Das Ostsee-Lesebuch - Almut Irmscher - E-Book

Das Ostsee-Lesebuch E-Book

Almut Irmscher

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Beschreibung

Eine sanfte Brise weht über das Meer herbei, leise wiegen sich die Dünengräser darin. Strahlend blauer Himmel, azurfarbenes Wasser, blendend weißer Sand – hier ist die nordische Antwort auf alle Südseeträume. Wir sind am Baltischen Meer, der kühlen und doch sanften Schönheit, dem Tor zu Nordeuropa. Deutschland kann eine fast 750 Kilometer lange Küstenlinie an der Ostsee aufweisen, mit feinsandigen Badestränden, markanten Steilküsten, idyllischen Fischerdörfern, mondänen Seebädern und altehrwürdigen Hafenstädten – Orte zum Entdecken, Staunen, und Genießen. Dazu spiegelt diese Region die deutsche Geschichte wie kaum eine andere wider, mit ihren hellen genauso wie mit ihren dunklen Kapiteln. Dieses Buch führt Sie auf eine unterhaltsame Erlebnisreise entlang der deutschen Ostseeküste. Abgerundet werden die Eindrücke von typischen Rezepten, die den Geschmack der Ostseeküche an den Gaumen zaubern.

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Almut Irmscher

Das Ostsee-Lesebuch

Impressionen und Rezepte von der deutschen Ostseeküste

Inhalt

Einführung

Tango gefällig? – Willkommen an der Ostsee!

