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Nie hat Eva Adams vergessen, wie es sich anfühlt, abgelehnt zu werden. Schon als Neugeborenes wurde sie von ihrer Mutter und den Adoptiveltern verstoßen, und auch später im Waisenhaus war sie das Kind, das niemand wollte. Doch Eva gab nie auf. Nach einer schmerzhaften Kindheit und einer Operation, die ihren äußerlichen Makel behob, wuchs sie zu einer brillanten jungen Frau heran, die sich durch Intelligenz und Ehrgeiz über die Erwartungen aller erhob. Doch tief in ihrem Inneren kämpft sie noch immer mit der Angst vor Zurückweisung.
Dreiundzwanzig Jahre später, an einem verschneiten Wintermorgen, steht Eva vor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik - bereit, sich der größten Herausforderung ihres Lebens zu stellen ...
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Seitenzahl: 120
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Was ich fürchte
Vorschau
Impressum
Was ich fürchte
Tief im Inneren verbirgt die Assistenzärztin eine große Angst
Karin Graf
Nie hat Eva Adams vergessen, wie es sich anfühlt, abgelehnt zu werden. Schon als Neugeborenes wurde sie von ihrer Mutter und den Adoptiveltern verstoßen, und auch später im Waisenhaus war sie das hässliche Kind, das niemand wollte. Doch Eva gab nie auf. Nach einer schmerzhaften Kindheit und einer Operation, die ihren äußerlichen Makel behob, wuchs sie zu einer brillanten jungen Frau heran, die sich durch Intelligenz und Ehrgeiz über die Erwartungen aller erhob. Tief in ihrem Inneren jedoch kämpft sie noch immer mit der Angst vor Zurückweisung.
So auch heute, an diesem verschneiten Wintermorgen, als Eva vor der Frankfurter Sauerbruch-Klinik steht – bereit, sich der größten Herausforderung ihres Lebens zu stellen ...
Auf der Geburtsstation des Krankenhauses in dem kleinen Ort Sonnenfels standen die Hebamme Sonja Kötter und die Gynäkologin Dr. Manuela Fink vor dem Zimmer einer jungen Mutter, die vor wenigen Minuten von einem kleinen Mädchen entbunden worden war, und unterhielten sich miteinander.
»Hast du Aurelias Gesicht gesehen, Sonja?«, fragte die Ärztin und bezog sich dabei auf die Mutter der Wöchnerin, die kurz zuvor zu Besuch bei ihrer Tochter gewesen und schon nach zehn Minuten wieder gegangen war.
Dr. Manuela Fink schob das Säuglingsbettchen, in dem das Neugeborene lag, unbewusst mit dem Fuß ein Stück weit von sich und bemühte sich redlich, die Schadenfreude zu verbergen. Doch der Versuch misslang. Ihre Stimme triefte nur so von boshaftem Vergnügen.
Sonnenfels hatte nur etwas mehr als viertausend Einwohner. Man kannte sich also, man wusste übereinander Bescheid, und wenn es das Schicksal mit jemandem ständig viel besser meinte als mit allen anderen und derjenige sich gerne mit Erfolg und Glück brüstete, dann gönnte man ihm oder ihr eine kleine Niederlage von ganzem Herzen.
