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Grau und bedrohlich türmen sich Wolken am Horizont auf, und sie finden ihr Spiegelbild in den mächtigen Wellen, die mit schäumender Gischt gegen das Ufer schlagen. Wenn sie sich zurückziehen, bleibt das Watt, eine schlammgraue Masse. Doch überall regt sich hier das Leben, von geheimnisvollem Knistern bis zum kulleräugigen Seehund. Dann kommt die Sonne heraus und verzaubert die eigenwillige Landschaft. Mit einem Mal schillert das Wasser silberblau, leuchtet das Gras in saftigem Grün, und der tiefblaue Himmel scheint endlos weit zu sein. So ist die Waterkant – einmalige, raue Schönheit vor und hinter dem allgegenwärtigen Deich. Dieses Buch führt Sie auf eine unterhaltsame Entdeckungsreise entlang der deutschen Nordseeküste, fein abgerundet mit einer Auswahl typischer Rezepte, die den Geschmack des Nordens an den Gaumen zaubern.
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Seitenzahl: 206
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Almut Irmscher
Das Nordsee-Lesebuch
Impressionen und Rezepte von der deutschen Nordseeküste
Inhalt
Einführung
Das Gespenst von der Nordsee – der Schimmelreiter
Ragout vom Deichlamm
Sturmflut – der kalte Tod
Hamburger Aalsuppe
Teetied – ostfriesische Gemütlichkeit hält stets ein Tässchen Tee bereit
Krüllkuchen
Humor ist die Kunst, über sich selbst lachen zu können – der Ostfriesenwitz
Speckfetten-Grau-Arten – Graue Erbsen mit Speck
Traumschiff Ahoi – die Werft von Papenburg
Bauckweiten-Jannhinnerk – Buchweizenpfannkuchen aus Papenburg
Welcher Seemann liegt bei Nanni im Bett? – Die Ostfriesischen Inseln
Snirtjebraa – ein Fleischgericht aus Ostfriesland
Ein Spaziergang auf dem Meeresgrund – das Watt
Wirsingsuppe mit Nordseekrabben
Räuber mit Kulleraugen – der Seehund
Heringssalat
Hoch auf spritzt der Dreck! – Das Wattrennen von Duhnen
Rote Grütze
Im Paradies der Äpfel – das Alte Land
Apfelkuchen aus dem Alten Land
Ein Lied von der Insel – Helgoland
Helgoländer Knieper
Das Tor zur großen, weiten Welt – Bremerhaven
Labskaus
Das deutsche Atlantis – Rungholt
Roggengrütze
Land unter! – Leben auf der Hallig
Knerken – Plätzchen von den Halligen
Toleranz und Holländer – Friedrichstadt
Futjes – Schmalzgebäck aus Friedrichstadt
Die Ambivalenz der Farben – Emil Nolde
Nordfriesische Hochzeitssuppe
Die Crème von Deutschland trifft sich im Norden – ein Besuch auf Sylt
Kabeljau mit Kartoffelsalat nach Sylter Art
Teufelsanbeter und Monster- fratzen – Sturm über Wacken
Gegrillte Rippchen mit Apfelsenf
Trinkt aus, Piraten, Yo-Ho – Klaus Störtebeker
Sinbohntjesopp – „friesische Bohnensuppe“
Gemütlichkeit auf Friesisch – das Reetdachhaus
Friesische Däumchen
Boßeln? Nie gehört! – Der Volkssport der Friesen
Kohl und Pinkel
Allein auf hoher See – der Leuchtturm Roter Sand
Miesmuscheln in Weißwein
Stelzen wie ein Marabu – Sankt Peter-Ording
Friesischer Butterkuchen „Marabu“
Das schwarze Gold von der Waterkant – Ölförderung auf Mittelplate
Senfschnitzel mit Steckrübengemüse
Fräulein mit Machtanspruch – Maria von Jever
Friesischer Schnippelbohneneintopf
Bastion wider den blanken Hans – das Eidersperrwerk
Büsumer Eierpunsch
Eala Frya Fresana, lever dood as Slaav! – Die Freiheit der Friesen
Ostfriesentorte
Moin Moin! – Gedanken über den Friesengruß
Scholle mit Speckstippe und Kartoffelsalat
Pisa ist längst aus dem Rennen! – Der schiefe Turm von Suurhusen
Ostfriesische Klütje – Hefekloß mit Birnensauce
Krokuspokus – das Blütenwunder von Husum
Husumer Krabbensalat
Ein Schiff auf der Wiese – der Nord-Ostsee-Kanal
Kohlrouladen nach norddeutscher Art
Das letzte Wort
Danksagung
Karte
Bilder
Deutschlands Küstengebiete sind zwei ungleiche Schwestern. Da ist zum einen die Ostsee, sanft und freundlich. Die andere der beiden hingegen ist herb und unberechenbar, launisch und gefährlich: die Nordsee.
