Der Polizist - John Grisham - E-Book
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Der Polizist E-Book

John Grisham

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Beschreibung

Jake Brigance, Held der Bestseller »Die Jury« und »Die Erbin«, ist zurück. Diesmal steht er als Pflichtverteidiger im Zentrum eines aufsehenerregenden Mordprozesses in Clanton, Mississippi. Sein Mandant Drew Gamble hat einen örtlichen Deputy umgebracht – doch war es Notwehr oder Mord? Die Mehrheit von Clanton fordert lautstark einen kurzen Prozess und die Todesstrafe. Dabei ist Drew Gamble gerade einmal 16 Jahre alt. Jake Brigance arbeitet sich in den Fall ein und versteht schnell, dass er alles tun muss, um den Jungen zu retten. Auch wenn er in seinem Kampf für die Wahrheit nicht nur seine Karriere, sondern auch das Leben seiner Familie riskiert.

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DASBUCH

Mitten in der Nacht wartet Josie Gamble voller Angst auf die Rückkehr ihres Freundes. Als Stu Kofer schließlich kommt, ist er sturzbetrunken und grenzenlos aggressiv. Er schlägt Josie nieder und will sich dann über ihre Kinder hermachen. Wenig später erschießt ihn Josies Sohn Drew. Doch handelte es sich dabei um Notwehr oder Mord? Der Aufschrei in Clanton, Mississippi, ist riesig. Denn obwohl Stu Kofers dunkle Seite durchaus bekannt war, genoss er als Deputy Ansehen. Lautstark wird die Todesstrafe für Drew Gamble gefordert, obwohl dieser erst 16 Jahre alt ist.

Zunächst hat der Anwalt Jake Brigance überhaupt keine Lust, diesen heiklen Fall zu übernehmen. Aber das Schicksal Drews und seiner Familie rührt ihn, und er weiß genau, dass er der Einzige ist, der zwischen dem Angeklagten und dem Todesurteil steht. Schon bald zeigt sich: Mit dem Mandat begibt er auch sich selbst in große Gefahr.

DERAUTOR

John Grisham hat über dreißig Romane geschrieben, die ausnahmslos Bestseller sind. Zudem hat er ein Sachbuch, einen Erzählband und sieben Jugendbücher veröffentlicht. Seine Bücher wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. Er lebt in Virginia. Zuletzt bei Heyne erschienen: »Das Manuskript«.

JOHN

GRISHAM

DER

POLIZIST

ROMAN

Aus dem Amerikanischen

von Bea Reiter, Imke Walsh-Araya

und Kristiana Dorn-Ruhl

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

A Time for Mercy

bei Doubleday, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2020 by Belfry Holdings, Inc.

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Oliver Neumann

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von Shutterstock.com (invisiblepower, Robert Nyholm)

Herstellung: Mariam En Nazer

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-26619-6V002

www.heyne.de

In Erinnerung an

SONNY MEHTA,

Chairman, Cheflektor und Verleger

des Knopf-Verlags

1

Das schäbige kleine Haus lag weit draußen auf dem Land, etwa zehn Kilometer südlich von Clanton an einer alten Bezirksstraße, die irgendwann im Nichts endete. Es war von der Straße aus nicht zu sehen und nur über eine lange, gewundene Schotterzufahrt zu erreichen. Näherte sich nachts ein Auto, strich das Scheinwerferlicht über die Fenster und Türen an der Front, als wollte es die Menschen, die dort wohnten, vorwarnen. Die Abgeschiedenheit machte das, was ihnen bevorstand, noch schlimmer.

An diesem frühen Sonntagmorgen tauchte das Scheinwerferlicht erst lange nach Mitternacht auf. Es tastete sich durch die Räume, warf stumme, bedrohliche Schatten an die Wände und verschwand wieder, während der Wagen auf den letzten Metern durch eine Bodensenke fuhr. Die Menschen im Haus hätten schon seit Stunden schlafen sollen, doch an Schlaf war in diesen furchtbaren Nächten nicht zu denken. Josie, die im Wohnzimmer auf dem Sofa saß, holte tief Luft, sprach ein kurzes Gebet und schlich zum Fenster, um einen Blick auf das Auto zu werfen. Schlingerte es wie üblich hin und her, oder hatte er es unter Kontrolle? War er betrunken, wie immer in diesen Nächten, oder hatte er nicht ganz so viel Alkohol intus wie sonst? Sie trug ein aufreizendes Negligé, um ihn auf sich aufmerksam zu machen und vielleicht davon abzubringen, gewalttätig zu werden. Sie hatte es schon öfter getragen, es hatte ihm gefallen.

Der Wagen hielt neben dem Haus, und Josie sah zu, wie er ausstieg. Er torkelte und stolperte, und sie machte sich auf das Schlimmste gefasst. Sie ging in die Küche, in der Licht brannte, und wartete. Neben der Tür, etwas versteckt in einer Ecke, stand ein Baseballschläger aus Aluminium, der ihrem Sohn gehörte. Vor einer Stunde hatte sie den Knüppel dort hingestellt, für den Fall, dass er auf ihre Kinder losging. Sie hatte um den Mut gebetet, den Schläger zu benutzen, doch noch immer wurde sie von Zweifeln geplagt. Er ließ sich gegen die Küchentür fallen und rüttelte am Knauf, als wäre sie verriegelt, doch es war alles offen. Schließlich trat er mit dem Fuß gegen die Tür, die aufsprang und gegen den Kühlschrank knallte.

Wenn Stu getrunken hatte, wurde er gewalttätig. Seine blasse irische Haut wurde dunkler, seine Wangen röteten sich, und in seinen Augen glühte ein vom Whiskey entfachtes Feuer, das sie schon zu oft gesehen hatte. Er war vierunddreißig, hatte aber bereits graue Haare und eine Glatze, die er mit einer schlechten Überkämmfrisur zu kaschieren versuchte. Nach der nächtlichen Sauftour hingen ihm ein paar lange Strähnen bis unter die Ohren. Sein Gesicht wies keine Schnittwunden oder Blutergüsse auf, was vielleicht ein gutes Zeichen war. Vielleicht auch nicht. Er prügelte sich gern in den Kneipen, und nach einer harten Nacht leckte er sich für gewöhnlich die Wunden und ging schnurstracks ins Bett. Hatte es keine Schlägerei gegeben, suchte er oft hier Streit.

»Warum zum Teufel bist du noch auf?«, fuhr Stu sie an, während er versuchte, die Tür hinter sich zu schließen.

»Ich warte auf dich, Liebling. Geht’s dir gut?«, sagte Josie so gelassen wie möglich.

»Du brauchst nicht auf mich zu warten. Wie spät ist es? Zwei?«

Sie lächelte, als wäre alles in Ordnung. Vor einer Woche hatte sie sich ins Bett gelegt und dort auf ihn gewartet. Er war spät nach Hause gekommen, nach oben gegangen und hatte ihre Kinder bedroht.

»Ungefähr zwei«, bestätigte sie leise. »Lass uns schlafen gehen.«

»Warum trägst du diesen Fummel? Du siehst aus wie ein Flittchen. War heute Abend jemand hier?«

Das vermutete er zurzeit häufig. »Natürlich nicht«, sagte sie. »Ich habe mich nur schon fürs Bett fertig gemacht.«

»Du bist eine Hure.«

»Stu, bitte. Ich bin müde. Lass uns schlafen gehen.«

»Wer ist es?«, herrschte er sie an, während er nach hinten gegen die Tür torkelte.

»Wen meinst du? Es gibt niemanden. Ich bin den ganzen Abend hier gewesen, bei den Kindern.«

»Du Schlampe. Du lügst doch.«

»Nein, tue ich nicht. Lass uns ins Bett gehen. Es ist spät.«

»Heute Abend hat mir jemand erzählt, dass er vor ein paar Tagen John Alberts Pick-up hier draußen gesehen hat.«

»Wer ist John Albert?«

»Wer ist John Albert?, fragt die kleine Schlampe. Du weißt ganz genau, wer John Albert ist.« Er stieß sich von der Tür ab, kam mit unsicheren Schritten auf Josie zu und musste sich an der Arbeitsplatte abstützen. Dann wies er anklagend mit dem Finger auf sie. »Du bist eine Hure und bekommst Besuch von deinen Ex-Freunden. Ich habe dich gewarnt.«

»Stu, ich habe keinen anderen, das habe ich dir schon tausendmal gesagt. Warum glaubst du mir nicht?«

»Weil du eine Lügnerin bist und weil ich dich schon mal beim Lügen erwischt habe. Die Kreditkarte, weißt du noch? Du Miststück.«

»Das war letztes Jahr, und wir haben darüber geredet.«

Er machte einen Satz auf sie zu, packte mit der linken Hand ihren Unterarm und holte mit der anderen aus. Dann schlug er ihr mit der offenen Hand ins Gesicht, ein knallendes, widerwärtiges Geräusch. Schmerz und Schock ließen sie aufschreien. Sie hatte sich geschworen, auf keinen Fall laut zu werden. Ihre Kinder hatten sich oben eingesperrt und hörten alles mit an.

