Das andere Quimper - Jean-Pierre Kermanchec - E-Book

Das andere Quimper E-Book

Jean-Pierre Kermanchec

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Beschreibung

Ewen Kerber, der ehemalige Leiter der Mordkommission von Quimper, sitzt auf der Terrasse des Café du Finistère und liest in der hiesigen Presse einen Bericht über die Fertigstellung der Restaurierung der Chapelle de Quilinen, einer Kapelle in der Umgebung der Stadt Quimper, die er mit seiner Frau vor etlichen Jahren besucht hat. Am Nebentisch sitzt der junge Journalist, Erwann Desmar. Er sieht, dass Kerber den Artikel liest. Desmar spricht Kerber an und gibt sich als Autor des Artikels zu erkennen. Desmar ist hocherfreut, den ehemaligen Leiter der Mordkommission kennenzulernen. Er hofft, von ihm Tipps für seine zukünftigen Berichterstattungen zu erhalten, zu denen auch Kriminalfälle gehören. Als Kerber wenig später im Ouest France Desmars Bericht vom Auffinden einer Leiche auf der Strecke zwischen der Kapelle Quilinen und der Stadt Quimper liest, erinnert er sich an das Gespräch. Es bleibt nicht die einzige Leiche, die an der Stelle gefunden wird.

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Seitenzahl: 209

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Jean-Pierre Kermanchec

Das andere Quimper

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Epilog

Bisher erschienen:

Impressum neobooks

Kapitel 1

Jean-Pierre Kermanchec

Das andere Quimper

Das andere Quimper

Jean-Pierre Kermanchec

Impressum

© 2021 Jean-Pierre Kermanchec, Ulrike Muller

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Bibliothéque national du Luxembourg verzeichnet diese Publikation in der luxemburgischen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://bnl.public.lu abrufbar.

Die Türme der Kathedrale liegen im Gold des Sonnenlichtes. König Gradlon auf seinem Ross sieht auf das geschäftige Treiben der Bewohner seiner Residenzstadt herab. Von seinem Standort, zwischen den beiden Türmen der Kathedrale, die einzige Kathedrale der Welt, die einen Knick in ihrem Gang hat, hat er einen guten Blick auf die Gäste und Besucher der Stadt. Nach dem Untergang seiner geliebten Stadt Ys, hatte er Quimper zu seinem Königssitz auserwählt, und die Bürger verehrten ihn seither mit der Statue zwischen den beiden Granittürmen der Kathedrale Saint-Corentin.

Geheimnisse und Mythen gibt es viele in der Bretagne, auch Geheimnisse die Rätsel aufgeben, wie der Knick in dieser Kathedrale. Welcher Teufel hatte den Erbauer beim Bau der Kirche geritten? Sicher ist, dass es kein Irrtum und kein Fehler des Konstrukteurs gewesen ist. Eine Erklärung, die mystische Variante, sagt, dass der Chor so geneigt ist, wie das Haupt Christi am Kreuz. Die rationalere Erklärung geht davon aus, dass der Bischof bei der Konstruktion die Gebäude aussparen wollte, auf die der Bau gestoßen wäre, unter anderem sein Palais.

Auf der Terrasse des Cafés du Finistère saß Ewen Kerber, der inzwischen pensionierte Leiter der Kriminalpolizei von Quimper, und genoss seinen Café, nach einem ausgiebigen Spaziergang durch seine geschätzte Heimatstadt. Sein Blick glitt über den Place Saint-Corentin und blieb an der Kathedrale hängen, während seine Gedanken zurückschweiften. Sie gingen zurück bis zu dem Tag, an dem er an genau dieser Stelle seine Carla kennengelernt hatte. Damals saß er ebenfalls hier im Café du Finistère und trank einen Espresso. Carla saß mit ihrer erwachsenen Tochter Marie, die damals vierundzwanzig Jahre alt war, am Nachbartisch. Die beiden hatten sich über die Chagall-Ausstellung im Museum unterhalten, das gleich neben dem Café liegt. Auch Ewen hatte diese Ausstellung angesehen, schließlich war eine solche Ausstellung ein Ereignis für Quimper.

