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Ein Abend, der die Zukunft einläutet. Ein brutaler Mord, der sie auslöscht.
Svenja Kröger ist Journalistin, doch heute hat sie nur eines im Sinn: den Junggesellinnenabschied ihrer Freundin. Ein besonderer Abend, der Anfang einer glücklichen Zukunft. Doch am nächsten Tag ist alles anders, denn zwei Frauen, die an der Party teilgenommen haben, wurden brutal zu Tode geprügelt. Sofort nimmt die Polizei die Ermittlungen auf, doch diese stößt schnell an ihre Grenzen. Wer steckt hinter dieser sinnlosen Tat? Svenja möchte genau das herausfinden. Gemeinsam mit ihrem Bekannten Steffen Baumann, Chefredakteur bei der Zeitung ›Hamburg-Blick‹, stürzt sie sich in ihre eigenen Ermittlungen. Schnell wird klar, dass es sich hier um ein komplexes Hass-Motiv handelt, das sich gegen Frauen richtet. Die ›Incel‹-Szene rückt in den Fokus der beiden und ein düsteres Spiel um Rache, Manipulation und Frauenhass beginnt, das Svenja und Steffen an ihre psychischen Grenzen treibt.
Steffen Baumann ist zurück – sein neuer Fall, führt ihn in das Herz des Hasses, das ihn zu verschlingen droht.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Robin D. Jensen
Über den Autor:
Robin D. Jensen ist ein Hamburger Autor von Krimis und Thrillern, geboren im Jahr 1959. Ursprünglich war er als IT-Berater in einem größeren amerikanischen Unter-nehmen beschäftigt. Seit 2017 schreibt er vorwiegend Krimis und Thriller.
Von ihm stammt unter anderem die Krimireihe mit dem Hamburger Kommissar Rainer Zufall. Seit April 2024 gibt es eine neue Reihe mit dem Journalisten Steffen Baumann als Protagonisten.
Auf seiner Homepage https://rolandbluemel.de/robin-d-jensen/ kann man mehr über ihn erfahren und sich auch für »Neues von Robin D. Jensen« unter https://t1p.de/xhg79 anmelden, um regelmäßig über seine neuesten Aktivitäten informiert zu werden.
Buchbeschreibung:
Ein Abend, der die Zukunft einläutet. Ein brutaler Mord, der sie auslöscht.
Svenja Kröger ist Journalistin, doch heute hat sie nur eines im Sinn: den Junggesellinnenabschied ihrer Freundin. Ein besonderer Abend, der Anfang einer glücklichen Zukunft. Doch am nächsten Tag ist alles anders, denn zwei Frauen, die an der Party teilgenommen haben, wurden brutal zu Tode geprügelt. Sofort nimmt die Polizei die Ermittlungen auf, doch diese stößt schnell an ihre Grenzen. Wer steckt hinter dieser sinnlosen Tat? Svenja möchte genau das herausfinden. Gemeinsam mit ihrem Bekannten Steffen Baumann, Chefredakteur bei der Zeitung ›Hamburg-Blick‹, stürzt sie sich in ihre eigenen Ermittlungen. Schnell wird klar, dass es sich hier um ein komplexes Hass-Motiv handelt, das sich gegen Frauen richtet. Die ›Incel‹-Szene rückt in den Fokus der beiden und ein düsteres Spiel um Rache, Manipulation und Frauenhass beginnt, das Svenja und Steffen an ihre psychischen Grenzen treibt.
Steffen Baumann ist zurück – sein neuer Fall, führt ihn in das Herz des Hasses, das ihn zu verschlingen droht.
Robin D. Jensen
Der Journalist 5
Thriller
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© September 2025 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Ansprechpartner: Thomas Seidl
Lektorat: Petra Bülow
Korrektorat: Jasmin Schulte
https://zeilenstark.de/korrektorat/
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 439997635, Adobe Stock ID 1101748839
Samstag, 25. Mai 2024
Die sechs Frauen gingen voller Begeisterung mit ihrem Handwagen die Hamburger Reeperbahn entlang. Seit einer guten Stunde hatte Tamara Fischer, die strahlende Braut, der man die Vorfreude auf die Hochzeit von Weitem ansah, alle Aufgaben, die ihr vorgeschrieben wurden, unter großem Gelächter ihrer Begleiterinnen absolviert. Auch Svenja Kröger, die junge Journalistin, die vorher wenig Lust verspürt hatte, bei diesem Junggesellinnenabschied dabei zu sein, hatte sich von der guten Laune anstecken lassen. Ihre Freundin Tamara, die sie seit der Schulzeit kannte, hatte sie regelrecht angefleht, mitzukommen, und so hatte sie sich gefügt. Wie üblich hatte die kleine blonde Svenja ihre langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, der bei jeder Bewegung hin und her wippte. Tamara trug ein strahlend weißes T-Shirt mit der Aufschrift: I am the bride. Die Krone, die Kyra ihr auf ihre blonden Locken setzen wollte, hatte sie abgelehnt.
Neben Kyra Schubert waren auch noch andere Freundinnen bei dem Junggesellinnenabschied dabei, das waren Ida Beier, Kerstin Meyer und Claudia Werner. Kyra Schubert, die beste Freundin und Trauzeugin, trug ebenso wie die anderen Frauen ein knallrotes T-Shirt und Jeans. Ihre langen schwarzen Haare trug sie heute offen. Ida Beier war eher der burschikose Typ. Mit ihren kurzen blonden Haaren und ihrem kantigen Gesicht hätte sie von Weitem auch als Mann durchgehen können. Kerstin Meyer, die Sportliche unter den Frauen, galt als Stimmungskanone, ganz im Gegensatz zu der eher schüchternen, leicht untersetzten Claudia Werner, die ihre halblangen brünetten Haare mit einem Stirnband aufgepeppt hatte. Die Frauen waren bereits seit dem späten Vormittag zusammen. Schon bevor sie losgezogen waren, war reichlich Alkohol geflossen, was dazu geführt hatte, dass die Frauen vor Albernheit aus dem Lachen kaum noch herauskamen.
Sie hatten sich um halb zwölf bei Tamara zu Hause getroffen und waren dann, als Svenja gegen vierzehn Uhr dazustieß, gemeinsam mit der U-Bahn zur Haltestelle St. Pauli gefahren und von dort in Richtung Reeperbahn gelaufen. Auf der rechten Seite konnten sie von Weitem das Riesenrad auf dem Hamburger Dom sehen, wie das große Volksfest heißt, das drei Mal im Jahr stattfindet. Kyra Schubert hatte sich die Aufgaben überlegt, die die Braut zu erledigen hatte, und war dabei nicht gerade zimperlich vorgegangen. Dass Tamara an ihrem ersten Halt singen sollte, war noch die harmloseste Aufgabe.
