Tödliche Rache - Jean-Pierre Kermanchec - E-Book

Tödliche Rache E-Book

Jean-Pierre Kermanchec

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Beschreibung

Bei einem Spaziergang entdeckt ein Spaziergänger an der Pointe du Raz die Leiche eines Mannes in einem Felsspalt. Umgehend informiert er die Polizei, die mit großem Aufgebot auf die Halbinsel kommt. Der Leichnam liegt etliche Meter tief im Spalt und muss von der Feuerwehr hochgeholt werden. Schnell ist klar, dass es sich nicht um einen Unfall, sondern um einen Mord handelt. Der Fundort ist nicht der Tatort. Wer war der Tode und wie kam er an die Pointe du Raz? Der Fundort ist definitiv nicht der Tatort. Die Mordkommission aus Quimper beginnt mit ihren Nachforschungen, die sich als verwirrend entpuppen.

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Seitenzahl: 262

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Epilog
Bisher erschienen:

Impressum neobooks

Jean-Pierre Kermanchec

Tödliche Rache

Tödliche Rache

Jean-Pierre Kermanchec

Alle Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Impressum

© 2021 Jean-Pierre Kermanchec

Cover: Atelier Meer Kunst, Oetrage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Bibliothéque national du Luxembourg verzeichnet diese Publikation in der luxemburgischen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://bnl.public.lu abrufbar.

Kapitel 1

Der Himmel strahlte seit mehreren Tagen tiefblau über dem Finistère. Außer ein paar Kumuluswolken war nichts zu sehen, wenn man von wenigen Kondensstreifen absah, die die Flugzeuge beim Überqueren der Region in über 8.000 Metern Höhe hinterließen.

Pierre Keromen spazierte gemächlich auf dem GR 34 zur Spitze der Halbinsel. Er kannte den Weg seit seiner Kindheit und hätte ihn vermutlich mit geschlossenen Augen beschreiten können, wäre der Weg nicht den Wetterkapriolen ausgesetzt, die dessen Beschaffenheit ständig veränderten. Er vermochte nicht zu sagen, wie oft er ihn gegangen war. Anfangs mit seinem Vater und später mit seiner Frau und den Kindern. Seine Ehefrau hatte ihn vor drei Jahren nach einer schweren Erkrankung verlassen und sah jetzt von oben zu, wenn er sich zur Spitze der Pointe du Raz aufmachte.

Die Pointe du Raz war für ihn ein besonders anziehender Ort. Sie war das Ende der Welt, pen ar bed, wie es auf bretonisch hieß, ein Fels in der Brandung des kolossalen Atlantischen Ozeans. Von hier aus lag zwischen diesem Felsen und Nordamerika nur das schier endlose Wasser.

Auf den kahlen Felsspitzen saßen Möwen und beäugten die zahlreichen Besucher, die Jahr für Jahr hierher kamen und über die Felsen möglichst weit zur Spitze vordrangen.

In gebührendem Abstand sah man Fischkutter auf dem Meer und Segelyachten, die mit den Strömungen rund um die Pointe kämpften. An sonnigen Tagen waren größere Schiffe zu sehen, die den Kanal auf ihrer Fahrt in den Süden verließen oder in entgegengesetzter Richtung auf den Ärmelkanal zusteuerten. Die Meeresströmung um die Pointe du Raz gehörte zu den gefährlichen Strömungen, die die Île de Sein vom Festland trennt.

Nördlich der Île de Sein liegt die Bucht des Trépassés, die Bucht der Verstorbenen. Von dort, so sagt eine Legende, wurden die Leichname der Druiden zur Île de Sein gebracht, um auf der Insel beigesetzt zu werden. Andere sagen, dass der Name der Bucht von den vielen Schiffsunglücken herrührte, und manch einer war sicher, dass hier unten die versunkene Stadt Ys von König Gradlon lag. Wie dem auch sei, die Pointe du Raz war ein touristischer Anziehungspunkt, nicht nur für Pierre. Zudem war für sie die Bewohner rund um die Spitze der Halbinsel eine Lebensader. Die jährlichen Besucher brachten Wohlstand in die eher karge Region.

Pierre war zufrieden, dass es Pkws nicht mehr erlaubt war, bis an die Spitze der Halbinsel zu fahren, zum Fuß der Statue Notre-Dame, die zu Ehren der Schiffbrüchigen errichtet worden war. Die Gemeinde hatte gebührenpflichtige Parkplätze geschaffen und die Besucher liefen seitdem zu Fuß den Weg bis an die Spitze.

Es war früher Morgen, die Touristen waren noch nicht eingetroffen. Die Sicht war herrlich. Pierre setzte sich auf seinen Lieblingsfelsen und ließ seinen Blick über den Leuchtturm la vieille streifen, die Alte. Er suchte nach dem knapp zwanzig Kilometer entfernten Ar Men. Mit etwas Glück wäre der Leuchtturm zu erkennen, den man früher die Hölle der Höllen nannte. Wenn der Turm besetzt war, dauerte es manchmal Wochen, bis man den Leuchtturmwächter evakuieren konnte. Seit nunmehr vielen Jahren war er automatisiert worden und sicherte die Einfahrt in die Passage nach Sein. Er hatte Glück und erblickte ihn leicht verschwommen.