»Stu, hör auf!«, kreischte sie, während sie die Hand auf die Wange drückte und nach Luft rang. »Nicht wieder schlagen! Ich habe dir geschworen, dass ich gehe, und das werde ich auch ganz bestimmt tun!«

Er lachte brüllend. »Ach ja? Und wo willst du hin, du kleine Nutte? Zurück in das Wohnmobil im Wald? Oder willst du wieder in deinem Auto leben?« Er zog sie mit einem Ruck zu sich, drehte sie um und legte ihr seinen muskulösen Unterarm um den Hals. »Du kannst nirgendwohin, du Schlampe, nicht mal mehr in den Trailerpark, in dem du geboren wurdest«, flüsterte er ihr ins Ohr. Der Gestank nach abgestandenem Whiskey schlug ihr entgegen, Speichel sprühte aus seinem Mund.

Josie versuchte sich loszureißen, doch er zerrte ihren Arm hart nach oben. Sie schrie unwillkürlich auf und musste dabei an ihre Kinder denken. »Stu, du brichst mir den Arm! Hör auf! Bitte!«

Er ließ ihren Arm ein wenig sinken, drückte sie aber noch fester an sich. »Wo willst du denn hin?«, zischte er. »Du hast ein Dach über dem Kopf, Essen auf dem Tisch, Zimmer für deine zwei Bälger, und dann redest du davon, mich zu verlassen? Nicht mit mir.«

Sie wehrte sich und wollte sich aus seinem Griff winden, aber er war ein kräftiger Mann und sehr jähzornig. »Stu, du brichst mir den Arm. Lass los! Bitte!«

Doch er zerrte noch einmal mit einem kräftigen Ruck an ihrem Arm, was sie wieder aufschreien ließ. Sie versuchte es mit einem Fußtritt nach hinten und traf Stu mit der nackten Ferse am Schienbein, dann drehte sie sich halb um und rammte ihm ihren linken Ellbogen in die Rippen. Viel ausrichten konnte sie damit nicht, doch er schnappte für einen Moment nach Luft, und es gelang ihr, sich loszureißen. Ein Küchenstuhl fiel zu Boden. Der Lärm würde ihren Kindern noch mehr Angst machen.

Wie ein wilder Stier stürzte er sich auf sie. Er packte sie an der Kehle, drückte sie gegen die Wand und grub die Fingernägel in ihren Hals. Josie konnte nicht schreien, konnte weder schlucken noch atmen, und das irre Leuchten in seinen Augen sagte ihr, dass es ihr letzter Streit war. Dieses Mal würde er sie umbringen. Sie versuchte, Stu zu treten, verfehlte ihn aber. Blitzschnell verpasste er ihr einen rechten Haken, der sie mit voller Wucht am Kinn traf und bewusstlos werden ließ. Sie ging zu Boden und blieb mit gespreizten Beinen auf dem Rücken liegen. Ihr Negligé war verrutscht und entblößte ihre Brüste. Er stand einen Moment da und bewunderte sein Werk.

»Die Schlampe hat zuerst zugeschlagen«, murmelte er. Dann ging er zum Kühlschrank und holte eine Dose Bier heraus. Er öffnete sie, trank einen Schluck, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und wartete, weil er wissen wollte, ob sie vielleicht wieder aufwachte oder die ganze Nacht bewusstlos sein würde. Sie bewegte sich nicht, daher machte er einen Schritt auf sie zu, um sich zu vergewissern, dass sie noch atmete.

Stu prügelte sich schon sein Leben lang durch Kneipen und kannte die wichtigste Regel: Triff sie am Kinn, dann sind sie erledigt.

Im Haus war es ruhig, aber er wusste, dass Josies Kinder sich oben versteckt hatten und warteten.

Drew war zwei Jahre älter als seine Schwester Kiera, aber wie so viele Veränderungen in seinem Leben hatte bei ihm auch die Pubertät spät eingesetzt. Er war sechzehn und klein für sein Alter, was ihn sehr störte, vor allem, wenn er neben seiner Schwester stand, die gerade wieder einen Wachstumsschub erlebte. Die beiden wussten allerdings noch nicht, dass sie verschiedene Väter hatten und dass man ihre körperliche Entwicklung nicht miteinander vergleichen konnte. Trotzdem waren sich die beiden in diesem Moment so nah wie alle Geschwister und hörten entsetzt mit an, wie ihre Mutter wieder einmal verprügelt wurde.

Die Auseinandersetzungen wurden gewalttätiger, die Misshandlungen häufiger. Sie flehten Josie an, endlich zu gehen, doch alle drei wussten, dass sie nirgendwohin konnten. Ihre Mutter versicherte ihnen, dass alles besser werden würde, dass Stu ein guter Mann sei, wenn er nicht gerade trinke, und sie war fest entschlossen, zu ihm zu halten.

Sie konnten nirgendwohin. Ihr letztes »Zuhause« war ein altes Wohnmobil im Garten eines entfernten Verwandten gewesen, dem ihre Anwesenheit auf seinem Grundstück peinlich war. Alle drei wussten, dass das Leben mit Stu nur deshalb erträglich war, weil er ein richtiges Haus hatte, eines aus Ziegelsteinen und mit einem Blechdach. Sie mussten nicht hungern – erinnerten sich allerdings noch gut an diese furchtbare Zeit – und konnten zur Schule gehen. Im Grunde genommen war die Schule für sie ein Zufluchtsort, denn dort kam er nie hin. Es gab Probleme – Drews schlechte Noten, nicht genug Freunde, abgetragene Kleidung, die Schlangen für das kostenlose Mittagessen –, aber in der Schule waren sie wenigstens vor Stu sicher.

Selbst wenn er nüchtern war, was zum Glück die meiste Zeit über zutraf, war er ein widerlicher Typ, der nur äußerst ungern für Josies Kinder sorgte. Eigene hatte er nicht, weil er nie welche haben wollte und weil seine beiden ersten Ehen ohnehin nicht lange gehalten hatten. Er war ein Tyrann, der sein Haus für seine Burg hielt. Drew und Kiera waren unwillkommene Gäste, ja Eindringlinge, und deshalb sollten sie auch die schmutzige Arbeit erledigen. Für sie gab es eine endlose Liste mit Aufgaben, die getan werden mussten, und die meisten davon sollten die Tatsache verschleiern, dass er selbst ein fauler Hund war. Bei der kleinsten Pflichtverletzung beschimpfte und bedrohte er die beiden. Er kaufte Lebensmittel und Bier für sich selbst und bestand darauf, dass Josies magere Lohnschecks für »ihre« Seite des Tisches ausgegeben wurden.

Doch die viele Arbeit, das schlechte Essen und die Drohungen waren nichts im Vergleich zu der Gewalt.

Josie atmete kaum noch und bewegte sich nicht. Stu stand über ihr, starrte auf ihre Brüste und wünschte wie immer, sie wären größer. Großer Gott, sogar Kiera war besser bestückt. Bei dem Gedanken daran grinste er und beschloss, sich davon zu überzeugen. Er ging durch das kleine Wohnzimmer, das im Dunkeln lag, und stieg die Treppe hinauf, mit so viel Lärm wie möglich, um den beiden Angst zu machen. Auf halbem Weg nach oben rief er mit hoher, fast neckischer Stimme: »Kiera, o Kiera …«

Sie saß im Dunkeln, zitternd vor Angst, und krallte ihre Fingernägel in Drews Arm. Stu kam näher, seine schweren Schritte polterten die Holztreppe hoch.

»Kiera, o Kiera …«

Er stieß die unverschlossene Tür zu Drews Zimmer zuerst auf, dann zog er sie mit einem lauten Knall wieder zu. Als er den Knauf an Kieras Zimmertür drehen wollte, stellte er fest, dass sie verriegelt war. »Sehr witzig, Kiera. Ich weiß, dass du da drin bist. Mach die Tür auf.« Er warf sich mit der Schulter dagegen.

Die beiden saßen nebeneinander am Fußende des schmalen Betts und starrten die Tür an. Sie war mit einer verrosteten Metallstange blockiert, die Drew in der Scheune gefunden hatte. Er hatte sie zwischen die Tür und das Bettgestell geklemmt, ein Provisorium, das hoffentlich halten würde. Als Stu am Knauf rüttelte, stützten sich Drew und Kiera mit ihrem vollen Gewicht auf die Stange, um den Druck zu verstärken. Sie hatten dieses Szenario geübt und waren fast sicher, dass die Tür halten würde. Falls nicht, hatten sie einen Angriff geplant. Kiera würde zu einem alten Tennisschläger greifen, Drew eine kleine Dose Pfefferspray aus der Tasche ziehen und draufhalten. Josie hatte es den beiden gekauft, nur für den Fall. Stu würde sie vielleicht wieder verprügeln, aber sie würden sich wenigstens wehren können.

Vielleicht würde er die Tür eintreten, wie schon einmal vor einem Monat. Hinterher hatte er ein Riesentheater veranstaltet, weil er hundert Dollar für eine neue bezahlen musste. Zuerst hatte er darauf bestanden, dass Josie die Reparatur übernahm, dann hatte er Geld von Drew und Kiera gefordert, und irgendwann hatte er aufgehört, sich darüber aufzuregen.

Kiera war starr vor Angst und weinte lautlos, trotzdem fiel ihr auf, dass die Situation anders war als sonst. Bis jetzt war sie immer allein zu Hause gewesen, wenn Stu in ihr Zimmer gekommen war. Es hatte keine Zeugen gegeben, und er hatte gedroht, sie umzubringen, falls sie jemandem davon erzählte. Ihre Mutter hatte er bereits zum Schweigen gebracht. Wollte er auch Drew etwas antun? Wollte er ihm drohen?

