Der Pate von Neuruppin - Frank Willmann - E-Book
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Der Pate von Neuruppin E-Book

Frank Willmann

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Beschreibung

Vom Imbisswagen zum Drogenimperium – der größte Kriminalfall des Ostens Kokainhandel, illegales Glücksspiel, Erpressung, Betreiben eines Bordells und Gründung einer kriminellen Vereinigung lautete die Anklage. Ein ungeklärter Mord steht im Raum. Dieses Buch erzählt von Aufstieg und Fall des Paten von Neuruppin und der "XY-Bande". Eine der krassesten Storys aus den sogenannten »Baseballschlägerjahren« - Breaking Bad in Brandenburg. Die ersten Tausend Mark verdient Olaf Kamrath mit Würstchen aus seinem Imbisswagen. Die nächsten mit Spielautomaten. Immer mehr Leute fragen nach Drogen und er wittert das große Geschäft. Zusammen mit drei Freunden aus Kindheitstagen gründet er die XY-Bande und beliefert alle zwischen Rostock und Berlin mit erstklassigem Stoff aus Amsterdam. Olaf Kamrath erzählt von einer Zeit, als man im Osten für Geld alles kaufen konnte. Und nur der jemand war, der es in großen Mengen besaß. Frank Willmann, Journalist und Experte für die ostdeutsche Untergrund-Szene, hat das Vertrauen aller Beteiligten gewonnen. Zum ersten Mal erzählen die Gangmitglieder hier, nach bestem Wissen und Gewissen, die Geschichte ihres Erfolgs und ihrer Verfolgung selbst. Eine rasante Krimi-Geschichte und ein authentisches Porträt des wilden, wilden Ostens.

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Dies ist der Umschlag des Buches »Der Pate von Neuruppin« von Frank Willmann

Frank Willmann

Der Pate von Neuruppin

Vom Imbisswagen zum Drogenimperium

Tropen Sachbuch

Impressum

Bis auf all jene, die selbst zu Wort kommen und die Geschichte aus ihrer Sicht schildern, also hauptsächlich die XY-Mitglieder und ihre Familien, wurden die Namen der vorkommenden Personen zum Zwecke der Anonymisierung geändert.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Tropen

www.tropen.de

© 2023, 2024 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Zero-Media.net, München

unter Verwendung einer Illustration von © FinePic®, München

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-50251-0

E-Book ISBN 978-3-608-11990-9

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

18. August 2004

Fast zwanzig Jahre später

Die ersten Tausend

Tellerwäscher

Keine Musterknaben

Discofieber

Der Puff

Spielhöllen

Das große Geschäft

Strippenzieher

Im Geld baden

Revierkämpfe

Lukrative Gefälligkeiten

Undercover

Zugriff

U-Haft

Der Prozess

Im Knast

Entlassung

Weil Klarheit schlechterdings die Höflichkeit eines Schriftstellers ist, bleibe ich so nah an der Wahrheit, wie das möglich ist, wenn man eine Geschichte aus der Sicht der Beteiligten erzählt.

Frank Willmann

18. August 2004

Olaf Kamrath • Um sechs Uhr klingelte es Sturm. Ich lief runter und schaute durch den Spion nach draußen. Hinter der Haustür stauten sich die Menschen. Bullen, Staatsanwälte, zwei Männer mit einer Filmkamera. Der 18. August, ein Datum, das ich nie vergessen werde und das auch die meisten Neuruppiner bis heute nicht vergessen haben.

Ich schluckte und öffnete die Tür. Die Polizisten waren freundlich und zuvorkommend, keine Handschellen, niemand riss mich zu Boden. Ich hielt mich bis um halb zwei in unserer Wohnung auf. So lange dauerte die Durchsuchung. Mein Vater brachte mir belegte Brötchen vorbei. Schließlich wurde der Haftbefehl vollstreckt, und man führte mich dem Haftrichter vor. Meine Frau Conny weinte, sie hatte unseren Kleinen auf dem Arm, beide wurden an diesem Tag aus meinem Leben genommen.

Kokainhandel, illegales Glücksspiel, Erpressung, Betreiben eines Bordells und Gründung sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung lautete die Anklage. Ein ungeklärter Mord stand auch noch im Raum.

Ein Bulle meinte: »Kann eine Weile dauern, bis Sie wieder rauskommen. Sie können sofort eine Aussage machen. Wer als Erster aussagt, kommt später besser weg, den Letzten beißen die Hunde. Ich kenne Sie genau, ich habe Tausende Telefonate von Ihnen abgehört.«

»Und, war ich Ihnen sympathisch?«

»Ja, schon.«

»Ich habe nichts zu sagen.«

Meine Mutter holte unseren Sohn ab. Der Kleine winkte mir zu, bevor Mutter mit ihm verschwand. Dieses Bild vergaß ich nie. Es verfolgte mich die ganze Haftzeit über. Neun lange Jahre.

