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***NACH "DIE TOTE VOR DER TÜR" DER ZWEITE HOCHSPANNUNGS-THRILLER DER STEFFEN-BAUMANN-REIHE.***
Tatort: Außenmühle in Hamburg
Eine Mordserie, die sich bereits über ein Jahrzehnt erstreckt und das vollkommen unbemerkt von der Polizei.
Vor elf Jahren verschwand eine junge Frau spurlos, nachdem sie sich mit ihrem damaligen Freund von ihrer Clique entfernt hat, um für eine Weile die Zweisamkeit zu genießen. Am nächsten Morgen wurde die Leiche des Freundes entdeckt, aber der Täter nie gefasst.
Nun, ein Jahrzehnt später, ist der leblose Körper einer Frau ans Ufer der Harburger Außenmühle geschwemmt worden. Sie trägt keine Papiere bei sich und die Polizei steht vor einem Rätsel. Als der Journalist Steffen Baumann über den Leichenfund informiert wird und ein Foto der Toten erhält, erkennt sein Kollege sie sofort. Es handelt sich um die junge Frau, die vor elf Jahren auf mysteriöse Weise verschwand. An den Medienrummel erinnert er sich nur zu deutlich.
Die Polizei startet direkt einen Öffentlichkeitsaufruf und bittet die Bevölkerung um Hilfe bei der Aufklärung des Falls. Doch warum meldet sich keiner der Cliquenmitglieder zu Wort? Steffen Baumann weiß, dass er einer ganz großen Story auf der Spur ist. Aber auch einem gefährlichen Serienmörder, dem es gelungen ist, über ein Jahrzehnt lang unter dem Radar der Polizei zu agieren. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Robin D. Jensen
Über den Autor:
Robin D. Jensen wurde 1959 in Nordenham geboren, studierte BWL und arbeitete über 35 Jahre in Hamburg als IT-Berater in größeren Unternehmen. 2016 begann er zu schreiben und bezeichnet sich selbst als »Zufallsautor«, denn von ihm stammt unter anderem die Krimireihe mit dem Hamburger Kommissar Rainer Zufall. Der sympathische, etwas schüchterne Protagonist seiner Krimis löst gemeinsam mit seinem Team die kniffligsten Fälle, aber auch sein Privatleben nimmt in den Büchern einen größeren Raum ein.
Buchbeschreibung:
Tatort: Außenmühle in Hamburg
Eine Mordserie, die sich bereits über ein Jahrzehnt erstreckt und das vollkommen unbemerkt von der Polizei.
Vor elf Jahren verschwand eine junge Frau spurlos, nachdem sie sich mit ihrem damaligen Freund von ihrer Clique entfernt hat, um für eine Weile die Zweisamkeit zu genießen. Am nächsten Morgen wurde die Leiche des Freundes entdeckt, aber der Täter nie gefasst.
Nun, ein Jahrzehnt später, ist der leblose Körper einer Frau ans Ufer der Harburger Außenmühle geschwemmt worden. Sie trägt keine Papiere bei sich und die Polizei steht vor einem Rätsel. Als der Journalist Steffen Baumann über den Leichenfund informiert wird und ein Foto der Toten erhält, erkennt sein Kollege sie sofort. Es handelt sich um die junge Frau, die vor elf Jahren auf mysteriöse Weise verschwand. An den Medienrummel erinnert er sich nur zu deutlich. Die Polizei startet direkt einen Öffentlichkeitsaufruf und bittet die Bevölkerung um Hilfe bei der Aufklärung des Falls. Doch warum meldet sich keiner der Cliquenmitglieder zu Wort? Steffen Baumann weiß, dass er einer ganz großen Story auf der Spur ist. Aber auch einem gefährlichen Serienmörder, dem es gelungen ist, über ein Jahrzehnt lang unter dem Radar der Polizei zu agieren. Ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel beginnt!
Jeder Thriller ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.
Robin D. Jensen
Schweigende Freunde
Ein Steffen-Baumann-Thriller 2
Thriller
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Juni 2024 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Petra Bülow
Korrektorat: Johannes Eickhorst und Bianca Kober
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
https://buchcoverdesign.de/
Prolog
Freitag, der 27. Juli 2012 – 16.30 Uhr
Die Clique hatte sich bei Kai Lehmann im Garten in Harburg-Wilstorf in der Nähe des Harburger Stadtparks getroffen. Gemeinsam schauten sie sich die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele an. Die wenigsten aus der Gruppe waren an der Veranstaltung wirklich interessiert, aber die jungen Frauen erfreuten sich an dem farbigen Bild, das geboten wurde, und als gezeigt wurde, wie James Bond die Queen abholte und gemeinsam mit ihr per Fallschirm ins Olympiastadion schwebte, sahen selbst die jungen Männer gebannt zu. Das war ja eine coole Idee, fanden zwar die meisten, aber nicht alle.
»Das ist doch Fake«, war der erste Kommentar, der von Stefan Behrens kam, der sich über diese Inszenierung lustig machte.
»Ja und?«, erwiderte Anna-Lena Hubler, die in den Armen von ihrem Freund Niklas Walter gebannt auf den Bildschirm sah und die Darbietung äußerst gelungen fand. »Du hast wohl an allem etwas auszusetzen, oder?«
»Lass doch die Spaßbremse.« Niklas zog seine Freundin noch enger an sich heran und gab ihr einen Kuss.
Allgemeines Gemurmel von den anderen folgte, wobei nicht klar war, ob sie Stefan oder Anna-Lena zustimmten.
