Denise Biellmann - Denise Biellmann - E-Book

Denise Biellmann E-Book

Denise Biellmann

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Beschreibung

«Meine Schlittschuhe behandle ich wie ein Schmuckstück, das ich immer in einem speziellen Koffer bei mir trage. Ein Geiger lässt seine Stradivari ja auch nicht aus den Augen. Ich mochte es nicht einmal, wenn jemand sie auch nur anfasste oder gar an ihnen herumdrückte. Meine Schlittschuhe sind ein Teil von mir. Ohne sie kann ich meine Kunst nicht zeigen.» Schon mit drei Jahren steht die kleine Denise im Dolder, einer Eisbahn in Zürich, auf dem Eis, und ihre Mutter – selbst Eiskunstläuferin – erkennt schnell, dass ihre Tochter Talent hat. Bald wird klar, dass dieses Talent sehr groß ist. Mentale Stärke, körperliche Fitness, Mut und Disziplin gesellen sich dazu. Vor allem aber ist Denise Biellmann von Anfang an die personifizierte Freude am Eiskunstlauf und immer dazu in der Lage, ihr Publikum mitzureißen. Und mit eben dieser Freude steht sie auch heute noch täglich auf dem Eis, mittlerweile als Trainerin von Leistungssportlerinnen, Nachwuchs- und Eliteläuferinnen, an die sie ihr Wissen in Sprung- und Pirouetten-Technik weitergibt.

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Seitenzahl: 191

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DENISE BIELLMANN

Die Biografie

CAMEO

1. Auflage 2022

Copyright ©2022 Cameo Verlag GmbH, Bern

Alle Rechte vorbehalten.

Der Cameo Verlag wird vom Bundesamt für Kulturfür die Jahre 2021–2024 unterstützt.

Aufgezeichnet von: Yvonne Eckert, Zürich

Lektorat: Susanne Schulten, Duisburg

Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Cameo Verlag GmbH, Bern

ISBN: 978-3-03951-011-5

eISBN: 978-3-03951-019-1

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Biruweten und Seiltanzen – Kindheit

Mami I

Auf dem Eis hat es einfach gschtumme – Teenagerzeit I

Mein Trainer

Internationale Wettkämpfe und Zimmerpartys – Teenagerzeit II

Asthma

Königliche Ehren und meine Leibspeise – Teenagerzeit III

Die leidige Pflicht

Übernachten in der Zelle – Olympische Winterspiele Lake Placid

Biellmann-Pirouette

Wie in einem Tunnel – WM 1981 Hartford

Stärkung für den Geist – Friebe-Alpha-Training

Ziel erreicht – der Weltmeistertitel

Werbeverträge, Filmangebote und ein Abstecher nach China

Der harte Einstieg in die Glamourwelt – Holiday on Ice

Missgeschicke und die große Liebe – Holiday on Ice, Season Two

Colin I

Vom Star auf dem Eis zum Star in der Manege

«Bei mir geht es auf dem Eis ab» – Profi-Wettkämpfe I

Mami II

Blumen, Autogramme und Liebesbriefe – Fans und Verehrer

Geburtstagsständchen von 18 000 Menschen – Profi-Wettkämpfe II

Colin II

Heldin des Tages und nächtliche Konditionstrainings – Profi-Wettkämpfe III

Abenteuerliche Frankreich-Tournee und ein Abstecher in die Modebranche

Tattoos und andere Dinge, die unter die Haut gehen

Weltweit einzigartiges Showformat – Art on Ice

Nervosität

Erfahrung weitergeben – mein Leben als Coach

Silvia

Älterwerden

Mami III

Epilog

Erfolgstafel

Glossar

Für meine liebes Mami

Ich danke Dir von Herzen, dass Du mir den Wegzum Eiskunstlaufen gezeigt und ermöglichst hast

Prolog

«Ich muss unbedingt nach Hause.» Die Frau am Ticketschalter im Flughafen Göteborg schaut mich fragend an und sagt: «Ihr Rückflug ist aber für einen anderen Tag gebucht.» Ich kämpfe mit den Tränen. Nach dem Wettkampf habe ich das Gesicht gewahrt, bin ins Hotelzimmer zurückgegangen und habe zu packen begonnen. Niemals zuvor habe ich mich so elend gefühlt. Wie konnte das alles nur passieren? Wieso habe ich das Kurzprogramm so verpatzt? Einmal ein Sturz im Sprung, einmal im Schritt. Ich habe mich blamiert, vor der Schweiz, vor der ganzen Welt. Und meine Mutter, die mich sonst meistens zu den Wettkämpfen begleitet, ist nicht mitgekommen. Der Verband hatte gesagt: «Der offizielle Trainer reicht.» Doch wenn es psychisch nicht stimmt, ist das schwierig.