Kieler Poller

Heute an Bord, morgen geht’s fort – Gorch Fock auf hoher See

Erbsen-Kartoffelsuppe mit Speck

Feiern bis die Schwarte kracht – die Kieler Woche

Backfisch in Bierteig mit Knoblauchsauce

Die vergessene Stadt der Wikinger – Haithabu

Gewürzwein nach Art der Wikinger

Von Malern und Bildhauern – die Küstenlandschaft der Ostsee

Soljanka – ein Eintopf aus dem Osten

Die weiße Stadt am Meer – Heiligendamm

Gänsebraten aus Heiligendamm

Der ewige Reiter – die Karl-May-Festspiele von Bad Segeberg

Winnetou in Ostholstein – bunte Bohnensuppe

Der Klotz von Klotz – Prora

Kohleintopf von der Insel Rügen

Asyl in der Holsteinischen Schweiz – die Rettung der Trakehner

Holsteiner Grütze

Brücke ins Nirgendwo – der Torso von Karnin

Usedomer Fischtüfte mit Gurkensalat und Ostseefisch

Schatz der Karibik – Flensburg und der Rum

Flensburger Rumtopf

Von Macht und Herrlichkeit – die Zeit der Hanse

Lübecker Muschelragout

Süße Versuchung – Lübeck und der Siegeszug des Marzipans

Lübecker Marzipantorte

Marzipan

In the Summertime… – Als Jimi Hendrix nach Fehmarn kam

Fehmarnsche Kröpel – eine Krapfenspezialität

Schiffer, Wohlstand, Farbenfreude – die Darßer Türen

Heringsstipp

Im Wandel der Zeiten – eine Kirche in Rostock

Mecklenburger Rippenbraten

Horst und die Adler – die Könige der Lüfte

Senfeier

Einer will hoch hinaus – von Braun und die Heeresversuchsanstalt Peenemünde

Usedomer Fischsuppe

Gut abgehangen – die Schuhe von Flensburg

Flensburger Präsidentencreme

Endstation Travemünde – die Viermastbark Passat

Travemünder Fischbuletten

Der Vilm – das Avalon der Ostsee

Mecklenburger Flugente mit Äpfeln und Bucheckern

Die chinesische Prinzessin und der Hippogryph – der Rasende Roland

Rügener Buttermilchplinsen mit Birnenkompott

Mürwik und Glücksburg – zwei Schlösser am Meer

Schnüüsch – eine Gemüsesuppe

Gib niemals auf – die Geschichte vom kleinen Heinrich

Matjesfilet mit Speckkartoffeln und Bohnen

Japan ist weiß und liegt an der Ostsee – Eindrücke aus Timmendorfer Strand

Timmendorfer Pflaumenkuchen

Gärtner mit Biss – die Geltinger Birk und ihre Wildpferde

Mädchenröte – ein Dessert von der Halbinsel Angeln

Nasses Grab und leuchtende Geister – versunken in Eckernförde

Scharfe Kieler Sprotten vom Grill

Als Wallenstein auf der Gorch Fock nach Irland fuhr – ein Besuch in Stralsund

Stralsunder Schmorgurkengemüse

Licht und Schatten – die dunkle Seite der Ostseeregion

Ostseefeuer – ein Schlehenlikör

Das letzte Wort

Danksagung

Karte

Bilder

Einführung

Die Ostsee ist die sanftmütige Schwester der rauen Nordsee. Meist zeigt sie ein freundliches Gesicht, und friedlich plätschern ihre Wellen gegen den Strand. Zwischen flachen Haff- und Boddenküsten, bizarren Steilküsten und weitläufigen Flussmündungen liegen Buchten mit weißem, feinsandigem Strand, und das Meer erstrahlt in einem so leuchtenden Türkis, dass man sich in tropische Gefilde versetzt fühlt.

Doch die Ostsee ist auch das Tor zum Norden und Nordosten Europas. So haben Seefahrer das Antlitz ihrer Küsten seit jeher geprägt. Einst waren es bärbeißige Wikinger, die mit ihren schnellen Booten von Küste zu Küste kreuzten und Angst und Schrecken verbreiteten. Später kamen die Händler und gründeten hier einen mächtigen Bund, der das Leben Norddeutschlands im Mittelalter beherrschen sollte: die Hanse.

Die Machthaber aller Epochen haben der deutschen Ostseeregion ihren Stempel aufgedrückt. Die Nationalsozialisten hinterließen bizarre Konstrukte wie den gigantischen Koloss von Prora, später dümpelte die Region im Osten unter dem DDR-Regime dahin, während die Küstenorte im Westen den Bedürfnissen des aufkommenden Massentourismus angepasst wurden.

So gibt es heute idyllische Hafenorte und imposante alte Hansestädte, aber auch Betonwelten, die vom Zeitgeist der Siebzigerjahre hinterlassen wurden. Dazwischen liegen Inseln und malerische Landschaften, tiefe, urwüchsige Wälder und weite Felder, auf denen sich die Ähren in einer sanften Brise wiegen. Hier findet die Natur ihre Refugien, die Lebensräume an der Ostseeküste werden von Kegelrobben, Seeadlern und sogar von Wildpferden bevölkert. Im Frühjahr und im Herbst erobern unzählige Zugvögel die flachen Gewässer der Bodden und Haffs mit ihrem pulsierenden Getümmel.

Die Ostseeküche ist traditionell reich an Fischgerichten und nahrhaften Eintöpfen. Das fruchtbare Hinterland schenkt ihr eine reiche Vielfalt landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Außerdem hat der stetige Kontakt zu den Völkern im Osten die deutsche Ostseeküche nachhaltig beeinflusst.

Um die Ostsee-Impressionen abzurunden, wird der bunte Bilderbogen der Geschichten und Episoden in diesem Buch von typischen Rezepten ergänzt. Und auf der Internetseite www.almutirmscher.de erwartet Sie ein Fotoalbum mit vielen schönen Bildern von der Ostsee.

 

Willkommen an Deutschlands Ostseeküste!

Tango gefällig? – Willkommen an der Ostsee!

Vielleicht haben Sie mich ja schon auf meiner Reise entlang der deutschen Nordseeküste im Nordsee-Lesebuch begleitet. Erinnern Sie sich noch? Am Ende hatten wir ein Schiff bestiegen und waren dem knapp 100 Kilometer langen Verlauf des Nord-Ostsee-Kanals gefolgt, und so sind wir nun in Kiel-Holtenau angekommen. Gerade haben sich die schweren Stemmtore der großen Schleuse hinter uns geschlossen. Nun heißt es warten, denn mithilfe der Schleuse überwinden wir den Höhenunterschied zwischen Kanal und Ostsee. Der beträgt hier allerdings meist nur 20 bis 30 Zentimeter, trotzdem dauert die Prozedur gute 30 Minuten. Denn die Schleuse verhindert in erster Linie, dass das Wasser im Kanalbett ins Schwappen kommt.

