Vampire habens auch nicht leicht - Lynsay Sands - E-Book

Vampire habens auch nicht leicht E-Book

Lynsay Sands

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Beschreibung

Romantic Times Bestseller! Vincent Argeneau ist Schauspieler, Theatermanager und Vampir. Ein Saboteur hat sich in seine Filmproduktionsfirma eingeschlichen, und Vincent will einen Privatdetektiv engagieren, um dem Schuldigen auf die Spur zu kommen. Sein Cousin Bastien empfiehlt ihm die Privatdetektivin Jackie Morrissey. Einziger Haken: Jackie ist keine Vampirin und vertritt die Überzeugung, dass alle Unsterblichen in die Hölle gehören. Dennoch erklärt sie sich bereit, den Fall zu übernehmen. Und im Lauf der Ermittlungen fühlt sich die forsche Ermittlerin immer stärker zu dem attraktiven Vampir hingezogen ...

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Seitenzahl: 438

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Inhalt

Titel

1

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3

4

5

6

7

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9

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Impressum

 

Roman

Ins Deutsche übertragen von Regina Winter

 

1

„Vincent? Bist du da? Wenn du da bist, geh bitte ans Telefon!“

Vincent Argeneau zwang sich, zumindest ein Augenlid zu heben. Dann sah er sich in dem verdunkelten Raum um. Im schwachen Licht, das durch die halboffene Flurtür fiel, erkannte er die Umrisse seines Schreibtischs. Er befand sich in seinem Arbeitszimmer und war offenbar auf der Couch eingeschlafen.

„Vincent?“

„Ja?“ Er setzte sich auf, um herauszufinden, zu wem die Stimme gehörte. Dann begriff er, dass sie aus dem Anrufbeantworter kam. Noch etwas benommen schüttelte er den Kopf, erhob sich und taumelte quer durch den Raum. Er schnappte sich das schnurlose Telefon, ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen, drückte auf die grüne Taste und knurrte: „Bastien?“

„Vincent? Tut mir leid, dass ich dich wecke, Cousin. Ich habe wirklich so lange gewartet, wie es ging.“

Vincent grunzte, lehnte sich im Sessel zurück und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. „Wie spät ist es?“

„Hier in New York fünf Uhr nachmittags. Bei euch in L.A. müsste es dann so gegen zwei Uhr mittags sein“, erwiderte Bastien entschuldigend.

„Zwei Uhr …“, murmelte Vincent. Kein Wunder, dass er erschöpft war. Bis neun Uhr morgens hatte er noch telefoniert, dann die Vorhänge zugezogen und, statt ins Bett zu gehen, sich auf die Couch gelegt. Er hatte Bastiens Anruf nicht verpassen wollen.

„Bist du wach?“

„Ja.“ Noch einmal rieb sich Vincent durchs Gesicht, dann knipste er die Schreibtischlampe an. Er blinzelte in das helle Licht. „Ich bin jetzt auf. Hast du Kontakt zu der Detektei bekommen, die du so warm empfiehlst?“

„Genau deswegen konnte ich nicht später anrufen. Die Leute sind bereits auf dem Weg zu dir. Um genau zu sein, müsste ihre Maschine vor fünfzehn Minuten in LAX gelandet sein.“

„Jesus!“ Abrupt setzte Vincent sich auf. „Das ging aber schnell.“

„Jackie ist noch nie jemand gewesen, die viel Zeit verliert. Ich habe ihr die Situation erklärt, und sie hat sofort einen Flug gebucht. Du hast Glück, dass sie gerade einen großen Auftrag für mich erledigt hatte und alle anderen Termine aufschieben oder delegieren konnte.“

„Wow!“, murmelte Vincent. Doch als er wirklich begriff, was Bastien gerade gesagt hatte, runzelte er die Stirn. „Sie? Es ist eine Frau?“

„Ja, und sie ist gut. Richtig gut. Sie wird deinen Saboteur im Handumdrehen aufspüren.“

„Wenn du es sagst“, meinte Vincent leise. „Danke, Bastien. Ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen.“

„Kein Problem. Ich helfe gern.“

Vincent öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, als er aber im Hintergrund die gedämpfte Stimme einer Frau hörte, überlegte er es sich anders. Er grinste. „Ist das Terri?“

„Ja. Sie lässt grüßen, und ich soll dich warnen …“ Bastien hielt inne, um sich zu räuspern. „Äh … Vincent, Mutter ist auch auf dem Weg Richtung Westen.“

„Was?“ Vincent sprang auf. Das war eine wirklich schockierende Nachricht. Tante Marguerite hatte ihn seit Jahrzehnten nicht mehr besucht. Normalerweise fuhr er zu ihr nach Kanada. Außerdem hatte sie sich einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt für eine Reise ins sonnige Kalifornien ausgesucht. „Und warum?“

„Äh, nun ja … das ist schon eine komische Sache.“ Bastien lachte nervös. „Offenbar ist Mutter zu dem Schluss gekommen, dass du ziemlich einsam und deprimiert bist.“

„Was?“ Vincent starrte das Telefon an.

„Ja. Sie glaubt, als du hier in New York warst und gesehen hast, wie Terri und ich zusammengekommen sind – und meine Geschwister mit ihren Partnern –, da hätte dich das ziemlich aufgewühlt. Immerhin bist du immer noch Single. Sie scheint zu denken, dass du ein bisschen aufgemuntert werden musst oder sogar Hilfe brauchst.“

„Gütiger Himmel!“, murmelte Vincent und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

„Ja, ich dachte mir schon, dass du so reagieren würdest“, sagte Bastien mitfühlend. „Ich habe versucht, es ihr auszureden, aber … na ja, du weißt ja, wie Mutter ist, wenn sie sich erst mal was in den Kopf gesetzt hat.“

„Gütiger Himmel“, wiederholte Vincent.

