Das Schwert der Wahrheit 6 - Terry Goodkind - E-Book

Das Schwert der Wahrheit 6 E-Book

Terry Goodkind

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Beschreibung

Ein atemberaubendes Epos über Verrat und Ehre, Rache und Liebe

Die Liebe von Richard und Kahlan ist stärker als der Tod, stärker als das Schicksal, sogar stärker als das absolut Böse.

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TERRY GOODKIND

Das Schwert der Wahrheit Sechstes Buch

Inhaltsverzeichnis

Schwester der Finsternis
1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel
Copyright

Schwester der Finsternis

1. Kapitel

Sie konnte sich nicht daran erinnern, gestor ben zu sein. Mit einem unbestimmten Gefühl der Besorgnis fragte sie sich, ob die aufgebrachten Stimmen, die aus der Ferne an ihr Ohr drangen, bedeuteten, dass ihr die Erfahrung dieses die Grenzen des Bewusstseins überschreitenden Endes ein weiteres Mal bevorstand: ihres eigenen Todes.

Sollte dem in der Tat so sein, dann konnte sie nicht das Geringste dagegen tun.

Zwar erinnerte sie sich nicht an ihren Tod, dafür aber umso besser an ernste, tuschelnde Stimmen, die irgendwann – wohl zu einem späteren Zeitpunkt – davon gesprochen hatten, sie sei gestorben, der Tod habe sie ereilt, er aber habe seinen Mund auf ihren gepresst, ihre leblos gewordenen Lungen mit seinem Atem gefüllt und so den ihren auf diese Weise zu neuem Leben erweckt.

Sie hatte sich nicht vorstellen können, wer das gewesen sein mochte, der von einem so unglaublichen Bravourstück sprach, oder wer dieser er sein sollte.

In jener ersten Nacht, in der die fernen, körperlosen Stimmen für sie kaum mehr gewesen waren als eine verschwommene Ahnung, hatte sie begriffen, dass um sie herum Menschen standen, die – obwohl sie inzwischen wieder lebte – nicht daran glaubten, dass sie diese Nacht überleben würde. Mittlerweile aber wusste sie, sie hatte überlebt, sie war, vielleicht als Antwort auf die verzweifelten Gebete und feierlichen Schwüre, die man in jener ersten Nacht mit gedämpfter Stimme an ihrem Lager gesprochen hatte, noch viele Nächte lang am Leben geblieben.

Doch auch wenn sie sich nicht an das Sterben selbst erinnerte, die Schmerzen kurz vor dem Eintauchen in die große Vergessenheit waren ihr noch in Erinnerung, diese Schmerzen würde sie niemals vergessen. Sie entsann sich, wie sie ganz auf sich gestellt und voller Wut gegen all diese Männer gekämpft hatte, Männer, die ihre Zähne bleckten wie ein Rudel wilder Hunde bei einem Hasen. Sie erinnerte sich an den Hagel brutaler Schläge, der sie zu Boden gezwungen, an die schweren Stiefel, die auf sie eingetreten hatten, als sie dort lag, und an das scharfe Knacken brechender Knochen. Sie erinnerte sich an das Blut, an die Unmengen von Blut an ihren Fäusten und Stiefeln. Sie erinnerte sich an das glühende Entsetzen, angesichts dieser Qualen nicht mal mehr die Luft zum Keuchen zu haben, keine Luft, um gegen die erdrückende Last der Schmerzen mit einem Schrei zu protestieren.

Als sie einige Zeit später – ob Stunden oder Tage, vermochte sie nicht zu sagen – unter sauberen Laken in einem unbekannten Bett liegend in seine grauen Augen hochgesehen hatte, war ihr bewusst geworden, dass die Welt für manch einen noch schlimmere Schmerzen bereithielt, als sie sie erlitten hatte.

Seinen Namen kannte sie nicht. Die tiefe Besorgnis, die ihm so deutlich in den Augen abzulesen war, verriet ihr unmissverständlich, dass sie ihn hätte kennen sollen. Sie wusste, sie hätte seinen Namen – mehr als ihren eigenen, mehr noch als das Leben selbst – kennen müssen, doch war dies nicht der Fall. Nichts hatte sie je mehr beschämt.

Wann immer sie in der Folgezeit die Augen geschlossen hatte, sah sie seine, nicht nur das hilflose Leid darin, sondern auch das Leuchten einer leidenschaftlichen Hoffnung, die nur wahre Liebe entflammt haben konnte. Irgendwo, sogar noch in der tiefsten Finsternis, die ihren Geist zu ersticken drohte, sperrte sie sich dagegen, das Leuchten in seinen Augen durch ihre Unfähigkeit, sich kraft ihres Willens zum Weiterleben zu zwingen, erlöschen zu lassen.

Irgendwann fiel ihr dann wieder sein Name ein. Meist wusste sie ihn, mitunter aber auch nicht. Manchmal, wenn der Schmerz sie zu erdrücken drohte, vergaß sie sogar ihren eigenen Namen.

Als Kahlan jetzt Männer mürrisch seinen Namen brummen hörte, wusste sie ihn, und sie wusste auch, wem er gehörte. Mit hartnäckiger Entschlossenheit klammerte sie sich an diesen Namen – Richard – und an ihre Erinnerung an den dazugehörigen Menschen: wer er war und was er ihr bedeutete.

Selbst später, als die Leute befürchteten, sie könnte doch noch sterben, wusste sie, sie würde überleben. Sie hatte gar keine andere Wahl – Richard, ihrem Mann zuliebe. Und ihrem Kind zuliebe, das sie unter dem Herzen trug. Seinem Kind. Ihrer beider Kind.

Das Geschrei der aufgebrachten Männer, die Richard beim Namen riefen, ließ Kahlan schließlich mühsam die Augen öffnen. Sie blinzelte gegen die heftigen Schmerzen an, die unter der schützenden Hülle des Schlafes zwar nachgelassen hatten, aber noch nicht vertrieben worden waren. Ein zartes, bernsteinfarbenes Licht schlug ihr entgegen, das den Raum um sie herum füllte. Da das Licht hell war, folgerte sie, vor dem Fenster müsse eine Abdeckung hängen, die das Sonnenlicht dämpfte, vielleicht wurde es aber auch gerade dunkel. Wenn sie wie jetzt aufwachte, fehlte ihr nicht nur jedes Gefühl für Zeit, sondern auch dafür, wie lange sie geschlafen hatte.

Sie rieb ihre Zunge gegen den teigig trockenen Belag in ihrem Mund. Ihr Körper war bleiern vom schwerfälligen Schlaf, der noch immer nicht weichen wollte. Ihr war so übel wie damals, als sie noch klein gewesen war und vor einer Bootsfahrt an einem heißen, windigen Tag drei Paradiesäpfel verschlungen hatte. Genauso heiß war es auch jetzt: sommerlich heiß. Sie mühte sich, vollends aufzuwachen, doch ihr erwachendes Bewusstsein, hin und her geworfen auf einem unermesslich weiten Schattenmeer, schien seinem Schicksal preisgegeben. Ihr Magen drehte sich, und plötzlich musste sie alle ihre Gedanken darauf konzentrieren, sich nicht zu übergeben. Sie wusste nur zu gut, dass in ihrem gegenwärtigen Zustand nur wenige Dinge schmerzhafter wären als zu brechen. Ihre Lider schlossen sich erneut, und sie sank hin an einen noch viel düstereren Ort.

Sie fing sich, zwang ihre Gedanken an die Oberfläche und öffnete durch pure Willenskraft erneut die Augen. Jetzt fiel es ihr wieder ein: Man verabreichte ihr Kräuter, um die Schmerzen zu betäuben und damit sie schlafen konnte. Zumindest halfen ihr die Kräuter, in einen benommenen Schlaf zu sinken, doch der Schmerz fand sie auch dort, wenn auch nicht in seiner vollen Schärfe.

Langsam, vorsichtig, um die doppelschneidigen Dolche nicht zu drehen, die sich da und dort zwischen ihre Rippen zu bohren schienen, wagte sie einen tieferen Atemzug. Der Wohlgeruch von Balsam und Fichten füllte ihre Lungen und half ihren Magen zu beruhigen. Das war nicht der Duft von Bäumen, vermischt mit den anderen Gerüchen des Waldes, mit feuchter Erde, großen Blätterpilzen und Zimtfarnen, sondern der angenehme Geruch frisch gefällter und abgeästeter Stämme. Sie konzentrierte sich darauf, ihren Blick über das Fußende des Bettes hinaus zu richten, und erblickte eine Wand aus blassem, frisch entrindetem Holz, aus dessen frischen Axtkerben hier und da Harz hervorsickerte. Das Holz sah aus, als sei es in großer Eile geschlagen und gespalten worden, seine Passgenauigkeit jedoch verriet eine Präzision, die nur Wissen und Erfahrung einem verleihen kann.

Das Zimmer war winzig. Im Palast der Konfessoren, wo sie aufgewachsen war, wäre ein so kleiner Raum nicht einmal als Wäscheschrank durchgegangen, außerdem wäre er aus Stein gewesen, wenn nicht gar aus Marmor. Das winzige hölzerne Zimmer gefiel ihr. Vermutlich hatte Richard es zu ihrem Schutz errichtet, fast war es, als habe er seine schützenden Arme um sie gelegt. Die reservierte Erhabenheit von Marmor hatte ihr nie ein vergleichbares Gefühl der Behaglichkeit vermittelt.