Als Nächstes sollte sie einen beliebigen Passanten nach seiner Telefonnummer fragen. Die ersten Fünf, die sie ansprach, waren nicht dazu bereit, sie ihr zu geben. Zwei zeigten ihr einen Vogel, bei einem war dessen Begleiterin dabei und zischte Tamara böse an. Ein anderer drehte sich wortlos weg, und der Fünfte zog einen Euro aus der Tasche und gab ihn ihr. Warum, blieb sein Geheimnis. Erst der Sechste nannte ihr lächelnd seine Telefonnummer, wollte aber im Gegenzug ihre haben. Tamara dachte sich eine beliebige aus und gab sie ihm.
Aufgabe Nummer Drei war der Besuch einer Herrentoilette in einem Restaurant, wo sie von zwei Männern, die vor dem Pissoir standen, fassungslos angesehen wurde. Als sie aufgefordert wurde, sich auf offener Straße umzuziehen, weigerte sie sich zum ersten Mal – und die Aufgabe wurde ihr gnädig erlassen. Das wäre aber das einzige Mal, verkündete Kyra. Nach jeder Aufgabe musste Tamara einen Schnaps trinken. Da sie sich geweigert hatte, sich umzuziehen, musste sie zur Strafe drei weitere trinken, was sie allmählich schwanken ließ. Das Gejohle ihrer Freundinnen wurde immer lauter und zog noch mehr Blicke auf die Gruppe als vorher und das, obwohl auf der Reeperbahn eigentlich zu jeder Zeit viel Ungewöhnliches geschieht.
»Nun gut«, sagte Kyra, als Tamara ihren dritten Strafschnaps getrunken hatte. »Das war die eine Strafe für deinen Ungehorsam!« Die vier Freundinnen und Tamara blickten sie gespannt an.
»Was kommt denn jetzt?«, fragte Ida, die zusammen mit Svenja noch den nüchternsten Eindruck machte.
Kyra grinste und sah sich um. »Du sollst ja noch ein wenig Spaß haben, bevor du in einer Woche heiratest, meine Liebe. Als Nächstes musst du deshalb den hässlichsten Mann küssen, der hier in den nächsten Minuten vorbeikommt!«
Tamara seufzte, und die anderen Frauen jubelten vor Begeisterung. Nur Svenja fühlte sich zunehmend befremdet. Sie war noch nie auf einem Junggesellinnenabschied gewesen, aber falls sie selbst einmal heiraten würde, sollte eine solche Veranstaltung gesitteter und nicht so peinlich ablaufen.
Alle blickten den Bürgersteig entlang und betrachteten prüfend die Männer, die ihnen entgegenkamen. Die ersten Drei waren alles andere als hässlich. Trotzdem wurden sie von den Frauen eingehend beäugt, aber die Fünf schüttelten jedes Mal heftig den Kopf.
»Der nicht!«, riefen sie im Chor, was bei den Passanten erstaunte Blicke hervorrief.
Und dann kam er, ein junger Kerl von etwa fünfundzwanzig Jahren mit roten Haaren und einem pickeligen Gesicht in einer abgetragenen Hose, der misstrauisch zu der gutgelaunten Gruppe sah und im Begriff war, einen weiten Bogen um sie zu machen. Unsicher warf er ihnen einen scheuen Blick zu und wollte gerade seine Schritte beschleunigen, als ein Ruf ihn stoppte.
»Das ist er!«, schrie Kyra, und die anderen Frauen bis auf Svenja klatschten in die Hände.
Wie vom Donner gerührt blieb der junge Mann stehen und war in Null Komma nichts von der Gruppe umringt.
»Du hast gewonnen!«, verkündete Kyra und lachte lauthals los. »Du darfst die Braut jetzt küssen.« Das folgende Gejohle der Frauen ließ ihn zusammenzucken. Hilfesuchend schaute er sich um, sah aber keine Fluchtmöglichkeit, ohne eine der Frauen zur Seite zu stoßen.
Kyra schob Tamara auf ihn zu und forderte sie auf: »Los, lös deine Aufgabe. So schlimm ist das doch nicht!«
Tamara sah sich das Opfer an, das wie gelähmt vor ihr stand. Sie hatte zwar wenig Lust, diesen Kerl, der den Tränen nahe zu sein schien, zu küssen, aber sie wollte auch keine Spielverderberin sein. Also nahm sie dessen Gesicht in beide Hände und drückte ihre Lippen auf seine. Er hatte den Mund leicht geöffnet und zuckte erschreckt zurück, als sich ihr Gesicht näherte und sie ihm einen flüchtigen Kuss gab.
»Das war doch nichts, Tamara«, protestierte Kyra. »Richtig mit Zunge«, befahl sie.
»Nein«, erwiderte Tamara. Schon dieser Hauch eines Kusses war ekelhaft gewesen, denn der Mensch hatte auch noch Mundgeruch.
»Doch, los!« Kyra schob sie noch einmal in Richtung des Mannes, der wiederum von zwei anderen von hinten in ihre Richtung gedrängt wurde.
»Na gut«, seufzte Tamara und ging noch einmal auf ihn zu. Die übrigen Frauen bis auf Svenja applaudierten und lachten voller Vorfreude.
Svenja spürte, dass sie an dieser Stelle einschreiten musste, obwohl Tamara, die deutlich mehr Alkohol intus hatte, als sie vertrug, drauf und dran war, dem Drängen Kyras nachzugeben. »Ich denke, das reicht jetzt!«, sagte Svenja.
»Spaßbremse!«, schimpften die anderen, ließen dann aber doch ab und zogen weiter.
Der junge Mann blieb einen Moment wie erstarrt stehen, dann lief er los, als wäre der Teufel hinter ihm her. Vor der Treppe hinunter zur U-Bahn-Station blieb er stehen, holte mit zitternden Fingern sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.
»Hallo, hier ist Per«, begann er, als der Anruf angenommen wurde. »Mir ist etwas ganz Schreckliches passiert!« Atemlos berichtete er von dem Vorfall.
»Okay, wie hieß diese Stacy?«, fragte sein Gesprächspartner.
»Die haben sie Tamara genannt. Das war wohl ein Junggesellinnenabschied.« Ihm schlotterten immer noch die Knie.