»O Kiera, o Kiera«, rief er in seinem merkwürdigen Singsang und ließ sich wieder gegen die Tür fallen. Seine Stimme klang leiser, als würde er vielleicht aufgeben.

Sie stützten sich auf die Stange und warteten darauf, dass Stu die Tür aufbrach, doch er verstummte. Dann zog er sich zurück, seine Schritte verhallten auf der Treppe. Alles war ruhig.

Und kein Laut von ihrer Mutter. Sicher lag sie tot oder bewusstlos unten, denn sonst wäre Stu nicht die Treppe hochgekommen, nicht ohne heftige Auseinandersetzung. Josie würde ihm im Schlaf die Augen auskratzen, wenn er ihren Kindern noch einmal etwas zuleide tat.

Sekunden und Minuten verstrichen. Kiera hörte auf zu weinen. Sie setzten sich auf die Bettkante und warteten auf etwas, ein Geräusch, eine Stimme, eine Tür, die zugeschlagen wurde. Doch sie hörten nichts.

»Wir müssen was tun«, flüsterte Drew schließlich.

Kiera war immer noch so verängstigt, dass sie nicht antworten konnte.

»Ich werde nach Mom sehen«, sagte er. »Du bleibst hier und schließt die Tür hinter mir ab. Verstanden?«

»Geh nicht!«

»Ich muss. Mom ist was passiert, sonst wäre sie längst hier oben. Sie ist bestimmt verletzt. Du rührst dich nicht vom Fleck und sperrst ab.«

Drew nahm die Stange weg und öffnete vorsichtig die Tür. Er warf einen Blick die Treppe hinunter, sah aber nichts als Dunkelheit und das gedämpfte Licht einer Lampe vor dem Haus. Kiera beobachtete ihn und schloss dann die Tür hinter ihm. Als er den ersten Schritt die Treppe hinunter machte, die Dose Pfefferspray in der Hand, dachte er daran, wie großartig es wäre, diesem Mistkerl eine Giftwolke ins Gesicht zu blasen, ihm die Augen zu verätzen und ihn vielleicht sogar blind werden zu lassen. Langsam, ein Schritt nach dem anderen, ganz leise.

Im Wohnzimmer blieb er stehen und lauschte. Aus Stus Schlafzimmer am Ende des kurzen Flurs drang ein leises Geräusch. Drew wartete noch einen Moment und hoffte, dass Stu ihre Mutter vielleicht ins Bett gebracht hatte, nachdem er sie verprügelt hatte. In der Küche brannte Licht. Als er durch die offene Tür spähte, sah er ihre nackten Füße, die sich nicht bewegten, dann ihre Beine. Er ließ sich auf die Knie fallen und krabbelte unter dem Tisch bis zu ihr, dann packte er sie am Arm und schüttelte sie heftig, ohne etwas zu sagen. Jedes Geräusch hätte Stu auf ihn aufmerksam machen können. Drew bemerkte ihre entblößten Brüste, doch er hatte solche Angst, dass es ihn nicht in Verlegenheit bringen konnte. Er schüttelte seine Mutter noch einmal und zischte: »Mom, Mom, wach auf!« Aber er bekam keine Antwort. Die linke Seite ihres Gesichts war gerötet und stark geschwollen, und er war sicher, dass sie nicht atmete. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, wich zurück und schlich sich wieder in den Flur.

Die Tür zu Stus Schlafzimmer stand offen, eine kleine Tischlampe verbreitete dämmriges Licht. Als Drew genauer hinsah, bemerkte er ein Paar spitz zulaufende Cowboystiefel aus Schlangenleder, die vom Bett herunterhingen. Stus Lieblingsstiefel. Drew stand auf und ging zum Schlafzimmer, wo Stuart Kofer mit weit ausgebreiteten Armen rücklings und angezogen auf dem Bett lag und wieder einmal seinen Rausch ausschlief. Während Drew ihn mit unbändigem Hass anstarrte, begann der Mann zu schnarchen.

Drew rannte die Treppe hoch, und als Kiera die Tür öffnete, rief er: »Sie ist tot, Kiera, Mom ist tot! Sie liegt in der Küche auf dem Boden und ist tot!«

Kiera schrie auf und klammerte sich an ihren Bruder. Beide weinten, als sie nach unten in die Küche schlichen und sich neben ihre Mutter knieten. »Wach auf, Mom! Bitte wach auf!«, schluchzte Kiera.

Drew nahm behutsam das linke Handgelenk seiner Mutter und versuchte, ihren Puls zu fühlen, war sich aber nicht sicher, ob er es richtig machte. Er fand keinen.

»Wir müssen den Notruf wählen«, sagte er.

»Wo ist Stu?«, fragte Kiera, während sie sich umsah.

»Im Bett. Er schläft. Ich glaube, er hat zu viel getrunken.«

»Ich bleibe bei Mom. Du rufst an.«

Drew ging ins Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. Dann griff er zum Telefon und wählte die Nummer des Notrufs. Nach langem Klingeln meldete sich endlich jemand. »Notrufzentrale. Um welche Art von Notfall handelt es sich?«, fragte ein Mann.

»Meine Mutter wurde von Stuart Kofer ermordet. Sie ist tot.«

»Wer ist da?«

»Ich heiße Drew Gamble. Meine Mutter heißt Josie. Sie ist tot.«

»Und wo wohnst du?«

»In Stuart Kofers Haus, draußen an der Bart Road. Vierzehn-vierzehn Bart Road. Bitte schicken Sie jemanden, der uns hilft.«

»Ist bereits unterwegs. Du hast gesagt, sie ist tot. Woher weißt du, dass sie tot ist?«

»Weil sie nicht mehr atmet. Weil Stu sie wieder mal zusammengeschlagen hat, so wie immer.«

»Ist Stuart im Haus?«

»Ja. Es ist sein Haus. Wir wohnen nur hier. Er ist betrunken nach Hause gekommen und hat meine Mutter verprügelt. Er hat sie umgebracht. Wir haben gehört, wie er es getan hat.«

»Wo ist er jetzt?«

»Er liegt auf seinem Bett und schläft. Bitte beeilen Sie sich.«

»Du bleibst in der Leitung, verstanden?«

»Nein. Ich muss nach meiner Mom sehen.«

Drew legte auf und griff sich eine Decke vom Sofa. Kiera hatte Josies Kopf in ihren Schoß gezogen und strich ihr über die Haare, während sie weinte und immer wieder sagte: »Mom, bitte wach auf. Bitte wach auf. Bleib bei uns, Mom.« Drew legte die Decke auf seine Mutter und setzte sich zu ihren Füßen auf den Boden. Er schloss die Augen, kniff sich in die Nase und versuchte zu beten. Im Haus war es völlig ruhig, nur Kieras flehentliches Schluchzen war zu hören. Minuten verstrichen, und Drew zwang sich dazu, seine Tränen zu unterdrücken und etwas zu tun, um sich und seine Schwester zu beschützen. Stu schlief zwar gerade, aber es war durchaus möglich, dass er wach wurde. Wenn er sie dann im Erdgeschoss entdeckte, würde er einen Wutanfall bekommen und sie zusammenschlagen.

Es wäre nicht das erste Mal. Es kam häufig vor, dass er sich betrank, vor Wut ausrastete, sie verprügelte, eine Weile schlief und wieder handgreiflich wurde, wenn er aufwachte.

Als Stu schnaubte und laut stöhnte, befürchtete Drew, dass er gleich aus seinem Rausch aufschreckte. »Kiera, sei leise«, sagte Drew, aber sie hörte ihn nicht. Sie war wie in Trance und klammerte sich an ihre Mutter, während ihr Tränen über die Wangen liefen.

Er schlich sich vorsichtig weg und verließ die Küche. Im Flur duckte er sich und ging auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer. Stu hatte sich nicht bewegt. Seine Cowboystiefel hingen immer noch vom Bett herunter. Sein massiger Körper lag mit weit ausgebreiteten Armen auf der Decke. Sein Mund stand so weit offen, dass er Fliegen hätte fangen können. Drew starrte den Mann an, mit einem unbändigen Hass, der ihn fast blind machte. Der Kerl hatte ihre Mutter getötet, nachdem er es monatelang versucht hatte, und sie beide würde er als Nächstes umbringen. Niemand würde Stu dafür zur Rechenschaft ziehen, denn er hatte gute Verbindungen und kannte wichtige Leute, ein Umstand, mit dem er oft prahlte. Drew und seine Familie waren weißer Abschaum, Ausgestoßene aus den Trailerparks. Stu dagegen hatte Einfluss, weil er Land besaß und für die Polizei arbeitete.