«Ich muss unbedingt nach Hause!» Ich nestle an meinem Kopftuch herum, das ich mir über meine selbstgefärbten orangefarbenen Haare gezogen habe, bevor ich das Taxi zum Flughafen bestellte. «Es ist jemand gestorben.» Die Dame am Ticketschalter schaut nun erst recht skeptisch. «Ich rufe jetzt mal deine Mutter an.»

«Denise!» Ich drehe mich um und sehe meinen Trainer, der die Rolltreppe heruntereilt. Nach meinem überstürzten Abgang beim Wettkampf hatte er mich gesucht. Im Hotel teilte man ihm mit, dass ich ausgecheckt hätte. Drei Leute vom Schweizer Eislaufverband begleiten ihn. Alle versuchen, mich zu beruhigen. «Du musst dein Gesicht wahren.» Ich könne den Wettkampf nicht einfach so abbrechen, das gäbe eine riesige Geschichte in den Medien, Schlagzeilen in der Boulevardpresse à la: «Die Biellmann reist ab – nur weil sie etwas nicht konnte.» Die Männer überlegen, was zu tun ist. Ich kann nicht zur Kür antreten, das geht psychisch einfach nicht. Um mich zu schützen, schiebt man eine Verletzung vor, eine Zerrung.

Ich bin 17 Jahre alt. Seit ich sieben bin, will ich Weltmeisterin im Eiskunstlaufen werden. Bislang ist alles ziemlich rund gelaufen. Doch hier in Göteborg, an der Europameisterschaft Ende Januar 1980, bricht für mich eine Welt zusammen. Ich erlebe erstmals, wie es sich anfühlt, wenn es nicht läuft.

Es muss etwas passieren, rasch. Denn am 13. Februar beginnen in Lake Placid die Olympischen Winterspiele. Zunächst will ich gar nicht nach Amerika reisen, doch die Leute vom Eislaufverband überreden mich. Ich spreche mit meinem Vater. Er sagt: «Es sind ja nur Spiele, darum heißen sie auch so.» Die Welt drehe sich weiter, ob ich gut fahre oder nicht.

Papis Motivation wirkt. Ich ziehe mich zurück, fahre mit Mami nach Adelboden. Wir wohnen in einem Chalet, ganz für uns. Ich trainiere ausdauernd und verliere dabei auch meinen restlichen Babyspeck. Zudem will ich keine roten Haare mehr tragen. Statt erneut selbst Hand anzulegen, lasse ich sie dieses Mal aber von einem Coiffeur wieder blond färben. In dieser kurzen Zeit in den Bergen vollzieht sich ein riesiger Wandel – auch psychisch. Ich will der Welt eine neue Denise zeigen.

An den Olympischen Spielen begeistere ich mit meiner Kür alle Preisrichter und auch das Publikum – erstmals erhalte ich Standing Ovations. Die Schweizer Presse schreibt: «Kürkönigin Denise legt in Lake Placid einen Traumtanz hin.» Wegen meinem zwölften Platz im Pflichtlaufen verpasse ich zwar trotz Sieg in der Kür die Bronzemedaille, aber: Ich habe der Welt die neue Denise gezeigt.

Biruweten und Seiltanzen – Kindheit

Meine Mutter sagt, ich sei ein komisches Kind gewesen und hätte Mödeli gehabt. Vor allem war ich aber extrem scheu. Das zeigte sich auch, als ich mit sieben Jahren vor der Preisverleihung der Europameisterschaft in Zürich auftreten durfte. Meine Mutter hatte den Auftritt im ausverkauften Hallenstadion eingefädelt. Herrn Vögeli, dem Direktor des Stadions, gefiel ihre Idee, die Pause mit einer «herzigen Kleinen» auf dem Eis zu überbrücken. Ich lief unbeschwert meine Kür. Mami sagt, ich sei «schön» gefahren und hätte bereits Sprünge gemacht. Damals konnte ich schon den Doppelten Salchow sowie den Doppelten Lutz. Nach meinem Auftritt sauste ich aber gleich vom Eis. Die Organisatoren schickten mich nochmals hinaus – ich hatte den Knicks vergessen. Das kleine Geschenk, das mir ein Mädchen vom Club darauf überreichte, riss ich wortlos an mich – und düste wieder davon. Eiskunstlaufen machte mir Spaß, das ganze Drumherum war mir jedoch unangenehm.

