Der Liebe Zaubermacht - Anny von Panhuys - E-Book

Der Liebe Zaubermacht E-Book

Anny von Panhuys

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Beschreibung

Ilma von Rauberg liebt Bernd Storkum, ist aber dennoch entschieden: „Es gibt für mich kein Überlegen mehr. Bernd soll sich endlich in das Unvermeidliche finden, ich kann und darf seine Frau ebensowenig werden, wie die irgendeines anderen Menschen auf der Welt." Was ist der Grund? Offensichtlich Aberglaube und ein alter Fluch, der sich zuerst im Jahr 1638 an der Familie erfüllte und sich dann von Ottomar Erhard von Rauberg auf seine Kinder und Kindeskinder vererbt hat. Allem guten Zureden ihres Bruders Norbert zum Trotz, ist Ilma unbeirrbar: „Es ruht ein Fluch auf unserem Geschlecht. Und weil ich fürchte, daß ein Kind von mir das unselige Erbe antreten muß, werde ich ledig bleiben." Tatsache ist, dass dem Vorfahren, weil er dem Kaiser den Treueid brach, die Schwurfinger abgehackt wurden und seitdem in der Familie immer wieder Kinder mit verstümmelter rechter Hand zur Welt kommen, was der Familie den Spitznamen „Die Raubergs mit den drei Fingern" eingebracht hat. Bernd Sturkum will Ilma indes nicht so einfach aufgeben. Und kann ein Fluch durch die Zaubermacht der Liebe nicht vielleicht aufgehoben werden? Schließlich gab es da einst auch den Astrologen von Rauberg mit seinen dem Nostradamus nachgeahmten Theorien und Prophezeiungen … Mit „Der Liebe Zaubermacht" hat Anny von Panhyus einen bewegenden, geheimnisvollen Liebes-, Schicksals- und „Mystery"-Roman geschrieben, den man am liebsten nicht wieder aus der Hand legt!

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Anny von Panhuys

Der Liebe Zaubermacht

Frauenroman

Der Liebe Zaubermacht

© 1953 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570296

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

I

Ilma von Rauberg stand neben ihrem Bruder Norbert, und beide sahen dem eben vom Hof reitenden schlanken Manne nach, der noch einmal leicht zurückwinkte.

Ilmas Gesicht, das noch eben ein kleines Lächeln gezeigt, wandelte sich, nachdem von dem Reiter nichts mehr zu sehen war, es zeigte plötzlich einen schmerzlichen Ausdruck.

Norbert bemerkte die jähe Veränderung auf den feinen und doch kraftvollen Mädchenzügen.

„Sei doch mutig, Ilma“, sagte er leise, „laß dich nicht unterkriegen, bist doch sonst so ein tapferes Frauenzimmerchen. Nimm den Bernd, werdet glücklich, denn so wie jetzt geht doch die Geschichte nicht weiter, ihr reibt euch ja beide dabei auf.“

Ilma schluckte tapfer die Tränen hinunter und wandte sich rasch der kleinen Freitreppe zu, die ins Haus führte.

„Laß das ruhen, Norbert! Es gibt für mich kein Überlegen mehr. Bernd soll sich endlich in das Unvermeidliche finden, ich kann und darf seine Frau ebensowenig werden, wie die irgendeines anderen Menschen auf der Welt.“

„Du liebst Bernd doch, du liebst ihn doch.“

Fast heftig klang die Widerrede des Bruders.

Ilma strich sich mit müder Bewegung das hellbraune, natürlich gelockte Haar zurück, das der Wind ein wenig gelöst hatte.

„Wollen das Thema endgültig begraben, Norbert!“ bat sie traurig und ging, als fürchte sie Widerspruch, schnell die Treppe hinauf.

„So entwischst du mir nicht, Ilma!“

Schon befand sich der Bruder an ihrer Seite.

Ilma schüttelte den Kopf.

„Du solltest klug sein. Norbert, und nicht immer von neuem gewaltsam aufrühren, was kaum ein lautes Wort verträgt. Ich will mich nicht gegen das Schicksal auflehnen.“ Sie blickte sich scheu um, ob auch niemand in der Nähe sei, ehe sie leise vollendete: „Ich habe nicht den Mut, dem alten Fluch, der über den Raubergs liegt, Trotz zu bieten.“

Norbert blickte wehmütig ernst, er nahm den Arm der Schwester und zog sie mit leichtem Zwange nach rechts, wo eine breite und doch etwas gewundene Treppe in den ersten Stock führte.

Willenlos ließ sich Ilma leiten, sie wußte, der Bruder gab sich noch nicht zufrieden, er hatte noch Einwände gegen ihren Entschluß. Er wollte sie überreden, dem Schicksal ihren Willen entgegenzusetzen.

Oben angekommen, öffnete Norbert eine der vielen in den Gang des ersten Stockwerks mündenden Türen.

„Komm, Ilma, wollen uns noch einmal aussprechen. Es ist alles so halb, was wir bisher redeten über das, was deine Zukunft, dein Glück heißt.“

Der gemütlichste und zugleich größte Raum des nicht besonders großen Herrenhauses von Rauberg tat sich vor Ilma auf. Norbert folgte der Schwester, schloß die Tür wieder.

Ilma stand einen Augenblick unschlüssig. Fast sah es aus, als wollte sie die Bibliothek sofort wieder verlassen, doch eine bittende Bewegung des Bruders hielt sie zurück.

Sie neigte den Kopf, zuckte die Achseln.