„Sie hat einen späteren Flug genommen“, erklärte Bastien. „Sie wird nicht vor sechs Uhr deiner Zeit eintreffen. Und sie hat einen Leihwagen reserviert, also brauchst du sie auch nicht abzuholen.“

„Weiß sie, was hier los ist?“

„Nein“, antwortete Bastien. „Und wenn du nicht willst, dass sie sich einmischt, dann sag es ihr auch lieber nicht.“

Vincent stieß ein bellendes Lachen aus. Sich einmischen war pure Untertreibung. Wenn Marguerite Argeneau erfuhr, dass jemand die Firma ihres Neffen sabotierte, würde sie nicht zögern, die Täter höchstpersönlich zu entlarven. Sie beschützte einfach alle, die ihr am Herzen lagen, und Vincent sollte sich gefälligst glücklich schätzen, zu diesem Kreis zu gehören.

„Lieber Gott“, flüsterte er.

„Steck sie einfach ins Gästezimmer und drück ihr ein paar Touristenbroschüren in die Hand. Dann kann sie sich mit sich selbst beschäftigen“, schlug Bastien vor. „Irgendwann wird sie sich schon langweilen und wieder abreisen.“

Vincent verzog das Gesicht. So leicht würde es mit Sicherheit nicht werden. „Ich hoffe, dass ich auch diese Jackie nicht abholen sollte und diesen … wie hieß er noch?“ Er hielt inne und versuchte, sich an den zweiten Namen zu erinnern, den Bastien erwähnt hatte.

„Tiny“, half sein Cousin ihm auf die Sprünge. „Nein, die beiden nehmen sich auch einen Leihwagen. Sonst hätte ich schon früher angerufen.“

„Okay.“ Vincent seufzte erleichtert.

„Ich schätze, du hast noch ungefähr eine halbe Stunde, bis sie da sind. Das ist ja wohl Zeit genug.“

„Klar“, stimmte Vincent zu.

„Also gut, dann lass ich dich jetzt mal in Ruhe aufwachen.“

„Ja, gut. Hey, sag Terri …“ Vincent hielt inne, als es an der Tür klopfte, und blickte zum Flur. Mit gerunzelter Stirn stand er auf und verließ mit dem schnurlosen Telefon am Ohr das Arbeitszimmer. „Warte. Da ist jemand an der Tür.“

„Das ist wahrscheinlich das Päckchen, das ich für Mom geschickt habe“, sagte Bastien. „Stell es bitte sofort in den Kühlschrank.“

„Muss angenehm sein, wenn man sein Essen fix und fertig geliefert bekommt“, meinte Vincent trocken.

„Wir kriegen das schon irgendwann hin, Cousin“, sagte Bastien leise, und Vincent bekam gleich ein schlechtes Gewissen, weil er gejammert hatte. Bastiens Wissenschaftler arbeiteten bereits seit Jahren an einer Lösung für Vincents Problem. An mangelndem Einsatz lag es jedenfalls nicht, dass sie noch keine gefunden hatten.

„Ist es das Blut?“, fragte Bastien, als Vincent die Tür öffnete.

„Äh … nein“, antwortete Vincent und betrachtete die beiden Leute, die draußen auf den Marmorstufen standen. Noch nie hatte er ein so gegensätzliches Paar gesehen. Die Frau war blond, der Mann dunkelhaarig. Sie war extrem klein und kurvenreich, er ein Wal von einem Mann und gut über einen Meter neunzig groß. Sie trug ein schwarzes Kostüm und eine frisch gebügelte weiße Bluse, er lässige Cordhosen und einen hellbraunen Pullover. Sie hätten kaum unterschiedlicher sein können.

„Vincent Argeneau?“, erkundigte sich die Frau und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin Jackie Morrisey, und das ist Tiny McGraw. Ich glaube, Bastien hat uns bereits angekündigt.“

Vincent starrte ihre Hand an – aber statt sie zu ergreifen, knallte er die Tür wieder zu und hob das Telefon erneut ans Ohr. „Bastien, sie ist eine Sterbliche!“

„Hast du gerade Jackie die Tür vor der Nase zugeschlagen?“, fragte Bastien erstaunt. „Ich habe den Knall gehört, Vincent. Lieber Himmel! Sei nicht so verdammt unhöflich.“

„Hallo?“, unterbrach Vincent ihn ungeduldig. „Sie ist sterblich. Schlimm genug, dass sie eine Frau ist, aber ich brauche jemanden, der sich mit unserer besonderen Situation auskennt. Sie …“

„Jackie weiß Bescheid“, unterbrach Bastien ihn. „Hast du etwa geglaubt, ich schicke dir eine uneingeweihte Sterbliche? Hab doch mal ein bisschen Vertrauen!“ Er seufzte. „Ihr Vater hat die Detektei Morrisey gegründet und schon oft für uns gearbeitet. Sie weiß von uns, seit sie achtzehn ist, und hat das Geheimnis immer für sich behalten. Seit dem Tod ihres Vaters führt sie die Agentur selbst. Jackie hat zwar ein kleines Problem damit, wenn es um Leute wie uns geht, aber sie ist in ihrem Geschäft einfach die Beste. Und jetzt mach der Frau verdammt noch mal endlich die Tür auf.“

„Aber sie ist sterblich! Und sie ist ein … Mädchen“, beharrte Vincent.

„Ich lege jetzt auf, Vincent“, erklärte Bastien und tat es dann auch.

Mit gerunzelter Stirn starrte Vincent das Telefon an. Beinah hätte er seinen Cousin noch einmal angerufen, aber dann überlegte er es sich anders und wandte sich wieder der Tür zu. Da er unbedingt den Saboteur finden musste, der versuchte, ihn zu ruinieren, konnte er Ms. Morrisey und ihrem Riesenbaby auch genauso gut eine Chance geben. Wenn sie den Knoten für ihn entwirren konnten, sollte es ihm recht sein. Und wenn nicht, konnte er Bastien immerhin noch jahrhundertelang vorwerfen, dass sie versagt hatten.

Bei diesem Gedanken musste Vincent grinsen. Dann griff er nach dem Türknauf.

„Was für eine Frechheit!“ Wütend starrte Jackie auf die Tür, die ihr gerade vor der Nase zugeworfen worden war. Der lange Flug hatte sie erschöpft, und was man ihr hier anbot, war einfach das Letzte. Schließlich hatte sie alles stehen und liegen lassen, um nach Los Angeles zu fliegen und Vincent Argeneau zu helfen.

„Es ist nicht gerade der freundlichste Empfang, den wir je erlebt haben“, stimmte Tiny ihr zu. Seine Stimme war tief und kräftig.

