Der Ruhm des Highlanders - Lynsay Sands - E-Book

Der Ruhm des Highlanders E-Book

Lynsay Sands

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Kampf um Ehre und Liebe

Graeme Gunn ist ein Krieger durch und durch und hat die letzten Jahre damit verbracht, sich als Söldner zu verdingen. Doch als sein älterer Bruder William stirbt, kehrt er heim, um den Titel des Clanführers anzunehmen. Womit er nicht gerechnet hat: Annella Mackay. Die junge, hübsche Witwe seines Bruders ist so ganz anders, als er sie in Erinnerung hatte. Denn nachdem ihr Mann William sie direkt nach der Hochzeit im Stich ließ, übernahm Annella die Führung des Clans. Nun will sie für ihre zweite Chance auf wahre Liebe an die Burg ihrer Eltern zurückkehren, weshalb sie die plötzliche Anziehung zu dem ungehobelten, aber leider unverschämt attraktiven Graeme gar nicht gebrauchen kann. Ganz gleich, wie sehr seine Küsse ihre Knie weich werden lassen ...

»Dieses Buch hat alle Elemente, die mich zu einem Fan von Lynsay Sands gemacht haben!« FLIPPIN’ PAGES BOOK REVIEWS

Ein weiteres Abenteuer voller Sinnlichkeit und Gefahr in den Highlands

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 493

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Epilog

Die Autorin

Die Bücher von Lynsay Sands bei LYX

Impressum

LYNSAY SANDS

Der Ruhm des Highlanders

Roman

Ins Deutsche übertragen von Susanne Gerold

Zu diesem Buch

Graeme Gunn ist ein Krieger durch und durch und hat die letzten Jahre damit verbracht, sich als Söldner zu verdingen. Als sein älterer Bruder William stirbt, kehrt er heim, um dessen Titel als Clanführer anzunehmen. Womit er nicht gerechnet hat: Annella Mackay, die hübsche Witwe seines Bruders. Sie ist keinesfalls mehr die zartbesaitete Lady, die er in Erinnerung hatte. Denn nachdem ihr Mann William sie schon kurz nach der Hochzeit im Stich ließ, übernahm Annella die Führung des Clans. Doch nun hat die junge Frau eigene Träume für ihre Zukunft – sie wünscht sich, endlich die wahre Liebe zu finden. Dafür will sie an die Burg ihres Vaters zurückkehren. Aber als ein Feind aus dem Verborgenen versucht, ihnen zu schaden, müssen Graeme und Annella gemeinsam für die Sicherheit ihres Clans kämpfen – und zwischen ihnen entflammt eine Leidenschaft, der sie nur schwer widerstehen können. Und obwohl Graemes Küsse ihre Knie weich werden lassen, steht der ungehobelte, und leider unverschämt attraktive, Highlander zwischen Annella und ihren Plänen …

1

»Kann man sich irgendwo auf Gunn ungestört unterhalten?«

Graeme war gerade dabei, die Tür zum Burgfried zu öffnen, hielt aber inne und drehte sich überrascht zu Payton MacKay um. »Ungestört?«

»Aye. Ich möchte meiner Schwester die Nachricht an einem Ort überbringen, an dem ich allein mit ihr sprechen kann«, erklärte er. Dann fügte er hinzu: »Es wird Annella peinlich sein, wenn sie vor Trauer über den Verlust ohnmächtig wird oder anfängt zu heulen, während ich ihr alles erzähle. Deshalb wäre es besser, es ist niemand in der Nähe.«

»Ah.« Graeme nickte verständnisvoll, während er abwechselnd die beiden Männer hinter Payton MacKay musterte. Wenig überraschend fühlten auch Symon und Teague sich offenbar unwohl bei dem Gedanken an eine weinende Frau, genauso wie er selbst. Die beiden Krieger kannte er mittlerweile seit Jahren, denn sie heuerten immer zu dritt bei demjenigen an, der sie gerade brauchte und bezahlen konnte. Auf diese Weise waren sie durch den größten Teil Schottlands und weiter entfernte und exotischere Gegenden gereist. Was allerdings zur Folge hatte, dass keiner von ihnen an den Umgang mit jemandem vom anderen Geschlecht gewöhnt war. Zumindest nicht, wenn es sich dabei um zartbesaitete Ladys handelte. Die Krieger waren eher an Marketenderinnen und Schenkenhuren gewöhnt, die sich lieber die Augen ausgekratzt hätten als zuzulassen, dass sich Tränen darin sammelten. Starke Frauen, die ums Überleben gekämpft hatten und bis ans Ende ihrer Tage weiterkämpfen würden. Frauen, die ihre Situation mit Tränen und Wehklagen kaum verbessern konnten, weshalb sie sich mit so etwas auch nicht aufhielten. Im Gegensatz zu den Ladys, die offensichtlich dazu neigten, das zu tun.

Zumindest hatte Payton behauptet, dass Ladys so waren. Während ihrer gemeinsamen Reise in den vergangenen sechs Monaten hatte er seine Kameraden sogar recht häufig mit Bemerkungen darüber unterhalten, wie süß und empfindsam seine beiden Schwestern Kenna und Annella waren. Und es war auch offensichtlich geworden, dass er sich Sorgen machte, wie Annella reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass sie jetzt Witwe war. Payton schien zu befürchten, dass diese Nachricht ihr empfindsames Gemüt zutiefst verletzen könnte.

Nachdem Graeme einen bedeutungsvollen Blick mit Symon und Teague gewechselt hatte, sah er Payton wieder an. »Hinter dem Burgfried gibt es einige Gärten. Im Gemüse- und Obstgarten nahe bei der Küche sind oft Leute, aber es gibt auch einen Blumengarten, der für dein Vorhaben geeigneter ist.«

»Schön«, sagte Payton, aber es war offensichtlich, dass er nicht besonders wild darauf war, die vor ihm liegende Aufgabe anzugehen. Graeme verstand das sehr gut. Auch er war nicht erpicht darauf, seinen Eltern die Neuigkeit zu überbringen. Sein Vater würde sie zweifellos wie ein Mann aufnehmen, aber seine Mutter …

Graeme wehrte sich dagegen, über ihre Reaktion auch nur nachzudenken. William war schon immer ihr Lieblingssohn gewesen, ihr kleiner Engel. Sie würde zweifellos in Ohnmacht fallen und mindestens drei Tage lang mit Annella weinen und wehklagen.

Er schüttelte bei dem Gedanken den Kopf. Dann öffnete er die Tür zum Burgfried und trat ins Innere, gefolgt von seinen drei Kameraden.

»Verflucht, Raynard! Ich bekomme noch Kopfschmerzen von deinem Gebrüll. Wenn du nicht sofort damit aufhörst, schlage ich dich bewusstlos, das schwöre ich dir!«

Graeme ging langsamer, während er sich umsah und nach dem Ursprung dieser Worte suchte. Es war die Stimme einer Frau, aber mit einem seltsamen Akzent, einer Mischung aus Schottisch und Englisch. Ein bisschen hörte sie sich an wie Payton, der einen schottischen Vater und eine englische Mutter hatte. Er klang immer so, als wäre er niemals das eine und niemals das andere richtig, aber –

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als er eine Gruppe von Männern sah, die sich um den einzigen Tisch im Raum versammelt hatten. Als zwei der Männer sich bewegten, erhaschte er einen Blick auf eine Frau. Allerdings sah er nur kurz ihren Rücken, bevor die Männer ihm wieder die Sicht verstellten. Zurück blieb der Eindruck einer kleinen, wohlgestalten Frau in einem dunklen Kleid, der das lange blonde Haar offen über den Rücken fiel. Und dieses Bild passte so ganz und gar nicht zu den Worten, die er soeben vernommen hatte.

»Hör auf, mich mit dieser verdammten Nadel zu stechen, und ich höre auf zu brüllen!«, schrie ein Mann mit tiefer Stimme zurück.

»Es geschähe dir nur recht, wenn ich aufhören und dich verbluten lassen würde, du großer Trottel. Ich habe dir schon oft gesagt, dass du nicht so viel trinken sollst, wenn du nicht irgendwann durch einen deiner Stürze zu Tode kommen willst. Und jetzt sieh dich an! Du liegst schon wieder hier auf dem Tisch und musst zusammengeflickt werden, weil du bewusstlos geworden und in dein eigenes Messer gefallen bist.«

»Zur Hölle bin ich das!« Der Mann klang ausgesprochen wütend über ihre Bemerkung. »Ich habe doch gesagt, dass jemand auf mich eingestochen haben muss!«

Von der Frau kam ein scharfes, ungläubiges Schnauben. Und dann die Frage: »Und wo ist das Messer?«

Neugierig trat Graeme zu den beisammenstehenden Männern. Er nahm nur undeutlich wahr, dass Payton und die anderen ihm folgten, da seine Aufmerksamkeit ganz auf die Klinge gerichtet war, die plötzlich von einem Mann im hinteren Teil der Gruppe hochgehalten wurde. Sie wurde von den vor ihm stehenden Männer zu der Frau weitergereicht, die danach gefragt hatte. Er hatte jetzt freie Sicht auf die blonde Frau und sah, wie sie das Messer als Letzte in die Hand nahm.