Seit Menschengedenken drangsaliert sie die Küstenbewohner mit grauenhaften Stürmen, die das Wasser der nördlichen Eismeere mit unerbittlicher Wucht in die Deutsche Bucht drücken. Dann verschlingt es Mann und Maus, zurück bleibt nichts als das feuchte Elend. Die Gefahren der Nordsee und der sich ewig wandelnden Küste haben die Menschen hier seit jeher geprägt, sie spiegeln sich in alten Legenden und Geistergeschichten. Und sie zwangen die Menschen zu besonderen Maßnahmen, wenn sie überleben wollten. So bauten sie all die Deiche und Warften, Schleusen und Kanäle, die heute die Landschaft an Deutschlands Nordseeküste prägen.
Doch die oft so gnadenlose See ist auch Lebensspender. Sie ernährt einerseits die Menschen mit ihrem Reichtum an Meeresbewohnern. Und anderseits schenken auch die auf den ersten Blick so verheerenden Sturmfluten dem Land einen besonderen Schatz. Denn das Schwemmland der Nordseemarschen ist mit fruchtbaren Sedimenten bedeckt. Neben einzigartigen Salzwiesen, die Refugien für Seevögel und Weideland für Schafe bieten, gibt es die sandige Geest mit Heidelandschaft und endlosen Spargelfeldern. Im Niederland der Marschen floriert die Landwirtschaft, und an den Gestaden der Elbe findet sich Deutschlands größter Obstgarten, das Alte Land.
Hübsche Häuser, manchmal mit reetgedeckten Dächern, ducken sich hinter den Deich. Hier lebt ein besonderer Menschenschlag, wortkarg und eigensinnig, aber auch gesegnet mit einem ganz speziellen, trockenen Humor und voller Lebenskunst. Die Ostfriesen haben es sich wohlig eingerichtet und machen den Frostfingern des Nordseewindes mit ihrer einzigartigen Teekultur den Garaus. Zwischen gemütlichen Holländerstädtchen und weltoffenen Häfen findet jeder einen Ort zum Wohlfühlen, an endlosen Stränden, auf betörend schönen Inseln oder in den blühenden Gärten des Hinterlandes.
So individuell wie die Landschaft, so sind auch die kulinarischen Neigungen ihrer Bewohner. Von Kohl und Pinkel bis Labskaus enthüllen sie eine Kochkunst, deren Reize sich manch einem erst auf den zweiten Blick erschließen. Doch es lohnt sich durchaus, sie zu entdecken. Deshalb wird der bunte Bilderbogen unterhaltsamer Geschichten und Episoden in diesem Buch durch typische Rezepte ergänzt. Und zur Abrundung der Eindrücke erwartet Sie auf www.almutirmscher.de ein Fotoalbum mit vielen schönen Bildern von Deutschlands Nordseeküste.
Moin Moin! – Willkommen an Deutschlands Nordseeküste!
Dunkle Wolken haben sich jetzt vor der Küste zusammengeballt. Schaumkronen reiten auf den Wogen, die heftig gegen das Ufer rollen. Grimmig zerrt der Herbstwind an den Jacken der Männer, die mit Schaufeln am neuen Deich arbeiten. Sie sind dabei, eine Kuhle in der sich flach zur Küste hin absenkenden Deichwand zu schließen, rasch, denn die Dämmerung ist schon hereingebrochen, und sie sehnen sich nach der Wärme und Geborgenheit ihrer Kate, wo ein dampfender Tee die müden Glieder von der Frostigkeit befreien wird. Doch diese eine Arbeit müssen sie noch fertigbringen, ehe die Nacht den grausamen Sturm erweckt. Denn seine Flut könnte den neuen Deich und damit auch ihr ganzes Dorf ins Unheil stürzen.
