3,99 €
***NACH "DIE TOTE VOR DER TÜR" UND "DIE SCHWEIGENDE FREUNDE" DER DRITTE HOCHSPANNUNGS-THRILLER DER STEFFEN-BAUMANN-REIHE.***
Er nennt sich »Game Master«. Doch sein Spiel bedeutet den Tod.
Carolin träumt davon, per Dating-Chat die wahre Liebe zu finden. Doch nach wenigen Treffen entpuppt sich ihre vermeintlich charmante Verabredung als wahrer Sadist. Sieben Tage lang hält »Game Master« sie gefangen und misshandelt sie, um sie am Ende, nachdem er Lösegeld für sie erpresst hat, zu töten. Carolin ahnt, dass sie nun sterben muss.
Der Journalist Steffen Baumann wird nach einem stressigen Arbeitstag in der Redaktion bereits von seiner Nachbarin empfangen. Die alte Dame macht sich Sorgen um ihre Enkelin Carolin, die seit vier Wochen spurlos verschwunden ist. Lediglich per SMS standen sie bis vor Kurzem in Kontakt, aber die Nachrichten kamen der alten Dame seltsam vor. Sie klingen nicht nach ihrer Enkelin, noch dazu hat die ihre Oma um eine große Geldsumme gebeten.
Bei seinen Recherchen findet Steffen schon bald heraus, dass es sich bei Carolins Verschwinden nicht um einen Einzelfall handelt. Zwei weitere Frauen gelten seit einer Weile als vermisst. Bald darauf wird eine Frauenleiche gefunden – neben ihr liegt eine alte Handheld-Konsole. Dieses Gerät, das der Mörder seinen Opfern hinterlässt, und das auch im Zusammenhang mit Carolins Verschwinden eine Rolle spielt, wird schließlich klar, dass es sich bei Carolins Entführer um einen Täter handelt, der bereits mehrere Frauen auf dem Gewissen hat.
Während alle Spuren zu verschiedenen Chatforen führen, entpuppt sich ein vermeintlich einfacher Fall als ein Netz aus Wirrungen und Gewalt. Kann Steffen verhindern, dass »Game Master« erneut zuschlägt?
Jeder Thriller ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Robin D. Jensen
Über den Autor:
Robin D. Jensen ist ein Hamburger Autor von Krimis und Thrillern, geboren im Jahr 1959. Ursprünglich war er als IT-Berater in einem größeren amerikanischen Unter-nehmen beschäftigt. Seit 2017 schreibt er vorwiegend Krimis und Thriller.
Von ihm stammt unter anderem die Krimireihe mit dem Hamburger Kommissar Rainer Zufall. Seit April 2024 gibt es eine neue Reihe mit dem Journalisten Steffen Baumann als Protagonisten.
Auf seiner Homepage https://rolandbluemel.de/robin-d-jensen/ kann man mehr über ihn erfahren und sich auch für »Neues von Robin D. Jensen« unter https://t1p.de/xhg79 anmelden, um regelmäßig über seine neuesten Aktivitäten informiert zu werden.
Buchbeschreibung:
Er nennt sich »Game Master«. Doch sein Spiel bedeutet den Tod.
Carolin träumt davon, per Dating-Chat die wahre Liebe zu finden. Doch nach wenigen Treffen entpuppt sich ihre vermeintlich charmante Verabredung als wahrer Sadist. Sieben Tage lang hält »Game Master« sie gefangen und misshandelt sie, um sie am Ende, nachdem er Lösegeld für sie erpresst hat, zu töten. Carolin ahnt, dass sie nun sterben muss.
Der Journalist Steffen Baumann wird nach einem stressigen Arbeitstag in der Redaktion bereits von seiner Nachbarin empfangen. Die alte Dame macht sich Sorgen um ihre Enkelin Carolin, die seit vier Wochen spurlos verschwunden ist. Lediglich per SMS standen sie bis vor Kurzem in Kontakt, aber die Nachrichten kamen der alten Dame seltsam vor. Sie klingen nicht nach ihrer Enkelin, noch dazu hat die ihre Oma um eine große Geldsumme gebeten.
Bei seinen Recherchen findet Steffen schon bald heraus, dass es sich bei Carolins Verschwinden nicht um einen Einzelfall handelt. Zwei weitere Frauen gelten seit einer Weile als vermisst. Bald darauf wird eine Frauenleiche gefunden – neben ihr liegt eine alte Handheld-Konsole. Dieses Gerät, das der Mörder seinen Opfern hinterlässt, und das auch im Zusammenhang mit Carolins Verschwinden eine Rolle spielt, wird schließlich klar, dass es sich bei Carolins Entführer um einen Täter handelt, der bereits mehrere Frauen auf dem Gewissen hat.
Während alle Spuren zu verschiedenen Chatforen führen, entpuppt sich ein vermeintlich einfacher Fall als ein Netz aus Wirrungen und Gewalt. Kann Steffen verhindern, dass »Game Master« erneut zuschlägt?
Jeder Thriller ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.
Robin D. Jensen
Der User
Der Journalist 3
Thriller
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Juli 2024 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Petra Bülow
Korrektorat: Johannes Eickhorst und Bianca Kober
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Illustrationen: Adobe Stock ID 646879068
Kapitel 1
Dienstag, 6. Juni 2023 – 17.00 Uhr
Die letzten sieben Tage waren für die junge Frau der pure Horror gewesen. Nachdem er sie in dem billigen Hotel hier in der Pampa aufgespürt hatte, war er ohne große Vorwarnung über sie hergefallen und hatte sie als billige Schlampe bezeichnet. Die Brutalität, mit der er vorgegangen war, hatte sie so eingeschüchtert, dass sie sich nicht gewehrt hatte, nicht hatte wehren können. Sie war wie erstarrt gewesen und hatte gegen jede Vernunft gehofft, aus diesem furchtbaren Albtraum zu erwachen.