Jetzt ist eine gute Gelegenheit für das Schiffspersonal, ein paar Erledigungen zu tätigen. Die Passage durch den Nord-Ostsee-Kanal ist ja meist nur ein kurzes Intermezzo auf einer weiten Fahrt. Da frischt man gerne die persönlichen Bestände auf, und so verlassen ein paar Matrosen das Schiff, um im kleinen Schleusenladen zollfrei einzukaufen. Hier gibt es alles, vom Wodka bis zur Zigarettenstange, und seine Briefe kann man auch einwerfen, aber natürlich darf der Schleusenbereich nicht verlassen werden. Das Schiff gilt als Hoheitsgebiet des Staates, unter dessen Flagge es fährt. Die Schiffe auf dem Nord-Ostsee-Kanal sind also so etwas wie kleine ausländische Territorien auf der Durchreise durch Deutschland, doch die Seeleute haben kein Visum und dürfen unser Land daher nur von Deck aus betrachten.

Für mich gilt das nicht, und deshalb verlasse ich das Schiff hier in Kiel-Holtenau. Gleich neben der Schleuse befindet sich eine große Aussichtsplattform, von der aus man den Schleusenvorgang in Ruhe beobachten kann. Langsam verändert sich der Wasserstand, die ersten Männer kommen mit Tüten zurück aus dem Laden. Und schließlich öffnet sich das Schiebetor schwerfällig in Richtung Ostsee. Wenn es ganz geöffnet ist, setzt das Schiff seine Fahrt fort in die Kieler Förde und weiter bis ins Baltikum. Die Abkürzung durch den Kanal hat ihm die beschwerliche Passage und den weiten Weg durch Skagerrak und Kattegat um die Nordspitze Dänemarks herum erspart, ein Riesenvorteil, besonders wenn es in Richtung Osten weitergehen soll. Ein bisschen wehmütig schaue ich hinterher, als das Schiff langsam in Richtung Horizont verschwindet. Es ist das Fernweh, das mich von fremden Gestaden träumen lässt, und ich male mir aus, wie mein Schiff in malerischen Hafenstädten vor Anker geht, weit im Osten, wo die Sonne aufgeht.

So bin ich schließlich zur anderen Seite des Kanals gekommen und schlendere den Tiessenkai entlang, wo man auf dem Weg zum roten Backsteinleuchtturm von Holtenau noch ein bisschen die Seefahrerromantik vergangener Zeiten erahnen kann. Während draußen auf dem Kanal die modernen Containerschiffe vorüberziehen, liegen hier noch echte Traditionssegler an der Pier, prächtige Dreimaster, manche davon mehr als 100 Jahre alt.

An Land wird das beschauliche Bild von alten Kontorhäusern und einem Packhaus abgerundet. Sie haben längst ausgedient und sind zu Wohn- und Geschäftshäusern umgebaut, und trotzdem liegt hier der Zauber einer beschaulichen Vergangenheit in der Luft. Es ist ein gemütliches Refugium im sonst so kühlen und nicht überall charmanten Kiel. Der Wiederaufbau nach dem Krieg musste schnell gehen, und so prägen im Wesentlichen kastenförmige Nachkriegsbauten das Gesicht der Stadt.

Aber nicht hier. Vor einem der alten Kontorhäuser sind Tische und Stühle aufgebaut und laden zum Verweilen ein. Aus der geöffneten Tür dringt Tangomusik heraus. Tango – das Musik gewordene Sinnbild der Sehnsucht, zugleich leidenschaftlich und kühl, verlockend und abweisend. Unwillkürlich denke ich an eine Hafenbar in Buenos Aires und stolze argentinische Tangueros, und schon entdecke ich schemenhafte Gestalten im Inneren der Kneipe. Sie wiegen sich zu den eckigen Rhythmen, eine Schuhspitze hebt sich vorwitzig und malt einen verwegenen Kreis in die Luft, während die Musik für den Moment eines Atemzugs bei einem langegezogenen Ton aus dem Schifferklavier verharrt, um sogleich in einer schwermütigen Melodie weiterzufließen.

Moment mal! Ich kneife kurz die Augen zusammen und schüttle den lateinamerikanischen Tagtraum von mir ab. Ich bin doch noch immer im biederen Kiel? „Hermann Tiessen“ prangt ein Schild neben dem Eingang, und „Schiffsausrüstungen“. Welche Art von Ausrüstungen sollen das denn sein? Tangokleider und Stöckelschuhe?

