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Marcel Becker hatte es mit seinem Unternehmen an die Weltspitze geschafft. Seine Roboter waren in der ganzen Welt begehrt. Als er eine Einladung zur Sitzung der Tafelrunde erhielt, war seine Erstaunen groß und seine Neugierte geweckt. Er kannte die Tafelrunde nur aus der Artus Sage aber diese Runde tagte ganz sicher nicht mehr. Die Einladung eines gewissen Chevalier Jean de Breil, der im Schloss Comper residierte, machte einen seriösen Eindruck. Die Bretagne und das Broceliande wollte er schon seit längerem besuchen, sodass ihm diese Einladung willkommen war. Bei der Gelegenheit könnte er die Sehenswürdigkeiten rund um die Artus Sage besichtigen. Er sagte zu und reiste einige Tage später nach Paimpont. Gleich nach der Ankunft wollte er das berühmte Tal ohne Wiederkehr durchwandern. Aber anstatt einer Fee zu begegnen stand er plötzlich vor einem Toten.
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Jean-Pierre Kermanchec
Das Tal ohne Wiederkehr
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Epilog
Impressum neobooks
Jean-Pierre Kermanchec
Das Tal ohne Wiederkehr
Das Tal ohne
Wiederkehr
Jean-Pierre Kermanchec
Impressum
© 2019 Jean-Pierre Kermanchec, Ulrike Müller
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die Bibliothéque national du Luxembourg verzeichnet diese Publikation in der luxemburgischen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://bnl.public.lu abrufbar.
Die Nachricht seiner Berufung erreichte ihn am frühen Abend. Der Mitarbeiter eines Kurierdienstes hatte ihm den Brief gebracht.
Kurz davor hatte er es sich auf seiner Terrasse gemütlich gemacht. Er hatte eine Flasche Wormeldinger Riesling geöffnet, eine Rieslingspastete aufgeschnitten und somit den Feierabend eingeläutet.
Den ganzen Tag über hatte er in zahllosen Meetings gesessen, in den Pausen Gespräche mit seinen Abteilungsleitern geführt, literweise Kaffee getrunken und sich endlose Präsentationen angehört. Alle Vorschläge für die Einführung und Vermarktung des neu entwickelten Roboters, der sein Unternehmen endgültig an die Weltspitze führen sollte, waren diskutiert und zu einem Gesamtkonzept zusammengeführt worden.
Marcel Becker hatte es geschafft. Von der Pike hatte er seinen Betrieb aufgebaut und beschäftigte jetzt 7600 Menschen in zehn Ländern. Ein Selfmademan wie aus dem Bilderbuch. Nach dem Ingenieursstudium an den renommierten Universitäten Aachen und Zürich, einem Aufbaustudium am Massachusetts Institute of Technology, oder einfach MIT wie die Universität am Charles River in Cambridge genannt wird, hatte er seine Firma gegründet.
Sein erster Roboter, den er für die Automobilindustrie entwickelt hatte, hatte auf Anhieb zum erhofften Erfolg geführt. Seitdem hatte er weitere Ideen umgesetzt, brillante Ingenieure eingestellt, seine Forschung und Entwicklung vorangetrieben und sein Unternehmen unter dem Namen MABELUX zu einem Begriff im Bereich der Automatisierung geführt.
Das Klingeln an der Haustür unterbrach sein Feierabendritual. Er nahm das Schreiben des Boten entgegen und ging wieder auf die Terrasse, nahm sich ein weiteres Glas des Wormeldinger Koeppchens, roch die feine blumige fruchtige Note und genoss einen weiteren Schluck. Er schätzte den Wein der Domaine in Wormeldingen, einer Privatkellerei, mit deren Besitzern er persönlichen Kontakt pflegte. Dann griff er zu einem Stück Paté au Riesling, die ausgezeichnet zum Wein passte, und lehnte sich entspannt auf seiner Gartenliege zurück.