Die Möwen flogen über ihn hinweg und ließen sich auf den Felsen vor ihm nieder. Nach wenigen Minuten erhoben sie sich erneut in die Luft und die Luftströmung trug sie übers Wasser. Pierre ließ seinen Gedanken freien Lauf, schloss die Augen und empfand den frischen kühlen Wind wie eine Liebkosung. Wenn der Wind auffrischte und die Wellen sich mit Getöse an den Felsen brachen, legte sich zusätzlich der Geschmack von Salz auf seine Lippen.

Der Weg von Lescoff, wo er seit seiner Geburt lebte, bis zur Pointe du Raz, war für ihn wie ein Spaziergang in eine andere Welt. Hier hatte die Natur das Sagen. Die Gezeiten, die Dünung, der Wind, sie beherrschten den Lauf der Zeit und nicht der Mensch in seiner Unzulänglichkeit.

Lautes Möwengeschrei riss ihn aus seinen Träumereien. Irgendetwas schien die Vögel zu erregen und ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Pierre sah auf und versuchte, den Möwen mit den Augen zu folgen. Es dauerte etwas, bis er sie entdeckte. Sie umflogen einen Spalt in den Felsen, knappe fünfzig Meter von seinem Sitzplatz entfernt. Immer wieder flog eine Möwe hinein, tauchte nach wenigen Sekunden auf und eine andere nahm ihren Platz ein. Was versteckte sich dort? Pierres Neugier war geweckt und er gedachte, einen Blick zwischen die Felsen zu werfen. Der Weg zu der Stelle war nicht ungefährlich. Er hatte über das Felsgestein zu klettern und vorsichtig zu dem tieferliegenden Felsspalt hinunterzusteigen. Durch den morgendlichen Tau waren die Steine glitschig. Selbst mit geeignetem Schuhwerk war der Weg eine Gefahr. Langsam, auf jeden einzelnen Tritt achtend, näherte er sich dem Spalt. Noch knappe zehn Meter und er hatte ihn erreicht. Die leicht abschüssigen Felsen erschwerten die letzten Schritte beträchtlich. Pierre hielt sich an den beidseitig liegenden Felsbrocken fest und näherte sich in gebeugter Haltung der Kluft. Er hatte den Spalt bislang nicht erreicht, da stieg wieder eine Möwe mit Gezeter empor, nur wenig von ihm entfernt. Seine Anwesenheit ließ die Vögel Abstand halten. Sie kreisten jetzt in einer Höhe von zwanzig Meter über dem Spalt. Sich zu entfernen gedachten sie nicht und ließen Pierre erkennen, dass er sie störte. Noch drei Schritte, dann hatte er es geschafft. Ein Granitfelsen splitterte, seine Füße verloren ihren Halt und er rutschte etwas.

«Pierre, nichts riskieren», sagte er sich, nachdem er wieder festen Stand hatte. Nur ein Meter und der Blick in die Tiefe war frei. Mit gesteigerter Vorsicht wagte er den letzten Schritt und war angekommen. Der Spalt wurde von etwas höher hervorragenden Felsspitzen eingerahmt, an denen er sich festhielt. Er hatte jetzt einen freien Blick in die Tiefe. Pierre traute seinen Augen nicht. Spielten sie ihm einen Streich? Träumte er? In dem Spalt, keine fünf Meter unterhalb seines Standortes lag die Leiche eines Mannes. Die Möwen hatten seinen Pullover und einen Teil des Hemdes zerrissen, die nackte Haut war deutlich zu sehen. Pierre zog seinen Kopf zurück, griff in seine Hosentasche, holte sein Handy heraus und wählte den Notruf.

Kapitel 2

Die Sonne hatte sich über den östlichen Horizont erhoben, als Jules Trélaz seinen Kutter zwischen der Pointe du Raz und dem Leuchtturm la Vielle steuerte. Die Felsenspitze lag fast im Dunklen, nur die Konturen waren vom Meer aus zu erkennen. Der Ozean war der Jahreszeit entsprechend still. Kein Vergleich zu dem Wellengang des Frühjahres, als die Stürme über dem Atlantik aufs Festland trafen und die Wellen bis zu sagenhaften zwanzig Metern auftürmten. Damals war er nicht mit seinem Kutter hinausgefahren. Trotz aller Widrigkeiten liebte Jules Trélaz seine Arbeit. Mit nichts auf der Welt würde er diese tauschen wollen. Sein Arbeitsort war das Meer. Etwas vergleichbar war der Blick von der Pointe de Feunteun Aod aufs Wasser des endlosen Ozeans. Von dort hatte er einen herrlichen Blick auf die Île de Sein und auf den weiten Atlantik. Er sah den Wellen zu, schmeckte das Salz auf seinen Lippen und empfand die Luft auf seiner Haut.