»Du meine Güte, was hat die Frau immer mit ihrer angeblich hochbegabten Tochter angegeben«, ätzte die Ärztin weiter. Sie verstellte ihre Stimme zu einem hochmütigen Näseln. »Corinna ist Vorzugsschülerin! Corinna gibt am Sonntag ein Orgelkonzert in der Kirche! Und das mit acht Jahren! Corinna ist erst zehn und schon ein Computergenie! Corinna liest täglich die politischen Nachrichten, während andere Kinder in ihrem Alter höchstens Comics lesen.« Dr. Manuela Fink schnitt eine genervte Grimasse und schüttelte den Kopf. »Mit elf konnte sie angeblich fließend Englisch sprechen und ellenlange Gedichte nach nur einmal Durchlesen auswendig hersagen. Mit dreizehn durfte sie gleich zwei Klassen am Gymnasium überspringen! Mit ...«
»Das Mädchen hat so einiges übersprungen, wie mir scheint«, fiel die Hebamme der Gynäkologin boshaft ins Wort und lachte laut auf. »Mit vierzehn schwanger, mit fünfzehn Mutter. Mit vierzehn hat meine Tochter noch im Sandkasten gespielt.« Sie schüttelte den Kopf und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Na ja, Hochmut kommt vor dem Fall, wie man so schön sagt. Geht deine Anna-Lena nicht mit ...« Sie unterbrach sich und deutete mit dem Daumen auf die Tür, hinter der die fünfzehnjährige Corinna Thaler lag und sich von der anstrengenden Geburt erholte. »Geht sie nicht mit ihr zur Schule?«
»Ging!«, korrigierte die Ärztin die Hebamme. »Sie ging! Meine Tochter musste die erste Klasse des Gymnasiums wiederholen, während Fräulein Oberschlau ja gleich zwei Klassen überspringen durfte.« Sie lachte laut auf. »Ach, was hat Madame Thaler mich damals von oben herab angeguckt, als ich am Elternabend darüber unterrichtet wurde, dass meine Anna-Lena in Mathe, in Deutsch und in Biologie durchgefallen ist. Mal sehen, wer das Abitur jetzt früher in der Tasche hat – meine Anna-Lena oder die da drin!«
Sonja Kötter deutete mit dem Kinn auf die Tür.
»Ich denke, das Abitur kann sie sich gleich ganz abschminken. Wenn man einmal auf die schiefe Bahngerät, geht es stetig bergab. Ärztin wollte sie werden. Da wird wohl jetzt nichts mehr draus.«
»Da wird ganz bestimmt nichts draus«, stimmte Manuela Fink ihrer Kollegin zu. »Weil sie schnell lesen und schreiben gelernt hat, heißt das noch lange nicht, dass sie dazu fähig ist, ein Medizinstudium zu bewältigen. Das ist kein Spaziergang, das kannst du mir glauben.«
»Das glaube ich dir gern, Manuela. Das Hebammenstudium war ja auch nicht ohne. Nein, nein, nach so einem Zwischenfall muss die Kleine froh sein, wenn sie die Mittlere Reife schafft und danach einen Ausbildungsplatz zur Verkäuferin bekommt. Aus die Maus mit ihren hochtrabenden Zukunftsplänen. Aber sag mal ...« Sonja Kötter schaute sich nach hinten um. »Wieso war Aurelia denn so schnell wieder weg? Sie wollte ja nicht mal ihr Enkelkind sehen.«
»Sie ist nur gekommen, um die Adoptionspapiere zu unterschreiben«, antwortete Dr. Manuela Fink und deutete mit dem Kinn auf die Mappe, die sie sich unter den Arm geklemmt hatte.
