Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Pfaffenthal, einem Stadtteil von Luxemburg, findet ein Passant in den frühen Morgenstunden die Leiche eines unbekannten Mannes. Kommissar Medernach wird zur Fundstelle gerufen, und schnell steht fest, dass es sich nicht um einen Raubmord handelt, alle Indizien weisen auf einen Auftragsmord hin. Ein Auftragsmord in Luxemburg? In der Sakkotasche des Toten findet der Kommissar einen Post-it Zettel mit einer aufgedruckten Spinne. War der Zettel dem Toten in die Tasche gesteckt worden oder hatte dieser ihn bereits in der Tasche, als er hier eintraf? Die Suche nach dem Täter gestaltet sich schwierig.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 278
Veröffentlichungsjahr: 2014
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Jean-Pierre Kermanchec
Die Spinne
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Epilog
Impressum neobooks
Henri Medernach sah auf seine Armbanduhr, nur noch eine halbe Stunde, und Clara würde auf Findel landen.
Drei Tage wollte sie in Luxemburg bleiben. Henri hatte ihr bereits am Telefon versprochen, sie vom Flughafen abzuholen und die Tage mit ihr gemeinsam zu verbringen.
Clara Hartung, eine der reichsten Frauen der Welt, war zu Besuch bei einem ehemaligen Polizeikommissar.
Henri hatte Clara, bei seinem ersten und einzigen Luxusurlaub, in Ligurien, genauer gesagt, in Santa Margherita kennengelernt. Nach seiner Pensionierung hatte er sich seinen langjährigen Traum, einmal einen Urlaub in einem luxuriösen Hotel zu verbringen, erfüllt. Seine Wahl war auf das Hotel Imperiale, in Santa Margherita gefallen.
Clara Hartung verbrachte damals einige Urlaubstage in demselben Hotel. Während ihres Aufenthaltes wurden mehrere Attentate auf sie verübt. Als dann noch eine Erpressung hinzukam, sah Henri Medernach sich in der Pflicht, seine kriminalistischen Fähigkeiten einzusetzen und Frau Hartung zu helfen. Dank seiner Mitarbeit war es später gelungen, den Erpresser, einen Mitarbeiter aus dem obersten Management in Claras Firma, zu entlarven und zu verhaften. Seit dieser Zeit sind sie sehr gute Freunde. Henri war von Clara Hartung, in ihr Haus in München und zu kleineren Kreuzfahrten auf ihrer Yacht eingeladen gewesen. Heute nun sollte Clara endlich nach Luxemburg kommen. Er wollte sie durch sein kleines, aber sehr schönes Land führen.
Henri Medernach stieg in seinen Wagen und fuhr die wenigen Kilometer, von Oetrange zum Flughafen Findel.
Er stieg die Treppe, die von der Eingangshalle zum Ankunftsgate führte, hinunter und wartete gespannt auf Claras Ankunft. Es waren nur noch wenige Minuten, bis zur Landung der Maschine. Es schien ihm aber eine Ewigkeit zu dauern, bis auf der Bildschirmanzeige unter der Decke, hinter dem Flug München–Saarbrücken-Luxemburg, das grüne Licht zu blinken begann, das die erfolgte Landung der Maschine signalisierte. Danach dauerte es für Henri eine weitere Ewigkeit, bis sich die Tür öffnete und Clara Hartung endlich herauskam. Mit einem fröhlichen Lachen kam sie auf Henri Medernach zu. Henri und Clara begrüßten sich sehr herzlich. Wäre Henri dreißig Jahre jünger gewesen, hätte man meinen können, dass der Freund seine Freundin oder der Mann seine Frau, nach einer langen Abwesenheit begrüßt. So hatte es eher den Anschein, dass der Vater seine Tochter willkommen hieß.
„Ich freue mich riesig, dass du Zeit gefunden hast, nach Luxemburg zu kommen!“, sagte Henri und begrüßte Clara mit, den in Luxemburg üblichen, drei Küsschen auf die Wangen.
„Auch ich bin froh, dich einmal hier besuchen zu können. Die letzten Tage waren wieder sehr anstrengend und haben mir wenig Zeit gelassen, mich auf diesen Kurzurlaub vorzubereiten.“
Henri nahm Clara ihren Koffer ab, und führte sie zum Ausgang.
„Mein Wagen steht gegenüber vom Ausgang, auf dem sogenannten Kiss and Ride Parkplatz. Wir fahren zuerst zu meinem Haus in Oetrange, laden das Gepäck aus, und du kannst dich ein wenig frisch machen, wenn du möchtest. Danach nehmen wir einen kleinen Begrüßungstrunk, und anschließend zeige ich dir ein wenig von meinem Luxemburg. Ich hoffe, dass du damit einverstanden bist?“
„Henri, ich bin mit allem einverstanden. Ich freue mich, ein paar Tage Abstand von der Hektik der Firma zu haben und dich wiedersehen zu können. Lass uns auch ein wenig Zeit einplanen, um uns zu unterhalten. Ich habe etwas die Befürchtung, dass du dich in Stress versetzt und mir das ganze Land auf einmal zeigen willst.“
„Zeit für Gespräche habe ich auf jeden Fall eingeplant, bei unserem guten luxemburgischen Wein zum Beispiel, den du unbedingt auch kennenlernen musst.“
Henri lächelte Clara zu, er war schon wieder in seinen alten Eifer verfallen. Sie war noch nicht einmal richtig angekommen, und er stand schon in den Startlöchern zur ersten Besichtigung.