Sein Blick wanderte über die Klinge, die sie jetzt hoch über ihren Kopf hielt. Blut klebte daran, aber auch die Reste eines zermatschten und ebenfalls blutverschmierten Apfels.

»Das hier ist dein eigenes verdammtes Messer, Raynard. Ein Teil deines Apfels hängt noch daran.« In ihrer Stimme schwang Empörung mit.

»Nein, ich –«

»Drei Leute haben gesehen, wie du hingefallen bist«, sprach die Frau ungeduldig weiter. »Allerdings waren sie hinter dir und wussten daher nicht, dass du auf dein Messer gefallen bist, deshalb haben sie dich einfach deinen Rausch ausschlafen lassen. Erst bei Sonnenaufgang hat jemand die Blutlache um dich herum bemerkt und dich zu mir gebracht, damit ich deine Wunde vernähe. Also hör jetzt endlich auf herumzubrüllen und lass mich meine Arbeit machen, bevor du doch noch verblutest.«

Raynard schien mit Anweisungen nicht gut klarzukommen. Kaum beugte sich die Lady über ihn, um sich weiter seiner Verletzung zu widmen, wehrte er sich wieder, schrie und veranstaltete einen Höllenlärm.

»Soll ich ihm eine verpassen, damit er nicht mehr bei Bewusstsein ist, Lady Annella?«, fragte einer der Männer, die dabei halfen, den aufgebrachten Raynard festzuhalten. Er musste ebenfalls schreien, um angesichts des Lärms gehört zu werden.

Lady Annella schüttelte den Kopf, und als Raynard kurz aufhörte zu brüllen, sagte sie in die eintretende Stille: »Die Köchin bringt mir etwas, das ihn schlafen lassen wird.«

»Ich will aber nicht schlafen!« brüllte Raynard sofort.

»Das interessiert mich nicht!«, brüllte Lady Annella zurück. Graeme musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut zu lachen. Doch dann verging ihm das Lachen, als er bemerkte, wie schwer es den sechs Männern fiel, Raynard niederzudrücken.

Graeme begann sich ernsthaft Sorgen zu machen, dass sich der Mann tatsächlich freikämpfen und Lady Annella einen Schlag versetzen könnte. In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Küche, und eine kleine, rundliche, grauhaarige Frau kam mit einem Topf in der Hand zu ihnen.

»Die Köchin«, murmelte Graeme leise voller Zuneigung.

»Was?«, fragte Payton MacKay, aber offensichtlich war er nicht ganz bei der Sache.

Graemes Miene veränderte sich, als er eine Augenbraue hochzog und ihn fragend ansah. »Habe ich richtig gehört? Hat einer der Männer diese Frau gerade Lady Annella genannt?«

»Aye«, bestätigte Payton mit einem leichten Stirnrunzeln.

Jetzt war es an Symon, sich einzumischen und mit amüsierter Stimme zu fragen: »Aber doch nicht etwa Lady Annella Gunn, deine Schwester und Graemes Schwägerin?«

»Aye«, knurrte Payton, der jetzt leicht verärgert wirkte.

»Ebendiese Schwester, von der du in den vergangenen sechs Monaten immer wieder behauptet hast, sie sei lieblich, gütig und zartbesaitet?«

Payton öffnete schon den Mund, um zu antworten, aber dann besann er sich und stand einfach nur da, während er mit zusammengezogenen Brauen seine Schwester betrachtete.

Neugierig geworden drehte Graeme sich um und sah, wie die Köchin sich zwischen den Männern beim Tisch hindurchschob und zu der blonden Frau trat, der sie dann den Topf reichte.

Graeme hatte vermutet, dass sich darin eine Art Medizin befinden würde, die den Mann einschlafen ließ, aber die Köchin hielt den Topf so schräg, dass er leer sein musste. Anscheinend war der Topf selbst es, der dabei helfen sollte, den Mann schlafen zu legen, denn in diesem Moment drehte Annella sich zu dem immer noch klagenden Raynard um und schlug ihm den Topf mit aller Kraft gegen den Kopf. Der eben noch streitsüchtige Mann verlor sofort das Bewusstsein, und Annella gab der Köchin den Topf mit einem gemurmelten »Danke, Millie« zurück. Dann machte sie sich daran, die Wunde ihres Patienten zu nähen.

Graeme machte abrupt auf dem Absatz kehrt und lief hastig an Symon und Teague vorbei den Weg zurück, den sie gekommen waren. Obwohl er sich beeilte, schaffte er es nur gerade eben so aus dem Burgfried, ehe er das Lachen nicht länger unterdrücken konnte und laut losprustete.

Annella beendete die letzte Naht und strich ein wenig Salbe auf die Stelle, bevor sie sich aufrichtete. Unverzüglich schoss Schmerz in ihren unteren Rücken, als ihr Körper ihr kundtat, dass sie sich zu lange vornübergebeugt hatte. Sie hatte damit gerechnet und rieb sich geistesabwesend den schmerzenden Rücken, während sie einen Befehl murmelte. Sofort machten sich einige Männer daran, den bewusstlosen Raynard in eine sitzende Position zu bringen. Sobald er aufrecht saß, streckten sie seine Arme in die Höhe, und Annella begann, seinen Brustkorb mit sauberen Streifen Leinen zu verbinden. Nicht nur sie seufzte erleichtert, als sie schließlich fertig war und Raynard wieder auf den Tisch gelegt wurde.

Einen Moment standen alle da und starrten den Mann ratlos an. Sie konnten ihn nicht auf dem Tisch liegen lassen. Raynard würde ganz sicher im Weg sein, wenn die Burgbewohner aufwachten und frühstücken wollten.

»Sollen wir ihn zu den Unterkünften bringen?«, fragte Angus schließlich.

Annella hörte auf, sich den Rücken zu reiben, und betrachtete mit missbilligender Miene den bewusstlosen Mann. Dann nickte sie. »Aye. Bringt ihn zu den Unterkünften. Aber jemand soll bei ihm bleiben. Er darf erst aufstehen, wenn ich es sage.«

Angus nickte als Zeichen, dass er verstanden hatte, und sie begann, ihre Instrumente und Heilmittel einzusammeln.

»Das kann ich für Euch tun, Mylady.«

Annella drehte sich überrascht zu ihrer Zofe Florie um, die sich an den Männern vorbeischob, die Raynard wegtrugen. Kaum war sie bei Annella angekommen, nahm sie ihr die Gegenstände ab, die sie bereits in die Hand genommen hatte. Annella war so verblüfft, dass sie sie gewähren ließ.

»Wieso bist du schon auf?«, fragte sie, als die Zofe augenblicklich begann, die Gegenstände in der Tasche zu verstauen, in der sie gewöhnlich aufbewahrt wurden. Florie hatte auf einer Pritsche in Annellas Zimmer geschlafen, als eine Dienerin geklopft und verkündet hatte, dass die schwangere Liddy im Dorf ihr Baby bekam. Annella hatte sich keine Sorgen gemacht, dass ihre Zofe sich bei dem Lärm noch nicht einmal gerührt hatte. Florie schlief eigentlich immer tief und fest und war schwer zu wecken, aber dieses Mal kam hinzu, dass sie ihr die ganze vergangene Nacht geholfen hatte, den erkrankten Schmied zu versorgen. Annella hatte sich daher entschieden, ihre Zofe diese Nacht schlafen zu lassen. Weshalb sie umso überraschter war, als diese plötzlich in der Halle auftauchte.

»Es ist bereits Morgen«, erklärte Florie trocken und machte dabei eine ausschweifende Geste durch die Große Halle.

Annella sah sich um und bemerkte, dass beinahe alle Tische und Bänke wieder aufgestellt worden waren. Während einige Bedienstete und Soldaten noch mit den letzten beschäftigt waren, nahmen andere bereits ihre Plätze ein. Einige Leute in Annellas Nähe warteten offenbar darauf, dass sie ging, damit sie sich an den Tisch setzen konnten, auf dem Raynard noch kurz zuvor gelegen hatte.

»Mist«, sagte Annella leise. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass es bereits so spät war. Im Gegenteil, sie hatte gehofft, sich noch eine Stunde oder auch etwas länger hinlegen zu können, bevor der Tag begann. Es sah allerdings nicht danach aus.