»Sie? Ich meine ... sie?«
»Natürlich sie«, erwiderte die Ärztin. »Das Mädchen ist ja noch nicht volljährig. Die hat da gar nichts mitzureden.«
»Ah ja, richtig. Sie ist ja erst fünfzehn. Ich vergesse das immer wieder, denn ein Baby mit fünfzehn, das ist ... irgendwie ... total abartig! Aber ... und ... der Kindesvater?«
Dr. Fink lachte trocken auf. »Sie wollte nicht sagen, wer es war. Wahrscheinlich kommen mehrere infrage, und sie weiß nicht, welcher von ihnen der Glückliche ist.«
»Na ja ...« Die Hebamme zuckte mit den Schultern. »Deine Anna-Lena ist zwar keine große Leuchte, und meine Chantal hat zwei linke Hände und ist ein bisschen verpeilt, aber angesichts dieser Katastrophe, können wir beide uns trotzdem zu unseren Töchtern beglückwünschen. Zumindest sind sie keine Schlampen.« Sie zog das kleine Plexiglasbettchen auf Rädern zu sich heran. »Na dann bringe ich ihr jetzt mal ihr Baby.«
»Nein!« Die Ärztin stellte sich rasch vor die Tür, als die Hebamme diese öffnen wollte. »Bei Adoptionen gleich nach der Geburt bekommen die Mütter ihre Babys gar nicht erst zu sehen. Das wäre doch ... irgendwie grausam.«
»Ach ja, richtig.« Sonja Kötter nickte überdeutlich. »Obwohl ...« Sie warf einen vielsagenden Blick auf das friedlich schlummernde Baby und lachte. »Die Gefahr, dass Corinna sich in das Baby verliebt und dann traurig ist, wenn sie es hergeben muss, ist, glaube ich, eher gering. Das arme kleine Häschen ist hässlich wie die Nacht.«
»Ach, das kann man richten. Ein guter plastischer Chirurg kriegt das hin ...«
»Nicht wirklich!«, fiel die Hebamme der Ärztin ins Wort und klang dabei fast ein bisschen so, als ob es ihr nicht recht wäre, dass aus dem hässlichen Baby doch noch ein hübsches Mädchen werden könnte.
»Bäckermeister Hinrichs ist auch mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte zur Welt gekommen. Er ist operiert worden, aber schöner ist er deswegen nicht. Man sieht es immer noch. Sein Gesicht ist irgendwie ... komisch.«
»Karl Hinrichs ist fast siebzig«, gab die Ärztin zu bedenken. »Damals steckte die plastische Chirurgie noch in den Kinderschuhen. Heutzutage ist das ganz anders. Die könnten heute sogar aus Quasimodo ein Unterwäschemodel basteln.«
»Mag schon sein, aber solche Koryphäen gibt es hier bei uns nicht. Dr. Hollerbeck ist ja recht bemüht, aber hast du die alte Krausgruber gesehen, nachdem sie sich von ihm die Haut hat straffziehen lassen?«
Dr. Fink erschauderte. »Sie sieht aus wie ein Ballon kurz vorm Platzen und kann kaum noch sprechen, weil die Haut so spannt. Aber in Berlin gibt es einen plastischen Chirurgen, der ...«
»Keine Chance!« Sonja rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Eine kosmetische Operation in Berlin bewilligt die Krankenkasse nie und nimmer. Das kostet!«
»Angeblich sind die Leute, die die Kleine adoptieren wollen, Millionäre.«
Das hörte die Hebamme gar nicht gerne. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf.
»Das ist doch nicht zu fassen! Da hört sich aber jetzt wirklich alles auf! Selbst im Unglück haben diese Thalers immer noch Glück! Wie ungerecht ist das denn!«
Manuela Fink drehte sich um, als sie die Stationstür zufallen hörte.
»Ah, da kommt Liselotte Kraus vom Jugendamt. Und das nicht mehr junge Paar hinter ihr, das werden dann wohl die Millionäre sein.«
Und das waren sie auch. Elaine und Conrad von Eberfurth, die sich seit ihrer Hochzeit vor rund dreißig Jahren nichts sehnlicher als ein Kind wünschten, aber keines bekommen konnten, betraten hinter der Adoptionsbeauftragten vom Jugendamt aufgeregt die Geburtsstation.
»Ist es das? Ist es unseres? Unser Baby?«, rief die neunundvierzigjährige Elaine schon von Weitem. Als Dr. Fink nickte, stelzte sie auf ihren Zwölf-Zentimeter-Stilettos wie ein eiliger Storch herbei.
»Unser Herzchen! Conrad, wir haben ein Baby! Unser Engelchen ist endlich da! Unser süßes Zuckerpüppchen! Unser kleines Gold ...«
Manuela und Sonja sollten nie erfahren, ob die elegante Dame nun Goldstückchen, Goldschätzchen oder vielleicht Goldfischchen sagen wollte, denn der zweite Teil des Wortes blieb Frau von Eberfurth im Hals stecken, als sie das kleine Mädchen sah.