Doch da stürmt Hauke herbei, der Deichgraf. Wutentbrannt stößt er die Schaufelträger beiseite und wühlt seine bloßen Hände in die Kuhle, die sie sich zu schließen bemüht hatten. Wild tastet er in der lockeren Erde umher. Da bekommt er endlich ein feuchtes, haariges Bündel zu packen und reißt es zu sich empor. Es ist ein junger Hund, zitternd und kläglich fiepend schmiegt er sich an des Deichgrafen Brust.
„Wie könnt ihr so etwas Barbarisches tun!“, brüllt dieser, „ihr abscheuliches Gesindel, mit dem Teufel seid ihr im Bunde!“
Er ist Hauke Haien, und er rettet den Hund davor, geopfert zu werden. Denn einem alten Aberglauben folgend wollten die Arbeiter etwas Lebendiges in den neu gebauten Deich eingraben. Hauke verhindert den grausamen Brauch, es ist ihm gleichgültig, dass die Dorfbewohner nun fürchten, auf dem Deich laste ein Fluch. Es ist eine raue und von Geisterglauben beseelte Welt, in der Hauke lebt, stets den Gefahren der nahen Nordsee und ihren Tücken ausgesetzt.
Doch dieser Hauke ist eigentlich kein liebenswerter Tierfreund. Gerne sitzt er stundenlang am Strand und schießt willkürlich Strandläufer mit Steinen ab, kleine, unschuldige Schnepfenvögel, in sinnloser Lust am Quälen. Hauke ist kein Gutmensch, er ist vielmehr eine janusköpfige Persönlichkeit, hin- und hergerissen zwischen Sanftmut, Liebe und Mitgefühl, Aggression, Grausamkeit und Hass. Fast könnte man meinen, er sei wie die Nordsee selbst, das Meer, an dessen Ufern er lebt. Er ist eine ganz besondere Gestalt, denn er ist kein Geringerer als der Schimmelreiter von Theodor Storm.
Den Dichter Theodor Storm faszinierten schon als Kind die Gespenstergeschichten Schleswig-Holsteins. Die Legende vom unheimlichen Schimmelreiter, welche zur Basis seines eigenen Werks wurde, nahm dabei für ihn eine Sonderstellung ein. Storm entwickelte daraus eine komplexe und tief greifende Geschichte, in der so viel dramatische Mystik steckt, dass die Novelle nicht nur zu großem Ruhm gelangte, sondern auch zu einer Art Sinnbild für norddeutsche Küstenromantik geriet. Der Schimmelreiter, dessen Silhouette sich einsam in sturmgepeitschter Nacht gegen den Himmel abhebt, ist ein Bild, das sich tief ins Unterbewusstsein eingräbt, und ein packendes Symbol für die Unbeherrschbarkeit der Nordsee.
Storms Schimmelreiter Hauke Haien war ein kluger Bursche, der schon als Knabe die Schwachstellen des Deichbaus erkannte. Mit diesem Wissen konstruierte er später einen neuen, weit besseren Deich, um seine eigene Scholle damit zu schützen. Doch so einfach gestaltete sich das natürlich alles nicht, es gab Machtkämpfe und Intrigen, Hass und Missgunst, einen alten Deich, der brach, und eine Flut, die Haukes Frau und Kind mit sich riss. Aus Verzweiflung stürzte sich Hauke mitsamt seinem Schimmel gleich hinterher, und so endeten auch diese beiden in der tosenden Flut.
Mit dem Pferd allerdings hatte es eine seltsame Bewandtnis. Hauke hatte es einst als heruntergekommene, klapprige Mähre von einem Reisenden gekauft und dann liebevoll aufgepäppelt. Dabei mutierte der Gaul zu einem prachtvollen Ross. Doch draußen, auf der einsamen Hallig Jeverssand, lag schon seit ungezählten Jahren ein Pferdeskelett herum, das mit dem Auftauchen des mysteriösen Schimmels plötzlich verschwand. War der Reisende der Leibhaftige selbst gewesen, der dem Pferdeskelett dämonisches Leben einhauchte, bevor er es an Hauke Haien übergab? Den Dorfbewohnern jedenfalls war der Schimmel stets zutiefst suspekt. Nicht besser wurde das, als manche hernach sogar behaupteten, das Skelett liege seit dem Fluttod des Schimmels wieder auf den Gestaden der Hallig Jeverssand...