»Ich werfe dann mal den Grill an«, verkündete Kai und erhob sich von seinem Platz.
»Hast du noch Bier?«, fragte Stefan und blickte missmutig auf Anna-Lena und Niklas, die nun am Rand der Terrasse standen und sich küssten.
»Ja, im Keller steht noch eine Kiste«, verkündete Kai und zündete die Kohle an, die er auf den Grill geschichtet hatte.
Fünf Stunden später ging die Gruppe auseinander, nachdem es zwischen den jungen Männern heftige Wortgefechte gegeben hatte. War es der übermäßige Alkoholgenuss gewesen, denn neben Bier gab es nach dem Essen auch härtere Getränke? Oder waren es einfach unterschiedliche Meinungen, die sich nicht vereinbaren ließen? Was zu der Eskalation geführt hatte, war von den Teilnehmern im Nachhinein nicht mehr nachzuvollziehen.
»Das muss ich nicht haben!«, verkündete Niklas, und Anna-Lena und er verließen als Erste das Treffen, um weiteren Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen. Der arme Kai blieb mit dem Chaos zurück und war mächtig sauer auf die anderen, von denen ihm lediglich Maria Schubert beim Aufräumen half.
»Ich brauche noch ein wenig mehr frische Luft«, sagte Niklas, als sie sich von der Gruppe entfernt hatten. »Die Außenmühle ist nicht weit. Hast du Lust, eine Runde um den See zu drehen? Es ist ja noch ziemlich warm, und wer weiß, vielleicht fällt uns noch ein netter Zeitvertreib ein«, ergänzte er lächelnd. »Liebe unter freiem Himmel, das wäre doch mal was. Was meinst du?«
»Wer weiß?« Anna-Lena warf ihm einen liebevollen Blick zu. »Aber ist hier nicht zu viel Publikum?«
Niklas schüttelte den Kopf. »Hier gibt es schon Ecken, wo man sich verbergen kann. Komm, ich zeige es dir.«
Händchenhaltend schlenderten sie an dem Restaurant vorbei, auf dessen Außenterrasse noch viele Tische besetzt waren. Sobald die beiden Verliebten einige Meter weitergegangen waren, wurde es spürbar ruhiger. Nur der Mondschein spendete etwas Licht, ansonsten war es unter den Bäumen stockfinster. Sie fanden eine einsame Stelle, an der sie sich an den See setzen und auf das ruhige Wasser blicken konnten. Schemenhaft waren einige Enten zu erkennen, ansonsten war alles still. Es war ein traumhafter Sommerabend, konnte man meinen.
»Was war eigentlich mit den Jungs los, dass die plötzlich so ausgetickt sind?«, fragte Anna-Lena, der das Treffen immer noch durch den Kopf ging. Sie hatte nicht verstanden, warum einige der Jungs Vanessa und ihr selbst gegenüber plötzlich so ausfallend geworden waren.
Niklas zuckte mit den Schultern. »Tja, wenn man keinen Alkohol abkann, sollte man es lieber lassen.« Ihm war der wahre Grund schon klar, er traute sich aber nicht, das Thema anzusprechen, denn Anna-Lena sollte es lieber nicht mitbekommen. Er zog sie an sich und gab ihr einen Kuss. Anna-Lena erwiderte den Kuss und ließ zu, dass seine Hand unter ihr T-Shirt rutschte, und er begann, sanft ihre Brüste zu streicheln.
»Du willst wirklich hier?«, fragte sie bereits schwer atmend. Sie war hin- und hergerissen zwischen Lust und Furcht.
»Warum nicht? Ist doch irgendwie geil!« Er zog sich sein T-Shirt aus und erhob sich, um aus seiner Jeans zu steigen. Dann beugte er sich über sie und schob ihr das T-Shirt und den BH über den Kopf. Er drückte sie zu Boden und zog ihr ihren Rock aus, sodass beide nur noch Slips anhatten. Niklas beugte sich über sie und bedeckte ihren Körper mit Küssen. Gerade war er dabei, an ihrer Schulter zu knabbern, als er plötzlich auf sie fiel und Blut in ihr Gesicht tropfte. Anna-Lena schrie vor Schreck auf, aber im nächsten Moment erhielt auch sie einen Schlag auf den Kopf und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Sie bekam nicht mehr mit, was danach passierte. Als sie wieder zu sich kam, lief sie wie in Trance neben ihm her, bis er sie in ein Auto verfrachtete.
Erst als es wieder hell wurde, entdeckte ein Jogger die beinahe nackte Gestalt, die reglos am Ufer des Sees lag. Die sofort alarmierte Polizei und der Notarzt konnten nur noch den Tod des jungen Mannes feststellen. Neben der Kleidung des jungen Mannes wurde ein zerrissener Damenslip gefunden. In der Hose des Opfers fand sich der Ausweis, sodass der Tote als Niklas Walter identifiziert werden konnte. Später stellte sich anhand eines DNA-Abgleichs heraus, dass der zerrissene Slip Anna-Lena Hubler, der Freundin des Opfers, gehörte. Sie selbst war jedoch nicht auffindbar. Ihre Eltern hatten sie am Mittag des Folgetages als vermisst gemeldet. Die junge Frau blieb verschwunden, wobei den ermittelnden Beamten unklar war, ob sie entführt oder getötet worden oder ob sie womöglich als Täterin untergetaucht war. Keine der Befragungen ergab irgendwelche Hinweise. Die Frau blieb verschwunden, und auch auf Zeugenaufrufe meldete sich niemand.