„Wenn du es nicht anders willst, Norbert.“

Sie nahm in einem Armstuhl mit breiter, hoher Lehne Platz. Das Leder war verschabt, und man vermochte kaum noch zu erkennen, daß es einmal braun gewesen.

Norbert trat an eins der Fenster, zog die schweren, dunklen Tuchvorhänge weit zurück.

Bruder und Schwester sahen sich an, beinah ein wenig scheu. Wie ein stummes Fragen und Antworten ging es zwischen ihnen hin und her.

Endlich machte der Mann dieser Pause ein Ende.

„Ilma, ich fühle mich dazu verpflichtet, dir noch einmal recht, recht herzlich und eindringlich zuzureden, Bernd Storkum zu heiraten. Der arme Kerl sieht schon ganz hager und unglücklich aus, und du leidest auch unter dem, was du deine Pflicht und Schuldigkeit nennst. Du bist doch keine bleichsüchtig hysterische Mamsell, die sich um eines Aberglaubens willen um ihr Lebensglück bringt, dich und den Menschen, den du liebhast.“

Ilm wollte sprechen. Er aber bat sie mit leichter Handbewegung, noch zu schweigen.

„Es handelt sich wirklich nur um einen Aberglauben, Ilma, um eine Einbildung, die nicht nur dir, die unserer ganzen Familie, unseren Vorfahren seit langem den Kopf verdreht hat. Ein paar Zufälle, eine Art erbliche Belastung, die zuweilen in irgendeiner Generation der Raubergs ab und zu zum Vorschein kommt …“

Jetzt lachte Ilma bitter auf, riß dem Bruder das Wort vom Mund.

„Wie du dich ausdrückst, Norbert, wie milde und gut das meinen Ohren klingen würde, wenn ich es nicht besser wüßte. Leider!“

Sie betonte das „Leider“ scharf, und dann sprang sie empor, stand hochaufgerichtet neben dem alten Lederstuhl.

„Stelle dich nicht lau!“ kam es leise und doch erregt aus ihrem Munde. „Spiele mir keine Komödie vor, Norbert, die dir nicht liegt! Nenne es meinetwegen Aberglauben, was dir und mir und unserem Bruder Konrad gleich einem Alpdruck auf der Brust liegt, seit wir wissend wurden. Aber sie alle, die vor uns gewesen und unseren Namen trugen, haben gebebt und gelitten unter dem alten Fluch. Man schrieb das Jahr 1638, als er sich zuerst an einem Rauberg erfüllte, und er ist seither nicht erloschen.“ Sie tat ein paar zögernde Schritte auf ein düsteres Bild an der linken Wand zu. Es zeigte einen finster blickenden Mann im Eisenharnisch mit Spitzbart und einem harten Spottzug um den Mund.

„Herr Ottomar Erhard von Rauberg vererbte uns den Fluch, er brach seinem Kaiser den Eid in den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges, noch heute müssen die Raubergs unter den Folgen seiner Untreue leiden.“

Norbert versuchte den Schatten zu scheuchen, der auf seiner Stirn lag. Es galt zwei Liebende zum Glück zu zwingen. Er versuchte zu lächeln.

„Ilma, ich glaube nicht an den Fluch. Nenne es Zufall, Vererbung, nenne es wie du willst; aber mache dich frei von der Wahnvorstellung! Du weißt, die hängende dicke Unterlippe der Habsburger ist erblich, du hast vielleicht auch schon gehört …“

Er kam nicht weiter. Ilmas blaßrosiges Gesicht hatte sich stärker gefärbt.

„Bitte, Norbert, wollen uns nicht selbst etwas vormachen. Wollen uns nicht gebärden wie Kinder, die sich allein im Dunklen fürchten und dann laut pfeifen und singen, um sich mutig zu zeigen. Wollen doch offen sein, uns nicht die Augen zuhalten.“

Norbert trat rasch zu ihr.

„Laß das doch, Ilma!“ Er schlug sich vor die Stirn. „Wie konnte ich dich auch gerade hierher führen?“

Ilmas Lippen zuckten.

Wo wir das Thema auch besprechen, ob in einem anderen Zimmer oder im Freien, es ist gleich, das Resultat bleibt doch dasselbe: Es ruht ein Fluch auf unserem Geschlecht. Und weil ich fürchte, daß ein Kind von mir das unselige Erbe antreten muß, werde ich ledig bleiben.“ Sie deutete auf die Ahnenbilder an der Wand. „Warum verstecken so viele Vorfahren die rechte Hand oder halten sie in merkwürdig erzwungener Stellung? Weshalb sieht man bei ihnen nicht die fünf Finger ordentlich nebeneinander wie an der linken Hand?“ Sie neigte sich dem Bruder zu. „Weshalb verbirgst du, Armer, deine Rechte, und weshalb war Vater fast immer traurig und niedergeschlagen, steckte die Rechte in die Jackentasche, damit Mutters mitleidiger Blick nicht daran festhängen sollte?“

Norbert atmete mühsam und schwer.

„Ilma, weshalb mußt du mir mein eigenes Leid so scharf umrissen vorführen, warum tastest du so hart an eine Wunde, die mich immer schmerzt?“

Ilma lächelte traurig.