Drew trat einen Schritt zurück und warf einen Blick in den Flur. Er sah seine Mutter, die auf dem Boden in der Küche lag, und seine Schwester, die ihren Kopf festhielt, leise stöhnte und völlig weggetreten war. Dann ging er in eine Ecke des Schlafzimmers, zu einem kleinen Tisch auf Stus Seite des Betts, auf dem er immer seine Pistole und seinen schweren schwarzen Gürtel mit dem Holster und dem sternförmigen Abzeichen hinlegte. Als Drew die Waffe aus dem Holster zog, fiel ihm ein, wie schwer sie war. Die Pistole, eine 9-Millimeter-Glock, gehörte zur Standardausrüstung der Polizei. Es verstieß gegen die Regeln, sie einem Zivilisten in die Hand zu geben. Stu scherte sich wenig um dumme Regeln, und einmal, vor nicht allzu langer Zeit, als er nüchtern und einigermaßen gut gelaunt gewesen war, hatte er Drew auf die Wiese hinterm Haus mitgenommen und ihm gezeigt, wie man mit der Glock umging und damit schoss. Er war mit Waffen groß geworden, Drew nicht, und Stu hatte sich darüber lustig gemacht, dass der Junge keine Ahnung hatte. Er hatte damit geprahlt, seinen ersten Hirsch mit acht Jahren erlegt zu haben.

Drew hatte dreimal abgedrückt und eine Zielscheibe fürs Bogenschießen nicht einmal gestreift. Der Rückstoß und der laute Knall der Pistole hatten ihm Angst gemacht. Stu hatte ihn ausgelacht, dann sechsmal schnell geschossen und immer ins Schwarze getroffen.

Drew hielt die Pistole in der rechten Hand und musterte sie. Er wusste, dass sie geladen war, denn Stus Waffen waren immer schussbereit. Im Schrank standen mehrere Gewehre und Schrotflinten, alle geladen.

Aus der Küche drang Kieras Stöhnen und Schluchzen zu ihm, und vor ihm schnarchte Stu. Bald würde die Polizei ins Haus stürmen und das tun, was sie immer tat: nichts. Nichts, um Drew und Kiera zu beschützen, nicht einmal jetzt, wo ihre Mutter tot auf dem Küchenboden lag. Stuart Kofer hatte sie umgebracht, aber er würde lügen, und die Polizei würde ihm glauben. Ohne ihre Mutter würde die Zukunft von Drew und seiner Schwester noch viel düsterer aussehen.

Drew verließ den Raum, die Glock in der Hand, und ging langsam in die Küche, wo alles noch so war wie vorhin. Er fragte Kiera, ob ihre Mutter atme, doch sie weinte nur und antwortete nicht. Dann ging er ins Wohnzimmer und starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus. Seinen Vater kannte er nicht, und wieder einmal fragte er sich, wo der Mann in der Familie war. Wo war das Oberhaupt, der kluge Mensch, der Rat und Schutz gab? Er und Kiera kannten keine stabilen Familienverhältnisse. Während ihrer Zeit bei Pflegeeltern hatten sie andere Väter und vom Jugendgericht bestellte Anwälte kennengelernt, die zu helfen versucht hatten, aber die Umarmung eines Mannes, dem man vertrauen konnte, hatten sie nie erlebt.

Jetzt musste er, der Älteste, die Verantwortung übernehmen. Ihre Mutter war tot, und er hatte keine andere Wahl, als sich der Herausforderung zu stellen und erwachsen zu werden. Nur er selbst konnte sie vor einem endlosen Albtraum bewahren.

Als Drew ein Geräusch hörte, schreckte er auf. Aus dem Schlafzimmer drang eine Art Stöhnen oder Prusten zu ihm, und die Matratze quietschte, als würde Stu sich bewegen und gleich aufwachen.

Sie konnten nicht noch mehr ertragen. Der Augenblick war gekommen, es war ihre einzige Chance zu überleben, und Drew musste handeln. Er ging wieder ins Schlafzimmer und starrte Stu an, der immer noch auf dem Rücken lag und tief und fest schlief. Seltsamerweise war ihm einer seiner Cowboystiefel vom Fuß gerutscht und auf dem Boden gelandet. Stu hatte den Tod verdient. Drew zog langsam die Tür hinter sich zu, als wollte er Kiera vor jeglicher Beteiligung schützen. Wie einfach würde es sein? Mit beiden Händen umklammerte er die Pistole. Er hielt die Luft an und ließ die Waffe sinken, bis der Lauf keine drei Zentimeter mehr von Stus linker Schläfe entfernt war.

Er schloss die Augen und drückte ab.

2

Kiera sah ihn nicht einmal an. Sie strich ihrer Mutter über die Haare und fragte: »Was hast du gemacht?«

»Ich habe ihn erschossen«, erwiderte Drew. In seiner Stimme lag weder Angst noch Bedauern. Sie klang völlig ausdruckslos. »Ich habe ihn erschossen.«

Sie nickte und sagte nichts mehr. Drew ging ins Wohnzimmer und starrte wieder aus dem Fenster auf die Einfahrt. Wo waren die Streifenwagen? Wo war der Rettungswagen? Du rufst an und meldest, dass deine Mutter ermordet wurde, und niemand kommt. Er schaltete eine Lampe ein und sah auf die Uhr. 2.47 Uhr. Für den Rest seines Lebens würde er sich daran erinnern, um welche Uhrzeit er Stuart Kofer erschossen hatte. Seine Hände zitterten und waren taub, in seinen Ohren klingelte es, aber um 2.47 Uhr bereute er es nicht, den Mann getötet zu haben, der seine Mutter umgebracht hatte. Er ging ins Schlafzimmer zurück und schaltete die Deckenlampe an. Die Pistole lag neben Stus Kopf, der auf der linken Seite ein kleines, hässliches Loch hatte. Stu sah immer noch an die Decke, jetzt mit offenen Augen. Auf der Bettwäsche breitete sich ein Kreis aus hellrotem Blut aus.

Drew ging wieder in die Küche, wo sich nichts geändert hatte. Dann lief er ins Wohnzimmer hinüber, schaltete noch eine Lampe ein, öffnete die Haustür und setzte sich in Stus Fernsehsessel. Stu hatte immer einen Wutanfall bekommen, wenn er jemanden auf seinem Thron erwischt hatte. Der Sessel roch wie er – kalter Zigarettenrauch, getrockneter Schweiß, altes Leder, Whiskey und Bier. Nach ein paar Minuten war Drew klar, dass er den Fernsehsessel hasste, daher schob er einen Stuhl zum Fenster und wartete dort auf die Blinklichter.

Die ersten waren blau, und als der Streifenwagen die letzte Bodensenke hinter sich gebracht hatte, bekam Drew Angst und konnte kaum noch atmen. Sie wollten ihn holen. Sie würden ihm Handschellen anlegen, ihn auf den Rücksitz eines Polizeiautos setzen und von hier wegbringen. Und er konnte nichts tun, um es zu verhindern.

Das zweite Einsatzfahrzeug war ein Rettungswagen mit rotem Blinklicht, das dritte ein weiterer Streifenwagen. Als sich herausstellte, dass es nicht nur ein, sondern zwei Opfer gab, wurde ein zweiter Rettungswagen gerufen, auf den noch mehr Polizeibeamte folgten.

Josie lebte noch und wurde eilig auf eine Trage geschnallt und ins Krankenhaus gefahren. Drew und Kiera wurden im Wohnzimmer abgesondert, mit der Anweisung, sich nicht vom Fleck zu rühren. Aber wo hätten sie auch hingehen sollen? Im Haus brannten sämtliche Lampen, und es wimmelte nur so von Polizisten.

Als Sheriff Ozzie Walls eintraf, wurde er vor dem Haus von Moss Junior Tatum, seinem Chief Deputy, in Empfang genommen. »Anscheinend ist Kofer spät nach Hause gekommen, sie haben sich gestritten, er hat sie verprügelt, und dann ist er auf dem Bett eingeschlafen. Der Junge hat sich seine Waffe geschnappt und ihm einmal in den Kopf geschossen. Kofer war sofort tot«, sagte Tatum.

»Haben Sie schon mit dem Jungen geredet?«

»Na klar. Drew Gamble, sechzehn, der Sohn von Kofers Freundin. Hat nicht viel gesagt. Ich glaube, er steht unter Schock. Seine Schwester Kiera, vierzehn, hat mir erzählt, dass sie seit etwa einem Jahr hier wohnen und dass Kofer gewalttätig war und ihre Mutter immer wieder verprügelt hat.«

»Kofer ist tatsächlich tot?«, fragte Ozzie fassungslos.

»Ja, Chef. Stuart Kofer ist tot.«

Ozzie schüttelte ungläubig den Kopf und ging zur Haustür, die weit offen stand. Als er im Flur war, hielt er inne und warf einen Blick auf Drew und Kiera, die nebeneinander auf dem Sofa im Wohnzimmer saßen, ihre Füße anstarrten und versuchten, das Chaos um sich herum zu ignorieren. Ozzie wollte etwas sagen, ließ es dann aber bleiben. Er folgte Tatum ins Schlafzimmer, in dem niemand etwas angerührt hatte. Die Pistole lag auf der Decke, etwa fünfundzwanzig Zentimeter von Kofers Kopf entfernt, und in der Mitte des Betts befand sich eine große, kreisförmige Blutlache. Die Kugel hatte bei ihrem Austritt einen Teil des Schädels zerschmettert, Blut und Hirnmasse waren auf Laken, Kissen, Kopfteil und Wand gespritzt.