Die Mitglieder der Gruppe, mit der sich die beiden an dem Abend zum Fernsehen und Grillen getroffen hatten, konnten ebenfalls keine weiterführenden Informationen liefern. Der Fall blieb ungeklärt, von der jungen Frau fehlte seit diesem Tag jede Spur.
Kapitel 1
Samstag, der 8. Juli 2023 – 23.30 Uhr
Es war ein lauer Sommerabend. Christine Papke und Alexander Albrecht hatten sich zu einem Spaziergang an der Außenmühle verabredet. Sie hatten in den letzten Wochen viel Zeit miteinander verbracht, und an diesem Abend wollte Alex seine Schüchternheit überwinden und ihr die Frage stellen, ob sie seine Freundin werden wollte. Bisher war nie der richtige Zeitpunkt dafür gewesen, aber heute sollte es sein, und zwar am liebsten in der Dämmerung, damit sie seine Aufregung nicht mitbekam.
Also trafen sie sich erst spät, und er suchte einen Platz unter den Bäumen, abgeschirmt vom Licht des Restaurants. Christine folgte ihm, gespannt, was er ihr mitteilen wollte. Sie gingen die Außenmühle entlang, aber nirgendwo schien ihm der Platz geeignet. Schließlich hielt er an und holte tief Luft, um ihr endlich seine Liebe zu gestehen.
»Liebe Christine.« Er räusperte sich und wirkte verunsichert, weil Christine plötzlich mit schreckgeweiteten Augen an ihm vorbeischaute.
»Da!«, rief sie und deutete hinter ihm aufs Wasser.
»Was ist?«, fragte er irritiert und folgte ihrem Blick.
»Da liegt etwas, etwas Großes. Ist das ein Mensch?« Aus ihrer Stimme klang Panik.
»Wo?« In dem Moment entdeckte er, was sie meinte. Sein Vorhaben war sofort in Vergessenheit geraten, als er sah, worum es sich handelte. Am Rande des Sees, noch halb im Wasser, lag ein Mensch.
»Oh Gott, ist er tot?«, entfuhr es Christine.
»Ich glaube ja, zumindest bewegt er sich nicht, wird nur vom Wasser ein wenig hin und her geschaukelt.« Alex versuchte, ruhig zu bleiben, was ihm allerdings nicht gelang, und zog sein Handy heraus. »Ich ruf die Polizei.«
Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie einen Polizeiwagen bemerkten, der auf dem Parkplatz nahe des Restaurants hielt. Alex leuchtete mit seinem Smartphone, um die beiden Polizisten auf sich aufmerksam zu machen. Kurz darauf erreichten die Beamten die Stelle, an der Christine und Alex standen. Einer der Beamten trat ans Ufer und zog die Person aus dem Wasser. Blonde, lange Haare und weiche Gesichtszüge sowie ein kurzer, blauer Rock und eine helle Bluse machten sofort klar, dass es sich um eine junge Frau handelte.
»Sie ist anscheinend ertrunken«, stellte der Polizist fest.
»Suizid?«, fragte der andere.
»Möglich! Aber wir sollten Rechtsmedizin und Spurensicherung informieren.«
»Geht klar!« Der Kollege zog sein Telefon heraus und forderte beides an.
»Was haben Sie hier gemacht?«, fragte der Polizist, der die Tote aus dem Wasser gezogen hatte. Er schüttelte seine feuchten Hände und sah das junge Paar direkt an.
»Wir sind hier spazieren gegangen«, antwortete Alex.
»So spät und im Dunklen?«
»Ja, ich … äh … also ich wollte …«, stotterte Alex jetzt, dem ganz offensichtlich die richtigen Worte fehlten.
Christine stand stumm daneben. Sie war von dem Schock, eine Leiche entdeckt zu haben, noch völlig mitgenommen.
»Ist Ihnen denn sonst noch irgendetwas aufgefallen?«
Alex und Christine schüttelten den Kopf. »Nein!«, antwortete Alex.
»Gut, ich nehme Ihre Daten auf, dann können Sie erst einmal gehen, aber die Kriminalpolizei wird Sie sicher noch einmal befragen.«
»Was? Die Kripo? Warum das denn?«, fragte Alex erschreckt.
»Reine Routine. Wir wissen ja noch nicht, ob hier ein Verbrechen vorliegt, und darum wird die Kripo abschließend einmal genau bei Ihnen nachfragen.«
»Okay.«
»Soll Ihnen ein Arzt noch etwas zur Beruhigung geben wegen des Schocks?«, fragte der Beamte mitfühlend. Die beiden jungen Leute schüttelten den Kopf und machten sich auf den Weg. Zwei Männer in weißen Overalls und ein Mann mit einer großen Tasche kamen ihnen entgegen. Bevor sie die Maretstraße erreichten, traf ein weiteres Fahrzeug mit zwei Personen ein, die ihnen zunickten und sich ebenfalls in Richtung des Leichenfundortes bewegten.
Kapitel 2
Sonntag, der 9. Juli 2023 – 00.30 Uhr
Die Kommissare Jens Jacobsen und Karsten Bremer näherten sich dem Tatort, wo der Rechtsmediziner Holger Wilhelm bereits mit der Untersuchung der Toten begonnen hatte.