Zum ersten Mal stand ich mit drei Jahren auf dem Eis, im Dolder. Diese Eisbahn liegt nicht weit entfernt von der 3½-Zimmer-Wohnung in Zürich-Witikon, in der ich aufgewachsen bin. Meine Mutter war selbst eine begeisterte Hobby-Eiskunstläuferin. Sie hat mich und meine ältere Schwester Silvia immer mitgenommen, wenn sie für sich trainierte.

Zuerst bewegte ich mich auf zweikufigen Rutscherli übers Eis und schaute interessiert den anderen zu. Mit vier bekam ich dann richtige Schlittschuhe. Diese waren zwar etwas zu groß, aber Mami zog mir einfach zwei Socken übereinander an, damit ich nicht in den Schuhen herumrutschte. Dann flitzte ich zwischen den anderen Läufern herum und suchte mir auf dem Eis ein Plätzchen zum Üben. Das Ganze hat sich spielerisch ergeben. Von Beginn weg fühlte ich mich wohl auf dem Eis. Meine Scheu abseits davon legte sich jedoch nicht. Und so huschte ich jeweils rasch unterhalb des Glasfensters der Kasse durch, damit ich die Frau im Häuschen nicht grüßen musste.

Doch mit den Schlittschuhen an meinen Füßen wurde ich zu einer anderen Person. In einer Ecke des Eisfeldes habe ich für mich Pirouetten geübt, bin umgefallen, wieder aufgestanden und habe weitergemacht. Ich hatte Talent und ich lernte schnell. Manchmal hat mein Vater gefilmt, wenn ich übte, aber ich mochte das nicht. Er machte seine Aufnahmen dann jeweils aus einer gewissen Entfernung, damit ich ihn nicht bemerkte.

Mit sechs Jahren begann ich zu trainieren – mit meiner Mutter. Täglich übte ich zwei Stunden, oft auch Pflichtfiguren, die mir nicht wirklich lagen. Deshalb hat mir Mami manchmal einen Mandarinenschnitz zugesteckt, wenn ich ein Bögli schön gefahren war. Mit sieben kamen Lektionen bei Herrn Hügin dazu. Zuerst unterrichtete er mich nur einmal in der Woche. Später ging ich täglich zu ihm ins Training. Meine Mutter war immer dabei und machte sich Notizen. Was sie von ihm lernte, konnte sie danach mit mir üben. Auf eine andere Art hätten meine Eltern mein Training gar nicht finanzieren können.

Schon früh hatte ich klare Vorstellungen davon, was ich auf dem Eis zeigen wollte. Als ich noch nicht richtig schreiben konnte, zeichnete ich bereits meine erste Kür auf. Von der ersten Biruwete bis zum Flugi hielt ich alles fest. Später habe ich für andere Kinder aus meinem Eislaufclub auch Paarlauf-Küren aufgezeichnet und diese mit ihnen einstudiert.

Ich habe zwar viel Zeit beim Training auf dem Eis verbracht, daneben war ich aber ein ganz normales kleines Mädchen, manchmal gar ein Luusmeitli. Im Kindergarten hatte ich meinen ersten Freund. Peter war ein hübscher kleiner Bub, der mich immer mit seinem Dreirad abholte. Wir haben oft zusammen gespielt und planten selbstverständlich, später auch zu heiraten.

Eines Tages schlichen wir uns ins Studio eines Malers in der Nachbarschaft. Damit wir uns Zugang zum Raum verschaffen konnten, hatten wir vorher beobachtet, wo der Mann jeweils seinen Schlüssel versteckte. Nachdem wir so ins Studio gelangt waren, wählten wir eine Farbe aus und malten damit den Boden an. Wir fanden das unglaublich lustig. Doch als wir nach Hause kamen, waren auch wir von Kopf bis Fuß grün bekleckert. Peter bekam Schimpfis und Hausarrest. Es war ja nicht ganz ungefährlich – in diesem Malerstudio standen auch Flaschen mit Pinselreiniger herum. Soweit ich mich erinnere, wurde ich wegen unserer Aktion nicht bestraft.

