Das Schwert der Wahrheit 8 - Terry Goodkind - E-Book

Das Schwert der Wahrheit 8 E-Book

Terry Goodkind

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Beschreibung

Das magische Epos um das Heldenpaar Richard und Kahlan

Kaiser Jagang setzt seine brutalsten Schergen ein, um die Bandakar zu unterwerfen. Diese rufen um Hilfe – und Richard Rahl und Kahlan erhören diesen Ruf.

Ein Meisterwerk der modernen Fantasy!

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Seitenzahl: 1082

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Inhaltsverzeichnis
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Copyright
Das Schwert der Wahrheit bei Blanvalet in der ungesplitteten, dem Original entsprechenden Taschenbuchausgabe:
Erstes Buch: Das erste Gesetz der Magie (36967) Zweites Buch: Die Schwestern des Lichts (36968) Drittes Buch: Die Günstlinge der Unterwelt (36969) Viertes Buch: Der Tempel der vier Winde (37104) Fünftes Buch: Die Seele des Feuers (37105) Sechstes Buch: Schwester der Finsternis (37106) Siebtes Buch: Die Säulen der Schöpfung (37288) Achtes Buch: Das Reich des dunklen Herrschers (37289)
Für Tom Doherty, stets ein Streiter für das Gute und gegen das Böse.
1
Kahlan beugte sich unauffällig zu ihm hinüber und fragte mit gedämpfter Stimme: »Du hast die ganze Zeit gewusst, dass sie da waren, hab ich Recht?«
Die Umrisse dreier schwarz gezeichneter Riesenkrähen, die soeben aufgeflogen waren, um ihre allnächtliche Jagd zu beginnen, hoben sich gerade noch erkennbar vor dem Hintergrund des dämmrigen Himmels ab. Ihretwegen war er stehen geblieben, sie hatte er die ganze Zeit beobachtet, während der Rest der kleinen Gruppe in beklommenem Schweigen wartete.
»Ja.« Ohne sich umzudrehen, deutete Richard über seine Schulter. »Dort hinten sind noch zwei von ihnen.«
Kahlan ließ den Blick suchend über das dunkle Felsengewirr wandern, konnte aber keine weiteren Vögel entdecken.
Mit zwei Fingern hob Richard sein Schwert am Silberknauf einige Zoll an, um sich zu vergewissern, dass es locker in der Scheide saß. Als er es wieder zurückfallen ließ, verfing sich ein letzter, flüchtiger Schimmer des warmen Abendlichts in seinem goldenen Umhang. Just in diesem Augenblick schossen zwei weitere der riesigen Vögel über ihre Köpfe hinweg. Einer von ihnen, die Flügel weit gespreizt, stieß einen durchdringenden Schrei aus, als er in einer engen Kurve einmal über ihnen kreiste, wie um die fünf Personen unter ihm am Boden abzuschätzen, ehe er seinen sich rasch in westlicher Richtung entfernenden Kameraden mit kräftigem Flügelschlag hinterhereilte.
In dieser Nacht würden sie reichlich Nahrung finden.
Kahlan vermutete, dass Richard, als er ihnen hinterherschaute, in Gedanken bei seinem Halbbruder Oba war, von dessen Existenz er erst vor kurzem erfahren hatte. Dieser Halbbruder hielt sich gezwungenermaßen einen strammen Tagesmarsch westlich von ihnen auf, an einem der sengenden Sonne so schutzlos ausgesetzten Ort, dass nur wenige sich je dorthin verirrten - und noch wenigere jemals von dort wiederkehrten. Dabei war die sengende Hitze nicht einmal das Schlimmste gewesen.
Jenseits dieser trostlosen, menschenleeren Talsenke malte das nachlassende Licht der Dämmerung die Silhouette eines fernen Gebirgskamms an den Horizont, der wie der schwarz verkohlte Rand des Glutofens der Hölle selbst wirkte. Dunkel und unerbittlich wie diese Berge, und ebenso bedrohlich, hielt der aus fünf Vögeln bestehende Schwarm auf das schwindende Licht zu.
Jennsen beobachtete sie verwundert. »Was in aller Welt …?«
Den Blick noch immer auf die Riesenkrähen gerichtet, nahm Richard ein paar kleine Steinchen vom bröckeligen Felsvorsprung neben sich und schüttelte sie leicht in seiner geschlossenen Hand. »Ich habe diese Vögel zuvor auch noch nie gesehen - bis ich in diese Gegend kam. Einige Leute, mit denen wir gesprochen haben, erzählten, sie seien vor ein oder zwei Jahren das erste Mal hier aufgetaucht - je nachdem, von wem man die Geschichte hört. Aber alle waren sich einig, die Riesenkrähen davor noch nie gesehen zu haben.«
Richard warf die Steinchen hinter sich auf den Pfad, der hier über harten, verkrusteten Boden führte. »Ich glaube, sie gehören zur Familie der Falken.«
Jennsen kauerte sich neben ihre braune Ziege Betty, die sich verängstigt an ihre Beine schmiegte, und tröstete sie. »Falken können es auf keinen Fall sein.« Die beiden weißen Ziegenkinder, die sonst nur herumtollten, tranken oder schliefen, hatten sich stumm und eng aneinandergedrängt unter den Bauch ihrer Mutter verkrochen. »Dafür sind sie viel zu groß.«
Ein freundliches Lächeln ging über Richards Gesicht, und seine Stimme wurde milder, als er fragte: »Soll das etwa heißen, du streitest einfach ab, was du gerade mit eigenen Augen gesehen hast?«
Jennsen streichelte Bettys schlaffe Ohren. »Ich denke, meine aufgestellten Nackenhaare würden mich glatt Lügen strafen.«
Richard sah erneut zum dunklen Horizont. »Mit ihrem schlanken Körper, dem runden Kopf und ihren spitzen Flügeln ähneln diese Riesenkrähen allen mir bekannten Falkenarten. Meist spreizen sie im Gleitflug ihre Schwanzfedern, ansonsten ist ihre Silhouette im Flug eher schmal.«
Jennsen nickte, offenbar war sie mit seiner Beschreibung der charakteristischen Merkmale einverstanden.
»Sie sind schnell, überaus kräftig und angriffslustig«, fügte Richard hinzu. »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie eine von ihnen einen Präriefalken mitten im Flug mühelos mit den Krallen packte.«
Seine Schilderung schien allen die Sprache verschlagen zu haben.
Richard war in den schier endlosen Wäldern Westlands aufgewachsen und anschließend Waldführer geworden. Er kannte sich hervorragend mit Tieren und dem Leben in der freien Natur aus, eine Erziehung, die für Kahlan, die in einem Palast in den Midlands groß geworden war, immer noch etwas Exotisches hatte. Sie liebte es, sich von ihm die Natur erklären zu lassen, liebte es, seine Begeisterung über die Wunder dieser Welt, die Wunder des Lebens, zu teilen. Natürlich war er seinem früheren Leben als Waldführer inzwischen längst entwachsen. Ihre erste Begegnung mit ihm, damals in den Wäldern seiner Heimat, schien ein ganzes Menschenleben her zu sein, dabei waren seitdem tatsächlich nur wenig mehr als zweieinhalb Jahre vergangen.
Sie hatten nicht nur eben erst von der Existenz seines Halbbruders erfahren, sondern auch herausgefunden, dass Richard eine Halbschwester hatte: Jennsen. Nach allem, was sie seit ihrer Begegnung am Tag zuvor hatten in Erfahrung bringen können, war auch sie in den Wäldern aufgewachsen. Es war rührend zu sehen, wie sie sich in ihrer einfachen, aufrichtigen Art freute, endlich einen nahen Verwandten gefunden zu haben, mit dem sie vieles gemeinsam hatte. Ihr ungläubiges Staunen über Kahlan und deren geheimnisumwitterte Jugend im Palast der Konfessoren in der fernen Stadt Aydindril wurde nur noch übertroffen von ihrer Begeisterung für ihren großen Bruder.
Jennsen und er hatten verschiedene Mütter, gezeugt aber hatte sie ein und derselbe gewalttätige Tyrann: Darken Rahl.
»Ich habe Falken kleine Tiere in Stücke reißen sehen«, sagte Jennsen. »Ich glaube, die Vorstellung, es könnte einen so großen Falken, ganz zu schweigen fünf von dieser Sorte, geben, behagt mir ganz und gar nicht.«
Betty, ihre Ziege, schien diese Einschätzung zu teilen.
»Wir werden nachts abwechselnd Wache halten«, entschied Kahlan wie als Antwort auf Jennsens unausgesprochene Befürchtung. Das war zwar nicht der einzige Grund, aber Grund genug.
In der gespenstischen Stille verströmte das leblose Felsgestein ringsum noch immer sengende Hitzewellen. Der beschwerliche Fußmarsch von der Ödnis auf dem Grund des Tales und anschließend durch die umliegende Ebene hatte einen vollen Tag gedauert, trotzdem hatte sich niemand über das mörderische Tempo beschwert. Nur Kahlan hatte von der quälenden Hitze hämmernde Kopfschmerzen. So ungeheuer müde sie auch war, sie war sich bewusst, dass Richard in den letzten Tagen weit weniger Schlaf bekommen hatte als alle anderen. Auch wenn seinem ausgreifenden Schritt davon nichts anzumerken war, stand ihm die Erschöpfung deutlich ins Gesicht geschrieben.