Die Hattstedtermarsch und der Hattstedter Neue Koog im nordfriesischen Kreis sind der Schauplatz für Theodor Storms düstere Geschichte. Dieses Marschland war im 15. Jahrhundert mühevoll dem Meer abgerungen worden, und nur die Deiche konnten es davor bewahren, von den Fluten zurückerobert zu werden. Kein Wunder also, dass die ständige Bedrohung die Bewohner dieser Region zu schaurigen Legenden inspirierte. Hier, bei der Ortschaft Sterdebüll, gab es direkt am Deich eine Kneipe, den „Schimmelreiterkrug“, und vielleicht kam Theodor Storm einst an diesem Ort die Idee zu der Rahmenhandlung, in welche er die alte Erzählung eingebunden hat. Denn die Gruselgeschichte wird in der Novelle den Gästen einer alten Gastschenke erzählt.
Theodor Storm gilt als bedeutendster Vertreter des norddeutschen Realismus. Er wurde 1817 in Husum geboren, und ein schriftstellerischer Lebensweg war ihm eigentlich nicht vorgezeichnet, denn er studierte in Kiel Jura und unterhielt später eine eigene Rechtsanwaltskanzlei in Husum. Doch schon mit 15 Jahren verfasste er erste Verse, und die Ausdrucksform des Schreibens ließ ihn fortan nicht mehr los. Seine romantischen Gedichte und Novellen haben sich tief in die Seele Norddeutschlands eingegraben und darüber hinaus in die Sphären märchenhafter Traumwelten von ganzen Generationen. Denn wer hat sich nicht in der Kindheit zusammen mit dem unersättlichen kleinen Häwelmann auf den Weg zu den Sternen gemacht? Ist vorwitzig mit seinem Bettchen weit hinaus bis ins Sternenzelt gefahren, bis die Sterne vor Schreck vom Himmel purzelten, der Mond ärgerlich sein Licht auslöschte und schließlich die Sonne mahnend über den Horizont geschaut hat? Bis sie dann den frechen Häwelmann kurzerhand zur Strafe hinab ins große Meer befördert hat. Das Meer jedoch war friedlich, und dann kamen bekanntlich ich und du mit unserem Boot und brachten den Lausbub sicher zurück ans Ufer.
Doch wenn in sturmumtosten Nächten der Schimmelreiter oben auf dem Deich erscheint, so heißt es, dann droht dem Land eine große Gefahr. Denn in diesen Zeiten ist das Meer alles andere als friedlich, weil es sich zur alles vernichtenden großen Sturmflut sammelt. Jetzt sollten wir beide unser Boot schnellstens in Sicherheit bringen und hoffen, dass der kleine Häwelmann wohlbehalten zu Hause ist!
Zutaten für 4 Personen:
600 g Lammrücken (Deich- oder Salzwiesenlamm)
1 Gemüsezwiebel
2 Schalotten
3 aromatische Äpfel
4 Möhren
¼ Sellerieknolle
6 mittelgroße Kartoffeln
1 kl. Bund Blattpetersilie
500 ml Lammfond
½ Tl. gemahlene Muskatnuss Speiseöl
1 Tl. gemahlener Zimt Pfeffer, Salz
Zubereitung:
Das Fleisch waschen, trocken tupfen und in mundgerechte Würfel schneiden. Die Gemüsezwiebel schälen und grob würfeln, die Schalotten schälen und fein würfeln. Möhren und Sellerie putzen und in kleine Würfel schneiden, Kartoffeln schälen, längs halbieren und dann teilen. Die Äpfel schälen, vierteln und das Kerngehäuse entfernen, dann die Äpfel in ca. ½ cm dicke Scheiben schneiden. Die Petersilienblättchen abzupfen und fein hacken.
In einem Schmortopf etwas Speiseöl stark erhitzen und das Fleisch darin ringsum gut anbräunen. Zum Schluss die Schalotten hinzugeben und kurz mit anbraten. Mit dem Lammfond ablöschen, aufkochen lassen und nun Möhren, Sellerie, Gemüsezwiebel und Kartoffeln hinzugeben. Die Hitze reduzieren und mit Salz, Pfeffer, Muskatnuss und Zimt würzen. Zehn Minuten lang köcheln lassen, dann die Äpfel hinzugeben und alles weitere zehn Minuten schmoren lassen.