Er hatte die Frau am Nachbartisch angesehen und konnte die Augen fast nicht mehr von ihr lassen. Er hatte sich auf den ersten Blick verliebt. Als er dann ihre Tochter sagen hörte, dass der Museumsbesuch bestimmt auch ihrem Vater gefallen hätte, so er noch leben würde, ging Ewen davon aus, dass die Frau genauso alleine lebte wie er. Er hatte nicht lange gezögert und sie mit einem Kommentar zur Ausstellung angesprochen. Ganz schnell hatte sich daraus eine Konversation entwickelt, die Ewen mit einer Einladung zum Essen beendet hatte. Völlig entspannt hatte er ihr gesagt, dass sie ihm sehr gut gefällt und er glücklich wäre, ihre nähere Bekanntschaft zu machen.

Aus dieser näheren Bekanntschaft war inzwischen eine zwölfjährige Ehe geworden. Carlas Tochter, mittlerweile selbst schon verheiratet, war damals in einen Fall involviert, den Ewen Kerber unter der Bezeichnung Möwenspur geführt hatte. Er konnte sich noch sehr gut an den Fall erinnern. Es war ein Fall gewesen, den er erst nach drei Jahren wirklich zu einem endgültigen Abschluss gebracht hatte.

Ewen wurde ein wenig trübsinnig als er an seine aktive Zeit zurückdachte. Er war mit Herz und Seele Kriminalkommissar gewesen. Erst vor zwei Jahren war seine Karriere durch einen Unfall beendet worden. Bei der Rückreise von einem Kurzurlaub, den er mit seiner Frau Carla auf der Insel Groix verbracht hatte, war die Fähre gekapert worden, die sie zum Festland bringen sollte. Der Einsatz der Marine hatte dazu geführt, dass einer der Verbrecher einen Schuss abgegeben hatte, und ein Querschläger Ewen in den Rücken getroffen hatte. Diese Verletzung hatte den Ausschlag gegeben, seine Pensionierung zu beantragen.

Ewen Kerber winkte dem Kellner und bestellte eine zweite Tasse Café. Carla arbeitete in der Bank und würde erst am späteren Nachmittag nach Hause kommen, sodass er sich Zeit lassen konnte. Er schlug den Ouest-France auf und las die Neuigkeiten aus der Region. Die internationalen Nachrichten übersprang er stets, die bekam er in den Nachrichtensendungen von TF2 und F3 regelmäßig frei Haus. Ein Bericht über die Renovierungen der Kapelle von Quilinen erweckte sein Interesse. Ewen kannte die Kapelle, die nördlich von Quimper, umgeben von herrlichen alten Bäumen, im Jahr 1550 erbaut worden war. Er konnte sich noch gut an den Besuch der Kapelle erinnern, die er an einem warmen Sommertag, noch vor der Renovierung, mit seiner Frau aufgesucht hatte. Sie saßen auf der hölzernen Bank an der Mauer gegenüber des Haupteinganges.

Bereits vor einem Jahr hatte die Zeitung von der Restaurierung des Calvaires berichtet, dessen Instandsetzung über 50.000€ verschlungen hatte. Jetzt waren auch die Arbeiten im Innern der Kapelle beendet worden. Das Innere der Kapelle hatte Ewen durch den, hoch über dem Boden auf einem Balken montierten, Gekreuzigten beeindruckt. Er nahm sich vor, die renovierte Kapelle in den nächsten Wochen zu besuchen.

Am Nachbartisch saß ein junger Mann, der aufmerksam Ewens Lektüre verfolgte.

„Verzeihung Monsieur, dass ich Sie anspreche. Interessieren Sie sich für die Berichterstattung über die Kapellen?“

Ewen sah von seiner Zeitung auf und betrachtete den jungen Mann, der Jeans, ein blaues T-Shirt und einen Seidenschal trug.