»Moin, Herr Doktor«, begrüßte Jacobsen den Rechtsmediziner. »Wie sieht es denn aus? Ich habe etwas von ertrunken gehört. Unfall? Suizid?«
Wilhelm sah kurz auf. »Ja, wenn ich das so schnell beurteilen könnte, wäre ich ein Zauberer. Bisher kann ich noch gar nichts ausschließen. Das kann ein Unfall, ein Suizid, ja eventuell auch ein Verbrechen gewesen sein. Zumindest war es wohl kein Badeunfall, sonst wäre sie nicht in voller Montur ins Wasser gegangen.«
Jacobsen nickt zustimmend. »Da ist etwas dran. Eventuell ist sie ins Wasser gefallen und ertrunken oder … Na ja, Genaueres können Sie sicher erst …«
»… nach der Obduktion sagen, genau. Dann kann man die Leiche jetzt in die Pathologie schaffen«, verkündete er. »Morgen früh wissen wir mehr.« Er stand auf, packte seine Sachen und machte sich auf den Weg.
»Wisst ihr schon irgendetwas über die Tote?«, wandte sich Kommissar Jacobsen an einen Kollegen der Spurensicherung. Der schüttelte den Kopf.
»Nichts, absolut nichts. Die Frau hatte nichts bei sich. Aber sie lag komplett angezogen im Wasser, was uns schon sonderbar vorkommt.« Der Kollege von der Spurensicherung zuckte mit den Schultern. »Ich fürchte, dass wir hier nicht viel finden werden. Es gibt ein paar Fußabdrücke, die können aber auch von dem Pärchen stammen, das die Leiche gefunden hat.«
»Waren das die beiden, die uns eben entgegengekommen sind?«, fragte Jacobsen.
»Ja! Aber viel konnten sie nicht sagen«, mischte sich der Polizist ein, der mit Christine und Alexander gesprochen hatte. »Wir haben ihre Daten aufgenommen und ihnen angekündigt, dass die Kripo nochmal auf sie zukommen wird. Die Armen standen unter Schock. Ich fürchte allerdings, dass auch bei einer erneuten Befragung nicht viel herauskommt.«
Er reichte dem Kommissar den Zettel mit den Daten des Pärchens. Der knurrte: »Also haben wir bisher nichts. Dann frage ich mich, was wir hier sollen. Okay, könnt ihr in dem Restaurant die Gäste befragen? Vielleicht hat ja jemand etwas gesehen. Wir wissen bisher nicht, ob es Mord war oder ein Unglück oder ein Suizid. Möglicherweise hat sich die Frau auffällig verhalten, oder es war jemand bei ihr, hat sie dort umgebracht oder die Leiche hierhergeschafft.«
»Okay, ich organisiere das«, antwortete der Polizist und ging mit einem Kollegen zum Restaurant.
Die beiden Kommissare schauten sich um, warfen noch einen Blick auf die Tote und bemerkten dann Unruhe unter den letzten Gästen, die noch im Außenbereich des Restaurants saßen. Ganz offensichtlich hatte sich der Vorfall schnell herumgesprochen.
Etwa zwanzig Minuten später kamen die beiden Polizisten zurück und berichteten. »Also von denen hat keiner etwas mitbekommen. Aber wir wissen ja auch nicht, wann die Frau hier angekommen ist, und ob sie überhaupt am Restaurant vorbeigegangen ist oder vielleicht von der anderen Seite kam.« Der Außenmühlensee konnte einmal komplett umrundet werden, wobei man linksrum oder rechtsrum gehen konnte.
»Okay, danke. Es hätte ja sein können.« Jacobsen schaute noch einmal nachdenklich zum Restaurant, ehe er sich an seinen Kollegen wandte.
»Gut, Karsten, ich denke, wir schlafen eine Runde, und morgen früh schauen wir die Vermisstenanzeigen durch. Vielleicht ist die Frau ja dabei. Ich mache noch ein paar Fotos der Toten, dann prüfen wir morgen mal, ob irgendetwas über sie zu finden ist. Hoffentlich kann der Doktor Licht ins Dunkel bringen, was mit ihr passiert ist.«
Er ging noch einmal zu der toten Frau, schoss einige Fotos, und dann verließ er mit seinem Kollegen den Tatort. Die Leiche wurde anschließend in die Rechtsmedizin gebracht.
Kapitel 3
Sonntag, der 9. Juli 2023 – 10.30 Uhr
Kommissar Jacobsen rieb sich die müden Augen. Er war alle Vermisstenanzeigen der letzten zwölf Monate durchgegangen, leider ohne einen Treffer zu erzielen. Unzufrieden trank er bereits den fünften Becher Kaffee, als sein Telefon klingelte. Sein Kollege Bremer berichtete von dem Treffen mit dem jungen Paar, das am vorigen Abend die Tote gefunden hatte.
»Die konnten nicht weiterhelfen«, begann Bremer das Gespräch. »So ganz haben sie sich von dem Fund noch nicht erholt. Ich habe die junge Frau zuerst befragt. Sie war zu Hause und sah ziemlich übernächtigt aus. Ich vermute, dass sie letzte Nacht wenig bis gar nicht geschlafen hat. Als ich ihr das Foto der Toten gezeigt habe, hat sie sich beinahe übergeben. Nur mit Mühe konnte sie herauspressen, dass sie die Frau noch nie gesehen hat.«
»Mist!«, antwortete Kommissar Jacobsen. »Und ihr Freund?«
»Von dem komme ich gerade. Das Ergebnis ähnlich. Er wirkte sehr nervös, aber das war er nach Aussage unseres Kollegen gestern Abend auch schon. Auch er konnte nicht weiterhelfen. Im Vertrauen hat er mir noch erzählt, dass er seine Begleiterin gestern fragen wollte, ob sie seine feste Freundin werden wolle. Aber dazu ist er nicht mehr gekommen. Ich musste daran denken, wie ich selbst damals meine erste Freundin gefragt habe«, sagte Bremer mitleidig lächelnd
»Schade für ihn und für uns«, kommentierte Jacobsen. »Mit anderen Worten: Wir haben eigentlich nichts. Jetzt müssen wir schauen, was unser Rechtsmediziner sagt. Ich rufe ihn gleich mal an.«
»Arbeitet der denn heute?«, fragte Bremer erstaunt.