Hinter dem Fußende des Bettes erblickte sie die Schnitzerei eines Vogels im Flug. Sie war mit wenigen Messerhieben in einen Stamm der Wand gemeißelt worden, auf eine ebene Stelle, nur wenig größer als ihre Hand. Richard hatte ihr etwas dagelassen, das sie betrachten konnte. Manchmal, wenn sie um ein Lagerfeuer saßen, hatte sie ihm dabei zugesehen, wie er, ganz nebenbei, aus einem Stück Holz ein Gesicht oder ein Tier schnitzte. Der Vogel, der auf seinen ausgebreiteten Schwingen schwebend über sie wachte, vermittelte ein Gefühl von Freiheit.

Wenn sie ihre Augen nach rechts drehte, sah sie eine braune Wolldecke vor der Tür hängen. Von jenseits der Tür drangen Fetzen aufgebrachter, drohender Stimmen herein.

»Wir tun dies nicht aus freien Stücken, Richard … Wir müssen an unsere Familien denken … an unsere Frauen und Kinder …«

Neugierig, was vor sich ging, versuchte Kahlan, sich auf ihren linken Ellbogen zu stützen. Irgendwie gehorchte ihr der Arm nicht wie erwartet, einem Blitz gleich schoss der Schmerz durch ihr Knochenmark und explodierte in ihrer Schulter.

Keuchend ließ sie sich angesichts der quälenden Schmerzen beim Versuch sich zu bewegen zurückfallen, noch bevor sie ihre Schulter auch nur einen Zoll weit vom Bett anheben konnte. Ihr schweres Atmen drehte die Dolche, die sich in ihre Seite bohrten. Sie musste sich zwingen, langsamer zu atmen, um die stechenden Schmerzen unter Kontrolle zu bekommen. Als die schlimmste Qual in ihrem Arm und die Stiche in ihrem Brustkorb endlich nachließen, atmete sie leise stöhnend auf.

Ruhig und besonnen blickte sie an ihrem linken Arm hinab: Der Arm war geschient. Sofort kam die Erinnerung zurück – natürlich war er das. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie nicht vorher daran gedacht hatte, vor ihrem Versuch, ihn zu belasten, sie wusste doch, dass die Kräuter ihr Denkvermögen trübten. Aus Angst, noch eine unbedachte Bewegung zu machen, und weil sie sich ohnehin nicht aufsetzen konnte, richtete sie ihr ganzes Augenmerk darauf, einen klaren Kopf zu bekommen.

Vorsichtig langte sie mit ihrer rechten Hand nach oben und wischte sich die feine Schweißschicht aus der Stirn, Schweiß, hervorgerufen durch den blitzartigen Schmerz. Ihr rechtes Schultergelenk tat weh, ließ sich aber bewegen. Sie freute sich über wenigstens diesen kleinen Sieg, befühlte ihre aufgequollenen Augen und verstand endlich, warum es wehgetan hatte, Richtung Tür zu blicken. Behutsam erforschten ihre Finger eine unbekannte Landschaft aus geschwollenem Fleisch. In ihrer Fantasie gab sie ihr eine scheußliche bläulich-grüne Farbe. Als ihre Finger die Platzwunden auf ihrer Wange streiften, schienen glühende Kohlen die geschundenen, offen liegenden Nerven zu versengen.

Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass sie einen fürchterlichen Anblick bot. Wie schlimm es um sie stand, wurde ihr jedes Mal bewusst, wenn sie Richard in die Augen sah. Sie wünschte sich, für ihn gut aussehen zu können, sei es auch nur, um den leidenden Blick aus seinen Augen zu entfernen. Er schien jedes Mal ihre Gedanken zu lesen und sagte gewöhnlich: »Es geht mir ausgezeichnet. Hör auf, dich um mich zu sorgen, und konzentriere dich ganz darauf, wieder gesund zu werden.«

Mit einem Gefühl bittersüßer Sehnsucht rief sie sich ins Gedächtnis, wie sie, Arme und Beine in herrlicher Erschöpfung ineinander verschlungen, neben Richard gelegen hatte, seine Haut heiß auf ihrer, seine große Hand auf ihrem Bauch, und sie verschnauft hatten. Es war quälend, ihn in den Armen halten zu wollen und es nicht zu können. Sie ermahnte sich, es sei nur eine Frage der Zeit und des Gesundwerdens. Sie waren zusammen, und das allein zählte. Seine bloße Anwesenheit verlieh ihr Kraft.

Sie hörte, wie Richard hinter der über der Tür hängenden Decke mit mühsam beherrschter Stimme sprach und dabei jedes seiner Worte betonte, als habe es ihn unendlich viel gekostet. »Wir brauchen einfach nur ein wenig Zeit …«

Die Stimmen der Männer klangen überaus erregt und beharrlich, als sie alle durcheinander zu reden begannen. »Wir tun das nicht, weil wir es wollen, Richard, das solltest du eigentlich wissen. Du kennst uns doch … Was ist, wenn dadurch der Ärger hierher getragen wird? … Wir haben von den Kämpfen gehört. Du hast selbst gesagt, sie stammt aus den Midlands. Wir können nicht zulassen … wir werden niemals …«

Kahlan lauschte, erwartete das Geräusch des Ziehens seines Schwertes zu hören. Richard verfügte über eine nahezu unerschöpfliche Geduld, aber seine Toleranz war wenig ausgeprägt. Cara, seine Leibwächterin und ihre gemeinsame Freundin, war zweifellos ebenfalls dort draußen; Cara besaß weder Geduld noch Toleranz.

Statt sein Schwert zu ziehen, erwiderte Richard: »Ich bitte niemanden, mir irgendwas zu schenken. Ich verlange nichts weiter, als dass man mich an einem friedlichen Ort in Ruhe lässt, wo ich mich um sie kümmern kann. Ich wollte in der Nähe von Kernland sein, für den Fall, dass sie etwas braucht.« Er hielt inne. »Bitte … nur bis sie Gelegenheit hatte, wieder gesund zu werden.«

Kahlan hätte ihn am liebsten angeschrien: Nein! Wage es nicht, sie anzuflehen, Richard! Sie haben nicht das Recht, dich zu so etwas zu zwingen. Sie werden niemals begreifen können, welche Opfer du gebracht hast.

Doch sie konnte kaum mehr tun, als leise und bekümmert seinen Namen zu rufen.

»Stell uns nicht auf die Probe … wenn es sein muss, räuchern wir dich aus! Du kannst unmöglich gegen uns alle kämpfen – das Recht ist auf unserer Seite.«

Lärmend stießen die Männer finstere Verwünschungen aus. Jetzt, endlich, erwartete sie, das Geräusch des Ziehens seines Schwertes zu hören. Stattdessen antwortete Richard den Männern mit ruhiger Stimme, in Worten, die Kahlan nicht ganz verstand. Eine fürchterliche Stille setzte ein.

»Wir tun das nicht etwa gerne, Richard«, meinte schließlich jemand mit verlegener Stimme. »Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen an unsere Familien und an all die anderen denken.«

Ein anderer Mann meldete sich zu Wort, er klang aufrichtig empört. »Außerdem scheinst du plötzlich ziemlich hochtrabend geworden zu sein mit deinen eleganten Kleidern und diesem Schwert, gar nicht mehr so wie früher, als du noch Waldführer warst.«

»Genau«, pflichtete ihm ein anderer bei. »Dass du fortgegangen bist und ein wenig von der Welt gesehen hast, heißt noch lange nicht, dass du zurückkommen und so tun kannst, als wärst du was Besseres als wir.«

»Ihr seid euch also alle einig, dass ich den mir gebührenden Rang überschritten habe«, stellte Richard fest. »Ist es das, was ihr mir sagen wollt?«

»Wie ich es sehe, hast du deinem Volk, deinen Wurzeln, den Rücken gekehrt. Offenbar glaubst du, unsere Frauen sind nicht mehr gut genug für den großen Richard Cypher. Nein, er musste ja irgendeine Frau von weit her heiraten. Und dann kommt ihr hierher zurück und denkt, ihr könnt Eindruck bei uns schinden.«

»Wie denn? Mit was denn? Indem ich die Frau heirate, die ich liebe? Das gilt in euren Augen als eitel? Das nimmt mir das Recht, in Frieden zu leben? Und ihr das Recht, gesund zu werden, wieder auf die Beine zu kommen und weiterzuleben?«

Diese Männer kannten ihn als Richard Cypher, einen einfachen Waldführer, und nicht, wie er herausgefunden hatte, als den Menschen, der er tatsächlich war und zu dem er sich entwickelt hatte. Er war noch derselbe wie zuvor, nur hatten sie ihn in vielerlei Hinsicht nicht gekannt.

»Du solltest den Schöpfer auf Knien darum bitten, dass er deine Frau gesund macht«, warf ein anderer Mann ein. »Die gesamte Menschheit ist ein niederträchtiger und unwürdiger Haufen. Du solltest beten und den Schöpfer um Vergebung bitten für deine ruchlosen Taten und deine Sündhaftigkeit – das hat dir und deiner Frau all den Ärger eingetragen. Stattdessen willst du deinen Ärger unter ehrliche, arbeitsame Menschen tragen. Du hast kein Recht, uns mit deinen sündigen Problemen zu behelligen, das ist nicht des Schöpfers Wille. Denk doch mal an uns. Der Schöpfer will, dass du dich in Demut übst und anderen hilfst – deswegen hat Er sie aufs Krankenlager geworfen, weil Er euch beiden eine Lektion erteilen wollte.«

»Hat er dir das selbst gesagt, Albert?«, fragte Richard. »Sucht dich dein Schöpfer etwa auf, um seine Pläne mit dir zu besprechen und dir seine Wünsche anzuvertrauen?«

»Er spricht zu jedem, der über die rechte Bescheidenheit verfügt, Ihm zuzuhören.« Albert schäumte.