Auch was das Essen anbelangte, ließ mir Mami meine Eigenarten. Ich war sehr wählerisch und aß lange nur ein Menü: Kartoffeln mit etwas Mayonnaise, Kalbfleischwurst, Radieschen und eventuell mal ein Rüebli. Obwohl meine Mutter mir das jeden Tag zubereiten musste, habe ich sie trotzdem ständig gefragt: «Was gibt es heute?» Sie gab immer geduldig Antwort, worauf ich gesagt habe: «Mmh, fein!»

1970 hatte ich als Siebenjährige meinen ersten internationalen Wettkampf in Liège. Das Ganze wäre zwar beinahe ins Wasser gefallen, denn ich hatte mir fünf Wochen zuvor den großen Zeh gebrochen. Beim Fangis mit meiner Schwester war ich im Wohnzimmer über einen Teppich gestolpert. Der Arzt hat mir darauf das Bein bis zum Knie eingegipst. Als der Gips wegkam, begann ich gleich wieder zu trainieren, mit meiner Mutter. Ich hatte nur noch ein paar Tage Zeit. Auch Silvia, die immer mein Vorbild war, wollte an diesem Wettkampf antreten, deshalb hat auch sie noch etwas mit mir geübt.

Mami sagte ihr, wir würden nur nach Belgien reisen, wenn wir beide dort fahren könnten. Das hat sie sicher motiviert – zusätzlich zu den fünf Franken, die Mami ihr versprach, wenn sie mit mir trainierte. Meine Mutter unterrichtete zu dieser Zeit ein paar Erwachsene und war deshalb auf die Unterstützung ihrer Ältesten angewiesen. Am Schluss gewannen wir beide; Silvia bei den Zehn- bis 14-Jährigen, ich in der Kategorie der Sechs- bis Zehnjährigen.

Wenn ich nicht zur Schule musste und weder Training noch Wettkämpfe anstanden, war ich oft mit Karin unterwegs. Sie war meine Primarschulfreundin. An den Mittwochnachmittagen gingen wir meist zum Kiosk, wo wir Schlecksachen kauften. Dann setzten wir uns irgendwo auf das Vordach eines Hauseingangs und verdrückten die Süßigkeiten. Karin bezahlte immer.

Doch natürlich wollte ich mich auch einmal bei meiner Freundin revanchieren und sie «einladen». Eines Tages ergab sich in meinen Augen die günstige Gelegenheit dazu. Die bereits erwachsene Patentochter meines Vaters war zu Besuch, und ihre Handtasche stand unbeobachtet im Flur unserer Wohnung. Ich zögerte nicht lange, fischte rasch ihr Portemonnaie aus der Tasche und nahm eine Hunderter-Note heraus. Als ich später für den ganzen Betrag Fünfer-Mocken kauften wollte, wurde die Kioskfrau misstrauisch. Sonst waren wir ja meist nur mit ein paar Münzen in der Hand zu ihr gekommen. Sie rief deshalb meine Mutter an, die sie persönlich kannte – und so flog das Ganze auf.

Manchmal haben wir auch bei Nachbarn geklingelt und sind dann davongerannt. Was Kinder damals halt so gemacht haben. Vis-à-vis vom Haus, in dem ich aufgewachsen bin, hatte ein Mann sein Büro. Einmal warfen wir Dreck durchs offene Fenster in sein Zimmer. Der Mann erhob sich blitzschnell von seinem Stuhl, kam heraus und rannte uns nach – zum Glück holte er uns aber nicht ein. Danach hatte ich immer ein bisschen Schiss, wenn ich heimkam. Auch wenn ich mit Mami in die Schule oder aufs Eis ging, hoffte ich immer, dass wir nicht auf ihn trafen.

Mit neun Jahren schickte mich meine Mutter zusätzlich zu den Ballettstunden in den Akrobatik-Unterricht. Ihr war klar, dass dies meine weitere Entwicklung als Eiskunstläuferin fördern würde. Solche Sachen hatte sie sich als Kind, das während des Zweiten Weltkrieges aufgewachsen war, selbst beibringen müssen. Deshalb wollte sie, dass meine Schwester und ich eine richtige Ausbildung in diesen Disziplinen bekamen. Zuvor hatten wir beide uns auch im Kunstturnen versucht. Doch bei einem Salto stürzte ich einmal in den Spalt zwischen dem Minitrampolin und dem Sprungkasten und verletzte mich dabei. Danach war mir das Ganze nicht mehr geheuer und ich wechselte ins ungefährlicher wirkende Akrobatik-Training.