Der Fang der vergangenen Nacht war ausgezeichnet verlaufen. Sobald sie den Hafen von Feunteun Aod erreicht hatten, hatten sie die Ladung an den Händler Kerhoz, der an diesem Samstag den gesamten Fang abgenommen hatte, übergeben. Seine Kollegen Marc Kerbrat, Antoine Morvan und Jagu Caroff lagerten das Netz und bereiteten den Kutter für die nächste Fahrt vor.

Er hatte großes Glück, dass er Marc zum Mitarbeiter hatte, der vorher bei einem anderen Fischer gearbeitet hatte. Die Einstellung von Jagu Caroff war ebenfalls ein Glücksgriff gewesen. Er hatte sich von einem Matrosen zum echten Fischer entwickelt. Vor vier Jahren war das Schiffgesunken, auf dem er gearbeitet hatte, im Sturm an irgendeinem Ort zwischen der Pointe du Raz und der Île de Sein. Jagu war gerettet worden und hatte das Unglück überlebt. Er war ein ausgezeichneter Mitarbeiter, treu und zuverlässig.

Seitdem er einen Großteil seines Fangs an den Fischhändler Kerhoz verkaufte, sparte er sich die Fahrt nach Guilvinec, um die Ladung an die dortige Fischhalle zu liefern, und den Abschlag für die criée. Von den Einsparungen an Diesel nicht zu sprechen. Der Kutter gehörte ihm und die laufenden Kosten wurden durch den Verkauf gedeckt. Er vermochte monatlich etwas für seine Altersvorsorge zur Seite zu legen.

Niemals hätte er sich träumen lassen, einen Kutter sein Eigen zu nennen. Aber wie sagt der Volksmund: Wissen ist Macht. Und er war durch einen enormen Zufall vor fünf Jahren an ein Wissen gelangt. Bei einer seiner seltenen Fahrten nach Brest war er durch den Hafen und die Parkanlagen spaziert, die sich vom Kreisverkehr des Foulques entlang der Route du Vieux Saint-Marc zogen. In einem Gebüsch hatte er zwei Männer gesehen, einer von ihnen war der Superstar einer Fernsehserie, der sich dort mit einem Stricher aus Brest amüsierte. Er hatte zu seinem Handy gegriffen und ein Foto von den beiden aufgenommen. Das Blitzlicht hatte den Schauspieler überrascht aufblicken lassen. Er hatte sich schnell seine Hose hochgezogen und war auf Trélaz zugekommen.

Der Mann hatte nicht nach Ausreden oder Erklärungen gesucht, nur gefragt, was sein Schweigen kostete. Ein Fischkutter sei ausreichend, hatte er dem Star der Serie, einem Schwarm aller jungen Frauen, geantwortet. Der Mann hatte ihm das Geld regelrecht aufgedrängt.

Seine Lebensgefährtin war erstaunt, als er ihr die Botschaft vom Besitz eines eigenen Kutters mitgeteilt hatte.

«Woher hast du das viele Geld für den Erwerb?», hatte sie ihn gefragt.

«Eine entfernte Verwandte hat es mir vererbt. Ich habe es vor einiger Zeit erfahren und dich mit dem Kutter überraschen wollen. Die Frau hat beim Tod ihres Mannes ein Vermögen geerbt und ich bin der einzige Nachkomme, jetzt wo sie ebenfalls gestorben ist.»

Coline Loval hatte die Erklärung akzeptiert und nicht nachgehakt. Das lag jetzt alles schon fünf Jahre zurück. Seitdem hatte sich das Einkommen von Trélaz deutlich verbessert und er war unabhängig von dem Fischer geworden, bei dem er in Guilvinec gearbeitet hatte. Das Märchen von der Erbschaft hatte er damals seinem Arbeitgeber ebenfalls erzählt, nachdem er sich als Besitzer eines eigenen Kutters vorgestellt hatte.

Seit der Trennung von seiner Lebensgefährtin lebte er alleine in seinem Haus. Seine uneheliche Tochter Sema sah er hin und wieder. Er liebte sie abgöttisch und freute sich darauf, wenn sie in den Ferien ein paar Tage bei ihm verbrachte. Falls das Wetter es zuließ, nahm er sie mit aufs Meer. Er hatte eine panische Angst, dass dem Kind etwas geschah.

Vor drei Jahren hatte er den Sohn eines Bekannten mit aufs Meer genommen. Auch damals war das Wetter strahlend, aber die Vorhersagen sprachen von aufkommendem Wind. Er hoffte, dass sie vor dem Wetterumschwung zurück wären, doch der Umschwung kam schneller als erwartet. Die Wellen wurden stärker und wuchsen, unterdessen sie durch die Baie de Trépassés steuerten, um auf die andere Seite der Pointe du Raz zu gelangen, zum Hafen von Feunteun Aod.