„Verzeih, Bruder! Aber nicht, um dir weh zu tun, bin ich unbarmherzig; nur um mich zu schützen, bin ich es. Du bist ja noch tausendmal unbarmherziger gegen mich, wenn du es auch gut mit mir meinst.“ Sie faltete die Hände, rang sie ihm beschwörend entgegen. „Ahnst du denn auch nur im entferntesten, wie entsetzlich ich leide, wenn du mir zuredest, Bernds Frau zu werden? Ahnst du auch nur im entferntesten, in welche Seelenkämpfe du mich dadurch drängst? Laß mir doch meinen Frieden, gönne ihn mir!“ Ihre Stimme brach fast. „Unser Vorfahre brach seinem Kaiser den Treueid, sein bester Freund und einstiger Kampfgenosse schlug ihm dafür die bösen Schwurfinger bis zur Wurzel ab, und seither kommt noch in jeder Generation in Mannes- und zuweilen auch Weiberlinie das erste Kind mit verstümmelter rechter Hand zur Welt. ‚Die Raubergs mit den drei Fingern‘ nennt man unser Geschlecht, und ‚die Raubergs mit den drei Fingern‘ dürfen dem Zug ihres Herzens nicht folgen, weil sie es nicht verantworten können, die mißgestaltene Rechte weiterzuvererben in neue Jahrhunderte hinein.“ Sie breitete die Arme aus, spreizte die schlanken, nervigen Hände. „Ich trage den Fluch nicht, von uns drei Geschwistern traf nur dich das Los, Norbert. Aber wer gibt mir Gewähr, daß mein Kind verschont bleibt?“ Sie schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte: „Ich habe Bernd zu lieb, und deshalb, gerade deshalb muß ich entsagen.“

Norbert umfaßte die Bebende.

„Armes Ding, törichtes Schwesterchen, verbeiß dich doch nicht in solche Gedanken! Erzähle den Menschen, was dich hindert, dein Glück zu ergreifen und festzuhalten; die meisten werden dich auslachen.“ Er wiegte sie in seinen Armen leicht hin und her, als wäre sie ein kleines Mädchen. „Wer wird sich denn über so Fernliegendes schwere Gedanken machen! Hast doch den Bernd lieb von Kind an. Es schien doch den Eltern fast selbstverständlich, daß du ihn einmal heiraten, daß du einmal Gutsherrin auf Burdenhagen würdest, und nun es soweit ist, kramst du einen alten Aberglauben hervor und willst ihm dein und Bernds Glück zum Opfer bringen.“

Er zog der Schwester die tränenüberrieselten Hände vom Antlitz.

„Ilma, bist von je unseres Hauses Sonnennschein gewesen, ich habe gemeint, wenn kein Rauberg mit dem Gespenst der Vergangenheit fertig werden sollte, du wirst es. Dein Lachen, dein Frohsinn nimmt den Kampf mit Gespenstern auf, dachte ich, und nun versagst du. Immer und immer wieder hoffte ich, du würdest dich noch besinnenn, und muß nun erkennen, daß du dich nicht aus den Fängen des Aberglaubens befreien kannst,“ Seine Stimme ward immer weicher, zärtlicher. „Schwesterchen, ich will ja zugeben, es ist seltsam und unheimlich, daß immer wieder in gewissen Zeitabständen ein Kind aus Raubergblut geboren wird, dem die Schwurfinger verstümmelt sind. Aber weshalb soll das gerade deinem ersten Kind geschehen? Meist beschränkt sich diese, nun sagen wir Vererbung, überhaupt auf den Mannesstamm.“

Ilma blickte den Bruder mit tränenüberströmten Augen an.

„Du willst mich trösten, mir helfen, ich verstehe dich, Norbert; aber laß, laß … ich habe nicht den Mut zu dem, was du mir rätst. Du nanntest den alten Fluch vorhin ein Gespenst, und der Ausdruck ist richtig. Denn ein Gespenst, ein fürchterliches Gespenst ist der alte Fluch, und wem er erscheint, der ist unglücklich fürs ganze Leben.“

Norbert fühlte, wie die Schwester zitterte, als sie jetzt hervorstieß:

„Ob Mannes- ob Weibesstamm, kein Geschöpf aus Raubergblut ist davor gefeit. Und wenn es auch nie im Mannesstamm erloschen ist, so beweist doch unsere Familiengeschichte, in welchen Launen es sich gefällt. Es kann geschehen, daß der nächste Fluch mein erstes Kind träfe, und erst deinen ersten Enkel, oder gar einen Urenkel Bruder Konrads der Fluch trifft. Es ist wie ein Lotteriespiel. Sicher ist keiner, und ich denke es mir furchtbar, wenn so ein unschuldiges, kleines Wesen mir die mißgestaltene Rechte …“

Sie brach ab, denn der Bruder hatte sich fast heftig abgewandt.

„Du bist unbarmherzig, Ilma“, stöhnte er auf, „gegen dich und mich.“

Ilma fuhr sich mit dem Taschentuch über die brendenden Augenlider.

„Damit ätze ich mir selbst das Herz entzwei, damit es sich nicht mehr nach Bernd sehnen soll“, sprach sie langsam, und ihre Worte fielen scharf und wehtuend in das tiefe, atemlose Schweigen des Raumes. Dann ging sie und verschwand, ohne daß der Bruder noch einen Versuch machte, sie zurückzuhalten.

Leise fiel die Tür hinter ihr ins Schloß.

Mit müdem Schritt wankte Norbert auf den Armstuhl zu, darin Ilma vorhin gesessen.