Plötzlich wusste Kahlan, warum ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren: Es war die unnatürliche Stille. Man hörte keine Kojoten kläffen, kein Wolf heulte in der Ferne, keine Fledermäuse flatterten, nirgendwo vernahm man das Rascheln eines Waschbären oder das leise Scharren einer Wühlmaus - selbst das Sirren und Zirpen der Insekten fehlte. Normalerweise war das Verstummen all dieser Geräusche ein Zeichen der Gefahr, die Totenstille hier jedoch war auf die Abwesenheit jeglichen Lebens zurückzuführen; es gab weder Kojoten noch Wölfe oder Fledermäuse, nicht einmal irgendwelches Kerbgetier. Nur selten verirrte sich ein Lebewesen in diese vollkommen dürre Ödnis. Die Nacht war hier so lautlos wie der Sternenhimmel.
Die drückende Stille bewirkte, dass trotz der Hitze ein eisiges Frösteln Kahlans Rücken hinaufkroch.
Sie blickte ein letztes Mal zu den Riesenkrähen hinüber, die vor dem Hauch von Violett am westlichen Himmel gerade eben noch zu erkennen waren. Nicht einmal sie, so schien es, mochten lange in dieser Ödnis verweilen, wo sie nicht hingehörten.
»Ziemlich beängstigend, eine Begegnung mit diesen bedrohlichen Kreaturen, vor allem, wenn man überhaupt nichts von der Existenz dieser Tiere wusste«, meinte Jennsen. Sie wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und wechselte das Thema. »Ich hab mir sagen lassen, es bedeutet eine Warnung, wenn am Anfang einer Reise ein Raubvogel über einem kreist.«
»Einmal habe ich zu Beginn einer Reise einen Habicht über mir kreisen sehen«, erwiderte Richard.
»Und was ist passiert?«, fragte Jennsen - so ernst, als könnte seine Erklärung den alten Aberglauben ein für alle Mal klären.
Richards Lächeln ging in ein breites Grinsen über. »Ich habe Kahlan geheiratet.«
Cara, die aufmerksame Mord-Sith-Wächterin Richards, verschränkte trotzig die Arme. »Womit lediglich bewiesen wäre, dass die Warnung der Mutter Konfessor galt und nicht Euch, Lord Rahl.«
Er legte zärtlich den Arm um Kahlans Hüfte, die sich darauf, wie als Antwort auf seine wortlose Geste, lächelnd an ihn schmiegte. Dass sie auf dieser Reise zu Mann und Frau geworden waren, kam ihr erstaunlicher vor als alles, was sie sich je zu erträumen gewagt hätte, denn Frauen wie ihr - Konfessorinnen - war es normalerweise verwehrt, sich romantischen Gefühlen hinzugeben. Richard zuliebe war sie das Wagnis eingegangen - und hatte seine Liebe gewonnen.
Kahlan fröstelte bei dem Gedanken an die schrecklichen Zeiten, als sie in ständiger Angst gelebt hatte, er sei tot.
Doch um dies zu verhindern, gab es ja Cara und ihre Mord-Sith-Schwestern.
Mit der Zeit war Cara zu einer Art Familienmitglied geworden. Und diese Familie hatte nun unerwartet Zuwachs bekommen.
Jennsen wiederum hatte eine geradezu ehrfürchtige Scheu ergriffen, als sie spürte, dass sie mit offenen Armen aufgenommen wurde. Nach allem, was sie bislang hatten in Erfahrung bringen können, hatte sie sich während ihrer ganzen Kindheit verstecken müssen, hatte sie in ständiger Angst gelebt, ihr Vater, der vormalige Lord Rahl, werde sie letztlich doch aufspüren und umbringen lassen, wie alle seine anderen nicht mit der Gabe geborenen Nachkommen auch.
Richard gab Tom und Friedrich, die beim Wagen und den Pferden zurückgeblieben waren, das Signal, dass sie für die Nacht Halt machen wollten. Tom hob den Arm zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und ging daran, sein Gespann abzukoppeln.
Jetzt, da die Riesenkrähen am dunklen, leeren Nachthimmel über dem westlichen Horizont nicht mehr zu erkennen waren, wandte sich Jennsen wieder Richard zu. »Ich vermute, ihre Federn haben an der Spitze eine schwarze Zeichnung.«
Ehe Richard etwas erwidern konnte, fiel Cara ihm ins Wort - mit einer seidenweichen Stimme, die pure Bedrohlichkeit verhieß. »Sie sehen aus, als hätte der Hüter der Unterwelt mit ihnen Totenscheine ausgefüllt.«
Es erfüllte Cara mit Abscheu, diese Vögel auch nur in Richards oder Kahlans Nähe zu sehen - ein Gefühl, das Kahlan teilte.
Jennsen wich Caras aufgebrachtem Blick aus und wandte sich mit ihrem Verdacht stattdessen an Richard.
»Glaubst du, sie werden … uns Schwierigkeiten machen?«
Kahlan presste eine Faust auf ihren Unterleib, um das Angstgefühl zu unterdrücken, das die Frage unwillkürlich bei ihr auslöste.
Er sah tief in Jennsens sorgenvolle Augen. »Ganz offenkundig haben die Rabenvögel unsere Fährte aufgenommen.«
2
Jennsen sah zu den beiden Männern hinüber, die beim Wagen zurückgeblieben waren. Die scharfe Sichel des Mondes über der schwarzen Silhouette des fernen Gebirges spendete gerade genug Licht, dass Kahlan sehen konnte, wie Tom die Zugketten von den kräftigen Zugtieren löste, während Friedrich den übrigen die Sättel vom Rücken nahm.
3
In der unermesslichen Weite der vollkommen stillen Nacht konnte Kahlan deutlich hören, wie Friedrich, ein Stück seitab, mit sanfter Stimme zu den Pferden sprach. Jedes Mal, wenn er bei seiner Arbeit, die Pferde zu versorgen und für die Nacht anzupflocken, an einem Tier vorüberkam, tätschelte er dessen Schulter und strich mit der Hand über seine Flanke. Jetzt, da die endlose Weite außerhalb des Lagers von der Dunkelheit verhüllt wurde, ließen die vertrauten Handgriffe bei der Versorgung der Tiere die unbekannte Umgebung etwas weniger bedrohlich erscheinen.
Friedrich war ein älterer, anspruchsloser Mann von durchschnittlicher Größe. Trotz seines Alters hatte er die lange und beschwerliche Reise in die Alte Welt auf sich genommen, um Richard zu finden, und zwar gleich nach dem Tod seiner Frau, denn er trug wichtige Informationen bei sich; der schmerzliche Verlust war seinen sanften Gesichtszügen noch immer anzusehen. Traf Kahlans Vermutung zu, würde sich das auch nicht mehr ändern.
Im schwachen Licht bemerkte sie Jennsens verstohlenes Lächeln, als Tom in ihre Richtung blickte. Ein jungenhaftes Strahlen huschte kurz über das Gesicht des kräftigen, blondschöpfigen D’Haraners, der jedoch sofort wieder an die Arbeit ging und mehrere Bündel mit Bettzeug unter der Sitzbank hervorzog. Er stieg über die auf der Ladefläche liegenden Vorräte hinweg und reichte Richard einen Stapel hinunter.
»Wir haben kein Feuerholz, Lord Rahl.« Einen Fuß auf das Stützgitter gestellt, stützte Tom sich mit dem Unterarm auf dem angewinkelten Knie ab. »Aber wenn Ihr wollt, ich hab ein wenig Holzkohle, die wir zum Kochen nehmen können.«
»Was ich wirklich möchte, ist, dass Ihr endlich aufhört, mich ›Lord Rahl‹ zu nennen. Wenn Euch dieser Titel in Gegenwart der falschen Leute herausrutscht, können wir alle in gewaltige Schwierigkeiten geraten.«
Grinsend klopfte Tom auf den verzierten Buchstaben R auf dem silbernen Heft des Messers in seinem Gürtel. »Ihr könnt ganz unbesorgt sein, Lord Rahl. Stahl gegen Stahl.«
Richard quittierte die auf die Bande bezogene, oft wiederholte Parole, die das d’Haranische Volk mit ihrem Lord Rahl verband und umgekehrt, mit einem Seufzen. Tom und Friedrich hatten versprochen, Richards und Kahlans Titel in Gegenwart Dritter unausgesprochen zu lassen; lebenslange Gewohnheiten ließen sich jedoch nicht von heute auf morgen ablegen.
»Das wär’s«, verkündete Tom, als er die letzte Rolle mit Bettzeug hinunterreichte. »Wollt Ihr nun ein kleines Kochfeuer oder nicht?«
»Meiner Meinung nach kommen wir in dieser Hitze gut ohne zusätzliches Feuer zurecht.« Richard stapelte das Bettzeug auf einen bereits abgeladenen Sack mit Hafer. »Außerdem wäre es mir lieber, wir würden keine Zeit darauf verschwenden. Ich möchte gleich mit dem ersten Licht des Tages aufbrechen, im Übrigen brauchen wir ausreichend Schlaf.«
»Da mag ich Euch nicht widersprechen«, sagte Tom und richtete seinen mächtigen Körper zu voller Größe auf. »Es gefällt mir nicht, dass wir ohne jede Deckung im offenen Gelände herumlaufen, wo uns jeder mühelos aufspüren kann.«
Richard deutete mit einer viel sagenden Geste auf das dunkle Himmelsgewölbe über ihnen.
Tom schickte einen wachsamen Blick gen Himmel, ehe er sich mit einem zögernden Nicken wieder an die Arbeit machte und Werkzeug hervorkramte, um das Pferdegeschirr und die Holzeimer zum Tränken der Pferde auszubessern. Richard stützte einen Stiefel auf das robuste Hinterrad des Wagens und kletterte hinauf, um ihm dabei zur Hand zu gehen.
