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Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! Der Kaffee war ausgezeichnet. Kitty hatte Oberschwester Elli keinen ihrer berühmten Kräutertees vorgesetzt, weil sie wußte, daß die Oberschwester Tee nicht nur nicht mochte, sondern ihn geradezu verabscheute. Sie trank ihn nur, wenn es gar nicht anders ging. Wenn sie ihn als Medizin trinken mußte. Aber sonst…? Es ging doch nichts über eine gute Tasse Kaffee! Kitty hatte kleine Teekuchen gebacken und war stolz, als ihr Oberschwester Elli schon zum zweiten Mal bescheinigte, daß sie unübertroffen im Backen von Teegebäck sei. »Kannst ja mal öfter herkommen«, sagte Kitty ruhig. »Dann kriegst du das Teegebäck vorgesetzt. Ich habe immer einen gewissen Vorrat da.« »Das soll ein Wort sein, Kitty. In meiner nächsten Freistunde tauche ich wieder bei dir auf.« Sie stand auf und strich sich den hellgrauen Rock glatt. »Aber jetzt wird es allerhöchste Zeit, daß ich zur Klinik zurückkehre. Ich habe mich selbstverständlich wieder bei dir verplaudert. Es ist aber auch immer hochinteressant, sich mit dir zu unterhalten.« Elli lachte Kitty an. Sie waren ungleiche Frauen, schon allein des großen Altersunterschiedes wegen – aber sie verstanden sich ausgezeichnet. Manchmal befolgte Elli sogar heimlich einen Rat der alten Kräuter-Kitty – aber sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als das auch zuzugeben.
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Der Kaffee war ausgezeichnet. Kitty hatte Oberschwester Elli keinen ihrer berühmten Kräutertees vorgesetzt, weil sie wußte, daß die Oberschwester Tee nicht nur nicht mochte, sondern ihn geradezu verabscheute. Sie trank ihn nur, wenn es gar nicht anders ging. Wenn sie ihn als Medizin trinken mußte. Aber sonst…? Es ging doch nichts über eine gute Tasse Kaffee!
Kitty hatte kleine Teekuchen gebacken und war stolz, als ihr Oberschwester Elli schon zum zweiten Mal bescheinigte, daß sie unübertroffen im Backen von Teegebäck sei.
»Kannst ja mal öfter herkommen«, sagte Kitty ruhig. »Dann kriegst du das Teegebäck vorgesetzt. Ich habe immer einen gewissen Vorrat da.«
»Das soll ein Wort sein, Kitty. In meiner nächsten Freistunde tauche ich wieder bei dir auf.« Sie stand auf und strich sich den hellgrauen Rock glatt. »Aber jetzt wird es allerhöchste Zeit, daß ich zur Klinik zurückkehre. Ich habe mich selbstverständlich wieder bei dir verplaudert. Es ist aber auch immer hochinteressant, sich mit dir zu unterhalten.« Elli lachte Kitty an.
Sie waren ungleiche Frauen, schon allein des großen Altersunterschiedes wegen – aber sie verstanden sich ausgezeichnet. Manchmal befolgte Elli sogar heimlich einen Rat der alten Kräuter-Kitty – aber sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als das auch zuzugeben.
Kitty ging eilig hinaus in den Garten und rief über die Schulter zurück: »Du wirst noch so viel Zeit haben, darauf zu warten, daß ich dir einen Strauß Blumen abschneide. Ich möchte, daß du dir Blumen mitnimmst, denn ich bin fest davon überzeugt, daß du so hübsche Blumen nicht kaufen kannst. Und wenn, dann sind sie schon nach spätestens zwei Tagen verwelkt. Meine Blumen halten sich aber, wenn du nur ein Stückchen Zucker in die Vase gibst. Zucker haben sie gern, und es ist nicht selten, daß sogar kleine Rosenknospen sich öffnen, wenn du meinen Rat befolgst.«
Elli stand, wie man zu sagen pflegt, »auf heißen Kohlen«, denn sie hatte sich wirklich ordentlich verplaudert. Hoffentlich vermißte man sie noch nicht in der Kinderklinik Birkenhain. Das hätte sie sich selbst nämlich so schnell nicht verziehen. Wer von anderen ordentliche Arbeit erwartete, der mußte auch mit gutem Beispiel vorangehen. Das war jedenfalls ihre Devise. Nun, und heute war sie wirklich nicht mit gutem Beispiel vorangegangen.