Dann passiert es! Der Junge hielt sich an der Reling auf und sah fasziniert auf die Wellen. Die Rufe der Belegschaft, er solle sofort ins Führerhaus kommen, erreichten ihn nicht, so dass sie zu ihm vordrangen, dieweil Jules versuchte, den Kutter durch den hohen Seegang zu bugsieren. Bevor die zwei Matrosen beim Jungen ankamen, schlug eine gewaltige Welle über den Kutter und riss das Kind ins Wasser. Marc warf sofort den Rettungsring hinterher, aber der Junge erreichte ihn nicht und ertrank. Sie vermochten nicht einmal seine Leiche zu bergen, um sie wenigstens mit ans Land zu nehmen. Erst Tage später wurde sie am Plage de la Baie de Trépassés ans Ufer geschwemmt.

Diesen Unfall vermochte Jules nicht zu vergessen, so etwas durfte nicht erneut geschehen. Er nahm sich vor, keine Kinder mehr aufs Meer mitzunehmen. Seine Tochter aber ließ nicht locker und bettelte immer wieder, mitgenommen zu werden. Sie erweichte ihn und er nahm sie mit, eben nur bei extrem schönen Wetter. Jules kannte die Bretagne und das Meer und wusste, wie rasch sich die Wetterlage ändern konnte. Nicht umsonst sagen die Bretonen, dass es immer schön ist, mindestens fünfmal am Tag. An manchen Tagen änderte sich die Witterung innerhalb von Minuten. Das Meer war keine Spielwiese für Kinder. Die Gefahren auf dem Ozean waren heimtückisch und haben selbst erfahrene Seeleute schon in den Tod gerissen.

Dennoch liebte Jules sein Meer, seinen Atlantik, sein Arbeitsgebiet. Er hatte bis jetzt immer Glück und seinen Kutter stets sicher in den Hafen gebracht. Er war erfahren genug, um kein Risiko einzugehen. Wenn er mit seinen Mitmenschen genauso vorsichtig umginge, hätte er sich manches Problem erspart.

Kapitel 3

André Payen und Awen Tosser waren ein eingespieltes Team. Seit etlichen Jahren arbeiteten die beiden Gendarmen zusammen in Audierne. Die Sommermonate waren für sie die anstrengendsten des Jahres. Durch das stark gesteigerte Verkehrsaufkommen erhöhte sich die Anzahl der Verkehrsdelikte, der Unfälle, der Geschwindigkeitsüberschreitungen und Weiteres.

André und Awen hatten ihren Dienst vor einer knappen Stunde angetreten und bereiteten sich auf die vorgesehene Geschwindigkeitskontrolle auf der D 784 vor. In jedem Sommer kontrollierten sie die endlose Blechlawine, die sich den Weg an die Pointe du Raz bahnte. Im Nadelöhr Audierne verloren die Besucher einen Teil ihrer kostbaren Urlaubszeit, die sie dann außerhalb der Stadt wieder einzuholen versuchten und auf der D 784 deutlich Gas gaben. Vermochte man früher hier mit 90 kmh fahren, so war die Geschwindigkeit auf 80 gesenkt worden. Die meisten Bewohner des Finistères hielten sich nicht daran und die Urlauber schon gar nicht. Wenn die eingenommenen Summen wenigstens dem Departement blieben wäre etwas für die Region zu generieren, sinnierte André.

Als das Telefon klingelte, nahm er den Hörer ab.

«Gendarmerie Audierne, Payen am Apparat», meldete er sich.

«Monsieur le Gendarm, Sie müssen sofort kommen. Hier liegt eine Leiche», vernahm er eine Männerstimme.

«Wer sind Sie? Wo ist die Leiche?», fragte der verdutzte Payen den Anrufer.

«Na hier! An der Pointe du Raz. Mein Name ist Pierre Keromen. Kommen Sie bitte sofort», sagte der Anrufer mit Nachdruck.

«Rühren Sie die Leiche nicht an und lassen Sie niemanden in die Nähe. Wo genau an der Point du Raz?»

«Sie liegt an der südlichen Seite, fast an der Spitze. An die Leiche kommt keiner ohne Weiteres heran. Sie hängt in einer Felsspalte, ein Stück vom normalen Weg entfernt und einige Meter tief.»

«Brauchen wir die Feuerwehr, um die Leiche zu bergen?», fragte Payen.

«Ich denke, dass Sie nicht darum herum kommen.»

«Warten Sie an der Stelle auf unser Eintreffen Monsieur Keromen», sagte André und legte auf.

«Awen ich glaube mit, der Verkehrskontrolle wird es im Moment nichts. Uns wurde soeben ein Leichenfund gemeldet.»

«Eine Leiche! Wo?»

«An der Pointe du Raz.»

«Vom Meer angeschwemmt?»