»Okay, das heißt, die heiratet demnächst?!«
»Ich glaube schon!«
»Wo sind die jetzt?«
»Auf der Reeperbahn.«
»Gut, dann verfolge sie, und sag Bescheid, wo sie hingehen.«
»Aber …«, versuchte er zu protestieren.
»Mach schon. Das lassen wir nicht auf uns sitzen.«
»Okay!«
Per beendete das Gespräch und machte sich schweren Herzens an die Verfolgung der Gruppe. Sein Kumpel hatte recht. So etwas konnten sie sich nicht gefallen lassen, nicht von Frauen. Die hatten zu gehorchen und sich nicht über Männer lustig zu machen. Etwa hundertfünfzig Meter vor sich entdeckte er die Gruppe, die viel Aufsehen erregte. Ohne sie aus den Augen zu lassen, schlich er hinter ihnen her.
Sonntag, 26. Mai 2024
Svenja Kröger war noch ganz geschafft von dem Junggesellinnenabschied, der bis weit in die Nacht gedauert hatte, sodass sie erst gegen zwei Uhr ins Bett gekommen war. Die Stimmung war feuchtfröhlich gewesen, aber Svenja war es nicht gewohnt, mehr als ein bis zwei Gläser Wein zu trinken. Den übermäßigen Alkoholkonsum bezahlte sie an diesem Morgen mit heftigen Kopfschmerzen und einem ausgewachsenen Kater. Aus geröteten Augen blickte sie in den Spiegel. Zum Glück war Sonntag, sodass sie den Tag ruhig angehen konnte. Die Spiele, die Kyra sich ausgedacht hatte, fand sie zum Teil ziemlich peinlich, vor allem die Geschichte mit dem Küssen eines hässlichen Mannes. Der arme Kerl hatte ihr richtig leidgetan. Er war nach dem Kuss zunächst wie gelähmt stehengeblieben und dann wie von der Tarantel gestochen losgelaufen. So wie Svenja ihn einschätzte, hatte er nicht viel Erfahrung mit Frauen, denn seine Schüchternheit war offensichtlich gewesen.
Svenja meinte, ihn später noch einmal gesehen zu haben, fast so, als ob er sie verfolgt hätte. Sie hatte schon beinahe befürchtet, dass er sich an den Frauen rächen wollte. Aber das wäre dort bei den vielen Menschen sicher zu auffällig gewesen. Außerdem wirkte der Kerl recht harmlos und erschien ihr eher ängstlich als aggressiv. Oder hatte ihm der Kuss so gut gefallen, dass er Tamara unbedingt noch einmal sehen musste? Doch auch das konnte sich Svenja nicht vorstellen. Vielleicht war es auch einfach Zufall gewesen. Irgendwann sah sie ihn auch nicht mehr und hatte ihn bald darauf vergessen.
Svenja beschloss, eine Kopfschmerztablette zu nehmen, denn sie hatte immer noch das Gefühl, als wäre in ihrem Kopf ein Vorschlaghammer an der Arbeit. Zum Glück hatte ihr Chef, Steffen Baumann, der Chefredakteur der Zeitung ›Hamburg-Blick‹, ihr für das Wochenende und die folgende Woche freigegeben. Also konnte sie ihr Unwohlsein in Ruhe auskurieren, um danach wieder voll einsatzfähig zu sein und ihren Kurzurlaub bis zu Tamaras Hochzeit für einige private Dinge zu nutzen.
Gerade hatte sie sich hingelegt, als ihr Telefon klingelte. Seufzend warf sie einen Blick auf das Display. Es war Kyra. Was wollte die denn, fragte sie sich.
»Hey, Svenja, wie geht es dir?«, fragte die Anruferin, die sich erstaunlich fit anhörte.
»Na ja, es geht so. Da war wohl etwas zu viel Alkohol im Spiel gestern«, erwiderte Svenja.
»Wir wollten uns noch einmal wegen der Hochzeit treffen.« Kyra hatte gestern etwas in der Richtung angedeutet, was Svenja aber entfallen war.
»Echt? Hatten wir das gesagt?«
»Jaha!«, erwiderte Kyra hörbar genervt.
»Wann denn?«, fragte Svenja, fürchtete aber die Antwort.
»Na, heute Nachmittag!«
»Puh, mir geht es aber gar nicht gut.« Svenjas Hoffnung auf einen ruhigen Tag drohte gerade zu platzen.
»Komm, stell dich nicht so an. Wir treffen uns um fünfzehn Uhr bei Kerstin.«
»Okay«, antwortete Svenja. Die Aussicht, sich heute noch einmal mit den anderen vier zu treffen, behagte ihr gar nicht, denn es würde sicher wieder anstrengend werden mit den Frauen. Die meisten fand sie ziemlich nervig, vor allem Kyra. Aber es ließ sich anscheinend nicht vermeiden, und irgendwie fühlte sie sich auch dafür verantwortlich, dass ihre Freundin Tamara eine wirklich schöne Hochzeit erhielt und nicht auch auf dem Fest noch mit weiteren peinlichen Spielchen belästigt werden würde.
Sie beendete das Gespräch und kochte sich einen Kaffee, um ihren Kreislauf in Schwung zu bringen. Anschließend stellte sie sich unter die Dusche und ließ zum Schluss kaltes Wasser auf sich niederprasseln. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass sie noch eine knappe Stunde Zeit hatte. Sie legte sich noch einmal hin, nachdem sie sich einen Wecker gestellt hatte, kam aber nicht zur Ruhe.
Pünktlich um fünfzehn Uhr traf sie gemeinsam mit Kyra und Ida bei Kerstin ein. Etwa fünfzehn Minuten später gesellte sich auch Claudia dazu.
»Das war doch ein super Treffen gestern«, sagte Kerstin, als alle zusammensaßen. »Vor allem die Sache mit dem Kuss war klasse. Eine tolle Idee, Kyra«, lobte sie, woraufhin diese strahlte und Svenja mit den Augen rollte, denn sie fand die Aufgaben und vor allem die mit dem Kuss ziemlich peinlich. Falls sie einmal heiraten sollte, würde sie sich gegen eine derartige Veranstaltung aussprechen.
»Ja, das Gesicht von dem Typen war göttlich«, sagte Ida. »Der war wie vom Donner gerührt.«
Genervt ertrug es Svenja, dass die Stimmung bereits wieder hochkochte und die Lautstärke zunahm.
»Also, dann lasst uns mal über die Hochzeit und das Programm sprechen«, schlug Kyra vor.
»Klar!«, erwiderte Kerstin. Im selben Moment klingelte ihr Telefon.
»Lass es klingeln«, sagte Kyra.
