Das Rom-Lesebuch - Almut Irmscher - E-Book

Das Rom-Lesebuch E-Book

Almut Irmscher

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Beschreibung

Rom – Ewige Stadt! In keiner anderen Metropole verschmelzen die Epochen der abendländischen Kultur zu solch einer großartigen Gesamtinszenierung wie hier. In Rom begegnen sich Antike und Moderne, Barock und Renaissance, Kultur, Kunst, Politik und die Völker dieser Erde. In den Gassen der Altstadt wartet an jeder Ecke eine neue faszinierende Entdeckung, und über den Dächern und Kuppeln spiegelt sich der Widerschein der Jahrtausende. Dieses Buch erzählt Geschichten aus Rom. Von monumentalen Ereignissen bis zu kleinen Begebenheiten am Straßenrand, von großer Historie bis zur beschaulichen Gegenwart einzelner Menschen. Abgerundet wird der bunte Episodenreigen durch Rezepte für die typischen Spezialitäten der italienischen Hauptstadt. Kommen Sie mit auf eine unterhaltsame und abwechslungsreiche Reise durch Rom!

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Seitenzahl: 220

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Almut Irmscher

Das Rom-Lesebuch

Impressionen und Rezepte aus der Ewigen Stadt

Inhalt

Einführung

Die Stunde der Wölfin – wie Rom aus dem Ei kroch

Gnocchi alla romana – römische Grießnocken

Salsa di carciofi e pomodori – Sauce aus Artischocken und Tomaten

Begegnung mit der Vergangenheit – ein Abend auf dem Monte Pincio

Coda alla vaccinara – Ochsenschwanz-ragout auf römische Art

Eine Stadt aus Marmor – die zweite Geburt von Rom

Globi – Mohnknödel aus dem Alten Rom

Als Hollywood am Tiber lag – vom Flair einer glamourösen Zeit

Crostata di visciole alla romana – römischer Sauerkirschkuchen

Der Papst und ich – vatikanische Zusammenkünfte

Baccalà alla romana – Stockfisch auf römische Art

Von Feuer, Intrigen und Mord – Rom in der Hand eines Wahnsinnigen

Carnes in folium – altrömische Frikadellen in Weinblättern

Zwischen Plüsch und Kunst – das Antico Caffè Greco

Carciofi alla giudia – Artischocken auf jüdische Art

Alle Schätze dieser Erde – die päpstlichen Sammlungen

Saltimbocca alla romana – Kalbsschnitzel auf römische Art

Im Bann der Unterwelt – die Toten von Rom

Stracciatella alla romana – Einlaufsuppe auf römische Art

Brot und Spiele – das Theater des Grauens

Maccheroni alla romana – Makkaroni auf römische Art

Mäzene und Magie – ein römisches Märchen

Grattachecca al limone – eine römische Erfrischung

Die Vögel – Fluch und Spektakel

Pollo alla romana – Hähnchen auf römische Art

Avantgarde statt Antike – Rom geht neue Wege

Straccetti di manzo – ein römisches Fleischgericht

Wie man die Jahrtausende durchsteht – das Pantheon

Spaghetti alla Carbonara

Klassik und Charisma – das Kapitol und seine Museen

Supplì – frittierte Reisbällchen

Kleine Ursache mit schlimmen Folgen – Rom zur Zeit des Mark Aurel

Musulum – altrömischer Honigwein

Die Päpstin und der sprechende Torso – Olimpia Maidalchini

Torta di Fragole – Erdbeertorte

Die Strahlen des Sonnengottes – Rom, Stadt der Obelisken

Bucatini alla matriciana – ein Nudelgericht

Pandorata – Arme Ritter auf römische Art

Wo die Zeiten verschmelzen – das Internet des Alten Roms

Fave con pecorino– Dicke Bohnen mit Pecorino

Brunnen, Brücken, Monumente – ein letzter Spaziergang durch Rom

Cazzimpero – eine Sauce mit Gemüse

Das letzte Wort

Danksagung

Karte

Einführung

Ich stehe auf einer Dachterrasse und schaue über die Stadt. Mit stetem Brausen und dem Lärm von Hupen und Sirenen singt sie ihr ewiges Lied, einen Satz in der Sinfonie, die sie seit vielen Jahrhunderten unermüdlich erklingen lässt. Nur ihre Instrumente hat sie im Lauf der Zeiten gewechselt. Einst sind es wohl laute Rufe, rollende Fuhrwerksräder, Hufgeklapper und marschierende Legionärsfüße gewesen. Doch ruhig war es bestimmt niemals über den Dächern von Rom, der Weltenherrscherin. Rom ist die Mutter unserer abendländischen Kultur, das Machtzentrum der Antike, das Herz der Christenheit und die Muse der Schönheit. Rom ist eine nie versiegende Quelle von Inspiration, Lebensfreude und Genuss, aber auch von Machtwillen, Prestigesucht, Intrigen und Gewalt.