Zurzeit hatte Ozzie vierzehn in Vollzeit arbeitende Deputys. Jetzt waren es nur noch dreizehn. Dazu kamen sieben Teilzeitangestellte und jede Menge Ehrenamtliche, sodass es ihm schon fast zu viel wurde. Vor sieben Jahren, 1983, war er in einem historischen Erdrutschsieg zum Sheriff von Ford County gewählt worden. Historisch deshalb, weil er damals der einzige schwarze Sheriff in Mississippi gewesen war und der erste, der aus einem vorwiegend von Weißen bewohnten County stammte. In den ganzen sieben Jahren war kein einziger seiner Männer ums Leben gekommen. DeWayne Looney hatte bei der Schießerei im Gerichtsgebäude, für die Carl Lee Hailey 1985 angeklagt worden war, ein Bein verloren, war aber immer noch im Dienst.

Jetzt lag sein erster toter Deputy vor ihm. Stuart Kofer, einer seiner besten Männer und mit Sicherheit der Furchtloseste. Er war mausetot, und aus seinem Körper sickerten immer noch diverse Flüssigkeiten.

Ozzie nahm seinen Hut ab, sprach ein kurzes Gebet und trat einen Schritt zurück. Ohne den Blick von Kofer zu nehmen, sagte er: »Mord an einem Polizeibeamten. Verständigen Sie die State Police, sie soll mit den Ermittlungen beginnen. Und fassen Sie nichts an.« Er sah Tatum an. »Haben die beiden noch was anderes gesagt?«

»Nein. Aus dem Jungen habe ich ja nichts rausbekommen. Seine Schwester gibt an, dass er Kofer erschossen hat. Die beiden dachten, ihre Mutter wäre tot.«

Ozzie nickte und überlegte kurz. »Sie werden nicht mehr befragt«, meinte er dann. »Ab jetzt wird alles, was wir tun, von den Anwälten zerpflückt werden. Wir nehmen die beiden in Gewahrsam, reden aber nicht mit ihnen. Und es ist vielleicht besser, wenn wir mit meinem Wagen fahren.«

»Handschellen?«

»Selbstverständlich. Für den Jungen. Haben die beiden Familie hier?«

Deputy Mick Swayze räusperte sich. »Ich glaube nicht, Sheriff«, erwiderte er. »Ich habe Stu ziemlich gut gekannt. Er hat mit der Frau zusammengelebt und gesagt, dass sie es nicht leicht hatte. Eine, vielleicht auch zwei Scheidungen. Ich weiß nicht, wo sie herkommt, aber Stu hat mal erzählt, dass sie nicht von hier ist. Vor ein paar Wochen bin ich hergefahren, weil sie den Notruf gewählt und etwas von einem Streit gesagt hat, aber sie wollte keine Anzeige erstatten.«

»Alles klar. Wir finden es schon noch heraus. Ich werde den Jungen und seine Schwester mitnehmen. Moss, Sie fahren mit mir. Mick, Sie bleiben hier.«

Drew stand auf, als man ihn dazu aufforderte, und streckte die Arme vor sich aus. Tatum legte ihm behutsam Handschellen an und führte den Verdächtigen aus dem Haus zum Wagen des Sheriffs. Kiera ging ihnen nach und wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Unzählige Autoscheinwerfer tasteten sich durch die Hügel. Es hatte sich herumgesprochen, dass ein Deputy ums Leben gekommen war, und jeder Cop, der gerade keinen Dienst hatte, wollte es sich ansehen.

Ozzie wich den Polizeiautos und Rettungswagen aus und kämpfte sich durch die Einfahrt bis zur Landstraße. Dort schaltete er das Blaulicht ein und gab Gas.

»Können wir zu unserer Mutter?«, fragte Drew.

»Stellen Sie Ihr Aufnahmegerät an«, sagte Ozzie mit einem Blick auf seinen Deputy.

Tatum zog einen kleinen Rekorder aus der Tasche und drückte auf einen Knopf.

»Ab jetzt zeichnen wir alles auf, was gesagt wird«, erklärte Ozzie. »Ich bin Sheriff Ozzie Walls, heute haben wir den 25. März 1999, es ist jetzt 3.51 Uhr, und ich bin unterwegs zum Ford-County-Gefängnis, im Beisein von Deputy Moss Junior Tatum, der sich neben mir auf dem Vordersitz befindet. Auf der Rückbank haben wir … Junge, wie heißt du mit vollem Namen?«

»Drew Allen Gamble.«

»Alter?«

»Sechzehn.«

»Und wie heißt die junge Dame?«

»Kiera Gale Gamble. Ich bin vierzehn.«

»Und der Name eurer Mutter?«

»Josie Gamble. Sie ist zweiunddreißig.«

»Okay. Ich rate euch, nicht über das zu sprechen, was heute Nacht passiert ist. Wartet, bis ihr einen Anwalt habt. Habt ihr das verstanden?«

»Ja, Sir.«

»Drew, du hast nach deiner Mutter gefragt, richtig?«

»Ja, Sir. Ist sie am Leben?«

Ozzie sah Tatum an, der mit den Schultern zuckte und in das Aufnahmegerät sprach: »Soweit wir wissen, lebt Josie Gamble. Sie wurde in einem Rettungswagen vom Tatort weggebracht und befindet sich vermutlich schon im Krankenhaus.«

»Können wir sie besuchen?«, wollte Drew wissen.

»Nein, jetzt nicht«, gab Ozzie zurück.

Sie fuhren schweigend weiter. »Sie sind als Erster am Tatort eingetroffen, richtig?«, sagte Ozzie nach einer Weile in Richtung des Aufnahmegeräts.

»Ja«, bestätigte Tatum.

»Haben Sie die beiden gefragt, was passiert ist?«

»Ja, das habe ich. Der Junge, Drew, hat nichts gesagt. Ich habe seine Schwester, Kiera, gefragt, ob sie etwas weiß, und sie hat geantwortet, ihr Bruder habe Kofer erschossen. Danach habe ich ihnen keine weiteren Fragen mehr gestellt. Es war ziemlich klar, was passiert ist.«

Das Funkgerät krächzte und quäkte. Obwohl es noch dunkel war, schien ganz Ford County wach zu sein. Ozzie drehte die Lautstärke herunter und sagte nichts mehr. Er behielt den Fuß auf dem Gaspedal, und sein großer brauner Ford raste über die Landstraße, immer an der Mittellinie entlang, so laut und schnell, dass sich kein einziges Tier auf den Asphalt wagte.

Er hatte Stuart Kofer vor vier Jahren eingestellt, als Kofer nach einer vorzeitig beendeten Karriere bei der Army nach Ford County zurückgekommen war. Kofer hatte ihm eine einigermaßen plausible Erklärung für seine unehrenhafte Entlassung gegeben – es sei um Spitzfindigkeiten und Missverständnisse und so weiter gegangen. Ozzie hatte Kofer eine Uniform besorgt, ihn für sechs Monate zur Probe eingestellt und auf die Polizeischule in Jackson geschickt, wo er zu den Besten seines Jahrgangs gehörte. War Kofer im Dienst, gab es keinerlei Beschwerden. Er war auf einen Schlag zur Legende geworden, als er ganz allein drei Drogenhändler aus Memphis verhaftete, die sich im ländlichen Ford County verfahren hatten.

War Kofer nicht im Dienst, sah es schon anders aus. Ozzie hatte Kofer mindestens zweimal eine Standpauke gehalten, nachdem ihm Berichte von Saufgelagen und Prügeleien zu Ohren gekommen waren. Kofer hatte sich tränenreich entschuldigt, versprochen, sich zusammenzureißen, und Ozzie und der Polizei Treue geschworen. Seinen Schwur hatte er gehalten.

Ozzie hatte keine Geduld mit Beamten, die Schwierigkeiten machten, und die Problemfälle waren schnell wieder weg. Kofer gehörte zu den allseits beliebten Deputys und meldete sich oft freiwillig für Einsätze in Schulen und Vereinen. Während seiner Zeit bei der Army war er in der Welt herumgekommen, ganz im Gegensatz zu seinen Kollegen, von denen die meisten eher schlichten Gemüts waren und sich nur selten einmal aus Mississippi hinausgewagt hatten. Nach außen war er ein Gewinn für die Polizeitruppe, ein geselliger Beamter, der immer ein Lächeln und einen Witz parat hatte, sich jeden Namen merkte und gern durch Lowtown ging, dem Schwarzenviertel der Stadt, zu Fuß, ohne Waffe, dafür mit Süßigkeiten für die Kinder.

In seinem Privatleben gab es Probleme, doch seine Kollegen hielten zusammen und versuchten, sie vor Ozzie zu verbergen. Tatum, Swayze und die meisten anderen Deputys kannten Kofers dunkle Seite, aber es war einfacher, sie zu ignorieren und darauf zu hoffen, dass niemand zu Schaden kam.

Ozzie warf einen Blick in den Rückspiegel und musterte Drew. Er hatte den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen und gab keinen Mucks von sich. Und obwohl der Sheriff fassungslos und wütend war, konnte er sich nur schwer vorstellen, dass der Junge ein Mörder sein sollte. Schmal, kleiner als seine Schwester, blass, schüchtern und ganz offensichtlich überfordert, hätte er auch als Zwölfjähriger durchgehen können.

Sie erreichten die dunklen Straßen von Clanton und hielten vor dem Gefängnis, das zwei Blocks vom Clanton Square, dem zentralen Stadtplatz, entfernt lag. Vor dem Haupteingang standen ein Deputy und ein Mann mit einem Fotoapparat in der Hand.