Sie dachte an seine liebevollen Nachrichten. Er hatte sie sogar davor gewarnt, sich mit einem anderen Chatpartner zu treffen, der allzu forsch vorgegangen war. Und dann war er plötzlich hier aufgetaucht, hatte ihre Kleidung zerrissen und ihr Gewalt angetan. Das ging nun schon mehrere Tage so. Dazu hatte er sie gefesselt und geknebelt, damit niemand etwas von ihrem Martyrium mitbekam.
Irgendwann hatte er sie bei Nacht und Nebel aus dem Raum gezogen und von anderen unbemerkt mit ihr das Hotel verlassen. Die ganze lange Fahrt über hatte sie gehofft, dass er sie irgendwo freilassen würde, obwohl ihr eigentlich klar war, dass er das nicht riskieren dürfte. Ihr liefen die Tränen übers Gesicht, während sie auf dem Rücksitz des Autos lag. Durch den Knebel konnte sie lediglich wimmern, was ihn offenbar nur noch wütender machte, denn er brüllte sie an, dass sie es sich selbst zuzuschreiben habe. In einer Lagerhalle hielt er sie einige Tage gefangen, ehe er wieder mit ihr wegfuhr.
Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde das Auto langsamer und der Untergrund holpriger. Der Wagen hielt, ihr Peiniger stieg aus und zog sie aus dem Wagen. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, als er sie hinter sich her schleifte.
»Ende der Reise!«, verkündete er und sah sie voller Verachtung an. »Zumindest deine Reise geht hier zu Ende, mein Schatz. Du bekommst aber noch eine Begleitung mit auf den Weg.«
Er zog einen alten Game Master aus der Tasche und hielt ihn ihr triumphierend hin. ›Game Master‹, so hatte er sich im Chat genannt.
»Ciao, meine Liebe! Einen Abschiedskuss kann ich dir leider nicht geben. Meine DNA, du verstehst?«
Sie wusste, dass das nun ihr Ende war, aber nach den Tagen der Verzweiflung hatte sie keine Kraft mehr zu kämpfen. Zwei kräftige Hände in schwarzen Handschuhen legten sich um ihren Hals und drückten zu. Ihr Todeskampf dauerte nicht lange.
Der Mörder zog sie unter ein Gebüsch und bedeckte ihren Körper mit Laub und Schmutz. Den Game Master legte er in der Nähe ab. Dann ging er zurück zum Wagen und fuhr zu seiner Wohnung.
Kapitel 2
Montag, 7. August 2023 – 17.30 Uhr
Der Journalist und Chefredakteur der Tageszeitung ›Hamburg-Blick‹, Steffen Baumann, hatte einen sehr geschäftigen Tag hinter sich. In Hamburg geschah gerade so viel, über das sie berichten konnten, weswegen in der Redaktion Hochbetrieb herrschte. Nun aber war alles für die morgige Ausgabe auf den Weg gebracht, sodass er guten Gewissens nach Hause fahren konnte, um mit seiner Freundin Paulina Meinhardt einen entspannten Abend verbringen zu können. Paulina hatte ihm mit der Ankündigung, sein Leib- und Magengericht Rouladen gekocht zu haben, den Mund wässrig gemacht.
Gerade als er den Schlüssel in sein Türschloss gesteckt hatte, ging nebenan die Tür auf und seine Nachbarin Renate Klein blickte ihn aus müden Augen an. Die alte Dame, die Steffen auf 80 bis 85 Jahre schätzte, war meistens zu Hause, was wegen des Fernsehers, den sie, vermutlich wegen ihrer Schwerhörigkeit, auf deutlich mehr als Zimmerlautstärke laufen hatte, nicht zu überhören war. Zumindest war es so, wenn er sich in seiner Wohnung aufhielt, was nicht so oft passierte, seit er mit Paulina zusammen war. Frau Klein begegnete ihm hin und wieder, grüßte jedes Mal freundlich und wirkte erstaunlich fit für ihr Alter. Sie ging die Treppen ebenso schnell hoch wie Steffen. Für lange Zeit war sie die einzige Nachbarin gewesen, die er zu Gesicht bekommen hatte. Frau Kleins graue Haare waren noch recht dicht und ihre blauen Augen blickten normalerweise sehr wach. Steffen fiel deshalb gleich auf, dass sie Sorgen bedrückten.
»Hallo Frau Klein, wie geht es denn?«, fragte Steffen und rechnete damit, dass sie körperliche Beschwerden hatte und seine Hilfe brauchte.
»Hallo Herr Baumann, nicht so gut, wenn ich ehrlich bin.« Ihr Gesicht, mit dem sie ihm normalerweise ein freundliches Lächeln schenkte, sah ungewohnt ernst aus.
»Haben Sie Schmerzen?«
Frau Klein schüttelte den Kopf. »Nein, ich mache mir Sorgen«, antwortete sie mit leicht zittriger Stimme. Ihre Augen wurden feucht.
»Oh, worum geht es denn?«
Die Frau blickte sich um und bat ihn dann mit in ihre Wohnung. »Es müssen ja nicht alle hier im Haus mitbekommen«, schob sie als Erklärung hinterher. Steffen wunderte sich. Er war bisher selten in ihrer Wohnung gewesen, denn die alte Dame lebte normalerweise sehr zurückgezogen. Die Wohnung besaß das Flair der frühen Siebzigerjahre. Neue Tapeten und auch etwas weniger wuchtiges Mobiliar würden ihr guttun, dachte Steffen, als er der alten Dame ins Wohnzimmer folgte.
»Sie sind doch bei der Polizei, oder besser gesagt, Sie helfen doch der Polizei, Ihrem Bruder, meine ich.«
Steffen sah sie fragend an. »Welchem Bruder? Ich habe keinen Bruder.«
»Ach so, ich dachte, dieser Polizist, der Sie öfter mal besucht, wäre Ihr Bruder.«
Steffen lächelte. »Nein, wir sind nur befreundet. Ich bin ein Einzelkind. Darüber hatten wir doch schon mal gesprochen.«
»Ach ja, stimmt, jetzt erinnere ich mich. Aber ich finde wirklich, dass Sie sich sehr ähnlich sehen. Außerdem ist er so oft bei Ihnen. Aber dann habe ich mich wohl getäuscht.« Die kleine Frau blickte sich um und schüttelte dann den Kopf. »Ach, ich bin eine schlechte Gastgeberin. Möchten Sie etwas trinken? Und setzen Sie sich doch bitte«, forderte sie ihn auf.