»Kommt.« Florie schloss die Tasche mit den Instrumenten und Heilmitteln, nahm sie in die eine Hand und griff mit der anderen nach Annellas Arm, um sie vom Tisch wegzuziehen. »Ab ins Bett mit Euch.«

»Nein.« Annella versuchte, sich aus Flories Griff zu befreien. »Es ist Morgen, und ich habe heute viel zu tun.«

Florie sah sie mit einer Spur Verzweiflung an. »Ihr seid die ganze Nacht auf gewesen, und letzte Nacht ebenfalls. Ihr müsst Euch ausruhen, Mylady, sonst werdet Ihr noch selbst krank, und was sollen wir dann tun?«

Diese Worte ließen Annella zögern, aber schließlich schüttelte sie den Kopf. »Heute ist Markt im Dorf, und ich muss einiges für Millie besorgen, damit sie weiter für uns kochen kann. Wir brauchen außerdem Seife und Kerzen und –« Sie unterbrach sich, als sie sah, wie Florie zu einer Antwort ansetzte, die zweifellos ein Einwand werden sollte. Als ihre Zofe zögerte, weil sie offensichtlich nicht überzeugt war, fügte Annella hinzu: »Ich werde heute Abend früh zu Bett gehen und morgen später aufstehen, um den versäumten Schlaf nachzuholen. Das verspreche ich.«

Florie wirkte nicht wirklich glücklich darüber, aber sie erhob keine weiteren Einwände und ließ Annellas Arm los. »Ich bringe Eure Tasche nach oben in Euer Zimmer. Ihr könnt Euch schon einmal an den Tisch setzen. Die Köchin hat bereits etwas zu essen und zu trinken zubereitet, damit Ihr sofort frühstücken könnt. Zweifellos wartet sie nur darauf, dass Ihr Euch hinsetzt, damit sie es bringen kann.«

»Danke«, murmelte Annella und eilte zum Hohen Tisch. Sie hatte fast den Platz erreicht, auf dem sie normalerweise saß, als ihr bewusst wurde, dass er nicht frei war, wie sie es erwartet hatte. Eigentlich war der Hohe Tisch der Familie des Lairds sowie geehrten Gästen und hochrangigen Soldaten vorbehalten, aber Gaufrid, der alte Laird, verließ sein Zimmer überhaupt nicht mehr, und Eschina, Lady Gunn, stand niemals früh auf. Das bedeutete, es blieben nur noch Annellas jüngster Schwager Dauid, der zurzeit gar nicht da war, und die hochrangigen Soldaten – aber die hatten Raynard weggetragen und konnten noch nicht zurückgekehrt sein.

Einen Moment lang dachte sie, Dauid wäre möglicherweise wieder zurückgekehrt und ihre Schwiegermutter zur Abwechslung einmal früh aufgestanden. Kein Gedanke, der sie besonders froh stimmte. Dabei hatte Annella nicht wirklich etwas gegen Dauid. Er konnte nur manchmal einfach lästig sein und neigte dazu, ihr wie ein Hündchen überallhin zu folgen. Seine Mutter allerdings war eine gehässige alte Schachtel, die sich darin gefiel, alle unglücklich zu machen, die das Pech hatten, ihr zu begegnen. Annella hatte es zu einer Kunstform gemacht, jeden Kontakt mit ihr zu vermeiden, und sie war darin in den vergangenen sechs Jahren ziemlich gut geworden. Selbst jetzt suchte ihr Verstand nach einer Möglichkeit, wie sie ihr aus dem Weg gehen konnte. Ein Blick zum Hohen Tisch verriet ihr jedoch, dass dort gar nicht ihre Schwiegermutter saß, sondern vier Männer, die sie nicht kannte. Alle waren groß von Statur, und der Schmutz und Staub von mindestens einer Woche bedeckten ihre langen Haare, die Kleidung und sogar ihre Haut.

Gästealso, dachte sie. Jetzt fiel ihr auch ein, dass Lady Gunn angedeutet hatte, dass sie Verwandte von sich erwarten würde. Annella wusste nur nicht mehr genau, zu welchem Zeitpunkt Lady Gunn mit ihnen rechnete. Sie war davon ausgegangen, dass sie mehrere Wochen zur Verfügung haben würde, um die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen. Das schien nicht der Fall zu sein, da es sich bei diesen Männern, die gerade erst nach einer langen Reise angekommen waren, um jene Verwandte handeln musste. Zweifellos waren sie müde und hungrig, brauchten etwas zu trinken und zu essen, ein Bad und ein Bett – und zwar in genau dieser Reihenfolge. Sie lächelte die Männer zur Begrüßung an, während sie zum Tisch trat und im Stillen darüber nachdachte, wo sie die Männer unterbringen würde.

»Willkommen, Gentlemen, ich bin –«

»Annella«, sagte der Mann, der ihr am nächsten war und sich wie die anderen drei von seinem Platz erhoben hatte.

»Aye«, bestätigte Annella überrascht, auch wenn vermutlich kein Grund dafür bestand. Sicherlich wussten diese Verwandten, dass sie vor sechs Jahren mit William Gunn verheiratet worden war. »Und Ihr seid die Verwandten von Lady Gunn, die wir erwartet haben –«

»Annella«, wiederholte der Mann, aber dieses Mal klang er eindeutig ungehalten. »Ich bin es.«

Sie schluckte hinunter, was sie noch hatte sagen wollen, und starrte den Mann an. Irgendetwas an seinen Augen kam ihr vertraut vor. Doch seine Haut war so voller Schmutz und Staub, und darüber hinaus wurde sein Gesicht zum größten Teil von einem buschigen Bart und einem Schnäuzer verdeckt, dass sie einfach nicht darauf kam …

»Sieht so aus, als würde deine Schwester dich nicht erkennen«, stellte einer seiner Begleiter amüsiert fest. Er war einen oder zwei Zoll kleiner als die anderen drei, hatte aber genauso breite Schultern und ebenso muskulöse Arme. Seine Haare schienen dunkler als die seiner Freunde zu sein, allerdings waren sie womöglich auch einfach nur schmutziger. Sie konnte es nicht erkennen. Einzig die Augen waren nicht von Staub und Schmutz bedeckt und von einem so dunklen Braun, dass sie beinahe schwarz wirkten.

»Und da haben wir uns sechs Monate lang unentwegt anhören müssen, wie nah ihr beiden euch früher gestanden habt, MacKay«, sagte jetzt ein anderer von ihnen, der sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden trug und einen geflochtenen Bart hatte. Welche Farbe seine Haare hatten, konnte Annella nicht erkennen, aber sie sah, dass sie dunkler zu sein schienen als sein Bart, und dass seine Augen blau waren. Das war aber auch schon alles, was sie bemerkte, bevor seine Worte sich durch ihren müden Verstand gewunden hatten. MacKay? Sie musterte jetzt den Mann, der zuerst gesprochen hatte, mit einem neuen Blick.

Es war sechs Jahre her, seit Annella ihren Bruder Payton das letzte Mal gesehen hatte. Damals war er neunzehn gewesen, groß und stark und stolz. Jetzt war er sogar noch stärker – seine Brust und seine Arme waren jetzt deutlich breiter. Tatsächlich wirkte er genauso riesig wie ihr Vater. Gütiger Himmel!

»Payton!«, kreischte sie und stürzte sich auf ihren Bruder. Sie hörte ihn fluchen, als er unter der Wucht ihrer stürmischen Umarmung nach hinten taumelte. Es gelang ihm jedoch, sie aufzufangen und auf den Beinen zu bleiben. Er hob sie in seine Arme, schob sie aber sofort wieder ein Stück von sich weg.

»Lieber nicht, Nella, ich bin dreckig von der Reise und werde dich nur ebenfalls schmutzig machen«, wandte er ein.

Annella schnaubte lachend, während er sie wieder auf dem Boden absetzte. »Und wenn schon, mein Kleid ist bereits voller Blut und anderem Dreck.«

Payton rümpfte die Nase, während er ihr Kleid musterte, auf dem genau genommen sehr wenig Blut oder Dreck zu sehen war.

»Was tust du hier?«, fragte Annella schließlich und brachte ihn mit diesen Worten dazu, ihr wieder ins Gesicht zu sehen.

»Ich –« Er unterbrach sich, runzelte die Stirn und ergriff ihren Arm. »Wir sollten besser zu den Gärten gehen und –«

»Nein.« Annella riss sich los, als er versuchte, sie vom Tisch wegzuziehen. Sie sah ihn jetzt besorgt an. »Was ist passiert?«

Payton sah sich stirnrunzelnd um und murmelte: »Wir sollten uns wirklich irgendwo allein und in Ruhe unterhalten, Nella. Ich habe schlechte Nachrichten und –«

Sie riss bestürzt die Augen auf. »Schlechte Nachrichten? Was für schlechte Nachrichten? Es ist doch niemand gestorben, oder?«

Payton presste die Lippen auf eine Weise zusammen, die darauf hindeutete, dass sie richtig geraten hatte.

»Ist es Papa?«, fragte sie mit schwacher Stimme. Ihr Vater war ein erstaunlicher Krieger, stark und fähig, aber selbst die stärksten und fähigsten Männer konnten unglücklich getroffen werden.

»Nein«, beruhigte Payton sie schnell und griff wieder nach ihrem Arm. »Komm, wir –«

»Ist es Mutter?«, fragte sie entsetzt und trat einen Schritt zurück, um seiner Hand auszuweichen.

»Nein, Mutter geht es gut«, versicherte er ihr sofort, was sie aber nur noch mehr beunruhigte.

»Bitte nicht die kleine Kenna«, flehte sie. »Sie ist noch so jung und noch nicht einmal verheiratet. Sie –«

»Unserer Schwester geht es gut«, beschwichtigte Payton sie rasch.