»Davon gehe ich aus. Ich kann mir auch etwas Besseres vorstellen, als am Wochenende hier im Büro zu sitzen und Fotos vermisster Frauen anzuschauen.«
»Unsere Tote ist nicht dabei?«
Jacobsen atmete geräuschvoll aus. »Nein. Ich habe alle durchgeschaut, die in den letzten zwölf Monaten vermisst gemeldet wurden, aber sie ist nicht dabei.«
»Und jetzt?«
»Dann müssen wir wohl an die Öffentlichkeit gehen!«
»Verstehe! Dann gehst du zu deinem Freund Baumann?«
»Ich denke schon.«
Seit der Mordserie, in die der Journalist Steffen Baumann involviert war und bei der Kommissar Jacobsen und der Journalist so gut zusammengearbeitet hatten, waren die beiden Freunde geworden. Irgendwann danach hatten sie sich auf ein Bier verabredet und duzten sich seitdem. Es war nicht bei dem einen Treffen geblieben. Dennoch hatte Jacobsen betont, dass er bezüglich seiner Arbeit eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Presse, also auch Steffen gegenüber, wahren müsste, aber sie würden sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegenseitig unterstützen.
»Hallo Steffen, hier ist Jens«, begrüßte er seinen Freund.
»Oha, Jens. Wenn du am Wochenende anrufst, möchtest du entweder ein Bier mit mir trinken, oder es hat nichts Gutes zu bedeuten. Also?«
Über Jacobsens Gesicht lief ein kurzes Lächeln, er wurde aber sofort wieder ernst. »Es ist leider das Zweite. Wir sind letzte Nacht zu einer Leiche an die Harburger Außenmühle gerufen worden. Die Frau, die wir dort gefunden haben, hatte nichts bei sich. Ich habe schon mal alle Vermisstenmeldungen der letzten Monate durchgeschaut, aber sie war nicht dabei. Bisher ist auch keine neue Meldung hereingekommen.«
»Und ist die Frau ermordet worden?«, fragte Steffen, der sich sofort Notizen gemacht hatte.
»Das wissen wir noch nicht. Ich muss gleich noch mit dem Rechtsmediziner sprechen, ob er schon etwas sagen kann.«
»Okay, was soll ich tun?«
»Ich schicke dir gleich mal ein paar Fotos von der Toten. Könntest du das am besten morgen schon als Öffentlichkeitsfahndung bringen?«
»Ich kann es versuchen, brauche aber noch ein paar Angaben: Wann wurde sie gefunden, was hatte sie an usw. Ihr habt ja sicher im Umfeld nach Zeugen gefragt, richtig?«
»Klar, aber anscheinend hat niemand etwas gesehen. Also die Frau wurde am Samstag gegen 22.30 Uhr gefunden, hat lange, blonde Haare und trug einen kurzen, blauen Rock und eine helle Bluse.«
»Okay, hab ich notiert. Ich schreibe einen kurzen Bericht, und wenn du mir die Fotos schickst, dann schiebe ich das noch auf unsere erste Seite von morgen.«
»Ich danke dir. Zu deiner Info: Ich werde das natürlich auch an andere Zeitungen schicken, aber du hast Vorsprung.«
»Danke! Lass uns beizeiten mal wieder ein Bier zusammen trinken.«
»Gern, aber jetzt muss ich erst mal schauen, ob wir einen Fall haben.«
»Falls die Frau getötet wurde?«
»Genau, also bis dann.«
Sie beendeten das Gespräch, und Jacobsen wählte die Nummer des Rechtsmediziners.
»Herr Wilhelm, moin, ich wollte mal hören, ob Sie schon etwas sagen können«, begrüßte er den Rechtsmediziner. »Hier ist Jacobsen!«
»Ach, Herr Kollege, Ihr Wochenende ist also auch versaut.«
»Richtig! Und?«, hakte er ungeduldig nach.
»Nun ja, eines kann ich bereits sagen.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause, und Jacobsen wartete gespannt darauf, dass der Rechtsmediziner weitersprechen würde. »Es war sehr wahrscheinlich kein Suizid. Ich habe punktförmige Einblutungen in den Augenbindehäuten entdeckt. In den Lungen befindet sich kein Wasser.«
»Also war die Frau schon tot, als sie ins Wasser …« Jacobsen ahnte, was nun kommen würde.