»Nein danke, ich bin ein wenig in Eile. Aber sagen Sie, Frau Klein, worum geht es denn? Was macht Ihnen solche Sorgen?«
Renate Klein ließ sich mühsam auf einen Sessel fallen und deutete mit einer Hand auf den zweiten Sessel im Wohnzimmer. Widerstrebend nahm auch Steffen Platz, denn die Frau schien wirklich etwas auf dem Herzen zu haben. Also mussten Paulina und ihr leckeres Essen noch etwas warten.
»Ich weiß nicht, ob Sie meine Enkeltochter Carolin schon einmal gesehen haben«, begann sie vorsichtig.
»Carolin?« Steffen dachte einen Moment nach. Ihm war einmal eine junge Frau im Treppenhaus begegnet, die er hier noch nie gesehen hatte und die vor der Tür von Renate Klein stehengeblieben war, als er gerade seine Wohnung verließ. Sie hatte ihn freundlich gegrüßt. Da er es eilig hatte, hatte er zurückgegrüßt, aber sie ansonsten nicht weiter wahrgenommen.
»Ich glaube, ich habe sie einmal gesehen. Was ist denn mit ihr?«
»Carolin ist sonst jeden Freitag zu mir zum Mittagessen gekommen. Sie ist Studentin und hat nicht so viel Geld, müssen Sie wissen. Deswegen stecke ich ihr immer mal wieder einen Schein zu. Ich brauche ja nicht mehr so viel. Sie ist wirklich ein liebes Mädchen und besucht mich regelmäßig. Als alte Frau hat man ja nicht mehr so viel Abwechslung. Mein Mann ist schon seit 15 Jahren tot, meine Tochter wohnt in Essen. Die sehe ich nur ganz selten, zu Weihnachten oder so, wenn überhaupt. Mit ihr verstehe ich mich auch nicht besonders.«
Steffen wurde langsam ungeduldig. »Ja, das ist schön, dass Ihre Enkelin Sie regelmäßig besucht. Was ist denn nun mit ihr?«
»Wie gesagt, sie kommt immer am Freitag, und dann koche ich ihr etwas. Das ist eine schöne Zeit, die wir miteinander verbringen. Meistens koche ich etwas mit Fisch, nur ganz selten Fleisch. Fleisch mag Carolin nicht so besonders gern, aber sie ist keine Vegetarierin. Am Freitag hat sie keine Uni, deshalb kann sie dann kommen und bei mir essen.«
»Okay?!« Wo war nun ihr Problem?
»Aber nun ist sie schon über einen Monat nicht mehr hier gewesen.«
»Das ist schade. Hatte sie keine Zeit?«
Renate Klein richtete sich ein wenig auf. »Das könnte sein, aber irgendetwas daran ist merkwürdig.«
»Was meinen Sie?«
»Na ja, vor etwas mehr als vier Wochen hat sie kurzfristig abgesagt. Sie meinte, dass ihr etwas dazwischengekommen sei und sie sich wieder melden würde. Eigentlich ist ihr der Termin bei mir wichtig. Das sagt sie zumindest immer.«
»Aber sie hat sich nicht gemeldet?«
»Doch!«, protestierte Renate Klein.
»Und was ist daran merkwürdig?« Steffen verstand nicht, wo das Problem war.
»Sie hat sich danach noch ein paar Mal gemeldet.«
»Und?«
»Sie hat immer wieder angekündigt, dass sie bald kommen würde.« Frau Kleins Stimme stockte.
»Ist sie aber nicht?«
»Nein, nur einmal hat sie einen Freund geschickt.«
»Einen Freund? Warum?« Langsam wurde es interessant.
»Um das Geld abzuholen.«
Jetzt wurde Steffen endgültig hellhörig. »Welches Geld und wie viel?«
»10.000 Euro, aber ich hatte nur 7.000.«
»7.000 Euro? Wofür denn?«
»Sie bräuchte das kurzfristig für … ein Auto, das sie dringend bezahlen müsste, und sie hat ja eben nicht viel Geld.«
Enkeltrick, fiel Steffen sofort ein. 10.000 Euro für ein Auto? »Und wer hat das Geld abgeholt?«
»Ein Freund eben.«
»Kannten Sie den? Können Sie ihn beschreiben?«
Frau Klein schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe den noch nie gesehen, aber Carolin meinte, es wäre ein guter Freund. Der hieß … warten Sie … Bernd, glaube ich, oder Benno. Ich weiß das nicht mehr so genau. Der hatte so eine Kappe auf und trug einen Bart, einen Vollbart, schwarz. Ach ja, und der hatte eine Sonnenbrille auf. Das war eigenartig, denn an dem Tag hat es geregnet.« Sie schüttelte den Kopf.
»Aha, und was ist jetzt mit Ihrer Enkelin?«
»Ja, deshalb wollte ich Sie bitten, ob Sie herausfinden können, wo Carolin steckt. Langsam mache ich mir wirklich Sorgen. Als ihr Freund das Geld abgeholt hat, hat sie sich noch bedankt und gesagt, dass sie mich bald wieder besuchen kommt.«
»Hat sie aber nicht?«
»Nein!«
»Wie lange ist das her?«
»Heute sind es genau zehn Tage.«
»Und wann hat sie sich das letzte Mal gemeldet?« Steffen ahnte die Antwort.
»Als sie sich bedankt hat. Vor zehn Tagen.«
»Seitdem haben Sie nicht mehr mit ihr telefoniert?«
»Telefoniert haben wir nur, als sie vor genau einem Monat abgesagt hat. Danach hat sie mir nur diese Nachrichten geschickt.«
»Nachrichten? Sie meinen SMS?«
Renate Klein nickte. »Das heißt glaube ich so.«
»Okay, zeigen Sie mir mal Ihr Handy.«
»Moment.« Mühsam erhob sie sich, obwohl sie sonst immer so fit wirkte, und holte das Handy von der Anrichte. Steffen nahm es entgegen.