Eigentlich wollte ich damals auch Seiltänzerin werden. Wenn es irgendwo auf einem Spielplatz eine Stange hatte, bin ich darauf herumgeturnt. Im Strandbad Mythenquai hatte es Turnstangen, dort oben habe ich oft den Flugi gemacht; ich balancierte auf einem Bein auf der Stange, das andere wie auch meine Arme waren horizontal ausgestreckt. Doch das reichte mir nicht, ich wollte auch zu Hause üben. Dazu sollte meine Mutter eine Schnur zwischen zwei Bäume spannen, Slacklines gab es damals ja noch nicht.

Meine Eltern haben erst richtig realisiert, wie gefährlich mein Herumgeturne manchmal war, als sie ein frisch entwickeltes Foto genauer betrachteten. Eigentlich hatte Mami nur festhalten wollen, wie meine Schwester hinter unserem Wohnhaus die Brücke machte. Doch dann waren da im Hintergrund meine Füße auf der Teppichstange zu sehen … Meine Mutter hatte sich auf die Aufnahme von Silvia konzentriert und gar nicht mitbekommen, dass ich dahinter in der Höhe herumturnte. Diese Aktion verärgerte meine Schwester – in ihren Augen verschandelten meine Füße ihr Foto.

Mein Wunsch, einmal auf einem richtigen Seil tanzen zu können, war riesig. Irgendwann bat ich deshalb meine Mutter: «Mami, frag doch Herrn Knie, ob ich nicht mal bei ihm aufs Seil darf.» Der Zirkus weilte zu dieser Zeit für ein Gastspiel auf dem Sechseläutenplatz. Daraufhin fuhren wir tatsächlich in die Stadt und spazierten ein paarmal um das Zirkuszelt herum. Mami wagte aber nicht, jemanden anzusprechen und meine Bitte zu äußern. Sozusagen als Ersatz haben Silvia und ich danach eine eigene Zirkusveranstaltung organisiert. Natürlich durften dabei auch selbstgezeichnete Einladungen nicht fehlen, die wir in die Briefkästen der Nachbarn steckten. Darauf war zu lesen: «Zirkus hinter dem Haus auf der Wiese. Er wird bei jedem Wetter abgehalten. Es kostet einen Franken. Stühle müssen sie selbst mitnehmen. Sie müssen natürlich nicht, dann können sie einfach nicht sitzen.» Wie man sieht, hatten wir an alles gedacht und nicht nur an unsere Akrobatiknummern …

Weil ich auf dem Dolder nur im Winter trainieren konnte, fuhren wir in den Frühlings- und den Sommerferien jeweils an andere Orte, um dort zu üben. Anfangs ins Trainingslager nach Crans-Montana oder Villars, später mit meiner Mutter nach Adelboden, wo es eine Curlinghalle gab. Im Berner Oberland haben wir jeweils eine Wohnung gemietet, in die wir auch unsere Katze Dixi mitnahmen.

Einmal hatten wir in unserer Unterkunft jedoch «Untermieter», vor denen es mir grauste. Erst kürzlich habe ich die Postkarte gelesen, die ich damals meinem Großvater schrieb und die ihren Weg in eines der Alben meiner Mutter gefunden hat: «Wir haben Silberfischli, die Dixi immer fängt!» ist auf der Karte zu lesen. Doch scheinbar ließ ich mir von den kleinen Tierchen im Bad nicht die Laune verderben, mündete mein Schreiben doch in dem Standard-Satz: «Uns geht es gut.» Herr Hügin, mein langjähriger Trainer, begleitete mich nicht ins Wallis oder nach Adelboden, deshalb trainierte ich dort bei Jack Rhiner. Obwohl man von dem Übernamen, den wir ihm gegeben hatten, etwas anderes erwarten würde, war «Brummbär» ein guter Motivator.

Ich war sehr talentiert und konnte Dinge, die andere nicht beherrschten. Das stärkte natürlich auch mein Selbstbewusstsein. Mit zehn bestand ich den Goldtest und sprang alle doppelten Sprünge. Damals wurden die Medien auf mich aufmerksam. Sie sollten mich danach über Jahre begleiten. Doch das Training und die Reisen zu Wettkämpfen kosteten Geld. Da kam der Tipp meines Großvaters gerade zum richtigen Zeitpunkt. Er riet meiner Mutter, bei der Migros um ein Stipendium für mich anzufragen. Die Zusage war eine große Erleichterung für meine Eltern, denn der finanzielle Druck war nun für die nächsten drei Jahre etwas geringer. Und ich konnte endlich täglich mit Herrn Hügin trainieren. Mit elf Jahren gewann ich erstmals die Junioren-Schweizermeisterschaften, und im selben Jahr beherrschte ich schon die ersten Dreifach-Sprünge.