Sie schüttelte entsetzt den Kopf, schwankte und musste sich an ihrem Mann festhalten.
»Nein! Nein, nein! Das nicht! Nein, das ... das war so nicht vereinbart.« Sie wandte sich an Liselotte Kraus und runzelte vorwurfsvoll die Stirn.
»Sie haben gesagt, dass die Mutter hübsch sei. Das hier ... das ist nicht hübsch. Das nehmen wir nicht. Nicht wahr, Conrad? Sag doch auch mal was, Conrad! Wir wollten doch ein süßes Baby! Das hier ist aber nicht süß!«
»Elaine hat recht«, bestätigte Conrad von Eberfurth. »Wir treten vom Vertrag zurück. Dieses Baby ist häss... ähm ... arm. Krank. Be... beschädigt. Wir haben uns ein gesundes Baby gewünscht. Ein hübsches. Das hier, das wollen wir nicht.«
Liselotte Kraus erschauderte ebenfalls, als sie das Neugeborene betrachtete.
»Aber so eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte kann man doch operieren«, erklärte sie dennoch. »Nicht wahr, Manuela?«, wandte sie sich an die Ärztin. »Das kann man doch heutzutage ganz wunderbar wegmachen lassen.«
»Nicht ganz!«, kam Elaine von Eberfurth Dr. Finks Antwort zuvor. »Etzel von Kofenhoven ist auch mit so was geboren worden. Er wurde operiert, aber er sieht immer noch komisch aus. Irgendwie ... wie auseinandergenommen und falsch herum wieder zusammengesetzt.«
»Ist er schon älter?«, wollte die Hebamme wissen. »So um die siebzig vielleicht? Damals steckte die plastische Chirurgie nämlich noch in den Kinderschuhen«, wiederholte sie, was die Ärztin vorher zu ihr gesagt hatte. »Heute ist das ganz anders. Heute können die wahre Wunder vollbringen, wie man an Ihrem ...«
Sie brach erschrocken ab. Wie man an Ihrem Gesicht erkennen kann, hatte sie sagen wollen, denn sie wusste, dass Elaine von Eberfurth so um die fünfzig sein musste, jedoch wie Mitte zwanzig aussah.
»Das tut nichts zur Sache!« Die vornehme Dame winkte zutiefst enttäuscht ab. »Wir wollen ein Baby, das von Anfang an hübsch ist, und keines, das wir erst wie ein Kleid in die Änderungsschneiderei geben müssen. Ist etwas anderes in Aussicht, Frau Kraus?«
Die Beamtin zuckte mit den Schultern. »Das kann ich jetzt ad hoc nicht sagen. Kommen Sie in den nächsten Tagen mal in mein Büro, dann sehen wir weiter.«
»Und jetzt?«, fragte Manuela Fink ratlos, als die Eberfurths gegangen waren. »Wie geht es jetzt weiter? Nimmst du die Kleine gleich mit, Liselotte? Abgesehen von der Missbildung ist sie völlig gesund und könnte sofort in häusliche Pflege entlassen werden.«
Frau Kraus schüttelte den Kopf. »Die Kleine geht mich jetzt nichts mehr an. Ich bin für Adoptionen zuständig. Sie ist jetzt aber vorläufig ein Waisenkind. Vermutlich nicht nur vorläufig. Wer will schon so ein Baby haben? Ich schicke euch eine Kollegin vorbei, die sie abholt und in ein Waisenhaus bringt.«
Die Hebamme nickte. »Aber bitte so bald wie möglich«, forderte sie. »Wir haben zurzeit drei werdende Mütter hier, und die würden sich zu Tode erschrecken und womöglich eine Sturzgeburt erleiden, wenn sie die Kleine zu Gesicht bekämen. So einen Anblick sollte man einer werdenden Mutter tunlichst ersparen.«
***
Dreiundzwanzig Jahre später ...