»Könnten Sie das mal entsperren?«, bat Steffen.
»Ja, die PIN ist 1234«, antwortete sie. »Ich kann mir Nummern so schwer merken.«
»Ich müsste das mitnehmen. Ist das in Ordnung?«
Renate Klein nickte. »Ja, hoffentlich finden Sie sie.«
»Wo wohnt Carolin denn, und wie heißt sie mit Nachnamen?«
»Carolin Narjes. Sie wohnt in der Alsterdorfer Str. 54.«
»Okay, ich gehe der Sache mal nach. Ich hoffe, wir finden sie schnell und alles klärt sich auf«, versuchte er, die alte Dame zu beruhigen, hatte selbst aber ein schlechtes Gefühl. Das klang alles nicht sonderlich ermutigend.
»Vielen Dank, Herr Baumann. Jetzt fühle ich mich schon ein wenig erleichtert. Es wäre schön, wenn Sie Carolin finden würden und alles in Ordnung ist. Sie ist mein einziges Enkelkind und mein einziger Kontakt. Ich verwöhne sie immer so gern.« Ein leichtes Lächeln war bei der Frau zu erkennen.
»Alles klar, Frau Klein, ich melde mich.«
Steffen verließ die Wohnung und ging noch einmal in seine eigene. Er wählte die Nummer der Enkelin, aber sofort bekam er die Nachricht, dass der entsprechende Teilnehmer nicht erreichbar sei. Anschließend stieg Steffen eine Etage nach oben und klingelte bei Paulina.
»Da bist du ja«, begrüßte ihn seine Freundin. »Ich hatte dich schon vor einiger Zeit erwartet. Wo hast du denn gesteckt, und warum klingelst du?«
»Ich hatte gerade ein Gespräch mit Frau Klein. Sie vermisst ihre Enkelin und ich habe dabei ein ganz mieses Gefühl. Ich ruf mal eben Jens Jacobsen an. Man kann nur hoffen, dass der jungen Frau nichts passiert ist. Doch das klingt nicht gut.« Wenn Frau Klein einem Enkeltrick aufgesessen war, dann fragte er sich, wo Carolin steckte. Das war ziemlich mysteriös.
Bevor er Kommissar Jacobsen anrief, blätterte er die Nachrichten auf dem Handy von Renate Klein durch. Sein ungutes Gefühl verstärkte sich.
Kapitel 3
Montag, 7. August 2023 – 18.30 Uhr
Die erste Nachricht klang noch einigermaßen normal: »Hallo Oma, entschuldige noch mal, dass ich so kurzfristig absagen musste, aber mir ist wirklich etwas Dringendes dazwischengekommen. Ich melde mich, sobald ich wieder Luft habe.« Die Nachricht war etwa vier Wochen alt. Die nächste kam dann drei Tage später: »Hallo Oma, noch mal ich. Es tut mir leid, aber ich bin immer noch beschäftigt. Aber nächsten Freitag komme ich bestimmt wieder.«
Die Nachricht klang immer noch positiv. Das änderte sich mit der nächsten. »Hallo Oma, klappt nicht, melde mich bald.« War diese Nachricht auch von Carolin geschrieben worden? Sie klang deutlich anders als die vorherigen und bestand nur noch aus abgehackten, unvollständigen Sätzen. Ebenso klangen die folgenden vier Nachrichten, bevor die letzte kam, in der die vermeintliche Carolin um Geld bat und die wieder wie die erste klang: »Hallo, Oma, ich brauche ganz, ganz dringend 10.000 Euro, weil ich mir ein Auto kaufen will, und der Verkäufer nimmt nur Bargeld. Kannst du mir helfen? Ich schicke dir meinen Freund Björn. Kannst du das Geld bis morgen Vormittag besorgen? Das wäre ganz lieb.«
Frau Klein hatte darauf nur mit Ja geantwortet. Danach kam nur noch ein kurzes Danke von dem Handy. Das war dann auch die letzte Nachricht, die sie von ihrer Enkeltochter erhalten hatte. Seitdem war Funkstille, und auch das Versprechen, am nächsten Freitag wiederzukommen, wurde nicht eingehalten. Steffen konnte nachvollziehen, dass die alte Dame beunruhigt war. Das sah wirklich nicht gut aus. Was war nur mit Carolin geschehen?
Als Steffen ihn anrief, war sein Freund Kommissar Jens Jacobsen ganz offensichtlich schwer beschäftigt, denn Steffen hörte eifriges Tastaturklappern. »Hi Steffen, was gibt es denn? Ich bin gerade ziemlich im Stress und habe nicht viel Zeit zum Plaudern.«
Steffen überlegte kurz, ob er seinen Freund mit der Sache belästigen sollte, entschied sich dann aber dafür. »Es geht nicht ums Plaudern, Jens, sondern um etwas anderes. Du kennst doch meine Nachbarin, Frau Klein?«
»Ja? Das ist doch diese kleine ältere Dame, die direkt neben dir wohnt und immer so freundlich grüßt und gedacht hat, wir wären Brüder. Was ist mit ihr?«
»Ja, die ist es. Es geht nur indirekt um sie. Sie vermisst ihre Enkeltochter.«
»Was heißt vermisst?« Jacobsen klang wenig interessiert.
»Eigentlich besucht ihre Enkelin sie regelmäßig, immer freitags zum Mittagessen.«
»Und nun ist sie letzten Freitag nicht gekommen?«
»Nicht nur am letzten Freitag nicht. Sie hat vor einem Monat telefonisch abgesagt, danach ein paar Nachrichten geschickt, seitdem aber weder angerufen noch sich sehen lassen. Als Letztes kam eine Bitte um Geld, das dann ein angeblicher Freund abgeholt hat. Seitdem ist Funkstille.«
»Moment!« Man spürte, dass Jens Jacobsen plötzlich aufmerksam wurde. »Sie ist seit mehreren Wochen verschwunden und hat danach Nachrichten geschickt, ist aber seitdem nicht wieder aufgetaucht?« Jacobsens Stimme klang sofort beunruhigt.