*
Während sich Oberschwester Elli mit höchst unnötigen Selbstvorwürfen auseinandersetzte, herrschte im nahen Zeltlager in der Heide Übermut. Man hatte sich müde getobt und saß nun im Halbkreis um die Lagerfeuerstelle. Das Feuer brannte noch nicht, aber man hatte schon den hohen Holzhaufen aufgeschichtet, in dem man in Folie gewickelte Kartoffeln briet und dazu den herrlichen Käse aß, den man im Dorf gekauft hatte. Dazu kam noch die wunderbare gelbe Butter, wie man sie in keinem Geschäft kaufen konnte. Es würde wieder mal ein Hochgenuß werden, und mehr als einer der Jungen schielte heimlich zur Uhr, obwohl noch keiner so richtig hungrig war. Aber allein die Aussicht auf das lukullische Abendessen war schon dazu angetan, Bärenhunger zu entwickeln.
Der neunjährige Simon Sanders lag neben dem großen Zelt und döste. Er war ein aufgeweckter, sportlicher Junge, Sohn eines Maschinen-Fabrikanten aus Bielefeld. Von Simon konnte man mit Fug und Recht behaupten, daß er nichts ausließ. Nichts an sportlichen Spielen, nichts an Streichen, die sie miteinander ausheckten, und auch nichts an Hilfe bei anderen, die nicht so geschickt mit dem Angeln waren wie er oder Mühe hatten, eine richtige Kochstelle aus Steinen zu bauen. Aber ebenso gern lag er auch abseits, döste vor sich hin und »erholte« sich, wie er es bezeichnete.
Simon befand sich in dem Zustand zwischen Wachen und Träumen, in dem man sich tagsüber so herrlich entspannen kann. Plötzlich spürte er im Unterbewußtsein, wie ihn etwas kitzelte. Mit der Hand schlug er nach der vermeintlichen Mücke und schnaufte laut auf, als er einen ganz gemeinen, stechenden Schmerz verspürte. Das war keine Mücke. Er stand auf, trat ins Zelt und holte den Taschenspiegel hervor. Über dem Ausschnitt des weißen T-Shirts, direkt über dem Kehlkopf, entdeckte er eine zerquetschte Biene.
»Mist!« sagte er laut und wandte sich Klaus Mencke, seinem besten Freund zu.
»Sagt man nicht, daß Bienen ihren Stachel verlieren, wenn sie einen Warmblüter gestochen haben?« fragte er. Klaus nickte.
»Sagt man«, gab er zurück.
»Na, dann sieh mal nach und zieh ihn mir heraus. Mich hat nämlich eine in den Hals gestochen, und es brennt höllisch.«
Simon setzte sich auf einen der Camping-Stühle, und Klaus neigte sich zu ihm hinab. Auf Anhieb fand er den Stachel und zog ihn mit Daumen- und Zeigefingernagel heraus, betrachtete ihn und sagte anerkennend: »Menschenskind, das ist aber ein Oschi! Komm, ich hab meine eigene Reiseapotheke da. Da muß auch etwas Salmiakgeist gegen Insektenstiche drin sein. Ist das beste Hausmittel, das ich dir empfehlen kann.« Simon nickte. Es war ihm egal, was man auf den Stich gab – Hauptsache, das Brennen hörte endlich auf. Es konnte einen ja verrückt machen!
Klaus machte einen Wattebausch mit Salmiakgeist naß und drückte ihn gegen den Bienenstich, der sich rot und deutlich sichtbar an Simons Hals abzeichnete. Es war ganz merkwürdig: Simon wurde immer nervöser und unruhiger. Sein Hals schmerzte, sein Rachen brannte, war trocken, obwohl er dauernd Mineralwasser trank. Dr. Volkert, der Klassenlehrer, der sich den Bienenstich angesehen hatte, schüttelte den Kopf. Er fand Simons Reaktion nicht normal und fragte mißtrauisch: »Könnte es sein, daß du allergisch gegen Bienengift bist, Simon?«
Der Junge, dem es sichtlich nicht gut ging, schüttelte den Kopf.