Fast zwanzig Jahre später

Frank Willmann • Regionalbahn, Brandenburg zieht vorbei: Rehe, Kraniche und Hasen bevölkern die Felder, im Gehölz lauert der schlaue Fuchs, jederzeit bereit, seine Zähne in den Körper eines vorwitzigen Beutetiers zu versenken. Ich werde Olaf Kamrath treffen, den sogenannten Paten von Neuruppin, Boss eines der größten Drogenimperien der Nachwendezeit, der XY-Bande, benannt nach ihrem zeitweiligen Markenzeichen, der Buchstabenfolge OPR-XY auf den Nummernschildern ihrer hochwertigen schwarzen Pkw. Noch zwei Minuten, links zeigt sich ein See, in der Ferne schimmert das Dach einer Kirche. Ich bin angespannt. Noch einmal nehme ich die alten Zeitungen heraus und überfliege die grellen Schlagzeilen:

»Brandenburger Mafia-Netzwerk« (Bild), »Die XY-Bande von Neuruppin – eine Stadt im Würgegriff von Kriminellen« (RBB), »Drogenhandel, Glücksspiel, Geldwäsche, Korruption: Wie sich eine kriminelle Vereinigung unter den Augen der Honoratioren in einer Stadt ausbreitete. Ort der Handlung: nicht Palermo, sondern Neuruppin« (Stern), »Brandenburg-Mafia. XY-Bande muss hinter Gitter« (Spiegel), »Ein Imperium vor Gericht« (MOZ).

Die XY-Bande versorgte von Ende der 1990er bis 2004 die Gegend und besonders Berlin mit Kokain. Die Mitglieder zeigten sich gern stilsicher und hielten sich für unantastbar. Das Geschäft flutschte, und der Traum vom schnellen Reichtum wurde für die Brandenburger aus ehrbaren Familien Realität. Bis die Staatsanwaltschaft zuschlug. Im darauffolgenden Prozess, der sich über zweieinhalb Jahre hinzog, wurden alle Register gezogen, um die XY-Bande als kriminelle Vereinigung zu verurteilen. Es wurde der erste große Prozess gegen die organisierte Kriminalität auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Die Brandenburger wurden zu regelrechten Mafiastars, deren Taten von den Medien besungen wurden.

Und den Boss, den Paten von Neuruppin, werde ich also nun treffen.

Neuruppin ist ein idyllisches Städtchen am Ruppiner See, ein Rentner- und Wellnessparadies. Neuruppin hat sich herausgeputzt, die bröckelnden Fassaden der Bürgerhäuser sind restauriert, die Gehwege sauber gepflastert, der Schmutz der Nachwendejahre vergessen und mit ihm die krassen Storys dieser Zeit. Worte wie »Märkisches Palermo«, »Klein Palermo« oder »Korrupin« kennen alle hier. Dass der Neuruppiner Stadtverordnete Reinhard S. 2007 die bislang einzige rechtskräftige Verurteilung eines Mandatsträgers in Deutschland wegen Bestechung erleben durfte, steht im Zusammenhang mit dem Prozess gegen die XY-Bande. Adolf Hitler war bis Ende 2004 Ehrenbürger der Stadt, auch das kam erst durch journalistische Recherchen im Umfeld der Verhandlungen ans Licht und wurde dann korrigiert.

Heute trägt Neuruppin den unverdächtigen Beinamen Fontanestadt und wäre gern die preußischste aller preußischen Städte. Nachdem die Stadt 1787 bei einem Brand zerstört wurde, baute man sie dank gut gefüllter Feuerkasse und der Unterstützung durch den preußischen Staat generalstabsmäßig wieder auf. Es entstand ein rechtwinkliges Netz von Straßen mit zweigeschossigen Häusern, meist in klassizistischem Stil.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Neuruppin Garnisonsstadt. Es lebten mehr sowjetische Soldaten als Zivilisten in der Stadt. Die ungeliebten »Russen« prägten den Ort. In den 1950ern siedelte sich Industrie an, 1970 wurden die Elektro-Physikalischen Werke, der größte Leiterplattenhersteller der DDR, gegründet. Neuruppin war eine sozialistische Kleinstadt mit eigenem Plattenbaugebiet. Der Feuerlöscher Marke Minimax war ein Neuruppiner Exportschlager in ganz Osteuropa. Derweil verfiel die Altstadt, die DDR-Wohnungsbaupolitik konzentrierte sich lieber auf kostengünstige Neubauviertel.

Weil die Industrie sich in Seenähe ansiedelte, flossen die Abwässer direkt in den See, wo sie sich mit den Fäkalien der Stadt und dem Unrat der sowjetischen Besatzer vereinten. Noch heute gelten Teile des Bodens als massiv verseucht, bei Grundstückserschließungen in Seenähe muss er metertief abgetragen werden. Und obwohl das Wasser inzwischen sauber ist und die Fische keine drei Köpfe mehr haben, gibt es einige Neuruppiner, die das Schwimmen im See vermeiden.