»Richtig, und ich habe versucht, die Enkelin anzurufen, aber der Teilnehmer beziehungsweise die Teilnehmerin ist nicht erreichbar.« Steffen blickte auf die Nachrichten des Handys von Frau Klein. »Und ich habe außerdem das Gefühl, dass nicht alle Nachrichten tatsächlich von der Enkelin selbst geschrieben wurden. Die SMS mit dem Geld klingt zwar wieder nach ihr, aber der angebliche Freund, der das Geld abgeholt hat, machte auf Frau Klein einen sonderbaren Eindruck.«
»Warum?«
»Er trug ein Basecap, einen Vollbart und hatte eine Sonnenbrille auf, obwohl es draußen regnete. So wirklich beschreiben konnte Frau Klein ihn sonst nicht.«
»Von wie viel Geld sprechen wir?«
»7.000 Euro. Eigentlich sollte Frau Klein 10.000 besorgen, hatte aber nur 7.000.«
Einen Augenblick hörte Steffen nichts, sodass er schon dachte, die Leitung sei unterbrochen, aber dann meldete sich sein Freund wieder.
»Kannst du mir die Telefonnummer der Enkelin nennen und das Handy von Frau Klein vorbeibringen?«
»Klar. Du denkst, dass da was passiert sein könnte, möglicherweise eine Entführung?«
Wieder brauchte Jacobsen einige Sekunden, bis er antwortete: »Ich muss leider davon ausgehen. Wir bearbeiten nämlich gerade zwei ähnlich gelagerte Fälle.«
Steffens ungutes Gefühl schien sich also zu bestätigen. »Und was ist mit denen?«
»Klingt ähnlich wie bei der Enkeltochter deiner Nachbarin. Die eine wird seit zwölf Wochen vermisst, die andere seit acht.«
»Alle vier Wochen«, sagte Steffen, der seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte. »Und keine ist wieder aufgetaucht?«
»Weder lebendig noch tot. Dann gib mir mal die Nummer der Enkeltochter.«
Steffen diktierte sie.
»Okay, und du bringst mir das Handy deiner Nachbarin vorbei? Wie hieß die noch mal?«
Steffen warf einen sehnsüchtigen Blick auf Paulina, die in der Küche bemüht war, das Essen warm zu halten und vorm Anbrennen zu bewahren.
»Frau Klein. Und ja, mache ich«, antwortete Steffen zögerlich. »Ich bin so in etwa 90 Minuten bei dir.«
»Hä? Warum brauchst du so lange?«
»Na ja, meine Freundin hat extra für mich gekocht, und ich habe den ganzen Tag noch nichts in den Magen bekommen.«
»Du meinst, man muss Prioritäten setzen?«
Steffen war sich nicht sicher, ob das scherzhaft gemeint war.
»Nein, das sind eher lebenserhaltende Maßnahmen.« Er warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Küche.
»Verstehe! Dann wünsche ich guten Appetit und einen schönen Gruß an deine Freundin.«
»Richte ich aus.«
Paulina kam aus der Küche und gab Steffen einen Kuss. »Das klingt ja nicht gut mit der Enkeltochter von Frau Klein.«
»Nein, und Jens arbeitet gerade an zwei ähnlichen Fällen, bei denen die Frauen ebenfalls vermisst werden.«
»Und du musst noch mal los?« Paulina sah ihn traurig an.
»Ja, nach dem Essen, aber ich beeile mich, damit von unserem Abend noch etwas übrigbleibt.«
»Dann lass uns jetzt schnell essen, damit du der Polizei wieder helfen kannst.«
»Höre ich da ein wenig Ironie heraus?«, fragte Steffen und lächelte.
»Ein wenig, denn langsam denke ich, dass du den falschen Beruf gewählt hast, du Hilfssheriff!«, antwortete sie und gab ihm noch einen Kuss. Wenn er nur manchmal nicht so leichtsinnig wäre, dachte sie. Das machte ihr wirklich Sorgen.
»Ich verbinde das eine mit dem anderen, aber nun freue ich mich erst einmal auf deine Rouladen.« Er fuhr sich genüsslich und in Vorfreude auf das Essen mit der Zunge über die Lippen.
»Die mittlerweile butterweich sein dürften«, antwortete Paulina und ging wieder in die Küche.
Wenig später kam Paulina mit zwei lecker angerichteten Teller zurück ins Wohnzimmer.Steffen genoss das Essen, stand dann gut gesättigt auf und fuhr ins Präsidium, auch wenn ihm eher nach einem Verdauungsschlaf zumute war.
Kapitel 4
Montag, 7. August 2023 – 20.00 Uhr
Kommissar Jens Jacobsen war mit intensiven Recherchen beschäftigt, als Steffen Baumann dessen Büro betrat. Die Kommissarin Bianca Seifert starrte ebenfalls auf ihren Bildschirm, nahm aber trotzdem als Erste Notiz von dem Besucher. Anscheinend haben beide kein Zuhause, ging Steffen in Anbetracht der Uhrzeit durch den Kopf.
»Guten Abend, wir forschen gerade nach Gemeinsamkeiten der vermissten Frauen, aber momentan tappen wir noch im Dunkeln«, erklärte sie.
Erst jetzt bemerkte auch Jens Jacobsen seinen Freund. »Ich habe den Kollegen den Auftrag gegeben, herauszufinden, wo das Handy der Enkelin in der letzten Zeit eingeloggt war. Der Name der jungen Frau ist Carolin Narjes, richtig? Ich brauche jeweils das Datum und die Uhrzeit ihrer Nachrichten an Frau Klein.«
»Richtig, sie heißt Carolin Narjes, und hier ist das Handy von Frau Klein.« Er überreichte Jacobsen das Handy. Der gab die PIN ein, die ihm Steffen mit einem Schmunzeln genannt hatte, und notierte zuerst einmal die Daten der einzelnen Nachrichten. Danach ging er die SMS durch und kratzte sich am Kinn.