»Keine Ahnung. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht von einer Biene gestochen worden.«
»Ich finde, das sollte sich ein Arzt ansehen. Besser ist besser«, sagte Dr. Volkert und versuchte, sich seine Besorgnis nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. »Ich fahre am besten mal gleich mit dem Fahrrad zum Forsthaus hinüber. Von da aus kann ich sicher telefonieren.«
Simon sah zu Klaus, seinem besten Freund, auf und stieß mit seltsam heiserer Stimme hervor: »Sagt man nicht, daß die Bienen im Frühjahr besonders starkes Gift haben? Na, ich habe bestimmt eine doppelte Dosis davon abbekommen.«
Simon fröstelte, und dann erhob er sich und taumelte zu seiner Luftmatratze, ließ sich schwer daraufsinken und murmelte nur: »Wieso bin ich eigentlich plötzlich so kraftlos? Mein Kopf glüht, aber ich friere schrecklich. Und Luft bekomme ich auch fast keine mehr.«
»Bleib ganz ruhig liegen, Mann«, sagte Klaus und legte dem Freund besorgt auch noch seine eigene Decke über. Aber sie schien nicht viel zu nutzen, denn Simon zitterte vor Kälte, während sein Kopf ganz heiß war. Klaus hatte Angst um den Freund, aber er beherrschte sich. Er wollte ihn nicht noch zusätzlich aufregen, indem er seine Angst allzu deutlich zeigte.
*
In der Klinik Birkenhain hatte Dr. Camillo Olegra Dienst. Er hörte, was Dr. Volkert ihm berichtete, und wußte genau, was getan werden mußte. Er benachrichtigte Martin Schriewers, der den Notarztwagen gleich bereitmachte. Die Krankenwärter ließen sie meistens daheim, besonders wenn Dr. Olegra mitfuhr, denn der war sich nicht zu schade, auch mal anzupacken, wenn man einen Patienten mit der Krankentrage in den Notarztwagen heben mußte.
Genau sechs Minuten nach Dr. Volkerts Anruf in der Kinderklinik Birkenhain war der Notarztwagen schon am Zeltlager. Alle atmeten auf. Mittlerweile hatte die Neuigkeit überall die Runde gemacht, und die Jungen saßen bedrückt im Halbkreis um Simon, den alle mochten, denn er kehrte nie den Sohn reicher Eltern hervor und galt allgemein als hilfsbereit. Und was noch wichtiger war: Er war äußerst erfinderisch, wenn es darum ging, einen harmlosen Streich auszuhecken und durchzuführen.
Dr. Olegra trat an die Luftmatratze, auf der Simon lag. Der Junge litt unter schrecklicher Atemnot.
Dr. Olegra sah Martin auffordernd an.
»Wir bringen ihn sofort in den Wagen. Ich fürchte, ich muß gleich hier, an Ort und Stelle eine Tracheotomie machen.«
»Okay!« sagte Martin nur, und schon hatten sie Simon auf die leichte Aluminiumtrage gelegt und trugen ihn zum Notarztwagen.
Dr. Volkert, der mit einsteigen wollte, wurde von Dr. Olegra daran gehindert.
»Besser, Sie bleiben draußen«, sagte er nur. »Hier haben wir vier zu wenig Platz. Sie würden uns nur behindern.«
»Aber wenn ich mich nicht irre, wollen Sie einen Luftröhrenschnitt machen. Das ist doch… ich wollte sagen, daß ich die Verantwortung für meine Jungs trage und…«
»Ist schon in Ordnung«, beruhigte Dr. Olegra ihn. »Niemand kann oder wird Sie dafür verantwortlich machen, daß der Junge von einer Biene in den Hals gestochen worden ist. Und kein Mensch konnte ahnen, daß er allergisch auf Bienengift reagiert. Und nun lassen Sie uns unsere Arbeit tun, denn der Junge braucht dringend Hilfe.«
Damit wurde die Tür des Notarztwagens einfach zugeschlagen.
*
Oberschwester Elli fuhr schnell über den kleinen Weg durch die Heide, erreichte die Landstraße und trat im gleichen Augenblick voll auf die Bremse. Dabei wurde sie voll gegen das Lenkrad gepreßt, was sie als äußerst schmerzhaft empfand.
Der Notarztwagen der Kinderklinik Birkenhain!
Sie hatte ihn genau erkannt. Und es mußte etwas ganz besonders Schlimmes sein, denn wie sie Martin Schriewers kannte, hätte er ihr zumindest etwas sehr Unhöfliches zugerufen, wenn es nicht allzu dringend gewesen wäre. Immerhin trug sie doch die Schuld an dem Beinahe-Zusammenstoß!
Stöhnend griff sie sich an die Stelle, wo sie aufs Lenkrad geprallt war. Tat gemein weh.
Na ja, sie konnte noch froh sein, daß nichts Schlimmeres passiert war. Eine saftige Prellung, weiter nichts. Bis sie in der Klinik war, würde es schon wieder ein bißchen besser sein.
Oberschwester Elli war wütend, wütend auf sich selbst, weil sie so unvorsichtig gewesen war. Und Ärger erzeugte immer ein starkes Hungergefühl in ihr.