Ich habe immer geglaubt, diese Stadt gut zu kennen. Schon als Kind bin ich zum ersten Mal hier gewesen, und drei Wochen lang führten meine kulturbeflissenen Eltern mich durch die Gassen von Rom. Dabei hielten sie stets den Baedeker in der Hand, keine Kirche, kein barockes Monument, kein antiker Stein blieb unerklärt. Viele Male bin ich seither zurückgekehrt, Rom ist mir eine alte Vertraute.

Und doch ist es immer wieder neu, wartet an jeder Ecke mit Überraschungen auf, verzaubert und reizt die Sinne unermüdlich aus einem nie versiegenden Füllhorn, sodass es mir fast den Atem raubt. Rom ist ein Spektakel, eine Weltbühne von einzigartiger Pracht.

Ich blicke über seine Dächer hinweg, ein buntes Mosaik aus üppig begrünten Dachgärten, brüchigen Ziegeln, neugierig herauslugenden Fenstern, überragt von Kirchtürmen, von großen und kleinen Kuppeln, von turmhohen Pinien. Über all dem thront die weiße Silhouette des Vittorio-Emanuele-II.-Denkmals wie ein aufrüttelnder Paukenschlag, der fast etwas zu gewollt an die vergangene Weltmacht der Antike gemahnt. Und die herrliche Kuppel des Petersdoms als imposanter Fingerzeig des Geltungsanspruchs der römisch-katholischen Kirche.

Während die sinkende Sonne dieses prächtige Gemälde allmählich in goldenes Licht taucht, genieße ich den Anblick und denke, tatsächlich, Rom muss wohl wirklich die Ewige Stadt sein. Schon seit vorchristlicher Zeit schmückt es sich stolz mit dem Attribut, „ewig“, also unvergänglich zu sein. Dies ist Ausdruck des unerschütterlichen Selbstbewusstseins der Römer, die keinen Zweifel daran hegten, dass ihre Metropole ein Günstling der Götter sein müsse, von Jupiter selbst zur Herrscherin über alle Zeiten bestimmt.

Und ging auch die antike Macht verloren, so blieb doch Roms Bedeutung als Zentrum von Kunst und Kultur durch die Jahrhunderte hindurch erhalten. Das ist vor allem dem Einfluss der römisch-katholischen Kirche geschuldet, der großen Machthaberin des Mittelalters, deren Dreh- und Angelpunkt fast immer Rom gewesen ist.

Deshalb blieb Rom auch stets ein Schmelztiegel der Kulturen und der Völker. Die Römer der Antike brachten Sklaven aus aller Herren Länder in ihre Heimatstadt, und diese blieben, sodass ihre Nachfahren selbst zu Römern wurden. Im Mittelalter sorgten der Glaube, der Handel und die Politik für Zulauf aus ganz Europa und dem Mittelmeerraum. Und heute kommen Menschen von allen Kontinenten. Rom ist eines der beliebtesten Touristenziele weltweit, hinzu kommt die enorme Schar frommer Pilger. Um die neun Millionen Gäste finden sich alljährlich in der Drei-Millionen-Metropole ein.

Deshalb quellen Altstadt, Museen, Ausgrabungsstätten, Kirchen und allen voran der Petersdom und die Vatikanischen Museen geradezu über vor Besuchern. Unablässig und zu allen Tages- und Nachtzeiten füllen diese wie ein Strom bunter Ameisen die Gassen der Stadt. Die Römer, so scheint es, tragen es mit Fassung. Sie gehen nonchalant darüber hinweg oder ziehen geschickt ihren Nutzen aus der unerschöpflichen Quelle wirtschaftlichen Potenzials, genau wie die allgegenwärtigen Straßenhändler. Waren diese in meiner Kindheit noch Süditaliener, die Dias, Postkarten und dergleichen an den Reisenden zu bringen versuchten, so haben sich inzwischen meist illegale Einwanderer auf diesen Geschäftszweig spezialisiert. Findig und umtriebig bieten sie – ganz nach jeweiligem Bedarf – bei Regen einfache Taschenschirme, bei Hitze gekühlte Getränke, an romantischen Abenden rote Rosen und ansonsten billige Selfie-Sticks und sonstigen Nippes an. Die Stadt versucht, dem oft ziemlich aufdringlichen Gebaren dieser Händler durch strikte Verbote beizukommen, genau wie den als Legionäre verkleideten Schlitzohren, die Touristen für ein gemeinsames Foto einen unverschämt hohen Obolus abverlangen.