Des Rätsels Lösung ist auf seine Art auch eine originelle Geschichte voller Seefahrerromantik. Denn die heutige Tangokneipe war einst der Laden des Schiffsausrüsters Tiessen, nach dem der Kai schon seit den Siebzigerjahren benannt ist. Der alte Tiessen galt als Faktotum, bei ihm gab es alles, was das Seemannsherz begehrte. Sein Kontor war ein kleiner Tante-Emma-Laden, hier kaufte man Reis und Mehl, Gemüse und Konserven, aber auch allerhand Schiffszubehör, und was das Lager nicht hergab, das organisierte Tiessen im Handumdrehen. Es heißt, dass er einem Kapitän eine Tischtennisplatte besorgte und einem anderen ein Klavier, und wer nachts um drei eine Pudelmütze und ein paar Flaschen Bier brauchte, dem schob er beides bereitwillig über den Tresen.

Der Schiffsausrüster Tiessen stellte eine Kieler Institution dar, doch alles hat einmal ein Ende. 2005 schloss Tiessens letzter Nachfolger den Laden aus Altersgründen. Aus dem kleinen Verkaufsraum wurde ein schlichtes Café. Die Schilder draußen am Haus ließ der Nachbesitzer aus Pietät einfach hängen, die alten grünen Regale blieben stehen. Der Mann hatte als Kapitän die Welt bereist und in Argentinien seine Liebe zum Tango entdeckt, der er von nun an in seinem kleinen Schiffercafé so richtig frönte. Das gefiel nicht nur ihm, der Tiessenkai entwickelte sich fortan zu einer Art Klein-Argentinien. Deshalb setzt der heutige Besitzer die Tango-Tradition zumindest am Sonntagnachmittag weiter fort, und seit das Schiffercafé mit seinen Fischernetzen und Petroleumlampen als atmosphärisch dichter Drehort für den Kieler Tatort entdeckt wurde, ist es auch kein Geheimtipp mehr.

Aber es ist ein toller Ort, um bei einem Glas Wein am Kai zu sitzen, dem Schiffsbetrieb an der Schleuse zuzusehen und sich dabei von den melancholischen Tangoklängen mit auf die Reise nehmen zu lassen – zumindest in der Fantasie.

Kieler Poller

Zutaten für die Brötchen:

500 g Mehl

250 ml Milch

1 Ei

80 g Butter (zimmerwarm)

80 g Schweineschmalz

1 Würfel Hefe

Salz

Mehl für die Arbeitsplatte

Zutaten für den Braten:

1 Rollbraten aus gepökeltem Schweinebauchfleisch, an der Schwartenseite rautenförmig eingeschnitten (ca. 1,2 kg, etwa 5 Tage vor der Zubereitung beim Metzger vorbestellen)

1 kg Sauerkraut

Senf, Salz

Zubereitung der Brötchen:

Die Milch lauwarm erhitzen und Hefe und Butter darin auflösen. In eine Schüssel geben, das Mehl hineinsieben, salzen und das Ei dazugeben. Kräftig zu einem geschmeidigen Teig verkneten. Mit einem Geschirrtuch abdecken und an einem warmen Ort 40 Minuten lang gehen lassen. Anschließend den Teig noch einmal kräftig durchkneten.

Dann auf einer eingemehlten Arbeitsplatte zu einer dicken Rolle formen. Die Rolle in 8 bis 10 Stücke schneiden. Nun die Hände mit Schweineschmalz einfetten, aus den Stücken jeweils Brötchen formen und auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech legen. An der Oberseite kreuzförmig einschneiden. Abdecken und noch einmal 15 Minuten lang gehen lassen.

Den Backofen auf 180°C vorheizen. Eine Sprühflasche mit kräftig gesalzenem Wasser füllen und die Brötchen damit einsprühen, danach in den Ofen schieben. Nach etwa 15 Minuten noch einmal einsprühen und anschließend 5-10 Minuten lang weiterbacken, bis die Brötchen goldgelb sind. Herausnehmen und auf einem Rost abkühlen lassen.

Zubereitung des Bratens:

Den Backofen auf 150°C vorheizen. Den Braten mit der Schwartenseite nach oben in eine ausreichend große Auflaufform legen und auf der untersten Schiene in den Ofen stellen. Mit der Salzwasser-Sprühflasche während des Backvorgangs alle halbe Stunde den Rollbraten einsprühen.