„Du wohnst sehr schön!“, sagte Clara, als sie aus dem Auto ausgestiegen war und das Haus und die Umgebung in Augenschein genommen hatte.
„Ich bin auch sehr zufrieden hier“, meinte Medernach. Er geleitete Clara ins Haus. Er zeigte ihr das Gästezimmer, das er bereits für sie hergerichtet hatte.
„Das ist sehr hübsch.“
„Kein Vergleich mit deiner Villa, aber ich hoffe, dass es dir für die drei Tage genügt.“
„Ich brauche nicht immer eine Villa Henri, liebe Menschen um mich herum bedeuten mir mehr.“
Henri wurde verlegen und ging nicht weiter darauf ein. Nachdem er ihr das restliche Haus gezeigt hatte, ließ er Clara Zeit, sich von der Reise zu erholen und sich zu erfrischen.
Zur Begrüßung hatte er, schon am Vortag, eine Flasche luxemburgischen Crémant kaltgestellt. Der Crémant wird in Luxemburg nach der gleichen Methode wie der Champagner hergestellt. Es gibt noch kleine Kellereien, die sogar die Flaschen mit der Hand rütteln. Der Unterschied und damit auch der Geschmack, bestehen in den verwendeten Trauben.
Clara kam nach einer guten halben Stunde in den Salon. Die Sektkelche standen bereits auf der Rauchglasplatte, des runden Sofatisches vor dem Kamin. Nachdem Clara Platz genommen hatte, holte Henri den Crémant und öffnete gekonnt die Flasche. Henri reichte Clara ein Glas und prostete ihr zu.
„Nochmals, herzlichst willkommen in meinem bescheiden Haus. Ich freue mich, dass du hier bist.“
„Prost!“, sagte Clara, „ich bin auch froh, es endlich einmal hierher geschafft zu haben.“
Sie erzählten sich noch ein wenig, was sie in den letzten Monaten so alles erlebt hatten und fuhren danach in die Stadt Luxemburg.
Der Spaziergang, den Henri sich vorgenommen hatte, sollte Clara einen ersten Eindruck von der Weltkulturerbestadt Luxemburg vermitteln. Henri führte Clara über die Corniche, ein Weg hoch über dem Tal der Alzette, der über die ehemaligen Stadtmauern führt. Er zeigte ihr die St. Michaels Kirche, aus dem dreizehnten Jahrhundert und die Kasematten auf dem Bockfelsen. Danach führte er Clara von der Oberstadt hinunter nach Clausen, dem aktuellen Zentrum des luxemburgischen Nachtlebens, über den Wenzelweg zu den Bauten von Vauban und durch das Petrussetal zurück ins Zentrum.
Am späten Nachmittag kehrten sie nach Oetrange zurück und setzten sich auf die Terrasse. Die Sonne schien, und die Temperaturen waren sommerlich.
Henri holte eine Flasche Weißwein aus seinem Keller. Er wollte Clara, die seiner Meinung nach, besten Weißweine der luxemburgischen Mosel näherbringen.
Nachdem sie sich über alles Mögliche unterhalten hatten, bemerkte Clara, dass sie nur sehr wenig aus seinem früheren Berufsleben kannte.
„Erzähl mir doch etwas mehr von deiner früheren Tätigkeit. Was waren das für Fälle, die du bei der Polizei zu lösen hattest? Gab es auch manchmal außergewöhnliche Verbrechen?“
„Nun, die gab es sicherlich auch, aber die meisten Fälle hatten ähnliche Hintergründe. Eifersucht, Diebstahl, Unterschlagung, Erpressung und Betrug waren die häufigsten Auslöser für einen Mord. Nur einmal lag die Sache völlig anders, und war sehr verworren, damals hatten wir es mit einem Auftragskiller zu tun.“
„Das interessiert mich, erzählst du mir davon?“
„Das wird aber eine lange Geschichte“, meinte Henri. „Ich bin nicht sicher, ob die drei Tage, die du hier verbringen willst, ausreichen.“
„Egal, erzähl einfach, wenn es mir zu lang wird, werde ich dich bremsen, einverstanden?“ Clara sah Henri an und nippt an Ihrem Wein, der ihr ausgezeichnet schmeckte.
Henri nickte zustimmend und begann zu erzählen.
Es hätte ein wunderschöner Tag werden können, wenn da nicht dieser Anruf gewesen wäre. Medernach wollte gerade seine Angel und das vor drei Wochen begonnene Buch nehmen und für einige Stunden in die Gegend der Goebelsmühle fahren und seiner Leidenschaft, der Angelei nachgehen. Seit mehr als drei Monaten hatte er keine Gelegenheit mehr gehabt, sich an das Ufer eines Baches zu setzen, seinen Köder ins Wasser zu werfen und, während er auf den ersten Biss wartete, ein wenig zu lesen. Er hatte sich sehr darauf gefreut und jetzt dieser Anruf.
„Chef, wir brauchen Sie, möglichst sofort, im Pfaffenthal, wir haben einen Toten in der Rue de Stavelot“, teilte ihm sein Kollege, Roby Weis telefonisch mit.