Vom Herd nehmen, die Petersilie unterrühren und auf Suppentellern servieren.
Dazu ein kräftiges Bauernbrot reichen.
Wie wichtig die Deiche für das Überleben an der Nordseeküste sind, wussten die Menschen nicht erst seit Hauke Haien. Denn so friedlich das Wattenmeer der Deutschen Bucht bei ruhiger See auch erscheinen mag, nie darf man vergessen, dass hinter ihm die geballte Macht des Europäischen Nordmeers lauert. Seit jeher legte man daher penibelsten Wert auf die Pflege und Erneuerung der Deiche. Ein altes Sprichwort drückt es so aus: „Keen nich will dieken, de mutt wieken“ – „wer nicht will deichen, der muss weichen“. War es früher die Aufgabe der hinterm Deich lebenden Anrainer, sich unter Oberaufsicht des jeweiligen Deichgrafen um ihr Deichstück zu kümmern, so haben heute längst Deichverbände diese Aufgabe übernommen. Der durchgehend gleich stabile Zustand der Deiche ist nämlich unabdingbar, bricht der Schutzwall an nur einer einzigen vernachlässigten Stelle, so zieht das weite Flächen des Hinterlandes in Mitleidenschaft.
Wie fürchterlich die Folgen davon sind, haben die großen Sturmfluten den Menschen schon immer vor Augen geführt. Noch gar nicht allzu lange liegt es zurück, dass das Grauen wieder einmal über sie hereinbrach und viele Tote forderte. Es handelte sich um die große Flutkatastrophe von 1962, und sie traf vor allem die Bewohner der Stadt Hamburg, die doch tief im Binnenland liegt. Wie konnte das passieren?
Jener Winter 1961/1962 zeigte sich weit stürmischer als die Winter anderer Jahre. Ohne Unterlass tobten Orkane über das Nordmeer zwischen Norwegen, Island und Spitzbergen hinweg und wühlten dessen Fluten auf. Sie drückten das Wasser zunehmend von dort in die Nordsee, deren Wasserstand immer höher stieg. Er lag im Februar schon deutlich über dem normalen Pegel, war aber noch lange nicht bedrohlich.
Doch dann braute sich ein neuer Orkan über Island zusammen und machte sich auf den Weg in Richtung Südschweden. Weil die vorhergehenden Orkane die Tief- und Hochdruckgebiete über der Region bereits stark polarisiert und zu kräftigen Extremen aufgebauscht hatten, gewann dieser neue Orkan so viel Kraft, dass seine Windgeschwindigkeiten die Kapazität der damaligen Messgeräte deutlich überstiegen. Mit aller Gewalt drückte dieser Sturm das Wasser am 16. Februar in die Deutsche Bucht.
Nun machte es sich bezahlt, dass die Küstenbewohner ihre Deiche gut in Schuss gehalten hatten. Zwar gab es unter der heranbrausenden kolossalen Flut überall schwere Schäden an den Deichen. Böschungen rutschten ab, und drohende Durchbrüche konnten nur durch ein massives Aufgebot an Hilfskräften verhindert werden, die Unmengen von Sandsäcken auftürmten. Manche Deiche wurden so schwer demoliert, dass hinterher nur noch ein Neubau infrage kam.
Doch die tatsächlichen Durchbrüche an den Seedeichen hielten sich in Grenzen. Die Schäden waren zwar schlimm, doch Mensch und Vieh kamen meist mit einem blauen Auge davon.
Ganz anders erging es den Anwohnern am Unterlauf der Elbe und den Bewohnern der Stadt Hamburg. Denn hier hatte man die Gefahr zu lange unterschätzt. Die Deiche am Unterlauf der Elbe waren unzulänglich, nicht hoch genug und viel zu schwach. Ein wirksames Sperrwerk gab es noch nicht, und so drückte die gesamte Wassergewalt, die ringsum an der Küste von den Seedeichen aufgehalten worden war, in den Lauf der Elbe hinein wie in einen gewaltigen Trichter.
Die Flussdeiche brachen und die umliegenden Gebiete versanken in der salzigen Flut. Das Alte Land meldete Land unter, die Stadt Stade wurde großflächig überflutet. Es gab mehrere Tote. Schwere Zerstörungen markierten den Weg der Flutwelle, die unaufhaltsam flussaufwärts weiterrollte. Gegen Mitternacht erreichte sie Hamburg.