Nebst Eislaufen und Schule war ich mit meiner Familie viel draußen in der Natur. Sonntags machten wir oft Ausflüge oder gingen wandern. Mami packte selbstgemachte Brötchen in einen Korb und Tam-Tam, die es dann zum Nachtisch gab. Manchmal haben wir auch zusammen Eisenbahn gespielt. Dazu hat mein Vater einen Ast gesucht, den wir alle mit der einen Hand halten mussten; Papi vorne, Mami zuhinterst, dazwischen meine Schwester Silvia und ich. Dann ging’s als «Tschu-Tschu»-Bahn weiter. Die Sommerferien verbrachten wir meist in Italien, auf einem Campingplatz an der Adria. Mir hat es dort immer gefallen. Jedes Jahr kamen dieselben Leute nach Cavallino, und man hat sich wiedergetroffen. Ich fand das super, hatte meine Gspändli und fühlte mich frei.

Doch es gab auch Momente, in denen ich Zelten nicht so cool fand, beispielsweise in unseren Trainingslagern in Crans-Montana. Auf 1'000 m ü. M. wurde es nachts manchmal richtig kühl. Oft fanden wir unsere Waschlappen am nächsten Morgen gefroren vor … das war mir Gfrörli ein zu erfrischender Start in den Tag.

Mami I

Meine Mutter ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Als Kind war ich total auf sie fixiert und klebte richtiggehend an ihr. Wenn sie wegmusste, schaute ich ihr am Fenster hinterher und drückte dabei meine Nase an die Scheibe. So wartete ich, bis sie wieder auftauchte. Am liebsten wäre mir gewesen, wenn sie abends nach dem Gute-Nacht-Kuss einfach bei mir geblieben wäre. Diese enge Beziehung ist bis heute geblieben. Mami hat ja auch alles für mich getan. Damit meine Eltern meine Trainingsstunden und das Reisen zu den Wettkämpfen finanzieren konnten, arbeitete meine Mutter nachts als Telegrafistin. Oder sie hat morgens um drei Uhr in der Früh Zeitungen im Quartier ausgetragen.

Als ich in der Primarschule war, holte mich Mami am Mittag jeweils mit dem Auto von der Schule ab und wir fuhren zur Eisbahn. Dort haben wir trainiert, und danach brachte sie mich wieder in die Schule. Sie war ja nicht nur meine Mutter, sondern auch meine Trainerin – nebst Herrn Hügin. Und ich war kein Kind, das man einfach «abladen» und nach dem Training wieder abholen konnte. Für mich war wichtig, dass sie dabei war. Wenn sie mal nicht da war, weil sie beispielsweise meine Schwester irgendwohin brachte, schaute ich während des Unterricht bei Herrn Hügin immer zum Eingang der Eisbahn. Ich konnte gar nicht richtig trainieren, wenn Mami nicht da war.

Einmal brachte sie mich morgens zum Zahnarzt und musste dann etwas erledigen. Sie schärfte mir ein, dass ich warten solle, bis sie mich abhole. Nachdem meine Zähne kontrolliert worden waren, ging ich ins Wartezimmer. Durchs Fenster sah ich draußen plötzlich ein Auto, das genauso aussah wie das meiner Eltern. Es fuhr davon. Ich vergaß alles, was mir Mami gesagt hatte, und rannte hinaus, dem Fahrzeug hinterher. In meiner Panik dachte ich, dass meine Mutter mich nicht gesehen hätte und nun ohne mich ins Dolder fahre. Das Auto verschwand um die Ecke und ich streckte entgegen allem, was man uns Kindern beigebracht hatte, meinen Daumen in die Luft. Ein fremder Mann fuhr mich dann zur Eisbahn. Als meine Mutter mich später beim Zahnarzt abholen wollte, war ich nicht mehr da. Sie hatte bange Momente, bis sie mich auf der Eisbahn wiederfand. Damals gab es ja noch keine Mobiltelefone.