„Ja, das tue ich. Mich interessiert alles, was sich mit der Geschichte der Bretagne und im Besonderen dem Finistère beschäftigt. Sind Sie auch an den Kapellen interessiert?“, fragte Ewen den jungen Mann seinerseits.

„Ja, ich bin ein großer Freund der Kapellen unseres Landes. Die Kirchen sind Orte, die mich magisch anziehen.“

„Was machen Sie beruflich?“, fragte Ewen nach.

„Ich bin Journalist beim Ouest-France und bin hauptsächlich mit der Berichterstattung über unsere Kulturdenkmäler beschäftigt. Der Artikel, den Sie gerade gelesen haben, stammt von mir.“

„Sehr interessant, dann werde ich in den nächsten Monaten bestimmt noch mehr von Ihnen lesen können, denn es sollen ja noch einige Kapellen einer Frischzellenkur unterzogen werden, wenn ich es einmal so nennen darf. Dann sind Sie also Erwan Desmar?“

„Sehr richtig, Erwan Desmar ist mein Name. Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen?“

„Ewen Kerber, ich bin ein pensionierter Kommissar der police judiciaire.“

„Ein echter Kommissar? Wow, schade, dass Sie bereits in Pension sind. Sie hätten ansonsten eine Quelle für meine weitere Berichterstattung sein können. Ich schreibe auch über Kriminalfälle und Gerichtsverfahren, die vor dem Tribunal de Grande Instance im Palais de Justice, entschieden werden.“

„Da hätte ich Sie enttäuschen müssen. Ich habe nie Informationen an die Presse gegeben, höchstens in Ausnahmefällen. Ich gehörte zu den Kommissaren, die gerne ohne Presserummel arbeiten. Unser OPJ ist da anders gewesen“, meinte Ewen und nahm den letzten Schluck aus der Tasse.

„Sie meinen bestimmt Monsieur Nourilly? Der ist sehr nett zu den Journalisten. Es war angenehm mit Ihnen zu sprechen, Monsieur Kerber, aber ich muss jetzt weiter, ich habe noch einige Besorgungen zu machen. Ein Urlaubstag ist schnell vorbei, und als Junggeselle muss ich mich auch um meinen Haushalt kümmern“, meinte der junge Mann und stand auf, nickte Ewen freundlich zu, ging über den Place Saint-Corentin und verschwand in die Rue Kéréon.

Ewen bezahlte und verließ ebenfalls das Café. Er steuerte die gleiche Straße wie der junge Mann an. Die Rue Kéréon, eine der schönsten Straßen in Quimper, so fand Ewen, war früher die Straße der Schumacher, die im bretonischen kereon heißen. Heute hatte sie sich zu einer Hauptgeschäftsstraße entwickelt. Sein Ziel war die Markthalle in der Rue Astor. Er hatte Carla versprochen, die benötigten Lebensmittel für den Abend zu besorgen. Carla war eine exzellente Köchin, die am liebsten frische Produkte verarbeitete.

Kapitel 2

Die diffuse Straßenbeleuchtung in der Rue Théodore le Hars, einer schmalen Verbindungsstraße zwischen der Rue Jean Jaurès und dem Boulevard Dupleix, hatte schon vor einigen Stunden eingeschaltet. Die Polizeidienststelle, gleich am Anfang der Straße, lag beinahe so im Dunkeln wie die abgedunkelten Häuser während des Krieges. Es war früher Abend und die Dienstelle der Polizei war fast menschenleer. Vor dem Parkhaus Théodore le Hars, das gleich neben dem Hotel Escale Oceania lag, stand ein Van. Auf der engen Straße war das Parken nicht vorgesehen, weil ein stehendes Fahrzeug sofort eine Spur versperrte. Aber um diese Zeit war der Verkehr in der Straße eher gering und die Fahrzeuge konnten den Van gut passieren. Das fahle Licht der Laterne, die an der Hauswand des Nebengebäudes angebracht war, reichte nicht aus, um die Straße gut zu beleuchten. Der Fahrer des Vans saß hinter der verdunkelten Windschutzscheibe und schien auf jemanden zu warten. Der Van stand jetzt bereits seit einer guten halben Stunde an der Stelle. Tagsüber wäre längst eine Aufforderung zum Weiterfahren erfolgt oder ihm wäre ein Strafmandat ausgehändigt worden. Nach einigen weiteren Minuten stieg der Fahrer aus, ging mit gesenktem Kopf um das Fahrzeug herum, öffnete die Schiebetür und stieg ein. Er hatte das Fahrzeug kaum betreten als ein höchstens zwanzigjähriger Mann auf dem Bürgersteig der gegenüberliegenden Seite die Straße hochkam. Die Kapuze seines Sweatshirts war tief ins Gesicht gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu erkennen war. Als er auf Höhe des geöffneten Vans war wurde er angesprochen.