Angesichts dieser Untertreibung schnaubte Jackie ärgerlich. Dann beobachtete sie, wie der große Mann, der neben ihr auf dem weißen Treppenabsatz aus Marmor unter dem Portikus des Herrenhauses stand, einen Schritt zur Seite trat. Fragend hob sie eine Braue, während er durch eins der schmalen Fenster spähte, die sich auf beiden Seiten des Eingangs befanden. Doch im nächsten Moment wurde sie von dem Gemurmel hinter der dunklen Eichentür abgelenkt.

Jackie beugte sich vor, presste ein Ohr ans Holz und versuchte zu verstehen, was Vincent Argeneau sagte. Sie kniff die Augen zusammen und merkte, wie sie innerlich zu kochen begann, als sie hörte, wie er sich darüber beschwerte, dass sie sterblich und ein Mädchen sei.

Dann wurde plötzlich die Tür wieder aufgerissen, und schnell richtete sich Jackie auf. Beinah wäre sie rot geworden, denn schließlich war sie gerade beim Lauschen erwischt worden, aber das machte sie nur noch zorniger. Bevor Vincent Argeneau auch nur ein einziges Wort herausbekam, warf sie ihm schon sämtliche Fakten an den Kopf, die sie während des Flugs in der Akte über ihn gelesen hatte.

„Sie sind 1592 geboren. Ihre Eltern waren Victor und Marion Argeneau, beides Vampire – oder Unsterbliche, wie Sie es vorziehen, genannt zu werden. Marion war gut mit ihrer Schwägerin Marguerite Argeneau befreundet, und Sie sind zwei Monate nach Marguerites Sohn Bastien zur Welt gekommen. Sie haben beide als Kinder viel Zeit miteinander verbracht und sind praktisch wie Brüder aufgewachsen. Ihre Mutter ist 1696 ums Leben gekommen. Sie ist öffentlich verbrannt worden, als sie erneut schwanger war. Ihr Vater hat seitdem sehr zurückgezogen gelebt und seine Zeit als Gesetzeshüter für den Rat verbracht. Sie sehen ihn kaum.

Als Sie mit zehn Jahren Shakespeare kennenlernten, beschlossen Sie, Schauspieler zu werden. Sie haben die ganze Welt bereist und sind nie länger als zehn Jahre an einem Ort geblieben. Seit acht Jahren halten Sie sich in Kalifornien auf. Davor waren Sie zehn Jahre in England und davor jeweils zehn in Russland, Spanien und Frankreich. Sie besitzen Anteile an Argeneau Enterprises, sind aber auch Eigentümer von V.A. Inc., die wiederum viele Beteiligungen hält. Eine davon ist Ihre eigene Theaterproduktion, die derzeit aber keine Stücke auf die Bühne bringt, denn es ist zu einer Reihe von Zwischenfällen gekommen, die Sie für Sabotage halten. Dadurch haben Sie sich gezwungen gesehen, sämtliche Produktionen abzusetzen.“

Jackie verstummte und erfreute sich an dem verblüfften Ausdruck auf Vincent Argeneaus Gesicht. Das geschah ihm recht. Sie war nur hergekommen, um Bastien einen Gefallen zu tun. Es gab genügend andere Fälle, an denen sie lieber arbeiten würde. Und machte sich dieser Kerl mal Gedanken darüber? Nein! Stattdessen warf er ihr die Tür vor der Nase zu und besaß auch noch die Frechheit, sich bei Bastien darüber zu beschweren, dass sie sterblich undein Mädchen war. Jackie erlebte es nicht zum ersten Mal, dass Menschen sie ausschließlich nach ihrem Geschlecht und ihrer Größe beurteilten. Manchmal ärgerte es sie, aber im Großen und Ganzen kam sie damit zurecht. Sie wollte jedoch verdammt sein, wenn sie auch noch mit Vorurteilen gegen ihre Spezies leben sollte. Sie war ein Mensch, und sie war stolz darauf. Einige von diesen Nachtgestalten waren einfach viel zu eingebildet. Sie schliefen den ganzen Tag, tranken nachts abgepacktes Blut und taten so unglaublich überlegen, weil sie nicht mal eine Erkältung bekommen konnten, sondern immer vollkommen gesund waren.

Dabei fiel Jackie etwas ein, was sie ausgelassen hatte.

„Sie haben eine genetische Disposition Ihres Vaters geerbt, die es Ihnen nicht erlaubt, von abgefülltem Blut zu leben wie alle anderen Ihrer Art. Müssten Sie sich ausschließlich von Blutbeuteln ernähren, würden Sie verhungern. Daher sind Sie gezwungen, ihre Mahlzeiten zu jagen und sich von lebenden Spendern zu ernähren.“ Sie hob die Brauen und fügte hinzu: „Tiny und ich stehen dafür allerdings nicht zur Verfügung. Wenn Sie auch nur einen von uns beißen, sitzen wir sofort in der nächsten Maschine nach New York. Ist das klar?“

Jackie wartete die Antwort gar nicht erst ab. Sie fand, dass sie inzwischen schon viel zu lange auf der Türschwelle gestanden hatte, und marschierte nun an Vincent vorbei ins Haus. Sie wusste, dass Tiny ihr folgen würde.

„So etwas wie Sicherheitsvorkehrungen gibt es hier wohl überhaupt nicht“, bemerkte sie und warf einen Blick in jedes Zimmer. „Das Tor stand weit offen. Wir sind einfach hindurchgefahren. Jeder kann das.“

„Die Sicherheit meines Hauses steht hier nicht zur Debatte.“ Vincent Argeneau klang verärgert, stellte sie fest, aber ansonsten erholte er sich offenbar langsam von dem Schock, dass sie seinen ganzen Lebenslauf heruntergerasselt hatte.

„Das sollte sie aber“, erwiderte Jackie. „Da Sie jetzt alle Ihre Bühnen geschlossen haben, ist dem Saboteur sein ursprüngliches Ziel abhanden gekommen. Er wird nach einem anderen suchen, und da würde mir als Erstes Ihr Haus einfallen.“

Als Jackie das Ende des Flurs erreichte, warf sie noch einmal einen Blick zurück, und es überraschte sie nicht besonders, als sie sah, dass er noch schnell einen besorgten Blick zur Haustür warf. Sie hatte das Klicken nicht gehört, als sie ins Schloss gefallen war. Jetzt ging er noch einmal zurück und drehte den Schlüssel um. Jackie lächelte in sich hinein, während sie schon die Küche betrat.