»Außerdem«, meldete sich ein anderer Mann zu Wort, »muss man über diese Imperiale Ordnung, vor der du uns warnst, auch ein paar gute Dinge sagen. Wärst du nicht so dickköpfig, würdest du das einsehen, Richard. An dem Wunsch nach anständiger Behandlung für alle ist nichts verkehrt, er zeugt nur von einer ehrlichen Gesinnung. Es ist der Wunsch des Schöpfers, wie du zugeben musst, und dasselbe predigt auch die Imperiale Ordnung. Wenn du der Imperialen Ordnung nicht wenigstens das zu Gute halten kannst – nun, dann wäre es wohl das Beste, du verschwindest, und zwar schnell.«

Kahlan stockte der Atem.

Richard verkündete mit unheilvoller Stimme: »Ganz wie ihr wollt.«

Dies waren Männer, die Richard kannte. Er hatte sie alle mit Namen angesprochen und sie an die gemeinsamen Jahre und Taten erinnert. Und er hatte Geduld mit ihnen bewiesen. Doch als seine Geduld schließlich erschöpft war, war sie in Unduldsamkeit umgeschlagen.

Pferde schnaubten und stampften mit den Hufen, ihr Lederzaumzeug knarzte, als die Männer aufsaßen. »Morgen früh kommen wir zurück und brennen diese Hütte nieder. Besser, wir treffen in der Nähe weder dich noch deine Leute an, denn sonst verbrennt ihr mit ihr.« Ein paar letzte Verwünschungen, dann galoppierten die Männer davon. Das Donnern der sich entfernenden Hufe fuhr Kahlan bis ins Mark. Selbst das tat weh.

Sie bedachte Richard mit einem dünnen Lächeln, auch wenn er es nicht sehen konnte. Hätte er nur ihretwegen nicht gebettelt! Niemals, das wusste sie, hätte er für sich selbst um etwas gebettelt.

Licht flutete über die Wand, als die Decke vor der Tür zurückgeschlagen wurde; aus Richtung und Art des Lichts schloss Kahlan, dass es etwa um die Mittagszeit an einem leicht bewölkten Tag sein musste. Richard erschien neben ihr, sein hoch gewachsener Körper ragte vor ihr in die Höhe und warf einen Schattenstreifen über ihre Mitte.

Er trug ein schwarzes, ärmelloses Unterhemd ohne sein Hemd oder seinen prachtvollen goldschwarzen Überwurf, sodass seine muskulösen Arme frei blieben. An seiner linken Hüfte, auf der ihr zugewandten Seite, blitzte am Knauf seines einzigartigen Schwertes ein Lichtpunkt auf. Seine breiten Schultern ließen das Zimmer noch winziger erscheinen, als es noch einen Augenblick zuvor gewesen war. Sein Haar, in der Farbe irgendwo zwischen blond und braun, berührte leicht seinen Nacken, trotzdem war es die so unverkennbar deutlich in seinen Augen ablesbare Intelligenz gewesen, die als Erstes ihre Aufmerksamkeit gefesselt hatte.

»Richard«, sagte Kahlan leise, »ich erlaube nicht, dass du meinetwegen bettelst.«

Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel. »Sollte ich jemals betteln wollen, dann werde ich es auch tun.« Er zog ihre Decke ein Stück hoch und überzeugte sich, dass sie, obwohl sie schwitzte, fest zugedeckt war. »Ich wusste nicht, dass du wach bist.«

»Wie lange habe ich geschlafen?«

»Eine Weile.«

Sie vermutete, dass es eine ziemlich lange Weile gewesen sein musste, denn weder konnte sie sich erinnern, an diesem Ort eingetroffen zu sein, noch dass er die Hütte gebaut hatte, in der sie sich befanden.

Kahlan fühlte sich wie ein Mensch von Mitte achtzig, nicht wie jemand Mitte zwanzig. Sie war noch nie zuvor verletzt gewesen, jedenfalls nicht ernsthaft, auch keineswegs schwer, dass sie an der Schwelle des Todes gestanden hätte und so lange völlig hilflos gewesen wäre. Dieser Zustand war ihr verhasst, ebenso wenig konnte sie es ausstehen, nicht einmal die einfachsten Verrichtungen allein erledigen zu können. Meist verabscheute sie das noch mehr als die Schmerzen.

Es bestürzte sie, die Hinfälligkeit des Lebens so unerwartet und vollkommen zu begreifen, ihre eigene Zerbrechlichkeit, ihre Sterblichkeit. Sie hatte in der Vergangenheit ihr Leben des Öfteren aufs Spiel gesetzt und war viele Male in Gefahr geraten, doch in der Rückschau vermochte sie nicht zu sagen, ob sie wirklich jemals geglaubt hatte, dass ihr so etwas passieren konnte. Mit dieser Wirklichkeit konfrontiert zu werden, das war schon niederschmetternd.

In jener Nacht schien etwas in ihrem Innern zerbrochen zu sein – ein Bild von sich selbst, eine Zuversicht. Sie hätte dabei leicht draufgehen können; auch ihr Kind hätte sterben können, bevor es überhaupt Gelegenheit hatte zu leben.

»Du bist auf dem Weg der Besserung«, sagte Richard, gewissermaßen als Antwort auf ihre Gedanken. »Das sage ich nicht einfach nur. Ich sehe, dass du wieder gesund wirst.«

Sie blickte unverwandt in seine Augen, nahm ihren Mut zusammen und fragte schließlich: »Woher wissen die Leute hier oben etwas von der Imperialen Ordnung?«

»Menschen, die vor den Kämpfen auf der Flucht sind, sind hier vorbeigekommen. Männer, die die Lehren der Imperialen unter die Leute bringen, sind sogar bis hierher vorgedrungen, wo ich aufgewachsen bin. Wenn man nicht nachdenkt, sondern nur seinen Gefühlen folgt, können ihre Worte durchaus vernünftig klingen und fast so etwas wie einen Sinn ergeben. Die Wahrheit scheint kein großes Gewicht zu haben«, fügte er als nachträgliche Erklärung hinzu. Er beantwortete die unausgesprochene Frage in ihren Augen. »Die Soldaten der Imperialen Ordnung sind wieder abgezogen. Die Narren dort draußen haben nur irgendwelche Dinge herumerzählt, die sie aufgeschnappt haben, weiter nichts.«

»Aber sie wollen uns vertreiben. Sie hören sich an wie Männer, die tun, was sie geschworen haben.«

Er nickte, doch dann kehrte sein Lächeln zaghaft zurück. »Weißt du eigentlich, dass wir uns ganz in der Nähe jener Stelle befinden, wo ich dir vergangenen Herbst zum ersten Mal begegnet bin? Erinnerst du dich noch?«

»Wie könnte ich den Tag, an dem ich dir begegnet bin, jemals vergessen?«

»Damals war unser Leben in Gefahr, und wir mussten von hier fliehen. Solange wir zusammen sind, ist nichts anderes wirklich von Bedeutung.«

Cara stürzte durch die Tür herein und blieb neben Richard stehen, sodass ihr Schatten auf der blauen Baumwolldecke, die Kahlan bis zu den Achseln verhüllte, mit Richards verschmolz. Caras in hautenges rotes Leder gehüllter Körper hatte die geschmeidige Eleganz eines Falken: eindrucksvoll, schnell und tödlich. Mord-Sith trugen ihre rote Lederbekleidung stets dann, wenn sie der Ansicht waren, es könnte Ärger geben. Caras langes blondes Haar, zu einem einzigen dicken Zopf geflochten, war ein weiteres Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu den Mord-Sith, den Mitgliedern eines Elitecorps von persönlichen Beschützerinnen des Lord Rahl.

In gewisser Hinsicht hatte Richard mit Übernahme der Herrschaft D’Haras, eines Landes, das ihm in seiner Jugend gänzlich unbekannt gewesen war, auch die Mord-Sith übernommen. Er hatte diese Herrschaft nicht angestrebt, sie war ihm einfach in den Schoß gefallen. Mittlerweile unterstand ihm eine gewaltige Zahl von Menschen, die gesamte Neue Welt – Westland, die Midlands und D’Hara – war ihm untertan.

»Wie fühlt Ihr Euch?«, erkundigte sich Cara ernstlich besorgt.