Tom, ein zurückhaltender, aber freundlicher Bursche, der erst am Vortag, unmittelbar nach ihrem Zusammentreffen mit Jennsen, zu ihnen gestoßen war, schien nach außen hin eine Art Händler zu sein, der in seinem Wagen irgendwelche Waren transportierte. Der Transport dieser Waren, hatten Richard und Kahlan herausgefunden, lieferte ihm den Vorwand, jederzeit überall dorthin reisen zu können, wo er gebraucht wurde. Er war Mitglied einer im Geheimen operierenden Gruppe, deren eigentliche Aufgabe darin bestand, Lord Rahl vor versteckten Intrigen und Gefahren zu schützen.
Plötzlich fragte Jennsen ganz unvermittelt: »Was meinst du, weshalb könnte wohl jemand Interesse haben, eure Fährte mit Hilfe dieser Vögel zu verfolgen?«
Kahlan sah die junge Frau erstaunt an. »Wir befinden uns mitten in der Alten Welt, Jennsen. Auf feindlichem Gebiet verfolgt zu werden, das ist nun wirklich nichts Überraschendes.«
»Vermutlich hast du Recht«, musste Jennsen zugeben. »Nur hatte ich den Eindruck, es müsste noch etwas anderes dahinter stecken.« Trotz der Hitze rieb sie sich die Arme, als hätte sie soeben ein Frösteln überkommen. »Du machst dir keine Vorstellung, wie versessen Kaiser Jagang darauf ist, euch in die Hände zu bekommen.«
Kahlan lächelte in sich hinein. »O doch, ich denke schon.«
Jennsen schaute Richard einen Moment lang zu, wie er die Wassereimer aus den auf dem Wagen mitgeführten Fässern füllte und sich dann hinunterbeugte, um sie Friedrich einen nach dem anderen anzureichen. Als alle Eimer voll waren, hielt Richard seinen eigenen Wasserschlauch unter die Wasseroberfläche, um ihn ebenfalls zu füllen.
Kopfschüttelnd wandte sich Jennsen wieder Kahlan zu. »Kaiser Jagang wollte mich mit einer List glauben machen, Richard wolle meinen Tod.« Sie sah kurz zu den mit ihrer Arbeit beschäftigten Männern hinüber, ehe sie fortfuhr. »Ich war dabei, als er Aydindril überfiel.«
Plötzlich meinte Kahlan, ihr Herz bis zum Hals schlagen zu spüren; zum ersten Mal bekam sie aus erster Hand bestätigt, dass der Rohling jene Stadt überfallen hatte, in der sie aufgewachsen war. Sie musste diese Frage stellen, auch wenn sie die Antwort nicht ertragen zu können glaubte. »Hat er die Stadt vollständig zerstört?«
Nachdem man Richard gefangen genommen und von ihr getrennt hatte, hatte Kahlan die d’haranische Armee mit Caras Hilfe gegen Jagangs gewaltige Invasionsstreitmacht aus der Alten Welt geführt. Monat für Monat hatten Kahlans Truppen auf einem quer durch die gesamten Midlands führenden Rückzug einer schier unglaublichen Übermacht getrotzt.
Als die entscheidende Schlacht um die Midlands verloren ging, hatte sie Richard schon seit über einem Jahr nicht mehr gesehen - offenbar war er der Vergessenheit anheimgefallen. Nachdem sie endlich in Erfahrung gebracht hatte, wo er gefangen gehalten wurde, war sie mit Cara nach Süden in die Alte Welt geeilt, nur um dort mitzuerleben, wie Richard im Herzen von Jagangs Heimat einen wahren Feuersturm der Revolution entfachte.
Vor ihrem Aufbruch hatte sie noch Aydindril und den Palast der Konfessorinnen evakuiert und damit vielen Menschen ihr Zuhause genommen. Was zählte, war das nackte Überleben, nicht irgendein Gebäude oder Ort.
»So weit kam es gar nicht erst«, antwortete Jennsen. »Als er am Palast der Konfessorinnen eintraf, glaubte er noch, er hätte dich und Richard in die Enge getrieben. Stattdessen erwartete ihn vor den Toren des Palasts eine Lanze mit dem Kopf seines verehrten geistigen Ordensoberhaupts - Bruder Narev.« Sie senkte bedeutungsvoll die Stimme. »Schließlich entdeckte Jagang die Nachricht, die man beim Kopf zurückgelassen hatte.«
Kahlan war der Tag, an dem Richard den Kopf dieses ruchlosen Verbrechers mitsamt der Botschaft an Jagang nach Norden geschickt hatte, noch lebhaft in Erinnerung. »›Mit besten Empfehlungen von Richard Rahl‹«.
»Genau«, sagte Jennsen. »Ich nehme an, du kannst dir denken, wie wütend Jagang war.« Sie legte eine kurze Pause ein, um sicherzugehen, dass Kahlan ihre Warnung verstanden hatte. »Er würde alles tun, um dich und Richard in die Hände zu bekommen.«
Nun, um das zu wissen, war sie wirklich nicht auf Jennsens Erklärungen angewiesen.
»Ein Grund mehr, sich aus dem Staub zu machen und sich irgendwo zu verstecken«, warf Cara ein.
»Und die Riesenkrähen?«, erinnerte sie Kahlan.
Cara warf einen viel sagenden Blick auf Jennsen, ehe sie ihr mit ruhiger Stimme antwortete. »Wenn wir uns um alles andere kümmern, löst sich das Problem vielleicht von selbst.« Sie, die sie nichts anderes als Richards Sicherheit im Sinn hatte, wäre absolut glücklich gewesen, ihn in irgendein finsteres Loch zu sperren und dies mit Brettern zu vernageln, sofern sie damit alles Unheil von ihm fernhalten konnte.
4
»Irgendjemand hungrig?«, rief Tom zu den drei Frauen hinüber.
Richard zog eine Laterne von der Ladefläche des Wagens und stellte sie, nachdem es ihm endlich gelungen war, sie anzuzünden, auf einen Felsvorsprung. Er musterte die Frauen mit argwöhnischem Blick, als sie sich ihm näherten, und schien etwas sagen zu wollen, ließ es aber dann sein.
Kaum hatte Kahlan sich gleich neben Richard niedergelassen, reichte ihm Tom die erste dicke Scheibe, die er von einem langen Stück Wurst abgeschnitten hatte. Als dieser ablehnte, griff an seiner Stelle Kahlan zu. Tom schnitt eine weitere Scheibe ab und reichte sie Cara, gleich darauf noch eine für Friedrich. Jennsen war unterdessen zum Wagen gegangen, um etwas in ihrem Rucksack zu suchen.
Hätten sie ein Feuer gehabt, hätten sie sich einen Eintopf, ein Reisgericht oder Bohnen kochen, auf einem Blech ein paar Gerstenfladen backen oder vielleicht eine leckere Suppe zubereiten können. Trotz ihres Hungers bezweifelte Kahlan, dass sie die Kraft zum Kochen aufgebracht hätte, deshalb war sie bereit, sich mit dem zufrieden zu geben, was zur Hand war. Jennsen entnahm ihrem Rucksack ein paar Streifen Trockenfleisch und bot sie den anderen an. Richard lehnte auch diese ab und begnügte sich stattdessen mit hartem Reisezwieback, Nüssen und getrockneten Beeren.
»Aber willst du denn kein Fleisch?«, fragte Jennsen, als sie sich ihm gegenüber auf ihrem Bettzeug niederließ. »Das kann dir doch unmöglich reichen. Du brauchst etwas Sättigenderes.«
»Ich bekomme kein Fleisch mehr hinunter. Nicht, seit die Gabe in mir erwacht ist.«
Jennsen rümpfte die Nase und sah ihn fragend an. »Wieso sollte deine Gabe schuld daran sein, dass du kein Fleisch mehr essen kannst?«
Richard lehnte sich zur Seite, stützte sich auf einen Ellenbogen und betrachtete den weiten, sternenübersäten Himmel, während er nach den passenden Worten für eine Erklärung suchte. Schließlich meinte er: »In der Natur ist Ausgewogenheit die Folge eines Wechselspiels aller existierenden Dinge. Ein einfaches Beispiel: Betrachte die Ausgewogenheit zwischen Raubtieren und ihrer Beute. Gäbe es einen Überschuss an Raubtieren, wäre die Beute rasch verzehrt. Für einen kurzen Zeitraum würden die Raubtiere prächtig gedeihen, dann jedoch würden auch sie Hunger leiden und schließlich aussterben.
Der Mangel an Ausgewogenheit würde Beute und Raubtier gleichermaßen zum Verhängnis; beider Existenz würde vernichtet. Sie leben in einem ausgewogenen Verhältnis miteinander, weil dies, wenn nicht ihrer bewussten Absicht, so doch ihrem naturgegebenen Wesen entspricht.
Mit Menschen dagegen verhält es sich anders. Ohne diese bewusste Absicht ist nicht unbedingt gewährleistet, dass wir die oft zum Überleben unentbehrliche Ausgewogenheit erlangen. Deshalb müssen wir, um zu überleben, lernen, unseren Verstand zu gebrauchen. Wir pflanzen Getreide, wir jagen nach Fellen, um uns warm zu halten, wir züchten Schafe, scheren ihre Wolle und lernen, sie zu Tuch zu weben. Wir müssen lernen, uns einen Unterschlupf zu bauen. Wir wägen den Wert verschiedener Gegenstände gegeneinander ab und treiben Handel, um die von uns hergestellten Erzeugnisse gegen Dinge einzutauschen, die wir benötigen - und die von anderen hergestellt, gewebt oder erjagt worden sind.