Nach einigen Minuten griff er zum erhaltenen Umschlag und öffnete ihn. Auf feinstem Büttenpapier stand geschrieben:
Bonjour Monsieur Marcel Becker,
Die Mitglieder der Tafelrunde freuen sich, Ihnen die Aufnahme in unseren Kreis anzubieten. Jährlich werden von uns die Besten und erfolgreichsten Jungunternehmer Europas einem Auswahlverfahren unterzogen. Nur diejenigen, die dieses Verfahren erfolgreich durchlaufen haben, werden zu einem ersten Kennenlernen eingeladen.
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass diese Einladung personenbezogen ist und nicht auf eine andere Person übertragen werden kann. Wenn Sie nach diesem Treffen durch einstimmige Bestätigung aller Mitglieder unserer Tafelrunde als neues Mitglied gewählt worden sind, nehmen Sie an den regelmäßigen Treffen und Beschlüssen unserer Organisation teil.
Die Adresse für ein erstes Treffen finden Sie im Anhang, ebenso die Adresse eines Hotels in Paimpont, das wir Ihnen empfehlen können. Wir würden Sie vom Hotel abholen und zu unserem Tagungsort bringen lassen. Unsere Treffen beginnen üblicherweise mit einem gemeinsamen Abendessen, zu dem Sie herzlich eingeladen sind.
Wir würden uns über eine Zusage freuen, die Sie uns bitte durch eine kurze Mitteilung an eine der im Anhang genannten Adressen bestätigen mögen.
Chevalier de Breil
Marcel las den Text mehrmals durch. Der Begriff der Tafelrunde war ihm aus der Mythologie von Artus und seinen Rittern bekannt. Was aber hatte die Tafelrunde der Mythologie mit der hier Genannten zu tun?
Marcel Becker legte den Brief zur Seite. Er wollte sich zuerst einmal informieren über diese Tafelrunde. Er hoffte, im Internet etwas zu finden.
Erneut griff er nach dem Weinglas, nahm einen weiteren Schluck und eine Scheibe der Rieslingspastete. Sein Tablet lag auf dem Tisch. Marcel gab den Suchbegriff Tafelrunde und Paimpont ein. Das Fremdenverkehrsamt der Kleinstadt erschien an erster Stelle, gefolgt vom Rathaus und einem Eintrag in Wikipedia. Nachdem er in Wikipedia gelesen hatte, dass es sich um eine Gemeinde mit 1.600 Einwohner handelte, las er den Abschnitt über die Geschichte.
Der Wald von Paimpont ist der Überrest eines riesigen zusammenhängenden Waldgebietes, das einst das Landesinnere der Bretagne bedeckt hat. Der Legendenname dieses Waldes lautet Brocéliande. In diesem Wald spielt die Sagenwelt von König Artus und seiner Tafelrunde.
Unter der Stichwort Sehenswürdigkeiten standen aufgelistet:
Die Abtei Notre-Dame (13. Jahrhundert)
Schloss Comper im Ort Concoret mit dem Artus-Zentrum
Die Schmiede von Paimpont (17. Jahrhundert)
Der Wald von Paimpont und seine Seen
Der See Feenspiegel im Tal ohne Wiederkehr
Die Sagenwelt um den Wald von Brocéliande aus der keltischen Mystik der Artus-Legenden findet im heutigen Wald von Paimpont einige Kultstätten, z. B.
Merlins Grab
Den Jungbrunnen
Die Quelle von Barenton
Das Tal ohne Wiederkehr
Das war zwar alles ganz interessant, aber nicht was er wissen wollte. Von dieser ominösen Tafelrunde hatte er keine Informationen bekommen. Sollte er sich auf ein Treffen einlassen, von dem er nicht einmal wusste, um was es geht, wer dahintersteckte oder was ihn dort erwartete?