Kahlan brachte kaum mehr als ein heiseres Flüstern zu Stande. »Es geht mir schon besser.«

»Nun, wenn es Euch besser geht«, knurrte Cara, »dann erklärt Lord Rahl, dass er mich meine Arbeit machen lassen und mir erlauben soll, Männern wie diesen den nötigen Respekt beizubringen.« Ihre bedrohlich blauen Augen wandten sich für einen Augenblick zu jener Stelle, wo die Männer gestanden und ihre Drohungen vorgebracht hatten. »Zumindest denen, die ich am Leben lasse.«

»Ihr solltet Euren Kopf gebrauchen, Cara«, wandte Richard ein. »Wir können aus dieser Hütte unmöglich eine Festung machen und uns zu jeder Tages- und Nachtzeit schützen. Diese Männer haben Angst. So sehr sie sich auch irren mögen, sie betrachten uns als Gefahr für ihr Leben und das Leben ihrer Familien. Wir werden nicht so unvernünftig sein, einen aussichtslosen Kampf zu kämpfen, wenn wir es vermeiden können.«

»Aber Richard«, meinte Kahlan und deutete in einer matten Geste mit ihrer rechten Hand auf die Wand vor ihr, »du hast all das gebaut …«

»Nur dieses eine Zimmer. Ich wollte erst einmal ein Dach über dem Kopf für dich. Hat gar nicht lange gedauert – es mussten nur einige Bäume geschlagen und gespalten werden. Mit dem Übrigen haben wir noch gar nicht angefangen. Auf keinen Fall lohnt es sich, darüber Blut zu vergießen.«

Richard wirkte ruhig, Cara dagegen schien jeden Augenblick herausplatzen und ihrem Ärger Luft machen zu wollen. »Würdet Ihr Eurem halsstarrigen Ehemann vielleicht befehlen, dass er mir erlaubt, jemanden zu töten, bevor ich vollends den Verstand verliere? Ich kann nicht tatenlos mit ansehen, wie gewisse Leute Euch beide ungestraft bedrohen! Ich bin eine Mord-Sith!«

Cara nahm ihre Aufgabe, Richard – den Lord Rahl von D’Hara – zu beschützen, überaus ernst. Wenn es um Richards Leben ging, war Cara jederzeit bereit, erst zu töten und hinterher zu entscheiden, ob es erforderlich gewesen war. Dies war eines der Dinge, für die Richard keine Toleranz aufbrachte.

Als Antwort lächelte Kahlan nur.

»Mutter Konfessor, Ihr könnt doch unmöglich zulassen, dass Lord Rahl sich dem Willen derart törichter Männer beugt. Erteilt ihm den Befehl.«

Kahlan konnte die Menschen, die sie ihr ganzes Leben mit dem Namen »Kahlan« angesprochen hatten, ohne wenigstens den Titel ›Konfessor‹ voranzustellen, wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen. Ihren endgültigen Titel – Mutter Konfessor – hatte sie zahllose Male gesprochen gehört, wobei der Tonfall von ehrfürchtiger Ergebenheit bis hin zu bebender Angst reichte. Sobald sie vor ihr niederknieten, waren viele Menschen völlig außer Stande, die beiden Worte ihres Titels zwischen zitternden Lippen hervorzubringen. Andere wiederum flüsterten sie, wenn sie allein waren, in mörderischer Absicht.

Kahlan war bereits mit Anfang zwanzig zur Mutter Konfessor ernannt worden – und damit die jüngste aller auf diesem mächtigen Posten berufenen Konfessoren. Doch das lag mehrere Jahre zurück, jetzt war sie die einzige noch lebende.

Kahlan hatte den Titel, das Verbeugen und Niederknien, die Ehrerbietung, die fast heilige Scheu, die Angst und die mörderischen Absichten stets über sich ergehen lassen, denn sie hatte gar keine andere Wahl. Mehr als das jedoch war sie die Mutter Konfessor – aufgrund von Erbfolge und Auslese, von Rechts wegen, durch ihren Schwur und aus Pflichtbewusstsein.

Cara hatte Kahlan stets mit »Mutter Konfessor« angesprochen, doch bei Cara klangen diese Worte anders als bei anderen Menschen. Sie hatten fast etwas Herausforderndes, durch übertriebene Unterwürfigkeit leicht Trotziges, und doch schwang stets ein Anflug liebevollen Schmunzelns mit. Aus Caras Mund klangen sie für Kahlan nicht so sehr wie »Mutter Konfessor«, sondern eher wie »Schwester«. Cara stammte aus dem fernen Land D’Hara, mit Ausnahme des Lord Rahl stand in Caras Augen niemand nirgendwo im Rang höher als sie selbst. Ihr größtes Zugeständnis bestand darin, dass sie Kahlan in ihrer Pflicht gegenüber Richard als ebenbürtig betrachtete. Von Cara als ebenbürtig angesehen zu werden, war allerdings eine überaus große Ehre.

Wenn aber Cara Richard mit »Lord Rahl« ansprach, schwang dabei nichts von einem »Bruder« mit. Dann sprach sie genau das aus, was sie meinte: Lord Rahl.

Für die Männer mit den aufgebrachten Stimmen war der Titel eines Lord Rahl eine ebenso fremdartige Vorstellung wie das ferne Land D’Hara selbst. Kahlan stammte aus den Midlands, die D’Hara von Westland trennten. Die Menschen hier in Westland wussten weder etwas von den Midlands noch von der Mutter Konfessor. Jahrzehntelang waren die drei Bestandteile der Neuen Welt durch unüberwindbare Grenzen voneinander getrennt gewesen, dadurch war alles, was jenseits dieser Grenzen lag, mit einem Schleier des Geheimnisvollen umgeben. Erst im vergangenen Herbst waren diese Grenzen gefallen.

Im darauf folgenden Winter war schließlich auch die gemeinsame Barriere im Süden der drei Länder durchbrochen worden, die mehr als dreitausend Jahre lang die Gefahr der Alten Welt hermetisch ausgegrenzt hatte, was die Imperiale Ordnung auf den Plan gerufen hatte. Im vergangenen Jahr war die Welt in Aufruhr versetzt worden; alles, womit die Menschen aufgewachsen waren, hatte sich verändert.

»Ich werde nicht zulassen, dass Ihr Menschen Schaden zufügt, nur weil sie sich weigern, uns zu helfen«, sagte Richard an Cara gewandt. »Damit wäre nichts gewonnen, und am Ende würden wir uns damit nur noch zusätzliche Schwierigkeiten einhandeln. Was wir hier zu errichten begonnen haben, hat nicht viel Zeit in Anspruch genommen. Ich hatte geglaubt, dieser Ort sei sicher, doch ist dies leider nicht der Fall. Also werden wir einfach weiterziehen.«

Er kehrte Kahlan den Rücken zu; allmählich wich die Erregung aus seiner Stimme.

»Ich hatte gehofft, dich nach Hause zu bringen, an einen Ort des Friedens und der Ruhe, doch wie es scheint, bin ich selbst zu Hause nicht willkommen. Tut mir Leid.«

»Das trifft doch nur auf diese Männer zu, Richard.« Die Bevölkerung Anderiths hatte, unmittelbar bevor Kahlan überfallen und zusammengeschlagen worden war, Richards Angebot abgelehnt, sich dem aufstrebenden d’Haranischen Reich anzuschließen, das er in die Freiheit führen wollte. Stattdessen hatte sich das Volk von Anderith bereitwillig auf die Seite der Imperialen Ordnung geschlagen. Es schien, als habe Richard Kahlan zur Frau genommen und alles andere im Stich gelassen. »Was ist mit deinen wahren Freunden hier?«

»Ich bin noch nicht dazu gekommen … erst wollte ich einen Unterschlupf bauen. Jetzt ist dafür keine Zeit. Vielleicht später.«

Kahlan langte nach der an seiner Seite herabhängenden Hand. Seine Finger waren zu weit entfernt. »Aber Richard …«

»Hör zu, es ist nicht mehr sicher, hier zu bleiben. So einfach ist das. Ich habe dich hierher gebracht, weil ich dachte, hier könntest du dich in aller Ruhe erholen und wieder zu Kräften kommen. Ich habe mich getäuscht, dem ist nicht so. Wir können nicht hier bleiben. Verstehst du das?«

»Ja, Richard.«

»Wir müssen weiterziehen.«

»Ja, Richard.«

Die Angelegenheit hatte noch einen weiteren Aspekt, das wusste sie – etwas, das sehr viel wichtiger war als die unmittelbare Tortur, die das für sie bedeutete. Sie hatte einen entrückten, besorgten Blick in den Augen.

»Aber was ist mit dem Krieg? Alle zählen auf uns – auf dich. Bis ich mich wieder erholt habe, kann ich keine große Hilfe sein, aber dich brauchen sie sofort. Das d’Haranische Reich braucht dich. Du bist Lord Rahl, du bist ihr Anführer. Was tun wir hier? Richard …« Sie wartete, bis er den Kopf drehte und sie ansah. »Warum ergreifen wir die Flucht, wenn alle auf uns zählen?«

»Ich tue, was ich tun muss.«

»Was du tun musst? Was soll das heißen?«

Ein dunkler Schatten fiel über sein Gesicht, als er sich abwandte.

»Ich hatte … eine Vision.«

2. Kapitel

Eine Vision?«, fragte Kahlan mit unverhoh lenem Erstaunen.

Richard verabscheute alles, was mit Prophezeiungen zu tun hatte; sie hatten ihm stets nichts als Ärger eingebracht.

Prophezeiungen waren immer zweideutig und für gewöhnlich rätselhaft, egal, wie eindeutig sie nach außen hin erschienen. Ungeübte ließen sich leicht von ihrer oberflächlich einfachen Struktur in die Irre führen. Das gedankenlose Festhalten an der wortwörtlichen Auslegung von Prophezeiungen hatte in der Vergangenheit zu gewaltigen Unruhen geführt, angefangen von Mord bis hin zu Krieg. Wer mit Prophezeiungen befasst war, scheute infolgedessen keine Mühe, diese geheim zu halten.