Schier unüberschaubar ist das Angebot an mehr oder weniger noblen Geschäften, an Restaurants, Schnellpizzerien und Souvenirläden in der historischen Mitte von Rom. So mutiert die Altstadt zu einem einzigen großen Jahrmarkt der Möglichkeiten, die Reisekasse schleunigst zu erleichtern. Dass Roms Herz angesichts dieses schillernden Gedränges überhaupt noch leben und pulsieren kann, verdankt es einer städtischen Verordnung, der zufolge innerhalb bestimmter Grenzen der Altstadt nur solche Kraftfahrzeuge verkehren dürfen, deren Halter zuvor eine saftige Gebühr entrichtet haben. Und das sind immer noch erstaunlich viele.

Doch in all diesem Durcheinander, dem Chaos und der Kakophonie bewahrt sich Rom dennoch seine Würde, seine Gelassenheit und seinen Charme. Das verdankt es vielleicht der stolzen Selbstgewissheit, die es in den Jahrtausenden gewonnen hat, vielleicht der mediterranen Leichtigkeit, vielleicht auch dem beruhigenden Wissen um die eigene Ewigkeit – oder einer Mischung aus alldem.

Rom war die erste Weltstadt, die ich als Kind kennenlernen durfte. Ich habe danach noch viele andere große Städte besucht. Fragt man mich, welche davon mir am besten gefallen hat, so möchte ich antworten wie einst Audrey Hepburn in der Filmlegende „Ein Herz und eine Krone“ von 1953. Zögernd beginnt sie mit den wohlüberlegten Worten: „Jede auf ihre Art…“, um dann alle Diplomatie und kluge Gewandtheit mit erlöstem Lächeln fallen zu lassen. Seufzend schmilzt sie dahin und bekennt frei heraus: „Rom!“

Begleiten Sie mich auf eine Reise durch diese wunderbare Stadt. Sammeln wir ein paar Eindrücke und Erlebnisse, ohne dabei jemals dem Anspruch gerecht werden zu wollen, ein umfassendes Bild von Rom zu gewinnen. Denn auch das gehört zum Zauber Roms: Es erfindet sich immer wieder neu, es wartet mit immer neuen Geschichten auf, es lässt sich immer wieder neu entdecken. Schlagen wir einen Bogen durch die Jahrhunderte und öffnen wir ein paar Seiten in der glanzvollen Enzyklopädie dieser Stadt. Auf meiner Website www.almutirmscher.de finden Sie ergänzend dazu ein Fotoalbum mit vielen visuellen Eindrücken aus der Ewigen Stadt.

Wir alle wissen, wie es einst begann: Sieben-fünf-drei, Rom kroch aus dem Ei. Fangen wir also ganz am Anfang an.

 

Bienvenuti a Roma – willkommen in Rom!

 

Die Stunde der Wölfin – wie Rom aus dem Ei kroch

In den Albaner Bergen liegt gerahmt von blühenden Oleanderbüschen, von Feigenkakteen, Akazien und sattgrünen Lorbeersträuchern die weite Mulde eines vulkanischen Maars. Sanft streicht eine leichte Brise über das tiefblaue Wasser, in dem sich das Strahlen des Himmels widerspiegelt, und hohe Pinien spenden wohltuenden Schatten an den friedlichen Gestaden. Aeneas, Sohn der Aphrodite und Held von Troja, kam einst nach seiner langen Flucht aus der zerstörten Stadt hierher. Im Angesicht der lieblichen Schönheit dieser Landschaft fand er endlich Ruhe und erwählte sie zu seiner neuen Heimat. Iulus, sein Sohn, gründete dem Vater zu Ehren die Stadt Alba Longa am Ufer des Maars, das heute den Namen Albaner See trägt.

Weise und mit ruhiger Hand herrschten die Nachfahren des Aeneas von nun an als Könige in dieser Stadt. Unter ihrer Führung erblühte Alba Longa zur Hauptstadt und zum kulturellen Herzen der Region, in der das Volk der Latiner lebte. Deren Vorfahren waren einst von Norden her über die Alpen kommend eingewandert und hatten sich im mittleren Westen der italienischen Halbinsel niedergelassen, umgeben von den Territorien der Etrusker und der Umbrer. Ihre Sprache war das Lateinische.