Marcel war drauf und dran, den Brief zur Seite zu legen und sich nicht weiter damit zu beschäftigen als ihm der Gedanke kam, den Namen zu recherchieren, mit dem der Brief unterzeichnet war. Er gab deBreil in die Suchmaske von Google ein. Sofort erschienen viele Einträge aber die gesuchte Auskunft war nicht darunter.
Marcel betrachtete den Anhang des Briefs und die dort angegebenen Adressen. Die Postadresse war ein Postfach beim Postamt in Paimpont und die Mail-Adresse lautete [email protected].
Marcel lehnte sich gemütlich in seinen Sessel zurück, schloss die Augen und genoss die letzten Sonnenstrahlen. Immer wieder nahm er einen Schluck aus seinem Glas, aß die letzten Stücke seiner Paté und dachte über das Schreiben nach. Eine gute Stunde später hatte er sich entschieden. Er würde in die Bretagne fahren und diese Tafelrunde in Augenschein nehmen. Er war schon lange nicht mehr in der Bretagne gewesen, obwohl sie zu den europäischen Landstrichen gehörte, die ihm gut gefielen. Einige Jahre lang hatte er sich mit dem Gedanken auseinandergesetzt, dort ein Haus zu erwerben, um regelmäßig einige Wochen des Jahres dort verbringen zu können. Bis jetzt war es noch nicht dazu gekommen. Seine präferierte Region in der Bretagne war das Finistère, das Ende der Welt. Marcel griff zu seinem iPad, formulierte eine kurze Mail an die Tafelrunde und bestätigte seine Teilnahme an einem ersten Treffen.
Bereits am nächsten Tag traf eine Antwort ein. Der vorgesehene Termin war in zwei Wochen.
Marcel war zeitig aus Luxemburg weggefahren und nach sechseinhalb Stunden in Paimpont, in der Bretagne, angekommen. Er hatte ein Zimmer im vorgeschlagenen Hotel Le Relais De Brocéliande gebucht. Von außen machte das Hotel einen einladenden Eindruck. Es hatte aber durchaus eine Renovierung verdient.
Die Rezeption war unbesetzt. Marcel blickte in den Speisesaal links neben der Rezeption. Die quadratischen alten Holztische waren ansprechend gedeckt. Auf der rechten Seite führte ein kurzer Gang in das Bistro des Hauses. Marcels Blick fiel jetzt auf eine kleine Klingel mit einem Hinweisschild - bei Abwesenheit bitte klingeln -. Marcel klingelte zweimal. Gleich darauf erschien eine Dame, lächelte freundlich und fragte nach seinen Wünschen.
„Marcel Becker, ich habe ein Zimmer bei Ihnen reserviert“, antwortete er.
Die Frau sah auf ihren Computerbildschirm, machte einige Eingaben und nickte danach.
„Sie sind vier Tage lang bei uns. Herzlich willkommen! Ihr Zimmer ist die 110 in der ersten Etage. Sie können es sofort beziehen. Bitte nehmen Sie die Treppe, gleich links im Gang“, dabei zeigte sie auf den Durchgang zum Bistro. „Frühstück gibt es von sieben bis zehn Uhr. Möchten Sie einen Tisch für das Abendessen reservieren?“
„Für heute Abend? Ja gerne“, antwortete er. Er hob seine Reisetasche auf, nahm den Zimmerschlüssel in Empfang und betrat den schmalen Flur. Bereits nach drei Schritten hatte er die Treppe zur Etage erreicht. Er ging nach oben, bog links in den Gang ein und stand gleich vor seinem Zimmer. Mit einem altmodischen Schlüssel öffnete er die Tür und betrat den Raum. Das Zimmer lag zur Straße. Nur gut, dass die Straße nicht stark befahren war, dachte er. Ein Doppelbett und zwei Nachttischchen füllten das Zimmer weitgehend aus. Rechts neben der Tür zum Bad standen ein kleiner Schreibtisch mit Stuhl und eine Mini-Bar. Zwischen den beiden Fenstern hing ein Fernseher an der Wand. Marcel legte seine Reisetasche aufs Bett und ging ins Badezimmer. Er wusch sich zuerst einmal die Hände.