Tiny stand einfach da, während sich Jackie umsah, dabei Schränke öffnete und wieder schloss und darauf wartete, dass Vincent zu ihnen stieß. Sie starrte gerade in seinen leeren Kühlschrank, als er hereinkam.

„Sie haben eine Menge Glas im Haus“, stellte sie fest. „Balkontüren, Schiebetüren aus Glas und jede Menge Fenster. Sind die wenigstens an eine Alarmanlage angeschlossen?“

Sein Zögern war Antwort genug.

„Wonach suchen Sie denn?“, fragte Vincent stattdessen.

Jackie zuckte die Achseln. „Wenn Tiny und ich hierbleiben sollen, muss ich wissen, was wir noch brauchen. Wie zu erwarten war, haben Sie nichts zu essen im Haus. Ganz zu schweigen von Geschirr, Besteck oder irgendwelchen anderen Utensilien“, fügte sie hinzu.

Sie schloss die Kühlschranktür und warf ihrem Assistenten einen Blick zu. „Mach schon mal eine Liste, Tiny. Schreib einfach alles auf.“

„Sie wollen hierbleiben?“, fragte Vincent entsetzt.

„Wenn nicht alle ihre Stücke abgesetzt wären, hätten wir uns irgendwo eingemietet und eine der Produktionen genutzt, um uns inkognito ein bisschen umzusehen. Nun müssen wir wohl in Ihrem Haus bleiben und uns eine andere Tarnung ausdenken.“ Sie wandte sich ihm zu und sah ihn nachdenklich an. „Haben Sie eine Privatsekretärin?“

„Nein“, meinte Vincent.

„Jetzt schon“, erklärte Jackie. Sie deutete auf Tiny und fügte hinzu: „Und einen Koch und Haushälter.“

Vincent starrte sie an, dann musterte er Tiny, der feierlich dazu nickte.

Jackie ging zur Tür. „Ich muss ein paar Anrufe erledigen. Ich gehe davon aus, dass ich das Telefon in Ihrem Arbeitszimmer benutzen kann.“

„Ja, selbstverständlich.“ Vincent sagte es fast automatisch. Er war völlig verblüfft über das, was sich gerade vor seinen Augen abspielte.

„Soll ich das Gepäck abladen?“, erkundigte sich Tiny.

„Ja, bitte. Und ich brauche meine Aktentasche aus dem Auto. Wenn ich telefoniert habe, sehe ich mich im ersten Stock um. Falls du mich nicht mehr im Arbeitszimmer findest.“

„Alles klar, Boss“, murmelte Tiny und folgte ihr aus der Küche.

Diesmal kam Vincent ihnen nicht nach, und Jackie spürte, wie die Anspannung ein wenig von ihr abfiel.

„Du warst ziemlich hart zu ihm“, bemerkte Tiny, als sie die Tür erreichten, die zum Arbeitszimmer führte.

Jackie zuckte die Achseln. „Der muss mal lernen, wo der Hammer hängt. Nur weil diese Vampire so alt werden, halten sie sich gleich für unverwundbar. Das Haus ist der Traum jedes Einbrechers. Es ist pures Glück, dass Argeneau noch nicht ausgeraubt oder anderweitig attackiert worden ist … und jetzt ist ihm tatsächlich jemand auf den Fersen. Wir haben nicht die Zeit, ihn mit Samthandschuhen anzufassen. Das Haus muss schnell gesichert werden, damit wir uns darauf konzentrieren können, den Saboteur zu schnappen.“

„Und außerdem hat er dir die Tür vor der Nase zugeknallt“, fügte Tiny hinzu und brachte sie damit zum Lächeln. Der Riese ließ es ihr selten durchgehen, dass sie sich selbst in die Tasche log.

„Ja“, gab Jackie zu. „Er war unhöflich. Und er bezweifelt, dass ich meinen Job verstehe. Das ist ziemlich verletzend. Also habe ich dafür gesorgt, dass er noch einmal darüber nachdenkt.“

„Glaubst du wirklich, dass er das tut?“, wollte Tiny wissen.

„Ich denke, er wünscht sich inzwischen, er hätte Bastien nie angerufen“, meinte sie grinsend.

„Wenn er sich mies fühlt, wird unsere Arbeit hier bald beendet sein“, stellte Tiny fest.

„Das wäre mir durchaus recht“, erwiderte Jackie, aber sie lachte leise, während Tiny zum Auto ging und sie sich dem Arbeitszimmer zuwandte. Die Fähigkeit des großen Mannes, sie mit seinen Witzen aus jeder noch so schlechten Laune zu reißen, war unbezahlbar, und sie hatte Gott schon viele Male dafür gedankt. Und Jackie ging davon aus, dass Tiny sie noch oft würde aufheitern müssen, bevor dieser Auftrag erledigt war.

Seufzend ließ sie sich in den Schreibtischsessel fallen und starrte auf die leere Station des schnurlosen Telefons. Dann erinnerte sie sich, dass Vincent gerade telefoniert hatte, als er an die Tür gekommen war. Und er hatte das Telefon immer noch.

Sie schüttelte den Kopf, stand wieder auf, hielt aber mitten in der Bewegung inne, als Vincent Argeneau plötzlich mit dem schnurlosen Telefon in der Hand das Arbeitszimmer betrat. Nach kurzem Zögern griff Jackie danach, aber Vincent hielt den Apparat fest.

„Es tut mir leid, dass ich so unhöflich war und Ihnen die Tür vor der Nase zugemacht habe“, sagte er. „Ich war gerade erst geweckt worden und noch nicht ganz bei Sinnen. Außerdem hatte ich Sie erst in einer halben Stunde erwartet.“

„Offenbar hatten wir Rückenwind. Wir sind früh gelandet“, erklärte Jackie.