Hier hatten die Menschen mit so etwas nicht gerechnet. Schließlich ist die Nordsee rund 100 Kilometer entfernt, wie sollte sie da die Stadt Hamburg ernsthaft bedrohen können? Deshalb betrachtete man die Deiche weniger als Bollwerk gegen die Flut, sondern vielmehr als Teil des Stadtgebiets, das man nicht ungenutzt lassen wollte. So hatten die Hamburger ihre Deiche zu großen Teilen zweckentfremdet, Gebäude darauf errichtet und Kleingärten an den Böschungen angelegt. Besonders im Stadtteil Wilhelmsburg hatte diese Unsitte um sich gegriffen.
Hier befand sich der besonders breit angelegte Klütjenfelder Hauptdeich. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten Menschen, deren Wohnungen ausgebombt worden waren, das Areal in Kleingärten aufgeteilt und sich auf den Parzellen dauerhaft niedergelassen. Sie hatten die Grasnarbe abgetragen, um Wege, Hütten und Beete anzulegen. Doch die Grasnarbe ist ein ganz wesentliches Element für die Stabilität des Deichs. Deshalb ziehen allerorts Schäfer mit ihren Herden über die Deichanlagen, da die Tiere mit ihren kleinen Klauen die Grasnarbe immer wieder gleichmäßig festtreten und damit sichern.
Doch in Wilhelmsburg gab es keine Grasnarbe mehr. Zudem waren die Bombenschäden am Deich nur notdürftig mit Trümmerschutt ausgebessert worden. So kam es schnell zu großen Auswaschungen, die in rasender Geschwindigkeit zum Dammbruch führten. Für 200 Bewohner der Behelfshütten gab es keine Chance mehr. Die mehrere Meter hohe Schwallwelle der Flut ließ den gesamten Ortsteil unter sich versinken und riss dabei noch weitere Bewohner in den Tod. Sie bahnte sich ihren Weg weiter durch den Hamburger Hafen und überschwemmte Teile der Innenstadt. Ein Sechstel von Hamburg stand unter Wasser.
Die Behörden waren aufgrund der Wetterlage und der Meldungen aus den Küstengebieten eigentlich schon am Vorabend der Katastrophe gewarnt. Doch nahmen sie die Kassandrarufe nicht ernst. Auch in den Amtsstuben schien die Ansicht verbreitet zu sein, das doch so weit entfernte Meer stelle keine wirklich ernstzunehmende Gefahr dar. Als die Flut dann mitten in der Nacht über die Stadt hereinbrach, fielen die Telefonverbindungen, der Strom und das Verkehrsnetz abrupt aus. Das Chaos war perfekt.
Es gab keinerlei Pläne, was in einem solchen Fall getan werden könne. Persönliche Kalamitäten und Eifersüchteleien verhinderten außerdem die effektive Zusammenarbeit der Behörden. Entscheidungswege waren ungeklärt, wichtige Amtsleiter zogen es vor, zu Hause zu bleiben, statt sich dem Tohuwabohu auszusetzen. Erst als der damalige Hamburger Innensenator Helmut Schmidt in den Morgenstunden ein Machtwort sprach und sich kurz entschlossen an die Spitze der Einsatzleitung setzte, kam allmählich Ordnung in die Rettungsmaßnahmen.
Insgesamt forderte die Flutkatastrophe 340 Todesopfer, davon allein 315 in Hamburg. 20.000 Menschen verloren dort ihr Zuhause, 6.000 Gebäude wurden zerstört. Eine Welle der Hilfsbereitschaft linderte danach das größte Elend, das Spendenaufkommen erwies sich als phänomenal.
Vor allem aber wurde der Küstenschutz endlich überall ernst genommen und neu strukturiert. Deichanlagen wurden auf Grundlage modernster ingenieurwissenschaftlicher Erkenntnisse komplett neu errichtet. Gebäude, Bäume und sonstige Anlagen im Deichbereich mussten konsequent weichen. Deicherhöhungen, Vordeichungen und Sturmflutsperrwerke an Elbe, Weser und Eider sorgten von nun an für zusätzlichen Schutz der an den Flüssen liegenden Gebiete. Mit Erfolg: Als 1976 eine Flut gegen Hamburg rollte, die sogar noch einen Meter höher war als die Flut von 1962, hielten die Deiche. Die Hamburger und die Bewohner der Küstenregionen konnten endlich aufatmen.