Am Bahnhof empfängt mich ein lächelnder, sehr schlanker und elegant gekleideter Mann um die fünfzig: Olaf Kamrath. Auf seiner Glatze spiegelt sich die Herbstsonne. Zusammen werden wir die Tatorte besichtigen: Frankys Bar, den Puff, die Disco, das Hauptquartier in der Schäferstraße, das Hohe Gericht. Ich will hinter die Fassade blicken – dieser Stadt und dieses Mannes. Ich will die Beteiligten selbst zu Wort kommen lassen, um zu verstehen, was sie getrieben hat, sich so tief ins Verbrechen zu stürzen, und wie es ihnen gelungen ist. Ihre Geschichte soll aber auch die Wirkung des Geldes im Osten nachzeichnen, in den klammen Jahren der Nachwendezeit, als viele ihren Job verloren, Familien zerfielen, während Leute aus dem Westen ankamen und in Besitz nahmen, was in Besitz zu nehmen ging. Berühmt ist der Vorfall, wie der Wandlitzsee Anfang der Nullerjahre für ein paar Taler von einem Investor gekauft wurde, der die Anlieger daraufhin zwingen wollte, Aktien zu erwerben, um den See nutzen zu dürfen. Letztendlich ist die Wirkung von Kokain und Geld gar nicht so verschieden: Wer es hat, ist wach und selbstbewusst. Wer es hat, lässt die anderen nach seiner Pfeife tanzen.

»Wir wollten reich werden wie die Jungs im Westen«, sagt Olaf Kamrath. »Geld haben, weil Geld glücklich macht. Wir wollten den großen Larry machen.«

Vier Brandenburger Jungs, aus ganz unterschiedlichem Hause, die erst mit legalen, später mit illegalen Mitteln ans große Geld kommen und wichtige Schaltstellen der Stadt unterwandern: die Polizei, die lokale CDU, den Fußballverein, das Grundstücksamt, das Gewerbeaufsichtsamt.

Es ist eine klassische Geschichte. Von kometenhaftem Aufstieg und tiefem Fall. Eine Geschichte des Ostens. Vieles von dem Gruseligen, das hier nach der Wende stattfand, findet sich in ihr wieder, weil die Bande einen der ersten Plätze im illegalen Run um das schnell verdiente Geld einnahm. Es wäre leicht zu moralisieren, aber das würde den Blick verstellen. Man muss die ganze Geschichte kennen: die alles andere als einfache Jugend in der DDR, die Anarchie nach dem Mauerfall, das erste Geld mit der Imbissbude, die Ausweitung des Geschäfts auf Spielautomaten, Fitnesscenter, Disco und Puff, schließlich der Kokshandel im großen Stil, der dann jäh beendet wurde von einer Razzia und einem Gerichtsprozess, der in ganz Deutschland verfolgt und kommentiert wurde. Das alles erst ergibt ein vollständiges Bild: ein Sittengemälde des ländlichen Ostens, ein Protokoll der Verwerfungen der Nachwendezeit, eine Untersuchung des Scheiterns der Autoritäten.

Damit sie mir vertrauten, musste auch ich den Protagonisten mein Vertrauen schenken. Klar, dass sie die Geschichte auf ihre Weise erinnern und berichten. Diese Version habe ich anhand von Gerichtsakten, Artikeln, Reportagen und den Protokollen eines verdeckten Ermittlers überprüft.

Hin und wieder kam es vor, dass sich die Protagonisten widersprachen, dass sie bestimmte Geschehnisse unterschiedlich erzählten. Auf diese Ungereimtheiten sprach ich sie an. Doch wenn mein Gegenüber der Meinung war, dass das, was er mir erzählte, die Wahrheit sei, akzeptierte ich das.

Den größten Teil erleben wir aus der Perspektive von Olaf Kamrath, die anderen Hauptfiguren sind die drei Gangmitglieder Franky, Joschi und Kalle. Dazu der erweiterte Kreis: Ralle, Ecki, Conny und Gerlinde, die als Olafs Frau, Olafs Mutter, Maskottchen, Investor, Koksmischer, Dealer, Geschäftsmann, Kurierfahrer und Bespaßer eine Rolle spielten. Gemeinsam nehmen sie uns mit auf eine Zeitreise in den wilden, wilden Osten, als Geld alles bedeutete und so wirkte wie Kokain: Nichts schien unmöglich.

Die ersten Tausend

Olaf Kamrath • Eigentlich ging es direkt mit dem Mauerfall so richtig los. Im Herbst 1989 durfte man nicht mehr ins sozialistische Ausland reisen, alles war zu. Doch dann tat sich Mitte Oktober in der ČSSR plötzlich ein Türchen auf. Das war für mich das Signal zum Aufbruch. Am Abend feierte ich mit Freunden in Gnewikow in einer Dorfdisco meinen Abschied. Am nächsten Tag zu meinen Eltern und der Oma, alle heulten, umarmten mich und wünschten mir viel Glück.