„Hey“, rief der Mann aus dem Van ihm zu.

„Hast du eine Pille für mich?“

Der so Angesprochene sah sich um. Er wusste, dass die Straße von der Kamera am Gebäude der Polizei überwacht wurde. Niemand war auf der Straße.

„Zwanzig Euro das Stück“, sagte der Kapuzenmann, ohne dem Mann im Van einen Blick zu gönnen.

„Okay, aber nicht auf der Straße, komm rüber in den Wagen, hier sieht man uns nicht.“

Der Dealer zögerte, dann dachte er an die Überwachungskamera. Er überquerte die Straße und stieg in den Wagen. Er spürte noch den Elektroschocker an seinem Hals und sackte zusammen. Der Fahrer des Vans fesselte den jungen Mann und verklebte seinen Mund. Dann stieg er aus, schob die Tür zu, setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr los.

Der Van verließ Quimper über die Route de Brest. Er folgte der Straße bis zur Einmündung in die N 165. Am Park Poullic bog er ab und folgte der D 770. An der Ortseinfahrt von Quilinen bog er von der Hauptstraße ab, passierte die Auberge de Quilinen und hielt vor dem Eingang zur Kapelle. Der Fahrer sah sich vor dem Aussteigen um. Die wenigen Häuser der kleinen Ortschaft lagen alle im Dunkeln, niemand war zu sehen. Er stieg aus, ging ums Fahrzeug, öffnete die Schiebetür und zog den gefesselten Dealer raus. Er löste die Fußfesseln und half ihm, sich aufzurichten.

„Los, geh schon und nicht stehen bleiben“, heischte er ihn an und untermauerte seine Worte durch einen Schubs. Der Dealer ging auf dem Kiesweg zum Eingang der Kapelle. Sein Begleiter holte den Schlüssel aus der Tasche, schloss die rote Kirchentür auf, stieß den Mann hinein und verschloss die Tür sofort.

Er schob den gefesselten Dealer zum Altarraum.

„Jetzt hast du die letzte Chance, deine Sünden zu bereuen und den Allmächtigen um Verzeihung zu bitten. Ich weiß genau, dass du vom Teufel besessen bist. Hier hat der Teufel aber keine Macht über dich, hier kannst du dich von ihm befreien. Knie nieder und sag dich vom Satan los.“ Mit einem schnellen Ruck zog er ihm das Klebeband vom Mund.

„Aua! Bist du besoffen! Was willst du von mir? Was soll das Gefasel von Teufel und Sünden? Mach mich los, ich habe keine Lust, mit dir hier zu bleiben. Wo sind wir überhaupt?“

„Knie nieder und sei demütig.“

Der Dealer kniete nieder und sah zu dem Mann auf.

„Du solltest vorsichtiger sein in deiner Wortwahl. Wir befinden uns im Haus des Herrn. Sieh nur diesen herrlichen Altar“, sagte er und beleuchtete ihn mit der mitgeführten Taschenlampe.

„Jedes deiner Worte erreicht den Allmächtigen. Also, sage dich vom Teufel los und befreie dich von deiner Besessenheit. Wer andere Menschen mit Drogen versorgt, die nur zu deren Untergang führen, kann nur vom Teufel besessen sein. Es ist ganz einfach, du musst nur beten und um Gnade bitten.“

„Du hast sie ja nicht mehr alle! Binde mich endlich los, dann vergessen wir die ganze Angelegenheit und ich schenke dir auch noch ein paar Pillen“, sagte der Kapuzenmann.