Ein paar Jahrhunderte hindurch führten die Einwohner und die Regenten von Alba Longa ein gutes Leben, bis eines Tages der Keim des Neides im Herzen eines der Ihren zu sprießen begann. Es handelte sich um Amulius, den jüngeren Bruder des herrschenden Königs Numitor. Viele Jahre lang hatte er seinen Bruder auf dem Thron gesehen, und als Numitor allmählich älter wurde, da erwachte in Amulius die Hoffnung, bald selbst den begehrten Platz einnehmen zu können. Numitor besaß nämlich nur eine einzige, noch unverheiratete Tochter, die hübsche Rhea Silvia. Noch konnte also kein legitimer männlicher Thronfolger den Anspruch des Amulius gefährden.

Doch unglücklicherweise blieb Numitor bei bester Gesundheit. So wurde Amulius schließlich des Wartens überdrüssig und stürzte den Bruder gewaltsam vom Thron. Seine Nichte Rhea Silvia zwang er, ins Kloster zu gehen. Als Vestalin musste die junge Frau jetzt der Göttin von Heim und Herd dienen und ein Leben in strikter Keuschheit führen. Somit konnte sichergestellt werden, dass dem entmachteten Numitor kein Enkel geboren würde, der seinerseits eines Tages Anspruch auf den Thron von Alba Longa erheben könnte.

Doch der durchtriebene Plan des Amulius ging nicht auf. An einem lauen Sommerabend, als Rhea Silvia am Ufer des Albaner Sees kniete, um Wasser für ein religiöses Ritual zu schöpfen, da brach unvermittelt ein wilder Gewittersturm los. Umzuckt von Blitzen und begleitet von fürchterlichen Donnerschlägen trat der mächtige Kriegsgott Mars aus den bedrohlich wabernden Unwetterwolken hervor. Erschrocken zog Rhea Silvia den Faltenwurf ihres Vestalinnengewandes enger um die Schultern, doch vergebens. Ohne Rücksicht oder Mitleid vergewaltigte der rohe Wüstling die verzweifelte Frau.

Die Untat des Gottes blieb nicht ohne Folgen. Neun Monate später gebar Rhea Silvia ein Zwillingspärchen, zwei propere und kerngesunde Knaben. Amulius tobte vor Wut. Wie konnte bloß so ein fürchterliches Missgeschick geschehen? Ganz klar, dass Rhea Silvia ihr Leben verwirkt hatte. Denn eine Vestalin, die ihr Keuschheitsgelübde brach, erwartete der Tod. Amulius ließ sie in den Tiber werfen, jenen Fluss, der unterhalb der Berge verlief und zum Meer hinströmte. Dort würde sie in den Untiefen der Fluten versinken und das schreckliche Ende finden, das sie sich selbst zuzuschreiben hatte. Um sicherzustellen, dass die Delinquentin nicht wieder auftauchen konnte, ließ Amulius ihr noch einen Stein an die Füße binden.

So versank die Unglückselige in den Wogen des Tiber. Doch hier herrschte Tiberinus, der Gott dieses Flusses, und als er die ertrinkende Schönheit in seinem Wasser erblickte, da rührte sie sein Herz. Er rettete sie nicht nur, er schenkte ihr auch die Unsterblichkeit und nahm sie zur Frau. Doch das sollte der böse Amulius nie erfahren.

Dieser machte sich unterdessen keine großen Gedanken darum, was mit den beiden Sprösslingen seiner Nichte geschehen solle. Keine Frage, auch mit denen musste kurzer Prozess gemacht werden. Er befahl deshalb einem Diener, die Knaben zu erdolchen, und betrachtete den Fall damit als erledigt.

Den Diener aber befielen Skrupel, als er mit dem Dolch vor den unschuldigen Säuglingen stand. Nein, er konnte sie nicht ermorden. Niemand durfte das von ihm verlangen, und gewiss würden die Götter ihn verfluchen, sollte er eine solch frevelhafte Tat begehen. Ein göttliches Strafgericht wäre unzweifelhaft schlimmer als das des Amulius. Doch auch dessen Zorn war nicht zu unterschätzen, sollte er Wind von der Befehlsverweigerung bekommen. In seiner Not legte der Diener die Babys deshalb in einen Weidenkorb und übergab diesen dem Wasser des Tiber. Sollten die Götter doch selbst einen Ausweg aus dem Schlamassel finden!