»Ja, mein lieber Kollege. Sie ahnen es bereits, es wird Arbeit für Sie geben. Die Frau ist ermordet worden.«
Jacobsen stöhnte auf. »Oh Mann, das klingt nicht gut, denn wir wissen immer noch nicht, wer die Tote ist. Wann wurde sie denn ermordet?«
Er hörte den Rechtsmediziner auf seiner Tastatur tippen, ehe er antwortete: »Der Todeszeitpunkt dürfte zwischen 20 und 22 Uhr liegen. Mehr habe ich leider noch nicht für Sie«, fügte er bedauernd hinzu. »Dann wünsche ich viel Erfolg bei der Suche.«
»Danke!« Sie beendeten das Gespräch, und Jacobsen rief seinen Kollegen Bremer an. »Karsten, nur ganz kurz. Die Frau ist ermordet worden. Steffen Baumann bringt morgen einen kurzen Artikel mit einem Foto der Toten. Ich hoffe, das hilft uns bei der Suche nach ihrer Identität weiter.«
»Ich auch. Kann ich etwas tun?«
Jacobsen schüttelte den Kopf, obwohl sein Kollege das nicht sehen konnte. »Nein, ich denke, wir genießen noch den Rest des Wochenendes und machen uns morgen frisch ans Werk.«
Kapitel 4
Montag, der 10. Juli 2023 – 11.00 Uhr
Das Foto mit den wenigen Details, die bekannt waren, hatte eine ganze Reihe von Anrufen sowohl bei der Polizei als auch bei der Redaktion nach sich gezogen. ‚Tod an der Außenmühle – wer kennt diese Frau?‘, war der kurze Artikel überschrieben. Aber wirklich hilfreich war keiner der Anrufer. Die Kommissare waren genervt, und auch Steffen Baumann legte nach dem dreißigsten Anruf, der ihn persönlich erreichte, frustriert sein Telefon zur Seite und stöhnte. Auch andere Kollegen der Redaktion konnten von keinem hilfreichen Hinweis berichten.
»Anscheinend ist die Frau irgendwie vom Himmel gefallen und ist in Lübeck ermordet worden, wenn ich diesem letzten Typen glaube, der gerade angerufen hat und meinte, er hätte das vorgestern gegen Mitternacht beobachtet. Da war sie aber schon in Hamburg tot aufgefunden worden.«
»Also nichts Hilfreiches dabei«, fragte Svenja Kröger, mittlerweile seine rechte Hand, nachdem er zum Chefredakteur ernannt worden war.
»Nein, nur Spinner! Ich bin mal gespannt, ob Jens irgendwelche Anrufe bekommen hat, die etwas taugen.«
Aber auch die Polizei konnte keine einzige Rückmeldung verzeichnen, die ihnen in irgendeiner Weise weitergeholfen hätte. Es war frustrierend. Parallel durchforstete Kommissar Bremer weitere Vermisstenmeldungen. Sie hatten die Suche auf die letzten fünf Jahre ausgeweitet. Das war eine mühsame Arbeit, aber auch hier wurde er nicht fündig.
Der Rechtsmediziner hatte ebenfalls nicht viel Neues zu berichten. Er schätzte das Alter der Frau auf Ende 20. Anscheinend war sie mit bloßen Händen erstickt worden. Dadurch, dass sie im Wasser gelegen hatte, konnte an ihr keine Fremd-DNA gefunden werden. Seitens der Spurensicherung gab es auch kaum Hilfreiches. So wie es aussah, war die Frau nicht weit vom Fundort getötet worden. Es gab lediglich leichte Schleifspuren von dem mutmaßlichen Tatort bis zu der Stelle im Wasser, an der sie gefunden worden war.
»Ich habe keine Ahnung, wo wir ansetzen können, solange wir nicht einmal wissen, wer diese Frau ist. Irgendjemand muss sie doch kennen!« Jacobsen warf seinen Stift, den er in der Hand hielt, um hilfreiche Hinweise zu notieren, wütend auf den Schreibtisch.
Alle Anrufe, die im Laufe des Tages noch eintrudelten, ließen seine Frustration weiter steigen. Nachdenklich betrachtete er das Foto der Frau und murmelte vor sich hin: »Wer bist du bloß, unbekannte Frau?«
Gegen 17 Uhr rief er Steffen Baumann an. »Ich gehe mal davon aus, dass bei euch auch nur Spinner angerufen haben, oder?«
»Richtig! Unglaublich, was da so gemeldet wird. Ich habe mal mitgezählt, es waren bei uns 79 Anrufe, und 78 davon waren irgendwelche Wichtigtuer, einige fragten gleich nach einer Belohnung. Der 79. war in der falschen Abteilung gelandet. Ich hatte schon gar keine Lust mehr, ans Telefon zu gehen. Den Kollegen erging es genauso.«
»Wie wäre es mit einem Feierabendbier?«, fragte Jens Jacobsen.
»Heute?« Steffen stutzte. »Von mir aus gerne. Wo?«
»Hier in Alsterdorf, wie üblich?«
»Gut, 18 Uhr?«
»Geht klar. Bis dann.«
Punkt 18 Uhr betrat Steffen die Gaststätte, wo ihn sein Freund bereits mit einem ersten Bier empfing.
»Moin, Steffen. Ich dachte mir, das hilft bei der Frustbewältigung. Morgen bringt deine Konkurrenz das Foto, aber ich verspreche mir davon nicht viel.«
»Na ja, das Abendblatt hat ja noch ein paar Leser mehr als wir und auch eine andere Zielgruppe. Vielleicht haben die ja Erfolg.«
»Schön wäre es, aber nach heute zweifle ich. Vor allem wundert mich, dass es keine Vermisstenmeldung gibt. Irgendjemand muss die Frau doch vermissen. Sie kann doch nicht vom Himmel gefallen sein, auch wenn das einer der Anrufer behauptete.«, sagte er grinsend. »Und so wie sie aussieht, schätze ich, dass sie Deutsche ist oder auf jeden Fall hier gelebt hat, zumindest wurde ihre Kleidung hier gekauft. Aber ich kann mich auch täuschen. Übrigens steht nun fest, dass die Frau ermordet wurde.«
Steffen trank einen Schluck Bier, ehe er antwortete: »Krass! Das ist ja eine merkwürdige Geschichte. Wollt ihr auch in den Nachbarländern nachfragen?«
Jens zuckte mit den Schultern. »Wenn wir bis Mittwoch nichts herausgefunden haben, werden wir das machen.«
»Wie geht es deiner Kollegin Svenja Kröger?«, fragte Jacobsen nach einer Weile.