„Wie heißt du überhaupt? Ich würde dich gerne mit deinem Namen ansprechen“, fragte er jetzt den Gefesselten.

„Wenn es dich glücklich macht, ich heiße Peran, Peran Bagot. Und jetzt mach mich endlich los.“

„Peran, du solltest langsam gemerkt haben, dass ich es ernst meine. Ich frage dich ein letztes mal, Peran, willst du dich vom Teufel lossagen und dein Leben in die Hand Gottes legen?“

„Ich will, dass du mich losbindest und mit dem Gefasel, dem sinnlosen Geschwätz und dem Geplapper aufhörst.“

„Der Satan scheint dich fest in Händen zu halten“, entgegnete er, kniete selbst vor dem Altar nieder und sprach mehrere Gebete leise vor sich hin. Dann erhob er sich, sah auf den neben ihm knienden Dealer und begann, in seinen Taschen nach etwas zu suchen.

„So ist es richtig, schneide mir endlich diese dummen Fesseln durch. Du hast deinen Spaß gehabt. Ich gebe zu, ich hatte ganz schön Angst“, meinte der Dealer noch als er das Klappmesser in der Hand des Mannes erblickte.

Ohne auf die Bemerkung des Gefesselten einzugehen, öffnete der Fahrer des Vans das Messer und besah die geschliffene Schneide. Vorsichtig fuhr er prüfend mit einem Finger darüber, dann hob er das zuvor abgezogene Klebeband vom Fußboden und klebte es erneut über den Mund seines Opfers. Er zog den Mann nach oben und schob ihn zur Eingangstür. Er schloss die Tür auf, ging mit Peran hindurch und verschloss sie wieder hinter ihnen. Dann drückte er ihn in den Van und stach ihm mitten ins Herz. Peran Bagot sackte zusammen.

In einem nahegelegenen Wäldchen warf er den Leichnam wie zu entsorgenden Unrat auf den Boden. Er nahm ihm das Klebeband vom Mund und steckte es in seine Tasche. Dann fuhr er zurück nach Quimper.

Er betrat seine bescheidene Wohnung im Impasse de Kerlerec, ging in sein Wohnzimmer und trat vor einen Altar, den er sich vor etlichen Monaten eingerichtet hatte, zündete eine Kerze an und betete.

„Herr, verzeih diesem Sünder, der sich selbst im Angesicht des Todes nicht vom Satan losgesagt hat. Ich habe ihm die Chance gegeben, ich habe ihm den Weg gezeigt, aber er ist nicht bereit gewesen, den richtigen Weg einzuschlagen. Amen.“ Er stand auf, verneigte sich vor seinem Altar und ging zu Bett.

Kapitel 3

Anaïk Pellen-Bruel stand um halb sechs auf. Es wurde Zeit, dass sie ihren morgendlichen Lauf wieder aufnahm, den sie seit einigen Wochen vernachlässigt hatte. Der Umzug ins neue Haus nach Beg Meil und die damit verbundenen Arbeiten hatten ihren früheren Zeitplan durcheinandergewürfelt. Der zehn Kilometer lange morgendliche Lauf entlang des Küstenwegs von Sainte-Marine nach Île Tudy und zurück war ein fester Bestandteil ihrer körperlichen Ertüchtigung gewesen. Sie hatte sich heute vorgenommen, über den am Strand von Beg Meil entlangführenden Wanderweg bis nach Mousterlin und zurück zu laufen. Die Entfernung entsprach ungefähr der Strecke, die sie früher zwischen Sainte-Marine und Île Tudy zurückgelegt hatte. Wenn sie einmal große Lust und vor allem die nötige Zeit hätte dann könnte sie dem GR weiter folgen und über die Deiche und Dünen bis nach Benodet laufen. Sie hatte sich die Strecke auf der Wanderkarte angesehen und ausgemessen. Bis nach Benodet waren es etwas mehr als 9 Kilometer. Aber fürs erste sollte die Strecke bis Mousterlin ausreichen. Nach etwas mehr als einer Stunde war sie wieder zurück.