Zutaten für 4 Personen:
1 kg Knochen vom Holsteiner Katenschinken (beim Metzger vorbestellen)
200 g Erbsen (tiefgekühlt)
150 g Pastinaken
1 Zwiebel
1 Stange Porree
¼ Sellerieknolle
3 festkochende Birnen (Speckbirnen)
150 g Backpflaumen
100 g getrocknete Apfelringe
1 Tasse fein gehackte Kräuter (Dill, Thymian, Estragon, Majoran, Kerbel, Petersilie)
3 El Essig
60 g Zucker
80 g Butter (zimmerwarm)
40 g Mehl
Muskatnuss, Salz, Pfeffer
Zubereitung:
Pastinaken, Zwiebel und Sellerie schälen und würfeln, Porree putzen und in Ringe schneiden. Apfelringe und Backpflaumen in lauwarmem Wasser einweichen. Birnen schälen, entkernen und vierteln. Die Hälfte des Zuckers und 2 Tassen Wasser in einen Topf geben, gut vermischen und die Birnen hinzugeben. Aufkochen, 15 Minuten ziehen und dann abkühlen lassen.
Den Knochen in einem Topf mit 2 Litern Wasser zum Kochen bringen und 1 Stunde lang köcheln lassen. Sodann Pastinaken, Erbsen, Zwiebeln, Sellerie, Porree sowie Backpflaumen und Apfelringe mitsamt dem Einweichwasser hinzugeben und das Ganze ½ Stunde lang köcheln lassen. Anschließend den Knochen herausnehmen, das Fleisch davon lösen und zurück in die Suppe geben.
Die Butter mit dem Mehl verkneten, mit der Schöpfkelle etwas Brühe aus dem Topf entnehmen und darunterrühren. Diese Mischung in die Suppe einrühren und unter Rühren aufkochen. Mit dem Essig, dem Rest des Zuckers, Muskatnuss, Pfeffer und Salz würzen. Zum Schluss die Kräuter unterrühren und alles noch ein paar Minuten lang ziehen lassen.
Mit den kalten Birnen servieren.
Eine Aalsuppe ohne Aal?
Es heißt, dass mit dem Namen der Suppe eigentlich gar nicht der schlangenartige Fisch gemeint ist. Denn die Aalsuppe soll ein Resteessen sein, hinein kommt „aalens, was noch da is“, und das sind Knochen und Gemüsereste. Zur Aufwertung kommt noch das Trockenobst hinzu.
Tatsächlich ist aber heftig umstritten, ob in die Aalsuppe nun Aal hineingehört oder nicht. Manche behaupten, der Aal sei später nur deshalb in die Suppe hineingeraten, um den ständigen Missverständnissen vorzubeugen. Andere bestreiten das vehement und behaupten, der Fisch gehöre auf jeden Fall in die Suppe, da diese traditionell ein Armeleuteessen aus aalreichen Bezirken sei.
Ich wage es nicht, hier Position zu beziehen.
Doch selbstverständlich kann man die Suppe auch mit Aal zubereiten. Dazu benötigt man als weitere Zutat 300 g Aalfilet, in ca. 1 cm breite Stücke geschnitten. Den Fisch gibt man 15 Minuten vor dem Servieren in die Suppe und lässt ihn bei mittlerer Hitze mitköcheln.
Man kann auch noch zusätzlich etwas Räucheraal und Brot zur Suppe reichen.
Entscheiden Sie selbst!
Geister, Stürme und todbringende Flut – unser Einstieg in die friesischen Küstenregionen war alles andere als heimelig. Höchste Zeit also für ein bisschen Wärme und Gemütlichkeit, und da ist es ganz passend, dass meine ostfriesische Freundin Doortje mich heute Nachmittag zum Tee eingeladen hat. Ostfriesen trinken gerne Tee, das ist ja allgemein bekannt.