Weiß der Himmel, ihm, der Tröster und Helfer hatte sein wollen, standen jetzt auch Tränen in den Augen, ein paar heiße, versengend heiße Tränen, heraufgepumpt von wahnsinnigem Schmerz aus allertiefster Herzenstiefe. Er sann vor sich hin und stöhnte abermals laut auf. Auch er litt wie Ilma, litt vielleicht noch mehr als sie. Sie wurde begehrt, Liebe öffnete weit vor ihr die Tore, während er abseits stand. Während er es nicht wagen durfte, die Arme nach einem holden Geschöpf, dessen Besitz er vielleicht ersehnte, auszustrecken, weil seine Hand, seine arme, arme Rechte das Zeichen des Fluches trug, der über dem Hause Rauberg schwebte. Weil er es einem geliebten Wesen nicht zumuten durfte, sein eigen zu werden. Die Liebe, die ihm eine Frau schenken konnte, würde immer mit einem Teil Mitleid gemischt sein; und Mitleid ertrug er nicht, daran würde seine innigste Liebe zugrunde gehen!

O wie er litt, wie unsagbar er litt!

Er dachte bitter, nun starben die Raubergs bald aus. Konrad, sein jüngerer Bruder, würde ebensowenig heiraten wie er selbst; denn im Grunde dachten sie beide wie Ilma. Niemand aus ihrem Blute würde dann fernerhin Herr des kleinen Gutes sein. Fremde Menschen würden dann in absehbarer Zeit in dem uralten Hause wohnen, und von dem alten Turm auf dem Bergrücken, darauf vor vielen hundert Jahren die Burg seiner Väter gestanden, würde kein Rauberg mehr ins blühende Land niederblicken auf die grünsamtenen Heimatswiesen, die dunklen, schattigen Buchenwälder und den ferne schimmernden Main. Fremde lebten und liebten, jubelten und litten dann, wo ein uraltes Geschlecht erloschen. Erloschen wie eine Flamme, ausgeblasen von dem geisternden Atem eines Fluches, über den jeder aufgeklärte Mensch lachte, und der doch da war.

Er sah auf seine Rechte nieder und schüttelte mit unsäglich leidvoller Miene den Kopf. Nie und nimmer würde er es wagen, einem geliebten Mädchen die gezeichnete Rechte zum Bund fürs Leben zu bieten. Niemals!

Er preßte die oberen Zähne so fest in die Unterlippe, daß er einen faden, süßlichen Blutgeschmack spürte.

Das brachte ihn wieder zu sich, ernüchterte ihn.

Mit müdem Blick streifte er die Ahnenbilder, die ihn mit verstehenden Augen anzusehen schienen, und er mußte denken: Mancher von euch kennt mein Leid, und gefürchtet habt ihr euch alle einmal vor dem Gespenst unseres Hauses!

Eine tiefe Falte lag auf seiner Stirn, als er raschen Schrittes die Bibliothek verließ.

II

Leonhard Werkentin betrat nach kurzem Anpochen das Büro seines Oberingenieurs Dr. Konrad von Rauberg, der, den Kopf über eine Zeichnung geneigt, an einem großen Tische saß.

Nun sah Rauberg auf und erhob sich.

„Herr Werkentin …“, begann er ein bißchen verlegen und brach dann ab, denn er ahnte, was seinen Chef zu ihm führte. Wenn es sich um etwas Geschäftliches gehandelt hätte, würde er ihn in sein Kontor haben bitten lassen.

Werkentin war ein untersetzter, robuster Herr mit großknochigen Zügen und. buschigem Schnurrbart. Seinen Reichtum sah man ihm nicht an, nichts an ihm ließ auf einen Emporkömmling schließen. Er war und blieb, was er gewesen, der biedere, derbe Schlossermeister aus Frankfurt-Bornheim, der heute eine der bestbekannten Maschinenfabriken Mitteldeutschlands besaß. Einfach und schlicht, wie er vor langen Jahren als junger Schlossermeister draußen in dem dörflichen Teil der Frankfurter Vorstadt gearbeitet, so war er in Wesen und Benehmen geblieben, so war auch seine Frau Luise, die sich noch immer nicht an ihre Stellung und ihren Reichtum gewöhnen konnte.

Anders, ganz anders aber, wie eine Blume in fremdem, gepflegtem Garten erblüht, lebte Amadora, ihr einziges Kind zwischen ihnen, war ihr Stolz, ihre Freude, ward von ihnen bewundert, verwöhnt und angestaunt.

Stumm standen sich die zwei Männer sekundenlang gegenüber, der breite, vierschrötige Leonhard Werkentin und der schlanke, rassige Konrad von Rauberg, dessen vornehme Züge eine gewisse peinliche Gespanntheit verrieten.

Endlich nahm der Ältere das Wort.

Er reichte dem Jüngeren die Hand, sagte mit etwas breitem Lächeln:

„Habe mal was läuten hören, wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, muß der Berg zum Propheten kommen, und das dürfte in unserem Fall ja wohl so ziemlich stimmen.“

Er machte eine etwas ungeschickte Bewegung, suchte nach Worten. „Ach, wozu die langen Fisimatenten!“ stieß er dann mit einer scharfen Falte über der Nasenwurzel hervor. „Ich verstehe von Diplomatie rein gar nichts, deshalb will ich vorneweg gleich offen erklären, meine Frau schickt mich zu Ihnen.“ Er schlug sich auf den Mund, der buschige Schnurrbart sträubte sich vor Empörung. „Bin doch ein rechter Olwel, wie die Frankfurter zu sagen pflegen, denn meine Alte hat mir noch extra verboten, ihre Person mit ins Gespräch zu bringen.“ Er lachte. „Na, nu ist’s schon schnuppe, immerhin können wir ja vorläufig die Lesart beibehalten, daß mich nur Vatergefühle zu Ihnen führen, Herr von Rauberg. Gelt, ich darf mich setzen?“

Er saß bei der Frage bereits, winkte dem Jüngeren, seinem Beispiel zu folgen.