Tiberinus, der Gott des Flusses Tiber, schüttelte den Kopf. Diese Menschen gingen ihm langsam auf die Nerven. Schon wieder zwangen sie ihn dazu, zwei der Ihren aus seinem Wasser zu fischen! Tiberinus hievte die Säuglinge ans Ufer und legte sie unter einen Feigenbaum, den Ficus Ruminalis, der am Fuß des Hügels Palatin wuchs. Dann pfiff er nach Mamma Lupa, der Wölfin, die in der Gegend lebte. Er erklärte dem Tier, dass die neugeborenen Kinder unmöglich in seinem Wasser überleben könnten und er als Gott auch Wichtigeres zu tun habe, als sich mit Säuglingspflege zu beschäftigen. Davon, dass er seine junge Frau lieber für sich allein haben wollte, als sie mit den zwei schreienden Bälgern zu teilen, sagte er lieber nichts. Stattdessen befahl er der Wölfin, sich vorerst um die beiden zu kümmern, bis sich eine bessere Lösung finden würde. Die Wölfin war ein freundliches Wesen, deshalb schleppte sie die Kinder in ihre Höhle, bettete sie auf trockenem Laub und säugte sie.

Schon bald darauf geschah es, dass Faustulus, der königliche Schweinehirt des Amulius, vorbeikam und die beiden Knaben entdeckte. Er hatte die ganze Angelegenheit natürlich mitbekommen und ahnte deshalb sogleich, dass es sich nur um die Kinder der bedauernswerten Rhea Silvia handeln konnte. Aber das behielt er für sich. Er nahm die Zwillinge mit nach Hause, gab ihnen die Namen Romulus und Remus und zog sie an Kindes statt auf. Ganz wie ihr Ziehvater Faustulus wurden auch Romulus und Remus zu Schweinehirten.

Nun verhielt es sich aber so, dass der entmachtete Numitor über ein paar Viehherden verfügte, die seine Hirten eines Tages in die Weidegründe rings um den Hügel Palatin trieben. Dort hüteten allerdings die inzwischen 18-jährigen Zwillinge Romulus und Remus ihre Schweine, und deshalb kam es zum Streit. Zunächst verjagten Romulus und Remus zwar die Hirten des Numitor, doch lauerten diese ihnen später auf, nahmen Remus gefangen und verschleppten ihn zu Numitor nach Alba Longa. Wutentbrannt wollte Romulus hinterhereilen, um den Bruder zu befreien, doch Faustulus hielt ihn zurück. Da sei noch etwas Wichtiges, das er ihm mitteilen müsse, begann der Ziehvater, und klärte Romulus endlich über die wahren Umstände seiner Herkunft auf.

Nun wusste Romulus, dass die Sache so einfach nicht werden würde. Das alte Unrecht musste schließlich endlich gesühnt und die rechte Ordnung wiederhergestellt werden! So sammelte er erst einmal eine Streitmacht um sich, danach begab er sich zu seinem Großvater Numitor und erstattete diesem Bericht. Numitor war überglücklich, seine verloren geglaubten Enkel wiedergefunden zu haben, und rief nun ebenfalls seine Männer zusammen. Gemeinsam zogen sie gegen den niederträchtigen Amulius, jagten ihn vom Thron und töteten den Unhold.

Nun bestieg also Numitor wieder den Königsthron von Alba Longa. Dankbar und voller Stolz betrachtete er seine Enkel, und endlich fiel ihm ein, wie er die beiden belohnen konnte: Er erlaubte ihnen großmütig, eine eigene Stadt an der Stelle zu gründen, an der sie aus den Fluten des Tiber gerettet und von der Wölfin gesäugt worden waren.

Das war vielleicht eine gute Idee, aber nicht gründlich genug durchdacht. Denn als die Brüder unter dem Feigenbaum Ficus Ruminalis saßen und besprachen, wer von ihnen Namensgeber der neuen Stadt sein solle, da konnten sie sich nicht einigen und gerieten in heftigen Streit. Erst nach Stunden beruhigten sie sich einigermaßen und fassten den Entschluss, ein Adlerflug-Orakel zu Rate zu ziehen.