Annella sackte auf der Stelle in sich zusammen; eine Woge der Erleichterung rollte wie eine warme Brise über sie hinweg. Ihre Eltern und ihre Geschwister waren die wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Dass sie alle noch lebten und es ihnen gut ging, war wunderbar. Tatsächlich fiel ihr sonst niemand ein, der – »Kusine Jo!«

»Nein«, sagte Payton. Er klang jetzt ungeduldig. »Annella, ich muss wirklich darauf bestehen, dass du mit mir nach draußen gehst und –«

»Sag mir einfach, wer zum Teufel gestorben ist, Payton«, fauchte sie ungeduldig. »Ich bin die ganze Nacht auf gewesen, um mich um die verschiedensten Menschen zu kümmern, und bin jetzt erschöpft und gereizt, und du machst mich einfach nur –«

»Es ist William«, platzte er heraus. Dann reckte er die Schultern und das Kinn, als würde er sich gegen etwas Bestimmtes wappnen.

Annella starrte ihn verständnislos an. »William wer?«

»William Gunn«, sagte Payton ruhig, und zuerst fand sie Mitgefühl in seinem Gesicht. Als sie ihn jedoch weiter verständnislos anstarrte, verlor es sich zum Teil wieder. »Dein Gemahl«, sagte er leise und grimmig.

Annella blinzelte, als sie diese Worte hörte. Ihr Gemahl? Ihr Gemahl William Gunn war tot? Ihr Verstand schien einen Moment vollkommen stillzustehen, und dann konnte sie ein kleines perlendes Lachen nicht zurückhalten. Sie boxte ihrem Bruder gegen den Arm, wie sie es immer getan hatte, als sie noch klein gewesen waren. »Um Himmels willen, Payton! Du hast mich zu Tode erschreckt mit deinem unsinnigen Gerede über schlechte Nachrichten und dass jemand gestorben wäre. Das sind überhaupt keine schlechten Nachrichten. Du meine Güte.«

Sie packte ihn bei den Ohren und zog seinen Kopf nach unten, bis er auf Höhe von ihrem war. Dann drückte sie ihm einen schmatzenden, nassen Kuss auf die Wange. Ihn weiter an den Ohren haltend, wich sie ein wenig zurück und sagte: »Das ist dafür, dass ich dich so liebe und vermisst habe.« Sie gab ihm einen weiteren feuchten Kuss auf die andere Wange, ging erneut wieder ein bisschen auf Abstand und fügte hinzu: »Und der war dafür, dass du mir so großartige Neuigkeiten überbracht hast.«

Sie gab ihm noch einen flüchtigen Kuss auf die Nasenspitze, als sie die Mischung aus Schock und Bestürzung in seinem Gesicht sah. Schließlich ließ sie ihn mit einem Kichern los und sagte: »Danke, Bruder.«

Payton starrte sie kurz an. In seinen Augen stand Entsetzen. »Annella MacKay Gunn«, knurrte er. »Wie kannst du so etwas über deinen Gemahl sagen? Was für eine Frau bezeichnet den Tod ihres Ehemannes als großartige Neuigkeit?«

Annellas Brauen zogen sich bei dem vorwurfsvollen Ton zusammen. Sie stützte die Hände in die Hüften und knurrte ebenfalls. »Und was für ein Ehemann heiratet ein Mädchen, setzt sie in dem Zimmer ab, das ihr gemeinsames Schlafzimmer sein soll, und verlässt dann fluchtartig mitten in der Nacht die Burg, um sich auf eine ›Pilgerreise‹ zu begeben, die sechs Jahre dauert?«

Payton wirkte, als wäre ihm unbehaglich. »Viele Männer ziehen für eine Pilgerreise ins Heilige Land.«

»Da mein Gemahl diese Frauensperson aus dem Dorf mitgenommen hat, bezweifle ich, dass an seiner ›Pilgerreise‹ irgendetwas heilig gewesen ist«, erklärte sie mit einigem Sarkasmus und warf einen Blick auf die drei Männer hinter ihrem Bruder, die offensichtlich zu ihm gehörten. Der kleinere und der mit dem Pferdeschwanz wirkten schockiert und sahen beunruhigt von ihr zu dem letzten Mann, der sie eindringlich anstarrte. Er war der größte von den vieren, vielleicht einen Zoll größer als ihr Bruder. Er war auch eine Spur muskulöser als ihr Bruder. Nicht viel, sogar kaum wahrnehmbar, aber sie bemerkte es trotzdem. Und sie bemerkte ebenfalls, dass er zwar wie die anderen voller Schmutz und Staub von der Reise war, dies aber die Tatsache nicht verbergen konnte, dass er außerordentlich gut aussah. In diesem Moment fing er an, die Stirn zu runzeln. Annella wandte sich wieder an ihren Bruder, die eine Braue fragend nach oben gezogen.

Payton seufzte unglücklich. »Schwester, ich möchte dir Graeme Gunn vorstellen, Williams Bruder.«

Bei diesen Worten wurden Annellas Augen ein bisschen größer. Verdammt. Der zweite Sohn, geboren zwischen William und Dauid. Der Krieger. Sie verspürte ein kleines bisschen Bedauern, weil sie so offen über ihren Ehemann – seinen Bruder – gesprochen hatte, aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. Sie hatte auch gar nicht vor, ihre Worte zurückzunehmen. Jedes einzelne war wahr gewesen, und daher nickte sie lediglich ernst und murmelte: »Mein Beileid, Mylaird.« Sie wollte seine Reaktion nicht sehen und setzte sich zu den Treppen hin in Bewegung. »Ich gehe packen.«

»Packen?« Payton klang überrascht. »Warum?«

»Für die Reise nach Hause«, sagte sie, blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Sie musterte ihn kurz. »Mach dir keine Sorgen. Ich weiß, dass du gerade erst angekommen bist und zweifellos ein Bad und ausreichend Schlaf brauchst, bevor du wieder aufbrichst. Das ist in Ordnung. Es passt mir gut, wenn ich ein oder zwei Tage Zeit zum Packen habe und mich verabschieden kann, bevor wir abreisen.«

Bei diesen Worten nickte sie zufrieden, drehte sich wieder zur Treppe um und ging weiter. »Frühstücke erst einmal«, sagte sie. »Ich werde Zimmer für euch vorbereiten lassen.«

»Bitte entschuldige, Graeme.«

Bei diesen Worten riss Graeme seinen Blick von Annella los und richtete ihn auf ihren Bruder.

»Meine Schwester hätte nicht –«

Paytons Entschuldigung für das, was seine Schwester gesagt hatte, interessierte Graeme nicht, und er bedeutete ihm mit einer knappen Geste zu schweigen. »Ist William wirklich in der Hochzeitsnacht weggegangen?«

Payton wölbte die Brauen. »Wusstest du das nicht?«

Graeme schüttelte langsam den Kopf, während er an die Hochzeit seines Bruders mit der hübschen jungen Braut zurückdachte. »Ich bin kurz nach dem Fest aufgebrochen. Symon und Teague hatten ihr Lager am Rand von Gunn aufgeschlagen und haben dort auf mich gewartet. Wir hatten einen Auftrag bei den Stewarts angenommen und mussten uns ziemlich beeilen, um rechtzeitig zum vereinbarten Treffpunkt zu kommen.«

»Oh.« Payton runzelte leicht die Stirn, dann seufzte er. »Aye. Als am Morgen nach der Hochzeit alle aufstanden, war William nicht mehr da. Er hat eine Nachricht hinterlassen, auf der stand, dass er sich auf eine Pilgerreise begeben würde.« Payton schien einen Moment nachzudenken, denn er hielt kurz inne. »In der Burg ging das Gerücht um, dass er irgendein Mädchen aus dem Dorf … Maisie, glaube ich, hieß sie … Also, sie war auch nicht mehr da, und anscheinend hatte jemand gesehen, wie sie mitten in der Nacht mit William weggeritten ist.«

»In seiner Hochzeitsnacht«, murmelte Graeme nachdenklich. Er durchbohrte Payton förmlich mit seinem harten Blick. »Und seitdem ist er die ganze Zeit fort gewesen?«

Payton zog leicht die Brauen hoch. »Das wusstest du auch nicht?«

»Nein. Ich bin seit der Hochzeit nicht mehr auf Gunn gewesen, und als du mit der Bitte zu mir gekommen bist, mich an der Suche nach ihm zu beteiligen, hast du nicht gesagt, wie lange er schon vermisst wird«, erklärte Graeme. »Ich habe angenommen, dass er irgendwann letztes Jahr oder im Jahr davor aufgebrochen war.« Er schüttelte den Kopf. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass meine Eltern erst nach sechs Jahren einen Suchtrupp ausgesandt haben. Vor allem meine Mutter. William war ihr Lieblingssohn.«

»Es war aber nicht deine Mutter, die die Suche nach William veranlasst hat«, sagte Payton ernst. »Es war mein Vater.«

Graemes Blick wurde noch schärfer, woraufhin Payton nachdrücklich nickte.