Leonhard Werkentin drehte ein paarmal an dem etwas plumpen Siegelring der Rechten.

„Ich bitte Sie, Herr von Rauberg“, sagte er dann etwas unvermittelt, „offen und ehrlich Farbe zu bekennen. Weshalb machen Sie seit ungefähr zwei Wochen um unser Haus, ja um meine Familie und besonders meine Tochter einen förmlichen Bogen?“ Er atmete tief. „Sehen Sie, verehrter Herr von Rauberg, früher hätte ich mir dabei nichts Besonderes gedacht, wenn Sie unsere Gesellschaft plötzlich gemieden hätten, ich würde mich sicher nicht aufgedrängt haben. Meine Frau und ich, so sympathisch Sie uns sind, wir beide hätten uns mit Ihrem Benehmen abgefunden; aber da ist Amadora, unser Mädel, die plagt sich und grämt sich, und nur ihretwegen suchte ich Sie heute in Ihrem Büro auf. Ich wollte ja nichts merken, drückte beide Augen zu, dachte, der Doktor von Rauberg ist ein feiner, anständiger Mensch, der wird schon wissen, was er tut, und wenn er was mit Amadora gehabt hat, vielleicht ’ne kleine Meinungsverschiedenheit, dann wird sich das schon wieder einrenken, um eine Bagatelle willen macht der niemanden unglücklich. Wie ich aber beobachten mußte, daß Amadora täglich blasser wurde und morgens um die Augenlider immer so einen dünnen roten Strich wie von nächtlichem Weinen hatte, gefiel mir die Sache doch nicht mehr recht. Da meinte ich zu meiner Frau: Hör‘ mal, Luise, erst sitzt der Doktor Rauberg Tag für Tag bei unserem Mädel, musiziert mit ihm, radelt mit ihm aus, schmachtet es nach Noten an, und als wir, ganz einverstanden mit dem Zukunftsbild, allem freien Lauf lassen, macht er plötzlich so schroff Schluß, daß man vor einem Rätsel steht.“

Konrad von Rauberg fuhr sich über die Stirn, ihm war heiß geworden, und er saß wie ein Angeklagter, der nichts mehr erhofft, vor seinem Richter.

„Meine Frau war froh, daß ich endlich ein Thema anschnitt, das sie schon lange quälte, und sie wußte auch schon Bescheid und berichtete mir alles, was zwischen Amadora und Ihnen gewesen, und daß unser Mädel Tag für Tag auf Ihren Besuch bei uns gewartet hat. Amadora hat sich ihrer Mutter anvertraut, und Sie wissen nun, Herr von Rauberg, weswegen ich kam.“

Sein Organ hatte jetzt einen rauhen Beiklang. „Sie haben unser Kind geküßt, haben Amadora von Ihrer heißen Liebe gesprochen und allerlei bunte Träume von einer gemeinsamen Zukunft mit ihr gesponnen. Sie haben ihr gesagt, Sie würden in Kürze von mir ihre Hand erbitten, und statt dessen sind Sie ihr schon zweimal auf der Straße geflissentlich aus dem Wege gegangen.“ Er sprang auf, sah den Jüngeren zornig an. „Herr Doktor von Rauberg, weshalb unterbrechen Sie mich denn mit keiner Silbe, weshalb lassen Sie mich denn immer nur reden? Das ist doch unnatürlich! Schließlich können Sie mir doch durch eine kurze Erklärung all die lange Salbaderei ersparen, denn Sie wissen doch so gut Bescheid wie ich, was ich von Ihnen will. Lassen Sie sich doch nicht erzählen, was Sie viel besser als ich wissen!“

Konrad von Rauberg seufzte heimlich. Aber sein Entschluß war gefaßt.

Ein weiches, kosiges Dämmerstündchen im Wintergarten der Werkentin’schen Villa hatte ihn schwach gemacht, ein liebreizendes, blondes Wesen alle seine Vorsätze umgeworfen. Viel zu schade war das blondeste, zarteste Mädchen für einen Rauberg, über dessen Haupt ein alter Fluch lag, der sich erfüllen konnte, wenn Amadora sein Weib geworden.

Ihr, der Zarten, Feinen, für die das Leben ein langer blumenbestreuter Weg sein sollte, durfte nichts Häßliches, Mißgestaltenes begegnen.

Die Raubergs mit den drei Fingern! — Entsetzlicher Gedanke!

Aber was sollte er tun?

Sollte er dem erregten Vater erzählen, daß er zufällig nach jenem Tage, an dem er Amadora seine Liebe gestanden, einen Brief vom Bruder erhalten hatte, darin ihm dieser von Ilmas endgültigem Verzicht auf Liebe und Ehe sprach und auch seinen eigenen Entschluß nicht unerwähnt ließ? Sollte er Leonhard Werkentin davon reden, ihm damit sein Verhalten erklären?

Konnte er das? Würden seine Bedenken dem Ohr des sehr nüchter urteilenden Vaters Amadoras nicht übertrieben und phantastisch klingen?

Leonhard Werkentin ärgerte das lange Schweigen. Was fiel Konrad von Rauberg nur ein, ihm so unhöflich zu begegnen?

Die Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich, und die Züge seines groben, wenn auch angenehmen Gesichts verdüsterten sich sehr.