Das Sauerkraut in einem Topf aufkochen und dann bei milder Hitze 2 Stunden lang köcheln lassen.

Nach 3 ½ Stunden den Rollbraten noch einmal einsprühen, dann die Hitze auf maximale Temperatur erhöhen. Den Braten weitere 30 Minuten lang knusprig backen, bis die Schwarte krosse Blasen wirft, anschließend aus dem Ofen nehmen, das Garn entfernen und den Braten in ca. 2 cm dicke Scheiben schneiden.

Die Brötchen aufschneiden, jeweils eine Scheibe Braten, etwas Senf und anschließend einen großen Löffel Sauerkraut darauflegen, zuklappen und genießen!

Man kann das Fleisch auch selbst einpökeln. Dazu kocht man 2 l Wasser mit 500 g Pökelsalz und 2 El Zucker, lässt es abkühlen und legt das Fleisch dann 4-10 Tage im Kühlschrank darin ein.

Heute an Bord, morgen geht’s fort – Gorch Fock auf hoher See

Kiel, Oktober 1975. Eine milde Herbstsonne lässt das Wasser der Förde in sattem Blau leuchten. Möwengeschrei liegt in der Luft, ein Hauch von Ferne weht über das Meer. Eine Schar von etwa 160 jungen Männern ist auf dem Weg zur Blücherbrücke, sie tragen strahlend weiße Uniformen und pralle Seesäcke. Mit energischen Schritten eilen sie voran, Aufregung und Anspannung zeichnen sich auf ihren jungen Gesichtern ab. Sie sind Kadetten der Offiziersschule, hinter ihnen liegt die Grundausbildung und vor ihnen die Feuertaufe: Sie brechen zu einer fünfwöchigen Reise auf Deutschlands Flaggschiff auf, dem schmucken Segler Gorch Fock.

Einer von ihnen ist mein zukünftiger Mann. Natürlich hat auch er 1971 den spannenden Vierteiler „Der Seewolf“ im ZDF gesehen und war von der dichten Atmosphäre aus Abenteuer und Seglerromantik gepackt. Ich selbst hätte damals am liebsten mein Bündel geschnürt und umgehend auf einem prächtigen Windjammer angeheuert, um ins Unbekannte aufzubrechen.

Doch wie groß ist die Ernüchterung der jungen Offiziersanwärter, als sie das stolze Aushängeschild der Deutschen Marine an der Pier liegen sehen! Ablandige Winde haben das Wasser aus der Kieler Förde gedrückt, wodurch der Wasserstand sehr niedrig ist. Die Gorch Fock duckt sich spielzeugklein an die Pier. Lächerlich! Und auf diesem Schiffchen sollen nun an die 230 Mann – ein Drittel davon Stammbesatzung, der Rest Re-kruten – fünf Wochen lang ausharren?

Wenn man der Gorch Fock dann näherkommt, ist das 1958 gebaute Schulschiff der Deutschen Marine doch gar nicht mehr so klein. Ihre Länge über alles, also vom hintersten festen Punkt am Heck bis zum Klüverbaumnock ganz vorne – mein Mann würde sagen, am Bug – sind es bis auf wenige fehlende Zentimeter satte 90 Meter. Die Gorch Fock verdrängt 2.000 Tonnen Wasser, hat eine Segelfläche von mehr als 2.000 Quadratmetern und drei Masten mit einer Höhe von 45 Metern im Vortopp, fast genauso vielen im Großtopp und immerhin noch knappen 40 Metern im Besantopp, mit anderen Worten hinten, wie ich als Laie sagen würde.

Kein Wunder also, dass die Enttäuschung der jungen Offiziersanwärter schnell wieder der Überwältigung Platz macht. Während das Marine-Musikkorps Ostsee dem auslaufenden Schulschiff ein paar feierliche Klänge hinterherschickt, geht es zunächst noch mit Motorkraft hinaus in die Förde. Hier kommt endlich der große Moment, alle Segel werden gesetzt und die Gorch Fock entfaltet ihre ganze Pracht. Es ist ein fantastisches Bild, das weiße Schiff mit seinen weißen Segeln, die weiß gekleidete Mannschaft und das endlose tiefblaue Meer unter einem nicht minder blauen Himmel. So scheint es, dass all die Seefahrerträume endlich Wirklichkeit geworden sind!