»Und er hätte es schon viel früher getan, wäre er nicht davon ausgegangen, dass dein Vater natürlich längst einen Suchtrupp ausgeschickt hatte. Dass es nie einen gegeben hatte, erfuhr mein Vater erst von deiner Mutter, als er nach Gunn gekommen ist, um sich nach Neuigkeiten zu erkundigen. Daraufhin hat er sofort mich beauftragt, dich zu suchen und zu bitten, dich mir und unseren Männern anzuschließen. Er fand, dass ein Mitglied von Williams Familie an der Suche beteiligt sein sollte, womit Dauid allerdings zuerst nicht einverstanden war.« Er schwieg einen kurzen Moment, ehe er weitersprach. »Deshalb war ich auch so überrascht, als wir bei MacDonald ankamen und er bei dir war.«

Graeme nickte. Er, Symon und Teague hatten gerade einen Auftrag für MacDonald erledigt und verbrachten ihre letzte Nacht auf seinem Boden, als sein Bruder eintraf. Dauid war offenbar sehr schnell geritten, um sie zu erreichen. Er war so müde, dass er es vor dem Einschlafen nur noch geschafft hatte, einen ziemlich bruchstückhaften Bericht zu geben, demzufolge William vermisst wurde und eine Suche nach ihm nötig war. Graeme hatte sich vorgenommen, ihn am nächsten Morgen näher zu befragen, aber er war nicht mehr dazu gekommen. Als er und die anderen gerade aufstanden und den Tag begrüßten, waren Payton und seine Männer in ihr Lager geritten.

»Als ich dir gesagt habe, dass wir vorhätten, nach deinem vermissten Bruder zu suchen, meintest du, das hätte Dauid dir schon mitgeteilt«, sagte Payton entschuldigend. »Ich bin daher davon ausgegangen, dass er dir alles erzählt hat.«

»Nein, das hat er nicht«, murmelte Graeme. »Er hat nicht erwähnt, wie lange William schon vermisst wurde.«

Payton schnaubte leise, und Graeme verzog leicht die Lippen. Er wusste, dass Payton seinen jüngeren Bruder nicht mochte, und konnte es ihm auch nicht verübeln. Dauid hatte sich in den zehn Jahren, die Graeme nicht mehr auf Gunn lebte, zu einem verwöhnten, arroganten und furchtbar lästigen Kerl entwickelt. Die sechs Monate ihrer gemeinsamen Suche hatten sich als echte Prüfung erwiesen. Als sie dann nach Schottland zurückgekehrt und von Bord gegangen waren, hatten sie Dauid damit beauftragt, die Männer zu beaufsichtigen, die den Wagen mit Williams Gebeinen nach Gunn bringen sollten. Graeme und die anderen waren sofort weitergeritten.

Da der Wagen nur langsam vorankam, ging Graeme davon aus, dass es mindestens vier oder fünf Tage dauern würde, bis sein Bruder auftauchen würde und sie Williams Gebeine zur letzten Ruhe betten konnten.

Die Gebeine eines Mannes, der offensichtlich seine Braut verlassen hatte und weggeritten war, um sich mit der Hure des Dorfes in Abenteuer zu stürzen.

Graeme verzog bei dieser Vorstellung zweifelnd das Gesicht. Das Bild passte einfach nicht zu dem Mann, als den er seinen älteren Bruder immer gesehen hatte. Kopfschüttelnd kehrte er zu seinem Platz am Tisch zurück, hob seinen Krug mit dem verdünnten Bier und trank einen guten Teil davon, während er über das nachdachte, was er erfahren hatte.

William war bereits seit sechs Jahren verschwunden, aber seine Eltern hatten sich nicht die Mühe gemacht, einen Suchtrupp loszuschicken, um ihn zu finden? Es fiel Graeme schwer, das zu glauben. William war Clanführer von Gunn gewesen. Eine Woche vor der Hochzeit hatte sein Vater seine Position als Laird aufgegeben und sie ihm übertragen. Gaufrid Gunn hatte nie Freude daran gefunden, eine Burg und die dazugehörigen Menschen zu leiten. Deshalb hatte er beschlossen, dass William bei seiner Heirat auch den Titel als Laird erhalten sollte. Was es noch schwerer machte zu glauben, dass sich bis jetzt noch niemand auf die Suche nach ihm begeben hatte. Zur Hölle, er hätte sogar selbst einen Suchtrupp organisiert, wenn er nur gewusst hätte, dass sein Bruder all diese Jahre vermisst gewesen war. Und wieso zum Teufel war eigentlich kein Bote losgeschickt worden, um ihn darüber zu informieren?

»Ich schätze, ich sollte mit Annella sprechen, bevor sie mit dem Packen zu weit vorankommt.«

Derart aus seinen Gedanken gerissen, sah Graeme seinen Kameraden an, der sich neben ihm niedergelassen hatte, dann hob er fragend eine Braue.

Payton zuckte mit den Schultern, ehe er erklärte: »Nun, sie ist durch die Heirat eine Gunn geworden. Ohne die Erlaubnis des Clanführers kann sie nicht einfach so nach Hause zurückkehren.« Er runzelte leicht die Stirn und fügte dann hinzu: »Eine solche Erlaubnis kann sie aber frühestens bekommen, wenn der nächste Clanführer bestimmt wurde. Ich vermute, dass du das sein wirst?«

Graeme richtete sich leicht auf. Von früh an war ihm gesagt worden, dass sein älterer Bruder Burg Gunn und den Titel eines Lairds erben, er selbst aber nichts erhalten würde. Ihm blieb nur übrig, entweder Priester zu werden oder irgendetwas anderes zu finden, womit er sich in der Welt behaupten konnte. Graeme hatte sich nie als Priester gesehen. Sein Leben damit zu verbringen, kniend zu beten … Nein, das war nichts für ihn. Er war kein sehr frommer Mann. Aber er war ein höllisch guter Krieger, der ein Schwert mit tödlicher Präzision schwingen konnte. Also hatte er sich entschieden, als Söldner zu arbeiten, und war mehr als zehn Jahre lang knietief durch Blut gewatet und über Leichen gestiegen, hatte sich durch die halbe Welt gekämpft. Und zumindest in den ersten Jahren hatte er es sogar genossen. Die Kameradschaft unter den Soldaten, wenn sie nachts am Feuer saßen und sich Geschichten über die furchterregenden Schlachten erzählten, in denen sie gekämpft hatten. Der Rausch, wenn man von einem Sieg zum anderen eilte. Die Münzen, die er mit seiner harten Arbeit verdient hatte …

All das hatte jedoch seit ein paar Jahren mehr und mehr an Glanz verloren. Die Kameradschaft war schwächer geworden, weil immer mehr neue Gesichter jene Söldner ersetzt hatten, die im Laufe der Zeit gestorben waren. Die Geschichten hatten angefangen, einander zu ähneln. Selbst der Rausch des Siegens hatte nachgelassen. Und was die Münzen betraf … Nun, das Einzige, was er damit tun konnte, war, sie irgendwo aufzubewahren. Man brauchte nicht viel Geld, wenn man in sein Plaid gewickelt auf dem Boden schlief und demjenigen folgte, der einen für die Schlacht angeheuert hatte. Inzwischen musste er sogar genug haben, um ein eigenes Landgut erbauen zu können, wenn nicht sogar eine Burg. Ihm fehlte nur einfach das Land, auf dem er das tun konnte.

Aye. Er war des Kämpfens müde geworden. Zehn Jahre Töten war lange genug. Vielleicht würde er tatsächlich den Mantel des Lairds nehmen und Anführer von Gunn werden. Das einzige Problem dabei war, dass man dann von ihm erwartete, zu heiraten und Erben zu zeugen. Und daran hatte Graeme kein großes Interesse.

Es war nicht so, dass er Frauen nicht mochte. Das tat er, sehr sogar. Auch einen Sohn zu haben, oder zwei, hätte ihm gefallen. Aber für ihn und Dauid war im Unterschied zu William nie eine Heirat arrangiert worden, als sie noch klein gewesen waren. Seine Eltern hatten es nicht für nötig befunden, da sie beide ohnehin niemals Laird werden konnten. Es war also ihm selbst überlassen, sich eine Frau zu suchen … was sich durchaus als Problem erweisen konnte. Denn unglücklicherweise hatte er so lange in der Gegenwart von Männern verbracht, dass er ganz vergessen hatte, wie man sich gegenüber einer Lady verhielt. Sicherlich verfügte er noch nicht einmal über die notwendige Geduld angesichts ihrer schwächeren Natur und ihres gezierten Verhaltens.

Plötzlich sah er vor sich, wie Annella dem verletzten Raynard einen Topf an den Kopf geschlagen hatte, nachdem sie laut geflucht und ihn angebrüllt hatte. Ein kleines Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Nun, das war eine Lady, mit der er sich gerne einlassen würde. Entgegen Paytons Beteuerungen in den letzten sechs Monaten war seine Schwester ganz und gar nicht schwach oder weinerlich. Sie war stark und nüchtern und war recht attraktiv, und das, obwohl ihre Haare ein einziges Durcheinander und ihre Wangen blutverschmiert waren und die Erschöpfung sie wie ein Umhang umgab.

Annella war eine Frau, die er vielleicht umwerben konnte.

»Nun? Bist du jetzt der Laird, nachdem William tot ist?«, drängte Payton ungeduldig.