Somit stellen wir eine Ausgewogenheit zwischen unseren Bedürfnissen und den uns bekannten Gegebenheiten der Welt her. Wir wägen das, was wir wollen, gegen den vernünftigen Vorteil ab, den es uns bringt, statt einem flüchtigen Bedürfnis nachzugeben, denn wir wissen, nur so können wir auf lange Sicht überleben. Wir nehmen Holz und zünden ein Feuer im Kamin an, um in kalten Winternächten nicht zu frieren, aber so sehr wir auch frieren, sind wir stets darauf bedacht, das Feuer nicht zu groß zu machen, denn damit würden wir riskieren, unseren Unterschlupf, nachdem wir wohlig eingeschlafen sind, in Brand zu setzen.«
»Aber manche Menschen handeln doch auch aus kurzsichtigem Eigennutz, aus Habgier und aus Gier nach Macht, und richten damit andere zu Grunde.« Jennsen deutete mit dem Arm hinaus in die Dunkelheit. »Sieh doch nur, was die Imperiale Ordnung tut - noch dazu mit Erfolg. Sie scheren sich nicht darum, Wolle zu spinnen, Häuser zu bauen oder Handel zu treiben. Sie schlachten Menschen ab, nur weil sie ein Land erobern wollen, und nehmen sich, was immer sie begehren.«
»Und wir leisten ihnen Widerstand. Wir haben gelernt, den Wert des Lebens zu erkennen, deswegen kämpfen wir für die Wiedereinführung der Vernunft. Wir sind es, die für Ausgewogenheit sorgen.«
Jennsen strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Aber was hat das alles mit deinem Verzicht auf Fleisch zu tun?«
»Mir wurde beigebracht, dass auch Zauberer für sich selbst - für ihre Gabe, ihre Kraft - Ausgewogenheit erzielen müssen; wie übrigens auch in allem anderen, was sie tun. Ich bekämpfe diese Soldaten, die Imperiale Ordnung, die das Leben vernichten wollen, weil es für sie keinen Wert bedeutet. Dafür ist es aber erforderlich, dass ich ganz ähnliche Gräuel begehe und vernichte, was ich für das wertvollste Gut halte: Menschenleben. Da meine Gabe eng damit verbunden ist, dass ich Krieger bin, gilt mein Verzicht auf Fleisch als Ausgleich für all das Töten, zu dem ich gezwungen bin.«
»Und was geschieht, wenn du doch Fleisch isst?«
Nach dem gestrigen Tag, das wusste Kahlan, hatte Richard allen Grund, durch seinen Verzicht auf Fleisch das Gleichgewicht wiederherzustellen.
»Normalerweise bereitet mir schon der Gedanke, Fleisch zu essen, Übelkeit. Wenn ich musste, habe ich es getan, aber wenn irgend möglich verzichte ich darauf. Magie ohne Ausgewogenheit kann schwerwiegende Folgen haben - wie ein zu großes Feuer im Kamin.«
Kahlan kam der Gedanke, dass Richard ja das Schwert der Wahrheit bei sich trug und diese Waffe ihm vielleicht ein ganz eigenes Bedürfnis nach Ausgewogenheit auferlegte. Richard war vom Obersten Zauberer Zeddicus Zu’l Zorander persönlich, von seinem Großvater Zedd, jenem Mann, der einigen Anteil an seiner Erziehung gehabt hatte und von dem er zusätzlich die Gabe geerbt hatte, zum rechtmäßigen Sucher der Wahrheit ernannt worden. Richards Gabe war ihm also nicht nur vom Geschlecht der Rahls, sondern auch von dem der Zoranders vererbt worden. Ausgewogenheit, in der Tat.
Dieses Schwert trugen die rechtmäßig ernannten Sucher nun schon seit nahezu drei Jahrtausenden. Möglicherweise hatte Richards Verständnis für Ausgewogenheit ihm geholfen, die harten Prüfungen, mit denen er konfrontiert worden war, lebend zu überstehen.
Jennsen riss einen Streifen Trockenfleisch ab, während sie darüber nachdachte. »Also, weil du manchmal kämpfen und jemanden töten musst, darfst du, als Ausgleich für diese schreckliche Tat, kein Fleisch essen?«
Richard, der gerade eine getrocknete Aprikose kaute, nickte.
»Es muss schrecklich sein, die Gabe zu besitzen«, sagte Jennsen mit ruhiger Stimme. »Einen so zerstörerischen Zug in sich zu haben, der einen zwingt, einen Ausgleich dafür zu schaffen.«
Sie wich Richards grauen Augen aus. Kahlan wusste nur zu gut, wie schwierig es bisweilen sein konnte, seinem offenen, durchdringenden Blick standzuhalten.
»Genauso habe ich mich damals gefühlt, nachdem ich zum Sucher ernannt worden war und das Schwert bekommen hatte - und mehr noch später, als ich erfuhr, dass ich die Gabe besaß. Ich wollte das alles gar nicht, wollte all das nicht, wozu die Gabe mich befähigte - ebenso wenig wie ich das Schwert gewollt hatte, denn es löste gewisse Empfindungen in mir aus, die besser im Verborgenen geblieben wären.«
»Aber jetzt stört es dich doch nicht mehr so - das Schwert oder die Gabe zu besitzen, meine ich?«
»Du besitzt doch selbst ein Messer und hast es schon benutzt.« Richard beugte sich zu ihr und streckte ihr die Hände entgegen. »Und du hast Hände. Hasst du das Messer oder deine Hände?«
»Weder noch. Aber was hat das damit zu tun, dass man die Gabe besitzt?«
»Ich wurde einfach mit der Gabe geboren, so wie man als Mann oder Frau oder mit blauen, braunen oder grünen Augen geboren wird - oder mit zwei Händen. Ich hasse meine Hände doch nicht allein deswegen, weil ich mit ihnen möglicherweise jemanden erwürgen könnte. Mein Verstand lenkt meine Hände, sie handeln nicht aus eigenem Antrieb. Das zu glauben hieße das Wesen der Dinge, ihre wahre Natur, leugnen. Dieses wahre Wesen der Dinge muss man erkennen, wenn man Ausgewogenheit erzielen will - oder wenn man irgendetwas wirklich verstehen will.«
Im Stillen fragte sich Kahlan, wieso es sie nicht ebenso wie Richard nach Ausgewogenheit verlangte. Warum war dieses Bedürfnis für ihn so alles entscheidend, nicht aber für sie? So gern sie sich schlafen gelegt hätte, sie konnte diesen Gedanken nicht für sich behalten. »Oft benutze ich meine Konfessorinnenkraft zu dem gleichen Zweck - um zu töten -, ohne jedoch anschließend, etwa durch Verzicht auf Fleisch, das Gleichgewicht wiederherstellen zu müssen.«
»Nach Ansicht der Schwestern des Lichts wird der Schleier, der die Welt des Lebens vom Reich der Toten trennt, durch Magie aufrechterhalten. Oder präziser, sie behaupten, der Schleier befindet sich hier drin« - Richard tippte sich gegen die Schläfe -, »und zwar bei denen unter uns, die die Gabe besitzen, also Zauberern, und in geringerem Maße Hexenmeisterinnen. Sie behaupten, Ausgewogenheit sei für uns, die wir die Gabe besitzen, unbedingt erforderlich, weil uns, beziehungsweise unserer Gabe, der Schleier innewohnt, wodurch wir unserem Wesen nach zu Wächtern des Schleiers und damit zum Gleichgewicht zwischen den Welten werden.
Mag sein, dass sie Recht haben. Ich besitze beide Seiten der Gabe, additive und subtraktive Magie. Vielleicht besteht darin der Unterschied für mich, vielleicht macht der Besitz beider Seiten der Magie es für mich noch wichtiger als ohnehin, die Gabe im Gleichgewicht zu halten.«
Cara beendete die Diskussion, indem sie Kahlan und Richard mit einem Stück Trockenfleisch vor dem Gesicht herumfuchtelte. »Dieses ganze Gerede über Ausgewogenheit ist nichts anderes als eine Nachricht von den Guten Seelen aus der anderen Welt, die Richard mitteilen wollen, er soll das Kämpfen uns überlassen. Täte er es, müsste er sich auch keine Gedanken über Ausgewogenheit machen - oder darüber, was er essen darf und was nicht. Wenn er sich nicht ständig in Lebensgefahr brächte, wäre seine Ausgewogenheit in prächtigem Zustand, und er könnte eine ganze Ziege verspeisen.«
Jennsen zog erschrocken die Brauen hoch.
»Ihr wisst schon, was ich meine«, brummte Cara.
Tom beugte sich vor. »Vielleicht hat Herrin Cara ja Recht, Lord Rahl. Ihr verfügt über Personen, die Euch beschützen; vielleicht solltet Ihr ihnen diese Arbeit überlassen, damit Ihr Euch voll und ganz auf Eure Aufgabe als Lord Rahl konzentrieren könnt.«
Richard schloss die Augen und rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. »Wenn ich jedes Mal darauf warten müsste, dass Cara mich rettet, würde ich vermutlich längst kopflos durch die Weltgeschichte laufen.«
Als sie den Anflug eines Lächelns bei ihm bemerkte, verdrehte Cara die Augen und machte sich wieder über ihre Wurst her.
»Mein Großvater Zedd besitzt ebenfalls die Gabe«, erklärte Richard dann und lehnte sich zurück. »Er wollte mich fernab aller Magie großziehen - ganz so wie Jennsen -, an einem verborgenen Ort, wo Darken Rahl meiner nicht habhaft werden konnte. Deswegen wollte er auch, dass ich in Westland aufwuchs, jenseits der Grenze, hinter der es Magie gab.«
»Und Euer Großvater - immerhin ein Zauberer - hat sich niemals anmerken lassen, dass er die Gabe besitzt?«, fragte Friedrich.