Doch ist die Zwietracht erst einmal gesät, lässt sie sich nicht mehr so leicht aus der Welt schaffen. Jeder der beiden behauptete am Ende, das Orakel habe in seinem Sinne gesprochen, und nur, weil Romulus dank seiner Streitmacht über mehr Anhänger verfügte, ging er als Sieger aus der Zankerei hervor. Remus zog sich schmollend zurück und beobachtete voller Groll, wie Romulus eine Furche durch das Land zog, um den künftigen Verlauf der Stadtmauern festzulegen. Gleich darauf begannen Romulus und seine Leute, Felsbrocken und Geröll entlang dieser Furche als Befestigung aufzuschütten.

Remus kochte inzwischen vor unbändiger Wut, und die stachelte ihn schließlich zum Handeln an. Das konnte er doch nun wirklich nicht auf sich sitzen lassen! Er würde Romulus zum Gespött der Leute machen und einfach über dessen noch niedrige Stadtmauer hinwegspringen. Sollte doch jedermann sehen, wie lächerlich diese Befestigungsanlage war!

So hüpfte Remus feixend über das Mäuerchen und schnitt Romulus dabei auch noch eine hämische Grimasse. Das aber stellte ein übles Sakrileg dar, denn eine Stadtmauer galt als heilig und unantastbar. Romulus fackelte nicht lange, sondern erschlug den vorwitzigen Bruder mit den Worten: „So möge es jedem ergehen, der über meine Mauern springt!“ Dies geschah am 21. April des Jahres 753 v. Chr.

So war jetzt Romulus der unangefochtene Alleinherrscher der neuen Stadt und gab ihr folgerichtig den Namen Rom. Um rasch Bevölkerungszuwachs zu erhalten, öffnete er die Tore Roms als Zufluchtsort für alle Verbannten, alle Heimatlosen und alle Flüchtlinge. Doch diese Leute stellten sich durch die Bank nur als Männer heraus! Das bot nun wirklich keine geeignete Ausgangsbasis für die Entwicklung der neuen Stadt. Woher sollte man denn jetzt Frauen nehmen, wenn nicht stehlen?

Die Antwort des Romulus sah ganz einfach aus: Man musste die Frauen eben kurzerhand stehlen! So ließ er seine Leute ein schönes großes Fest zu Ehren des Gottes Neptun ausrichten, mit reichlich Wein, köstlichen Speisen, Spiel und Spaß. An die Sabiner, die auf den umliegenden Hügeln lebten, schickte er scheinheilig eine freundliche Einladung.

Angesichts der Aussicht auf einen angenehmen Zeitvertreib nahmen die Sabiner dankbar an und kamen nach Rom. Und als sie nun entspannt herumsaßen und das Festmahl genossen, da stürzten sich die Römer auf sie und entrissen ihnen die jungen, unverheirateten Frauen. Die infamen Räuber stießen dabei kaum auf Gegenwehr, denn die arglosen Gäste waren unbewaffnet.

Entsetzt flohen die Sabiner zurück in ihre Dörfer. Es dauerte sehr lange, bis sie sich von dem Schock erholten, dann aber zogen sie eine Streitmacht zusammen. Auf einem Schlachtfeld stellten sie sich dem Heer der Römer entgegen, und um ein Haar wäre es zum blutigen Scharmützel gekommen, hätten sich nicht die geraubten Sabinerinnen zwischen die Streithähne geworfen.

Hört auf damit, schimpften die Frauen, das hat doch keinen Sinn! Hier auf der einen Seite stehen unsere Väter und Brüder, auf der anderen unsere Männer und unsere Kinder, sollen wir denn dabei zusehen, wie ihr euch gegenseitig umbringt?

Da reichten sich die Männer die Hände und schlossen Frieden. Ja, mehr noch, sie vereinten ihre Herrschaftsgebiete zu einem einzigen Stadtstaat, gemeinsam geführt von Romulus und dem König der Sabiner. Als Regierungssitz wählten sie das Kapitol, einen der Hügel, auf dem die Sabiner siedelten.

37 Jahre lang regierte Romulus als König von Rom. Doch dann, er kann kaum älter als 55 Jahre gewesen sein, kontrollierte er gerade sein Heer auf dem Marsfeld vor den Toren der Stadt, als mit einem Mal eine Sonnenfinsternis heranbrach und das Land in Dunkelheit stürzte. Zeitgleich erhob sich ein schrecklicher Orkan über dem Marsfeld. Da wurde Romulus vor den Augen seiner Männer in die Lüfte gerissen und von den schwarzen Sturmwolken auf Nimmerwiedersehen verschlungen.