»Das werden wir sehen«, antwortete Graeme ruhig und stand auf, um zur Treppe zu gehen. Seine Eltern waren noch nicht aufgetaucht, aber er würde mit ihnen sprechen müssen. Er musste ihnen die traurige Nachricht von Williams Tod überbringen. Wenn das geschehen war und sie sich von der Neuigkeit erholt hatten, würde er mit ihnen darüber reden, wer der nächste Clanführer werden würde. Dem Recht nach müsste er es sein, aber Dauid hatte es in den vergangenen sechs Monaten vermieden, über ihr Zuhause zu sprechen, und Graeme hatte keine Ahnung, was seit der Hochzeit vorgefallen war.

Es war möglich, dass sein Vater sich den Titel des Lairds wieder zurückgeholt hatte, nachdem William weggegangen war, und nicht bereit war, ihn erneut aufzugeben. Das schien ihm aber nicht sehr wahrscheinlich zu sein, so glücklich, wie er vor sechs Jahren darüber gewesen war, ihn abgegeben zu haben. Dennoch war es möglich.

Wenn sein Vater nur während Williams Abwesenheit wieder die Position des Lairds übernommen hatte und sie jetzt erneut bereitwillig abgeben würde, würde er die Aufgabe übernehmen, beschloss Graeme. Dann konnte er einige Zeit damit verbringen, Annella besser kennenzulernen, und so herausfinden, ob sie miteinander klarkamen. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie das tun würden. Was er bisher von ihr gesehen hatte, gefiel ihm. Er fand sie ganz sicher anziehend genug, dass er wusste, er würde es genießen, sie in seinem Bett zu haben. Außerdem gefiel ihm, was er von ihrem Elan und ihrer nüchternen Art im Umgang mit dem verletzten Mann miterlebt hatte. Wenn sie so gut miteinander zurechtkamen, wie er es vermutete, würde er versuchen, sie davon zu überzeugen, dass sie auf Gunn blieb und seine Frau wurde. So blieb ihm die Mühe erspart, sich auf die Suche nach einer Frau machen und sie umwerben zu müssen.

2

Annella drehte sich mit einem leisen Seufzer herum, öffnete die Augen und setzte sich abrupt auf. Es herrschte helles Tageslicht, und sie schnappte nach Luft, als sie begriff, dass es beinahe Mittag sein musste. Verdammt. Sie war eingeschlafen, während sie darauf gewartet hatte, dass Florie ihr frisches Wasser für die Waschschüssel brachte … aber die Zofe hatte sie nicht geweckt.

Sie murmelte ungeduldig leise vor sich hin, während sie das Fell zur Seite stieß, mit dem irgendjemand – vermutlich Florie – sie zugedeckt hatte, und glitt aus dem Bett. Sie trat sofort zur Waschschüssel beim Fenster, die leer gewesen war, als sie die Treppe hoch und in ihr Zimmer gegangen war. Sie hatte sich nur schnell waschen und ein sauberes Kleid anziehen wollen, bevor sie mit dem Packen begann. In dem Moment war Florie gekommen, die ihr etwas zum Frühstücken brachte. Sie sah das Problem und schlug Annella vor, etwas zu essen und zu trinken, während sie sich um frisches Wasser kümmern wollte.

Annella hatte sich bei ihr bedankt, sie aber gleichzeitig aufgefordert, sich erst darum zu kümmern, dass die Gäste Zimmer bekamen und Bäder für sie vorbereitet wurden. Sie konnte warten. Sie hatte alles gegessen, was Florie ihr gebracht hatte, und war eine kurze Weile im Zimmer auf und ab gegangen, bis ihr schmerzender Rücken sie veranlasste, sich hinzusetzen. Schließlich streckte sie sich auf dem Bett aus, um sich eine Minute auszuruhen und die so sehr beanspruchten Muskeln zu entspannen. Sie wusste zwar, dass die Gefahr bestand einzuschlafen, aber sie hatte darauf vertraut, dass Florie zurückkehren und sie wecken würde. Offensichtlich war das nicht geschehen.

Dabei bestand kein Zweifel daran, dass Florie zurückgekehrt war, denn der Wasserkrug war jetzt bis zum Rand gefüllt und das Wasser darin hatte Zimmertemperatur. Allerdings musste ihre Zofe sich dabei sehr leise verhalten und bewusst vermieden haben, sie zu wecken. Annella war nicht sonderlich überrascht. Florie war ein paar Jahre jünger als sie, machte aber so viel Aufhebens um sie wie eine Glucke. Das hatte sie von Anfang an getan, seit sie zu ihrer Zofe geworden war. Lady Eschina hatte dies wenige Tage nach der Hochzeit arrangiert, allerdings bezweifelte Annella, dass es als Geste der Freundlichkeit gemeint gewesen war. Denn seit Lady Eschina gehört hatte, dass ihr kostbarer Sohn so abrupt noch während der Hochzeitsnacht zu einer »Pilgerreise« aufgebrochen war, hatte sie Annella für Williams Verschwinden verantwortlich gemacht.

Annella war offensichtlich nicht Frau genug gewesen, um ihren frisch angetrauten Ehemann an ihrer Seite zu halten, hatte Lady Eschina erklärt. Weiterhin hatte sie behauptet, Annella hätte William mit ihrer langweiligen Art, ihren flachen Brüsten und ihrem unzureichenden Aussehen vertrieben. Daher war es erst einmal eine Überraschung gewesen, als Lady Eschina ihr Florie geschickt hatte. Als Annella jedoch erfuhr, dass Florie bisher lediglich ein Spülmädchen gewesen war und nicht die geringste Ahnung von den Aufgaben einer Zofe hatte, ergab das alles plötzlich deutlich mehr Sinn.

Annella vermutete, dass Lady Eschina gewollt hatte, dass sie das Mädchen aus dem Zimmer werfen und darauf bestehen würde, eine richtige Zofe zu bekommen. Und Lady Eschina hätte ihr diese Bitte dann natürlich freudig verweigert. Tatsächlich hätten sich die meisten Ladys nach einer solchen Kränkung genau so verhalten. Annella jedoch nicht.

Damals hatte sie sich wie eine komplette Versagerin gefühlt. Sie war überzeugt gewesen, dass Lady Eschina recht hatte und sie vollkommen nutzlos war und so unattraktiv und uninteressant, dass William deshalb aus seiner eigenen Burg geflohen war. Annella hatte auch keinen blassen Schimmer, was sie mit sich anfangen sollte. Sie kannte niemanden auf Gunn, hatte keine Ahnung, wie die Dinge in ihrem neuen Zuhause gehandhabt wurden, und ihren Platz noch nicht gefunden. Als Florie dann also vor ihrer Tür gestanden und etwas davon gestammelt hatte, dass sie ihre neue Zofe sein sollte, hatte Annella das sehr junge und verängstigte Mädchen angesehen und gelächelt und angefangen, sie als ihre Zofe auszubilden. Sechs Jahre später war Florie die beste Zofe, die Annella sich hätte wünschen können. Darüber hinaus war sie ihre beste Freundin und Verbündete.

Trotzdem nahm Annella sich vor, Florie einen ordentlichen Rüffel zu verpassen, weil sie sie hatte schlafen lassen. Sie wusste, dass sie es aus Liebe und Sorge getan hatte, aber Annella hatte Dinge zu erledigen. Sie leitete die ganze Burg allein, musste wegen der Abwesenheit ihres Ehemannes sowohl die Rolle als Laird wie auch als Lady ausüben. Allein deshalb arbeitete sie häufig von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Hinzu kam, dass sie von ihrer Mutter in den Heilkünsten ausgebildet worden war und es kaum eine Nacht gab, in der sie mehr als ein oder zwei Stunden in ihrem Bett schlafen konnte. Es waren sechs harte Jahre gewesen, und Annella hätte vor Freude weinen können, weil sie jetzt enden würden. Ihr Ehemann war tot, sie war frei und konnte nach MacKay zu ihrer Familie zurückkehren und …

Nun, genau genommen hatte sie keine Ahnung, was danach passieren würde. Annella war sich ziemlich sicher, dass ihre Mutter sie lieben und verwöhnen und all den Kummer und die Unsicherheit der vergangenen sechs Jahre wegwischen würde. Aber was dann? Sie hoffte, dass ihr Vater eine neue Ehe für sie arrangieren würde. Denn das wollte sie. Trotz der unerfreulichen Erfahrung mit William war sie nicht bereit, ihren Traum aufzugeben, einen liebevollen Ehemann und Kinder zu haben. Sie hoffte einfach, dass der nächste Ehemann und dessen Familie nicht so wie die Gunns sein würden. Aber das sollte sich eigentlich leicht vermeiden lassen, da sie einen möglichen neuen Ehemann und seine Familie vorher kennenlernen würde. Oder nicht?