»Nein, nicht, bis Kahlan nach Westland kam. Im Nachhinein sehe ich jetzt, dass eine ganze Reihe von Kleinigkeiten darauf hindeuteten, dass er mehr war, als er zu sein vorgab, aber damals war ich vollkommen ahnungslos. In meinen Augen war er damals nur insofern ein Zauberer, als er praktisch alles über unsere Welt zu wissen schien. Und diese Welt erschloss er mir, indem er in mir den steten Wunsch weckte, alles über sie zu erfahren. Aber diese Art Magie hatte mit der Gabe nichts zu tun - er hat mir einfach das Leben gezeigt.«
»Dann ist es also tatsächlich wahr«, sagte Friedrich, »dass Westland eine Art magiefreies Reservat bleiben sollte.«
Richard musste lächeln, als der Name seiner Heimat Westland fiel. »Ja, das stimmt. Ich bin in den Wäldern Kernlands aufgewachsen, ganz in der Nähe der Grenze, und habe nichts Magisches gesehen. Außer vielleicht Chase.«
»Chase?«, fragte Tom.
»Ein Freund von mir - ein Grenzposten. Er hat etwa Eure Größe, Tom. Während Ihr in Diensten des Lord Rahl steht, um ihn zu beschützen, hatte Chase sich um das Grenzgebiet zu kümmern, oder besser, er hatte dafür zu sorgen, dass niemand sich dorthin verirrte. Mir hat er erzählt, es sei seine Aufgabe, das Grenzgebiet von Beutewesen - Menschen - freizuhalten, so dass die Kreaturen, die gelegentlich aus dem Grenzgebiet hervorkamen, nicht noch stärker wurden. Ziel seiner Arbeit war die Aufrechterhaltung der Ausgewogenheit.« Richard lächelte versonnen bei sich. »Er besaß nicht die Gabe, aber ich weiß noch, dass ich damals oft dachte, was der Mann so alles zuwege brachte, müsste eigentlich etwas mit Magie zu tun haben.«
Jetzt lächelte auch Friedrich über Richards Geschichte. »Ich habe mein ganzes Leben in D’Hara verbracht. Als ich noch klein war, waren die Männer, die das Grenzgebiet bewachten, meine großen Vorbilder, und ich hätte viel darum gegeben, einer von ihnen zu werden.«
»Und warum habt Ihr es nicht getan?«, fragte Richard.
»Als die Grenze errichtet wurde, war ich noch zu klein.« Friedrichs Gedanken wanderten in die Vergangenheit, doch dann versuchte er, das Thema zu wechseln. »Wie lange wird es wohl noch dauern, bis wir diese Ödnis wieder verlassen, Lord Rahl?«
Richard blickte nach Osten, so als könnte er in der tiefschwarzen Nacht jenseits des trüben Lichtscheins der Laterne etwas erkennen. »Wenn wir das Tempo beibehalten, müssten wir nach ein paar Tagen das Schlimmste hinter uns haben, würde ich sagen. Jetzt, da das Gelände nach den fernen Bergen hin anzusteigen beginnt, wird der Boden immer steiniger. Das wird unser Vorankommen erschweren, dafür dürfte es, sobald wir in höhere Lagen kommen, nicht mehr ganz so heiß sein.«
»Wie weit ist es noch bis zu diesem Ding … das ich nach Caras Ansicht berühren soll?«, fragte Jennsen.
Richard sah ihr einen Moment lang ins Gesicht. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist.«
»Aber wir gehen doch dorthin?«
»Ja.«
Jennsen knabberte lustlos an einem Streifen Trockenfleisch. »Was ist das überhaupt für ein Ding, das Cara berührt hat? Ich habe allmählich den Eindruck, Cara und Kahlan wollen es mir verheimlichen.«
»Ich habe sie gebeten, es dir nicht zu sagen«, erwiderte Richard.
»Aber warum? Wenn wir es ohnehin sehen werden, warum willst du mir dann nicht sagen, was es ist?«
»Weil du nicht die Gabe besitzt«, erklärte Richard. »Ich möchte, dass du es dir völlig unvoreingenommen ansiehst.«
Jennsen blinzelte verständnislos. »Was könnte das für einen Unterschied ausmachen?«
»Ich bin mit meiner Übersetzung noch nicht sehr weit gekommen, aber soweit ich dem Buch, das Friedrich mitgebracht hat, entnehmen kann, besitzen selbst jene, die nicht im üblichen Sinn mit der Gabe gesegnet sind, zumindest einen winzigen Funken von ihr - was sie in die Lage versetzt, mit der in der Welt existierenden Magie Verbindung aufzunehmen: etwa so, wie man mit Augen geboren sein muss, um Farben wahrnehmen zu können. Wenn man mit Augen geboren ist, ist man in der Lage, ein beeindruckendes Gemälde zu sehen und zu verstehen, selbst wenn man vielleicht nicht fähig ist, ein solches Bild eigenhändig zu erschaffen.
Jeder mit der Gabe gesegnete Lord Rahl zeugt nur einen einzigen mit der Gabe gesegneten Nachkommen. Selbst wenn er noch andere Kinder haben sollte, ist nur selten eines davon ebenfalls mit der Gabe gesegnet. Dennoch verfügen sie über besagten winzigen Funken, wie übrigens auch jeder andere Mensch - selbst sie können sozusagen Farben wahrnehmen.
Nun heißt es aber in dem Buch, dass es äußerst seltene Nachkommen eines mit der Gabe gesegneten Lord Rahl gibt, so wie dich, die gänzlich ohne einen Hauch der Gabe geboren wurden. Im Buch werden sie ›Säulen der Schöpfung‹ genannt. Ganz so wie ein ohne Augen geborener Mensch keine Farben wahrnehmen kann, können diese Menschen keine Magie wahrnehmen.
Doch selbst das trifft die Sache nicht ganz, denn in deinem Fall geht es um mehr als das völlige Unvermögen, Magie wahrzunehmen. Denn für jemanden, der blind geboren wurde, existieren Farben durchaus, nur kann er sie nicht sehen. Du aber kannst Magie nicht nur nicht wahrnehmen, für dich existiert Magie nicht - sie ist nicht Bestandteil deiner Wirklichkeit.«
»Wie ist so etwas möglich?«, fragte Jennsen.
»Das weiß ich nicht«, sagte Richard. »Als unsere Vorfahren die Bande zwischen dem Lord Rahl und dem Volk D’Haras schufen, war damit die einzigartige Fähigkeit verbunden, durchweg einen mit der Gabe gesegneten Nachkommen zu gebären. Magie verlangt nach Ausgewogenheit. Vielleicht hatten sie keine andere Wahl, als es so einzurichten, dass für jeden Menschen wie dich jeweils ein Gegenstück geboren werden musste, damit die von ihnen erschaffene Magie funktionierte. Vielleicht war ihnen aber auch gar nicht klar, was geschehen würde, und sie schufen die Ausgewogenheit gewissermaßen aus Versehen.«
Jennsen räusperte sich. »Was würde passieren, wenn … nun, du weißt schon, wenn ich ein Kind bekäme?«
Richard blickte Jennsen lange und tief in die Augen. »Du würdest Nachkommen zur Welt bringen, die wie du sind.«
Jennsen beugte sich vor; ihre Hände verrieten ihre innere Aufgewühltheit. »Selbst wenn ich jemanden heirate, der einen Funken der Gabe besitzt? Jemand, der, wie du es genannt hast, Farben wahrnehmen kann? Selbst dann wäre mein Kind wie ich?«
»Selbst dann, und zwar ohne jede Ausnahme«, erwiderte Richard mit ruhiger Gewissheit. »Du bist ein zerbrochenes Glied in der Vererbungskette der Gabe. Laut Buch verhält es sich so: Wird die Reihe all derer, die mit einem Funken der Gabe geboren wurden, diejenigen eingeschlossen, die wie ich tatsächlich mit der Gabe geboren wurden - eine Reihe, die Tausende von Jahren, ja bis in die Ewigkeit zurückreicht -, nur ein einziges Mal unterbrochen, so ist sie für immer unterbrochen und kann nicht wiederhergestellt werden.
Aus diesem Grund machte der jeweilige Lord Rahl Jagd auf seine nicht mit der Gabe gesegneten Nachkommen und vernichtete sie, denn diese Menschen würden zum Ursprung von etwas, das man bis dahin in der Welt nicht kannte: den von der Gabe Unberührten. Jeder Abkömmling eines jeden Nachkommen würde die Vererbungskette des Funkens der Gabe bei jedem unterbrechen, den sie zum Ehegatten nähmen, und damit die Welt unwiederbringlich verändern.
Aus diesem Grund werdet ihr, wie schon gesagt, in dem Buch als ›Säulen der Schöpfung‹ bezeichnet.«
Die Stille war zum Zerreißen gespannt.
»Und genauso wird auch dieser Ort genannt«, sagte Tom und deutete mit dem Daumen über seine Schulter; offenbar verspürte er das Bedürfnis, das Schweigen zu brechen. »›Die Säulen der Schöpfung. ‹« Er betrachtete die Gesichter, die sich um das trübe Licht, das die flackernde Laterne spendete, scharten. »Scheint mir eine seltsame Fügung zu sein, dass sowohl die Menschen wie Jennsen als auch dieser Ort denselben Namen tragen.«
Richard starrte leeren Blicks hinüber zu jenem grauenhaften Ort, an dem Kahlan getötet worden wäre, wäre ihm bei der Anwendung der Magie ein Fehler unterlaufen. »Ich bin fest davon überzeugt, dass beides in bestimmter Weise miteinander verbunden ist.«
Das Buch - »Die Säulen der Schöpfung« -, in dem die wie Jennsen geborenen Menschen beschrieben wurden, war in der uralten Sprache Hoch-D’Haran verfasst, einer Sprache, die kaum ein Lebender noch verstand. Richard hatte sie zu lernen begonnen, um wichtige Informationen aus anderen Büchern aus der Zeit vor dem Großen Krieg, die sie gefunden hatten, entschlüsseln zu können.