Prophezeiungen bedeuteten Vorherbestimmtsein, zumindest auf den ersten Blick. Richard dagegen war der Überzeugung, dass der Mensch sein Schicksal selbst in der Hand hatte. Einmal hatte er zu ihr gesagt: »Eine Prophezeiung vermag lediglich vorherzusagen, dass morgen die Sonne aufgehen wird, aber was du mit diesem Tag anfangen wirst, kann sie dir nicht sagen. Der Vorgang, seinem Tagwerk nachzugehen, hat nichts mit der Erfüllung von Prophezeiungen zu tun, sondern mit dem Erreichen persönlicher Ziele.«

Die Hexe Shota hatte vorhergesagt, Richard und Kahlan würden einen unehelichen Sohn bekommen. Mehr als ein Mal hatte Richard nachgewiesen, dass Shotas Sicht der Zukunft wenn nicht auf verhängnisvolle Weise fehlerhaft, so doch zumindest weitaus vielschichtiger war, als Shota dies erscheinen lassen wollte. Kahlan war ebenso wenig wie Richard bereit, Shotas Vorhersage einfach hinzunehmen.

Bei einer Reihe von Gelegenheiten hatte sich Richards Ansicht über Prophezeiungen als korrekt erwiesen. Richard ignorierte die Aussage einer Prophezeiung schlicht und tat, was er glaubte tun zu müssen. Oft erfüllte sich die Prophezeiung durch sein Handeln, wenn auch auf unvorhersehbare Weise. Somit wurde die Prophezeiung gleichzeitig bewiesen und widerlegt, was nichts klärte und lediglich unterstrich, welch unergründliches Rätsel sie in Wahrheit darstellte.

Richards Großvater, Zedd, der mitgeholfen hatte, ihn unweit ihres gegenwärtigen Aufenthaltsortes großzuziehen, hatte nicht nur seine Identität als Zauberer geheim gehalten, sondern ihm zu seinem eigenen Schutz auch verschwiegen, dass er von Darken Rahl abstammte und nicht von Richard Cypher, dem Mann, der ihn geliebt hatte und bei dem er aufgewachsen war. Seinerzeit war Darken Rahl, ein Zauberer von gewaltiger Macht, der gefährliche und gewalttätige Herrscher des weit entfernten D’Hara gewesen. Die Gabe der Magie schien Richard von zwei verschiedenen Blutlinien vererbt worden. Nachdem er Darken Rahl getötet hatte, war auch die Herrschaft über D’Hara auf ihn übergegangen, ein Land, das ihm in vielerlei Hinsicht ein ebenso großes Rätsel war wie seine eigene Kraft.

Kahlan stammte aus den Midlands und war demzufolge mit Zauberern groß geworden; dennoch unterschieden sich Richards Fähigkeiten von denen aller Zauberer, die sie jemals kennen gelernt hatte. Er verfügte nicht nur über einen Aspekt der Gabe, sondern über viele, und nicht nur über eine Seite der Magie, sondern über beide: er war ein Kriegszauberer. Ein Teil seiner Ausstattung und Insignien stammte aus der Burg der Zauberer und war seit dreitausend Jahren – also seit Lebzeiten des letzten Kriegszauberers – nicht mehr getragen worden.

Mit dem allmählichen Verschwinden der Gabe bei den Menschen waren auch Zauberer selten geworden; Kahlan hatte weniger als ein Dutzend gekannt. Propheten waren überaus selten unter den Zauberern; sie wusste lediglich von der Existenz von zweien. Einer von ihnen war Richards Vorfahr, wodurch Visionen umso mehr in den Wirkungskreis seiner Gabe fielen, und das, obwohl Richard sich gegenüber Prophezeiungen immer so verhalten hatte, als seien sie Giftschlangen in seinem Bett.

Zärtlich, so als gäbe es auf der ganzen Welt nichts Kostbareres, ergriff Richard ihre Hand. »Weißt du noch, wie ich dir von den wundervollen Orten weit jenseits der Berge im Westen des Landstrichs, wo ich aufgewachsen bin, erzählt habe, die nur ich allein kenne? Von den ganz besonderen Orten, die ich dir immer zeigen wollte? Dorthin werde ich dich bringen, sobald wir in Sicherheit sind.«

»Die D’Haraner sind Euch über die Bande verbunden, Lord Rahl«, erinnerte ihn Cara, »und werden Euch mit Hilfe dieser Bande überall aufspüren können.«

»Aber unsere Feinde sind nicht über die Bande mit mir verbunden. Sie werden also nicht wissen, wo wir uns befinden.«

Diese Überlegung schien Caras Zustimmung zu finden. »Wenn niemand diesen Ort aufsucht, wird es auch keine befestigten Wege geben. Wie sollen wir den Wagen dorthin schaffen? Die Mutter Konfessor kann unmöglich zu Fuß gehen.«

»Ich werde eine Tragbahre bauen, in der wir beide sie tragen werden.«

Cara nickte nachdenklich. »Das wäre eine Möglichkeit. Wenn sonst niemand dort ist, dann seid wenigstens Ihr beide in Sicherheit.«

»Jedenfalls sicherer als hier. Ich hatte gedacht, die Menschen hier würden uns in Ruhe lassen. Ich hatte nicht erwartet, dass die Imperiale Ordnung so weit entfernt noch Unruhe stiften würde – jedenfalls nicht so schnell. Normalerweise sind diese Männer keine schlechten Kerle, aber im Augenblick sind sie im Begriff, sich in eine gefährliche Stimmung zu versetzen.«

»Diese Feiglinge haben sich unter den Rockschößen ihrer Weiber verkrochen. Vor morgen sind sie nicht zurück. Wir können der Mutter Konfessor ein wenig Ruhe gönnen und dann kurz vor Tagesanbruch aufbrechen.«

Richard warf Cara einen vielsagenden Blick zu. »Einer dieser Männer, Albert, hat einen Sohn namens Lester. Lester und sein Kumpel Tommy Lancaster haben vor einiger Zeit versucht, mich mit Pfeilen zu durchbohren, weil ich Tommy den Spaß verdorben hatte, als er jemandem gerade sehr wehtun wollte. Jetzt fehlen sowohl Tommy als auch Lester eine ganze Menge Zähne. Albert wird Lester berichten, dass wir hier sind, und kurz darauf wird es auch Tommy wissen.

Jetzt, da ihnen die Imperiale Ordnung mit ihrem Gerede von einem gerechten Krieg für eine gute Sache die Köpfe voll gequasselt hat, werden diese Männer gerne herausfinden wollen, was es heißt, ein Kriegsheld zu sein. Normalerweise sind sie nicht gewalttätig, aber so unvernünftig wie heute habe ich sie noch nie erlebt.

Sie werden sich Mut antrinken gehen. Bis dahin werden sich Tommy und Lester ihnen angeschlossen haben, und ihr Gerede, ich hätte ihnen Unrecht getan und sei zu einer Gefahr für anständige Menschen geworden, wird alle in helle Aufregung versetzen. Aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit werden sie schon bald erkennen, wie vorteilhaft es wäre, uns umzubringen – sie werden glauben, damit ihre Familien zu schützen und das Richtige für die Gemeinde und den Schöpfer zu tun. Aufgestachelt vom Schnaps und ihrer eigenen Großartigkeit werden sie nicht bis zum Morgen warten und noch in dieser Nacht wiederkommen. Wir müssen sofort aufbrechen.«

Cara wirkte gelassen. »Und ich sage, wir erwarten sie und machen dem Spuk ein Ende, sobald sie hier erscheinen.«

»Ein paar von ihnen werden noch ihre Freunde mitbringen, sie werden bei ihrer Rückkehr überaus zahlreich sein. Wir müssen an Kahlan denken, ich möchte nicht riskieren, dass einer von uns verletzt wird. Dadurch, dass wir gegen sie kämpfen, wäre nichts gewonnen.«

Richard streifte den uralten Waffengurt aus geprägtem Leder, an dem die mit Gold und Silber durchwirkte Scheide und das Schwert befestigt waren, über seinen Kopf und hängte ihn an einen aus einem gefällten Stamm ragenden Aststumpf. Cara wirkte unzufrieden und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie würde einen Menschen, der sie bedrohte, lieber nicht am Leben lassen. Richard nahm sein gefaltetes schwarzes Hemd neben sich vom Boden auf, wo es Kahlans Blick entgangen war, steckte seinen Arm durch einen Ärmel und zog es an.

»Eine Vision?«, wiederholte Kahlan schließlich ihre Frage. So viel Ärger die Männer auch bedeuten mochten, im Augenblick waren sie nicht ihre größte Sorge.

»Wegen ihrer überraschenden Klarheit war mein erster Gedanke, es sei eine Vision, aber eigentlich war es mehr eine Offenbarung.«

»Eine Offenbarung.« Wie gerne hätte sie mehr als nur ein heiseres Flüstern zu Stande gebracht. »Und welche Gestalt hat diese Vision oder Offenbarung angenommen?«

»Die einer Einsicht.«

Kahlan starrte zu ihm hoch. »Einsicht in was?«

Er begann sein Hemd zuzuknöpfen. »Die Erkenntnis hat mich in die Lage versetzt, den größeren Zusammenhang zu begreifen. Ich habe endlich verstanden, was ich tun muss.«

»Ja«, murmelte Cara, »und jetzt hört gut zu. Redet schon, erzählt es ihr.«

Richard bedachte Cara mit einem zornigen Blick, den sie mit gleicher Münze heimzahlte; schließlich wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Kahlan zu.