Vincent Argeneau nickte. „Ich war einfach verblüfft, Sie plötzlich vor der Tür zu haben, und noch verblüffter, dass Sie eine Sterbliche sind. Bastien hatte mich nicht vorgewarnt, und ich nahm einfach an, dass sich einer von uns der Sache annimmt.“

Jackie zögerte kurz, schließlich nickte sie langsam. „Entschuldigung akzeptiert.“

„Gut. Dann können wir vielleicht noch einmal von vorn anfangen.“ Er ließ das Telefon los und streckte mit einem versöhnlichen Lächeln die Hand aus. „Hallo, ich bin Vincent Argeneau. Sie müssen die erstaunliche Jackie Morrisey sein, die mein Cousin Bastien geschickt hat, um mich zu retten. Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich weiß Ihre Hilfe wirklich zu schätzen. Willkommen in meinem Haus.“

Jackie gab ihm automatisch die Hand, und überrascht bemerkte sie den kleinen Schauder, der sie dabei überlief. Schnell zog sie ihre Hand zurück. „Ich würde gern jemanden kommen lassen, der hier eine vernünftige Alarmanlage einbaut. Falls Sie ein Problem damit haben …“ Sie beendete den Satz nicht, doch er schüttelte den Kopf.

„Wenn Sie es für notwendig halten, dann tun Sie es einfach. Sobald das erledigt ist, könnten Sie sich vielleicht wirklich ganz diesem Saboteur widmen. Ich gebe ja zu, dass ich in Sicherheitsdingen nachlässig gewesen bin, und ich hatte einfach nur Glück, dass ich bisher noch nicht ausgeraubt oder anderweitig attackiert worden bin. Danke, dass Sie mich mit der Nase draufgestoßen haben.“

Jackie erstarrte, als sie ihre eigenen Worte erkannte, die sie noch vor einem Augenblick zu Tiny gesagt hatte, und plötzlich fiel ihr ein, dass Vincents Art auch über ein hervorragendes Gehör verfügte. Diese Nachtwesen konnten sogar Gedanken lesen, erinnerte sie sich grimmig. Es war wohl besser, sehr vorsichtig zu sein und möglichst an nichts Bestimmtes zu denken, wenn er in der Nähe war. Man brauchte zum Beispiel nur irgendeinen Kinderreim wieder und wieder im Kopf durchgehen, das würde ihn ein wenig behindern.

„Ich werde Sie Ihren Telefonaten überlassen und inzwischen duschen und mich anziehen.“

Seine Worte lenkten Jackies Blick unwillkürlich auf seine nackte Brust. Die Detektivin blinzelte überrascht und fragte sich, wie ihr vorher hatte entgehen können, dass der Mann nichts als eine dunkelblaue Pyjamahose am Leib trug. Jackie war wegen seines Auftritts an der Tür so wütend gewesen, dass sie nicht einmal bemerkt hatte, wie spärlich bekleidet er war. Oder wie gut sein wie gemeißelt wirkendes Gesicht und die silbrig-blauen Augen im Kontrast zu seinem dunklen Haar aussahen. Erstaunlich, dachte sie ungläubig.

„Sobald Sie mit den Sicherheitsleuten fertig sind, fahre ich Sie und Tiny zum Einkaufen, und Sie können sich alles besorgen, was Sie während Ihres Aufenthalts hier brauchen werden“, verkündete er. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen.“

Er drehte sich auf dem Absatz um und ging. Jackie folgte ihm bis zur Tür und starrte hinter ihm her. Ihr Blick glitt interessiert über seinen nackten, muskulösen Rücken bis zu seinem Po in der Pyjamahose. Dann bemerkte sie, was sie da eigentlich tat, und schüttelte den Kopf.

„Lass das bloß sein“, rief sie sich leise zur Ordnung und machte sich auf die Suche nach einem Telefonbuch, um die Nummern einiger örtlicher Sicherheitsfirmen herauszufinden. „Dich in einen von denen zu vergucken, würde dir gerade noch fehlen. Das hast du doch schon alles hinter dir.“

„Du redest mit dir selbst. Das ist immer ein schlechtes Zeichen während eines Auftrags.“

Bei Tinys Worten zuckte Jackie zusammen. Sie blickte auf und sah ihn mit einem großen Karton in den Händen in der Tür stehen.

„Was ist das?“

„Eine Lieferung von A.B.B. Kam gerade, als ich zum Auto ging.“

„A.B.B.?“ Jackie verzog das Gesicht. Sie wusste, dass es sich um Blut handelte, das Bastien von der Argeneau-Blutbank an seine Mutter schicken ließ, solange sie in Kalifornien war. Bastien hatte Jackie erklärt, dass Marguerite Argeneau kommen würde, um sich um Vincent zu kümmern, weil sie überzeugt war, dass er einsam und deprimiert sein müsse, da all seine Vettern und seine Cousine bereits ihre Lebenspartner gefunden hatten und er noch Single war. Jackie fand nicht, dass er deprimiert wirkte, aber sie kannte den Mann auch kaum.

Sie starrte den Karton an, der zweifellos eine Kühlbox voller Blutbeutel enthielt, und kam zu dem Schluss, dass dieser Job wohl zu einer echten Herausforderung werden würde. Normalerweise mussten sie nicht so eng mit Unsterblichen zusammenleben und ihre Essgewohnheiten mit ansehen.

Seufzend blätterte Jackie im Telefonbuch zu der Seite mit den Sicherheitsfirmen und wählte die Nummer der ersten, während sie zu Tiny sagte: „Bring das Paket in die Küche und sag Argeneau, dass es da ist.“

Drei Stunden später betete Allen Richmond von RichmondSicherheitsdienste alles herunter, was verändert und welche Geräte eingebaut werden mussten, um Vincent Argeneaus Anwesen einigermaßen zu schützen. Bei jedem weiteren Punkt machte Jackie einen Haken auf der Liste, die sie im Kopf hatte. Er war der dritte Mann, der sich in den letzten zwei Stunden das Haus angesehen hatte, aber der erste, dem dabei auch keine Sicherheitslücke entgangen war. Allen Richmond würde den Zuschlag erhalten.

„Können Sie das alles gleich heute erledigen?“, fragte Jackie, als er fertig war.