Dann gab den Zimmerschlüssel an der Rezeption ab und verließ das Hotel über die Terrasse. Vielleicht würde er später hier einen Aperitif einnehmen. Er unternahm einen ersten Spaziergang durch den kleinen Ort Paimpont.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah er ein altes Stadttor, durch das eine Straße führte. Marcel sah sich die Geschäfte und Andenkenbuden rechts und links der Straße Général de Gaulle an und durchschritt das Tor. In Frankreich gab es wahrscheinlich keine Stadt, ohne einen Boulevard, eine Avenue, einen Platz oder wenigstens eine Straße, die den Namen des Generals trug. Am Ende der Straße kam er an einen gepflasterten Platz vor dem Tourismusbüro. Das angrenzende große steinerne Haus trug die Aufschrift La Porte des Secrets Brocéliande. Auf der rechten Seite des Platzes lag die Klosterkirche. Eine große Rosette dominierte die Fassade. Rechts des Platzes wies ein Hinweisschild den Weg zum Rathaus, das in der ehemaligen Abtei eingerichtet worden war.
Marcel betrat das Tourismusbüro. Zahlreiche Besucher tummelten sich in dem Raum, betrachteten die ausgelegten Bücher über die Artuslegende, die Karten der Region, Ansichtskarten, zahlreiche Prospekte und weitere Souveniers. Marcel ging zur Empfangstheke.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ein junger Herr freundlich lächelnd.
„Ich bin für einige Tage in Paimpont und möchte mir die Umgebung ansehen. Haben Sie eine Karte oder einen Plan der Sehenswürdigkeiten?“, fragte Marcel.
„Aber selbstverständlich, Monsieur“, antwortete der junge Mann und riss ein Blatt von einem zwischen ihnen liegenden Block ab. Erst jetzt sah Marcel, dass es sich um eine vereinfachte Darstellung der Karte handelt.
„Ich nehme an, dass Sie hier im Ort untergekommen sind?“, fragte er Marcel.
„Das ist richtig, ich wohne im Hotel Le Relais de Brocéliande.“
„Haben Sie ein Auto?“
„Aber ja!“
„Dann schlage ich Ihnen vor, dass Sie die Besichtigungstour hier starten und zuerst nach Trehorenteuc fahren. Dort besuchen Sie die Gralskirche. Anschließend können Sie von der Kirche aus zum Tal ohne Wiederkehr spazieren. Sie können aber auch die 500 Meter zum Parkplatz fahren. Auf dem Weg zum Tal ohne Wiederkehr kommen Sie am Feenspiegel vorbei, einem kleinen See. Gleich daneben steht der goldene Baum, eine Erinnerung an den großen Waldbrand. Dann wandern Sie weiter ins Tal ohne Wiederkehr.“
Der junge Mann markierte die Punkte auf der Karte und fuhr dann fort.