Dieser Weltenbrand, erloschen vor dreitausend Jahren, war irgendwie erneut entflammt und hatte sich unkontrolliert über die gesamte Welt ausgebreitet. Kahlan wagte gar nicht daran zu denken, welch maßgebliche - wenn auch unvermeidbare - Rolle sie und Richard dabei gespielt haben mochten.
Jennsen beugte sich vor, so als suchte sie nach einem Hoffnungsschimmer. »Wieso glaubst du, zwischen beiden könnte eine Verbindung bestehen?«
Richard fühlte sich völlig erschöpft und stieß einen Seufzer aus. »Ich weiß es nicht, noch nicht.«
Jennsen rollte einen kleinen Stein im Kreis herum, so dass eine feine Spur im Staub zurückblieb. »All diese Geschichten über mich, dass ich eine Säule der Schöpfung sein und die Vererbungskette der Gabe unterbrochen haben soll, geben mir das Gefühl, ich sei irgendwie … schmutzig.«
»Schmutzig?« Sie so etwas auch nur aussprechen zu hören schien Tom bereits zu kränken.
Richard stützte seine Ellbogen auf die Knie. »Ich kenne das Gefühl, sich für die Dinge, die einem von Geburt an mitgegeben sind, schuldig zu fühlen - für die Talente, die man besitzt oder nicht. Mir war es stets zuwider, mit der Gabe geboren zu sein, trotzdem habe ich mittlerweile erkannt, wie unsinnig solche Empfindungen sind, und wie widersinnig es ist, sich selbst so zu verdammen.«
»Aber in meinem Fall ist es etwas anderes«, erwiderte sie und löschte die Spur des Steinchens im Sand mit dem Finger wieder aus. »Du bist nicht der Einzige, auch andere Zauberer oder Hexenmeisterinnen besitzen die Gabe. Oder, wie du es ausgedrückt hast, alle anderen können die Farben zumindest sehen. Ich dagegen bin die Einzige meiner Art.«
Richard betrachtete seine Halbschwester, seine wunderschöne, kluge, nicht mit der Gabe gesegnete Halbschwester, die jeder frühere Lord Rahl auf der Stelle umgebracht hätte, und konnte sich eines strahlenden Lächelns nicht erwehren. »In meinen Augen, Jennsen, bist du rein wie eine Flocke jungfräulichen Schnees - einzigartig und von bemerkenswerter Schönheit. Weißt du, Magie existiert einfach, es geht nicht darum, ob sie ein Recht darauf hat. Das zu glauben hieße das wahre Wesen, die Realität, der Dinge ignorieren. Jeder Mensch hat, solange er anderen nicht das Leben nimmt, ein Recht auf Leben. Es wäre unsinnig, zu behaupten, die Tatsache, dass jemand mit rotem Haar geboren wurde, nähme braunem Haar das Recht, auf seinem Kopf zu wachsen.«
Die Vorstellung schien Jennsen zu amüsieren. Es tat gut zu sehen, dass ihr Lächeln wieder die Oberhand gewann. Tom schien, nach dem Ausdruck auf seinem Gesicht, derselben Meinung zu sein.
Schließlich fragte Jennsen: »Was ist nun mit diesem Ding, das wir in Kürze zu Gesicht bekommen werden?«
»Wenn der Gegenstand, den Cara berührt hat, von einem mit der Gabe Gesegneten verändert worden ist, würdest du, da du Magie nicht wahrnehmen kannst, etwas sehen können, das uns vorenthalten bleibt, nämlich das, was sich hinter der Magie verbirgt.«
»Und du glaubst, das könnte dir etwas Wichtiges verraten?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es nützlich, vielleicht auch nicht, aber auf jeden Fall möchte ich wissen, was du - mit deinem besonderen Blick - siehst, ohne von uns vorher beeinflusst worden zu sein.«
»Wenn du so besorgt um diesen Gegenstand bist, warum hast du ihn dann überhaupt zurückgelassen? Hast du keine Angst, jemand könnte ihn zufällig finden und mitnehmen?«
»Ich mache mir über alles Mögliche Sorgen.«
»Selbst wenn er durch Magie ein wenig verändert worden wäre und sie sein wahres Wesen erkennt«, gab Cara zu bedenken, »heißt das noch lange nicht, dass er nicht mehr das ist, was wir in ihm sehen, oder dass er weniger gefährlich geworden wäre.«
Richard nickte. »Aber zumindest erhalten wir diese zusätzliche Information. Was immer wir herausfinden, könnte für uns von Nutzen sein.«
Cara legte mürrisch die Stirn in Falten. »Ich will doch nur, dass sie ihn wieder herumdreht.«
Richard bedachte sie mit einem Blick, der ihr unmissverständlich zu verstehen gab, kein Wort mehr über dieses Thema zu verlieren. Cara beugte sich mit einem verärgerten Schnauben vor, schnappte sich eine von Richards getrockneten Aprikosen und steckte sie sich in den Mund - nicht ohne ihm dabei einen missbilligenden Blick zuzuwerfen.
Als alle ihr Abendessen beendet hatten, schlug Jennsen vor, die Lebensmittel sicherheitshalber wieder auf dem Wagen zu verstauen, damit die stets hungrige Betty sich in der Nacht nicht daran gütlich tun könne.
Kahlan fand, dass man Friedrichs Alter Rechnung tragen sollte, und fragte ihn, ob er die erste Wache übernehmen wolle; er nahm das Angebot dankbar lächelnd mit einem Nicken an.
Nachdem er Kahlans und sein Bettzeug ausgerollt hatte, löschte Richard die Laterne. Trotz der drückenden Hitze war die Nacht kristallklar, so dass Kahlan, nachdem sich ihre Augen an die geringe Helligkeit gewöhnt hatten, im Licht des schier endlosen Sternenhimmels gerade eben genug erkennen konnte.
Als sie sich schließlich neben Richard niederlegte, sah Kahlan die dunklen Umrisse Jennsens sich neben ihrer Ziege zusammenrollen und die beiden Zwillingsjungtiere behutsam in ihre Arme schließen, wo sie es sich rasch bequem machten.
Richard beugte sich über sie und küsste sie auf die Lippen. »Ich liebe dich, weißt du das?«
»Falls wir jemals wieder einen Augenblick für uns alleine haben sollten«, erwiderte Kahlan im Flüsterton, »wünsche ich mir mehr als nur einen flüchtigen Kuss.«
Er lachte leise und gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn, ehe er sich mit dem Rücken zu ihr auf die Seite drehte. Sie hatte ein zärtliches Versprechen erwartet, oder doch zumindest eine scherzhafte Bemerkung.
Kahlan schmiegte sich an ihn, legte ihm eine Hand auf die Schulter und fragte leise: »Ist mit dir alles in Ordnung, Richard?«
Seine Antwort ließ länger auf sich warten, als ihr lieb sein konnte. »Ich habe rasende Kopfschmerzen, allerdings nicht dieselben Kopfschmerzen, die ich früher hatte«, sagte Richard wie als Antwort auf ihre Gedanken. »Vermutlich ist es diese grauenhafte Hitze in Verbindung mit dem langen Schlafmangel.«
»Vermutlich.« Kahlan faltete die Decke, die sie als Kopfkissen benutzte, zu einem dicken Bündel zusammen und schob sie als Stütze unter die empfindliche Stelle an ihrem Halsansatz. »Ich spüre von der Hitze auch einen Druck im Kopf.« Sie strich ihm zärtlich über seine Schulter. »Also dann, schlaf gut.«
Erschöpft und am ganzen Körper zerschlagen, wie sie war, war es ein herrliches Gefühl, sich endlich ausstrecken zu können. Dank der fest zusammengefalteten Decke unter ihrem Nacken ging es auch ihrem Kopf bald besser. Die Hand noch immer auf Richards Schulter, spürte sie seinen ruhigen Atem und sank schon bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
5
Als Caras sanftes Rütteln an ihrer Schulter sie wieder weckte, glaubte sie eben erst eingeschlafen zu sein.
Blinzelnd blickte sie zu der vertrauten, über ihr stehenden Gestalt hoch. Sie hätte viel dafür gegeben, weiterschlafen zu können, in Ruhe gelassen zu werden, um sich wieder dem süßen Schlaf hinzugeben.
Stattdessen fragte sie: »Meine Wache?«
Cara nickte. »Wenn Ihr wollt, kann ich sie übernehmen.«
Kahlan richtete sich auf, warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Richard noch immer tief und fest schlief. »Nein«, antwortete sie leise. »Seht zu, dass Ihr ein wenig Schlaf bekommt. Ihr braucht dringend etwas Ruhe.«
Kahlan gähnte und streckte sich, dann fasste sie Cara beim Ellbogen und zog sie ein kleines Stück fort, bis sie außer Hörweite waren. »Ich glaube, Ihr habt Recht. Wir sind mehr als genug, um Wache zu stehen und trotzdem ausreichend Schlaf zu bekommen. Lassen wir Richard bis zum Morgen durchschlafen.«
Cara willigte mit einem Lächeln ein, ehe sie sich zu ihrem Bettzeug hinüberbegab. Einer Mord-Sith war jedes Komplott recht, solange es Richards Sicherheit diente.
Während Kahlan sich das Haar aus dem Gesicht strich und es über ihre Schulter warf, ließ sie ihren Blick auf der Suche nach irgendetwas Ungewöhnlichem über die trostlose Wüste schweifen. Rings um das Lager war es totenstill; am Horizont verdunkelte die schroffe Zackensilhouette des Gebirges den weiten, mit funkelnden Sternen übersäten Himmel.