„Ich komme sofort, gib mir zwanzig Minuten“, antwortete Medernach und stellte seine Angel wieder in die Ecke der Garage zurück, warf sein Buch, das er immer noch in der Hand hielt, auf den Rücksitz, verließ seine Garage und fuhr ins Pfaffenthal.
Um diese Uhrzeit dauerte es nur wenige Minuten, um über Moutfort und Sandweiler in Richtung des Verteilers Irrgarten zu gelangen. Er nahm den Weg über den Kirchberg und nicht durch die Stadt. Die Strecke war vielleicht etwas weiter, aber dafür schneller. Als er die Val des Bons Malades hinunterfuhr, sah er bereits die Absperrung der Polizei.
Medernach musste nicht einmal seinen Ausweis vorweisen, jeder schien Medernach, den langjährigen Chef der Mordkommission, zu kennen. Er war ja auch schon seit mehr als dreißig Jahren dabei. Chef der Mordkommission war er seit dem plötzlichen Tod, seines Freundes und Kollegen Düsseldorf, der bei einem Autounfall in Spanien, vor einigen Jahren, ums Leben gekommen ist. Medernach fuhr seinen schwarzen Mercedes an die rechte Straßenseite und stieg aus. Roby hatte seinen Chef kommen gesehen und kam ihm entgegen.
„Ein unbekannter Toter, vermutlich wurde er mit einer neun Millimeter Waffe erschossen. Das Alter des Mannes liegt etwa bei vierzig Jahren. Es handelt sich wohl nicht um einen Raubmord, er hatte über tausend Euro in seinem Portemonnaie. Außer Kreditkarten und seinem Ausweis fehlt nichts.“
Roby hatte seinem Chef damit die wesentlichen Details mitgeteilt, bevor er danach fragen würde.
„Wer hat den Toten gefunden?“, fragte Medernach, als er an die Leiche herantrat.
„Der Rentner dort drüben.“ Roby zeigte auf einen älteren Mann, in einer Jeans und einem dünnen grauen Pullover, der geduldig an einer Hauswand wartete, bis man ihn befragen würde.
Medernach schlug das Leintuch, das die Kollegen über den Toten ausgebreitet hatten, zurück und sah sich das Gesicht an. Es war das Gesicht eines gepflegten Mannes, auch er hätte ihn auf etwa vierzig Jahre geschätzt. Seine Haare waren ganz kurz geschnitten. Er trug keinerlei Schmuck, weder um den Hals noch in den Ohren. Medernach zog das Tuch weiter herunter. Nun konnte er die Einschussstelle, direkt am Herzen, erkennen. Der Mann musste augenblicklich tot gewesen sein.
„Neun Millimeter“, sagte er, als er die Wunde näher betrachtete. „Der Schuss wurde aber aus einer gewissen Entfernung abgegeben. Es sind keine Schmauchspuren zu sehen. Es muss ein guter Schütze gewesen sein.“
„Kann auch ein Zufallstreffer gewesen sein“, meinte Roby und sah Henri erwartungsvoll an.
„Kann sein“, meinte Medernach, „aber wenn wir uns den Einschusswinkel ansehen, dann müsste der Mann oder die Frau mindestens zwei Meter groß gewesen sein, wenn er oder sie aus kurzer Entfernung geschossen hat. Schau dir doch einmal den Schusskanal an.“
Henri trat etwas zurück und ließ Roby nun einen genaueren Blick darauf werfen. Henri hatte Recht. Die Kugel hatte den Mann aus einem Winkel von mindestens fünfzehn Grad getroffen. Aus einer kurzen Entfernung wäre das nur dann möglich gewesen, wenn der Täter erhöht gestanden hätte. Der Schuss ist entweder aus einem Haus oder von einer Stelle am Hang abgegeben worden. Wenn der Körper nicht bewegt worden ist, müsste der Schütze mindestens fünfzig bis hundert Meter entfernt gestanden haben. Mit einer Pistole, ein Präzisionsschuss.
„Aber Henri, wenn der Tote mit einer neun Millimeter Pistole erschossen wurde und das aus einer großen Entfernung, dann könnte doch eine …“
„…Walter p99 infrage kommen, mit Zielfernrohr“, ergänzte Henri, den soeben von Roby begonnen Satz.
„Das wäre dann aber schon ein Profi.“
Roby war sich sicher, dass auch Henri in diese Richtung dachte. Ein Profi als Täter, das hat es in Luxemburg schon lange nicht mehr gegeben. Sollte der Tote zur Mafia gehört haben? War er ein Mitglied einer kriminellen Bande? Es gab jede Menge Fragen, die es zu klären galt.
„Ich wollte einmal wieder an einem Wochenende zum Fischen und jetzt dieser Fall, Roby ich vermute, dass wir länger brauchen werden, den Fall zu lösen.“
„Sehe ich genau so, wir sollten nicht lange zögern und gleich eine Sonderkommission einrichten. Was meinst du?“ Roby sah seinen Freund und Chef an.
Henri Medernach nickte stumm und betrachtete den Toten.
„Was sagt die Spurensicherung, gibt es weitere, verwertbare Ergebnisse?“ Die Frage richtete er an Roby, denn er selbst war bis jetzt noch nicht dazugekommen, sich den ganzen Tatort anzusehen.