„Nach der Rückkehr zum Parkplatz können Sie nach Folle Pensee fahren und von dort zur Fontaine de Barenton gehen. Geben Sie an der Fontaine acht, dass Sie kein Wasser auf die Treppe von Merlin spritzen. Das könnte einen Sturm oder ein Gewitter auslösen, wenigstens erzählt das die Sage und es ist schon des Öfteren eingetroffen. Von Folle Pensee fahren Sie dann weiter zur Eiche von Guillotin. Es ist eine mächtige 1000-jährige Eiche, von der man berichtet, dass der widerspenstige Abt Guillotin sich in der Höhle des Stammes versteckt hat, um sich vor dem Zugriff der Revolutionäre zu retten. Das wäre meine Empfehlung für eine erste Tagestour. Für den zweiten Tag sollten Sie sich den Lac de Viviane und das Schloss de Comper mit seiner Sammlung rund um die Artussage ansehen. Danach fahren Sie nur wenige Kilometer weiter, zum Boucle de Merlin. Dort können Sie das Grabmal von Merlin und anschließend den Jungbrunnen besichtigen. Seien Sie aber nicht enttäuscht, dass nur noch ein Schild den Standort markiert, die Quelle selbst ist versiegt, Sie können ihre Jugend leider nicht mehr zurückholen. Dann empfehle ich Ihnen noch den Spaziergang, ebenfalls etwa vier Kilometer lang, an der Chêne des Hindrés vorbei, ein Baum von über 500 Jahren. Das wäre mein Vorschlag für einen Besuch des Waldes Brocéliande rund um Paimpont. Die Abteikirche, den Park und den See von Paimpont können Sie jederzeit besichtigen.“
Marcel nahm den kleinen Plan mit den markierten Orten, bedankte sich und verließ das Office de Tourisme. Er würde dem Vorschlag des jungen Mannes am nächsten Tag gerne folgen und die Sehenswürdigkeiten aufsuchen. Die vorgeschlagene Reihenfolge würde er vielleicht ändern.
Marcel setzte sich an einen Tisch auf der Terrasse des Hotels und bestellte ein Glas Wein. Die freundliche Bedienung kam bereits nach wenigen Minuten mit dem Wein und einer Schale mit einem Gemisch von Erdnüssen, Chips und kleinen Salzbrezeln zurück. Marcel genoss die Sonnenstrahlen des herrlichen Spätsommers, nippte zwischendurch an seinem Wein und naschte von den Erdnüssen und Chips. Zwischendurch tauchte die Einladung zur Tafelrunde vor seinem geistigen Auge auf. Die Artussage war hier präsenter als sonst irgendwo.
Gegen 19h30 ging er in den Speisesaal. Die Bedienung brachte ihm die Speisekarte und fragte nach einem Aperitif.
„Vielen Dank, meinen Aperitif habe ich bereits auf der Terrasse eingenommen. Bringen Sie mir doch bitte ein Glas Wasser und die Weinkarte“, bat Marcel und griff nach der Speisekarte.
„Die Weine finden Sie im hinteren Teil der Karte“, antwortete die Bedienung und ließ Marcel in Ruhe seine Wahl treffen.
Auf der Karte standen zwei Menus. Eines ohne und das andere mit Dessert. Der Preis war sehr korrekt. Das Menu mit Dessert kostete 24 Euro, ein Preis, den er in Luxemburg allein für eine einfach Vorspeise bezahlen müsste. Als Vorspeise wählte er einen Tartar au Saumon, danach eine Blanquette de Veau und zum Nachtisch entschied er sich für eine Variation von diversen kleinen Desserts. Dazu bestellte er sich einen Rotwein aus dem Margaux.
Das Essen war ausgezeichnet, angefangen vom Gruß aus der Küche bis zu dem wunderbaren Dessert. Ein solches Essen hatte er in diesem Hotel nicht erwartet.
Philipp Morvan hatte die Fahrt von Lorient ins Brocéliande in etwas mehr als einer Stunde zurückgelegt. Eine Nacht würde er im Hotel Le Relais de Brocéliande verbringen, dann wollte er seine Fahrt nach Caen fortsetzen. Die Sagenwelt der Bretagne war sein Hobby aber er hatte den berühmten Wald noch nicht besucht. Vor allem das Tal ohne Wiederkehr wollte er mit eigenen Augen sehen. Das Tal, in dem die Fee Morgan die, der Legende nach, untreu gewordene Liebhaber gefangen hielt, bevor sie Ritter Lancelot erlöste. Außerdem gilt das Tal auch als das Reich der nächtlichen Wäscherinnen. Diesen Frauen sollte man nicht beim Auswringen der Wäsche helfen, da das für den Helfenden tötlich war.