»Verdammt«, fluchte Ozzie. »Das ist Dumas Lee, oder?«

»Ja«, bestätigte Tatum. »Es hat sich wohl schon herumgesprochen. Heutzutage hören ja alle den Polizeifunk ab.«

»Ihr bleibt im Wagen.« Ozzie stieg aus und knallte die Autotür hinter sich zu. Dann marschierte er schnurstracks auf den Reporter zu und schüttelte den Kopf. »Dumas, hier gibt es nichts für Sie zu holen«, herrschte er ihn an. »Es geht um einen Minderjährigen, und Sie werden weder seinen Namen noch ein Foto von ihm bekommen. Hauen Sie ab.«

Dumas Lee war einer der beiden Polizeireporter der Ford County Times und kannte Ozzie gut. »Sheriff, können Sie bestätigen, dass ein Polizeibeamter getötet wurde?«

»Ich bestätige gar nichts. Sie haben zehn Sekunden, um von hier zu verschwinden, bevor ich Ihnen Handschellen anlege und Sie in das Gebäude vor uns befördere. Machen Sie, dass Sie wegkommen!«

Der Reporter schlich sich davon und war bald in der Dunkelheit verschwunden. Ozzie sah ihm nach, dann holten er und Tatum die beiden Jugendlichen aus dem Auto und führten sie ins Gefängnis.

»Machen wir den Papierkram gleich?«, fragte der Wärter.

»Nein, das erledigen wir später. Wir bringen sie erst mal in die Jugendzelle.«

Mit Tatum als Schlusslicht wurden Drew und Kiera durch eine vergitterte Trennwand und einen schmalen Gang hinunter zu einer dicken Metalltür geführt, in der ein kleines Fenster eingesetzt war. Nachdem der Wärter die Tür geöffnet hatte, betraten sie den leeren Raum. Es gab je zwei Stockbetten an den Wänden und eine schmutzige Toilette in der Ecke.

»Nehmen Sie ihm die Handschellen ab«, befahl Ozzie seinem Deputy. Tatum tat, wie ihm geheißen, und Drew fing an, sich die Handgelenke zu reiben. »Ihr werdet für ein paar Stunden hierbleiben.«

»Ich will zu meiner Mutter«, sagte Drew mit mehr Nachdruck, als Ozzie erwartet hatte.

»Junge, momentan hast du gar nichts zu wollen. Du bist wegen Mord an einem Polizeibeamten festgenommen worden.«

»Er hat meine Mutter umgebracht.«

»Deine Mutter ist zum Glück nicht tot. Ich werde gleich ins Krankenhaus fahren und mich erkundigen, wie es ihr geht. Wenn ich zurück bin, werde ich dir sagen, was ich weiß. Mehr kann ich nicht tun.«

»Warum bin ich im Gefängnis? Ich habe doch nichts verbrochen«, fragte Kiera.

»Das weiß ich. Du bist zu deiner eigenen Sicherheit im Gefängnis, wirst aber nicht lange hierbleiben müssen. Wenn wir dich in ein paar Stunden entlassen, wo würdest du dann hingehen?«

Kiera sah Drew an. Es war klar, dass die beiden keinen blassen Schimmer hatten.

»Habt ihr denn keine Verwandten hier in der Gegend? Tanten, Onkel, Großeltern? Irgendjemanden?«, erkundigte sich Ozzie.

Die beiden zögerten und schüttelten schließlich langsam den Kopf. Nein.

»Okay. Kiera, richtig?«

»Ja, Sir.«

»Wenn du jetzt jemanden anrufen müsstest, damit man dich abholt, wer würde das sein?«

Das Mädchen starrte auf seine Füße. »Unseren Prediger, Bruder Charles.«

»Hat Charles auch einen Nachnamen?«

»Charles McGarry. Draußen in Pine Grove.«

Ozzie dachte, er würde alle Prediger in der Gegend kennen, aber vielleicht hatte er einen übersehen. Allerdings gab es dreihundert Kirchen in Ford County. Die meisten bestanden aus kleinen, überall verstreuten Gemeinden, die sich häufig stritten, auflösten und ihre Seelsorger davonjagten. Es war unmöglich, auf dem Laufenden zu bleiben. Der Sheriff sah Tatum an und sagte: »Kenne ich nicht.«

»Ich schon. Guter Mann.«

»Rufen Sie ihn an, und bitten Sie ihn herzukommen.« Ozzie sah die beiden Jugendlichen an. »Hier seid ihr in Sicherheit. Ihr bekommt gleich etwas zu essen und zu trinken. Macht es euch bequem. Ich fahre jetzt ins Krankenhaus.« Der Sheriff holte tief Luft und versuchte, sein Mitgefühl in Zaum zu halten. Er hatte sich vorrangig um einen toten Deputy zu kümmern, und der Mörder stand direkt vor ihm. Aber die beiden wirkten so eingeschüchtert und bedauernswürdig, dass es ihm schwerfiel, an Vergeltung zu denken.

Kiera sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Ist er wirklich tot?«

»Ja, er ist tot.«

»Das tut mir leid, aber er hat unsere Mutter so oft verprügelt und uns auch.«

Ozzy hob abwehrend die Hände. »Das reicht. Wir werden euch einen Anwalt besorgen, dem ihr alles erzählen könnt. Aber bis dahin sagt ihr kein Wort mehr.«

»Ja, Sir.«

Ozzie und Tatum verließen die Zelle und knallten die Tür hinter sich zu. Als sie zum Eingang kamen, beendete der Wärter gerade ein Telefongespräch. »Sheriff, das war Earl Kofer«, rief er ihnen entgegen. »Er sagte, er hat gerade gehört, dass sein Sohn getötet wurde. Er klingt sehr mitgenommen. Ich habe so getan, als hätte ich es nicht gewusst, aber Sie müssen ihn unbedingt anrufen.«

Ozzie fluchte leise und murmelte: »Das wollte ich gerade tun. Aber ich muss ins Krankenhaus. Moss, das übernehmen Sie. Kriegen Sie das hin?«

»Nein«, erwiderte Tatum.

»Aber sicher doch. Geben Sie ihm ein paar Fakten, und sagen Sie ihm, dass ich später anrufen werde.«

»Vielen Dank auch.«

»Sie schaffen das schon.« Ozzie verließ das Gebäude durch den Haupteingang und fuhr davon.

Es war fast fünf Uhr morgens, als Ozzie den leeren Parkplatz des Krankenhauses erreichte. Er stellte den Wagen in der Nähe der Notaufnahme ab, eilte hinein und wäre fast mit Dumas Lee zusammengestoßen, der ihm einen Schritt voraus war.

»Kein Kommentar, Dumas, außer dass Sie mir gerade gewaltig auf die Nerven gehen.«

»Das ist mein Job, Sheriff. Ich suche nur nach der Wahrheit.«

»Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist.«

»Ist die Frau tot?«

»Ich bin kein Arzt. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe.«

Ozzie drückte auf den Fahrstuhlknopf und ließ den Reporter in der Lobby zurück. Im zweiten Stock warteten zwei Deputys auf ihn, die ihren Chef zum Empfang brachten. Ein junger Arzt sah sie kommen und blieb stehen. Ozzie stellte sich und die beiden Polizisten vor, alle nickten, gaben sich aber nicht die Hand. »Was können Sie uns sagen?«, fragte er.

»Sie ist noch bewusstlos, aber ihr Zustand ist stabil«, erwiderte der Arzt, ohne in eine Patientenakte zu sehen. »Der linke Kiefer ist zertrümmert und muss mit einer Operation wiederhergestellt werden, aber das ist nicht ganz so dringend. Es sieht so aus, als hätte sie nur einen Schlag auf den Kiefer und/oder das Kinn abbekommen und dann das Bewusstsein verloren.«

»Gibt es noch andere Verletzungen?«

»Eigentlich nicht. Vielleicht ein paar Blutergüsse an Handgelenken und Hals, aber nichts, was behandelt werden müsste.«

Ozzie holte tief Luft und dankte Gott, dass er nur in einem Mord ermitteln musste. »Dann wird sie also durchkommen?«

»Ihre Vitalfunktionen sind gut. Zurzeit gibt es keinen Grund, von etwas anderem als einer vollständigen Genesung auszugehen.«

»Wann wird sie aufwachen?«

»Schwer vorhersehbar, aber ich würde sagen, innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden.«

»Okay. Hören Sie, ich bin sicher, dass Sie Ihre Patientenakten mustergültig führen, aber vergessen Sie nicht, dass alles, was Sie bei der Behandlung dieser Patientin tun, vermutlich irgendwann einmal in einem Gerichtssaal begutachtet werden wird. Das sollten Sie berücksichtigen. Und machen Sie auf jeden Fall eine Menge Röntgenaufnahmen und Farbfotos.«

»Alles klar.«

»Ich lasse Ihnen einen meiner Deputys zur Unterstützung hier.«

Ozzie drehte sich um, ging zum Fahrstuhl und verließ das Krankenhaus. Auf der Fahrt zurück ins Gefängnis rief er über Funk Tatum an. Das Gespräch mit Earl Kofer war wie zu erwarten nicht gut verlaufen.