Während sie sich in ihrem kleinen Apartment umzog für den Dienst, futterte sie eine halbe Schachtel Pralinen. Natürlich bekamen sie ihr nicht. Sie hätte es vorher wissen müssen. Jedermann in der Klinik wußte doch, daß Oberschwester Elli jeder Ärger sofort auf den Magen oder die Galle schlug.
Oberschwester Elli beschloß, sich einfach nicht um ihre Schmerzen zu stören und sich darum zu kümmern, was mit dem Patienten war, der vom Notarztwagen geholt worden war.
Sie ging zur Notaufnahme und erfuhr, daß es sich um Simon Sanders handelte, einen Industriellen-Sohn aus Bielefeld, der von einer Biene in den Hals gestochen worden war. Niemand hatte ahnen können, daß der Junge allergisch auf Bienengift reagierte.
Ihre eigenen Schmerzen nahmen zu, bis sie sich endlich wie ein mit Nadeln gespickter Gürtel um ihre Taille legten. Sie nahm eines der Morphiumzäpfchen, die ihr Hanna mal gegen ihre lästigen Gallenkoliken verschrieben hatte. Da ging es schon wieder besser.
Gegen neun Uhr verließ Oberschwester Elli die Klinik, um sich in ihrem hübschen Apartment drüben im Anbau zur Ruhe zu legen.
Als sie sich für die Nacht zurechtmachte, sah sie im Spiegel ihr glutrotes Gesicht. Besorgt griff sie zum Fieberthermometer. Etwas über achtunddreißig.
Elli ging zur Kochnische hinüber und machte sich einen Kamillentee. Als sie ihn getrunken hatte, riß ein durchbohrender Schmerz oberhalb des Bauchnabels sie fast von den Beinen.
Gallensteine? Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß es nicht die Gallensteine waren. Aber was konnte es sein, daß sie sich von Sekunde zu Sekunde übler und elender fühlte?
Oberschwester Elli nahm ein weiteres Morphiumzäpfchen. Es hüllte zwar nach kurzer Zeit ihren Verstand fast wie in Watte, aber die Schmerzen, die mittlerweile in Leib, Rücken und sogar in den Armen brannten, linderte das Morphium nicht.
Da endlich beschloß Oberschwester Elli, Dr. Hanna Martens anzurufen. Vielleicht, so dachte sie noch, während sie die Nummer wählte, hätte ich das schon eher tun sollen.
Hanna meldete sich fast augenblicklich. Sie war sozusagen immer auf dem Sprung. Und wenn um diese Zeit das Telefon anschlug, war sie überzeugt, daß man sie zu einem Notfall hinüber in die Klinik rief.
Sie hätte Oberschwester Ellis Stimme beinahe nicht erkannt, so schmerzverzerrt klang sie.
»Tut mir leid, Chefin – aber ich werd verrückt vor Schmerzen«, stöhnte sie.
»Wo sind Sie, Elli?« fragte Hanna sofort. Sie wußte gleich, daß Elli wirklich sehr krank sein mußte.
»In meiner – meiner Wohnung«, stöhnte Elli, die das Gefühl hatte, die Schmerzen würden sie gleich umbringen. Es war wie eine unbarmherzige Folter, die ihren gänzen Körper zu erfassen schien.
Sie kommt, sagte sie sich, sie kommt und läßt mich nicht im Stich. Gleich wird sie da sein und sofort dafür sorgen, daß ich von den gräßlichen Schmerzen befreit werde!
Sekunden wurden zur Ewigkeit für sie, und sie atmete leise auf, als sie Hannas leichten Schritt hören konnte.
Es fiel der jungen Ärztin schwer, ihr Entsetzen zu verbergen. Elli hatte sich auf ganz erschreckende Weise verändert.
Ein paar Stunden hatten genügt, um sie um Jahre älter aussehen zu lassen. Nichts war mehr von der sonst so gepflegt und attraktiv wirkenden Oberschwester Elli zu erkennen. Sie konnte kaum mehr sprechen, wand sich plötzlich in Krämpfen und begann qualvoll zu würgen.
Hanna handelte augenblicklich. Sie erkannte auf den ersten Blick, daß Eile geboten war. Oberschwester Elli schien einen paralytischen Ileus, eine Darmlähmung, zu haben. Wenn man sie nicht augenblicklich behandelte, nämlich operierte, dann war es um sie geschehen.