Ein kalter Windhauch von draußen drängt sich mit mir in die Stube, als ich bei Doortje eintrete. Rasch schließt sie die Türe hinter mir, und der mit weiß-blauen Kacheln verzierte Kaminofen verbreitet Behaglichkeit im Zimmer. Mitten darin steht die Teetafel, die Doortje bereits liebevoll gedeckt hat. Die zierlichen, dünnwandigen Porzellantässchen schmückt eine „ostfriesische Rose“, dazu passend steht in der Mitte des Tischs auf einem Stövchen eine dickbauchige Kanne.
Einst kam das feine Geschirr zusammen mit dem Tee aus dem fernen China, war entsprechend teuer und hoch begehrt. Als zu Beginn des 18. Jahrhunderts erstmals in Dresden das Geheimnis der Porzellanherstellung gelüftet wurde, begann man in Ostfriesland, das edle Geschirr von dort zu importieren, weil es natürlich günstiger war. Doch bei Mustern und Form orientierte man sich weiterhin am gewohnten chinesischen Design. Zwei Dekors setzten sich durch: eine blaue Bemalung, „Blau Dresmer“ genannt, und die rote Rose, „Rood Dresmer“. Beide erfreuen sich ihrer Beliebtheit bis zum heutigen Tag. Denn es sieht nicht nur nett aus, der Tee entfaltet sein Aroma im hauchzarten Porzellan auch besonders gut. Zudem strömt die Wärme aus dem Tässchen leicht nach draußen und sorgt so für ein wohliges Gefühl beim Teetrinker, der vom friesischen Wind durchgekühlt ist. Und es besteht keine Gefahr, dass der Tee zu schnell abkühlen könnte, denn die Tässchen sind sehr klein und werden auch nur bis zur Hälfte befüllt.
Neben Kanne und Tässchen gehört auch eine Teedose zum Porzellanset. Früher gab es außerdem noch eine Porzellanschale, in der die Tässchen zwischen den einzelnen Befüllungen kurz ausgespült wurden, denn die Teeblätter schwammen lose im Tee herum. Heute benutzt man jedoch ein Sieb, wenn man den Tee in die Tasse füllt.
Und das geht jetzt keineswegs schnell von der Hand. Doortje grinst und erklärt, dass es Leute gibt, die beherzt zugreifen und ihr Tässchen randvoll kippen. Diese freilich haben keine Ahnung, was sie da tun. Natürlich wird kein Ostfriese sie zurechtweisen, denn Besserwisserei ist nicht des Ostfriesen Art. Stoisch und gutmütig wird er den Frevel ertragen, doch kann der ungehobelte Gast gewiss sein, dass man ihn nicht noch einmal zum Tee „nögt“, also einlädt.
Denn was hier stattfindet, ist kein einfaches Teetrinken, es ist vielmehr die ostfriesische Teezeremonie, und die hat ihre Regeln.
Da ist zunächst die Zeit. Mit Tee beginnt der Tag, und mit Tee geht er zu Ende. Den ersten Tee gibt es also am frühen Morgen, den letzten abends zwischen acht und neun Uhr. Die willkommene Unterbrechung am Vormittag ist der „Elführtje“, der „Elf-Uhr-Tee“. Er ist besonders bei älteren Leuten beliebt, die während des Teegenusses zur Tageszeitung greifen oder sich mit Nachbarn zu Klatsch und Tratsch treffen – zum „Klönschnack“. Die entsprechende „Teetied“ am Nachmittag findet gegen fünfzehn Uhr statt. Und weil es nicht von ungefähr heißt, „ostfriesische Gemütlichkeit hält stets ein Tässchen Tee bereit“, gibt es für Gäste auch zu jeder anderen Tageszeit eine frisch aufgebrühte Tasse Tee.
Eine? Nein, da findet gleich der nächste Spruch Anwendung, denn es heißt „dree is Oostfresen Recht“, mit anderen Worten, drei Tässchen müssen es schon sein. Diese Regelung stammt aus der Zeit, als Tee knapp und teuer war, damals nahm man sich die Freiheit, wenigstens drei Tassen genießen zu dürfen.
Heute gilt andersherum, dass mindestens drei Tassen getrunken werden sollten. Und hier kommt der Teelöffel ins Spiel, der neben dem Tässchen liegt: Möchte man keinen Tee mehr, so legt man den Löffel in die Tasse, das signalisiert dem Gastgeber, dass man fertig ist. Es ist die einzige Funktion des Teelöffels, denn damit im Tässchen herumzurühren, wäre gleich der nächste Frevel und ist deshalb strikt untersagt.