»Chef, Sie sollten ihn anrufen. Er will zum Haus fahren und sich alles selbst ansehen.«

»Okay.« Ozzie unterbrach die Verbindung, als er das Gefängnis erreicht hatte. Er hielt das Mikrofon des Funkgeräts in der Hand und starrte es an. Wie immer in diesen furchtbaren Momenten erinnerte er sich an die anderen Anrufe am späten Abend oder frühen Morgen, grausame Anrufe, die das Leben so vieler Menschen drastisch verändert oder sogar zerstört hatten. Anrufe, die er nur höchst ungern übernahm, die aber zu seinem Job dazugehörten. Ein junger Familienvater, der sich das Gesicht weggeschossen hatte und mit einem Abschiedsbrief neben sich gefunden wurde; zwei betrunkene Teenager, die aus einem Auto geschleudert wurden; ein dementer Großvater, den man nach langer Suche in einem Straßengraben entdeckt hatte. Es war mit Abstand das Schlimmste in seinem Leben.

Earl Kofer war hysterisch und wollte wissen, wer seinen »Jungen« getötet hatte. Ozzie erwiderte geduldig, er könne über Details zurzeit nicht reden, sei aber bereit, sich mit der Familie zu treffen; eine weitere seiner grauenhaften Pflichten, die nicht zu umgehen war. Nein, Earl solle auf keinen Fall zu Stuarts Haus fahren, man würde ihn sowieso nicht hineinlassen. Die Deputys dort warteten auf Ermittler des kriminaltechnischen Labors, und deren Arbeit dauere Stunden. Ozzie schlug vor, dass die Familie sich in Earls Haus versammelte, und versprach, am Vormittag vorbeizukommen. Der Vater schluchzte heftig, als es Ozzie endlich gelang, das Gespräch zu beenden.

Im Gefängnis fragte er Tatum, ob Deputy Marshall Prather verständigt worden sei. Tatum erwiderte, er sei auf dem Weg. Prather, ein erfahrener Polizist, war ein enger Freund von Stuart Kofer gewesen, seit sie zusammen in Clanton auf die Grundschule gegangen waren. Prather kam in Jeans und Sweatshirt und konnte es immer noch nicht glauben. Er folgte Ozzie in dessen Büro, wo sie sich hinsetzten, während Tatum die Tür schloss. Als Ozzie erzählte, was passiert war, konnte Prather seine Gefühle nicht verbergen. Er biss die Zähne zusammen und hielt die Hand vor die Augen, aber es war klar, dass Kofers Tod ihn sehr mitnahm.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Prather etwas sagen konnte. »Wir kennen uns seit der dritten Klasse«, stieß er hervor. Die Stimme brach ihm weg, und er ließ den Kopf hängen. Ozzie sah Tatum an, der schnell den Blick abwandte.

»Was wissen Sie über die Frau, Josie Gamble?«, fragte Ozzie schließlich.

Prather schluckte schwer und schüttelte den Kopf, als könnte er so seine Gefühle loswerden. »Ich habe sie ein-, zweimal getroffen, aber gekannt habe ich sie eigentlich nicht. Stu war, glaube ich, seit ungefähr einem Jahr mit ihr zusammen. Sie ist mit ihren Kindern bei ihm eingezogen. Sie schien ganz nett zu sein, hatte aber schon ein paar Beziehungen hinter sich. Und sie war kein unbeschriebenes Blatt.«

»Was meinen Sie damit?«

»Sie hat mal gesessen. Drogen, glaube ich. Ziemlich bewegte Vergangenheit. Stu hat sie in einer Kneipe kennengelernt, was jetzt nicht sehr überraschend ist, und sie haben sich von Anfang an gut verstanden. Er fand es nicht so gut, ihre beiden Kinder im Haus zu haben, aber sie hat ihn überredet. Im Nachhinein kann man wohl sagen, dass sie eine Bleibe brauchte und er ein paar Gästezimmer hatte.«

»Was hat er an ihr gefunden?«

»Sheriff, bitte. Die Frau sieht nicht schlecht aus, eigentlich ist sie sogar recht hübsch. Enge Jeans stehen ihr verdammt gut. Sie kennen doch Stu – immer auf der Jagd, aber komplett beziehungsunfähig.«

»Und die Trinkerei?«

Prather nahm seine verschlissene Baseballkappe ab und kratzte sich am Kopf.

Ozzie machte ein finsteres Gesicht und beugte sich vor. »Ich habe Sie etwas gefragt, Marshall, und ich erwarte eine Antwort. Eine Vertuschung unter Kollegen, bei der Sie wegsehen und sich dumm stellen, kann ich jetzt nicht gebrauchen. Antworten Sie.«

»Ich weiß nicht viel, Chef, das schwöre ich. Ich habe vor drei Jahren mit dem Trinken aufgehört und gehe nicht mehr in Kneipen. Ja, Stu hat zu viel getrunken, und ich glaube, es ist immer schlimmer geworden. Ich habe mit ihm darüber geredet, zweimal. Er sagte, dass er es im Griff hat, aber das sagen alle Säufer. Ein Cousin von mir zieht immer noch um die Häuser, und er hat mir erzählt, dass Stu immer öfter in Prügeleien verwickelt war, was nicht gerade das war, was ich hören wollte. Anscheinend hat er auch viel gezockt, im Huey’s, unten am See.«

»Und Sie waren nicht der Meinung, dass ich das wissen sollte?«

»Sheriff, bitte. Ich habe mir Sorgen gemacht. Deshalb habe ich ja mit Stu darüber geredet. Und das wollte ich wieder tun, das schwöre ich.«

»Schwören Sie lieber nicht. Einer meiner Deputys säuft wie ein Loch, prügelt sich durch die Kneipen, sitzt mit zwielichtigen Gestalten am Spieltisch und schlägt nebenbei bemerkt auch noch seine Freundin, und Sie dachten, das geht mich nichts an?«

»Ich dachte, Sie wüssten es.«

»Wir haben es gewusst«, warf Tatum ein.

»Wie bitte?«, fuhr Ozzie ihn an. »Ich höre zum ersten Mal davon.«

»Vor einem Monat gab es einen Bericht dazu. Sie hat mitten in der Nacht den Notruf gewählt und gesagt, dass Stu randaliert. Wir haben einen Wagen mit Pirtle und McCarver zum Haus geschickt, die erst mal für Ruhe gesorgt haben. Die Frau war offensichtlich verprügelt worden, weigerte sich aber, Anzeige zu erstatten.«

Ozzie war außer sich vor Wut. »Davon weiß ich nichts, und den Papierkram habe ich auch nie gesehen. Was ist damit passiert?«

Tatum sah Prather an, der den Blick nicht erwiderte, und zuckte dann mit den Schultern. »Es gab keine Festnahme, nur einen Einsatzbericht. Er ist wohl verlegt worden. Ich weiß es nicht, Sheriff, ich hatte nichts damit zu tun.«

»Ich bin sicher, dass niemand etwas damit zu tun hatte. Wenn ich überall suchen und jedem einzelnen Mann meiner Truppe auf den Zahn fühlen würde, würde ich garantiert niemanden finden, der etwas damit zu tun hatte.«

Prather starrte ihn zornig an. »Dann ist Stu Ihrer Meinung nach selbst schuld daran, dass er erschossen wurde, sehe ich das richtig, Sheriff? Sie geben dem Opfer die Schuld?«

Ozzie lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Drew lag zusammengerollt auf dem unteren Stockbett, die Knie an der Brust, den Kopf auf einem alten Kissen, und hatte eine dünne Decke über sich gezogen. Er starrte die dunkle Wand an. Seit Stunden hatte er kein Wort mehr gesagt. Kiera saß am unteren Ende des Betts. Eine Hand lag unter der Decke auf den Füßen ihres Bruders, die andere spielte mit ihren langen Haaren, während sie darauf warteten, was als Nächstes passieren würde. Hin und wieder hörten die beiden Stimmen im Gang, doch sie wurden stets leiser und verschwanden dann.

In der ersten Stunde hatten sie und Drew über das Offensichtliche geredet – den Gesundheitszustand ihrer Mutter und die überraschende Mitteilung, dass sie überlebt hatte, und dann Stus gewaltsames Ende. Beide waren froh, dass er tot war, und hatten Angst, aber keine Schuldgefühle. Stu hatte nicht nur ihre Mutter, sondern auch Drew und Kiera verprügelt und ihnen wiederholt gedroht. Der Albtraum war vorbei. Sie würden nie wieder mit anhören müssen, wie ihre Mutter von einem betrunkenen Schläger misshandelt wurde.

Dass sie in einer Zelle saßen, war jetzt unwichtig. Einen Ersttäter hätten die einfachen, unhygienischen Verhältnisse vielleicht gestört, aber die beiden hatten schon Schlimmeres gesehen. Drew hatte einmal vier Monate in einem anderen Bundesstaat in einer Jugendstrafanstalt gesessen. Und Kiera hatte man erst letztes Jahr zwei Tage lang eingesperrt, in einer Art Schutzgewahrsam. Gefängnis konnte man überleben.

Die kleine Familie zog ständig um, und daher stellte sich die Frage, wo sie jetzt hinsollten. Sobald sie wieder mit ihrer Mutter zusammen waren, wollten sie den nächsten Schritt planen. Sie kannten einige von Stus Verwandten, hatten sich aber nie willkommen gefühlt. Stu hatte sich gern damit gebrüstet, dass sein Haus nicht mit einer Hypothek belastet war, da er es von seinem Großvater geerbt hatte. Aber im Grunde genommen war es nichts Besonderes. Es war schmutzig und reparaturbedürftig, und wenn Josie geputzt und aufgeräumt hatte, war das bei Stu immer auf Ablehnung gestoßen. Die beiden waren sicher, dass sie das Haus nicht vermissen würden.