Philipp machte sich nach dem Check-in sofort auf den Weg zum Office de Tourisme und holte sich alle verfügbaren Informationen. Dann setzte er sich in seinen Wagen und fuhr nach Trehorenteuc, stellte sein Fahrzeug auf dem Parkplatz ab, wie der Mann im Touristenbüro empfohlen hatte. Es war gerade erst 14 Uhr als er sich auf den Weg in das mystische Tal begab. Zuerst erreichte er den Feenspiegel, den kleinen vom Wald umgebenen See. Die Oberfläche war ruhig und die Bäume und Sträucher spiegelten sich in dem klaren Wasser. Er machte seinem Namen alle Ehre. Der vergoldete Baum interessierte ihn weniger, der gehörte schließlich in die Neuzeit und hatte nichts mit der Artussage zu tun.
Philipp spazierte weiter ins Tal. Er war froh über sein festes Schuhwerk, denn an einigen Stellen musste er einen beherzten Sprung wagen, um von einem Stein auf den nächsten zu gelangen, um die tiefsten Wasserstellen zu überspringen.
An einem größeren Felsen legte er eine Pause ein, er setzte sich auf einen der Felsen, trank einen Schluck aus seiner Flasche und ließ die Atmosphäre des Tals auf sich wirken. Eine Frau kam vorbei.
„Bonjour Monsieur“, grüßte sie Philipp und blieb stehen. „Der Weg durch das Tal ohne Wiederkehr ist anstrengend, nicht wahr? Da kommt man schnell ins Schwitzen“, sagte sie freundlich.
„Bonjour Madame, ins Schwitzen bin ich nicht gekommen, ich wollte lediglich die Natur genießen und meinen Träumen nachhängen“, erwiderte Philipp lächelnd.
„Sie haben Glück, dass ich nicht Morgan bin oder eine der Waschfrauen, das könnte für einen Mann in diesem Tal gefährlich werden“, sagte sie und zwinkerte ihm zu.
Philipp lachte herzhaft und antwortete dann.
„Ihre Kleidung hätte Sie jedenfalls nicht als eine Fee ausgewiesen. Da stelle ich mir etwas anderes vor.“
„Nun ja, da haben Sie bestimmt Recht. Sind Sie nur zu einem kurzen Besuch im Brocéliande oder wohnen Sie in der Umgebung?“
„Nein, ich wohne nicht hier. Ich bin auf dem Weg nach Caen und habe nur einen Zwischenstopp eingelegt. Mich interessieren die alten bretonischen Mythen und ich habe den Wald noch nie besucht.“
„Ich wohne in Trehorenteuc und gehe oft durch das Tal, sogar wenn es eigentlich gesperrt ist. Ich liebe es einfach. Die alten Mythen verfolgen einen hier auf Schritt und Tritt, zumal im frühen Morgennebel.“
„Das wäre ein guter Tipp gewesen, ich hätte mir das Tal in den frühen Morgenstunden ansehen sollen“, antwortete Philipp.
„Ich kenne mich hier sehr gut aus, wenn Sie etwas wissen möchten, fragen Sie mich einfach. Ich heiße übrigens Loana, Loana Dagorn.“
„Philipp Morvan, ich komme eventuel gerne auf das Angebot zurück. Aber für den Augenblick habe ich keine Fragen. Ich werde mir das Tal ansehen und später die Gralskirche in Trehorenteuc.“
„Falls Sie doch noch eine Frage haben sollten, finden Sie mich gleich neben der Kirche. Ich wohne im Haus des Office de Tourisme. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Spaziergang und hoffentlich finden Sie den Weg aus dem Tal wieder zurück“, fügte sie lächelnd hinzu.
„Vielen Dank, aber ich werde keine Probleme bekommen, schließlich hatte ich noch kein Verhältnis mit Morgan. Somit hat sie keinen Grund, mich hier festzuhalten“, erwiderte Philipp lächelnd und machte sich auf den Weg.