«Nein, der Leichnam liegt in einer Felsspalte. Wir müssen die police judiciaire in Quimper informieren und die Feuerwehr um Unterstützung bei der Bergung bitten. Wir rufen am besten auf der Fahrt bei den Kollegen von der police judiciaire an. Die Feuerwehr informiere ich sofort.»

Mit Blaulicht und Sirene fuhren sie über die D 784 auf Lescoff zu. Sie durchquerten den Ort und parkten auf dem kleinen Parkplatz vor dem Denkmal. Für die Polizei gab es eine Ausnahme, sie brauchten nicht auf dem Parkplatz der Pointe du Raz zu stehen und die letzten 300 Meter zum Semaphore zu Fuß zurückzulegen.

André sah von weitem das Winken eines Mannes. Er nahm an, dass es sich um den Anrufer handelte.

«Hier her, hier liegt der Leichnam!», rief er den Gendarmen entgegen.

André Payen und Awen Tosser versuchten, über die scharfkantigen Felsspitzen und die glitschigen Steine unfallfrei an die Stelle zu gelangen, an der der Mann stand. Es war kein leichtes Unterfangen und André wunderte sich, wie der Alte dahin gekommen war. Endlich hatten sie ihn erreicht und sahen ebenfalls in den Spalt.

«Hier brauchen wir nichts abzusperren. Da kommt so schnell niemand vorbei, der uns bei der Arbeit stört», meinte er und wartete auf eine Antwort seines Kollegen.

«Gebe dir Recht», kam diese von Awen.

«Wie bekommen wir den aus dem Spalt?»

«Das wird uns hoffentlich die Feuerwehr beantworten. Ich denke, dass da einer runtermuss», überlegte André laut.

Hinter ihnen näherte sich die Feuerwehr mit zwei Wagen. Die Feuerbrigade aus Audierne war mit entsprechender Ausrüstung gekommen. Es war nicht der erste Einsatz an der Pointe du Raz, oft handelte es sich um Touristen, die unvorsichtigerweise zu weit über die Felsen geklettert und aus misslicher Lage zu retten waren. Hin und wieder hatte es sogar einen Hubschrauber gebraucht, um Verunglückte zu bergen. Drei Mann kamen in voller Montur über die Felsen auf sie zugelaufen. Auch sie näherten sich vorsichtig dem Spalt.

«Malo Le Dreff», stellte sich der erste den Gendarmen vor.

«Bonjour Monsieur, André Payen. Die Leiche liegt dort unten im Spalt. Aber ich denke wir warten bis die police judiciaire hier ist. Wir möchten am Fundort nichts verändern», sagte André.

«Sind die informiert?»

«Die sind schon auf dem Weg. Wir haben sie vom Fund in Kenntnis setzen lassen. Wenn ich mich nicht irre, dann sind sie das dort.» André zeigte auf eine Wagenkolonne, die sich dem Denkmal näherte.

Es dauerte eine Weile, bis die Mannschaft den Weg über die Felsen geschafft hatte.

«Bonjour Messieurs», begrüßte ein Manndie Gruppe. André kannte ihn nicht. Er hatte mit zwei Kommissarinnen gerechnet.

«Bonjour Monsieur. Ich habe gedacht, dass Commissaire Bruel kommen würde», meinte er an Enzo Delval gerichtet.

«Da muss ich Sie enttäuschen. Meine Vorgängerin hat einen längeren Urlaub, um sich ihrem Nachwuchs zu widmen. Enzo Delval ist mein Name, ich leite jetzt die Mordkommission. Dabei weiß ich nicht, ob wir überhaupt gefordert sind. Das werden mir meine Kollegen Detru und Goarant gleich sagen. Wo liegt die Leiche? Ich sehe nichts.»

«Hier unten im Felsspalt», antwortete André.

Yannick Detru ihr Pathologe schnaubte und fluchte vor sich hin, dieweil er über die Felsen gekrochen kam.

«Warum hat man sich keinen einfacheren Ort für das Verbrechen ausgesucht?», meinte er, nachdem er es endlich geschafft hatte.

«Es kommt noch besser Yannick, unsere Leiche liegt dort unten.» Enzo zeigte in den Felsspalt.

«Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich da runterkletter?»

«Das schaffen Sie auch nicht und wir zwei müssten Sie wieder rausholen», meinte der Feuerwehrhauptmann.

«Ich schlage vor, wir holen entweder zuerst die Leiche hoch oder lassen Sie nach unten. Wie wünschen Sie es?»

«Wenn es denn sein muss, lassen Sie mich hinunter. Ich würde gerne den Leichnam ansehen, bevor er bewegt wird.»

Le Dreff gab ein paar Befehle und wartete, dass seine Kollegen mit der nötigen Ausrüstung ankamen. Dann bereiteten sie alles vor, um Yannick in den Spalt hinunterzulassen, sie errichteten ein Dreibeingestell über der Öffnung und befestigten daran Seile, die auf Rollen liefen.