»Man hat wirklich den Eindruck, dass Carolin Narjes die Nachrichten irgendwann nicht mehr selbst geschrieben hat. Zumindest sind sie vom Stil anders. Ich gebe unseren Experten die Daten, um herauszufinden, von wo die einzelnen SMS geschickt wurden, und wir brauchen ein Bewegungsprofil des Handys. Das der anderen Frauen haben wir, aber das hilft uns bisher nicht weiter. Da ist kein Muster zu erkennen.«
»Was ist mit den anderen beiden Frauen?«, fragte Steffen. »Gibt es da irgendwelche Erkenntnisse, oder gab es schon Öffentlichkeitsaufrufe?«
Jacobsen schüttelte den Kopf. »Bisher nicht, aber bis jetzt war auch noch nicht klar, dass es mehrere ähnliche Fälle gibt. Wir haben erst gestern den zweiten Vermisstenfall erhalten, also den von der Frau, die seit acht Wochen verschwunden ist, und haben heute erfahren, dass Kollegen diesen und vor einiger Zeit einen ähnlichen Fall bearbeitet haben – mehr oder weniger bearbeitet zumindest. Nun kommt noch die Enkelin von Frau Klein hinzu, womit wir mindestens drei ähnlich gelagerte Fälle haben. Das könnte eine Serie sein. Wir haben gerade schon überlegt, ob es sinnvoll wäre, einen Profiler einzuschalten, aber erstmal müssen wir klären, ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen den Fällen gibt. An die Öffentlichkeit sollten wir uns aber auf jeden Fall wenden.« Er verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Was heißt mehr oder weniger bearbeitet?«, fragte Steffen nach.
»Nun ja, sie waren der Meinung, dass junge Frauen eben mal kurzzeitig verschwinden, dann aber wieder auftauchen. Sie waren davon ausgegangen, dass Tanja Krause, so heißt die eine Vermisste, kurzfristig eine Auszeit genommen hat, weil ihr alles zu viel wurde. Sie hatte wohl Stress mit ihrem Freund, der erst vor ungefähr fünf Wochen seine Freundin als vermisst gemeldet hat. Als er dann zugegeben hat, dass die beiden Streit hatten, haben unsere lieben Kollegen vermutet, dass sie abgehauen sei. Außerdem hatte sie sich anfangs noch gemeldet, das hörte aber irgendwann auf, und seitdem ist Ruhe.« Das klang ähnlich wie bei Carolin Narjes, fand Steffen, bis auf den Streit mit dem Freund natürlich.
»Sie hat ihren Freund gebeten, ihr 3.000 Euro zu überweisen, weil sie angeblich ihr Geld verloren hat und das Hotel bezahlen müsste, in dem sie gewohnt hatte, und um sich eine Fahrkarte zu kaufen. Die bräuchte sie, um wieder nach Hause kommen zu können.«
»Und das hat der Freund gemacht«, vermutete Steffen.
»Ja! Er wollte sich mit ihr versöhnen und hat deshalb nicht gezögert und das Geld überwiesen.«
Was für eine Masche, dachte Steffen. »Aber sie ist dann nicht wiederaufgetaucht?«
Jacobsen schüttelte den Kopf. »Nein, und ihr Freund, Carl Frerichs, hat danach nichts mehr von ihr gehört. Er hat ihr mehrere Nachrichten geschickt, Sprachnachrichten und SMS, aber es kam keine Antwort mehr. Also hat er sie schließlich als vermisst gemeldet.«
»Konnte man das Handy orten? Und was ist mit dem Geld?«
Jacobsen blätterte in seinen Unterlagen. »Na ja, eigentlich sind das vertrauliche Unterlagen, die ich an Außenstehende nicht weitergeben darf«, antwortete er zögerlich.
Steffen verzog genervt das Gesicht. »Jens, das hatten wir doch schon. Ich würde gern mehr erfahren. Dann könnte ich einen Artikel schreiben lassen und die Leser um Hilfe bitten. Ich gebe dir dann den Artikel wie gewohnt vorher zur Freigabe. Okay?«
Jacobsen atmete einmal tief durch und gab sich dann einen Ruck. »Na gut, du gibst ja sonst ohnehin keine Ruhe.«
Er tippte auf der Tastatur und gab dann die Informationen weiter. »Also zuletzt eingeloggt war das Telefon am Hauptbahnhof. Das war am 3.7.«
»Was? Und wann hat ihr Freund sie als vermisst gemeldet?«, fragte Steffen ungläubig.
»Wie eben gesagt: vor fünf Wochen!«
»Unglaublich!« Steffen schüttelte den Kopf. »Und vor zwölf Wochen hat er sie das letzte Mal gesehen?«
Jacobsen überflog die Details. »Ja genau. Das war Mitte Mai, als sie Streit hatten.«
»Das heißt, und hierzu braucht man keine höhere Mathematik, Tanja Krause verschwindet vor zwölf Wochen, meldet sich noch vier Wochen lang, und weitere drei Wochen vergehen, bevor ihr Freund zur Polizei geht?«
»So sieht es aus«, bestätigte Jens Jacobsen.
»Und warum erst so spät?«, hakte Steffen nach.
»Wir haben ihn für in einer Stunde einbestellt. Da werde ich ihm genau die Frage stellen.«
Steffen war fassungslos. »Und deine Kollegen haben das nicht ernstgenommen?«
»Offensichtlich!«, bestätigte Jacobsen. »Deshalb und natürlich auch wegen des ähnlich gelagerten Verschwindens der zweiten Frau haben wir den Fall übernommen und lassen jetzt erst ein Bewegungsprofil des Handys der Frau und dann auch eines ihres Freundes erstellen. Außerdem überprüfen wir ihr Konto. Ich hoffe, dass wir die Daten schnell bekommen.«
»Und was ist mit dem zweiten Fall?«
»Damit sind die Kollegen ähnlich verfahren. Die Frau hatte ihre Eltern angeschrieben, dass sie eine längere Auszeit genommen hätte und auf Reisen wäre. Aber als sie nicht mehr von sich hören ließ, waren die Eltern bei der Polizei, wurden aber vertröstet, denn die Tochter wäre ja unterwegs und hätte vermutlich keinen Internetzugang. Nun haben die besorgten Eltern aber keine Ruhe gelassen, sodass wir jetzt auch diesen Vermisstenfall übernommen haben.«
»Okay, hast du Fotos der Frauen für mich? Dann würde ich versuchen, zuerst einmal das von Tanja Krause und die Vermisstenmeldung in die nächste Ausgabe zu stellen. Svenja freut sich bestimmt, bei der Suche nach der Frau mithelfen zu können.«
»Gut, die Fotos schicke ich dir. Ansonsten warte ich auf Carl Frerichs. Der müsste in Kürze kommen. Früher hatte er keine Zeit. «
»Alles klar, ich schicke dir den Artikel, wenn wir fertig sind.« Steffen Baumann verabschiedete sich, und Kommissar Jacobsen wartete auf den Freund von Tanja Krause.