»Nein, das ist Carlo, Tamaras Verlobter. Da muss ich rangehen.«
Sie nahm ihr Handy und verließ den Raum. Die anderen vier blieben im Wohnzimmer und warteten, dass Kerstin zurückkehrte, was sie bereits zwei Minuten später tat. Die Stimmung war ausgelassen. Es wurde viel gelacht.
»Endlich«, empfing Kyra sie und wollte gerade mit ihren Erklärungen zum Programm fortfahren, als sie Kerstins ernstes Gesicht bemerkte. »Hey, was ist?«, fragte sie.
Fassungslos starrte Kerstin in die Gesichter. »Es ist etwas Schreckliches passiert.« Sie holte tief Luft. Die vier Frauen sahen sie erschrocken an.
»Was ist?«, fragte Svenja.
»Tamara! Sie ist tot!«
»Was?«, riefen die anderen im Chor. »Wie kann das sein? Hatte sie einen Unfall?«, fragte Kyra.
»Sie ist … ermordet worden!«
Gegen halb fünf betraten die Kommissare Jens Jacobsen und Bianca Seifert das Haus der ermordeten Tamara Fischer, in dem schon reger Betrieb herrschte. Ein Kollege der Spurensicherung begrüßte sie und erklärte, dass der Rechtsmediziner gerade im Schlafzimmer bei der ersten Untersuchung war und der Verlobte der Toten, Carlo Dräger, völlig fertig in der Küche saß und von einem Polizisten betreut wurde.
»Gut«, entschied Jens Jacobsen, »dann sprechen wir erst einmal mit dem Verlobten.«
Nach dem Attentat und der schweren Verletzung durch den Schuss hatte Jacobsen mehr als zwei Monate ausgesetzt und erst vor zwei Tagen den Dienst wieder aufgenommen. Seine Kollegin Seifert, aber auch der Kollege Karsten Bremer hatten ihn gebeten, es erst einmal etwas ruhiger angehen zu lassen, aber als ihnen mitgeteilt wurde, dass eine weibliche Leiche aufgefunden wurde, gab es für Jacobsen kein Halten mehr.
»Komm, Bianca, darum kümmern wir uns.«
Den Protest seines Kollegen hatte er mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht. Nun gingen sie in die Küche, wo sie auf einen in Tränen aufgelösten jungen Mann von etwa dreißig Jahren trafen, der nur kurz den Blick hob, als die Kommissare den Raum betraten. Er verbarg das Gesicht hinter seinen Händen und murmelte vor sich hin.
»Herr Dräger? Wir sind von der Kriminalpolizei. Das ist meine Kollegin Seifert, mein Name ist Jacobsen. Wir müssten Ihnen ein paar Fragen stellen. Ist das okay für Sie?«
Carlo Dräger hob den Blick und nickte zaghaft.
»Es tut uns sehr leid, was mit Ihrer Verlobten passiert ist«, begann Jacobsen. »Wann haben Sie sie denn gefunden?«
»Vor etwa einer Stunde.« Er schüttelte den Kopf. »Aber wer tut so etwas? Haben Sie gesehen, wie sie aussieht?« Nun liefen die Tränen.
»Nein, im Moment ist der Rechtsmediziner noch bei der Arbeit. Wir gehen erst später zu ihr.«
Natürlich war es ein Schock, seine Verlobte tot aufzufinden, dachte Jacobsen. Der Anblick hatte Carlo Dräger anscheinend tief getroffen.
»Ich habe sie kaum wiedererkannt«, schluchzte er. »Was haben sie nur mit ihr gemacht?«
»Was meinen Sie?«, fragte Bianca Seifert, die dem jungen Mann beruhigend eine Hand auf den Arm legte.
Mit dem Blick Richtung Boden stieß er schluchzend hervor: »Sie ist am ganzen Körper grün und blau, blutig und hat nichts an.« Nun brach er endgültig zusammen, sodass die beiden ihn stützen mussten.
»Ich denke, wir rufen ihm erst einmal einen Arzt«, schlug Bianca Seifert vor. Jens Jacobsen nickte zustimmend und griff zu seinem Handy. Die Kommissare baten eine Kollegin, sich um den Verlobten der Toten zu kümmern, bis der Arzt eingetroffen war. Dann begaben sie sich in Richtung Schlafzimmer. Vor der Tür war ein Kollege mit der Spurensicherung beschäftigt.
»Habt ihr schon etwas?«, fragte Jacobsen.
»Jede Menge Fingerabdrücke. Ob etwas Brauchbares dabei ist, kann ich noch nicht sagen. Ansonsten sieht es so aus, als ob jemand durch die Terrassentür eingebrochen ist. Wir checken gleich noch gemeinsam mit dem Verlobten, ob etwas gestohlen worden ist.«
»Der im Moment nicht ansprechbar ist«, antwortete Jacobsen seufzend. »Sonst etwas?«
»Ja.« Der Mann sah den Kommissar an, als ob er ihm eine delikate Neuigkeit mitteilen musste. »Die Frau ist nackt, und ihr Schrank wurde durchwühlt. Die Sachen sind überall im Zimmer verstreut. Neben dem Bett liegen getragene Kleidungsstücke. Ich vermute, das sind diejenigen, die sie vor dem Mord anhatte. Allerdings fehlen BH und Slip.«
Jens Jacobsen runzelte die Stirn. »Hast du irgendeine Idee, was das zu bedeuten hat?«
Der Mitarbeiter der Spurensicherung schüttelte den Kopf. »Das müsst ihr wohl herausfinden.«
Die Kommissare wollten gerade ins Schlafzimmer zum Tatort gehen, als ihnen schon der Rechtsmediziner entgegenkam. Malte Krämer, seit einiger Zeit als Rechtsmediziner in Hamburg tätig, machte ein ernstes Gesicht.
»Hallo Kollegen«, begrüßte er die beiden Kommissare. »Ich bin hier so weit erst einmal fertig. Die Leiche kann in die Rechtsmedizin gebracht werden. Ich veranlasse das, dann könnt ihr hier in Ruhe arbeiten«, sagte er zu den Kollegen der Spurensicherung.