„Nein, absolut nichts, bis jetzt. Ich werde aber veranlassen, dass auch die weitere Umgebung in Augenschein genommen wird. Wenn der Schuss wirklich aus einer größeren Entfernung abgegeben worden ist, dann finden wir vielleicht noch einige brauchbare Hinweise.“
Roby Weis ging auf die Kollegen von der Spurensicherung zu und wechselte einige Worte mit ihnen. Als er wieder zu Henri zurückkam sah er, wie sein Freund gerade einen Zettel aus der Sakkotasche des Toten herausfischte. Roby trat näher. Henri, der inzwischen ein paar Handschuhe übergestreift hatte, hielt ein Blatt von einem gelben post-it Block zwischen seinem Daumen und Zeigefinger. Auf dem Blatt war eine Spinne aufgestempelt. Seltsam, dachte sich Medernach. War der Zettel dem Toten in die Tasche gesteckt worden oder trug dieser ihn bereits in der Tasche, als er hier eintraf?
„Wie ist der Mann denn hier hergekommen?“, fragte er Roby und sah von dem kleinen Blatt auf.
„Vermutlich mit dem Auto. Wir haben zwar noch keine Schlüssel gefunden, aber ich nehme fast an, dass es sich um den blauen BMW 530 handelt, der dort drüben steht. Es ist eher unwahrscheinlich, dass der Wagen hier nur parkt.“ Roby sah Henri an.
„Möchtest du nicht mit dem Mann sprechen, der den Toten gefunden hat? Er steht schon seit geraumer Zeit dort drüben.“
„Du hast Recht Roby, ich befrage ihn gleich einmal.“ Henri drehte sich um und ging zu dem Rentner, der geduldig am Rande des Tatortes wartete.
„Henri Medernach, von der Mordkommission“, stellte er sich dem Herrn vor.
„Erzählen Sie mir doch bitte, wer Sie sind, und wie Sie den Toten gefunden haben.“
„Jean Molitor, ich wohne etwa achthundert Meter weit entfernt von hier. Wie jeden Tag, spazierte ich auch heute hier entlang. Dann sah ich den Toten da liegen und habe sofort die Polizei informiert.“
„Haben Sie irgendetwas gesehen oder gehört?“
„Nein nichts, der Tote lag auf dem Seitenstreifen, so wie er jetzt noch immer daliegt. Die Straße ist nicht sehr stark befahren um diese Zeit, und so nehme ich an, dass ich bestimmt der erste war, der ihn entdeckt hat.“
„Sie haben auch keine Schlüssel gefunden?“ Medernach sah dem Mann ruhig in die Augen.
„Nein, gar nichts, ich habe bestimmt nichts weggenommen.“
„So war das auch nicht gemeint“, erwiderte Medernach, „manchmal vergisst man aber in der Aufregung, etwas zu erwähnen, und dann ist es hilfreich, wenn wir danach fragen. Wenn Sie dem Beamten noch ihren Namen und ihre Anschrift geben, falls wir noch Fragen haben. Dann können sie nach Hause gehen.“
Jean Molitor nickte und sah, wie der junge Polizist, den Medernach herbeigewunken hatte, zu ihm trat.
Medernach ging zurück zu Roby Weis und versuchte ein kurzes Resümee zu ziehen.
„Wir haben einen Toten, vermutlich aus größerer Entfernung, mit einer neun Millimeter Pistole erschossen. Der Mann sieht wie ein Geschäftsmann aus, was seine Kleidung betrifft, kein auffallender Schmuck, und es sieht auch nicht nach einem Raubmord aus. Seine Identität müssen wir klären, da sowohl sein Personalausweis als auch Kreditkarten fehlen, die uns Hinweise geben könnten. In seinem Sakko befand sich ein post it, mit dem Abbild einer Spinne. Nicht gerade sehr viel.“ Medernach sah Roby fragend an.
„Nein, wirklich nicht, aber wir hatten auch schon manchmal weniger.“ Roby grinste ein wenig, als er Henri ansah. Henri nickte zustimmend.
Es blieb Wollmann noch etwas Zeit, bevor er seine Wohnung verlassen musste, um zu dem vereinbarten Treffpunkt zu fahren. Er hatte den Anruf gegen einundzwanzig Uhr erhalten. Der Anrufer wollte sich mit ihm, kurz nach dreiundzwanzig Uhr, treffen. Als Ort hatte er ihm nur die Einmündung, der Rue de Stavelot in die Rue Saint- Mathieu, genannt. Er sollte seinen dort Wagen parken und an genau dieser Stelle auf ihn warten. Wollmann kannte weder den Namen des Anrufers noch seine Identität. Er wusste nur, dass er von diesem Mann wichtige Dokumente erhalten würde. Wollmann hatte sich seit Monaten mit den EU Subventionen, im Agrarbereich, an die verschiedenen Mitgliedsstaaten der Union, beschäftigt. Dabei waren ihm einige Ungereimtheiten aufgefallen, denen er jetzt, in seiner Eigenschaft als Journalist, nachging. Seine Story sollte der absolute Knaller werden, kurz vor den Wahlen zum neuen EU Parlament. Die Kommission und die Kommissare würden es sehr schwer haben, dem neuen Parlament, die Zustimmungen zu den Subventionen in dieser Höhe, abzuringen. Ihm fehlten noch verschiedene Dokumente, die den Missbrauch eindeutig belegten. Einen Teil würde er wohl nachher erhalten.