»Wir werden verlieren, wenn ich uns in diesen Krieg führe, und eine große Zahl von Menschen wird sinnlos sterben. Die Folge wird eine von der Imperialen Ordnung unterjochte Welt sein. Auch wenn ich unsere Truppen nicht in die Schlacht führe, wird die Welt unter die Herrschaft der Imperialen Ordnung fallen, allerdings werden dabei sehr viel weniger Menschen ums Leben kommen. Demzufolge werden wir nur so eine Chance haben.«

»Indem wir verlieren? Du willst erst verlieren und dann kämpfen? … Wie können wir auch nur in Erwägung ziehen, den Kampf für die Freiheit aufzugeben?«

»Was in Anderith geschehen ist, hat mir die Augen geöffnet«, erwiderte er. Seine Stimme klang verhalten, so als täten ihm seine Worte Leid. »Ich kann diesen Krieg nicht erzwingen. Es bedarf großer Anstrengungen, die Freiheit zu erringen, und äußerster Wachsamkeit, wenn sie erhalten bleiben soll. Die Menschen wissen die Freiheit immer erst dann zu schätzen, wenn man sie ihnen nimmt.«

»Aber doch nicht alle«, wandte Kahlan ein.

»Es gibt immer ein paar wenige, aber die meisten wissen nicht einmal, was das ist, und wollen es auch gar nicht wissen – genau wie bei Magie, vor der die Menschen auch gedankenlos zurückschrecken, ohne zu erkennen, um was es wirklich geht. Die Imperiale Ordnung bietet ihnen eine Welt ohne Magie, dafür mit vorgefertigten Antworten auf alle Fragen. Unfreiheit macht das Leben einfach. Ich hatte geglaubt, die Menschen vom Wert ihres eigenen Lebens und der Freiheit überzeugen zu können, in Anderith haben sie mir bewiesen, wie naiv ich war.«

»Anderith ist nur ein einzelnes Land …«

»Anderith selbst war gar nicht so bemerkenswert. Sieh doch, wie viele Schwierigkeiten wir woanders hatten. Selbst hier, wo ich aufgewachsen bin, legt man uns ständig Steine in den Weg.« Richard ging daran, sein Hemd in die Hose zu stopfen. »Die Menschen zu zwingen, für ihre Freiheit zu kämpfen, ist einer der schlimmsten Widersprüche. Was ich auch sage, nichts wird die Menschen zur Anteilnahme bewegen – ich habe es versucht. Wer Wert auf seine Freiheit legt, wird fliehen oder sich verstecken, wird versuchen müssen, irgendwie zu überleben und das zu ertragen, was ihm zweifellos bevorsteht. Ich kann nichts dagegen tun, ich kann den Menschen nicht helfen. Das ist mir jetzt klar geworden.«

»Aber Richard, wie kannst du nur denken …«

»Ich muss tun, was für uns das Beste ist. Ich muss egoistisch sein; das Leben ist viel zu kostbar, um es einfach so für sinnlose Ziele zu vergeuden. Das ist die größte Sünde, die es gibt. Die Menschen können nur dann vor dem nahenden finsteren Zeitalter der Unterwerfung und Unfreiheit bewahrt werden, wenn sie endlich begreifen, wenn sie Interesse am Wert des Lebens und der Freiheit bekunden und bereit sind, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Wir müssen versuchen zu überleben und darauf hoffen, dass dieser Tag irgendwann kommen wird.«

»Aber wir können diesen Krieg gewinnen. Wir müssen ihn gewinnen.«

»Glaubst du wirklich, ich könnte einfach losziehen und Soldaten in den Krieg führen, und wir würden diesen Krieg gewinnen, nur weil ich es will? Ausgeschlossen, dazu gehört mehr als nur ein frommer Wunsch, dazu braucht man gewaltige Menschenmassen, die sich diesen Zielen voll und ganz verschrieben haben, aber die stehen uns nicht zur Verfügung. Wenn wir unsere Truppen der Imperialen Ordnung entgegenwerfen, werden wir vernichtet, und jede Chance, in Zukunft die Freiheit zu erlangen, wird ein für alle Mal verspielt sein.« Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. »Wir dürfen unsere Truppen auf keinen Fall gegen die Armee der Imperialen Ordnung marschieren lassen.«

Er drehte sich herum, um seinen an den Seiten offenen Waffenrock über den Kopf zu ziehen. Kahlan bemühte sich, ihrer Stimme und damit der Tiefe ihrer Besorgnis Nachdruck zu verleihen.

»Aber was ist mit all den anderen, die bereit sind zu kämpfen – mit all den Armeen, die bereits an der Front stehen. Es gibt gute, fähige Männer, die bereit sind, gegen Jagang in die Schlacht zu ziehen, seiner Imperialen Ordnung Einhalt zu gebieten und sie in die Alte Welt zurückzutreiben. Wer soll unsere Soldaten führen?«

»Führen? Wohin denn? In den Tod? Sie haben keine Chance zu gewinnen.«

Kahlan war entsetzt. Sie langte nach oben und packte den Ärmel seines Hemdes, bevor er sich bücken konnte, um seinen breiten Übergurt aufzuheben. »So redest du nur, weil mir etwas zugestoßen ist, das ist der einzige Grund, weshalb du die Auseinandersetzung scheust, Richard.«

»Nein. Bereits an jenem Abend, als du überfallen wurdest, hatte ich mich so entschieden. Als ich nach der Abstimmung allein das Haus verließ, um spazieren zu gehen, habe ich lange nachgedacht. Ich kam zu ebendiesem Schluss und traf eine Entscheidung. Was dir zugestoßen ist, hatte darauf keinen Einfluss, außer dass es bewies, wie Recht ich hatte und dass ich eigentlich viel früher hätte darauf kommen müssen. Dann wäre dir das gar nicht erst passiert.«

»Aber wenn die Mutter Konfessor nicht verletzt worden wäre, hättet Ihr Euch am nächsten Morgen besser gefühlt und Eure Meinung geändert.«

Durch die Tür in seinem Rücken fiel ein Lichtstrahl, der die uralten, den rechteckig geschnittenen Saum seines Überwurfs verzierenden Symbole in goldenem Glanz erstrahlen ließ. »Was wäre geschehen, Cara, wenn ich mit ihr zusammen überfallen und wir beide getötet worden wären? Was würdet ihr alle dann tun?«

»Das weiß ich nicht.«

»Eben deswegen ziehe ich mich zurück. Ihr hängt euch alle immer nur an mich dran, ohne euch selbst am Kampf um eure Freiheit zu beteiligen. Endlich ist mir klar geworden, welch ein Fehler das war und dass wir auf diese Weise niemals siegen können. Die Imperiale Ordnung ist ein viel zu mächtiger Gegner.«

Kahlans Vater, König Wyborn, hatte ihr gezeigt, wie man gegen eine solche Übermacht kämpft, und sie besaß praktische Erfahrung darin. »Vielleicht ist ihre Armee uns zahlenmäßig überlegen, aber das macht es nicht unmöglich. Wir müssen sie eben überlisten. Ich werde dir zur Seite stehen, Richard. Unsere Offiziere sind kampferprobt, wir können es schaffen. Wir haben gar keine andere Wahl.«

»Sieh doch, wie die Imperiale Ordnung ihre Ziele mit wohlklingenden Worten verbreitet« – Richard machte eine ausladende Armbewegung – »sogar bis an entlegene Orte wie diesen. Wir sind uns jenseits allen Zweifels über die Schlechtigkeit der Imperialen Ordnung im Klaren, und doch schlagen sich die Menschen überall begeistert auf ihre Seite – trotz der Schauderhaftigkeit all dessen, wofür die Imperiale Ordnung steht.«

»Richard«, erwiderte Kahlan leise, um nicht den letzten Rest ihrer Stimme zu verlieren, »ich habe seinerzeit blutjunge galeanische Rekruten gegen eine Armee erfahrener Soldaten der Ordnung geführt, die uns zahlenmäßig haushoch überlegen war, und wir haben uns trotzdem behaupten können.«

»Genau das meine ich. Sie hatten kurz zuvor ihre Heimatstadt gesehen, nachdem die Imperiale Ordnung dort gewütet hatte. Alle ihre Lieben waren ermordet, ihre ganze Welt vernichtet worden. Diese Männer haben in dem Bewusstsein gekämpft, genau zu wissen, was sie tun und weshalb. Sie hätten sich dem Feind entgegengeworfen, ganz gleich, ob du sie befehligst oder nicht. Aber sie waren die Einzigen, und obwohl sie gesiegt haben, wurden die meisten von ihnen in der Schlacht getötet.«

Kahlan war fassungslos. »Du willst also zulassen, dass die Imperiale Ordnung an einem anderen Ort dasselbe tut, nur um den Menschen einen Grund zu geben, sich zu wehren? Du willst tatenlos mit ansehen, wie die Ordnung hunderttausende unschuldiger Menschen abschlachtet? Du willst aufgeben, weil mir etwas zugestoßen ist. Bei den Gütigen Seelen, ich liebe dich, Richard, aber tu mir das nicht an. Ich bin die Mutter Konfessor, ich bin für das Leben der Menschen in den Midlands verantwortlich. Tu es nicht nur deswegen, weil mir etwas zugestoßen ist.«

Richard schnallte seine ledergepolsterten Manschetten um. »Ich tu es nicht, weil dir etwas zugestoßen ist, ich trage damit auf die einzig Erfolg versprechende Weise dazu bei, diese Menschenleben zu retten. Ich tue das Einzige, was ich tun kann.«

»Nein, Ihr wählt den einfachen Weg«, warf Cara ein.

Richard begegnete ihrem Einwand ruhig und voller Offenheit. »Nein, Cara, ich treffe damit die schwerste Entscheidung meines Lebens.«

Jetzt war Kahlan sicher, dass ihn ihre Ablehnung durch die Bevölkerung Anderiths härter getroffen hatte als angenommen. Sie nahm zwei seiner Finger und drückte sie verständnisvoll. Er hatte von ganzem Herzen versucht, diesen Menschen die Unterwerfung durch die Imperiale Ordnung zu ersparen, hatte versucht, ihnen den Wert ihrer Freiheit aufzuzeigen, indem er ihnen die Freiheit ließ, über ihr Schicksal selbst zu entscheiden. Somit hatte er seinen Glauben in ihre Hände gelegt.