»Hallo Herr Doktor«, grüßte Jens Jacobsen zurück. »Wie sieht es aus? Können Sie schon etwas sagen?«
Krämer zog die Augenbrauen hoch. »Ja, ich habe wirklich schon einiges erlebt, aber so etwas zum Glück selten, eigentlich noch nie.«
Jacobsen erinnerte sich an die Worte des Verlobten. »So schlimm?«
Krämer schüttelte den Kopf. »Also falls Sie das nicht unbedingt müssen, würde ich mir an Ihrer Stelle den Anblick lieber ersparen.« Er machte eine kurze Pause. »Also in groben Zügen, was ich schon sagen kann: Die Frau ist entkleidet worden, nehme ich an, denn ihre Kleidung liegt neben ihr und ist ihr vermutlich vom Körper gerissen worden. Danach wurde sie auf übelste Weise traktiert. Man kann sagen: Sie wurde totgeprügelt. Der ganze Körper weist Hämatome, starke Prellungen und auch blutige Stellen auf. Ich weiß nicht, wie lange sie gelebt hat. Ich kann nur hoffen, dass sie das meiste nicht mehr mitbekommen hat.«
Jacobsen lief ein Schauer über den Rücken. »Das klingt nach ziemlichem Hass.«
»Eine Beziehungstat?«, warf die Kommissarin ein.
»Sehr wahrscheinlich. Können Sie bereits etwas zur Tatzeit sagen?«, fragte Jens Jacobsen nach.
»Das muss heute Vormittag passiert sein. Ich schätze mal so zwischen zehn und zwölf Uhr.«
»Totgeprügelt? Das muss ziemlich laut gewesen sein«, sinnierte Jacobsen. »Dann sollten wir die Nachbarn befragen. Da muss doch jemand etwas mitbekommen haben. Kannst du dich darum kümmern, Bianca?«
»Mach ich!« Die Kommissarin verließ die Wohnung, froh darüber, den zerschundenen Körper der Frau nicht sehen zu müssen.
»Können Sie etwas zum Tatwerkzeug sagen?«
»Ich schätze mal etwas aus Holz. Ich habe Splitter gefunden. Könnte ein schwerer Knüppel oder auch ein Baseballschläger gewesen sein.«
»Auweia«, entfuhr es dem Kommissar. »Wurde sie vergewaltigt?«
»Darauf habe ich noch keine Hinweise gefunden. Das wäre es erst einmal von meiner Seite. Ich melde mich, wenn ich mit der Obduktion fertig bin.« Malte Krämer nahm seine Tasche und verließ das Haus.
Jens Jacobsen betrat das Schlafzimmer, in dem ein Mitarbeiter der Spurensicherung dabei war, die aufgefundenen Gegenstände zu notieren, zu fotografieren und einzusammeln.
»Habt ihr eine mögliche Tatwaffe gefunden?«, fragte Jacobsen.
Der Kollege schüttelte den Kopf. »Nichts, womit man das hier anrichten kann.« Er deutete auf den Leichnam der jungen Frau.
Der Anblick der Toten verursachte beim Kommissar eine Mischung aus Entsetzen und Wut. Ihm wurde übel, und er musste schlucken. Die Frau musste unerträgliche Schmerzen gehabt haben. Wie war es möglich, eine derartige Wut auf jemanden zu verspüren, dass man zu so etwas fähig war? Jacobsen war sich irgendwie sicher, dass es sich um einen Täter und nicht um eine Täterin handelte. Für ihn war es unvorstellbar, dass eine Frau zu solch einer Tat fähig war.
Eine Beziehungstat, ging ihm durch den Kopf. Aber nicht durch ihren Verlobten, das konnte er sich nicht vorstellen. So wie dieser zusammengebrochen war, hatte er wohl kaum etwas damit zu tun. Hatte die Tote in ihrem Bekanntenkreis jemanden, der wütend auf sie war? Gab es vielleicht einen Verflossenen? Oder hatte sie einer anderen den Freund ausgespannt, wobei er eine Täterin ja gerade quasi ausgeschlossen hatte. Sie würden das Umfeld der Toten genau studieren müssen. Kannte sie eventuell ihren Mörder? Dass es ein normaler Einbrecher gewesen war, konnte sich Jacobsen unter diesen Umständen nicht vorstellen.
Er ging zurück ins Wohnzimmer. »Habt ihr ein Handy gefunden oder einen Notizkalender?«
Der Kollege reichte ihm ein Handy. »Das lag hier im Wohnzimmer. Dürfte ihres sein.«
»Okay, ich nehme das mal mit. Die Kollegen können es sicher entsperren.«
Jacobsen griff zu seinem eigenen Handy und rief Bianca Seifert an.
»Und?«, fragte er sie.
»Bisher nichts, aber wir sind noch nicht durch.«
»Okay, ich fahre schon mal zurück ins Präsidium. Ich habe ihr Handy und lasse es entsperren. Mal sehen, mit wem sie zuletzt gesprochen hat und wer ihre engsten Freunde sind, die womöglich etwas über sie und mögliche Feinde sagen können. Dazu werden wir auch noch ihren Freund befragen.«
»Gut, ich klappere hier die letzten paar Nachbarn ab und lasse mich dann von einer Streife ins Präsidium bringen.«
»Alles klar! Viel Erfolg!« Jacobsen ging zu seinem Auto und fuhr zurück ins Büro.
Die ausgelassene Stimmung der Frauen war nun blankem Entsetzen gewichen. Stumm saßen die Fünf zusammen und versuchten, zu begreifen, was nicht zu begreifen war. Es flossen viele Tränen.
»Was ist denn genau passiert?« Kyra war die Erste, die ihre Stimme wiederfand.
Kerstin musste den Kloß herunterschlucken, der ihr im Hals steckte, bevor sie antworten konnte: »Ich habe keine Ahnung. Das Einzige, was Carlo am Telefon gesagt hat, war: Tamara ist ermordet worden. Dann hat er aufgelegt.«
»Aber wieso?«, stammelte Ida. »Wer hat sie umgebracht und warum? Ich verstehe das nicht. Gestern hatten wir doch noch so viel Spaß zusammen. Das kann doch nicht sein. Ist das wirklich wahr? Oder ist es eine Verwechslung?«
»Carlo wird doch wohl wissen, dass es Tamara ist«, warf Svenja ein. Sie musste unbedingt mit Steffen Baumann, ihrem Chef sprechen. »Ich versuche mal, etwas herauszubekommen«, sagte sie und stand auf.
Die vier Frauen sahen sie fragend an. »Wie willst du das machen?«, fragte Kyra.
»Mein Chef hat gute Beziehungen zur Polizei. Vielleicht weiß der mehr oder kann da nachfragen. Ich werde ihn mal anrufen.« Das war für sie ein guter Grund, die anderen zu verlassen.
»Gibst du uns Bescheid, wenn du mehr weißt?«, fragte Kerstin.