Ein Kumpel wartete spontan am nächsten Morgen bei der Notenbank auf mich. Ich hatte meine Kraxel mit allen wichtigen Dingen vollgepackt. Er stand im Jeansanzug vor der Bank und sagte: »Ich komme mit!« Kein Geld, keine Klamotten, nur er und sein Jeansanzug. Ich hatte dreihundert Westmark und viel DDR-Geld dabei. Wir fuhren nach Berlin, nahmen noch eine Demo mit und stiegen am Nachmittag in den Zug nach Prag. Es herrschte eine merkwürdige Stimmung, jeder Zweite ein potenzieller Flüchtling, alle schauten misstrauisch. Aber die Fahrt verlief glatt.

Kaum in Prag angekommen, kamen die ersten Tschechen auf uns zu: »Botschaft? Ihr zur Botschaft?«

»Nein, nein, wieso? Wie kommt ihr darauf?«

Wir hatten Angst, von der ostdeutschen oder der tschechischen Stasi abgegriffen zu werden. War aber nicht so. Wir sind dann mit einem Taxi zur BRD-Botschaft gefahren – die Pforte stand offen, wir sind reingestürzt und waren auf sicherem Boden.

Später ließen die Tschechen keinen mehr durch, doch die Flüchtlinge kletterten einfach über den Zaun. Die Botschaft platzte aus allen Nähten. Wir fanden einen Platz im Treppenhaus, wo wir uns ausruhen konnten. Decken und Tee wurden verteilt, es gab für jeden etwas zu essen, die Leute waren nett. Nach zwei Tagen wurden wir mit Bussen abgeholt und zum Bahnhof gebracht. Und dann geschah das unendlich Geile: Wir überquerten die Grenze.

Als wir die ersten bayerischen Bahnhöfe passierten, wurden wir von einer jubelnden Menschenmenge begrüßt. Es war die Phase, wo die DDR-Bürger noch willkommen geheißen wurden. Alte Omis steckten uns während des kurzen Halts vom Bahnsteig aus Schokolade und Blumen zu. Die Leute fragten uns: »Was habt ihr vor, wo wollt ihr hin?«

»Uns egal. Wir wollen dahin, wo es Arbeit gibt.«

»Dann fahrt mal nach Bamberg. Dort gibt es viel Arbeit.«

»Bamberg? Okay, alles klar.«

Als wir im Aufnahmelager ankamen, erledigten wir fix den Papierkram und meldeten uns ein paar Tage später beim Arbeitsamt in Nürnberg. Als Begrüßungsgeld erhielten wir einen Hunderter und etwas Geld vom Amt. Zu meinen Verwandten wollte ich nicht als Bittsteller, ich hatte sie bereits angerufen und am Telefon gemerkt, dass sie Angst vorm mittellosen Ossi hatten, den man womöglich durchfüttern musste. Sie luden uns nicht ein, sondern sagten: »Ja, ach so, ihr seid da. Ist gut, macht euch das mal schön.«

Mein Kumpel war Dachdecker, ich Blitzschutzmonteur. In Schweinfurt wurde ich gleich beim ersten Anruf fündig. »Ja mei, bei uns könnt ihr anständig Geld verdienen.«

Später kam etwas in der lokalen Zeitung über uns, die ersten beiden Ossis im Ort, mit Foto. Sie kamen nicht, um dem Sozialstaat auf der Tasche zu liegen, sie kamen, um zu arbeiten, ihr Brot mit den eigenen Händen zu verdienen, den Traum von Freiheit und Wohlstand zu verwirklichen …

Die Firma stellte uns einen kleinen Mitsubishi-Bus, damit sind wir von Knetzgau nach Schweinfurt zur Arbeit gefahren. In Knetzgau lebten wir in einem Doppelzimmer im Gasthof Mainhof. War schön, der Wirt, ein ehemaliger Polizist, schmiss den Laden mit Frau und Töchtern. Als wir ankamen, spendeten sie uns bergeweise Klamotten, und mein Kumpel konnte endlich seine Hose wechseln.

Wir haben rund um die Uhr gearbeitet und Geld verdient, doch das Heimweh war groß. Wir düsten am Wochenende häufig nach Neuruppin, um unsere Freunde und die Familie zu sehen. Für mich war klar, ich gehe nach Neuruppin zurück und helfe beim Aufbau der blühenden Landschaften, die Kohl uns zur Wahl 1990 versprach und damit den Erdrutschsieg der CDU im Osten klarmachte. Die CDU gelobte das Blaue vom Himmel, diese Partei musste ich mir merken.

Ich war wegen der politischen und wirtschaftlichen Einschränkungen aus der DDR abgehauen. Als es die nicht mehr gab, sah ich keinen Grund, noch länger in Bayern zu bleiben. Der Kapitalismus hatte gesiegt, und ich wollte einer der Ersten sein, die in Neuruppin etwas aufbauen, also fragte ich in meinem bayerischen Umfeld: »Was würdet ihr für ein Geschäft im Osten eröffnen? Womit verdient man am schnellsten viel Geld?« Ein Kollege zählte drei Punkte auf. Und was er sagte, veränderte alles, denn ich würde mich mein Leben lang daran halten: Automaten, Immobilien, Gastronomie.

Ich dachte, okay, was kostet so ein Automat? 6000 D-Mark. Boah. Immobilien? Vergiss es. Gastronomie? Eine Imbissbude, das wäre doch was. Vater Kneipe, Sohn Imbiss.

