und stellt die Musik ab.
Verdammt.
Ich habe jetzt zwei Möglichkeiten: Ich kann ihn anmeckern, weil er unerlaubt etwas im Bina-Mobil angefasst hat, oder ich kann höflich sein. In Anbetracht der Tatsache, dass wir noch ein Stück Weg vor uns haben und ich keine Prügelei im Auto will – ja, auch das hat es in unserer Vergangenheit gegeben – entscheide ich mich für Höflichkeit.
„Wie meinen?“, frage ich kühl.
„Du lachst“, stellt er fest. „Und ich bin neugierig. Was ist so lustig?“
Ich glaube, ihm jetzt von meiner Theorie mit der Tollwut zu erzählen, wäre eine dumme Idee.
„Ach, nichts“, nuschele ich.
Er grinst.
„Du machst mir Angst, Bina Birnbaum“, meint er unheilschwanger.
„Was denn? So schnell?“
„Ich habe gelernt, dich nicht zu unterschätzen“, setzt er bedeutungsvoll hinzu.
Aber er lacht dabei, und das irritiert mich. Der Joseph Martin, den ich kannte, hat nie gelacht, zumindest nicht freundlich, nicht zu mir. Höhnisch, ja, spöttisch auch, aber nie freundlich.
Ist er ein Mutant? Ich werfe ihm einen misstrauischen Blick zu.
Er sieht ganz normal aus, nur eben ungewöhnlich ... freundlich.
Seltsam.
„Was weißt du über die Lamprechts?“ frage ich, um vom Thema abzulenken. „Speziell über Vic und diesen Elfen. Was genau ist passiert?“
Das bringt ihn zum Reden. Ich muss zum Glück nicht viel sagen, als er mich in die Hintergründe der alten Fehde einweiht, in Cianáns Rolle als Spion und Vics Coup. Diese Details kannte ich bislang noch nicht, und ich lerne zwei wichtige Dinge dabei.
Erstens: Cianán der Elf muss ziemlich tapfer und erfindungsreich sein.
Zweitens: Vic Lamprecht ist mehr als nur durchtrieben. Dass sie die Wölfe für ihre Zwecke benutzt hat, ist ja so was von sonnenklar.
Es scheint aber so, als ob Joseph sich dessen nicht ganz bewusst ist. Er berichtet mir auch in allen Einzelheiten von dem großen Showdown und seinem Kampf darin, und erwartet offensichtlich bewundernde Ohs und Ahs.
Ich tue ihm den Gefallen mal. Es ist bestimmt nicht schlecht, ihn in Sicherheit zu wiegen. Und er will mich anscheinend beeindrucken. Ich fürchte immer mehr, dass Arabella mit ihrer Unterstellung Recht hat.
Joseph Martin steht doch auf mich.
Das ist nicht gut. Das ist vor allem nicht gut, weil ich damals für eine Millisekunde, bevor er den Mund aufmachte und mich bei der ersten Gelegenheit beleidigte, ein winzig-kleines bisschen für ihn geschwärmt haben könnte.
Ach, seien wir ehrlich: Ich fand ihn unfassbar attraktiv. Aber ich neige nicht dazu, meine Zuneigung in Gemeinheiten auszudrücken, und meine Gefühle starben einen ziemlich schnellen Tod.
Jetzt, wo er nett ist, fällt mir wieder auf, dass er das gute Aussehen der Martins geerbt hat.
Ich weise mich vehement zurecht. Ich bin gerade erst von einem gutaussehenden Kerl mit Gebrüll und Geschrei losgekommen. Auch William ist einer dieser großen, respektgewohnten Typen mit dichtem Haar und kantigem Kinn. Wir hatten eine sehr stürmische Beziehung. Ich bin noch nicht einmal einen Tag Single und sollte nun wirklich nicht dem nächstbesten Kerl hinterher sabbern.
Dennoch bringe ich es nicht über mich, ihn einfach vor den Kopf zu stoßen, um das Thema im Keim zu ersticken. Und so verbringen wir den Rest der Fahrt mit dem Austausch von Informationen – hauptsächlich erzählt er, und ich erfahre so einiges über die Beziehung zwischen Elfen und Wölfen – und belanglosem Smalltalk.
Irgendwie bin ich froh, als wir endlich ankommen.
*
Wir werden erwartet. Das Anwesen der Lamprechts ist nicht ganz so ausladend wie das Landgut der Martins, aber es liegt auch am Rande der Stadt und nicht mitten auf dem Land. Sie bewohnen eines dieser alten, riesig großen Stadthäuser, von denen es nur noch wenige gibt, weil sie so wahnsinnig unpraktisch und schwer zu unterhalten sind. Ich weiß, wovon ich rede – die Birnbaums hatten auch mal eines. Arabella hat es schließlich verkauft.
Aber Björn Lamprecht hätte sich niemals von seinem Heim getrennt, und falls Victoria darüber nachdenkt, hat sie es noch nicht in die Tat umgesetzt. So oder so, der Clan wohnt auf einem Haufen, was es vermutlich leichter für sie macht, ihre Leute unter Kontrolle zu halten.
Es macht sie jedoch ebenso anfälliger gegenüber Angriffen, wie das letzte Frühjahr bewiesen hat.
Ich habe kaum die Hand ausgestreckt und die altmodische Klingel an der Pforte betätigt, als diese auch schon aufspringt. Joseph versucht, sich mit langen Schritten vor mich zu schieben, wie ich irritiert bemerke. Ich muss fast rennen, um auf gleicher Höhe zu bleiben.
„Reiß dich am Riemen!“, zische ich ihm zu. „Sie erwarten mich!“
Er ist so dicht neben mir, dass sich unsere Arme berühren, als wir die Treppe zum Eingang emporsteigen. Der Himmel bewahre mich vor überbehütenden, eigensinnigen Werwölfen!
In der Tür steht ein jung aussehender Vampir mit einem schmalen Lächeln.
Immerhin.
„Ich bin Bina Birnbaum“, sage ich, bevor Joseph noch auf dumme Gedanken kommt. „Victoria Lamprecht müsste mich erwarten.“
Der Junge neigt seinen Kopf. Bei diesen Vampiren weiß man nie so genau, wie alt sie wirklich sind. Fairerweise ist das bei Hexen auch nicht immer einfach, weil wir unser Alter manipulieren können. Vampire hingegen altern einfach unglaublich langsam. Ich schätze ihn auf keine hundert Jahre.