Die Stadt jedoch, die er gegründet hatte, sah einer großen Zukunft entgegen. Um den Ficus Ruminalis herum, jenen Feigenbaum, unter dem die Zwillinge einst der Wölfin anvertraut worden waren, entstand das Forum Romanum. Das Patriziergeschlecht der Julier, dessen berühmtester Spross Gaius Julius Caesar sein würde, führte seine Abstammung über Romulus und dessen Vorfahren Iulus, den Gründer von Alba Longa, direkt auf den sagenhaften Aeneas zurück.

Die Stadt Alba Longa am Ufer des Albaner Sees fiel dem dritten König von Rom zum Opfer, der keine konkurrierende Macht in seiner Nähe dulden wollte. Er ließ Alba Longa im Jahr 665 v. Chr. dem Erdboden gleichmachen. Wo es einst gelegen haben soll, befindet sich heute die kleine Stadt Castel Gandolfo, die dank der dortigen Sommerresidenz der Päpste berühmt wurde.

Die Wölfin hat man in Rom fortan als Liebesgöttin verehrt. Ihre Priesterinnen waren die „Lupae“, ein Wort, mit dem in Rom aber auch Prostituierte bezeichnet wurden. Was wiederum eine völlig neue Interpretationsmöglichkeit für die Geschichte der Rettung von Romulus und Remus eröffnet…

Gnocchi alla romana – römische Grießnocken

Zutaten für 4 Personen:

600 ml Milch

150 g Hartweizengrieß (fein gemahlen)

100 g Butter

1 Ei

100 g geriebener Parmesankäse

Muskatnuss

Salz, Pfeffer

Butter zum Einfetten

Zubereitung:

Die Milch zusammen mit 30 g Butter in einen Topf geben, aufkochen lassen und sofort die Hitze reduzieren. Salzen, pfeffern, mit Muskatnuss würzen und anschließend unter Rühren den Grieß einrieseln lassen. 5 Minuten lang rührend köcheln lassen, dann vom Herd nehmen, 50 g Parmesan unterheben, den Topf mit dem Deckel verschließen und die Masse 10 Minuten quellen lassen. Danach das verquirlte Ei unterrühren und die Masse auf einem zuvor kalt abgespülten Backblech ca. 2 cm dick mit einem breiten Messer ausstreichen, zwischendurch das Messer immer wieder in kaltes Wasser halten.

30 Minuten lang in den Kühlschrank stellen. Anschließend die Masse mit einem immer wieder kalt abgespülten Messer in Quadrate von ca. 5 x 5 cm Größe schneiden.

Eine große, flache Auflaufform oder ein Backblech mit hohem Rand mit Butter einfetten und die Gnocchi darin ziegelartig überlappend nebeneinander aufschichten. Die restliche Butter erhitzen, bis sie flüssig ist, und die Gnocchi damit an der Oberseite bestreichen. Mit dem restlichen Parmesan bestreuen und ca. 30 Minuten lang im auf 220°C vorgeheizten Backofen backen, bis die Oberseite zu bräunen beginnt.

Die Gnocchi eignen sich als Beilage zu Fleischgerichten oder werden mit einer Sauce verspeist, zum Beispiel:

Salsa di carciofi e pomodori – Sauce aus Artischocken und Tomaten

Zutaten für 4 Personen:

2 Schalotten

800 g Artischockenböden (aus der Dose, abgetropft, oder Artischockenherzen)

800 g Tomaten aus der Dose (gewürfelt)

150 ml Weißwein

2 Knoblauchzehen

1 Zweig Rosmarin

Olivenöl, Pfeffer, Salz

Zubereitung:

Schalotten und Knoblauchzehen schälen und fein hacken. Die Artischockenböden in Würfel mit ca. 1 cm Kantenlänge schneiden.

In einem Topf etwas Olivenöl erhitzen und die Schalotten darin glasig andünsten. Mit dem Weißwein ablöschen, aufkochen und um die Hälfte einreduzieren lassen. Nun Knoblauch, Tomaten, Artischocken und den Rosmarinzweig hinzugeben, salzen, pfeffern, aufkochen und anschließend bei milder Hitze 15 Minuten lang köcheln lassen, dabei gelegentlich umrühren.

Den Rosmarinzweig entfernen und die Sauce auf vier Tellern verteilen. Die Gnocchi jeweils obenauf anrichten.

Alternativ kann man die Sauce in eine Auflaufform geben, die noch nicht gebackenen Gnocchi darauflegen und alles zusammen überbacken.