In einer vernichtenden Abstimmungsniederlage hatten sie sein Angebot mit überwältigender Mehrheit voller Verachtung zurückgewiesen und diesen Glauben zerstört.

Vielleicht, überlegte Kahlan, würde sein Schmerz – wie in ihrem Fall – nachlassen, wenn er nur ein wenig Zeit hätte, darüber hinwegzukommen. »Du darfst dir nicht die Schuld für den Fall Anderiths geben, Richard. Du hast getan, was du konntest.«

Er nahm seinen breiten ledernen Übergurt mit den golddurchwirkten Taschen vom Boden auf und schnallte ihn über seinem prachtvollen Überwurf fest.

»Wenn man der Anführer ist, liegt die Schuld immer bei einem selbst.«

Kahlan wusste, wie sehr dies stimmte. Sie überlegte, wie sie ihn davon abbringen konnte, und versuchte einen anderen Weg.

»Welche Gestalt hat diese Vision angenommen?«

Richard heftete seine stechend grauen Augen auf sie, fast als wollte er sie warnen.

»Vision, Offenbarung, Erkenntnis, Ahnung, Prophezeiung … Einsicht – nenn es, wie du willst, denn in einem Punkt sind diese Begriffe alle gleich und unmissverständlich. Ich kann es nicht anders beschreiben, als dass ich den Eindruck hatte, es immer schon gewusst zu haben. Vielleicht stimmt das sogar. Es waren nicht so sehr Worte, sondern vielmehr ein in sich abgeschlossener Gedanke, eine Schlussfolgerung, eine Wahrheit, die sich mir in aller Klarheit offenbart hat.«

Sie wusste, er erwartete von ihr, dass sie es dabei beließ. »Wenn es sich so deutlich gezeigt hat und unzweideutig war«, hakte sie nach, »müsstest du es eigentlich in Worte fassen können.«

Richard ließ den Waffengurt über seinen Kopf gleiten und führte ihn über seine rechte Schulter. Als er das Schwert an seiner linken Hüfte zurechtrückte, funkelte das Licht auf dem erhabenen Golddraht, der so mit dem Silberdraht des Heftes verwoben war, dass er das Wort WAHRHEIT buchstabierte.

Seine Stirn war eben und sein Gesicht ruhig. Sie wusste, dass sie ihn endlich auf den Kern der Sache gestoßen hatte. Seine Selbstsicherheit verbot ihm, ihr etwas vorzuenthalten, wenn sie es hören wollte, und das tat sie. Seine Worte kamen ruhig und voller Kraft, wie eine zum Leben erwachte Prophezeiung.

»Ich bin zu früh zum Anführer geworden. Nicht ich muss mich den Menschen beweisen, sondern sie müssen sich jetzt mir beweisen. Bis dahin darf ich ihre Führung nicht übernehmen, sonst ist alles verloren.«

Wie er dort stand, aufrecht, ein Bild von einem Mann, gebieterisch in seiner schwarzen Kriegszaubererausrüstung, schien er für ein Standbild dessen zu posieren, der er war: der Sucher der Wahrheit, rechtmäßig ernannt von Zeddicus Z’ul Zorander persönlich, dem Obersten Zauberer und Richards Großvater. Die Ernennung hatte Zedd fast das Herz gebrochen, denn oft starben Sucher jung und eines gewaltsamen Todes.

Solange er aber lebte, war ein Sucher sein eigenes Gesetz. Gestützt auf die Ehrfurcht gebietende Macht seines Schwertes, konnte ein Sucher ganze Königreiche zu Fall bringen. Unter anderem deswegen war es so wichtig, die richtige Person – eine rechtschaffene Person – für dieses Amt zu ernennen. Zedd behauptete, in gewisser Weise ernenne der Sucher sich durch seine Art zu denken und zu handeln selbst, und die Aufgabe des Obersten Zauberers bestehe lediglich darin, seinen Beobachtungen gemäß zu handeln, ihn offiziell zu ernennen und ihm die Waffe zu überreichen, die ihn sein Leben lang begleiten würde.

In diesem Mann, den sie liebte, trafen so viele unterschiedliche Eigenschaften und Verantwortungen aufeinander, dass sie sich manchmal fragte, wie er sie alle in Einklang bringen konnte.

»Bist du dir sicher, Richard?«

Wegen der Bedeutung des Amtes hatten erst Kahlan und dann Zedd geschworen, Richard, den frisch ernannten Sucher der Wahrheit, mit ihrem Leben zu verteidigen. Das war geschehen, kurz nachdem Kahlan ihn kennen gelernt hatte. Als Sucher hatte Richard zum ersten Mal die ganze ihm aufgebürdete Verantwortung übernommen und sich des in ihn gesetzten Vertrauens würdig erwiesen.

Seine grauen Augen leuchteten geradezu vor Klarheit und Entschlossenheit, als er ihr antwortete.

»Ich darf mich nur einer einzigen Macht unterwerfen, der Vernunft, und das erste Gesetz der Vernunft besagt: was existiert, existiert; es gibt, was es gibt. Auf dieses unabänderliche, unerschütterliche Prinzip gründet sich alles Wissen. Das ist das Fundament, von dem aus man das Leben in die Arme schließt. Vernunft bedeutet die Möglichkeit der Wahl. Wünsche und Launen sind weder Tatsachen, noch stellen sie eine Möglichkeit dar, diese zu entdecken. Vernunft ist unsere einzige Möglichkeit, die Wirklichkeit zu erfassen – sie ist unser elementares Werkzeug im Überlebenskampf. Es steht uns frei, die Mühen des Denkens zu umgehen und die Vernunft abzulehnen, doch ob wir der Strafe des Abgrunds entgehen, den zu sehen wir uns weigern, steht nicht in unserer Macht.

Wenn es mir nicht gelingt, diesen Kampf mit den Mitteln der Vernunft zu führen, wenn ich meine Augen vor der Wirklichkeit dessen, was existiert, zu Gunsten dessen, was ich mir lieber wünsche, schließe, dann werden wir beide an diesem Kampf zu Grunde gehen, noch dazu vergeblich. Wir werden bei diesem grauen, trostlosen Untergang der Menschheit nur zwei weitere in einem Heer aus zahllosen Millionen von Toten sein. In der sich daran anschließenden Finsternis werden unsere Knochen nichts sein als bedeutungsloser Staub.

Irgendwann, von jetzt an in vielleicht eintausend Jahren, vielleicht auch mehr, wird die Fackel der Freiheit möglicherweise wieder über einem freien Volk erstrahlen, bis dahin jedoch werden Millionen und Abermillionen von Menschen in hoffnungsloses Elend hineingeboren und keine andere Wahl haben, als das Joch der Imperialen Ordnung auf sich zu laden. Wenn wir die Vernunft missachten, werden wir es sein, die sich diese Berge zerschundener Körper, diesen Trümmerhaufen aus erduldeten, aber nicht gelebten Leben, eingehandelt haben.«

Kahlan merkte, dass sie nicht den Mut aufbrachte, etwas zu erwidern, geschweige denn zu widersprechen; hätte sie es in diesem Augenblick getan, wäre das der Bitte gleichgekommen, sein Urteil um einen Preis zu revidieren, der seiner Ansicht nach aus einem Meer von Blut bestand. Doch wenn sie sich so verhielten, wie er dies als zwingend erachtete, würden sie ihr Volk hilflos in den Rachen des Todes werfen.

Kahlan, deren Blickfeld unter wässrigen Schlieren verschwamm, sah fort.

»Cara«, sagte Richard, »spannt die Pferde vor den Wagen. Ich werde einen Rundgang machen und dafür sorgen, dass wir keine Überraschung erleben.«

»Ich werde einen Erkundungsgang machen, während Ihr die Pferde einspannt. Ich bin Eure Wächterin.«

»Und Ihr seid meine Freundin. Ich kenne das Land besser als Ihr. Spannt die Pferde ein und macht keine Schwierigkeiten.«

Cara verdrehte die Augen und tat beleidigt, marschierte aber los, um seiner Bitte nachzukommen.

Das Zimmer hallte von Stille wider. Richards Schatten glitt von der Decke. Als Kahlan ihm mit leiser Stimme ihre Liebe gestand, hielt er inne und drehte sich um. Seine Schultern schienen das Gewicht zu verraten, das auf ihm lastete.

»Ich wünschte, ich könnte es, aber ich kann die Menschen nicht zwingen, zu verstehen, was Freiheit heißt. Tut mir Leid.«

»Vielleicht ist es ja gar nicht so schwer.« Kahlan deutete auf den Vogel, den er in die Wand geschnitzt hatte. »Zeige ihnen einfach dieses Bild, und sie werden verstehen, was Freiheit wirklich bedeutet: Dahingleiten auf den eigenen Schwingen.«

Richard lächelte, dankbar, wie sie fand, bevor er durch die Tür nach draußen verschwand.

3. Kapitel

Das Durcheinander der vielen beunruhigenden Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen, hinderten Kahlan daran, wieder einzuschlafen. Sie versuchte Richards Vision über die Zukunft aus ihren Gedanken zu verbannen, doch so sehr die Schmerzen sie erschöpft hatten, seine Worte waren zu besorgniserregend, um über sie nachzudenken, zumal sie im Augenblick ohnehin nichts tun konnte. Aber sie war entschlossen, ihm zu helfen, über den Verlust von Anderith hinwegzukommen und sich auf das Aufhalten der Imperialen Ordnung zu konzentrieren.