Kapitel 5
Montag, 7. August 2023 – 21.00 Uhr
Carl Frerichs wirkte wie ein Bodybuilder. Selbstbewusst betrat er das Büro. Die Kommissare blickten den Mann an: Blond, breitschultrig mit blauen Augen und einem Dreitagebart stand er im Raum und sah von Jens zu Bianca und wieder zurück.
»Guten Abend, mein Name ist Carl Frerichs, sollte ich mich bei Ihnen melden?«, stellte er sich mit tiefer Bassstimme vor.
»Genau. Mein Name ist Jacobsen, das ist meine Kollegin Seifert. Nehmen Sie doch bitte Platz.« Jens Jacobsen schob ihm einen Besucherstuhl hin, auf den Carl Frerichs sich gleich fallen ließ.
»Wird die Vermisstenanzeige meiner Freundin jetzt endlich bearbeitet?«, fragte er in vorwurfsvollem Ton. »Ihre Kollegen haben mich ja nicht so wirklich ernstgenommen«, fügte er hinzu. »Aber mit Tanja muss etwas passiert sein. Sie meldet sich einfach nicht mehr.«
»Ja, wir ermitteln in dem Fall. Und es tut mir leid, dass unsere Kollegen so wenig tätig geworden sind.«
Frerichs schnaubte. »So kann man es auch nennen. Als ich erzählt habe, dass wir kurz vor ihrem Verschwinden einen Streit hatten, war für die anscheinend alles klar.«
»Worum ging es denn bei dem Streit?«, fragte Bianca Seifert.
Frerichs blickte sie an und überlegte einen Moment, was er antworten sollte. Er musste sichtlich nach den richtigen Worten suchen. »Also es ging eigentlich um banale Dinge, kein Grund, dass sie einfach verschwinden würde.«
»Worum ging es konkret, Herr Frerichs? Was waren das für banale Dinge? Sie müssen schon offen mit uns reden und etwas konkreter werden. Sie brauchen keine Angst zu haben, wir ermitteln auf jeden Fall«, versuchte Jacobsen, ihn zu beruhigen und gleichzeitig aufzufordern, ehrlich den Grund für den Streit zu nennen.
Frerichs blickte einen Moment aus dem Fenster, entschloss sich dann aber, offen zu antworten. »Ich war ein wenig eifersüchtig, weil sie mit einem Studienkollegen einen ganzen Tag verbracht hat.« Eine leichte Röte zeigte sich in seinem Gesicht.
»Und das haben Sie ihr gesagt?«, fragte Bianca Seifert nach.
Der junge Mann nickte. »Ja, ich bin wahrscheinlich ein wenig laut geworden, und dann hat ein Wort das andere ergeben.«
»Was heißt das?«, hakte sie nach.
»Sie hat mich einen eifersüchtigen Gockel genannt und ich sie …« Er brachte den Satz nicht zu Ende. Die Kommissare warteten, aber Frerichs schwieg.
»Was haben Sie gesagt?«, fragte die Kommissarin schließlich.
»Billige Schlampe!«, antwortete er kleinlaut. »Das tat mir auch sofort leid.«
Jacobsen und Seifert wechselten einen bedeutungsvollen Blick. »Das war natürlich ziemlich verletzend. Und dann ist sie gegangen?«, fragte die Kommissarin.
Er nickte. »Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe«, antwortete er stockend.
»Hat sie etwas mitgenommen?«, fragte Jacobsen.
Frerichs schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist es ja eben. Sie hatte nichts dabei. Sogar ihren Laptop hat sie stehengelassen, nur ihr Smartphone hatte sie dabei. Daher dachte ich erst, dass sie nur kurz weggegangen ist.«
»Und trotzdem haben Sie sie erst vor drei Wochen vermisst gemeldet?«, fragte Jacobsen skeptisch.
»Ja, sie hatte sich ja anfangs immer noch gemeldet und war sauer auf mich. Erst als ich einige Tage nichts mehr gehört habe, fand ich das merkwürdig und beunruhigend.«
»Und direkt, nachdem sie weggegangen war, hat sie Sie angerufen?«
»Ja! Das war am nächsten Morgen. Sie hat nur kurz gesagt, dass sie Zeit und Abstand braucht.«
»Wie klang das für Sie?«, fragte Seifert.
»Was meinen Sie?«
»Hörte sie sich anders an als sonst?«
Auf dem Gesicht des Mannes erschien eine tiefe Furche. »Ich verstehe nicht.«
»Klang das nach Abschied oder als ob sie nicht allein war, ob sie nicht offen sprechen konnte.«
»Sie meinen, dass da ein anderer Mann war? Nein, sie klang … traurig, nein, das ist nicht das richtige Wort. Ach, ich weiß auch nicht. Aber worauf wollen Sie hinaus?«
»Egal! Hat sie sich danach noch mal telefonisch gemeldet?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, nur noch per SMS.«
»Kam Ihnen das nicht merkwürdig vor?«
Frerichs stutzte einen Moment. »Ja, irgendwie schon, so, als ob sie mit mir nicht sprechen wollte.«
»Haben Sie die Nachrichten noch?«, fragte Jacobsen.