»Sie macht sich echt gut. Ich glaube nicht, dass ich mich in jemandem mal so sehr getäuscht habe wie in ihr.« Steffen musste nur einige Monate zurückdenken, als er von ihr wegen ihrer vermeintlich aufdringlichen Art noch so genervt gewesen war. Inzwischen war sie ihm eine große Hilfe.
»Und, läuft was bei euch?«, fragte Jacobsen nach und grinste.
»Nein, immer noch nicht und wird auch nicht. Ich bin als Single ganz zufrieden.«
»Bis die Richtige kommt! Geht mir aber genauso.« Jacobsen nahm einen kräftigen Schluck und bestellte ein weiteres Bier.
»Und du? Irgendeine im Auge?«, hakte Steffen nach und sah das Schmunzeln seines Gegenübers. »Echt? Erzähl!«
Jacobsen schüttelte den Kopf. »Ist noch nicht spruchreif. Und jetzt müssen wir erst einmal sehen, dass wir unseren Fall lösen.«
»Da kann uns wohl nur ein Wunder helfen«, sagte Steffen und ahnte nicht, dass genau das zwei Tage später passieren würde.
Kapitel 5
Mittwoch, der 12. Juli 2023 – 09.30 Uhr
Rüdiger Rieber, wegen seiner Anfangsbuchstaben nur Doppel-R genannt, war ein Kollege von Steffen und Svenja und legte seinen Urlaub gern so, dass er nicht freitags in den Urlaub startete und auch nicht montags zurückkehrte, sondern eher am Mittwoch, damit die erste Arbeitswoche nicht so lang wurde. Er arbeitete bereits seit 18 Jahren in der Redaktion, und seine Besonderheit war, dass er über ein Elefantengedächtnis verfügte.
An diesem Tag kam er ausgeruht aus dem Urlaub zurück und erzählte begeistert von der Tour, die er mit seiner Frau durch Irland unternommen hatte. Man hatte den Eindruck, dass er eine Werbeveranstaltung für eine Rundreise über die grüne Insel abhalten würde. Als Letztes meldete er sich beim Chefredakteur, also bei Steffen Baumann, zurück und erzählte auch ihm von seiner tollen Reise.
»Da musst du unbedingt mal Urlaub machen. Das ist ein Traum, sage ich dir. Und die Menschen sind alle so freundlich. Das Bier: köstlich! Bei Guinness könnte ich fast zum Alkoholiker werden.« Er fuhr sich genießerisch über die Zunge.
»Das klingt gut. Den Tipp merke ich mir«, antwortete Steffen, der immer noch genervt war von den vielen Anrufen wegen der Toten, die ihn aber keinen Schritt weiterbrachten.
»Und was liegt hier so an?«, fragte Doppel-R, der sich gedanklich langsam zurück in die Arbeitswelt begab.
»Wir versuchen immer noch herauszubekommen, wer diese unbekannte Tote ist, die am Samstag an der Außenmühle in Harburg gefunden wurde.« Er deutete auf das Foto der Ausgabe von Montag, die auf seinem Schreibtisch lag.
Rieber betrachtete das Foto einen Moment und kratzte sich an der Stirn. »Aber das ist doch …«
Steffen merkte auf. »Was? Du weißt, wer das ist?« Hoffnung keimte auf.
»Ja, das ging damals groß durch die Presse.« Man sah ihm an, dass es in seinem Kopf arbeitete.
»Was denn?« Steffen sah seinen Mitarbeiter fragend an. »Was ging durch die Presse?«
»Warte mal. Das muss, ja genau, das war während der Olympischen Spiele in London. Wann war das noch mal?«
»2012, glaube ich.«
»Genau. Damals gab es einen Mord an der, ja, auch an der Außenmühle.«
»Und? Was hat das mit der Frau zu tun?«
»Moment, das haben wir gleich. Ich durchforste mal eben das Archiv. Das war Juli oder August 2012.« Doppel-R verschwand, und Steffen blickte ihm gespannt hinterher. 2012, da war er selbst noch nicht hier in der Redaktion, wohnte noch nicht einmal in Hamburg. Aber selbst wenn. An ein so lange zurückliegendes Ereignis könnte er sich kaum erinnern, schon gar nicht an irgendwelche Gesichter. Aber Rüdiger Rieber war da schon ein Phänomen.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis er zurückkehrte und Steffen den entsprechenden Artikel auf den Tisch legte. »Hier! Anna-Lena Hubler heißt die Frau.«
Steffen nahm den Artikel in die Hand und warf einen Blick auf das Foto. In der Tat sah die Frau der Toten ähnlich. Die elf Jahre, die dazwischenlagen, konnten die Veränderungen erklären, aber sie war noch erkennbar. Zweifellos!
»Ich glaube, das ist sie«, stellte Steffen fest. »Kannst du mir alle Berichte rund um diesen Fall besorgen?«, fragte Steffen und Rieber nickte.