„Das wird aber ein bisschen was extra kosten“, warnte der ältere Mann und fuhr sich durch das kurz geschnittene graue Haar. „Ich muss einen anderen Job verschieben und dort auch die Ausrüstung abziehen. Meine Männer müssen Überstunden machen und …“ Er hielt inne, um ein paar Ziffern auf dem Block, auf dem er sich Notizen gemacht hatte, während er sich das Haus angesehen hatte, zu addieren. Dann nannte er eine Summe, bei der die meisten Leute erbleicht wären. Aber es war nicht mehr, als Jackie erwartet hatte, und sie warf Vincent, der inzwischen zu ihnen gestoßen war, einen Blick zu.

„Können Sie sich das leisten?“, fragte sie ganz direkt.

Vincent verzog das Gesicht, als habe sie ihn beleidigt, dann knurrte er: „Lassen Sie’s machen.“

Jackie wandte sich Allen zu und nickte. „Machen Sie’s.“

„Ich rufe gleich im Büro an, Die Leute sind dann innerhalb von einer Stunde hier.“ Während Allen Richmond zu seinem Auto ging, zog er schon sein Handy aus der Tasche.

„Also gut …“ Vincent runzelte die Stirn. „Ich fürchte, dann wird es wohl nichts mit dem Einkaufen.“

„Ich kann das Haus im Auge behalten, solange Sie und Jackie einkaufen“, schlug Tiny vor.

Jackie warf ihm einen verärgerten Blick zu. Sie hatte ganz bestimmt keine Lust, mit Vincent Argeneau einkaufen zu gehen. Leider war es bereits nach fünf, und bald wurde es Zeit fürs Abendessen. Und sie brauchten vor allem Kaffee. Jackie lebte von dem schwarzen Gebräu und würde ohne es kaum die Nacht überstehen. Also seufzte sie und sagte: „Ich hole meine Tasche.“

„Ich sollte Sie warnen“, meinte Tiny. „Jackie hasst es, einkaufen zu gehen.“

Bei dieser Untertreibung verdrehte Jackie die Augen, doch zu einer Erwiderung kam sie nicht, weil das Telefon klingelte.

„Ich geh ran.“ Vincent rannte plötzlich an ihr vorbei zum Arbeitszimmer.

Jackie folgte ihm und nahm die Handtasche vom Schreibtisch. Sie wollte gerade gehen, als er erschrocken „Was?“ in den Apparat rief. Jackie blieb noch einmal stehen und sah ihn besorgt an.

Vincent Argeneau schien sowohl ziemlich verblüfft als auch entsetzt zu sein.

 

2

„Also hat Ihre Produktionsassistentin Sie angerufen, um Ihnen mitzuteilen, dass der Hauptdarsteller des Stücks, das heute Abend Premiere haben sollte, ausgestiegen ist und sich der Vorhang deswegen nicht heben kann?“

„Ja“, antwortete Vincent, während er hinaus auf die Straße starrte. Jackie fuhr, und er sollte sie zu einem Geschäft führen, wo es Küchengeräte gab. Nur hatte er keine Ahnung, wo man so was bekam. Um Küchengeräte hatte er sich in den letzten Jahrhunderten nur selten gekümmert. Das hatte er ihr allerdings nicht gesagt, weil er hoffte, dass sie schon über einen entsprechenden Laden stolpern würden, bevor sie es merkte.

„Ich dachte, Sie hätten bereits all ihre Produktionen eingestellt, bis Sie wissen, wer Sie sabotiert?“

„Nein, nicht ganz“, murmelte Vincent und überlegte, was Bastien ihr wohl gesagt hatte.

Doch bevor er die Frage stellen konnte, beantwortete Jackie sie selbst. „Bastien hat mit keine weiteren Einzelheiten erzählt. Ich dachte, Tiny und ich setzen uns nachher mit Ihnen zusammen und gehen die Details durch. Ich wollte nur erst mal alle wichtigen Dinge auf den Weg bringen.“

„Wichtig war, mein Haus zu sichern und alles Notwendige einzukaufen“, murmelte Vincent mit einem leisen Lächeln und warf ihr einen Blick zu.

„Sie können ja vielleicht leben und arbeiten, ohne zu essen, wir aber nicht“, stellte Jackie fest. „Ohne Kaffee funktioniere ich einfach nicht.“

Plötzlich bremste sie und bog auf den Parkplatz eines Einkaufszentrums ein.

„Tut mir leid, ich war abgelenkt“, meinte er und betrachtete das große Gebäude.

„Kein Problem“, erwiderte Jackie, während sie den Wagen abstellte. „Ich hätte es auch beinah übersehen.“

Vincent gab nur ein zustimmendes Grunzen von sich, stieg aus dem Wagen und folgte ihr in die Mall. Eigentlich hatte er damit gerechnet, sich beim Einkaufen ziemlich zu langweilen oder sogar zu ärgern, aber er stellte überrascht fest, dass es ihm gefiel.

„Keine Ahnung, warum Sie nicht gern einkaufen“, meinte er schließlich, nahm Jackie die billige weiße Plastik-Kaffeemaschine wieder aus den Händen und schob sie zurück ins Regal. Dann entschied er sich für die teuerste Variante in Schwarz und Chrom und stellte sie in den Einkaufswagen.

Da er nicht sicher war, was in eine Küche gehörte, hatte Vincent einfach von allem ein Exemplar mitgenommen: einen Mixer, einen Wasserkocher, einen Entsafter und so weiter. Zwar hatte er Jackie gefragt, was sie brauche, aber es war kein Scherz gewesen, als Tiny gesagt hatte, dass sie es nicht ausstehen konnte einzukaufen. Die ganze Zeit schimpfte und meckerte sie. Er fand das irgendwie niedlich, denn sie wirkte auf ihn wie ein wild knurrender Chihuahua … nur viel süßer.

„Bitte sagen Sie mir nicht, dass Sie einer von diesen Leuten sind.“ Jackie klang geradezu angewidert.

Er zögerte. „Von welchen Leute?“

„Zu den Leuten, die glauben, dass Einkaufen befreit“, erwiderte sie trocken und griff nach einem Toaster.

„Keine Ahnung. Aber ich finde es durchaus entspannend“, gab Vincent zu. Er nahm ihr den Toaster aus der Hand und tauschte ihn gegen einen anderen.