Zu der Zeit verkaufte in Hannover jemand einen komplett eingerichteten Imbisswagen für 12 000 D-Mark. Scheiße, 12 000 D-Mark, woher nehmen? Da meinte ein bayerischer Arbeitskollege, er bürge für mich bei der Sparkasse Knetzgau, ich solle mir das Teil holen. Nach einem Monat zahlte ich bereits das ganze Geld zurück.

Zwei Wochen vor der Währungsunion am 1. Juli 1990 war ich wieder Neuruppiner, die Genehmigung lief reibungslos, und einen Tag vor der Währungsunion eröffneten wir unseren Imbisswagen auf dem Marktplatz. Ich holte meinen Kumpel Joschi mit an Bord, damit der Wagen in Doppelschichten laufen konnte. Am Vortag fuhren wir zur Metro nach Westberlin und packten die Autos voll mit Wurstwaren, Pommes, Süßkram, Zigaretten, Überraschungseiern, Getränken.

In Vaters Kneipe brieten wir morgens um sechs die Buletten an, dann legten wir los. Wir dachten, hoffentlich kommt überhaupt jemand. Doch dann machten wir die Luke auf, und sofort rannten sie uns die Bude ein. Um zwei waren wir ausverkauft. Also gleich wieder los zur Metro und weiter. So haben wir von Anfang an ordentlich Umsatz gemacht. Pro Tag fünfhundert D-Mark Gewinn.

Wir waren günstig, ein zweiter Imbisswagen um die Ecke wurde von uns unterboten. Die lokale Presse feierte uns als schlaue Jungunternehmer. Unsere Philosophie lautete: auf alles im Einkauf hundert Prozent. Ein Paar Wiener 1,50, ein Hamburger 2,80. Humane Preise. Große Büchsenbierdosen für zwei D-Mark. Wir waren die Ersten, die das legendäre Büchsenbier verkauften. Die Läden in Neuruppin waren noch voller DDR-Waren, die keiner mehr wollte, alle waren über Nacht dank der D-Mark zu Westlern geworden, was sollte man da noch mit dem ollen DDR-Zeug?

Zu Imbisszeiten hatte ich zur Sicherheit im Flur eine Schrotflinte stehen, irgendwo gekauft. Munition war kein Problem, die Russen hatten bei ihrem Abzug viel verscheuert, später gab es über unsere Jugos eine Waffenschwemme, Bürgerkriegskram vom Balkan.

Unser Imbiss hatte bis Mitternacht auf. Und dann wieder ab acht Uhr. Wir machten richtig Kohle und haben den Gewinn frühzeitig in Spielautomaten investiert. Die stellten wir in Kneipen auf und ließen das Automatengeschäft parallel wachsen. Jeder im Osten wollte schnell an richtig viel D-Mark kommen, wir versuchten es mit Glücksspiel. Pro Tag fünfhundert D-Mark Gewinn am Imbiss, mit einem alten Wartburg als Firmenwagen fingen wir an. Nach kurzer Zeit kauften wir einen kleinen VW-Bus 68er-Baujahr. Schnell fuhr dessen Motor fest, nach der Wende schwappte allerhand Schrott des Westens in den Osten, nicht nur im Automobilbereich.

Komisch war, die Neuruppiner aßen nach wie vor am liebsten die bekannten Produkte wie Hackeklops oder Bockwurst. Sie tasteten sich nur langsam an den Westkram ran, der Neuruppiner war forschend. Unsere Hamburger Marke Eigenkreation waren aus richtig Fleisch vom Fleischer. In der Mikrowelle warmgemacht, Ketchup und Zwiebeln drauf, fertig – bloß nicht zu viel Gemüse, lieber mehr Fleisch!

In den nächsten Monaten sind überall Imbisse entstanden. Man bekam im Sommer 1990 keinen Imbisswagen mehr zu kaufen, weil so viele auf dem Trip waren. Wir dagegen hatten unser Augenmerk auf Automaten gerichtet, weil damit mit weniger Aufwand gutes Geld zu verdienen war. Automat kaufen, Automat aufstellen, Strom einschalten, jeden Tag zum Abkassieren kommen.

Wir lebten sehr sparsam. Aus Bayern hatte ich mir einen uralten Audi 80 mitgebracht, das war mein einziger Luxus. 1990, nachdem ich zum Urlauben nach Griechenland geflogen bin, konnte ich den Audi wegschmeißen, ein Kumpel hatte ihn sich ausgeliehen.

Ich sagte: »Mann, ist ja an der Seite alles aufgerissen.«

»Ja, weiß ich auch nicht, wie das passiert ist.«

Er war betrunken gefahren. Eine Baustelle stand im Weg, reingefahren, bumm! Das Ding war hin. Also haben wir einen alten Wartburg gekauft. Am Geburtstag von Joschi wollten wir schön rausfahren zum Zippelsförder Jägerhof. Joschi kriegte die Kurve nicht, und der Wartburg überschlug sich ein paarmal. Wir blieben auf dem Dach im Graben liegen. Flink die Scheiben runtergekurbelt und rausgekrochen. Unsere damaligen Freundinnen kreischten, wir klopften den Staub ab und lachten uns halbtot, weil wir unbeschadet überlebt hatten. Sage nie etwas gegen einen Wartburg aus Eisenach!