Seltsam war es schon gewesen, als dieser Unbekannte angerufen und ihm die Dokumente angeboten hatte. Der Mann wollte weder seinen Namen noch die Abteilung nennen, für die er arbeitet. Er sagte nur, dass das Material mehr als brisant sei, und er es nur persönlich übergeben würde.
Er war jetzt schon seit mindestens einem Jahr dabei, die Informationen zu sammeln. Drei kurze Artikel waren in der Zwischenzeit bereits von ihm erschienen. Stets wurden die entsprechenden Vorwürfe umgehend dementiert. Sie betrafen vor allem den Kommissar Alain Brieuc de Montfort, zuständig für die Landwirtschaft.
Seit mehr als sechs Jahren war de Montfort nun schon Kommissar in diesem Bereich. Sein Subventionsbudget war das größte des gesamten EU-Haushaltes. Frankreich dachte nicht daran, seinen Kommissar abzulösen, für das Land waren die Zahlungen an ihre Bauern von größter Bedeutung, und da konnte es nur von Vorteil sein, wenn der zuständige Kommissar, Franzose war. Zumal jetzt, nachdem die ganzen Staaten aus dem Osten zur EU gestoßen waren. Dort war die Landwirtschaft bei weitem nicht so produktiv, wie in den westlichen Ländern. Die Subventionen müssten für diese Länder eigentlich noch höher ausfallen, wenn, ja, wenn es nicht die Interventionen der alten EU-Länder geben würde und die entsprechenden Vorarbeiten durch die Kommissare. Brieuc de Montfort war nicht nur ein Altgedienter, in der Garde der Kommissare, sondern auch einer der Einflussreichsten. Er hatte nur wenige echte Gegenspieler. Einer seiner schärfsten Widersacher war der Abgeordnete Pierre Melling, von der Volkspartei. Dieser genoss sehr großes Ansehen im Parlament, weit über die Parteigrenze hinweg. Er war einer der wenigen, die Brieuc de Montfort wirklich gefährlich werden könnten.
Wollmann hatte sich in den letzten Monaten eine Menge neuer Beziehungen aufgebaut, auch zu den Abgeordneten und speziell zu Melling. Seine Kontakte reichten inzwischen beinahe bis ganz nach oben. Aber eben nur beinahe. Der Kontakt zu Kommissar Brieuc de Montfort war, aufgrund seiner kritischen Artikel, nicht zustande gekommen. Brieuc de Montfort hatte es abgelehnt, mit ihm zu sprechen oder auch nur eine Stellungnahme zu seinem Artikel abzugeben. Für Wollmann war klar, dass eine schlechte Presse für Brieuc de Montfort`s Karriere nicht förderlich wäre. Es war ein offenes Geheimnis, dass er auf den Stuhl des Kommissionspräsidenten schielte, und es wurden ihm mehr als nur gute Chancen eingeräumt, falls der aktuelle Präsident, Brondello zurücktreten würde. Sollten die Recherchen seine Vermutungen bestätigen, dass Brieuc de Montfort persönlich Nutznießer dieser Subventionszahlungen war, dann würde seine Karriere ein jähes Ende nehmen. Wollmann hatte inzwischen eine Reihe von Indizien gesammelt, die dieser Vermutung Vorschub leisteten. Millionen sind wohl schon in die Taschen dieses Kommissars gewandert.
Wollmann verließ sein Haus in Niederanven und fuhr mit seinem Wagen in Richtung Senningerberg und von dort, über die Autobahn und den Kirchberg, ins Pfaffenthal. Sein Navigationsgerät half ihm, die Rue de Stavelot zu finden, die er wissentlich noch nie befahren hatte. Wollmann war erst vor einem Jahr, als freier Journalist, nach Luxemburg gekommen. Zuvor hatte er viele Jahre, in den Hauptstädten der verschiedenen Länder, als Korrespondent für den Spiegel gearbeitet. Jetzt, nachdem er sich einen Namen gemacht hatte, konnte er sich erlauben, als freier Journalist zu arbeiten. Seine Beiträge wurden, für große Summen, von beinahe jeder Zeitung angekauft.
Wollmann blickte auf seine Uhr und stellte fest, dass ihm noch etwas Zeit blieb, bevor er diesen Unbekannten treffen würde. Er nahm sein Handy und wählte die Nummer seiner Freundin, um ihr zu sagen, dass er noch eine Verabredung hätte, und sie sich daher nicht mehr sehen könnten. Er würde sie aber am Sonntag anrufen. Dann parkte er seinen Wagen in der Tiefgarage des Einkaufszentrums von Auchan und ging ins Utopolis, dem großen Multiplexkino, gleich nebenan. Er wollte noch schnell eine Kleinigkeit, in der dortigen Pizzeria, essen. Sein Magen knurrte bereits seit einer Weile. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen.
Sein Tag war, wegen der gerade laufenden Agrarministersitzung, komplett ausgefüllt gewesen. Als akkreditierter Journalist hatte er natürlich Zutritt zu dem Sitzungsgebäude. Er hatte den ganzen Tag über versucht, von dem einen oder anderen der angereisten Minister Informationen zu seinem Thema zu erhalten. Vier Interviews waren ihm gelungen, und diese Ergebnisse hatte er gleich in entsprechende Berichte gepackt und sofort an interessierte Redaktionen geschickt.