„Was hat mit dem anderen nicht gestimmt?“

„Dieser ist besser“, erklärte Vincent und stellte seine Wahl in den Wagen. „Er ist schwarz und mit Chrom abgesetzt und passt zu den anderen Sachen.“

„Das hat für meinen auch gegolten“, entgegnete sie.

„Aber meiner hat eine coole Form und toastet vier Scheiben gleichzeitig“, stellte Vincent fest.

Jackie verdrehte die Augen. „Wir sind aber nur zu zweit und brauchen keinen Toaster für vier Scheiben.“

„Wir sind durchaus zu viert. Sie haben mich und meine Tante vergessen“, erinnerte sie Vincent.

„Leute wie Sie essen doch gar nichts“, meinte sie gereizt.

„Ich schon“, korrigierte Vincent. Nicht oft zwar, gestand er wortlos, aber solange Jackie da war, würde er mehr essen. Er entdeckte das nächste Gerät im Regal und warf Jackie einen erfreuten Blick zu. „Sehen Sie mal, ein Waffeleisen! Ich habe schon mal Waffeln gegessen. Die waren wirklich gut.“

Er schob den Wagen ein Stück weiter und musterte die Verpackung.

„Wie meinen Sie das? Gegessen?“ Die Frage brach geradezu aus ihr heraus. Etwas von ihrem Ärger wich Verwirrung. „Sie essen nicht, Sie trinken Blut.“

Vincent lächelte beruhigend einer älteren Frau zu, die gerade ihren Einkaufswagen an ihnen vorbeischob und bei Jackies Worten entsetzt erstarrte.

„Wir proben unseren Text für ein Theaterstück“, erklärte er schnell. Die Frau entspannte sich etwas, erwiderte unsicher sein charmantes Lächeln und schob ihren Wagen weiter. Vincent wartete, bis er mit Jackie wieder allein im Gang war, dann hob er eine Augenbraue und sah sie fragend an. Doch er hätte sich gar nicht die Mühe machen müssen, sie war vor Verlegenheit schon knallrot geworden.

„Tut mir leid“, murmelte sie, nahm das Waffeleisen und legte es in den Wagen. „Aber Sie essen doch wirklich nicht … Keiner von Ihnen isst … außer Bastien. Bei Geschäftsessen tut er es natürlich aus reiner Höflichkeit. In letzter Zeit allerdings passiert es öfter. Ich denke, das hat mit Terri zu tun.“

„Also ich esse jedenfalls“, erklärte Vincent.

„Und warum ist Ihre Küche dann vollkommen leer?“, fragte sie spitz.

„Ich esse viel auswärts“, murmelte Vincent und ging weiter zum nächsten Gerät. Es war eine Eismaschine. „Mögen Sie Eis?“

Vincent warf Jackie einen Blick zu und bemerkte, dass ihr mürrischer Gesichtsausdruck verschwunden war. Geradezu gierig starrte sie auf die Maschine.

Dann merkte sie, dass er sie beobachtete. Sofort verfinsterte sich ihre Miene wieder, und sie zuckte die Achseln. „Eis ist okay.“

Doch Vincent ließ sich nichts vormachen. Lächelnd stellte er den Karton in den Wagen.

„Ich denke, hier haben wir jetzt alles“, meinte Jackie. „Wir müssen ja auch noch ein paar Lebensmittel besorgen.“

„Da ist aber noch ein Gang. Wir sollten …“

„Vincent, Sie haben beinah alles eingepackt, was es hier überhaupt zu kaufen gibt“, erklärte Jackie ungeduldig.

Er grinste.

„Was ist?“, fragte sie argwöhnisch.

„Ich mag es, wie Sie meinen Namen aussprechen. So scharf und präzise …“

„Und wütend“, fügte sie hinzu. „Wann sollen wir die Geräte denn alle benutzen?“

„Da haben Sie wohl recht“, gab Vincent zu. „Ich denke, wir können jetzt bezahlen.“

Er schob den Wagen, in dem sich die Kartons türmten, nach vorn zu den Kassen und blickte sich um. Dann entdeckte er den strahlenden Manager des Marktes, der ihn zu einer Kasse winkte, an der bereits ihre beiden anderen Wagen auf das Band geladen wurden. Vincent war ehrlich beeindruckt.

Nachdem der erste Wagen mit Tischwäsche, Geschirr und Besteck gefüllt war, hatte Vincent sich umgesehen, wo er ihn abstellen konnte. Der Manager hatte ihm den Wagen abgenommen und dafür gesorgt, dass ihn einer seiner Mitarbeiter im Auge behielt, während sie einen zweiten Wagen beluden. Sobald auch der aus allen Nähten platzte, war der Mitarbeiter mit einem weiteren leeren Wagen erschienen und hatte mit ihnen getauscht. „Hervorragender Service“, bemerkte Vincent, als sowohl der Manager als auch sein Mitarbeiter beim Ausladen halfen.

„Neues Haus?“, fragte der Manager lächelnd.

„Gut geraten“, schmeichelte Vincent ihm.

„Das war leicht.“ Der Manager lachte. „Es muss ein neues Haus sein. Das einzige, was Sie noch nicht haben, ist eine Mikrowelle.“

Vincent erstarrte und sah Jackie vorwurfsvoll an. Seufzend hob sie die Hände und wandte sich wieder den endlosen Gängen zu.

Eine halbe Stunde später wartete die Detektivin ungeduldig darauf, dass auch die letzten Sachen eingescannt wurden … darunter eine Mikrowelle in Schwarz und mit Chrom. „Wir haben nicht genug Platz im Auto, um das alles zu verstauen“, stellte sie düster fest. „Und wir haben noch nicht mal Lebensmittel gekauft.“

„Ich lasse Ihnen das gern anliefern“, erklärte der Manager freundlich.

„Wunderbar!“, strahlte Vincent, und Jackie schaffte es gerade noch, nicht die Augen zu verdrehen. Es würde glatt zu dem Mann passen, dass ihm die Einkauferei wirklich gefiel. Die vergangenen zwei Stunden war er völlig entspannt und bei bester Laune gewesen. Sie selbst hätte sich damit zufriedengegeben, eine Kaffeemaschine und Pappteller zu kaufen. Aber nicht Vincent. Wenn schon, dann richtig, hatte er gesagt und sich Zeit gelassen, sowohl bei der Auswahl des Geschirrs als auch der Gläser. Und dann hatte er auch noch darauf bestanden, dass alle Geräte farblich zusammenpassten.