»Das mache ich.« Svenja beeilte sich, nach draußen zu kommen. Sobald sie im Auto saß, rief sie Steffen an, um zu erfahren, wo er gerade war. Er war zu Hause und einverstanden, dass sie vorbeikam. In kurzen Stichworten berichtete sie von dem Mord an ihrer Freundin. Wie vermutet, hatte Steffen davon noch nichts gehört, war aber sofort bereit, Jens Jacobsen anzurufen. Sein Anruf landete allerdings auf der Mailbox. Steffen hinterließ keine Nachricht. Er würde es später noch einmal versuchen.
Steffen Baumann hatte eigentlich geplant, einen ruhigen Sonntag zu Hause zu verbringen, ehe er dann abends in die Redaktion fahren wollte für die letzten Abstimmungen zur Montagausgabe seiner Zeitung ›Hamburg-Blick‹. Svenjas Anruf durchkreuzte seine Pläne. Was sie ihm am Telefon berichtet hatte, ließ ihn ahnen, dass er sich erst einmal um seine Kollegin würde kümmern müssen. Er tauschte seine Jogginghose gegen eine Jeans und kämmte seine dichten braunen Haare, um Svenja nicht in seinem legeren Wochenend-Outfit zu begrüßen.
Svenja traf ein und berichtete noch einmal atemlos von dem Anruf bei Kerstin, wo sie nur erfahren hatten, dass ihre Freundin Tamara ermordet worden war. Mehr wusste Svenja nicht. Steffen sah seiner Kollegin die Erschütterung über den Tod ihrer Freundin an. Ihre Augen waren gerötet, und ihre Lippen zitterten leicht, während sie berichtete.
»Sie wollte nächste Woche heiraten, und nun ist sie tot. Ich kann es noch nicht fassen. Was ist da bloß passiert?«, fragte sie.
»Kennst du sie schon länger?«, fragte Steffen, der gar nicht so recht wusste, wie er Svenja helfen konnte. Aber vermutlich musste sie nur ihre Trauer und Ratlosigkeit loswerden. Außerdem brauchte sie dringend einen Gesprächspartner.
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen, von der fünften Klasse bis zum Abitur, erst in einer Klasse, hinterher hatten wir diverse Kurse gemeinsam. Nach dem Abitur haben wir uns hin und wieder mal getroffen. Die Initiative ging aber meistens von ihr aus.«
»Was hat sie denn beruflich gemacht?«
»Sie ist, ich meine, sie war Steuerberaterin. Meine Steuererklärung hat sie zum Beispiel auch jedes Jahr gemacht.«
»Kennst du ihren Verlobten?«
Svenja schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich. Ich habe ihn zwei oder drei Mal gesehen, aber keine drei Sätze mit ihm gesprochen.«
»Warum?«, wunderte sich Steffen.
Svenja zögerte mit der Antwort. »Na ja, er ist nicht so wirklich mein Typ, ein ziemlicher Snob.«
»Aha!« Steffen nahm sein Telefon zur Hand. »Ich versuche es noch mal bei Jens. Vorhin hatte ich nur die Mailbox dran.« Er wählte erneut dessen Nummer, landete aber wieder auf der Mailbox. Dieses Mal hinterließ er eine kurze Nachricht und bat um Rückruf.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragte er Svenja, die in Gedanken versunken im Wohnzimmer stand und aus dem Fenster blickte.
»Was?«
»Kaffee? Tee? Wasser? Möchtest du etwas trinken?«, wiederholte Steffen die Frage.
»Am besten Wasser, danke! Kaffee wühlt mich vermutlich noch mehr auf. Ich bin so schon ganz zittrig.«
»Ach Mensch!« Steffen nahm sie in den Arm. »Das tut mir echt leid für dich.«
Svenja ließ es gern zu, dass Steffen sie tröstete, und hätte gern länger in seinem Arm gelegen, aber Steffen löste sich von ihr und wies auf sein Sofa. »Setz dich einfach hin. Ich hole was zu trinken.«
Er kam mit einer Flasche Wasser und zwei Gläsern zurück, als sein Handy summte. Jens Jacobsen rief zurück.
»Moin Steffen, ich habe wenig Zeit. Was gibt es denn?«, fragte Jens und wirkte gehetzt.
»Hallo Jens! Ich habe gehört, dass es einen Mord gibt«, sagte Steffen.
»Woher weißt du das denn schon wieder?«, fragte Jacobsen. Steffen hatte anscheinend seine Augen und Ohren überall, dachte er.
»Die Tote ist beziehungsweise war eine Freundin von Svenja.«
»Was? Woher weißt du das?«
»Von ihr selbst. Sie hat gerade davon erfahren.«
»Moment! Wie hat sie davon erfahren?«, fragte Jens argwöhnisch.
»Indirekt über eine andere Freundin der Toten und den Verlobten.«
Der Kommissar horchte auf. »Der Verlobte hat Bescheid gegeben? Das wundert mich. Als wir ihn befragen wollten, ist er zusammengebrochen. Aber er hatte noch Kraft genug, eine Freundin der Toten zu informieren? Ich denke, mit dem Mann müssen wir noch mal reden.« Er machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. »Weißt du, wo Svenja ist?«
Steffen sah in Svenjas Richtung, die ihn fragend anblickte. »Ja, die ist gerade bei mir.«
»Oh, gut! Dann wäre es super, wenn sie sofort zu mir ins Präsidium kommen würde.«
»Okay, ich sage es ihr.« Sie beendeten das Gespräch.
»Was ist?«, fragte Svenja.
»Jens ist an dem Fall dran und möchte, dass du ins Präsidium kommst.«
Svenja stöhnte. »Muss das sein? Ich weiß doch nichts.«
»Tu Jens den Gefallen«, antwortete Steffen.
»Kannst du mitkommen?«, bat sie.
»Ich kann dich hinbringen und auf dich warten. Bei dem Gespräch will Jens mich sicher nicht dabeihaben.«
Svenja zwang sich zu einem Lächeln. »Es würde mir aber helfen, wenn du zumindest in der Nähe wärst.«
»Okay«, stimmte Steffen zu. »Dann nimm einen Schluck, und los geht’s.«
Schnell trank Svenja ihr Glas leer und folgte Steffen zu seinem Auto.
»Hallo Frau Kröger, hallo Steffen«, begrüßte sie Jens Jacobsen, als die beiden Journalisten das Büro des Kommissars erreichten. »Ich hätte mir ja denken können, dass du dir das nicht entgehen lässt«, ergänzte er mit einem Blick zu Steffen.