Mike Travers sah auf seine Rolex. Es blieben ihm noch drei Stunden Zeit für seine Vorbereitung. Er war vor einer Woche aus Little Rock nach Luxemburg gekommen. Little Rock, ein kleiner Ort in Arkansas, war sein Lebensmittelpunkt. Er führte dort die, von seinem Vater geerbte, Weinhandlung weiter und hatte es zu ganz beachtlichem Wohlstand gebracht. Die Weinhandlung war eine ideale Tarnung für seinen eigentlichen Job. Man konnte Mike Travers auf jeden Wein ansprechen und eine entsprechende informative Antwort erhalten, ebenso konnte man ihn aber auch als „die Spinne“ anheuern, falls man missliebige Mitbürger aus der Welt schaffen wollte. Dazu musste man im Internet eine Nachricht, im Chatroom Spinnenfreunde hinterlassen. Meist genügte schon eine Zeile wie, ...bitte um Rückruf unter... oder ähnliches. Mike Travers sah regelmäßig nach neuen Nachrichten. Sein Zugriff auf das Internet erfolgte mit Hilfe einer Software, die anonymes Surfen ermöglichte. Dann griff Mike zu seinem Handy, das er sich in Hong Kong gekauft und mit einer Prepaid Karte ausgestattet hatte und rief, aus einer mindestens zweihundert Kilometer von Little Rock entfernten Stadt an. Seine Auftraggeber kannten ihn nicht, und er kannte die Auftraggeber nicht. Die Bezahlung erfolgte durch Überweisung auf sein Nummernkonto in der Schweiz. Alle weiteren Informationen über den Auftrag bekam er per Mail, an eine seiner zahlreichen Mailadressen in Hong Kong, Bombay, Sydney oder anderen Orten, die er sich schon vor Jahren, jeweils mit einem falschen Namen, zugelegt hatte. Die Rechnungen für diese Adressen wurden alle aus der Schweiz bezahlt.
Der neue Auftrag unterschied sich deutlich von den früheren. Er hatte diesmal nicht nur eine sondern gleich drei Personen zu liquidieren. Dafür war sein Honorar auch ungewöhnlich hoch, fünfzehn Millionen Euro. Doch selbst diese Summe schien dem Auftraggeber, die Angelegenheit Wert zu sein. Das Geld war bereits zur Hälfte auf seinem Konto eingegangen, so wie seine Geschäftsbedingungen es festlegten. Der Rest der Summe war in weiteren dreiunddreißig Prozentschritten fällig, jeweils, sobald eine der drei Personen beseitigt war. Bis jetzt hatte man Die Spinne noch nie betrogen.
In den letzten Tagen, seit seiner Ankunft in Luxemburg, hatte er als Mike Travers, verschiedene Weingüter besucht und entsprechende Bestellungen getätigt.
In Wormeldange hatte er die Domaine Mathes besucht, in Remich Bastian und sich mit entsprechenden Bestellungen ein gutes Alibi verschafft. Er hatte sich dabei die Umgebung von Luxemburg angesehen und für den ersten Auftrag den Vorort Pfaffenthal ausgewählt. Ganz bewusst hatte er einen Treffpunkt mit seinem ersten Opfer in der Stadt gewählt. Zum einen wollte er zu Fuß von seiner Unterkunft, dem relativ neuen Hotel Sofitel, dorthin kommen, ein Auto kann manchmal hinderlich sein, wenn man in einer brenzligen Situation ist, und zum anderen konnte er sich so als Spaziergänger tarnen. Er pflegte, seine Aufträge hautsächlich mit einer Walter p99, auf die er ein Zielfernrohr aufstecken konnte, auszuführen. Eine Pistole ist einfacher zu transportieren und deutlich unauffälliger als ein Gewehr, die Treffsicherheit ist größer aus geringer Entfernung, denn er hatte bisher alle Aufträge aus nächster Nähe erledigt.
Bei diesem Wollmann war es einfach gewesen, ihn zu einem Treffen zu bewegen. Die Aussicht, neue Informationen zu erhalten, reichte normalerweise aus, einen Journalisten an beinahe jeden Ort zu locken. Sein Auftraggeber hatte ihm einige Informationen über diesen Wollmann zukommen lassen. Dadurch konnte er sich in die Person hineindenken und überlegen, wie er am besten vorgehen würde. Ein erneuter Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass ihm noch gut zwei Stunden blieben. Er ging hinunter in die Lounge des Hotels. Dort bestellte er sich ein Taxi und ließ sich ins Utopolis, auf Kirchberg, wie man in Luxemburg sagte, bringen. Er betrat das große Kino, ging geradewegs zur Kasse und nahm sich eine Eintrittskarte für die 22 Uhrvorstellung des Filmes Black Swan. Er hatte den Film bereits mehrfach gesehen. Nach wenigen Minuten verließ er das Kino wieder, lief zur nahegelegenen Busstation und fuhr mit dem nächsten Bus zurück in die Innenstadt. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass er immer noch etwas mehr als eine Stunde Zeit hatte. Er schlenderte ganz gemächlich über den Viadukt, folgte dem Boulevard Roosevelt und bog dann in die Rue de St. Esprit ein. Vorbei am Staatsarchiv, folgte er der sogenannten Corniche bis zur Schlossbrücke. Über den Boulevard Victor Thorn gelangte er schließlich auf die Rue Sosthène Weis. Er folgte dieser Straße bis zur Jugendherberge, überquerte die Alzette und bog in die Rue Vauban ein. Dieser Straße folgte er jetzt bis zur angegebenen Stelle, nur etwas mehr als zwei Kilometer von seinem Hotel entfernt. Als er den Ort erreicht hatte, verblieb ihm noch genügend Zeit, sich einen günstigen Standort auszuwählen, bevor Wollmann eintreffen würde.