Der erste Tag verläuft mit ein paar harmlosen Manövern und endet um 22 Uhr – nein, nicht etwa in der Koje. Dafür ist nun doch nicht genug Platz auf der Gorch Fock. Es gibt Gemeinschaftsunterkünfte mit je rund 30 Hängematten, jeder bekommt einen 40 Zentimeter breiten und rund doppelt so hohen Kasten für seine persönlichen Utensilien – das ist alles.

Und schon am nächsten Tag ist es vorbei mit dem launigen Kreuzfahrerdasein. Von nun an heißt es für alle täglich um kurz nach sechs Uhr aufstehen. Dann folgt das Hängemattenmustern: Jeder muss seine Hängematte ordentlich zusammenpacken, denn der Platz wird im Laufe des Tages für den Unterricht gebraucht. Das Mattenbündel muss passgenau gerollt werden, früher einmal diente es bei Seenot als Schwimmweste – zumindest, bis es sich vollgesaugt hatte.

Dann folgt „Reinschiff“. Nur mit der Turnhose bekleidet wird als Frühsport mit dem Hängemattenpaket an Deck eine Runde gelaufen, sodann vollbringen die Jungs mit nacktem Oberkörper an Wasserschüsseln eine Katzenwäsche im Freien – auch, als die Tage kälter werden und eine dünne Eisschicht auf den Schüsseln zu schwimmen beginnt. Schließlich müssen sie fit sein für die nachfolgende Musterung.

Und außerdem handelt es sich um keine Vergnügungsreise. Die angehenden Offiziere sollen vielmehr gestählt werden. Und ganz nebenbei haben sie an Bord die beste Gelegenheit, ihren Teamgeist zu entwickeln.

Der Tag vergeht mit Unterricht in Theorie und Praxis. Praxis, das bedeutet, das Schiff allein mit Körperkraft zu bedienen, und so aus der Nähe betrachtet ist es gar kein lächerliches Spielzeug mehr, sondern ein harter Brocken. Hier werden in den nächsten Wochen Muskeln gebildet, zumindest von denen, die nicht durch die Seekrankheit niedergeworfen werden.

Letztere ereilt allerdings so manchen hoffnungsvollen Nachwuchsseemann. Wer Glück hat, dem geht es nach ein paar Tagen wieder besser. Aber die größten Pechvögel verbringen den Rest der Reise unter Deck, sie kehren dann abgemagert und mit grünen Gesichtern wieder heim. Welch ein Segen, dass man bei der Marine auch eine Offizierskarriere machen kann, ohne weiter zur See fahren zu müssen.

Für alle anderen heißt die Devise nun „aufentern“, und zwar nicht, indem man ein feindliches Schiff kapert, sondern vielmehr, indem man in die Takelage des Schiffs hinaufklettert. Ohne jede Sicherung geht es aufwärts in schwindelnde Höhe, und wie gefährlich das ist, haben die tragischen Unfälle der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Erst wenn oben in den Rahen die Position erreicht ist, können sich die Leute sichern. 1975 geschah das noch mit einem um den Körper geschlungenen Seil und einfachen Karabinerhaken. Hier, auf den Querstreben schwankender Rahen, werden dann die Segel mit vereinten Kräften gehisst oder eingeholt.

Im theoretischen Unterricht geht es später um Seemannsknoten und Spleißen, vor allem aber auch um die endlos vielen verschiedenen Taue auf der Gorch Fock, von denen jedes einen anderen Zweck erfüllt. Deren Namen und Funktion müssen nun auswendig gelernt werden, damit man sie im Schlaf auseinanderhalten kann.

Bevor das zu langweilig wird, geht es wieder an Deck, denn dessen Teakholz will in Schuss gehalten werden. Schließlich ist die Gorch Fock so etwas wie Deutschlands Visitenkarte, läuft sie in ausländische Häfen ein, soll sie picobello aussehen. Die Szene kommt mir aus dem „Seewolf“ bekannt vor: Nebeneinander knien die Jungs an Deck und schrubben jeden Zentimeter penibel mit Sand, Wasser und großen Steinen, den sogenannten „Gebetsbüchern“, dabei werden sie vom Kommandierenden mit Argusaugen bewacht.