Mami organisierte auch früh Ballett- und Akrobatikstunden für meine Schwester und mich. Und sie fand immer wieder neue Orte, wo wir trainieren konnten. Während des Sommers ging sie beispielsweise mit uns zum Schulhaus, wo ein Teil des Pausenplatzes durch ein Dach vor Regen und starker Sonneneinstrahlung geschützt war. Dort übten wir dann Akrobatik, Flickflacks usw. Mami scheute wirklich keine Mühe. Damit wir musikalische Begleitung hatten, die uns bei diesem Training anspornte, schleppte sie jeweils extra das Tonband mit.

Ich trainierte gerne mit ihr, sie war keine überehrgeizige Eislaufmutter. Mami übte auch für sich selbst und wusste, wovon sie sprach. Und sie hat immer dafür gesorgt, dass mir geeignete Eishallen zur Verfügung standen. Bis ich zwölf war, konnten wir nur während der Wintermonate im Dolder trainieren, im Sommer war das Eisfeld geschlossen. Später stand uns dann die Curlinghalle in Wallisellen zur Verfügung. Diese war jedoch kleiner als eine «normale» Hockeyhalle. Damit ich gute Trainingsbedingungen hatte, musste das Eis zuvor immer frisch aufbereitet werden. In Wallisellen zog man dazu eine kleine Eismaschine eigenhändig über die Fläche. Oft hat meine Mutter dies selbst gemacht, denn der für die Halle zuständige Eismeister war nicht immer anwesend.

Und Mami übte stundenlang Pflichtfiguren, Sprünge und Pirouetten mit mir. Zudem konnte sie meine Fähigkeiten gut aus mir herauskitzeln. Manchmal sagte sie aber auch: «Du, die Pirouette ist etwas spaziert», obwohl ich das Gefühl hatte, sie sei schnell gewesen. Doch dann dachte ich mir: «Nun, dann mache ich sie halt nochmals und drehe noch schneller.» Ich konnte Kritik von ihr immer gut annehmen. Meine Mutter sagt, dass es ihr deshalb auch leichtgefallen sei, mich zu unterrichten.

Anfangs begleitete mich auch nur Mami an Wettkämpfe. Meine Eltern konnten es sich damals noch nicht leisten, meinen Trainer mitzunehmen. Während der Zeit, in der er mich an Wettkämpfen betreute, konnte er ja nicht unterrichten, und dafür mussten sie ihm ein Ausfallhonorar bezahlen. Dank der Unterstützung durch die Schweizer Sporthilfe und den Schweizer Eislaufverband wurde die finanzielle Belastung meiner Eltern später etwas geringer.

Auf dem Eis hat es einfach gschtumme – Teenagerzeit I

Als ich in die Oberstufe kam, ließ sich mein Training nicht mehr mit einem normalen Stundenplan vereinbaren. Deshalb hat Mami eine Privatlehrerin für mich organisiert, die mich nachmittags unterrichtete. Die beiden vereinbarten einen Spezialpreis, weil meine Eltern sich sonst gar keinen Privatunterricht für mich hätten leisten können. Damals gab es ja noch keine Sportschule. Da Frau Ehrismann viel mehr auf mich eingehen konnte, als wenn ich mit 20 anderen Kindern in einer Klasse gesessen hätte, habe ich auch nicht weniger gelernt als andere Sekundarschüler. Einmal kam meine Lehrerin vorbei, als ich morgens trainierte. Sie war ganz verblüfft, als sie sah, wie aus dem scheuen Mädchen im Unterricht auf dem Eis eine ganz andere Persönlichkeit wurde.

Auf dem Eis hat es einfach gschtumme. Als Dreizehnjährige konnte ich bereits alle Dreifach-Sprünge. Damals zeigten diese sonst nur die drei besten Eiskunstläufer weltweit, keine andere Frau konnte das. Zwar wurden Stimmen laut, die besagten, dass ich nach der Pubertät nicht mehr so springen würde wie als Mädchen, doch dem war zum Glück nicht so. Die kleine Curlinghalle in Wallisellen, in der ich trainierte, setzte diesen Sprüngen allerdings einen engen Rahmen. Trotzdem bin ich selbst dort den Dreifachen Lutz gesprungen – das war wirklich Maßarbeit. Das Eisfeld war nicht mit Banden begrenzt, und ich durfte keinen Zentimeter zu weit springen, sonst wäre ich auf den Beton gestürzt, der das Eis umgab.