Annella grübelte darüber nach, bis sie hörte, wie sich die Tür öffnete. Sie drehte sich scharf um, sah Florie eintreten und machte ein finsteres Gesicht. »Du hättest mich wecken sollen.«

»Ich habe es versucht«, sagte Florie ganz und gar unbekümmert über ihre Verärgerung. »Ihr habt Euch nicht gerührt, nicht mal, als ich Euch geschüttelt habe. Ihr wart ziemlich erschöpft. Was auch durch die Tatsache bewiesen wird, dass Ihr den ganzen Tag, die Nacht und den größten Teil dieses Morgens geschlafen habt … und damit auch verpasst habt, dass Laird Graeme die Position des Lairds übernommen hat und der ganze Clan ihm die Treue geschworen hat.«

»Was?«, kreischte Annella bestürzt. Sie machte sich nicht viel daraus, dass sie die Zeremonie verpasst hatte, in der Graeme als Laird eingesetzt worden war. Es war ja nicht so, als würde sie noch lange hierbleiben, und wenn sie erst einmal weg war, würde er nicht mehr ihr Laird sein. Sie regte sich mehr darüber auf, dass sie so lange geschlafen hatte, wo es doch so viel zu tun gab. »Ich kann unmöglich so lange geschlafen haben!«

Florie widersprach mit einem entschiedenen Nicken. »Aye. Euer Bruder und der Bruder Eures Ehemannes sind gestern Morgen gekommen. Seither habt Ihr geschlafen.« Sie zuckte mit den Schultern, während sie das Zimmer durchquerte und zu Annella trat. »Ihr habt es offenbar gebraucht.«

Annella atmete tief aus und begann, Wasser von dem Krug in die Schüssel zu gießen. Es war nicht das erste Mal, dass sie so lange geschlafen hatte. Alle paar Wochen kam so etwas vor. Wenn sie zwei oder drei Wochen lang den größten Teil der Nacht aufgeblieben war, brach sie irgendwann zusammen und schlief sehr lange. Allerdings war es noch niemals so lange gewesen wie jetzt. Einen Tag und eine Nacht, ja. Einen Tag, eine Nacht und dann noch den größten Teil des nächsten Morgens? Nein. Aber offenbar hatte sie das getan, und sie vermutete, ihr Körper holte sich einfach genau das, was er brauchte. Trotzdem war es ärgerlich.

»Möchtet Ihr nicht lieber ein schönes warmes Bad nehmen, statt Euch kurz im Stehen zu waschen?«, fragte Florie plötzlich.

Ein Bad war eine verlockende Vorstellung, aber sie hatte schon so lange geschlafen, und –

»Ich glaube, es wäre in Eurem eigenen Interesse, wenn Ihr baden würdet.«

Annella stutzte bei diesen leise gesprochenen Worten. Sie drehte sich zu Florie um und musterte sie argwöhnisch. »Wieso?«

»Weil Eure Haare dringend gewaschen werden müssen. Außerdem riecht Ihr wie ein Beinhaus. Aber vor allem denke ich, dass Ihr so gut wie möglich aussehen wollt, wenn Ihr den Bruder Eures Ehemannes trefft.«

»Graeme?«, fragte sie überrascht.

Florie nickte und begann, ihr das Mieder aufzuschnüren, damit sie ihr helfen konnte, das Kleid auszuziehen, das sie mehr als zwei Tage lang getragen und in dem sie geschlafen hatte.

»Wieso sollte ich für Graeme besonders gut aussehen wollen?«, fragte Annella verwirrt.

»Weil Ihr eine Gunn seid und er jetzt der Laird ist. Ihr braucht seine Erlaubnis, wenn Ihr das Land von Gunn verlassen wollt«, antwortete Florie nüchtern.

Annella sank gegen den Tisch, auf dem die Wasserschüssel und der Krug standen, und dann erstarrte sie, als Wasser über den Rand der Schüssel schwappte und durch das Kleid hindurch über ihren unteren Rücken und das Gesäß strömte. Sie richtete sich nicht sofort auf, sondern blieb gebeugt stehen, unsicher, ob ihre Beine sie überhaupt tragen würden.

Flories Worte hatten sie erschüttert. Hauptsächlich, weil sie wahr waren. Sie war durch die Hochzeit eine Gunn geworden und konnte nicht einfach so nach MacKay zurückkehren. Wenn sie es versuchte, hatte er das Recht, sie jagen und zurückbringen zu lassen.

Aber sicherlich würde er so etwas nicht tun … oder doch? Wirklich, er sollte sich gar keine Gedanken um sie machen. Er kannte sie schließlich gar nicht. Sie glaubte nicht einmal, dass sie sich vor dem gestrigen Morgen schon einmal begegnet waren, allerdings wusste sie das nicht mit Bestimmtheit. Möglich, dass er bei der Hochzeit anwesend gewesen war. Annella glaubte sich zu erinnern, dass jemand während der Feier gesagt hatte, dass beide Brüder Williams da wären. In dem Fall war sie ihm vielleicht vorgestellt worden. Aber selbst wenn das so war, konnte sie sich nicht daran erinnern. Der ganze Tag war nur noch eine verschwommene Erinnerung. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass es Graeme irgendwie interessierte, ob sie Gunn verließ oder nicht.

Sie erkannte aber auch, dass es sicherlich nicht schaden würde, wenn sie sich so vorzeigbar wie möglich machte, um hoffentlich seine Gunst zu erringen. Ganz besonders, da sie so deutlich ihre Freude darüber geäußert hatte, dass ihr Ehemann, sein Bruder, tot war. Annella erinnerte sich an ihr Gespräch mit Payton im Beisein von Graeme und zuckte bei der Erinnerung zusammen.

»Oh je«, hauchte sie bestürzt, als sie begriff, wie beleidigend das für ihn geklungen haben musste.

»Was ist los, Mylady?«, fragte Florie. Sie hob den Blick von den Schnüren, die ihr offenbar Probleme bereiteten, und zog fragend die Augenbrauen hoch.

Annella richtete sich auf, indem sie sich am Tisch abstützte, was dazu führte, dass er wackelte und noch mehr Wasser aus der Schüssel schwappte. Dieses Mal platschte es auf den Boden.

»Ich brauche ein Bad«, erklärte sie grimmig. »Und mein hübschestes Kleid.«

Florie lächelte anerkennend. »Ich bin gleich wieder da. Ich habe die Köchin angewiesen, den ganzen Morgen über heißes Wasser bereitzuhalten.«

Annella sah zu, wie sie wegging, dann trat sie zum Fenster und blickte in den Innenhof, während sie grübelte. Es gab keinen Grund, weshalb ihr Schwager wollen könnte, dass sie blieb … außer, er wollte sie für ihre Reaktion auf die Nachricht vom Tod ihres Ehemannes – seines Bruders – bestrafen. Unglücklicherweise kannte sie den Mann nicht und hatte keine Ahnung, ob er so engherzig sein konnte.

»Verdammt«, fluchte sie und lehnte sich an den kühlen Stein des Fensterbretts. Sie war der Freiheit so nahe, dass sie sie nahezu riechen konnte. Nur Graeme Gunn stand ihr jetzt noch im Weg.

»Nun?«

Graeme wandte seine Aufmerksamkeit von den Männern ab, die gerade mit Kampfübungen beschäftigt waren, und sah Payton MacKay fragend an.

»Du bist jetzt Laird«, erklärte der und erinnerte ihn an die Zeremonie, die diesen Morgen abgehalten worden war, nachdem sich alle, die zu Gunn gehörten, im Innenhof versammelt hatten. Es war nicht besonders schön gewesen, und es hatte kein Fest gegeben. Genau genommen war es so kurz gewesen, wie er es sich nur hatte erbeten können, aber er war jetzt Laird Gunn.

»Wirst du Annella jetzt mit mir weggehen lassen oder nicht?«, sprach Payton weiter.

Graeme verzog bei der Frage leicht das Gesicht, drehte sich um und richtete den Blick auf die Männer von Gunn, die Schwerter, Speere und Streitäxte schwangen. Er überlegte noch, was er antworten sollte.

Sein Vater hatte die Nachricht von Williams Tod mit stoischer Gelassenheit aufgenommen, wie er es erwartet hatte. In seinem Gesicht war nur ganz kurz Trauer aufgeflackert und gleich wieder verschwunden. Seine Mutter allerdings war nicht so zusammengebrochen, wie er gedacht hatte. Tatsächlich schien es sie gar nicht sonderlich berührt zu haben. Ihr einziger Kommentar war gewesen: »Nun gut, ich schätze, dann ist Dauid jetzt Laird.«

»Dauid?« Graeme hatte den Namen seines jüngeren Bruders überrascht wiederholt, während sein Vater ein gequältes Knurren des Protests von sich gegeben hatte.

»Nun, du hast immer gesagt, dass du kein Interesse daran hast, Laird zu sein«, hatte seine Mutter ihn kühl erinnert. »Du hast zu gern gekämpft, um damit aufhören zu können. Also, ja, natürlich wird Dauid die Position einnehmen.«

»Nein.« Sein Vater hatte das Wort mit hörbarer Mühe geknurrt und dann gesagt: »Graeme.« Oder zumindest war Graeme sich sicher, dass er es zu sagen versucht hatte, auch wenn es ihm sehr große Schwierigkeiten bereitet hatte zu sprechen. Das war noch so eine Überraschung beim Gespräch mit seinen Eltern gewesen. Sein Vater war nicht mehr der starke, gesunde Mann, den er sechs Jahre zuvor zuletzt gesehen hatte. Offensichtlich war er einige Wochen nach der Hochzeit die Treppe hinuntergefallen. Er hatte den Sturz zwar überlebt, war aber nicht mehr der, der er vorher gewesen war. Oberhalb der Taille ging es Gaufrid Gunn abgesehen von den Schwierigkeiten beim Sprechen gut, aber seine Beine waren jetzt nutzlos, weshalb er ans Bett gefesselt war.