«So der Herr, es beginnt», meinte Le Dreff. Yannick wurde mit Gurten versehen. Zwei Männer hielten die Taue fest. Nachdem er seine Füße über den Spalt gehoben hatte, ließen sie langsam das Seil, an dem er jetzt freischwebend hing, in die Tiefe gleiten. Nach einigen Minuten hatte er den Leichnam erreicht und begutachtete den Mann aus der Nähe. Wenig später deutete Yannick an, dass man ihn wieder hochziehen könne. Nachdem er den Spalt verlassen hatte und von den Seilen befreit war, sagte er Enzo:

«Du hast einen neuen Fall. Der Mann wurde niedergeschlagen, aber ich glaube nicht, dass er daran gestorben ist. Ich vermochte Petechien sehen, so dass ich davon ausgehe, dass der Mann erstickt ist. Aber alles Weitere nach der Obduktion», meinte Yannick.

«Wie immer», antwortete Enzo und schob sich ein Bonbon in den Mund.

«Deine Zähne werden das nicht lange aushalten.»

«Du weißt doch, ich brauche bei meinen Fällen die caramels-au-beurre-salé. Ohne die kann ich nicht klar denken», antwortete Enzo grinsend.

«Wie lange liegt der Mann im Spalt?»

«Meiner Schätzung nach ungefähr 36 Stunden aber wie ich schon sagte…».

«Nach der Obduktion Näheres…», beendete Enzo Yannicks Satz.

«Ihr glaubt doch nicht, dass ich jetzt hier in diesen Höllenschlund klettere, um euch eventuell vorhandene Spuren zu besorgen!», hörte Enzo Dustin maulen. Dustin Goarant leitete die Spurensicherung des Kommissariats.

«Ich glaube, das wird nicht nötig sein. Da unten liegt außer der Leiche nichts. Der Mann wurde hinuntergeworfen. Es reicht, wenn du den eigentlichen Tatort untersuchst», meinte Yannick versöhnlich.

Enzo wandte sich den Männern der Feuerwehr zu.

«Okay holt die Leiche hoch», rief er dem Kommandanten zu.

Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis die Leiche aus dem Felsspalt geborgen war und auf den Felsen der Pointe du Raz lag. Enzo und Monique sahen sich den Leichnam an.

«Etwa 36 Stunden, meinte Yannick, hat der Mann da unten gelegen? Mal sehen, ob er etwas bei sich hat, was ihn ausweist. Dann wüssten wir, mit wem wir es zu tun haben», meinte Monique.

«Es ist auf jeden Fall kein Druide, den hätte man auf die Île de Sein gebracht», konstatierte Enzo witzelnd und sah in den Hosentaschen des Mannes nach, der nur ein Hemd unter seinem Saint James Pullover trug. Die Möwen hatten den Pullover beschädigt und das Hemd an einigen Stellen aufgerissen. Er hatte weder eine Jacke noch ein Jackett an. In seinen Taschen fand er keine Ausweispapiere. Sein Alter schätzte er auf Anfang fünfzig. Seine Haut war braun gebrannt, was darauf hinwies, dass er sich an der frischen Luft aufhielt. Er hielt ihn für einen Fischer.

Dustin nahm Fingerabdrücke von der Leiche. Möglich, dass sie den Mann in ihrer Datei hatten. Er besah sorgfältig die Kleidung des Toten, klebte Stellen ab, um Fasern zu entdecken, die nicht zu ihm gehörten. Die exakte Untersuchung würde er im Kommissariat erledigen. Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, bat er zwei Feuerwehrmänner, den Leichnam zum Fahrzeug zu bringen. Mit einer Bahre brachten die Männer die Leiche zum Monument, an dem das Auto stand.

«An der Pointe du Raz gab es bisher keinen Mord aufzuklären», meinte Monique und sah den Männern nach.

«Es gibt immer ein erstes Mal», antwortete Enzo und schaute auf das offene Meer.

«Ich liebe diesen Blick über die Felsen in die Ferne. Kindheitserinnerungen. Ich bin öfters den Küstenweg bei Doëlan gegangen, habe mich auf die Felsen gesetzt und oft stundenlang den Möwen zugesehen.» Enzo zupfte an seinem Schnauzbart und steckte sich ein weiteres Bonbon in den Mund.

«Lass uns ins Kommissariat fahren», meinte er und schritt vorsichtig über die Felsen.

«Das sind nicht die sichersten Schuhe für einen solchen Weg. Leg dir ein paar festere zu für so einen Ort», meinte Monique und zeigte dabei auf die Bally-Slipper an seinen Füßen.

«Ich kaufe doch meine Schuhe nicht nach den Tatorten. In diesen hier, gehe ich am allerbesten», lächelte Enzo und versuchte, ohne Sturz zum Fahrzeug zu gelangen.

Im Kommissariat kümmerte sich Monique um die Pinnwand. Sie heftete die ersten Fotos der Leiche und die Bilder vom Tatort an. Enzos Telefon klingelte.