Brieg war kurz nach ihr aufgestanden. Er verließ gegen 7 Uhr 30 das Haus, um einen Kollegen in Penn Ar Prad abzuholen, einem Weiler nördlich von Quimper, mit dem er heute zur Werft nach Concarneau fuhr.

Die erste Besprechung hatte er heute um 10 Uhr. Die Werft hatte eine Anfrage von der Marine erhalten, sieben bewaffnete Schnellboote zu bauen. Die Schiffe waren für den Schutz der französischen Häfen bestimmt. Lediglich ein Schnellboot sollte in den Gewässern vor Dschibuti eingesetzt werden. Ein Auftrag, der die Werft vor neue Herausforderungen stellte. Bis jetzt hatte man nur unbewaffnete zivile Schiffe gebaut. Der Auftrag würde die Arbeitsplätze für mehrere Jahre sichern. Die Geschäftsleitung hatte die Anfrage positiv beschieden.

Brieg kannte die Streck zum Lieu dit Penn Ar Prad, da er erst kürzlich mit Anaïk im Restaurant Ty Coz, nur einen Kilometer vor dem Lieu gelegen, gegessen hatte. Er hielt vor dem Haus von Marc Duygou, der bereits vor der Haustür auf ihn wartete.

„Bonjour Marc, hast du dich gut auf das Meeting vorbereitet?“

„So gut es geht. Schnellboote sind eben schon etwas anderes, aber wir werden das hinbekommen“, meinte Marc Duygou und gurtete sich an.

Brieg wendete das Auto und fuhr los.

„Scheiße Brieg, ich muss noch einmal pissen. Ich habe zu viel Kaffee getrunken.“

„Soll ich noch einmal umdrehen?“

„Nein, da vorne ist ein kleines Wäldchen, halt einfach noch mal kurz an.“

Brieg fuhr rechts ran und hielt auf dem Seitenstreifen. Marc stieg aus, überquerte die Straße, ging drei Schritte auf das Wäldchen zu und entleerte seine Blase. Er wollte gerade zum Auto zurückgehen als er wie angewurzelt stehen blieb. Vor ihm lag ein Gegenstand, der ihm wie ein menschlicher Körper vorkam. Er ging näher heran.

„Brieg! Ich glaube du solltest deine Frau anrufen, hier liegt eine Leiche“, rief er Brieg zu. Brieg sah ihn erstaunt an bis er begriff, dass er es ernst meinte mit dem Anruf bei seiner Frau. Er griff zu seinem Handy und wählte Anaïks Nummer.

„Schatz, wir haben eine Leiche gefunden. Marc ist der Meinung, dass du sofort mit deinen Leuten kommen musst.“

„Du machst keine Scherze?“

„Natürlich nicht!“

„Wo liegt die Leiche?“, fragte Anaïk ruhig.

„Auf der Strecke zwischen dem Restaurant Ty Coz und Penn ar Prat, geschätzte 500 Meter vom Restaurant entfernt.“

„Brieg, bitte nichts anrühren und wartet auf uns. Ich benachrichtig sofort meine Mannschaft. Ich bin in wenigen Minuten bei euch“, sagte Anaïk und legte auf.

„Marc, die police judiciaire ist unterwegs, wir sollen nichts anrühren und auf ihr Eintreffen warten.“

Marc kam bleich zum Auto zurück und setzte sich auf den Beifahrersitz.

„Von Morden zu lesen ist gruselig aber eine Leiche vor sich liegen zu sehen ist grausam“, meinte er und zog die Tür zu.

„Deine Frau ist an einen solchen Anblick vielleicht gewöhnt, ich könnte mich nicht daran gewöhnen.“

„Marc, mir geht es nicht anders. Ich hoffe, dass wir noch rechtzeitig zum Meeting kommen, ansonsten müssten wir Bescheid geben.“

Keine 10 Minuten später tauchten bereits die Fahrzeuge mit Blaulicht auf. Brieg kannte einige von Anaïks Kollegen von der Hochzeit, wie Dustin und Yannick, und begrüßte sie. Anaïk und Monique kamen zeitgleich mit dem Pathologen und der Spurensicherung an.