In der zweiten Stunde hatten sie Vermutungen darüber angestellt, wie viel Ärger Drew drohte. Für sie war es schlicht und einfach Notwehr gewesen, eine Frage des Überlebens, Vergeltung. Drew war die Tat in Gedanken noch einmal durchgegangen, Schritt für Schritt, zumindest das, was ihm im Gedächtnis geblieben war. Es war alles so schnell passiert, und er konnte sich nur verschwommen erinnern. Stu, der mit hochrotem Gesicht und offenem Mund auf dem Bett lag und schnarchte, als hätte er sich seinen Schlaf redlich verdient. Stu, der nach Alkohol stank. Stu, der jeden Moment aufwachen und die beiden verprügeln konnte, nur so zum Spaß.

Der stechende Geruch von verbranntem Schießpulver. Ein roter Blitz aus Blut und Gehirnmasse, der Kissen und Wand getroffen hatte. Stus Augen, die sich nach dem Schuss geöffnet hatten.

Nach ein paar Stunden war Drew immer ruhiger geworden. Er hatte die Decke bis zum Kinn gezogen und gesagt, er sei müde und wolle nicht mehr reden. Dann hatte er sich langsam zusammengerollt und wieder die Wand angestarrt.

3

Im Gefängnis wimmelte es nur so von Deputys, die gerade keinen Dienst hatten, Beamten der Stadtpolizei von Clanton und diversen anderen Angestellten, von denen einige für die Polizeibehörde arbeiteten, andere nicht. Sie rauchten, tranken Kaffee, verspeisten trocken gewordenes Gebäck und unterhielten sich mit gedämpfter Stimme über ihren toten Kollegen und die Risiken ihres Berufs. Ozzie saß in seinem Büro und telefonierte mit der State Police und der Spurensicherung, damit er sich vor den Anrufen von Reportern, Freunden und Fremden drücken konnte.

Als Reverend Charles McGarry kam, wurde er in das Büro des Sheriffs geführt, wo er Ozzie die Hand schüttelte und sich setzte. Ozzie berichtete ihm die Details und erklärte, Kiera habe um seinen Besuch gebeten. Sie habe angegeben, keine Angehörigen in der Gegend zu haben, und wisse nicht, wo sie unterkommen könne. Sie sei mit ihrem Bruder zusammen in einer Zelle, doch Ozzie gehe nicht davon aus, dass Anklage gegen sie erhoben werde. Es gebe zwei weitere Jugendzellen, aber die seien belegt, außerdem sei es nicht notwendig, das Mädchen noch länger im Gefängnis zu behalten.

Der Prediger war erst sechsundzwanzig und gab sein Bestes für seine ländliche Kirchengemeinde. Ozzie hatte sie während des Wahlkampfs besucht, allerdings hatte sie damals noch unter der Leitung eines anderen Geistlichen gestanden. McGarry schien ein netter junger Mann zu sein, doch die Situation überforderte ihn sichtlich. Er war erst vor vierzehn Monaten von der Good Shepherd Bible Church eingestellt worden, seine erste Stelle nach Abschluss des Priesterseminars. Nachdem Tatum ihm eine Tasse Kaffee gebracht hatte, erzählte er, was er von den Gambles wusste: Josie war mit ihren beiden Kindern vor etwa sechs Monaten zum ersten Mal bei ihm gewesen, nachdem ein Mitglied der Kirchengemeinde ihm gegenüber erwähnt hatte, dass sie vielleicht Hilfe brauchten. Daraufhin war er an einem Abend unter der Woche zu ihrem Haus gefahren und von Stuart Kofer sehr unhöflich behandelt worden. Beim Gehen hatte er Josie zum Sonntagsgottesdienst eingeladen. Sie und ihre Kinder waren ein paarmal gekommen, aber sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass Kofer die Kirchgänge nicht gern sehe. McGarry hatte sie ohne Kofers Wissen zweimal seelsorgerisch beraten und war fassungslos gewesen, als sie ihm von ihrer Vergangenheit erzählt hatte. Josie hatte beide Kinder im Teenageralter bekommen, wegen Drogenbesitz im Gefängnis gesessen und jede Menge Fehler gemacht, aber hoch und heilig versprochen, das alles liege jetzt hinter ihr. Während ihrer Zeit hinter Gittern war eines ihrer Kinder bei Pflegeeltern und das andere in einem Waisenhaus untergebracht gewesen.

»Können Sie das Mädchen irgendwo hinbringen, wo es sicher ist?«, fragte Ozzie.

»Natürlich. Kiera kann fürs Erste bei uns bleiben.«

»Sie haben Familie?«

»Ja. Meine Frau und ich haben ein kleines Kind und erwarten gerade unser zweites. Wir wohnen im Pfarrhaus neben der Kirche. Es ist nicht groß, aber wir finden schon noch Platz für Kiera.«

»In Ordnung. Sie können sie mitnehmen, aber sie darf die Gegend nicht verlassen. Unser Ermittler wird mit ihr reden wollen.«

»Kein Problem. Wie viel Ärger droht Drew?«

»Eine Menge. Er wird das Gefängnis auf absehbare Zeit nicht verlassen, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Drew wird in der Jugendzelle bleiben, und ich bin sicher, dass ihm das Gericht in ein oder zwei Tagen einen Anwalt zuweisen wird. Bis dahin werden wir nicht mit ihm reden. Der Fall scheint klar zu sein. Er hat seiner Schwester gegenüber zugegeben, Kofer erschossen zu haben. Weitere Verdächtige gibt es nicht. Er hat eine Menge Ärger, Reverend.«

»Okay, Sheriff. Vielen Dank für Ihr Verständnis.«

»Keine Ursache.«

»Und mein Beileid wegen Ihres Deputys. Es ist schwer zu glauben.«

»Allerdings. Lassen Sie uns in die Zelle rübergehen und das Mädchen holen.«

McGarry folgte Ozzie und Tatum durch den mit Besuchern vollgestopften Empfangsbereich, in dem schlagartig die Gespräche verstummten. Der Prediger wurde feindselig angestarrt, als hätte er sich bereits dem gegnerischen Team angeschlossen. Er war gekommen, um der Familie des Mörders Beistand zu leisten. Doch angesichts der ungewohnten Umgebung und der noch ungewohnteren Situation begriff McGarry nicht, was die Blicke zu bedeuten hatten.

Der Wärter schloss die Tür der Zelle auf, und sie traten ein. Kiera zögerte, als wüsste sie nicht, wie sie reagieren sollte, dann stand sie auf und rannte zu McGarry. Er war das erste vertraute Gesicht seit Stunden. Der Prediger nahm sie in den Arm, strich ihr über die Haare, flüsterte, dass er gekommen sei, um sie mitzunehmen, und dass es ihrer Mutter bald besser gehen werde. Das Mädchen klammerte sich an ihn und begann, laut zu schluchzen. Als die Umarmung nicht enden wollte, warf Ozzie seinem Deputy einen Blick zu.

Junge, jetzt mach schon.

Drew, der immer noch auf dem unteren Stockbett lag, war fast völlig unter seiner Decke verschwunden und hatte sich nicht gerührt, seit die Männer eingetreten waren. Schließlich gelang es McGarry, Kiera ein paar Zentimeter von sich wegzuschieben. Er versuchte, dem Mädchen die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, doch sie rollten unablässig über ihre Wangen.

»Ich nehme dich jetzt mit«, sagte McGarry noch einmal, und Kiera versuchte zu lächeln. Er warf einen Blick auf das Stockbett. Von Drew war nicht viel zu erkennen. Der Prediger sah Ozzie an und fragte: »Kann ich kurz mit ihm reden?«

Der Sheriff schüttelte energisch den Kopf. »Wir sollten jetzt besser gehen.«

McGarry nahm Kiera am Arm und schob sie aus der Zelle hinaus auf den Gang. Sie unternahm keinen Versuch, noch einmal mit Drew zu sprechen, der allein in seiner dunklen Welt zurückgelassen wurde, als die Tür ins Schloss fiel. Ozzie führte sie durch einen Nebeneingang auf den Parkplatz. Als McGarry und Kiera in den Wagen des Predigers stiegen, kam Deputy Swayze zu ihnen gelaufen und flüsterte dem Sheriff etwas ins Ohr.

Ozzie nickte. Dann ging er zu McGarrys Auto. »Das Krankenhaus hat gerade angerufen«, sagte er. »Josie Gamble ist aufgewacht und fragt nach ihren Kindern. Ich fahre jetzt rüber. Sie können gern mitkommen und dort warten.«

Ozzie trat das Gaspedal durch und dachte insgeheim, dass er vielleicht den ganzen Tag damit verbringen würde, von einem Brennpunkt zum anderen zu rasen, während diese fürchterliche Geschichte ihren Lauf nahm. Als er ein Stoppschild ignorierte, fragte Tatum: »Soll ich fahren?«

»Ich bin der Sheriff, und die Sache ist wichtig. Wer sollte sich beschweren?«