Die Spinne ließ die Umgebung nicht aus den Augen. Travers beobachtete jedes Haus und jedes Fenster genau. Er musste wissen, ob sich jemand in der Nähe befand und ihn eventuell sehen könnte. Aber alles war still. Die Straße war um diese Zeit kaum befahren. Nur wenige Fahrzeuge verirrten sich in der Nacht in diesen Stadtteil.
Travers sah schon von Weitem das Fahrzeug, das sich jetzt näherte. Ein BMW 530. Er erkannte den Wagen sofort. Immerhin hatte er sein Opfer in den letzten Tagen intensiv beobachtet. Wollmann parkte sein Fahrzeug ziemlich genau gegenüber von Travers, schaltete die Beleuchtung aus und stieg aus.
Auch Wollmann sah sich sorgfältig um. Dann entfernte er sich einige Schritte von seinem Wagen und stellte sich auf der anderen Straßenseite auf den Gehweg. Es war dreiundzwanzig Uhr und fünfzehn Minuten. Wollmann war es gewohnt, zu warten. Informanten waren selten pünktlich.
Travers hob die Pistole und blickte durch sein Zielfernrohr. Seine Hand war ruhig, und Wollmann stand genau vor ihm. Er brauchte nur wenige Sekunden, um sein Ziel anzuvisieren. Langsam und bedächtig krümmte er seinen rechten Zeigefinger. Der Schuss war, dank des Schalldämpfers, fast nicht zu hören gewesen. Ein leises „blopp“, und Wollmann fiel augenblicklich zu Boden. Travers nahm seine Taschenlampe aus der Sakkotasche und leuchtete den Boden um seinen eigenen Standort ab. Seine Suche galt der Patronenhülse. Er fand sie und ließ sie in seine Sakkotasche gleiten, schaltete die Taschenlampe aus und ging zu Wollmann. Auf dem kurzen Weg zur Leiche von Wollmann, streifte er sich einen Latexhandschuh über. Er blickte sich noch einmal um, beugte sich dann hinunter und fühlte seinen Puls an der Halsschlagader. Wollmann war tot, und die Kugel hatte ihn genau ins Herz getroffen. Travers zog den kleinen post-it Block aus der Tasche, zog ein Blatt mit der aufgestempelten Spinne ab und steckte sie dem Toten in die Sakkotasche.
Behutsam entfernte er sich wieder von dem Ort. Er folgte der Rue Saint-Mathieu ca. dreißig Meter, bis zur Brücke, die hier über die Alzette führte und ging über die Rue Laurent Ménager, weiter in Richtung der Innenstadt. Nachdem er die Montée de Pfaffenthal wieder erklommen hatte, lag die Schlossbrücke zu seiner linken Seite. Er folgte der Rue Sigefroie, ging am Gebäude des Staatsrats vorbei und bog in die Rue du Curé ein, um zur Groussgaass zu kommen. Über die Rue des Capucins gelangte er schließlich wieder an den Boulevard Royal. Er folgte dann der Avenue de la Porte-Neuve, ging am Altersheim Pescator vorbei und nahm, hier an der Bushaltestelle, den nächsten Bus, in Richtung Kirchberg. Er traf ziemlich genau am Utopolis ein, als der Film zu Ende war. Er nahm ein Taxi und fuhr in sein Hotel zurück. Die Quittungen, sein Alibi für den Mord, verwahrte er sorgfältig in seinem Portemonnaie. Sollte die Polizei ihn widererwarten befragen, und er ein Alibi benötigen, dann wären die Eintrittskarte und die Taxiquittung ein ausreichender Beleg.
Zurück im Hotel, besuchte er zuerst die Toilette. Er nahm ein Stück Toilettenpapier und wickelte die Patrone, die er noch immer in seinem Jackett trug, in das Papier, warf es in die Toilette und spülte ab. Als er sich vergewissert hatte, dass die Patrone nicht mehr im WC lag, nahm er den Latex-Handschuh, wickelte ihn, in Papier aus dem Papierspender für die Hände, ein und stopfte das Knäuel tief in den Abfalleimer, neben dem Waschbecken. Danach ging er wieder in die Halle und setzte sich in einen Sessel, winkte einen Ober herbei und bestellte sich ein Glas Champagner. Sein Auftraggeber würde über die Presse erfahren, dass der erste Teil erledigt worden ist.
Henri Medernach hatte sich mit seinen Kollegen, im Sitzungssaal der police judiciaire, in der Bitburger Straße eingefunden, um alle auf den neuesten Stand der Ermittlungen zu bringen.
Die kurzfristig einberufene Sonderkommission war beinahe vollständig anwesend, obwohl es ein Samstagnachmittag war. Medernach zählte die Einzelheiten auf, soweit sie bis jetzt bekannt waren. Das Ergebnis der Gerichtsmedizin lag noch nicht vor, dafür war die Zeit nun doch zu kurz gewesen.