Yannick machte sich sofort auf den Weg zur Leiche. Dustin Goarant wies seine Leute ein.

Anaïk und Monique kamen zu Brieg und begrüßten sich.

„Warum habt ihr hier angehalten?“, fragte Anaïk.

„Marc musste seine Blase entleeren. Der Kaffee! Ich habe auf dem Grünstreifen angehalten und Marc ist über die Straße zu dem Wäldchen gegangen. Auf dem Rückweg blieb er stehen und rief mir zu, dass ich dich informieren soll, dass hier eine Leiche liegt.“

„Ihr habt keinen Wagen wegfahren gesehen oder eine Person auf der Straße wahrgenommen?“

„Nein, niemanden“, antwortete Marc, der sich zu ihnen gesellt hatte.

„Müssen wir jetzt hierbleiben, oder können wir uns auf den Weg nach Concarneau machen?“, fragte Brieg seine Frau.

„Ich glaube, wir benötigen euch hier nicht weiter. Ich weiß ja, wie ich dich erreichen kann“, sagte Anaïk und verabschiedete sich herzlich von ihm.

Brieg und Marc fuhren los. Jetzt wimmelte es auf der Straße vor dem Wäldchen. Herbeigerufene Gendarmen sperrten die Straße ab und sicherten den Abschnitt.

Yannick brauchte nur wenige Minuten, um festzustellen, dass der Mann keines natürlichen Todes gestorben war.

„Was kannst du mir sagen?“, fragte Anaïk den Pathologen.

„Der Mann wurde zuerst mit einem Elektroschocker betäubt oder kampfunfähig gemacht, siehst du hier die Spuren des Schockers? Danach wurde er mit einem einzigen Messerstich getötet. Der Stich ging direkt ins Herz.“

„Todeszeit?“

„Ich schätze, dass er gegen Mitternacht, plus minus eine Stunde, umgebracht worden ist. Der Tatort ist auf keinen Fall hier. Es ist zu wenig Blut zu sehen. Sein Mörder hat die Leiche hier entsorgt. Ein ganz junger Mann, um die zwanzig schätze ich. Seine Hände sind auf dem Rücken mit einem Stück Seil gefesselt und der Mund mit Klebeband verschlossen gewesen, man kann die Spuren noch sehen. Alles Weitere nach der Obduktion“, meinte Yannick und entfernte sich von der Leiche.

„Scheint sich um einen Dealer zu handeln“, rief Dustin und zeigte auf einen Beutel mit Pillen.

„Ecstasy?“

„Sieht so aus! Der junge Mann heißt Peran Bagot und wohnt in Quimper“, sagte Dustin und hielt den Personalausweis in die Höhe.

Monique ging zu ihm und nahm den Ausweis in Empfang.

„Ein Mord aus dem Drogenmilieu?“, fragte sie und machte sich einige Notizen. Monique Dupont war vor zwei Jahren aus Paris in die Bretagne gekommen. Sie hatte sich auf die Ausschreibung einer Stelle bei der police judiciaire in Quimper beworben. Anaïk, ihre Chefin, war sofort von der jungen Kommissarin begeistert gewesen und hatte sie eingestellt. Inzwischen hatten die beiden bereits einige Fälle gemeinsam gelöst.

„Ich werde mich gleich bei den Kollegen der Drogenabteilung erkundigen, ob es von dem Mann eine Akte gibt.“ Monique griff zu ihrem Handy und wählte die Nummer von Edvin Baud.

Der Kollege Baud, ein kräftiger Mann mit schütterem dunkelbraunem Haar, einer hohen Stirn, einem markanten Kinn, grauen Augen und einem leichten Bauchansatz, führte die Abteilung schon seit einigen Jahren. Monique hatte einen guten Draht zu ihm.