Diese ersten Jahre waren Wildwestzeit. Aber wir machten auch Fehler. Als 1991 die erste Steuerprüfung anstand, ließen wir Federn. Wir hatten die Automaten bar bezahlt, frei nach der alten DDR-Devise, nur Bares ist Wahres. War ein Fehler, weil wir die Automaten so nicht abschreiben konnten. Wir hätten sie von einer Bank finanzieren lassen müssen, um sie nach und nach abzuschreiben. Wenn du auf einmal bezahlst, zählt der nicht als Ausgabe und wird nicht voll gegengerechnet. Die Tücken des Kapitalismus mussten wir noch verinnerlichen. Viele hoffnungsfrohe ostdeutsche Neukapitalisten sind sehr schnell bankrottgegangen, weil sie die Regeln nicht kannten. Es war aber auch verzwickt. So ein Automat schreibt sich über zehn Jahre ab. Du konntest also jedes Jahr sechshundert Mark Abschreibekosten geltend machen, durftest aber von zehn Automaten nicht 60 000 abschreiben, sondern gerade mal 6000. Auf diese Summe hat man dann Steuern gezahlt. Obwohl du das Geld nicht hast, weil du ja bar bezahlt hast. Diese Denkweise musste ich erst mal begreifen. Dadurch dauerte es mit dem Reichwerden etwas länger. Für unseren Geschmack zu lange.

Ende 1990 besaßen wir Flipperautomaten, Billardtische, Kickerautomaten und Geldspielautomaten. Es lief gut, aber manchmal hatten wir mit unerklärlichen Gewinneinbrüchen zu kämpfen, oder ein Automat gab den Geist auf. Manipuliert wurde von uns nichts. Die Gewinne teilten wir mit den Wirten, das lief anfangs gut, ohne unnötige Rechnungen. Die Vergnügungssteuer, die wir pro Automaten an die Stadt zahlten, zogen wir vorher ab. Die ersten Zählwerke waren noch ungenau, es fiel immer Geld ab. In Billardtischen waren gar keine Zählwerke, hat auch keiner kontrolliert. Du hast ein bisschen was aufgeschrieben, und die Steuer war zufrieden.

Im nächsten Schritt wollte ich eine eigene Spielothek aufmachen, ließ mich aber überreden, es zuerst mit einem Fitnessstudio zu versuchen. Wir eröffneten es 1992, der Bodykult war im Osten angekommen, alle wollten nun reich werden und dabei gut aussehen.

Den Imbisswagen haben wir verpachtet und später für 6000 verkauft. Wir rochen nicht mehr wie eine wandelnde Fritteuse, sondern eroberten die Herzen mit ausgewähltem Parfüm. Unsere Steuererklärungen waren nach wie vor etwas unorthodox. Vom Bargeld hatten wir uns auch etwas spät verabschiedet. Inzwischen waren andere Glücksritter in der Stadt eingetroffen und schnappten uns ein paar Deals weg, die erste Spielothek in Neuruppin war nicht unsere. Dafür nannten wir uns stolz Fitnessbudenbetreiber und machten beide einen Trainerschein.

Das Studio lief gut, die Presse war wohlwollend, wieder waren die beiden erfolgreichen Neuruppiner Unternehmer Olli und Joschi auf dem Titelblatt. Leider schien das Studio etwas zu klein geraten. Die Automaten liefen, und Fitnesstrainer wollten wir nach ein paar Monaten nicht mehr sein. Hätten wir uns sparen können.

Aber warum machen wir eigentlich keine Disco auf? Das könnte richtig gutes Geld bringen!

Inzwischen war mein alter Kumpel Kalle in Neuruppin aufgetaucht. Ich hatte seinerzeit mit ihm bei der Reichsbahn gelernt, nun sollte er in unserem Neuruppiner Kosmos eine Rolle spielen. Er kaufte uns das Fitnessstudio ab.

Ich lebte mit meiner Freundin in stabilen Verhältnissen, war aber nachts viel allein unterwegs. Am Wochenende Party, viel Alkohol, aber ich habe versucht, immer gesund zu leben, habe Fußball gespielt, Fitness gemacht. Wir waren noch brave, gesittete Typen, Marke Unternehmer des Jahres. Mit normalen Familien. Dann kam unsere Disco und stellte mein Leben völlig auf den Kopf. Joschi und ich schnabulierten zum ersten Mal Drogen. Ein Erweckungserlebnis. Von da an drehte sich unsere Welt noch ein paar Umdrehungen schneller. Aber wie weit das gehen würde, das ahnte damals, glaube ich, keiner von uns.

Und ich glaube, man muss wissen, woher wir kamen, um zu verstehen, was die ganze Kohle, das ganze Koks für uns halbstarke Ossijungs bedeutete.