Sie ließ ihren Blick sorgfältig über ihre Gefährten schweifen und vergewisserte sich, dass sie niemanden vergessen hatte. Cara hatte es sich offenbar bereits behaglich gemacht. Tom schlief unweit der Pferde, jenseits von ihnen hatte Friedrich sich schlafen gelegt. Jennsen lag zusammengerollt neben Betty, schien aber, nach ihren unruhigen Bewegungen, wenn sie sich von der Seite auf den Rücken wälzte, nicht zu schlafen. Die Ziegenjungen hatten sich ein kleines Stück entfernt und lagen nun, alle viere von sich gestreckt, mit dem Kopf fest an ihre Mutter geschmiegt.
Beim Wachwechsel war Kahlan stets besonders aufmerksam. Sie begab sich zu einer nicht weit von Richard entfernten Felsformation, stemmte sich rücklings hoch und ließ sich auf einer erhöhten Stelle nieder, um die vollkommen leblose Umgebung besser im Blick zu haben. Selbst jetzt, mitten in der Nacht, verströmte das raue Felsgestein noch die unerbittliche Hitze des vergangenen Tages. Wenn doch wenigstens ein leichter Windhauch aufgekommen wäre.
Nicht lange, nachdem sie sich auf ihrem Posten eingerichtet hatte, sah sie Jennsen sich von ihrer Decke erheben und, darauf bedacht, keinen der anderen zu wecken, leise durch das Lager schleichen.
»Was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«, fragte sie, als sie schließlich bei ihr angelangt war.
»Aber nein.«
Jennsen stemmte sich mit dem Rücken zum Felsen hoch und setzte sich dicht neben Kahlan, zog die Knie an, schlang ihre Arme darum und zog sie dicht an ihren Körper. Eine Weile starrte sie wortlos hinaus in die Nacht.
Schweigend saßen sie nebeneinander und beobachteten die menschenleere Ödnis. Ab und zu warf Kahlan einen Blick auf Richard, der sich unruhig im Schlaf wälzte, bis schließlich auch Jennsen mit wachsender Besorgnis zu ihm hinübersah. Zu Kahlan gebeugt, sagte sie leise: »Irgendwas scheint mit ihm nicht zu stimmen.«
»Er hat einen Albtraum.«
Wie schon so oft, sah Kahlan ihn im Schlaf die Hände zu Fäusten ballen, während er lautlos gegen einen Schrecken ankämpfte, den nur er allein kannte.
»Wenn man ihn so sieht, könnte man es mit der Angst bekommen«, sagte Jennsen. »Er scheint wie verwandelt. Wenn er wach ist, macht er immer einen so … vernünftigen Eindruck.«
»Mit Vernunft ist einem Albtraum nicht beizukommen«, erwiderte Kahlan in stiller Sorge.
6
Richard schreckte aus dem Schlaf hoch.
Sie waren wieder da.
Er hatte schlecht geträumt, aber wie stets konnte er sich nicht an seinen Traum erinnern. Dass es ein schlimmer Traum gewesen sein musste, wusste er nur deshalb, weil er dieses unbestimmte Gefühl atemlosen, den Puls beschleunigenden, panischen Entsetzens hinterlassen hatte. Er schüttelte den bedrückenden Albtraum ab wie eine zerwühlte Decke. Das Gefühl, die finsteren Wesen aus den letzten Überresten seines Traums hätten noch nicht von ihm abgelassen und versuchten ihn in ihre Welt zu zerren, war zwar noch nicht vollends abgeklungen, trotzdem wusste er natürlich, dass Träume ins Reich der Seele gehörten, und maß dem keine tiefere Bedeutung bei. Jetzt, im Wachzustand, klang das beängstigende Gefühl rasch ab - wie Morgendunst, der sich unter der Einwirkung warmer Sonnenstrahlen verflüchtigte.
Gleichwohl hatte er einige Mühe, seinen Atem zu beruhigen.
Entscheidend war, dass sie wieder da waren. Nicht immer merkte er es, wenn sie zurückkehrten, aus einem unbestimmten Grund jedoch war er sich seiner Sache diesmal sicher.
Irgendwann im Laufe der Nacht war der Wind aufgefrischt; hier draußen in der drückenden Hitze der Wüste boten die heißen, alles verdorrenden Windstöße jedoch keine Linderung von der Hitze. Der Wind war alles andere als erfrischend und so heiß, als hätte jemand die Tür eines Schmelzofens aufgestoßen, dessen Glut ihm jetzt die Haut versengte.
Richard ließ seinen Blick über ihr kleines Lager schweifen und konnte über dem östlichen Himmel einen schwachen rötlichen Schimmer erkennen. Bis zur Dämmerung war es noch ein wenig hin.
Plötzlich wurde er sich bewusst, dass er seine Wache verschlafen hatte. Bestimmt hatten Cara und Kahlan entschieden, dass er den Schlaf dringender brauchte, als er an der Reihe gewesen wäre, um Wache zu stehen, und hatten sich stillschweigend darauf geeinigt, ihn nicht zu wecken. Wahrscheinlich hatten sie sogar Recht gehabt.
Erfreulicherweise waren seine Kopfschmerzen verschwunden.
Leise und vorsichtig, um sie nicht zu wecken, löste er sich von Kahlan und griff instinktiv nach seinem auf seiner anderen Seite liegenden Schwert. Das Metall fühlte sich warm an, als sich seine Finger um das vertraute, aus Gold und Silber gearbeitete Heft schlossen. Es war stets ein beruhigendes Gefühl, das Schwert griffbereit neben sich zu wissen, erst recht in einem Augenblick wie diesem. Lautlos und schwungvoll kam er auf die Beine, streifte sich dabei den Waffengurt über den Kopf und legte den geschmeidigen, vertrauten Lederriemen über seine rechte Schulter, so dass das Schwert, als er schließlich aufrecht stand, bereits an seiner Hüfte hing.
So beruhigend der Gedanke war, die Waffe an seiner Hüfte zu spüren - seit dem Gemetzel bei den Säulen der Schöpfung bereitete ihm bereits die Vorstellung, es zu ziehen, Übelkeit. Ein Schaudern überlief ihn bei dem Gedanken, was er alles damit angerichtet hatte - aber hätte er es nicht getan, würde Kahlan vermutlich jetzt nicht friedlich neben ihm schlummern. Sie wäre tot.
Und noch etwas Gutes war dabei herausgekommen: Jennsen war in letzter Sekunde gerettet worden. Er betrachtete sie liebevoll, wie sie zusammengerollt neben ihrer Ziege lag, den Arm um deren kleine Junge gelegt. Es stimmte ihn froh, dass sie seine Nähe suchte, auch wenn er sich jetzt auch noch um ihre Sicherheit kümmern musste. Aber im Grunde war man ohnehin nirgends wirklich sicher, solange die von der Imperialen Ordnung entfesselten Kräfte nicht besiegt oder doch wenigstens wieder in die Schranken gewiesen waren.
Ein kräftiger Windstoß fegte durch das Lager und wirbelte eine dichte Staubwolke auf. Blinzelnd versuchte er zu verhindern, dass ihm der treibende Sand in die Augen wehte. Auch das Geräusch des Windes störte, da es alle anderen Geräusche überdeckte. So angestrengt er auch horchte, außer dem Wind war nichts zu hören.
Die Augen gegen den wirbelnden Sand zu schmalen Schlitzen zusammengepresst, sah er Tom, den derzeitigen Wachtposten, auf seinem Wagenbock sitzen und mal in diese, mal in jene Richtung spähen. Friedrich schlief jenseits der Pferde, Cara nicht weit entfernt neben Kahlans der Wüste zugewandten Seite - gewissermaßen als Schutzwall zwischen ihnen und allem, was sich dort draußen verbergen mochte. Wegen des kargen Sternenlichts hatte Tom ihn noch nicht bemerkt; als er das nächtliche Dunkel in der entgegengesetzten Richtung mit den Augen absuchte, entfernte sich Richard aus dem Lager und überließ die anderen Toms Wachsamkeit.
Im Schutz der Dunkelheit fühlte er sich sicher; in zahllosen Jahren des Übens hatte er gelernt, unbemerkt von Schatten zu Schatten zu schleichen und sich im Dunkeln geräuschlos zu bewegen. Genau das tat er jetzt. Alle Sinne auf das konzentriert, was ihn geweckt hatte und was die anderen Posten vermutlich gar nicht spürten, ließ er das Lager hinter sich zurück.
Im Gegensatz zu Tom war seine Bewegung den Riesenkrähen keineswegs entgangen. Hoch oben am Himmel kreisten sie und folgten ihm, als er sich vom Lager durch das zerklüftete Gelände entfernte. Vor dem schwarzen Nachthimmel waren sie fast unsichtbar, doch Richard vermochte sie zu erkennen, sobald sie die Sterne verdeckten - verräterische Schatten, die er nicht nur sah, sondern auch zu spüren glaubte.
Plötzlich vernahm er das vertraute Rauschen, als einer der riesigen Raubvögel am Himmel vorüberschoss. Die Riesenkrähe änderte im Flug die Richtung und ließ sich von einer Bö höher tragen, um ihn neugierig zu betrachten.
Unmittelbar hinter ihr folgte eine zweite, dann noch eine dritte, bis sie schließlich zu fünft in lockerer Formation lautlos über die offene Wüste davonglitten. Ihre weit gespreizten Schwingen schwankten leicht, da sie in dem böigen Wind Mühe hatten, ihren Kurs zu halten. Kaum waren sie ein Stück entfernt, machten sie in einem weiten, aufsteigenden Bogen kehrt und kamen im Gleitflug zu ihm zurück.