Im Anschluss wird dann zum „Potatendrehen“ eingeteilt, noch so ein verhasster Dienst, denn das heißt nichts anderes, als stundenlang an Deck zu sitzen, vor sich einen Sack Kartoffeln, und diese unermüdlich schälen zu müssen. Es ist keine Gourmetkost, die in der Kombüse der Gorch Fock vor sich hin dampft.

Während der Nächte geht’s in Wechselschichten von je vier Stunden an Deck zum Wachehalten, geschlafen wird von nun an nur noch in kurzen Etappen. Doch nachts, wenn die jungen Männer rücklings an Deck liegen und in die Sterne schauen, erwacht sie wieder, die lang ersehnte Seefahrerromantik.

Zu anderen Zeiten stellt sie sich ein, wenn mit einem Mal eine Schule Tümmler auftaucht und das Schiff für eine Weile begleitet, es umkreist und sich spielerisch mit ihm zu vergnügen scheint. Oder wenn die Gorch Fock hübsch herausgeputzt in einen fremden Hafen einläuft, Deutschlands Stolz vor Anker geht und alle Seeleute wissen, dass sie Teil dieses Stolzes sind. Wenn sie dann wieder ablegt und die Matrosen mit Muskelkraft den schweren Anker einholen, während oben am Spill einer das Akkordeon erklingen lässt und vertraute Seemannslieder die Mannschaft zur Weiterfahrt einstimmen.

Mit dem Frohsinn ist es freilich vorbei, als wenige Tage später ein Sturm aufkommt. Das Schiff wird von den sich hochtürmenden Wogen hin- und hergeworfen, stampft und schlingert. Einer stolpert und hat einen Bänderriss, einer bricht sich das Nasenbein. Alle Verletzungen richtet der Schiffsarzt, und die anderen prägen sich ein: immer eine Hand für den Mann, eine Hand fürs Schiff!

Der Sturm wird schlimmer. Er fetzt das erste Segel weg. Bei der nächsten Böe reißt der Innenklüver. Die Männer kämpfen gegen die Macht der Naturgewalt und brauchen jetzt alle Kraft, um die Segel einzuholen. Der Sturm steigert sich zum Orkan mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 140 Stundenkilometern. Die See hat ein bedrohliches Grün angenommen, wütend tosen ihre Wogen. Auf einmal ist die eben noch so stolze Gorch Fock doch wieder klein wie ein Spielzeug, das sich im Winkel von 45 Grad zwischen brodelnder Gischt in die haushohen Monsterwellen neigt.

Als das Unwetter schließlich überstanden ist, hat es eins der Schiffsklos absaufen lassen. Der Inhalt, der sonst im Schiffsbauch in Tanks gelagert wird, steht 50 Zentimeter hoch im Toilettenraum. Da gibt es keine andere Wahl als Augen zu und durch. Mit Eimern schöpfen Matrosen die stinkende Brühe ab und kippen sie über Bord. Das ist natürlich streng verboten, aber die Not lässt keine andere Option. „Honigschleuder“ ist der Euphemismus, mit dem die Männer diese unerfreuliche Tätigkeit umschreiben.

Bevor die Gorch Fock schließlich wieder in den heimischen Hafen einlaufen kann, muss sie erst gründlich auf Vordermann gebracht werden. Einfaches Deckschrubben reicht jetzt nicht mehr, da wird Messing gewienert bis zum Abwinken und neue Farbe aufgetragen, bis alles wieder gleißt und blitzt. Wenn es dann endlich so weit ist, nehmen die Jungs Paradeaufstellung ein, was bedeutet, dass ein jeder in strahlend weißer Uniform auf seinen Platz in den Rahen hinaufklettert. Und da stehen sie dann in straffer Formation, wenn die Gorch Fock zurück in ihren Heimathafen Kiel einläuft, nach fünf harten Wochen auf See.

Hart, aber schön. Eine Erfahrung, die zumindest mein Mann um keinen Preis mehr missen will. Und nach dem ganzen Renovierungs-Fiasko wird die Gorch Fock auch in Zukunft wieder in See stechen, frisch aufgetakelt und mit neuen Rekruten hinaus auf hohe See.