Joschi • Olli suchte einen zweiten Betreiber für den Imbisswagen, und ich sagte sofort ja. Seine Bedingung: gut im Kopfrechnen und arbeitswillig. Olli hat das Unternehmer-Gen in sich. Er ist zielstrebig, hat Mut und investiert viel für eine geschäftliche Idee. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt nichts.

Am ersten Tag als Imbissbudenbetreiber verkauften wir zehn Kisten Pommes, Unmengen an Würsten und massenhaft Getränke. Es gab noch einen zweiten Imbisswagen, aber bei uns war die Schlange länger. Weil der Mensch dazu neigt, sich dort anzustellen, wo es schon voll ist, konnten wir den Andrang kaum bewältigen. Im Nachgang ist uns mit dem Imbisswagen die Steuer auf die Füße gefallen. Wir hatten mit der Metro-Karte meines Vaters eingekauft, unsere Rechnungen wurden vom Finanzamt nicht anerkannt. Lehrgeld zahlte jeder in der Anfangszeit. Nach ein paar Monaten beruhigte sich die Lage, und uns wurde klar, mit einem Imbisswagen wird man nicht reich. Olli hielt Ausschau nach weiteren Einnahmequellen. Wenn wir abends unsere Kittel auszogen und im Pommesduft zur Disco gingen, checkte Olli die Möglichkeiten, die uns der Kapitalismus bot. Relativ schnell kam er aufs Spielautomatenbusiness. Das wäre aber fast schiefgegangen. Wir fuhren nach Berlin zu einem Automatenhändler. Ich hatte 12 000 bis 13 000 D-Mark in einer Bauchtasche dabei, unsere gesamten Rücklagen der ersten Monate. Kurz vor Berlin kündigten wir uns beim Automatenhändler an. Ich nahm unser Geld mit in die Telefonzelle, ja nicht diese Menge im Auto liegenlassen. Wir fuhren weiter zur Metro, packten die Körbe voll und wollten zahlen. Scheiße! Wo ist die Kohle? In der Telefonzelle! Beim Fundbüro anrufen? Bist du bescheuert, das gibt doch keiner ab. Wer ist denn so blöde!

Panisch fuhren wir zurück zur Telefonzelle. Damals waren die wenigen Telefonzellen in der Ex-DDR permanent übervoll. Auch vor unserer war eine Schlange. Wir stürmten rein. Nichts. Das Telefonbuch! Und tatsächlich, darunter lag die Bauchtasche. Was für ein Glück, fast wären wir kurz vor dem Ziel an einer Unachtsamkeit gescheitert.

Später gründeten wir mit Ralle unsere Firma KDS und kauften immer mehr Automaten. Ralle stieg zwar mit einer Summe ein, doch für richtige Investitionen fehlte uns immer noch das Geld. Unsere ersten Automaten waren Geldspieler, Dart- und Billardautomaten. Den Imbisswagen verkauften wir und machten ein kleines Fitnessstudio auf, das ein paar Jährchen später wiederum Kalle übernahm.

Ralle • Im Dezember 1990 übernahm ich eine Videothek auf einem Dorf in der Nähe von Neuruppin. 20 000 D-Mark hatten Videos und Inventar gekostet, das konnte ich relativ schnell aus den Einnahmen zurückzahlen. Meinen Lada hatte ich mit Ach und Krach im Frühjahr 1989 für 14 000 Ostmark verkauft, ein paar Monate später war er nur noch ein paar Hundert Westmark wert.

Viele hatten 1990 Angst vor der Währungsunion, davor, dass ihr DDR-Geld nichts mehr wert wäre. Ich hab nicht so gedacht, selbst bei der Halbierung wären es noch immer 7000 D-Mark – ein nettes Startgeld für die Marktwirtschaft.

Die ersten Jahre hatte ich mit der Videothek mein Auskommen, dann sind die Einnahmen etwas abgeflacht. Es kam die Idee auf, eine Kneipe anzubauen. Irgendwann wurde in die Videothek eingebrochen, und fast alle sechshundert Videos wurden geklaut. Versichert war ich nicht, meine erste Fastpleite. Der Kapitalismus kann tückisch sein, wenn andere dir ans Leder gehen.

Olli war ab Herbst 1989 fast ein Jahr weg, kurz vor der Währungsunion kam er mit tausend Plänen zurück. Irgendwann hieß es, wenn er wiederkommt, wollen wir was zusammen machen. Bei seinem Imbissbusiness hat er mich nicht gefragt. Ich hatte ja meine Videothek.

Um 1991 sprach er mich an, ob ich in meiner Kneipe Automaten haben wolle. »Aus dem Gewinn machen wir Hälfte-Hälfte.« Gewinn hörte sich gut für mich an.

Meine Kundschaft hat fortan regelmäßig an ihren Automaten gespielt, und als wir die erste Leerung zelebrierten, kippte Olli die Geldkassette auf einem Marmortisch aus. Alles voller Fünf-Mark-Stücke, insgesamt über 3000 Mark. Wir waren überrascht und begeistert. Ich dachte, boah, Alter, das ist ja ein geiles Geschäft, das sind Helmut Kohls blühende Landschaften, juhu!