Kurz bevor sie ihn erreichten, legten sie sich in eine Kehre und begannen zu kreisen. Normalerweise konnte man das leise Rascheln ihrer Federn hören, wenn sie ihre mächtigen Schwingen schlugen, doch wegen des starken Windgeräusches war das jetzt unmöglich. Ihre schwarzen Augen beobachteten ihn, wie er sie betrachtete. Sie sollten ruhig wissen, dass er ihre Gegenwart bemerkt und ihre nächtliche Rückkehr nicht verschlafen hatte.
Doch obwohl er sie keinen Moment aus den Augen ließ, vermochte er sich nicht vorzustellen, was sie mit ihrem Tun bezweckten. Er hatte dieses Verhalten früher schon bei ihnen beobachtet, ohne es wirklich zu verstehen. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er ihre Gegenwart immer dann gespürt hatte, wenn sie dieses merkwürdige Verhalten an den Tag legten, sonst dagegen nicht. Hatte er Kopfschmerzen gehabt, so waren diese, wenn sie zu ihm zurückkehrten, sofort verschwunden.
Den heißen Wind im Haar, ließ Richard den Blick über die trostlose, noch immer im staubigen Dämmerlicht kurz vor Sonnenaufgang daliegende Wüste schweifen. Dieser Ort bar allen Lebens, wo der Anbruch eines neuen Tages keineswegs eine zu neuem Leben erwachende Welt verhieß, behagte ihm kein bisschen. Am liebsten wäre er jetzt mit Kahlan in den Wäldern seiner Heimat gewesen. Er konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als er an den Ort in den Bergen dachte, wo sie den letzten Sommer verbracht hatten. Dort war es so herrlich gewesen, dass sich sogar Cara von der heiteren Stimmung hatte anstecken lassen …
Völlig unvermittelt kippten die Riesenkrähen ihre breiten Schwingen, zogen ihre Kreise enger und näherten sich dem Wüstenboden. Er wusste, sie würden dieses Verhalten für kurze Zeit beibehalten, bis sie ihre Formation schließlich auflösten und wieder auf eine normale Flugbahn zurückkehrten. Bisweilen vollführten sie, wie man es oft bei Krähen beobachten konnte, im eleganten, perfekt eingespielten Paarflug spektakuläre Flugkunststücke, im Übrigen aber entsprach dieses gelegentliche Kreisen in einer fest gefügten Gruppe nicht ihrem gewohnten Verhalten.
Plötzlich, ihre tiefschwarzen Schatten hatten sich zu einem engen Strudel verdichtet, erkannte Richard, dass die aufgewirbelten Sandschleier unter ihnen keineswegs ziellos vom Wind hin und her geweht wurden, sondern in einer seltsam fließenden Bewegung eine unsichtbare Leere auszusparen schienen.
Die feinen Härchen auf seinen Armen stellten sich auf.
Mit zusammengekniffenen Augen blinzelte Richard in den Wind und versuchte, trotz des heulenden Sandsturms etwas zu erkennen, bis eine kräftige Bö plötzlich noch mehr Sand und Staub aufwirbelte. Es war, als mieden die feinen, über den ebenen Wüstenboden dahinjagenden Sandwirbel eine Stelle genau unterhalb der Riesenkrähen - bis sich immer deutlicher eine Gestalt abzuzeichnen begann.
Sie schien die Umrisse eines Menschen zu haben.
Der Staub umwirbelte ein leeres Nichts, verlieh ihm dadurch Form und Gestalt, so als wollte er zeigen, was sich dort befand, ohne es tatsächlich preiszugeben. Wann immer der Wind auffrischte und eine dichte Staubwolke herantrug, glich die vom verwehten Sand umwirbelte Silhouette den Umrissen eines Mannes mit langem Gewand und Kapuze.
Richards Hand tastete nach dem Heft seines Schwertes.
Die Gestalt bestand ausschließlich aus dem Sand, der ihre äußere Kontur umwehte - ganz ähnlich trübem Wasser, das eine Flasche aus durchsichtigem Glas umspült und dadurch ihre verborgene Form offenbart. Die Gestalt schien völlig regungslos dazustehen und ihn zu beobachten.
Obgleich dieses leere, sandumwirbelte Nichts keine Augen hatte, meinte Richard deutlich Blicke auf seinem Körper zu spüren.
»Was ist denn passiert?«, erkundigte sich Jennsen, die plötzlich neben ihm stand, in besorgtem Flüsterton.
Richard schob sie mit seiner linken Hand zurück. Das heftige Bedürfnis, das ihn gerade überkam, war so übermächtig, dass er seine ganze Konzentration aufbieten musste, um dabei nicht allzu grob zu sein. Er hielt das Heft seines Schwertes so fest gepackt, dass sich die erhabenen, mit Golddraht in das Silber eingearbeiteten Buchstaben des Wortes WAHRHEIT spürbar in seine Hand eingruben.
Richard beschwor den Daseinszweck des Schwertes, den eigentlichen Grund seiner Existenz. Als Antwort zündete die Urgewalt der Kraft des Schwertes.
Noch während ihn der Zorn des Schwertes durchströmte, spürte Richard jenseits seines Zorns, in einem verborgenen Winkel seines Verstandes, unerwartet eine vage Abneigung des Magiestromes, seiner Aufforderung nachzukommen.
Es war, als stürzte man durch eine Tür, in der Erwartung, sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Urgewalt eines tosenden Sturms stemmen zu müssen, nur um gleich darauf ins Leere zu stolpern, weil der Widerstand geringer war als erwartet.
Bevor Richard sein Gefühl in Zweifel ziehen konnte, durchflutete ihn eine Woge von Zorn und erfüllte ihn mit der ungestümen, kalten Wut, durch die sich die Kraft des Schwertes offenbarte.
Der Wirbel aus kreisenden Riesenkrähen kam näher. Auch dieses Verhalten war nicht ungewöhnlich, diesmal jedoch wurden sie begleitet von der leeren, nur durch den umherwirbelnden Sand und Staub gezeichneten Gestalt. Es schien, als würde der körperlose Kapuzenmann von den Vögeln mitgeschleppt.
Das charakteristische Klirren von Stahl in der heißen, frühmorgendlichen Luft verkündete die Ankunft des Schwertes der Wahrheit.
Die Bewegung kam so unvermittelt, dass Jennsen ein erschrockener Schrei entfuhr und sie mit einem Satz zurücksprang.
Die Riesenkrähen antworteten mit durchdringendem, spöttischem Krächzen, das vom heulenden Wind herangetragen wurde.
Das unverwechselbare Geräusch, das Richards Schwert beim Ziehen erzeugte, rief Kahlan und Cara in vollem Lauf herbei. Cara hätte sich am liebsten schützend vor ihn geworfen, war aber klug genug, sich ihm, wenn er das Schwert gezogen hatte, nicht in den Weg zu stellen. Den Strafer in der Faust, den Oberkörper leicht vorgebeugt, blieb sie, nicht unähnlich einer Raubkatze kurz vor dem Sprung, jählings etwas seitlich von ihm stehen.
»Was gibt es denn?«, fragte Kahlan, die hinter ihm angelaufen kam und zu der von Wind und Staub umwirbelten Gestalt hinüberstarrte.
»Die Riesenkrähen«, war Jennsens sorgenvolle Stimme zu hören. »Sie sind wieder da.«
Kahlan starrte sie ungläubig an. »Die Riesenkrähen scheinen mir nicht mal das Schlimmste zu sein.«
Richard beobachtete die seltsame Erscheinung, die sich genau unterhalb der kreisenden Vögel abzeichnete. Er spürte das Schwert in seinem Griff, dessen Kraft das Mark seiner Knochen mit einem sachten Kribbeln durchzog, und nahm zum ersten Mal ein kurzes Zögern, einen leisen Anflug von Zweifel wahr. Aber er durfte keine Zeit verlieren. Er wandte sich herum zu Tom, der soeben mit dem Befestigen der Führungsleinen seiner stämmigen Zugpferde fertig war, und machte die Geste des Bogenschießens. Tom machte augenblicklich kehrt und lief zum Wagen zurück, während Friedrich hastig nach den Haltestricken der übrigen Pferde griff und einige Mühe hatte, sie zu beruhigen und zu verhindern, dass sie scheuten. Tom, ins Wageninnere gebeugt, warf auf der Suche nach Richards Bogen und Köcher alle möglichen Ausrüstungsgegenstände zur Seite.
Jennsens Blick wanderte von einer düsteren Miene zur nächsten. »Was soll das heißen, die Riesenkrähen sind noch nicht einmal das Schlimmste?«
Cara deutete mit ihrem Strafer nach vorn. »Da … diese Gestalt. Der Mann dort.«
Jennsen runzelte verwirrt die Stirn, während ihr Blick zwischen Cara und dem aufgewirbelten Sand hin- und herwanderte.
»Was siehst du?«, fragte Richard.
In einer verzweifelten Geste warf sie die Hände in die Luft. »Schwarz gezeichnete Riesenkrähen, fünf an der Zahl. Außerdem Sand, der einem jede Sicht nimmt, sonst nichts. Ist da draußen etwa jemand? Habt ihr jemanden kommen sehen?«
Sie konnte es tatsächlich nicht sehen.
Tom zog endlich Bogen und Köcher von der Ladefläche und lief zu den anderen hinüber, als zwei der Raubvögel, so als hätten sie Tom mit dem Bogen herbeieilen sehen, eine ihrer Schwingen anhoben und einen weiten Bogen beschrieben. Sie umkreisten ihn einmal, ehe sie in der Dunkelheit verschwanden. Die anderen drei dagegen zogen weiter ihre Kreise, so als müssten sie die schwebende Gestalt im wirbelnden Sand aufrecht halten.