Begegnung mit der Vergangenheit – ein Abend auf dem Monte Pincio

Nun stehe ich auf einem der Hügel Roms und schaue wieder einmal über die Stadt. Fast 2.800 Jahre sind vergangen, seit Rom gegründet wurde. Wie viele Geschichten mögen sich in dieser unvorstellbar langen Zeit hier zugetragen haben, wie viele Tragödien, wie viele Momente großen und kleinen Glücks? Wie viele bedeutende Persönlichkeiten haben die Tore der Stadt im Wandel der Zeiten durchschritten?

Viele davon haben Rom wohl ganz in meiner Nähe betreten. Denn ich stehe auf der Terrazza del Pincio, der Aussichtsterrasse auf dem Monte Pincio. Zu meinen Füßen liegt im Tal die Porta del Popolo in der Aurelianischen Stadtmauer, jener mächtigen Befestigungsanlage, die im 3. nachchristlichen Jahrhundert entstand und bis zum heutigen Tag beinahe vollständig erhalten geblieben ist. Ihre Mauern sind nach Verstärkungsmaßnahmen im 4. Jahrhundert fast elf Meter hoch und an die dreieinhalb Meter dick, und ihre Gesamtlänge beträgt stolze 19 Kilometer. 18 Tore führten früher durch diese Mauer in die Stadt hinein, und alle 30 Meter gab es einen Wachturm. Zahlreiche noch ältere Gebäude, die sich vor den Toren Roms befunden hatten, integrierten die Baumeister kurzerhand in die Aurelianische Stadtmauer, so die Cestius-Pyramide, das Grabmal des im Jahre 12 v. Chr. gestorbenen Volkstribuns Gaius Cestius Epulo. Die mit hellem Marmor und Travertingestein verkleidete Pyramide ist 36,4 Meter hoch und kann damit immerhin mit einem Viertel der Höhe der Cheops-Pyramide aufwarten.

Aber auch das Grabmal des Kaisers Hadrian, die spätere Engelsburg, außerdem ein Lager der Prätorianergarde, ein Amphitheater und Teile der Aqua Claudia, eines der wichtigsten Aquädukte, die Rom mit Frischwasser versorgten, baute man der Einfachheit halber in die Stadtmauer ein.

Wer die Stadt betreten wollte, der musste zunächst eines der streng bewachten Tore in der Aurelianischen Stadtmauer passieren. Der Porta del Popolo kam dabei eine herausragende Rolle zu, denn zu ihr hin führten die wichtigen Einfallstraßen Via Flaminia und Via Cassia, über die Reisende aus Richtung Norden nach Rom gelangten.

Wer sie durchschritt, fand sich sogleich auf der großartigen Piazza del Popolo, jenem imposanten, von einem knapp 24 Meter hohen altägyptischen Obelisken geschmückten Platz, und jedermann muss sogleich klar gewesen sein, mit was für einer herausragenden und mächtigen Stadt er es hier zu tun hatte. Die Piazza del Popolo gehört heute wieder dem Volk, nach dem sie wohl auch benannt ist, denn „popolo“ heißt nichts anderes als „Bevölkerung“. Man vermutet, dass die Piazza zu ihrem Namen kam, weil sie einst mit dem Geld des römischen Volkes bezahlt worden ist.

Zwischenzeitlich gehörte die Piazza del Popolo allerdings nicht mehr dem Volk. Vielmehr hatten die Autos sie erobert und vollständig in Beschlag genommen. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich als Kind überhaupt nicht nachvollziehen konnte, warum mein Vater so viel Aufhebens um diesen Platz machte. Denn der war nichts als ein chaotischer, komplett zugestellter Parkplatz, rings umkreist von einem nie abreißenden Strom aus hupenden und drängelnden Fahrzeugen, den man als Fußgänger nur unter Lebensgefahr durchqueren konnte.

Deshalb schaue ich jetzt fasziniert von der Terrazza del Pincio hinab auf die Piazza del Popolo. Inzwischen ist diese nämlich längst für Kraftfahrzeuge aller Art gesperrt. Nun ist es wieder, wie es sein sollte: Auf der Piazza wird flaniert, hier und da stehen ein paar Leute zusammen und plaudern, und auf den Stufen des Löwenbrunnens in der Platzmitte ruhen sich müde Spaziergänger aus. Ab und zu fährt jemand mit dem Fahrrad oder einem E-Scooter quer über die Piazza, aber alles in allem hat sie zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückgefunden: Sie ist ein wunderbares Geschenk der Bürger von Rom. Ein urbaner, kosmopolitischer, würdevoller und vor allem überragend schöner Platz.