»Moment«, protestierte Steffen. »Svenja hat mich gebeten, sie zu begleiten, denn die Nachricht vom Tod ihrer Freundin hat sie ganz schön mitgenommen.«
»Okay, ist ja schon gut.« Jens hob beschwichtigend die Hände.
»Ihr könnt sie natürlich allein befragen. Ich warte dann draußen, um sie nachher wieder mitzunehmen.« Erst jetzt bemerkte er Bianca Seifert, die hinter ihrem Bildschirm hervorsah.
»Ach, hallo Bianca. Also ich bin dann mal weg.« Steffen ging demonstrativ zur Tür und schloss sie hinter sich.
»Gut, Frau Kröger. Danke, dass Sie so spontan gekommen sind. Ich denke, wir unterhalten uns gleich hier.«
Svenja nickte nur kurz.
»Also, Sie haben von dem Tod Ihrer Freundin Tamara Fischer von deren Verlobten erfahren? Wann war denn das?«
»Das muss so gegen sechzehn Uhr gewesen sein, vielleicht auch etwas früher. Wir saßen zu fünft bei Kerstin, um über die Hochzeitsvorbereitungen zu sprechen, als sie diesen Anruf bekam.«
»Vom Verlobten der Toten, diesem Carlo Dräger?«
»Ja, genau. Als Kerstin zurückkam, haben wir ihr angesehen, dass etwas Schreckliches passiert sein musste.«
»Was hat sie gesagt?«
»Nur, dass Tamara tot ist und ermordet wurde.«
»Was haben Sie dann gemacht?«
Svenja überlegte kurz. »Erst haben alle betroffen geschwiegen. Danach haben wir uns gefragt, ob das wirklich wahr ist, und dann, wer das gewesen sein könnte.«
»Und?«
»Was meinen Sie?«, fragte Svenja irritiert.
»Haben Sie oder hat jemand von den anderen eine Idee?«
»Ach so. Nein, keine Ahnung. So viel Kontakt hatte ich nicht zu ihr. Wir haben uns hin und wieder mal getroffen, aber so richtig enge Freundinnen waren wir nicht.«
»Seit wann kennen Sie die Frau?«
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen und haben gleichzeitig Abitur gemacht.«
»Kennen Sie den Verlobten?«
Svenja schüttelte den Kopf. »Kaum. Ich habe ihn zwei oder drei Mal gesehen, das war’s.«
»Was ist mit den anderen Frauen, mit denen Sie sich getroffen haben?«
»Das sind …«, sie stutzte einen Moment und schluckte, »… das waren alles Freundinnen von Tamara. Die meisten habe ich gestern erst kennengelernt.«
»Gestern?«, hakte Bianca Seifert nach. »Ich dachte, Sie haben sich heute getroffen.«
»Ach so, gestern haben wir uns zum Junggesellinnenabschied getroffen. Heute sollte es dann um das Programm für die Hochzeit gehen.« Sie wischte sich mit einem Taschentuch über die Augen und putzte sich die Nase.
»Okay, wir sind auch gleich durch. Anscheinend wissen Sie ja nicht viel über das Leben Ihrer Freundin oder fällt Ihnen zu ihr noch etwas ein?«
Svenja schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Ich weiß nur, dass sie Steuerberaterin … war und wohl dadurch ihren Verlobten kennengelernt hat. Sie hat einen Bruder, der ist fünf Jahre älter als sie. Die Eltern wohnen, meine ich, in Flensburg.«
»Ja, die werden wir natürlich informieren. Können Sie mir noch die Namen der anderen Frauen geben, die bei den Treffen dabei waren?«, fragte Bianca Seifert.
Svenja überlegte. »Kerstin Meyer, bei der haben wir uns getroffen. Dann war da Kyra … Schubert, die hat den Junggesellinnenabschied organisiert und sollte Trauzeugin sein. Dann war da noch Ida Beier, ich glaube, sie war eine Kollegin von Tamara.«
»Das sind alle?«, fragte die Kommissarin.
»Ich glaube schon«, antwortete Svenja zögerlich.
»Haben Sie nicht gesagt, dass Sie zu fünft waren?«
»Stimmt!« Svenja überlegte und ging die Gesichter durch. Kerstin, Kyra, Ida …
»Ach ja«, fiel ihr ein, »da war noch Claudia, Claudia Werner oder Wagner oder so, heißt die glaube ich. Die war immer so schüchtern und zurückhaltend, dass ich sie glatt vergessen habe.«
»Gut, danke. Ich habe die Namen notiert. Dann werden wir die Frauen mal als nächstes kontaktieren«, sagte Bianca.
»Aber zuvor werden wir Eltern und Bruder informieren«, hakte Jacobsen ein. »Erst einmal vielen Dank, Frau Kröger. Wenn wir noch etwas brauchen, melden wir uns. Wenn Ihnen noch etwas einfällt …«
»… melde ich mich«, antwortete Svenja. »Übrigens, wie ist sie denn, ich meine, was ist denn passiert?«, fragte Svenja nach.
»Es wurde bei ihr eingebrochen, und der Einbrecher hat sie wohl getötet.«
»Oh! Und wie ist sie …?«
Jacobsen schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Dazu kann ich noch nichts sagen. Sie verstehen?«
Svenja nickte.
»Ich bring Sie noch eben raus.« Jacobsen stand auf und begleitete sie vor die Tür, wo Steffen Baumann auf sie wartete.
»So Steffen, da hast du deine Kollegin wieder. Am besten, du kümmerst dich erst einmal um sie. Das ist sicher ein heftiger Schock mit dem Tod ihrer Freundin.«
»Sollen wir darüber etwas schreiben? Noch ist die morgige Ausgabe nicht ganz fertig«, bot Steffen an.
Jacobsen schüttelte den Kopf. »Das ist noch etwas zu früh. Allzu viel wissen wir noch nicht. Aber wenn wir mehr herausgefunden haben, bist du einer der Ersten, der davon erfährt.« Er lächelte Steffen an und wandte sich halb um. »Ich wünsche noch einen schönen Abend, soweit das möglich ist.«
»Ciao!«, rief Steffen ihm hinterher, kurz bevor Jens Jacobsen in seinem Büro verschwand und die Tür schloss.
»Ich hasse dieses Getue«, entfuhr es Steffen. »Er tut wieder so, als sei ich nur irgend so ein dahergelaufener Pressefuzzi.«
»Na ja«, versuchte Svenja, den Kommissar in Schutz zu nehmen, »manchmal hat er uns schon sehr in die Fälle involviert. Vermutlich wird das nicht von allen gern gesehen.«
»Vielleicht hast du recht«, musste Steffen zugeben. »Soll ich dich jetzt nach Hause fahren?«
Ihr Gesicht bewies, dass der Vorschlag nicht so gut bei ihr ankam.