Man konnte die grollenden Darmgeräusche nur zu deutlich hören, man konnte den schrecklichen Schluckauf sehen. Und man hörte auch das Wimmern, denn zu mehr war die gequälte Oberschwester Elli nicht mehr fähig.
Und so rief Hanna denn ihren Bruder an und bat ihn, alles für die Operation vorbereiten zu lassen. Außerdem müsse Elli, die nicht mehr richtig bei sich war, sofort zur Klinik geholt werden.
Karsten Famula und Dieter Rößler, die Krankenpfleger, kamen sofort mit der fahrbaren Trage, hoben Elli hinauf und fuhren sie dann im Laufschritt hinüber in die Klinik, wo schon alles für die Operation vorbereitet war.
Dr. Simone Wilde, die Anästhesistin, stand neben Kay Martens an den Waschbecken und schrubbte sich die Hände und Unterarme. Dr. Küsters sah sich nur kurz um, als Hanna erschien und knapp sagte: »Ich möchte nur wissen, was da passiert ist. Ich kann mir das alles nicht recht erklären.«
»Es gibt für alles und jedes eine Erklärung«, sagte Kay ruhig und fuhr schon fort: »Wir werden es erfahren, aber zuerst einmal müssen wir handeln, damit wir sie so schnell wie möglich von allen ihren Beschwerden befreien können. Sie muß grausame Schmerzen ertragen haben, bis sie dich endlich rief, Hanna.«
»Ich wollte, das hätte sie schon viel früher getan«, sagte Hanna und ließ sich Wasser über Hände und Arme laufen.
Was konnte es nur sein? Medikamentenvergiftung schied aus, denn jedermann wußte, daß Oberschwester Elli nicht leichtsinnig mit Medikamenten umging. Bauchfellentzündung? Gallenkolik schied aus, denn die hatte andere Symptome. Bauchquetschung? Wodurch wurde es verursacht? Rückenmarkverletzung schied ebenso aus. Bauchspeicheldrüsenzerfall? Man konnte, zum Teufel, keine vernünftige und einigermaßen einleuchtende Diagnose erstellen.
»Wir müssen erst einmal den gefährlichen Volumen-Verlust ausgleichen«, sagte Kay Martens endlich entschlossen und fügte hinzu: »Kreislaufschock hat Vorfahrt!«
Dr. Küsters schloß Oberschwester Elli an eine Infusionspumpe an, weil man innere Blutungen befürchten mußte. Hanna schob ihr das Sauerstoffgerät in den Mund. Sie spritzte Antibiotika, legte ein Venendruckgerät an, schob einen Blasenkatheter und eine Magensonde ein. Sie injizierte Mittel gegen Krämpfe, Fieber und Kreislaufversagen.
Langsam, wie widerwillig, kehrte ein bißchen Farbe in das Gesicht der Patientin zurück. Puls und Atmung beruhigten sich ein wenig.
Plötzlich erkannte Hanna an Ellis noch lichtstarren Augen eine gelbliche Färbung und ordnete mit heller, kühler und sehr beherrscht klinger Stimme an: »Endoskopie! Das Malheur scheint aus der Galle oder aber der Bauchspeicheldrüse zu kommen.«
Damit entfernte sie auch schon den Beatmungsschlauch und die Magensonde aus Ellis Rachen und schob ein Endoskop hinein. Dabei handelte es sich um ein biegsames Röhrchen, an dessen Spitze sich eine Lichtquelle befindet. Sie drückte es durch den Magen in den Zwölffingerdarm bis zur Mündung von Gallenblase und Bauchspeicheldrüse in den Dann hinein.
»Da haben wir sie schon, die Bescherung«, sagte sie und ließ das Auge nicht vom Endoskop. »Meine vorläufige Diagnose lautet: Durch eine Quetschung der Papilla, die ich mir absolut nicht erklären kann, wurde der Pankreas-Gang verlegt, wodurch es vermutlich zu einer Pankreatitis mit aufsteigender Nekrose kam. Autodigestion hat schon eingesetzt, wodurch die Arteria Linealis angegriffen wurde. Aus ihr trat Blut und Exudatin in den Abdomen, das Peritoneum entzündete sich und löste den Ileus aus.«
Inzwischen hatten sie auch von Martin erfahren, daß es zu einem Beinahe-Zusammenstoß mit dem Notarztwagen gekommen war. Martin hatte berichtet, er habe nur gesehen, daß Oberschwester Elli schmerzlich das Gesicht verzogen habe, als sie mit voller Wucht trotz des Sicherheitsgurtes auf das Lenkrad prallte. So konnte man Hannas Diagnose verdeutschen.