„Herr Doktor von Rauberg, ich weiß wirklich nicht mehr, wie ich zu Ihnen sprechen soll. Werden Sie sich nicht innerhalb Minutenfrist herbeilassen, mir eine Erklärung abzugeben, so verlasse ich dieses Zimmer, um meinem Kind zu sagen, daß es sein Herz an einen Unwürdigen gehängt hat.“

Jetzt erhob sich auch Konrad von Rauberg. Alles Blut war aus seinen Wangen gewichen.

„Nicht so schnell den Stab über einen armen Sünder brechen, Herr Werkentin!“ entgegnete er fast heftig. „Glauben Sie mir, ich quäle mich seit langen Tagen mit der marternden Frage herum, ob ich es wagen darf, mein Allerliebstes, mein Bestes und Schönstes auf der Welt in den entsetzlichen Bannkreis meiner Ängste zu reißen!“

Leonhard Werkentin blickte betroffen auf den Jüngeren, fand keinen Sinn hinter dem rätselhaften Satz.

Konrad Rauberg zuckte nachlässig die Schultern.

„Sie verstehen mich nicht, können mich nicht verstehen, und deshalb will ich mich Ihnen deutlicher erklären, selbst auf die Gefahr hin, von Ihnen als Narr verlacht zu werden.“ Er zupfte an seinem Jackett herum. „Vielleicht würde mir ein richtiges gesundes und unverfälschtes Lachen sogar gut tun.“ Er wies auf den Stuhl neben Werkentin. „Bitte, nehmen Sie nochmals Platz! Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen von einem alten Geschlecht.“

Nun saßen sich die beiden Herren wieder gegenüber, und Konrad von Rauberg sprach dem still Lauschenden von dem Fluch aus den Tagen des Dreißigjährigen Krieges, der noch heute, gleich einem Damoklesschwert, über dem Haupte jedes Rauberg hing.

„In jenen stürmischen Zeiten vor fast dreihundert Jahren“, endete Konrad von Rauberg, „nannten unsere Vorfahren einen trotzigen Edelsitz ihr eigen. Dörfer und Höfe gehörten dazu, soweit der Blick vom Wartturm zu schweifen vermochte, der zugleich einem Astrologen als Heim diente. Heute steht nur noch der Turm. Die Burg von einst ist der Erde gleichgemacht. Ein kleiner Gutshof mit Äckern und Wiesen ringsum, allzu viele Morgen sind es nicht, ist alles, was uns vom Einst geblieben. Mancher Bauer nennt eine größere Scholle sein als mein älterer Bruder Norbert. Also reich sind wir nicht, wir Raubergs, und durch den Fluch sind wir zudem gedrückt, beengt. Niemand von uns vermag die Flügel zu regen. Wir fürchten uns wie arme verfolgte Hasen vor dem scharfen Biß der Jaghunde.“

Leonhard Werkentin war fast verblüfft den Ausführungen gefolgt.

Jetzt schlug er mit der Faust auf den Zeichentisch, ein paar Bleistifte rollten entsetzt auf den Fußboden.

„Herr Doktor, beabsichtigen Sie mich zu uzen?“ schrie er mit Donnerstimme. „Möchten Sie mir mit ollen Märchen und Sagen den Kopf dumm machen? Daß Sie kein reicher Mann sind, ist mir vollständig gleichgültig, Sie sind ein ungewöhnlich tüchtiger Ingenieur, darauf kommt es mir an, und daß einer von altem Adel sich so einen ordentlichen, gediegenen Beruf wie Sie erwählten, gefällt mir erst recht.“ Er überhastete sich förmlich. „Daß Sie mir aber faulen Zauber vormachen wollen, ärgert mich. Wenn Sie sich übereilt haben mit Ihrer Küsserei, wenn Sie sich, der Lockung einer schönen Stunde folgend, zu etwas haben hinreißen lassen, was Sie heute reut, dann bringen Sie als Mann aber wenigstens so viel Mut auf, ehrlich zu sein. Man spielt nicht mit Amadora und ihrem Vater Versteck, Herr von Rauberg.“

Zornig blitzten Leonhard Werkentins Augen den Jüngeren an. Konrad von Raubergs Brust hob sich schwer atmend.

Er hatte es ja gewußt, der einfach denkende Vater der Geliebten würde ihm nicht glauben.

„Wie können Sie mich nur mit solchen Albernheiten ins Bockshorn jagen wollen?“ sagte der Ältere kopfschüttelnd.

Konrad von Rauberg erwiderte sehr ernst:

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, alles, was ich Ihnen erzählte, entspricht der Wahrheit. Ich fürchte lediglich den alten Fluch, nur er ist es, der zwischen Amadora und mir steht, er schreckt mich wie ein böses, hartes Urteil!“

Da schüttelte der Ältere abermals den Kopf.

„Der Himmel soll mich bewahren, diesen Unsinn ernst zu nehmen! Das ist Spinnstubenklatsch und Waschweibertratsch. Paßt zu Wahrsagerinnen, die einen schwarzen Raben auf der Schulter hocken haben und Dumme belügen. Paßt aber doch nicht zu Ihnen und Ihren Geschwistern.“ Er lachte. „Sie haben ein Paar durchaus normale Hände, und das genügt mir. Wenn Sie verwachsen wären, würde ich Sie ja auch nicht gern an Amadoras Seite sehen, aber solch Mumpitz schreckt mich nicht.“

Er begann lauter und herzhafter zu lachen.

„Wenn das wirklich alles ist, was Sie hindert, meinem Kinde die Ruhe wiederzugeben, dann zögern Sie keine Minute mehr, dann nehmen Sie Ihren Hut und Überzieher und kommen Sie mit mir zu Tisch. Wir können daheim gleich so eine kleine intime Vorverlobung feiern.“

Konrad von Rauberg wollte aufstehen; doch im selben Augenblick klopfte es schüchtern an, und dann stand ein feines, kleines Wesen auf der Schwelle mit großen Mandelaugen von tiefblauer Farbe und lichtblondem, wirrem Haargelock.