Schwieriger war es, ihren Gedanken an die Männer abzuschütteln, die draußen gestanden hatten, Männer, mit denen Richard aufgewachsen war. Die quälende Erinnerung an ihre wütenden Drohungen ging ihr noch immer durch den Kopf. Sie wusste, dass ganz normale Männer, die nie zuvor gewalttätig geworden waren, sich unter entsprechenden Umständen zu äußerster Brutalität hinreißen lassen konnten. Angesichts ihrer Angewohnheit, die Menschen als sündig, niederträchtig und böse zu betrachten, war es nur noch ein kleiner weiterer Schritt, dieses Böse auch tatsächlich in die Tat umzusetzen, schließlich hatten sie für alles Böse, das sie anrichteten, die vernünftige Erklärung parat, es sei durch die unabwendbare Natur des Menschen längst vorbestimmt.

Die Vorstellung, von solchen Männern überfallen zu werden, war zermürbend, wenn man selbst nur daliegen und darauf warten konnte, umgebracht zu werden. Kahlan malte sich aus, wie ein feixender, zahnloser Tommy Lancaster sich über sie beugte, um ihr die Kehle aufzuschlitzen, während sie nur hilflos zu ihm hinaufstarren konnte. In der Schlacht hatte sie sich oft gefürchtet, aber wenigstens konnte sie da mit ganzer Kraft ums Überleben kämpfen. Das nahm ihr die Angst. Hilflos ausgeliefert zu sein und sich in keiner Weise wehren zu können, das war etwas völlig anderes; es war eine ganz andere Art von Angst.

Notfalls konnte sie noch immer auf ihre Konfessorenkraft zurückgreifen, in ihrem Zustand war das jedoch ein Vorhaben mit ungewissem Ausgang. Noch nie hatte sie ihre Kraft in einem Zustand einsetzen müssen, der auch nur annähernd dem glich, in dem sie sich augenblicklich befand. Sie erinnerte sich, dass sie längst fort sein würden, wenn die Männer zurückkamen, ganz abgesehen davon, dass Richard und Cara sie niemals in ihre Nähe lassen würden.

Kahlan empfand jedoch eine viel unmittelbarere Angst, und die war nur zu begründet. Lange würde das Gefühl allerdings nicht anhalten; sie wusste, dass sie das Bewusstsein verlieren würde. Zumindest hoffte sie es.

Sie legte sacht ihre Hand auf den Bauch, über ihr Kind, und lauschte auf das Plätschern und Gurgeln eines nahen Baches. Das Geräusch des Wassers erinnerte sie daran, wie gerne sie ein Bad nehmen würde. Die Verbände über der eiternden Wunde an ihrer Seite stanken und mussten oft gewechselt werden, die Laken waren schweißgetränkt, ihre Kopfhaut juckte, die Strohmatte unter dem Laken, die ihr als Lager diente, war hart und scheuerte ihren Rücken wund. Sie vermutete, dass Richard die Bahre in aller Eile gebaut hatte und plante, sie später nachzubessern.

An einem heißen Tag wie diesem wäre das kalte Wasser des Baches eine angenehme Erfrischung. Sie sehnte sich nach einem Bad, danach, sauber zu sein und frisch zu riechen, sie sehnte sich danach, es möge ihr besser gehen, sich wieder selber helfen zu können, wieder gesund zu werden. Sie konnte nur hoffen, dass auch Richard sich mit der Zeit von seinen unsichtbaren, aber nicht weniger wirklichen Verletzungen erholen würde.

Schließlich kehrte Cara zurück, eine mürrische Bemerkung auf den Lippen, die Pferde seien heute widerspenstig. Sie hob den Kopf und sah, dass das Zimmer leer war. »Ich gehe ihn besser suchen und vergewissere mich, dass ihm nichts zugestoßen ist.«

»Es geht ihm gut. Er weiß, was er tut. Wartet einfach hier, Cara, sonst muss er womöglich nachher Euch suchen gehen.«

Cara seufzte und gab ihr widerstrebend Recht. Sie holte einen kalten, feuchten Lappen und begann, Kahlans Stirn und Schläfen abzutupfen. Kahlan beschwerte sich nur ungern, wenn Menschen sich nach besten Kräften um sie kümmerten, daher verschwieg sie, wie sehr ihre gezerrten Halsmuskeln schmerzten, wenn ihr Kopf hin und her bewegt wurde. Cara beklagte sich über dergleichen nie; sie beklagte sich nur, wenn sie der Meinung war, einer ihrer Schutzbefohlenen sei unnötig in Gefahr – und Richard ihr nicht erlaubte, die auszuschalten, von denen ihrer Ansicht nach die Gefahr ausging.

Draußen gab ein Vogel ein hohes, schrilles Trällern von sich. Die immer gleichen, ermüdenden Wiederholungen wurden allmählich unangenehm. In der Ferne hörte Kahlan, wie ein Eichhörnchen sich schnatternd um sein Revier stritt; ihr kam es vor, als sei es schon seit einer Stunde damit beschäftigt. Der Bach plätscherte unablässig.

Das stellte Richard sich also unter Erholung vor.

»Wie ich es hasse«, murmelte sie.

»Ihr solltet froh sein – Ihr könnt einfach daliegen und braucht nichts zu tun.«

»Und ich wette, Ihr würdet gerne mit mir tauschen.«

»Ich bin eine Mord-Sith; für eine Mord-Sith gibt es nichts Schlimmeres, als im Bett zu sterben.« Sie sah Kahlan aus ihren blauen Augen an. »Womöglich alt und zahnlos«, setzte sie hinzu. »Womit ich nicht sagen wollte, Ihr seid …«

»Ich weiß, was Ihr sagen wolltet.«

Cara schien erleichtert. »Außerdem könnt Ihr gar nicht sterben – das wäre viel zu einfach. Ihr wählt nie den einfachen Weg.«

»Ich habe Richard geheiratet.«

»Seht Ihr, genau das meine ich.«

Kahlan lächelte.

Cara tunkte den Lappen in einen auf dem Boden stehenden Eimer, wrang ihn aus und richtete sich auf. »Eigentlich ist es doch gar nicht so schlimm, oder? Einfach nur dazuliegen?«

»Wie fändet Ihr das, wenn Ihr hilflos zusehen müsstet, wie Euch jemand jedes Mal, wenn Eure Blase voll ist, eine Holzschüssel unter den Hintern schiebt?«

Cara tupfte Kahlans Hals behutsam mit dem Lappen ab. »Bei einer Schwester des Strafers würde es mir nichts ausmachen.«

Der Strafer, jene Waffe, die eine Mord-Sith stets bei sich trug, schien nichts weiter zu sein als ein kurzer, roter Lederstab, der mittels einer dünnen Kette an ihrem Handgelenk baumelte. Ein kurzes Zucken ihres Handgelenks, und der Strafer einer Mord-Sith war zur Hand. Irgendwie funktionierte er durch die Magie der Bande, über die die Mord-Sith mit Lord Rahl verbunden waren.

Ein einziges Mal hatte Kahlan die unverwechselbare Berührung des Strafers zu spüren bekommen. Blitzartig konnte er das gleiche Maß an Schmerzen erzeugen, das die gesamte Schlägertruppe Kahlan bereitet hatte. Eine Mord-Sith konnte mit der Berührung ihres Strafers jemandem mühelos Knochen brechende Qualen zufügen und, falls sie dies wünschte, ebenso mühelos dessen Tod herbeiführen.

Richard hatte Kahlan jenen Strafer zum Geschenk gemacht, der einst Denna gehört hatte, jener Mord-Sith, die ihn auf Darken Rahls Befehl gefangen gehalten hatte; denn als Einziger hatte er begriffen, welche Schmerzen der Strafer auch der Mord-Sith bereitete, die ihn benutzte, und Mitgefühl gezeigt. Bevor er Denna hatte töten müssen, um fliehen zu können, hatte sie ihm ihren Strafer geschenkt und ihn gebeten, sie schlicht als Denna in Erinnerung zu behalten, als die Frau, die sich hinter der Bezeichnung Mord-Sith verbarg, als die Frau, die niemand außer Richard jemals zu Gesicht bekommen oder verstanden hatte.

Dass Kahlan dies begriff und den Strafer als Zeichen des Respekts für diese Frauen aufbewahrte, die man ihrer Jugend beraubt und für albtraumhafte Ziele und Aufgaben missbraucht hatte, war für die übrigen Mord-Sith von tiefer Bedeutung. Wegen dieses von Mitleid unbeeinträchtigten Mitgefühls, aber auch aus anderen Gründen, hatte Cara Kahlan zur Schwester des Strafers ernannt. Es war keine offizielle Ehrung, kam aber von Herzen.

»Es sind Boten eingetroffen, die Lord Rahl zu sehen wünschen«, sagte Cara. »Ihr habt geschlafen, und Lord Rahl sah keinen Grund, Euch aufzuwecken«, fügte sie als Antwort auf Kahlans fragenden Blick hinzu. Bei den Boten handelte es sich um D’Haraner, die Richard über ihre Bande zu ihm, ihrem Lord Rahl, aufspüren konnten. Kahlan, die dieses Kunststück nicht beherrschte, hatte es stets als etwas verwirrend empfunden.

»Was haben sie zu berichten?«