»Klar, bin auf dem Weg.«
Eine Stunde später hatte Steffen einen Haufen Ausgaben aus dem Juli und August 2012 auf seinem Rechner und begann, sie durchzuarbeiten. Stundenlang war er so in das Studium vertieft, dass er ganz vergaß, Kommissar Jacobsen zu informieren. Plötzlich fiel ihm ein, dass das seine erste Reaktion hätte sein müssen. Also griff er zum Telefon.
»Ich denke, wir wissen jetzt, wer die Tote ist«, begann er das Gespräch ohne große Vorrede.
»Erzähl!« Auch Kommissar Jacobsen verzichtete auf eine Begrüßung und lauschte gespannt auf die Informationen des Journalisten.
»Also, die Anrufe waren alle nicht hilfreich, aber wir haben einen Kollegen, dessen Gedächtnis einfach phänomenal ist. Er ist heute aus dem Urlaub gekommen, hat auf das Bild geschaut und sofort gewusst, dass er sie kennt beziehungsweise, dass ihm das Gesicht bekannt vorkommt.«
»Woher?«, fragte Jacobsen ungeduldig.
»Das ist elf Jahre her. Damals wurde ein junger Mann an der Außenmühle getötet. Vorher war er dort mit seiner Freundin zusammen, und von der fehlt seitdem jede Spur.«
»Name?«, fragte der Kommissar kurz angebunden.
»Anna-Lena Hubler.«
»Das ist echt elf Jahre her? So weit haben wir nicht in die Vergangenheit geschaut. Ich suche mal die alten Akten zu dem Fall. Wann war das genau?«
»Ende Juli 2012. Ich arbeite gerade die alten Ausgaben unserer Zeitung durch.«
»Okay, und ich wühle mich dann jetzt durch die Informationen zu dem alten Fall.«
»Vielleicht können wir uns ja hinterher austauschen«, schlug Steffen vor.
»Mal sehen«, war die zögerliche Antwort. »Ich melde mich!« Er beendete das Gespräch, und Steffen blickte einen Moment leicht verärgert auf sein Handy. Da hatte er ihm die Information frei Haus geliefert, um jetzt von ihm so abgefertigt zu werden. Nun ja, aber sein Jagdtrieb war geweckt. Erneut vertiefte er sich in die damalige Berichterstattung.
Kapitel 6
Mittwoch, der 12. Juli 2023 – 18.30 Uhr
Steffen Baumann hatte völlig die Zeit vergessen, während er die Berichte über den Mord an der Außenmühle und die weitere Entwicklung studierte. Das Ganze war über Wochen DAS Thema gewesen. Der Tote und seine Freundin hatten an dem Abend mit Freunden zusammen gefeiert. Die Freunde, die hinterher ausführlich befragt worden waren, konnten sich das Ganze nicht erklären. Man hätte zusammen die Eröffnung der Olympischen Spiele gesehen, danach gegrillt und getrunken, ehe sich die Runde dann gegen 23 Uhr aufgelöst hatte.
Streit habe es nicht gegeben, alles sei ganz harmonisch gewesen, so wie immer eben. Niklas Walter und Anna-Lena Hubler seien als Erste gegangen. Wohin, das wussten sie angeblich nicht. Danach hatte sich die Feier nach und nach aufgelöst. Insgesamt hatte die Gruppe aus 15 Personen bestanden.
An dieser Stelle fragte sich Steffen, warum sich niemand aus der Gruppe auf den Öffentlichkeitsaufruf gemeldet hatte. So sehr unterschied sich das Gesicht von Anna-Lena Hubler nicht von ihren Fotos von damals. Wollte keiner daran erinnert werden, oder konnte es tatsächlich sein, dass niemand das Foto gesehen hatte? Und was war mit Eltern, Familie, Angehörigen? Dem würde er nachgehen. Sein journalistischer Spürsinn war geweckt. Er würde nachprüfen, wen es da gab und warum der- oder diejenige sich nicht gemeldet hatte.
Wie auch immer, damals waren alle aus der Gruppe intensiv befragt worden. Hilfreiche Auskünfte konnte keiner geben, und Anna-Lena Hubler blieb seit dem Abend verschwunden. Da Spuren von ihr am Tatort gefunden wurden, hielt man es für möglich, dass sie den jungen Mann getötet hatte und dann untergetaucht war. Die Frage war nur, warum. Hatte er vielleicht versucht, sie zu vergewaltigen, und sie hatte in Notwehr gehandelt? Oder war sie entführt und eventuell sogar getötet worden, lautete eine weitere Theorie von damals. Aber ihre Leiche war nie gefunden worden.
Wochenlang wurde dieses Verbrechen in der Zeitung verfolgt, und alle möglichen Theorien wurden durchdiskutiert. Die Polizei tappte ganz offensichtlich im Dunkeln, verfolgte diverse Spuren, befragte mehrfach die Teilnehmer der Gruppe. Niemand konnte sich erklären, was passiert war, aber dass Anna-Lena ihren Freund getötet hatte, weil er sie vergewaltigen wollte, hielten alle für unvorstellbar.
Im Laufe der folgenden Wochen verloren die Menschen mehr und mehr das Interesse an dem Thema. Die letzte Meldung erschien am 31. August. Danach war Ruhe. Und nun, ziemlich genau 11 Jahre später, tauchte Anna-Lena Hubler plötzlich auf – tot und in der Nähe des damaligen Tatorts! Mysteriös, fand Steffen.