»Ehrlich gesagt, möchte ich jetzt nicht gern allein sein«, druckste sie herum. »Außerdem habe ich den anderen versprochen, ihnen Bescheid zu geben, wenn ich etwas erfahren habe«.
»Okay. Mach das. Eigentlich muss ich noch kurz zur Abstimmung in die Redaktion«, sagte Steffen.
»Dann komme ich mit!«, rief sie.
»Aber du hast doch Urlaub!«
»Den brauche ich nicht mehr. Das mit der Hochzeit hat sich ja …«
»Okay, dann fahren wir eben jetzt in die Redaktion. Und dann?«
Sie warf ihm einen hilflosen Blick zu.
»Ich habe verstanden.«
Sie stiegen ins Auto und fuhren in die Redaktion. Von unterwegs informierte Svenja Kerstin darüber, dass sie eben eine Aussage bei der Polizei gemacht hatte und die Kommissare in Kürze auch auf Kerstin und die anderen Freundinnen zukommen würden, um sie zu befragen. Außerdem erzählte sie ihr, dass es wohl ein Einbrecher gewesen war, der Tamara getötet hatte. Die junge Frau reagierte geschockt.
Zwei Stunden später räumte Steffen sein Bettzeug auf das Sofa in seinem Wohnzimmer und bezog im Schlafzimmer eine Decke für Svenja. Bei einer Kanne Tee redeten sie noch bis weit nach Mitternacht.
Noch am selben Abend suchten die Kommissare Jacobsen und Seifert Luis Fischer, den Bruder der getöteten Tamara Fischer, auf, um ihn über den Tod seiner Schwester zu informieren. Die Adresse der Eltern hatte Bianca Seifert inzwischen auch ermittelt. Regina und Werner Fischer wohnten tatsächlich in Flensburg.
Luis Fischer, ein großer Blonder mit blauen Augen, öffnete und fragte überrascht, was denn die Kriminalpolizei von ihm wollen könnte.
»Mein Name ist Jacobsen, das ist meine Kollegin Seifert. Wir müssten dringend mit Ihnen sprechen. Es geht um Ihre Schwester.«
»Tamara? Was ist mit ihr?«, vernahmen sie einen Ruf aus dem Wohnzimmer.
»Meine Eltern sind gerade hier. Wir bereiten noch etwas für die Hochzeit meiner Schwester vor«, erklärte Luis Fischer.
»Oh, dann können wir gleich mit Ihnen allen sprechen. Es ist wichtig.«
Sie waren im Begriff, die Wohnung zu betreten, als ihnen die Eltern bereits entgegenkamen. »Was ist mit ihr?«, wiederholte Regina Fischer ihre Frage.
»Ich denke, es ist am besten, wenn Sie sich setzen«, schlug Bianca Seifert vor.
»Sie machen mir Angst«, flüsterte die Frau und riss erschrocken die Augen auf.
»Was ist denn passiert?«, fragte ihr Mann.
Sie gingen ins Wohnzimmer und nahmen am Esszimmertisch Platz. Die beiden Kommissare wechselten kurz einen Blick, dann begann Jacobsen das Gespräch.
»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Tochter beziehungsweise Ihre Schwester Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist.«
»Nein!«, schrie Tamaras Mutter und packte ihren Ehemann am Arm.
»Ist sie … tot?«, fragte Luis.
Jacobsen nickte. »Leider ja. Sie wurde heute Nachmittag von ihrem Verlobten tot aufgefunden. Unser herzliches Beileid.«
»Dieser Mistkerl«, zischte der Vater.
»Wen meinen Sie?«, fragte Jacobsen.
Werner Fischer kämpfte sichtlich mit seinen Emotionen. »Dieser Taugenichts von einem Verlobten hat doch nichts auf die Reihe bekommen. Der hat schon zwei Firmen verschlissen und vom Geld unserer Tochter gelebt.«
»Hatte sie ihn nicht durch ihren Beruf kennengelernt? Ich dachte, er wäre auch Steuerberater.«
»Der?« Werner Fischer machte eine abfällige Handbewegung. »Der konnte doch nicht mit Geld umgehen und hat meiner Tochter schöne Augen gemacht, damit sie ihm aus der Patsche hilft.«
»Wir haben nur kurz mit ihm sprechen können, weil er bei der Befragung regelrecht zusammengebrochen ist.«
»Ja, weil seine Geldquelle nun versiegt ist«, sagte der Vater zynisch.
»Werner!«, schimpfte seine Frau. »Unsere Tochter ist tot! Begreifst du das gar nicht? Sie ist tot, tot, tot!« Sie weinte hemmungslos, und ihr Mann sah sie betroffen an.
Die Kommissare ließen dem Ehepaar einen Moment Zeit. Dann setzte Jacobsen erneut an.
»Sie mochten den Verlobten Ihrer Tochter also nicht besonders. Denken Sie denn, dass er etwas mit Tamaras Tod zu tun haben könnte?«
Werner Fischer schwieg, aber sein Sohn antwortete für ihn. »Auf keinen Fall! Ich bin mir sicher, dass er zu so etwas nicht fähig ist.«
»Wie sind Sie denn mit Carlo Dräger ausgekommen?«, fragte Jacobsen.
»Na ja!« Luis Fischer warf seinem Vater einen Blick zu. »Daddy hat schon recht. Carlo ist nicht gerade die Traumpartie. Ich weiß auch nicht, was Tammy an ihm gefunden hat. Aber irgendetwas muss sie ja in ihm gesehen haben. Ich habe keine Ahnung, was.«
»Hat irgendjemand von Ihnen eine Idee, wer etwas gegen Ihre Tochter gehabt haben könnte?«, fragte Jacobsen in die Runde.
»Sie ist so ein liebes Mädchen. Alle mögen sie«, antwortete Regina Fischer mit tränenerstickter Stimme. »Mochten sie«, korrigierte sie und brach erneut in Tränen aus.
»Was denken Sie?«, fragte Jacobsen den Bruder. »Sie hatten doch sicher mehr Kontakt zu Ihrer Schwester, oder?«
Luis Fischer zögerte. »Eigentlich … also eigentlich gar nicht so viel. Wir haben uns selten gesehen, nur hin und wieder telefoniert. Aber was sie gemacht hat, mit wem sie sich getroffen hat und so weiter, das weiß ich nicht.«
»Und Sie?« Jacobsen blickte zu den Eltern des Mordopfers.