Dann wollten Olli und Joschi ein Fitnesscenter eröffnen. Kann sein, dass sie da vielleicht finanziell ein bisschen knapp waren, also fragten sie mich: »Hey, wollen wir uns nicht im Automatengeschäft zusammenschließen?« Zu dem Zeitpunkt hatten sie ein paar Automatenstellplätze über die Dörfer verteilt. Die liefen okay, also war es für mich eine sichere Nummer, und ich habe investiert. 20 000. Wir schlossen uns zur KDS Automaten OHG zusammen. Große Pläne, herrliche Aussichten.

Kalle • Olli und ich kennen uns von der Arbeit bei der Reichsbahn. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und hatten viel Spaß. Nach der Lehre bin ich 1987 nach Schwerin zurück, Olli nach Neuruppin. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich habe mich zur Elektrifizierung delegieren lassen. Die Streckenelektrifizierung war ein Prestigeprojekt der FDJ der deutschen Reichsbahn. Um Dieselkraftstoff zu sparen. Als Olli 1990 mit dem Imbisswagen in Neuruppin eingeritten ist, erfuhr ich das über einen Bekannten. »Mensch, Kamrath hat einen Imbisswagen in Neuruppin, da müssen wir hin!« War seinerzeit was ganz Dolles. Alle wollten D-Mark verdienen, doch kaum jemand hatte einen Plan, wie man an sie rankam. Olli hatte einen. Ihn zogen Geschäftsideen geradezu magisch an. Er schaute nach links und rechts: Wie machten die Leute das im Westen? Welche Idee kann man übernehmen und auf die Verhältnisse im Osten abstimmen? Wo gab es Potenzial für den ganz großen Wurf? Ich besuchte ihn, seitdem hielten wir den Kontakt, trafen uns zur Disco, und ich übernachtete bei ihm. Ollis Pläne interessierten mich. Er wollte das große Geld, und ich wollte es auch.

1994 hörte ich bei der Reichsbahn auf und bekam eine übervertragliche Abfindung von 30 000 D-Mark, weil die Reichsbahn im Zuge der Fusion mit der Deutschen Bahn Personal abbauen musste.

Franky • Ich bin schon früh mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, aber Drogen habe ich eigentlich immer gehasst. Dann saß ich irgendwann bei Olli in der Wohnung, Kalle war auch dabei. Plötzlich machte Olli den Kühlschrank auf, holte ein weißes Päckchen heraus und packte es auf den Tisch.

»Was ist das?«, fragte ich.

Er lachte und sagte: »Das ist Koks. Aus Amsterdam, direkt vom Erzeuger.«

»Mach keinen Scheiß, damit will ich nichts zu tun haben!«

Aber dann erzählte er mir von den unfassbaren Umsatzmöglichkeiten für das bisschen scheiß Pulver. Man kaufte ein Kilo, machte zwei draus, und zack bist du bei einer Gewinnspanne von hundert Prozent. Ich hatte immer angenommen, Drogen wären was für Obdachlose und Penner. Die Wirklichkeit sah anders aus, der Endverbraucher war im Showgeschäft, in der Politik, der Wirtschaft und im Kulturbereich zu finden. Überall dort, wo Geld war. In meinem Kopf ratterte der Abakus. War klar, das lohnte sich, konnte ich mir ja mal angucken. Dann fuhr ich mit Olli nach Amsterdam. Und, tja, das war der Beginn einer ziemlich irren Reise.

Das hätte ich mir als kleiner DDR-Junge nicht mal in meinen kühnsten Träumen ausmalen können.

1989 war ich jung, mir stand die Welt offen, das war ein geiles Gefühl. Schon seit Mitte der 1980er wollte ich raus aus der DDR. Ich hasste die DDR, weil ich aus politischen Gründen als Jugendlicher in den Knast gesteckt wurde. Nach der Wende bin ich dann zurück, weil ich durch und durch Brandenburger bin. Brandenburger, nicht Ossi.

Ich baute auf dem Campingplatz eine Kneipe aus und wollte einen Dartautomaten. Da kam Olli ins Spiel, der seinerzeit Automaten aufstellte. Wir trafen uns und wollten gemeinsam nach Hongkong fliegen, um dort eine Spielzeugmesse zu besuchen, aber letztlich flog er mit Ralle hin. Ich hatte die Hongkongidee ins Leben gerufen und war ein bisschen angepisst, als die zwei ohne mich flogen. Jedenfalls hat Olli mir einen Dartautomaten zum Campingplatz gebracht, und der ist dann ganz gut gelaufen.

Gerlinde • Nach der Wende waren neue Läden im Angebot. Mein Sohn Olli kochte in unserer Kneipe, der Tonne, sein Essen für die Imbissbude vor. Ein bisschen Geld brachte die Tonne noch, bis ein Investor aus Berlin kam und ihr ein Ende setzte. Mein Mann wurde arbeitslos.