»Ja, natürlich.«
»Können wir die mal sehen?«
Umständlich zog Frerichs sein Handy aus der Hosentasche und reichte es dem Kommissar. Der öffnete die App und blätterte die Nachrichten durch. Immer wieder vertröstete sie darin ihren Freund und versprach, in Kürze zurückzukommen. Frerichs’ Antworten wurden immer verzweifelter. Dann kam die Nachricht, in der sie um Geld bat. Frerichs hatte nachgefragt, wofür sie das bräuchte und wo sie sei. Darauf hatte sie geantwortet, dass sie das Hotel bezahlen und eine Fahrkarte kaufen müsse. Die Frage, wo sie sei, ließ sie unbeantwortet. Ihr Freund hatte mehrfach nachgefragt, ohne eine Antwort zu erhalten. Schließlich hatte er gemeldet, dass er das Geld überwiesen hätte, aber auch hierzu gab es keine Antwort mehr.
»Okay, Herr Frerichs, das Handy müssten wir für eine kurze Zeit behalten.«
»Aber …«, protestierte der junge Mann.
»Sie bekommen es wieder. Aber wir brauchen die Details und werden auch versuchen, ein Bewegungsprofil des Handys Ihrer Freundin zu erstellen.«
Frerichs nickte.
»Noch mal zurück zu meiner Frage. Mir ist noch nicht ganz klar, warum Sie Ihre Freundin erst so spät als vermisst gemeldet haben?«
»Ja, äh, also«, stotterte er. »Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihr etwas passiert ist. Ich dachte nur, dass sie … also dass sie … mit meiner Eifersucht nicht klarkommt und Schluss machen wollte. Ich dachte, sie traut sich deshalb nicht, zurückzukommen.«
Jacobsen runzelte die Stirn. »Das ist aber eine ziemlich lahme Erklärung, muss ich sagen. Steckt da noch etwas anderes dahinter?«
Carl Frerichs druckste herum. »Ja, das tut mir auch leid. Als wir gestritten haben, da habe ich sie … etwas härter angefasst.« Er schluckte schuldbewusst.
»Sie haben sie geschlagen?«, schlussfolgerte Jacobsen im Klartext, worauf Frerichs nickte. »Ich muss Ihnen nicht sagen, was ich von Männern halte, die ihre Frau oder Freundin schlagen?«
»Nein, es tut mir auch furchtbar leid, und ich habe mich sofort bei ihr entschuldigt.«
»Lassen wir das mal so stehen. Nennen Sie mir zum Schluss bitte noch den Namen des Kommilitonen, mit dem sich Ihre Freundin getroffen hat, und die Familienangehörigen Ihrer Freundin.«
»Ja, okay.« Carl Frerichs gab den Kommissaren die Daten.
»Gibt es Freundinnen oder Freunde, mit denen sie engeren Kontakt hatte. Könnte sie vielleicht bei denen sein?«
»Da gibt es eine Freundin, Steffi Braun, mit der hat sie viel unternommen. Ansonsten fällt mir niemand ein.«
»Okay, Sie sagten, dass sie ihren Laptop dagelassen hat. Den würden wir abholen lassen, um zu schauen, ob darauf hilfreiche Informationen sind.«
»Ja, ich fahre gleich nach Hause und bleibe dann auch erstmal dort. Kann ihn jemand abholen, oder soll ich ihn vorbeibringen?«
» Wegen des Laptops schicken wir jemanden vorbei. Ihr Handy können Sie morgen Nachmittag wieder abholen. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.«
Carl Frerichs verabschiedete sich, und Jens Jacobsen fotografierte die einzelnen Nachrichten auf dem Handy des Mannes.
»Wenn sie nicht schon so lange weg wäre, würde ich vermuten, dass sie mit ihm nach dem Vorfall Schluss gemacht hat, aber dass sie keine privaten Sachen mitgenommen oder abholen lassen hat, finde ich schon merkwürdig. Und warum hat sich ihre Familie nicht gemeldet?« Bianca Seifert nahm einen Schluck Kaffee, um sich wachzuhalten. Es war ein anstrengender Tag gewesen und nun schon spät.
»Das werden wir erfahren, wenn wir mit ihnen gesprochen haben.«
Jacobsen stand auf. »Nun gönne ich mir ein Feierabendbier.«
»Bei Steffen?«, fragte sie.
Jens Jacobsen grinste. »Heute mal nicht!«
Kapitel 6
Dienstag, 8. August 2023 – 10.00 Uhr
Am nächsten Morgen war Steffen Baumann kurz bei seiner Freundin Paulina gewesen, hatte sich dann aber schnell verabschiedet, um mit Svenja Kröger telefonisch den Artikel über Tanja Krause abzustimmen. Als Svenja diesen fertiggestellt und an Steffen geschickt hatte, war auch schon Jens Jacobsen bei Steffen eingetroffen. Er überflog den Artikel und war mit dem Inhalt einverstanden.
Dann berichtete er von dem Gespräch mit Carl Frerichs und dessen Geständnis. Am Nachmittag würden die Kommissare mit den Eltern von Tanja Krause und mit dem Mitstudenten Raul Fernandez sprechen, mit dem sich Tanja Krause am Tag ihres Verschwindens getroffen hatte.
»Was ist mit den anderen Vermissten?«, fragte Steffen.
»Wir konzentrieren uns im Moment auf Tanja Krause und Diana Dorfner. Kannst du versuchen, mehr über Carolin Narjes herauszufinden und noch einmal mit deiner Nachbarin sprechen? Wir müssen so viel wie möglich über die Vermisste wissen. Hat sie eigentlich noch mehr Familie als ihre Großmutter? Was macht sie? Welche Freunde und Bekannte hat sie? Ist sie in Vereinen aktiv? Solche Dinge sind wichtig.«
»Klar, das mache ich. Zur Familie weiß ich nur, dass die Mutter in Essen wohnt. Sie selbst ist Studentin, oder Studierende, wie es ja inzwischen heißt.« Steffen versuchte, das Gendern so gut es ging zu vermeiden, sprach lieber von beiden üblichen Geschlechtsformen. An das Divers konnte er sich noch nicht gewöhnen.