«Dustin, sag nicht du hast den Mörder schon!», frotzelte Enzo.

«Nicht ganz, aber wir kommen ihm näher.»

«Was bedeutet das?»

«Das heißt, dass ich jetzt weiß, um wen es sich handelt. Der Mann ist bei uns im System.»

«Ein Krimineller? Sag schon, wer ist es?»

«Der Mann heißt Jules Trélaz. Nicht vorbestraft, von Beruf Fischer.»

«Nicht vorbestraft? Wieso ist er dann in unserem System?»

«Schau dir die Akte an. Er war vor drei Jahren in einen Unfall mit Todesfolge auf dem Meer verwickelt. Bei der Untersuchung des Vorfalles ist er erkennungsdienstlich erfasst worden.»

«Wer kam damals ums Leben?»

«Das war ziemlich tragisch, ein Junge, den er mit zum Fischen genommen hatte. Der Wind hatte aufgefrischt und die Wellen waren heftiger geworden. Der Junge, der sich nach Aussage von Trélaz an der Reling festgehalten hatte, wurde von einer Welle erfasst und ins Meer gerissen. Die Kollegen, Marc Kerbrat und Antoine Morvan sind sofort nach vorne geeilt und haben ihm einen Rettungsring zugeworfen. Aber er hat ihn nicht erreicht und eine weitere Welle hat ihn vom Schiff weggezogen. Der Junge ist tot geborgen worden.»

«Wer hat die Untersuchung damals veranlasst?»

«Lese ich dir jetzt die ganze Ermittlungsakte vor? Das war der Vater des Jungen, Tristan Béron.»

«Wäre es ein Motiv, dass der Vater den Fischer zur Rechenschaft gezogen hat?»

«Der Vater ist vor einem Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der Mann hatte zwei Promille Alkohol im Blut und ist in einer Kurve gegen einen Kastanienbaum geflogen. Er war sofort tot.»

«Man macht es mir aber wirklich nicht leicht. Immer ermitteln wir wochenlang. Dabei hätte es so einfach sein können. Ich werde mir die Akte ansehen Dustin. Danke dir für deine Hilfe.»

«Nicht so schnell, ich bin nicht fertig. An seiner Armbanduhr habe ich Fingerabdrücke abgenommen, die haben wir ebenfalls im System.»

«Also hast du doch den Mörder?»

«Das klärst du, jedenfalls ist es ein Fingerabdruck seines damaligen Begleiters Marc Kerbrat.»

«Okay, ein Streit zwischen den zwei Männern eskaliert und dieser Kerbrat bringt Trélaz um. Das wäre eine schnelle Lösung. Kommt noch etwas von dir?»

«Das war es fürs Erste. Du bist dran.»

«Adresse finde ich in der Akte?»

«Genau!», antwortete Dustin und legte auf.

Enzo suchte sofort nach der Unterlage auf seinem Computer und druckte sie aus. Er notierte sich die Anschriften des Toten und von Kerbrat. Dann teilte er Monique die Neuigkeiten mit.

«Wir fahren erneut an die Pointe du Raz und führen ein Gespräch mit einem Monsieur Kerbrat.»

«Wer ist das?»

«Sieh dir am besten die Akte an. Ich kenne sie nicht auswendig», sagte er und dreht den Zündschlüssel um.

Sie griff nach der Akte und las darin.

Enzo fuhr zur angegebenen Adresse. Pendreff war ein Lieu dit mit höchstens zwanzig Häusern. Hier kannte man sich mit Sicherheit. Geheimnisse blieben hier nicht lange geheim. Eine Befragung der Nachbarschaft des Toten wäre fürs Erste ein müheloser Einstieg in die Ermittlungen.

«Wir könnten mit den Nachbarn von Trélaz beginnen und besuchen im folgenden Marc Kerbrat. Was hältst du davon?», fragte er Monique, nachdem sie in den Ort hineingefahren waren.

«Wäre auch mein Vorschlag. Dustin hat dir gesagt, dass an den Handgelenken die Fingerabdrücke von Kerbrat waren. Gab es im Vorfeld einen Streit zwischen den beiden, den ein Nachbar mitbekommen hat?»

«Wie werden sehen! In so einem kleinen Ort erfährt doch jeder alles. Lass uns zuerst die Nachbarschaft abklappern, bevor wir uns Kerbrat vorknöpfen.»

Enzo griff in seine Hosentasche und kontrollierte seinen Bonbonvorrat. Der war ausreichend, so dass er das Fahrzeug abschloss, ohne aus dem Handschuhfach seine Reserve zu holen. Sie schritten auf das erste Haus zu, 100 Meter vor dem des Opfers.

Einen Klingelknopf suchte er vergebens, was ihn nicht irritierte. Auf dem Land gab es massenhaft Häuser ohne Klingel. Aber an dieser Tür fand er auch keinen Klopfer. Er rief laut, um auf sich aufmerksam zu machen.

«Demat!», schrie er.