Ein leichtes weißes Kostüm, ein winziges weißes Seidenbarett kleideten das zierliche, anmutige Mädchen entzückend.

Jetzt sprang Konrad von Rauberg auf, polternd fiel sein Stuhl zu Boden.

Daraufhin drehte sich Leonhard Werkentin um, starrte auf die holte, achtzehnjährige Blondheit.

„Amadora, was willst du hier?“

Amadora Werkentin sah von einem zum anderen.

„Ich wollte dich abholen, Vater, und nachdem ich lange in deinem Kontor gewartet und dann im Vorbeigehen hier laut sprechen hörte, deine Stimme hörte, Vater, fürchtete ich …“

Jetzt zog Leonhard Werkentin mit unendlich zärtlicher Bewegung seine prinzessinfeine Tochter vollends ins Zimmer.

„Was fürchtetest du denn, Amadora?“ fragte er, und ein leichtes, schalkhaftes Lächeln lag um seinen breitlippigen Mund.

Sie errötete. „Mutter hat mir vorhin gesagt, sie hätte dir alles verraten, und da fürchtete ich …“ ihr Blick flog zu Konrad von Rauberg, da fürchtete ich, du würdest ihn schelten“, stotterte sie.

Leonhard Werkentin schaute seinen Oberingenieur mit ernst forschenden Augen an, sprach leise:

„Ich verlache Ihre Bedenken, wollen Sie feiger sein als ein Vater?“

Amadora zog die schmalen, dunklen Brauen hoch.

„Was sagtest du da eben, Vater?“

Konrad von Rauberg warf im Moment jedes weitere Bedenken über Bord als überflüssigen, beschwerenden Fahrballast. Er nahm Amadoras beide Händchen in seine Hände, küßte sie eine nach der anderen wie zerbrechliche Kostbarkeiten aus einem Altarschrein.

„Amadora, ich wagte nicht recht, um dich zu werben, trotz unserer Küsse, du schienest mir zu schade, zu gut für einen, der den herben Namen Rauberg trägt. Doch nun ich mich mit deinem Vater ausgesprochen, ist es mir, als dürfte ich es wagen, und deshalb, hier vor deinem Vater, nimm mein Versprechen, daß ich dich achten und ehren werde als mein köstlichstes Gut, wenn du mein Weib werden willst.“

Da entzog ihm Amadora die feinen Fingerchen und mit strahlendem Glücksleuchten in den wundervollen tiefblauen Augen jubelte sie, während sie ihre Arme um seinen Hals schlang:

„Ob ich will, ob ich will? Tausendmal ja! ich will, weil ich dich liebhabe, Konrad.“

Leonhard Werkentin fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Komisch, es war ihm fast, als kitzele ihn ein Tränlein der Rührung.

Dummes Zeug, ein Leonhard Werkentin ist nicht gerührt, der freut sich laut und lacht ein paarmal derb auf, jagt damit alle Rührung zum Teufel. Und nun lachte der breitschulterige, grobknochige Mann wirklich und konnte doch nicht verhindern, daß ein paar vorwitzige Tränenperlchen über seine Wangen kollerten.

Er putzte die feuchten Kügelchen schnell fort und blickte auf sein Mädchen.

Wie eine Elfe sieht sie aus, mußte er denken. Mochte nur der Himmel geben, daß sie an der Seite des von ihr erwählten Mannes wirklich das reine, echte Glück fand!

In seinen Augen wetterleuchtete es.

Wenn sie das Glück nicht fand, dann wehe dem Manne! Und von der dummen Sage von der verstümmelten Rechten der Raubergs brauchte sie eigentlich überhaupt nichts zu erfahren. Wenn die Geschichte auch lächerlich war, konnte man schließlich doch nicht wissen, wie Amadora sie aufnahm. Er wollte Konrad von Rauberg nachher gleich einen diesbezüglichen Wink geben.

Und er tat es bei erster Gelegenheit.

Konrad erwiderte lächelnd:

„Ich werde schweigen. Mein Glück steht mir viel zu hoch, als daß ich es in Gefahr bringen möchte. Und ich begreife nicht, wie ich noch vor kurzem so abergläubisch sein konnte. Nun ich Amadora vor aller Welt meine Braut nennen darf, erscheint mir der alte Fluch wirkungslos geworden.“

Er sandte einen langen Brief an die Geschwister, meldete ihnen, was geschehen, und nannte Ilma feige.

„Nimm dir dein Glück, zerbrich es nicht in Scherben um eines Phantoms willen, Schwester!“ schrieb er.

Norbert hatte ihr den Brief, nachdem er ihn in seinem Arbeitszimmer gelesen, bei der Abendmahlzeit übergeben. Jetzt saß sie in ihrem Schlafzimmer, las ihn noch mehrmals, und tausend Gedanken schossen dabei durch ihren Kopf. Konrad bat in dem Brief, niemals zu Amadora eine Silbe von dem Fluch zu äußern. Ein Bild Amadoras lag dem Briefe bei.

Ilma dachte: Sie ist so fein, sie zerbräche, wenn sich das Geschick an ihr erfüllen würde.

Sie legte den Brief und das Bild auf ein Tischchen und ging an das breite Eckfenster, das einen Ausblick auf die nahen Berge gewährte.