Aber auch so war klar, dass die Todesursache der Schuss mitten ins Herz war. Vielleicht würden sich auch noch Spuren des Täters auf der Leiche finden. Medernach glaubte allerdings nicht wirklich daran. Für ihn stand jetzt bereits fest, dass sie es mit einem Auftragsmord zu tun hatten, mit einem absoluten Profikiller.
„Konnte die Spurensicherung sonst noch etwas am Tatort finden?“ Die Frage von Medernach richtete sich an alle Anwesenden. Georges Ehlinger, er leitete das Team der Spurensicherung, erhob sich von seinem Platz und sprach in die Runde.
„Wir haben im Umkreis von vierhundert Metern alles durchsucht. Papierkörbe, Vorgärten, Abfalltonnen usw., aber wir haben nichts Ungewöhnliches gefunden. Etwa dreißig Meter von der Leiche entfernt, konnten wir Fußabdrücke sicherstellen. Allerdings dürften diese sehr wenig ergiebig sein. Es handelt sich um den Abdruck einer glatten Ledersohle, ohne irgendeine Besonderheit. Wir können natürlich auch nicht mit Sicherheit sagen, dass die Abdrücke vom Täter stammen. Wenn es sich um seinen Abdruck handeln sollte, dann suchen wir einen Mann mit der Schuhgröße zweiundvierzig.“
Georges setzte sich wieder, und Medernach dankte ihm für die Ergebnisse.
„Gibt es sonst noch etwas?“ Medernach blickte in die Runde.
„Claude, was hat die Befragung der Taxifahrer und der Hotels ergeben?“
„Ich habe alle Taxi-Unternehmen gefragt, ob sie gestern Abend einen Fahrgast ins Pfaffenthal gefahren haben. Insgesamt haben wir von sechs Fahrten erfahren. Wir sind gerade dabei, die Fahrgäste zu überprüfen. Bis jetzt haben wir vier Personen überprüft, alle vier wohnen im Pfaffenthal, und alle haben ein Alibi für die Tatzeit. Die Hotels sind dabei, uns eine Übersicht der Gäste zusammenzustellen. Ich schätze, dass wir etwa drei Tausend Namen bekommen werden. Es dürfte unmöglich sein, die alle zu überprüfen. Bekanntlich weilt die Mehrzahl der Gäste nur für eine Nacht in Luxemburg. Damit dürften die meisten das Land schon wieder verlassen haben.“
„Klar, das stimmt sicherlich“,, meinte Medernach „aber wenn ein Fahrgast, von einem der Hotels aus, ins Pfaffenthal gefahren wurde, sollten wir uns zumindest diesen näher ansehen.“
Claude meldete sich noch einmal zu Wort.
„Chef, würden Sie mit einem Taxi zu einem Tatort fahren? Ich glaube, dass wir da nichts finden werden. Interessanter dürfte da das post-it sein. Georges, hast du den schon näher untersuchen lassen?“
Georges Ehlinger sah Claude an und nickte.
„Wir haben ihn uns genau angesehen. Diese kleine Spinne ist mit einer Tinte aufgedruckt, die es bei uns nicht mehr geben darf. Sie enthält Beimischungen von Blei, die es nur noch in China gibt. Die Untersuchungen sind aber noch nicht vollständig abgeschlossen.“
„Soll das heißen, dass wir es vielleicht mit einem Asiaten oder Chinesen zu tun haben könnten?“ Medernach war unsicher, ob diese Schlussfolgerung statthaft war. Eine Möglichkeit wäre es natürlich schon.
„Nun, möglich, allerdings kann sich jeder China-Tourist so eine Tinte mitgebracht haben. Ein erster Hinweis ist es aber immerhin.“ Georges Ehlinger lehnte sich in seinen Sessel zurück und wippte leicht hin und her.
„Warum sollte ein Tourist sich Tinte aus China mitbringen? Das erscheint mir doch eher unwahrscheinlich. Es sei denn, jemand erwirbt ganz bewusst diese Tinte, um eine falsche Spur zu legen“, bemerkte Medernach nach den Ausführungen von Georges Ehlinger.
Es war nicht sehr viel, was sie bis jetzt wussten. Henri Medernach dankte seinen Kollegen dafür, dass sie ihren freien Samstag geopfert und an der Sitzung teilgenommen haben. Henri wandte sich zu seinem Partner Roby um.
„Wir brauchen etwas mehr Information über den Toten. Wir müssen herausbekommen, wer es ist und was er im Pfaffenthal gemacht hat, was er gearbeitet hat, und in welchem Umfeld er aktiv war. Nur so kommen wir einem möglichen Motiv und damit vielleicht dem Täter näher.“
„Wir arbeiten ja schon daran, Henri. Sein Bild wird am Montag im Wort erscheinen. Vielleicht meldet sich ja daraufhin jemand, der ihn kannte.“
Das Wort war die größte Tageszeitung Luxemburgs. In fast jedem Haushalt wird das Luxemburger Wort gelesen. Wenn ihn jemand hier in Luxemburg gesehen hat, oder kennt, würden sie sicherlich Hinweise erhalten und am Montag weiterkommen. Roby Weis sah seinen Chef an. Medernach nickte zustimmend und meinte dann:
„Wir könnten, um die Sache zu beschleunigen, das Bild aber auch schon auf RTL veröffentlichen, in der Sendung Journal