Marcel Becker hatte seinen Besuch der Sehenswürdigkeiten rund um Paimpont abgeschlossen, das Tal ohne Wiederkehr sparte er sich für einen der nächsten Tage auf. Er bereitete sich auf das Treffen mit der sogenannten Tafelrunde vor. Er würde um 19 Uhr vom Hotel abgeholt und zum Treffen ins Schloss Comper gebracht werden.
Zwanzig Minuten vor 19 Uhr ging er hinunter, setzte sich auf die Terrasse und bestellte einen Café. Ganz pünktlich um 19 Uhr hielt ein Peugeot 508 vor dem Hotel. Ein junger Mann, höchstens 25 Jahre alt, stieg aus dem Wagen und kam auf den Hoteleingang zu.
Marcel sprach den Mann an als er an seinem Tisch vorbeikam.
„Wollen Sie zu Monsieur Becker?“, fragte er ihn.
„Ganz genau! Sind Sie Monsieur Becker?“
„Der bin ich, ich habe auf Sie gewartet und in der Zeit noch einen Café getrunken.“
„Dann können wir uns also sofort auf den Weg machen. Die Herren erwarten Sie bereits im Schloss, mein Name ist Claude“, erwiderte der junge Mann und wandte sich um.
Marcel stand auf und folgte Monsieur Claude. Die Strecke hatten sie nach 9 Minuten bereits zurückgelegt. Marcel hatte sich das Schloss und den dahinterliegenden See, den See von Comper bzw. den See der Viviane wie er in der Legende genannt wird, bereits am Vormittag angesehen.
Der junge Mann fuhr auf den Parkplatz der Angestellten des Schlosses von Comper.
„Wir sind angekommen. Wenn Sie mir bitte folgen, ich bringe Sie in den Sitzungssaal.“
Marcel stieg aus und folgte dem Mann über eine Brücke zum Schlosshof. Der Mann ging zielstrebig auf eine Tür an der Frontseite zu, die Marcel bei seinem Besuch am Morgen überhaupt nicht realisiert hatte. Sie gingen in die zweite Etage. Claude öffnete eine schwere Eichentür und ließ Marcel eintreten. Ein großer runder Tisch dominierte den Raum. Am anderen Ende standen einige Herren und unterhielten sich, jeder hielt ein Glas Champagner in der Hand. Einer der Herren kam spontan auf Marcel zu.
„Monsieur Becker, seien Sie herzlich in unserem Kreis willkommen. Mein Name ist de Breil, ich habe Sie angeschrieben.“ Er reichte Marcel die Hand.
„Bonjour Monsieur de Breil, haben Sie vielen Dank für die Einladung. Ich muss zugeben, dass der Sinn und Zweck dieser Einladung für mich immer noch unklar ist. Ich habe meine Zusage zu diesem Treffen gegeben, ohne zu wissen was mich hier erwartet.“
„Am Ende des Abends werden Sie Klarheit haben. Aber ich möchte Ihnen zuerst die Mitglieder unserer Tafelrunde vorstellen.“ Er wandte sich um und führte Marcel zu den Herren.
Die Vorstellung der einzelnen Mitglieder war ausführlich und Marcel war schnell klar, dass hier die Crème de la Crème der europäischen Wirtschaft versammelt war. Er kannte nun alle anwesenden Männer namentlich und hatte einen kleinen Hintergrund ihrer Biografie.
Ein Kellner reichte Marcel ein Tablet mit Champagner, Wasser und Orangensaft und bat ihn, sich zu bedienen. Marcel nahm auch ein Glas Champagner. Ein weiteres Tablett mit amuses geules wurde gereicht. Nach einer weiteren halben Stunde bat Monsieur de Breil zu Tisch. Da auf dem Tisch keine Platzkarten lagen, blieb Marcel vor dem Tisch stehen und sah zu Monsieur de Breil.