Als größte Überraschung hatte sich allerdings herausgestellt, dass die Frau seines Bruders seither die Burg geleitet hatte. Während der Abwesenheit ihres Gemahls war sie sowohl Burgherrin als auch Laird gewesen. Und nach dem, was er bisher gesehen hatte, hatte sie das offenbar verdammt gut gemacht. Allerdings vermutete er, dass es schwer gewesen sein musste, über eine so lange Zeit hinweg beides gleichzeitig zu sein. Und dann war sie ja auch noch Heilerin, dachte er, als er sich vor Augen führte, was bei seiner Ankunft in der Großen Halle los gewesen war. Es war vermutlich kein Wunder, dass Annella unbedingt abreisen wollte.

Wie auch immer, sein Vater hatte deutlich gemacht, dass nach dem Tod Williams er Laird sein würde. Und seine Mutter hatte mit missmutiger Miene genauso deutlich gemacht, dass sie absolut verärgert darüber war.

Offensichtlich war Dauid nach Williams Weggang zum Lieblingskind aufgestiegen. Graeme vermutete, dass so etwas zu erwarten gewesen war. Er selbst war ja gar nicht da gewesen. Aber selbst wenn er zu Hause gewesen wäre – er bezweifelte, dass seine Mutter ihn bevorzugt hätte. Sie hatte seine Größe und Kraft immer als eher ordinär empfunden. Wahrscheinlich, weil er seinem Vater zu sehr ähnelte, dem Mann also, den sie – das hatte sie immer deutlich gemacht – nie hatte heiraten wollen. Sie hätte ihn auch nicht geheiratet, wäre sie nicht von ihrem Vater gezwungen worden, den Vertrag einzuhalten, den er für sie abgeschlossen hatte, als sie noch ein Säugling gewesen war.

»Was ist nun? Lässt du sie mit mir nach Hause zurückkehren?«

Paytons ungeduldige Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er zögerte und sagte dann: »Kommt drauf an.«

»Worauf?«, fragte Payton sofort.

Graeme zuckte mit den Schultern. »Während ich in den letzten sechs Jahren gekämpft habe, hat deine Schwester Gunn geleitet und sich um die Leute hier gekümmert. Sie kennt hier jeden und weiß, wie die Burg funktioniert. Es wäre sehr hilfreich für mich, wenn sie mir ein bisschen dabei helfen könnte, mich hier einzuarbeiten.«

Payton seufzte resigniert. »Aye. Ich verstehe, dass das helfen könnte.«

»Aye«, stimmte Graeme ihm zu. Insgeheim wunderte er sich über seine Fähigkeit, sich so schnell eine so unsinnige Ausrede einfallen zu lassen. Er hatte gar nicht gewusst, dass er diese Begabung in sich trug. Als Soldat hatte er für Ausflüchte und Tatsachenverdrehungen keinerlei Verwendung gehabt, und doch verriet er jetzt eindeutig ein gewisses Geschick darin. Graeme hatte es nämlich weder nötig, noch verspürte er den Wunsch, sich von Annella dabei helfen zu lassen, die Position zu übernehmen, die sie in den vergangenen sechs Jahren innegehabt hatte. Er war überzeugt davon, wenn eine Frau das gekonnt hatte, würde er ganz sicher keinerlei Schwierigkeit haben, die Aufgabe zu bewältigen.

»Was denkst du, wie lange du sie hier benötigen wirst?«, fragte Payton jetzt.

Graeme öffnete schon den Mund, um darauf zu antworten, als er an Payton vorbeisah und innehielt. Annella kam über den Innenhof zu ihnen.

»Was ist los?«, fragte Payton, als er seine Miene bemerkte. Er drehte sich um, warf einen Blick über seine Schulter und seufzte. »Annella«, murmelte er und schüttelte den Kopf. »Sie wird nicht sehr erfreut darüber sein, dass du sie hierbehalten willst.«

»Sie wird sich daran gewöhnen«, sagte Graeme weich und hoffte im Stillen, dass er recht hatte. Der Anblick ihrer rosigen Wangen, die sauberen, fließenden Haare und das hübsche blaue Kleid, das sie jetzt trug, erweckten ungeahnte Wünsche in ihm. Er wusste jetzt ganz sicher, dass er sie in seinem Bett haben wollte, was wiederum bedeutete, dass er sie vorher würde heiraten müssen.

In diesem Moment fand er die Vorstellung, sie zu heiraten, außerordentlich verlockend. Nicht nur, weil er sich zu ihr hingezogen fühlte, sondern auch, weil es ihm die äußerst lästige Mühe ersparen würde, sich selbst eine Braut zu suchen. Er hatte keine Ahnung, wie viele Frauen zurzeit überhaupt für eine Heirat verfügbar waren, aber er befürchtete, dass es eher wenige waren. Es kamen schließlich nur junge Frauen infrage, deren vertraglich vereinbarte Partner noch vor Erreichen des Erwachsenenalters gestorben waren oder deren Eltern sich nicht die Mühe gemacht hatten, eine Ehe zu arrangieren, als sie noch Kinder waren. Obwohl genau dies mit ihm und Dauid passiert war, bezweifelte Graeme, dass viele Mädchen das gleiche Schicksal erlitten. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass viele Eltern kaltherzig genug waren, nicht für die Zukunft ihrer Töchter vorzusorgen.

Ein anderer Gesichtspunkt war, dass er bisher diese Frau tatsächlich mochte. Annella war ganz und gar nicht so, wie Payton sie während der sechs Monate, die sie zusammen gereist waren, dargestellt hatte. Im Gegenteil, sie war klug, stark, fähig und arbeitete hart. Letzteres konnte man daran sehen, wie gut es Gunn ging. Die Menschen auf der Burg waren gut gekleidet, wohlgenährt und glücklich. Sie hatten ihm auch nur zu gern erzählt, was für hervorragende Arbeit Lady Annella geleistet hatte, seit sein Bruder weggegangen war. Es war offensichtlich, dass seine Leute das Mädchen liebten. Sein Clan würde sich zweifellos freuen, wenn er Annella heiratete. Wichtiger noch, er war sich ganz sicher, dass sie jemand war, die er respektieren, sogar mögen konnte.

Während sie näher kam, glitt sein Blick erneut über sie hinweg. Sie ging selbstbewusst und rasch, und ihre Miene war entspannt und ungezwungen. Es würde ihm ganz sicher keine Mühe bereiten, ihren Bauch mit Babys zu füllen und die Erben hervorzubringen, die er benötigte.

»Nun, dann überbringe ich ihr diese Nachricht jetzt am besten«, sagte Payton, womit er Graemes Gedanken über Babys unterbrach und seine Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkte. In Payton MacKays Gesicht lag Resignation, die verriet, wie sehr ihm missfiel, was er zu tun hatte.

Graeme hätte darüber lachen können, aber er vermutete, dass Payton eine harte Prüfung bevorstand. So begeistert, wie Annella am Tag zuvor erklärt hatte, dass sie für die Heimreise packen würde, war für ihn offensichtlich, dass sie auf Gunn nicht glücklich gewesen und deshalb nur zu erpicht darauf war, von hier wegzukommen. Graeme überraschte das nicht. Seine Mutter tat alles dafür, dass andere sich in ihrem Umfeld unglücklich fühlten. So war sie schon immer gewesen. Ganz sicher war es ihm damals überhaupt nicht schwergefallen, Gunn zu verlassen. Und es war auch der Grund, weshalb er sich in den vergangenen zehn Jahren nur ein einziges Mal zu Hause hatte blicken lassen, und zwar, als es darum gegangen war, seinen Bruder am Tag seiner Hochzeit zu unterstützen.

Nach allem, was Graeme gesehen hatte, war seine Mutter immer noch die kalte, missbilligende alte Hexe, die sie schon gewesen war, als er aufgewachsen war. Was bedeutete, dass er einiges an Überzeugungskraft würde aufwenden müssen, damit Annella sich einverstanden erklärte, ihn zu heiraten und mit ihm weiter auf Gunn zu leben.

Nun ja, ich habe Herausforderungen schon immer geliebt, dachte Graeme, während er zusah, wie Payton seiner Schwester entgegenging.

Ein schiefes Lächeln breitete sich auf Annellas Lippen aus, als ihr Bruder zu ihr gelaufen kam, und verriet ihren Wunsch, sich zu entschuldigen. »Tut mir leid, Bruder. Ich weiß, dass unser Aufbruch sich verzögert hat, weil ich so lange geschlafen habe. Aber ich verspreche dir, ich werde jetzt so schnell wie möglich packen, und dann können wir –«

»Es besteht keine Eile«, beruhigte Payton sie. »Warum sehen wir nicht erst einmal zu, dass du etwas zum Frühstücken bekommst, und sprechen dabei über unsere Reise nach Hause?«