Erbsen-Kartoffelsuppe mit Speck

Zutaten für 4 Personen:

500 g gelbe Erbsen

500 g Kartoffeln

300 g durchwachsener Speck (gewürfelt)

2 Möhren

¼ Sellerie

2 Zwiebeln

2 Lorbeerblätter

1 kl. Bund Petersilie

Speiseöl

geriebene Muskatnuss

Salz

Pfeffer

Zubereitung:

Die Erbsen abspülen und über Nacht in 2 l gesalzenem Wasser einweichen. Dann zusammen mit dem Wasser und den Lorbeerblättern erhitzen. Die Zwiebeln würfeln, Möhren und Sellerie klein schneiden, Kartoffeln schälen und würfeln.

In einer Pfanne etwas Speiseöl erhitzen und Zwiebeln und Speck kräftig anbraten. Anschließend zusammen mit Möhren und Sellerie zu den Erbsen geben. Aufkochen, die Hitze reduzieren, mit Pfeffer und Muskatnuss würzen und 1 Stunde köcheln lassen. Nun die Kartoffeln hinzugeben und alles weitere 20 Minuten köcheln lassen. Die Petersilie fein hacken und vor dem Servieren über die Suppe streuen.

 

Das ist ein typischer einfacher Seemannseintopf. Den Luxus frischer Petersilie gab es an Bord natürlich nicht. Bestenfalls noch eine Scheibe altbackenes Brot. Einkaufen konnte man nur, wenn das Schiff im Hafen lag, dazwischen blieb es aber wochenlang auf See.

Und natürlich wäre an dieser Stelle ein Rezept für Labskaus, das klassische Seefahrergericht, angemessen gewesen. Aber das steht schon im Nordsee-Lesebuch.

Feiern bis die Schwarte kracht – die Kieler Woche

Kiel, Sommer 2015. Unter vollen Segeln zieht die Gorch Fock einen wahren Reigen imposanter Rahsegler hinter sich her durch die Förde. Denn heute ist Windjammerparade, Höhepunkt der Kieler Woche. Mehr als 100 Groß- und Traditionssegler sind zu einem beispiellosen Defilee unter Führung der Gorch Fock aufgefahren, ihnen folgen historische Dampfschiffe und jede Menge kleiner Segelboote, ein unbeschreibliches Spektakel.

Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Gorch Fock an der Tripitzmole im Marinestützpunkt gelegen. Dieser Liegeplatz hat 1997 den an der alten Blücherbrücke abgelöst. Anlässlich der Kieler Woche lädt man hier zum „Open Ship“ ein, etliche Schiffe der Deutschen Marine sowie ausländischer Flottenverbände liegen an der Pier und lassen Besucher zu Besichtigungen an Bord. Da gibt es Zerstörer, Korvetten, Fregatten und Minensuchboote, doch die längste Schlange bildet sich auch 2015 vor der Gorch Fock. Natürlich will jeder mal über das Deck des Flaggschiffs der Deutschen Marine flanieren. Die Crew, die dabei Aufsicht führt, trägt es mit stoischer Fassung, wenn hunderte von Füßen mit nicht immer ganz sauberen Schuhen über das mühsam geschrubbte Teakholz trampeln und Tausende von Fingern ihre Tapser am penibel polierten Messing hinterlassen.

Auch wir sind dabei, mein Mann zeigt den Kindern stolz das schöne Schiff, bei dessen 47. Auslandsreise er 40 Jahre zuvor dabei gewesen ist. Jahrzehnte, die an der Gorch Fock scheinbar spurlos vorbeigegangen sind. Gute Pflege, das beweist jeder Quadratzentimeter. Es hapert nur an Stellen, die dem oberflächlichen Blick verborgen bleiben, was sich bei der Renovierung herausstellen soll, die im Dezember des gleichen Jahres beginnen und die Gorch Fock vorerst aus dem Verkehr ziehen wird.

Wir sind nach Kiel gekommen, um einmal die Kieler Woche zu erleben, jene legendäre Segelregatta, die schon seit Ende des 19. Jahrhunderts in der letzten vollen Juniwoche ausgetragen wird. Vom Olympiazentrum Schilksee aus finden die Wettfahrten statt. Angefangen mit der „Aalregatta“ nach Eckernförde und zurück kämpfen bei etlichen Rennen gute 5.000 Segler aus mehr als 50 Nationen in 16 verschiedenen Bootsklassen um die besten Plätze.