„Baud“, meldete er sich.

„Hallo Edvin, Monique hier. Wir haben gerade ein Mordopfer gefunden. Es handelt sich um einen gewissen Peran Bagot, geboren am 23.04.1997 in Quimper. Habt ihr über den Jungen etwas?“

„Bleib kurz dran, ich sehe nach“, sagte Edvin Baud und legte den Hörer zur Seite. „Ein kleiner Dealer, handelt mit Ecstasy, ist bereits einmal festgenommen worden, aber wir haben ihn wieder laufen lassen müssen, weil er nur drei Pillen in der Tasche hatte, angeblich gerade selbst gekauft. Er ist schon des Öfteren in der Scene beobachtet worden. Sein bevorzugtes Revier scheint die Gegend um die Rue Théodore le Hars zu sein. Wir haben ihn dort einige Male kontrolliert. Aus unserer Sicht ist er ein kleiner Fisch. Du sagst, dass er ermordet worden ist?“

„Genau, wir haben ihn in der Nähe von Penn ar Prad gefunden.“

„Wo in aller Welt liegt Penn ar Prad?“

„Auf der Strecke zwischen Quimper und Quilinen“, antwortete Monique.

„Penn ar Prad? Kleiner Gedankensprung, kennst du die bretonische Bedeutung, Monique?“

„Edvin, ich kann kein Bretonisch.“

„Das bedeutet, am Ende der Wiese oder Weidefläche. Penn ist eines der Wörter, die eine ganze Reihe von Bedeutungen haben können. Eine davon ist Wiese oder Weidefläche eine andere bedeutet Kopf, aber es kann auch Chef heißen. Du siehst, mit der Bezeichnung am Ende der Wiese kann man nicht gerade auf die Lage des Ortes schließen. Schließlich gibt es viele Wiesen, Weideflächen und Köpfe in der Bretagne.“

„Danke für die Einführung in Bretonisch für Anfänger. Du hast mir mit der Auskunft über Peran Bagot weitergeholfen. Ich werde mir seine Akte bei euch holen, sobald wir wieder im Kommissariat sind.“

„Vielleicht hilft dir noch ein weiterer Hinweis. Die Rue Théodore le Hars wird von Kameras beobachtet. In der Straße liegt das Polizeirevier, wie ihr sicherlich wisst. Vielleicht wurde der junge Mann ja dort ermordet oder entführt.“

„Das ist ein wichtiger Hinweis Edvin, dem gehe ich sofort nach.“ Monique legte auf, ging zu Anaïk und informierte sie.

Anaïk sprach mit Dustin, der inzwischen das Seil, mit dem Bagot gefesselt worden war, losgemacht und eingetütet hatte. Monique hörte gerade noch wie Dustin sagte:

„…eine Flechtleine aus Polypropylen, relativ günstig. Sie wird für das Knüpfen von Fischernetzen benützt und kann in allen Geschäften mit Schiffs- oder Fischereizubehör erworben werden. Bestimmt kann man sie auch im Internet bestellen.“

„Danke Dustin, du schickst mir deinen Bericht“, sagte Anaïk und wandte sich Monique zu.

„Hast du etwas über den Toten herausgefunden?“

„Ja, ich habe mit Edvin gesprochen. Die Drogenabteilung kennt den jungen Mann. Er ist wohl nur ein kleiner Dealer, der bis jetzt nur ein einziges Mal verhaftet worden ist. Bei seiner Verhaftung hatte er nur drei Ecstasy Pillen bei sich, die er angeblich gerade selbst gekauft hat. Sie haben ihn darauf wieder laufen lassen. Aber Edvin hat mir gesagt, dass Bagot sich oft in der Rue Théodore le Hars aufgehalten hat. In der Straße liegt die Polizeidienststelle, das heißt, dass die Straße videoüberwacht ist. Wir sollten uns die Aufzeichnungen ansehen. Wenn wir Glück hätten, so meinte Edvin, könnten wir sehen, ob der Mann vielleicht dort entführt oder ermordet worden ist.“