Auf dem leicht vorgelagerten Kegel hob sich der alte Wartturm gleich einem breiten, drohenden Finger, schob sich massig und düster in den hellen Dämmer des Herbstabends.

Ilmas Gedanken flogen unwillkürlich weit zurück in die Vergangenheit. Während des letzten Teils des Dreißigjährigen Krieges sollte eine Zeitlang ein landfahrender Astrologe auf dem Turm gehaust, sollte Herrn Ottomar Erhardt oft das Horoskop gestellt haben. Denn in jener Zeit liebten es die Herren, sich aus den Gestirnen ihr Schicksal künden zu lassen. Glaubten fest daran, daß die urewigen, unendlich fernen, unendlich großen Gestirne im Weltraum das Schicksal der Menschen bestimmten.

III

Norbert von Rauberg hatte in der Kreisstadt zu tun, er ließ den leichten Jagdwagen anspannen, und während der Fahrt mußte er viel an Konrad denken.

Daß der Bruder den Mut gehabt, den Ilma nicht aufgebracht!

Halb freute er sich darüber, halb bangte ihm vor der drohenden Wolke, die auch über Konrads Zukunft lag gleich einem Wetter, von dem man nicht genau weiß, ob es losbrechen oder vorüberziehen wird. Sehnsucht packte ihn an, und ein wenig Neid. Schön und lieb mußte es sein, eine Gefährtin zur Seite zu haben, ein Geschöpf, das einem mit Leib und Seele gehörte.

Gut würde es der Bruder haben, wenn er erst mit Amadora im eigenen Heim hauste. Die ihm persönlich noch unbekannte Braut Konrads gefiel ihm auf dem mitgesandten Bild ausnehmend. Er würde sie auch bewundern, wenngleich ihre Schönheit seinem Ideal nicht entsprochen haben würde. Er malte sich die Herrin von Rauberg anders aus. Groß müßte sie sein, und dunkles weiches Haar sollte ein sonnenwarmes, gebräuntes Gesicht umrahmen. Der Typus einer stolzen Südländerin, der schon im Mittelpunkt seiner Knabenträume gestanden, schwebte ihm vor.

Er schreckte plötzlich aus seinem Sinnen auf.

Der Hupenruf eines entgegenkommenden Autos riß ihn in die Wirklichkeit.

Er bog mit seinem Gefährt etwas zur Seite. Das vorbeirasende Auto wirbelte eine große, graue Staubwolke auf, und darin erstickte das Bild des stolzen, dunkelhaarigen Weibes, das seine Phantasie gemalt.

Er trieb das Pferd durch einen scharfen Zungenlaut zu größerer Eile an und zwang sich, an nüchterne Alltagsdinge zu denken, an Steuern, an die Wintersaat und an den Bau der neuen Scheune, mit dem im Vorfrühling begonnen werden sollte.

Ach, es gab ja so viele nüchterne Wichtigkeiten, die man auf ein sehnsüchtiges Herz packen kann, damit es still, ganz still und gefühllos wird.

Nachdem er alle Besorgungen in der Stadt erledigt, fiel ihm ein, daß er eigentlich Frau von Amelunxen wieder einmal einen Besuch machen müßte. Sie war einmal die beste Freundin seiner seligen Mutter gewesen und wohnte, seit sie Witwe geworden, in ihrer kleinen Heimatstadt. Sie war ziemlich wohlhabend, ihr Gatte war Gutspächter gewesen, und da sie keine Kinder besaß, lebte sie nun ganz, wie es ihr gefiel.

Die Villa Frau von Amelunxens war nur klein, enthielt nur Erdgeschoß und ersten Stock. Ein Gärtchen zog sich um das Häuschen, darin jetzt im Hochsommer viele bunte Blumen blühten.

Norbert warf dem jungen Burschen, der ihn auf solchen Fahrten begleitete, die Zügel zu. „Raste eine Stunde beim Löwenwirt, hole mich danach ab, Franz!“ Er sprang ab und schellte am Gartentor.

Ein sauber gekleidetes Mädchen kam vom Hause her, begrüßte ihn mit vertraulichem Lächeln und sagte im Tone eines leichten Vorwurfs:

„Gnädige Frau ist schon seit zwei Wochen von der Reise zurück und hat sich bereits gewundert, warum Herr oder Fräulein von Rauberg sich gar nicht sehen lassen.“

Norbert nickte ihr lächelnd zu.

„Ja, die Raubergs sind eine untreue Gesellschaft, Kathi. Hoffentlich vergibt uns Frau von Amelunxen.“

„Gnädige Frau hat auch eine neue Gesellschafterin von ihrer Reise mitgebracht“, plauderte Kathi. „Fräulein Becker ist unterwegs erkrankt und von ihrer Mutter nach Hause geholt worden. Ich bin froh, daß die Schmeichlerin fort ist.“

Norbert mußte über die Offenheit des Mädchens lachen. Ganz unrecht hatte sie nicht, auch ihm war Fräulein Becker stets unsympathisch gewesen; aber er behielt das für sich.

Frau von Amelunxen, eine stattliche Erscheinung Mitte der Fünfzig, mit scharfgeschnittenen Zügen und gescheiten Augen, kam dem Besucher bereits entgegen.

„Endlich, Norbert! Es ist aber auch wirklich Zeit, daß Sie sich nach mir alten Frau umsehen. Bin schon ganz ungnädig und wäre sicher in den nächsten Tagen nach Rauberg gekommen, um mich zu überzeugen, was eigentlich los ist.“

Norbert küßte die schon ein wenig welke Hand der liebenswürdigen Frau.