„Bitte nehmen Sie einfach Platz. Wir haben keine Sitzordnung. Wir sitzen an einem runden Tisch, wie bei der Tafelrunde von König Artus, niemand wird durch seinen Platz am Tisch hervorgehoben.“
Marcel nahm auf dem Stuhl vor ihm Platz. Auch die anderen Teilnehmer setzten sich. Die Kellner begannen das Essen aufzutragen, während Monsieur de Breil mit seinen Erläuterungen begann.
„Sicher haben Sie sich gefragt, warum es diesen Kreis gibt und was unsere Absicht ist. Ich habe diese ehrenamtliche Organisation einerseits gegründet, um der Gemeinde zu helfen, den Tourismus anzukurbeln. Andererseits habe ich eine Organisation ins Leben rufen wollen, in der jeder unserer gutsituierten Mitglieder nach seinem Gutdünken notleidenden Menschen oder Hilfsorganisationen eine Unterstützung zukommen lässt, im Sinne der alten Tafelrunde. Zusätzlich bezahlen die Mitglieder einen kleinen Betrag an unsere Tafelrunde. Damit unterstützen wir notwendige Renovierungen, eine neue Ausstellung oder andere Aktivitäten rund um den Tourismus. Das ist ein kurzer Überblick über die Aufgabe unserer Tafelrunde. Damit haben Sie einen Einblick in unser Engagement und unsere Ziele. Falls Sie sich für eine Mitgliedschaft entscheiden, werden wir in geheimer Abstimmung über ihren Antrag entscheiden.“
„Haben Sie vielen Dank für die Erklärungen Monsieur de Breil. Ich denke, dass ich mich mit den Bedingungen, wenn ich die Erläuterungen einmal so nennen darf, durchaus einverstanden erklären kann. Mir ist nur noch nicht ganz klar, warum sich die Runde hier trifft. Diese Unterstützungen könnte man auch ohne ein regelmäßiges Treffen organisieren.“
„Da haben Sie natürlich Recht Monsieur Becker. Die Treffen haben natürlich auch den Hintergrund, unsere Gemeinschaft zu stärken. Jeder in dieser Runde soll vertrauensvoll für den anderen einstehen können. Sollte einer unsere Mitglieder in Schwierigkeiten geraten, dann darf er davon ausgehen, dass die anderen ihm Hilfe leisten, im ideellen und im wirtschaftlichen Sinne. Bedenken Sie die Entscheidung für eine Mitgliedschaft sorgfältig.“
„Jetzt verstehe ich Sie etwas besser Monsieur de Breil. Ich werde mir die Angelegenheit durch den Kopf gehen lassen.“
„Dann lassen Sie uns den Abend genießen“, meinte Monsieur Breil.
Agnes Kerebel arbeitete bereits seit zwanzig Jahren im Le Relais de Brocéliande. Da hatte sie einiges kennengelernt, von unbezahlten Abreisen über ferngebliebene Gäste.
Philipp Morvan hatte gestern bei seiner Ankunft einen soliden Eindruck hinterlassen. Simone, das Zimmermädchen, war erstaunt gewesen festzustellen, dass der Schlüssel von Monsieur Morvan am Morgen noch am Bord hing und er nicht zum Frühstück erschienen war. Jedoch kam es ihr nicht in den Sinn, sich an Agnes zu wenden. Monsieur Morvan hatte für eine Nacht gebucht. Das bedeutete , dass er vor dem Mittag sein Zimmer räumen und die Rechnung begleichen müsste.
„Guten Morgen Monsieur Becker“, begrüßte sie den Gast aus Luxemburg, der ihr auf dem Weg zum Frühstücksraum begegnete.
„Bonjour Madame“, antwortete Marcel und fügte hinzu: „Ich muss mich heute besonders stärken, ich gehe ins Tal ohne Wiederkehr, da benötigt man vielleicht mehr Energie.“