«Was heißt das?», fragte Monique.

«Wir sind auf dem Land, da reagieren die Menschen eher auf eine bretonische Begrüßung. Es heißt Bonjour.»

«Okay, dann habe ich wieder etwas gelernt.»

Enzo vernahm nach einigen Minuten ein schlürfendes Geräusch, dass sich der Haustür zu nähern schien. Dann hörten sie ein Husten und die Tür wurde aufgemacht.

«Demat, ja bitte?», fragte eine Dame um die achtzig.

«Enzo Delval, von der police judiciaire. Wir haben ein paar Fragen zu einem ihrer Nachbarn, Monsieur Trélaz. Dürfen wir eintreten?»

«Zu Jules? Der ist schon seit Tagen nicht mehr zuhause. Suchen Sie ihn?» Die Frau ignorierte die Bitte von Enzo und blieb in der Tür stehen.

«Nicht ernstlich. Wir haben ihn gefunden. Hätten Sie bitte ein paar Minuten Zeit für uns?», wiederholte Enzo seine Frage.

«Zeit? Mir läuft sie davon. Heute habe ich schon wieder weniger. Wenn Sie unbedingt ins Haus wollen, dann kommen sie herein. Aber Schuhe abputzen, ich habe erst vor zwei Tagen geputzt. Sie mein Fräulein, wissen bestimmt was es heißt, wenn man ständig hinter den Männern herputzt», wandte sie sich an Monique und lächelte.

Enzo fuhr mit seinen Schuhen über den Schuhabstreifer und betrat den Flur. Ein Haus aus den sechziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts schätzte er. Es war keines der typischen alten aus Granit gebauten Fischerhäuser, wie man sie an der Küste vorfand. Die waren meistens im Besitz von wohlhabenderen Einwohnern der Hauptstadt oder von Ausländern, die ein altes Gemäuer gekauft und es sorgfältig restauriert hatten.

«Dann gehen Sie schon weiter und bleiben nicht wie ein Menhir stehen», hörte er die Frau hinter sich sagen.

Enzo schritt auf die offene Tür rechts vor ihm zu.

«Nicht rechts, links! Oder kochen Sie heute für mich? Das ist die Küche.»

Enzo sah eine Tür und öffnete sie. Er betrat ein bescheiden eingerichtetes kleines Wohnzimmer. Alte Korbstühle mit Kissenauflagen, ein uralter Holzschrank und ein langer Esstisch, umstellt von sechs Stühlen.

«Nicht so schüchtern junger Mann. Nehmen Sie ruhig Platz», hörte er die alte Dame sagen, die mit Monique ins Zimmer getreten war.

Enzo setzte sich, seine Kollegin tat es ihm gleich. Die Frau wählte den Sessel neben dem Fenster.

«Mein Stammplatz seit über vierzig Jahren», sagte sie.

«So jetzt sind Sie im Haus. Um was geht es denn?»

«Erzählen Sie uns von ihrem Nachbarn Jules Trélaz. Was war er für ein Mann?»

«Was heiß hier war? Hat man ihn entmannt?»

«Nein, er wurde ermordet. Wir haben seine Leiche heute gefunden.»

«Was Sie nicht sagen, Jules ist tot? Wer macht denn so etwas? Er war nicht der angenehmste Zeitgenosse, aber so ein Scheusal, dass man ihn gleich umbringt, war er nicht.»

«Deswegen erhoffen wir uns, von Ihnen etwas Näheres zu hören. Wir werden alle Nachbarn befragen. Welch ein Mensch war Trélaz?»

«Er war Fischer und hatte es zu einem eigenen Kutter gebracht und Marc, Antoine und Jagu angestellt. Die vier sind zusammen aufs Meer gefahren. Jules war kein einfacher Chef, aber seine Mannschaft verstand, mit ihm umzugehen. Selbst wenn es öfter richtigen tabut unter ihnen gegeben hat.»

«Was gab es zwischen den beiden?», hakte Monique nach.

« Streit », erklärte Enzo.

«Über was haben die denn gestritten?», fragte sie sofort nach.

«Ich habe nie zugehört, ist mir egal gewesen.»

«War es heftiger Streit?»

«Nicht immer, aber vor drei Tagen hat Marc ihm die Faust gezeigt. Er meinte das bestimmt nicht so. Am nächsten Tag sind sie sicherlich wieder zusammen aufs Meer gefahren.»

«Diesmal nicht. Jules war gestern schon tot und lag in einer Felsspalte an der Pointe du Raz.»

«Das geht nicht auf Marcs Konto. Der würde ihn nie in ein Felsspalt legen. Er hat doch gewusst, dass Jules den Blick aufs Meer genoss. Außerdem warum an der Pointe du Raz? Er ist selten dorthin gegangen. Es reichte ihm, von unserem kleinen Hafen oder der daneben liegenden Pointe de Feunteun Aod aufs Wasser zu schauen.»

«Hat er seinen Kutter dort liegen?»