Es war natürlich völlig unmöglich, dass das hässliche kleine Mädchen, das damals noch keine ganze Stunde alt gewesen war, mit angehört haben konnte, wie es mehrmals hintereinander zurückgewiesen wurde.
Die eigene Mutter hatte es nicht haben wollen, die Großmutter wollte es nicht einmal sehen, die Adoptiveltern waren vom Vertrag zurückgetreten, die Dame vom Jugendamt hatte gemeint, die Kleine ginge sie nichts mehr an, wenn die Adoptiveltern sie nicht haben wollten, und die Ärztin wollte sie so rasch wie möglich aus dem Krankenhaus haben, weil ihr Anblick andere werdende Mütter erschrecken könnte.
Natürlich hatte das hässliche kleine Mädchen, das so unfreundlich in dieser Welt empfangen worden war, kein Wort von alledem verstanden. Wie kam es aber dann, dass seine größte Angst heute, dreiundzwanzig Jahre später, darin bestand, abgelehnt, zurückgewiesen und nicht gewollt zu werden?
Eva Adams – diesen Namen hatte ihr die Leiterin des Waisenhauses gegeben, in dem sie aufgewachsen war, und war sich dabei enorm originell vorgekommen – war fortan noch sehr oft zurückgewiesen worden.
Mit vier Monaten war die kleine Eva operiert worden. Man hatte ihre Oberlippe, die Kiefer- und die Gaumenspalte operativ verschlossen. Doch hübscher war sie deswegen hinterher noch lange nicht gewesen.
In dem Krankenhaus in Danneberg, der kleinen Stadt, in der sich das Waisenhaus befand, gab es damals keinen besonders guten plastischen Chirurgen. Die Operation war aus medizinischer Notwendigkeit und nicht aus kosmetischen Gründen durchgeführt worden.
Hinterher hatte sie ähnlich falsch zusammengesetzt ausgesehen wie Bäckermeister Hinrichs oder Etzel von Kofenhoven.
Doch was Klein-Eva an Liebreiz fehlte, hatte sie an Intelligenz im Übermaß abgekriegt. Sie lernte enorm schnell, interessierte sich für alles, hörte aufmerksam zu – auch dann, wenn sie gar nicht zuhören sollte –, verstand alles und vergaß nichts.
Schon im zarten Alter von einem Jahr hatte sie erfasst, was es zu bedeuten hatte, wenn die Heimleiterin hektisch wurde. Wenn sie die Erzieherinnen anschnauzte, sie sollten die kleineren Kinder anständig anziehen, ihnen die Haare und die Fingernägel schneiden, ihnen die Nase putzen und ihre Ohren kontrollieren.
Dieses Verhalten bedeutete, dass Besuch kam. Besuch von Paaren, die sich ein Kind aussuchen wollten.
Manche der etwas größeren Kinder hatten sich dann gerne versteckt und hatten gewaltsam unter ihren Betten hervor- oder aus ihren Schränken herausgezerrt werden müssen. Sie wollten nicht adoptiert werden, denn zu oft hatten sie schon miterlebt, dass adoptierte Kinder wieder ins Heim zurückgekehrt waren und schlimme Geschichten zu erzählen hatten.
Das Risiko, dass etwas schiefging, das hätte Klein-Eva gerne auf sich genommen. Sie hatte sich stets redlich bemüht, positiv aufzufallen. Sie hatte gelächelt, sie hatte besonders höflich gegrüßt, sie hatte den Besuchern Liedchen vorgesungen, kleine Gedichte vorgetragen und sich von ihrer besten Seite gezeigt.
Wenn die Besucher sich dann mit der Heimleiterin und der Frau vom Jugendamt in das Büro zurückgezogen hatten, dann hatte Klein-Eva mit heftig pochendem Herzen an der Tür gelauscht. Immer wieder, obwohl es verdammt wehgetan hatte, immer wieder das Gleiche zu hören.
»Die Kleine mit dem entstellten Gesicht? Nein, die wollen wir auf gar keinen Fall haben! Sie tut uns ja schrecklich leid, aber ... nein!«