Jackie schüttelte den Kopf. Wen interessierte es schon, ob der Schnellkocher aus weißem Plastik war, die Cappuccinomaschine aus Chrom und der Gemüsedämpfer blau? Vincent!

Sie seufzte, während Vincent der Kassiererin seine Kreditkarte gab.

„Der Mann, der die Sachen in Empfang nehmen wird, heißt Tiny“, erklärte Vincent dem Manager. „Sollte das Tor geschlossen sein, müssten Sie klingeln. Sagen Sie ihm dann einfach, dass die Lieferung von Jackie abgesegnet ist.“

„Ich rufe ihn an und warne ihn vor“, meinte Jackie ungeduldig. „Können wir jetzt gehen?“

„Ignorieren Sie sie einfach“, riet Vincent dem Manager. „Sie ist gerade erst aus New York gekommen. Sie wissen ja, wie New Yorker sein können.“

„Oh … ja.“ Der Manager nickte feierlich und sah aus, als wolle er Vincent sein Beileid aussprechen, weil er sich mit ihr abgeben musste.

Jackie fand die ganze Sache wirklich mehr als ärgerlich. Sie drehte sich auf dem Absatz um und marschierte auf die automatischen Türen zu. Vincent folgte ihr.

„Beehren Sie uns bald wieder!“, rief ihnen der Manager fröhlich nach.

„Mit den Lebensmitteln machen wir das aber nicht so“, erklärte Jackie grimmig, als sie den Motor des Leihwagens anließ. „Wir werden nicht den ganzen Markt leer kaufen. Sie sind ein Vampir, also brauchen Sie auch nichts zu essen.“

„Und Sie sind eine Frau. Angeblich gehen Frauen gern einkaufen“, erwiderte er sanft. „Offenbar sind die Dinge nicht immer so, wie sie scheinen.“

In ihrem Ärger würgte Jackie das Auto ab. Sie spürte, wie sie vor Verlegenheit rot wurde, biss die Zähne zusammen und startete den Motor erneut. Dann hielt sie inne und holte tief Luft, um sich zu beruhigen.

„Muss der Jetlag sein“, murmelte sie leise, während sie vom Parkplatz rollte.

„Zweifellos“, stimmte Vincent ihr zu.

„Sind Sie immer so verdammt gut gelaunt?“, fragte sie gereizt.

„Überwiegend“, versicherte er ihr lächelnd.

Jackie stieß einen Seufzer aus. „Sie sind ganz anders als Bastien. Er ist …“

„Ernsthaft? Nüchtern? So was in der Art?“, schlug Vincent amüsiert vor.

„Erwachsen“, sagte sie trocken.

„Er ist Geschäftsmann. Ich bin Schauspieler“, erläuterte Vincent, als würde das alles sagen.

Jackie runzelte die Stirn. Das hatte sie ganz vergessen, aber er war ebenfalls Geschäftsmann und besaß eine eigene Firma. Sie fragte sich, wie viel von seiner Unbeschwertheit nur gespielt war.

„Haben Sie Tinys Liste?“, wollte Vincent wissen, als sie zehn Minuten später durch den Lebensmittelmarkt gingen.

Jackie griff in die Tasche und holte ein Stück Papier heraus. Tiny hatte es ihr auf dem Weg nach draußen in die Hand gedrückt. Sie faltete es auseinander, las das einzige Wort, das darauf stand, und musste lachen.

Neugierig nahm Vincent ihr die Liste aus der Hand. Er lächelte schwach. „Na ja, Sie haben ihm schließlich gesagt, dass er alles aufschreiben soll.“

„Ja“, stimmte Jackie seufzend zu und erkannte, dass sie auch hier nicht besonders schnell fertig sein würden. Sie brauchten wirklich alles. Vincents Haus verfügte nicht einmal über solche grundlegenden Dinge wie Salz und Pfeffer.

„Hier.“ Vincent griff in die Tasche und gab ihr ein wenig Geld. Er deutete in den hinteren Bereich des Marktes. „Besorgen Sie uns doch etwas zu trinken, und ich fange schon mal mit dem Einkaufen an.“

Jackie folgte seinem Blick und sah das Emblem für frischen Kaffee. Erleichtert nickte sie. Eine Dosis Koffein würde das alles für sie erträglicher machen. „Wie trinken Sie Ihren denn?“

Vincent blinzelte. „Äh … normal?“

Jackie hob die Brauen. Seine Antwort sagte ihr, dass er gewöhnlich keinen Kaffee trank. Aber da er ihr auf diese Weise eine kleine Erholungspause zugestand, ließ sie es ihm durchgehen und eilte davon.

Zehn Minuten später hatte sie einen halben Cappuccino getrunken und fühlte sich schon erheblich besser. Es störte sie nicht einmal, dass Vincent sich wirklich alles ansah. Ihm lief sichtlich das Wasser im Mund zusammen, während er die Bilder auf den Dosen und Schachteln betrachtete, die deren leckeren Inhalt zeigten. Wahrscheinlich hatte sie recht, und er aß normalerweise nichts.

Doch Vincent zuckte nur die Schultern, als sie das sagte, und meinte, in den Restaurants, die er aufsuche, gebe es solche Sachen einfach nicht.

Als sie von ihrer Einkaufstour zurückkehrten, waren die Küchengeräte und anderen Sachen bereits angeliefert worden, und Tiny hatte den größten Teil schon weggeräumt. Damit blieben nur noch die Lebensmittel übrig. Jackie und Vincent halfen dem Riesen, alles zu verstauen. Dann holte Jackie ihre Aktentasche und legte sie auf den Tisch. Sie holte einen Notizblock und einen Stift heraus und sah die beiden Männer erwartungsvoll an.

Vincent und Tiny versuchten gerade herauszufinden, wie die Eismaschine funktionierte … selbstverständlich, ohne vorher einen Blick in die Bedienungsanleitung zu werfen. Jackie verkniff sich ein Grinsen. Es war ein so typisch männliches Verhalten, dass man dabei fast vergessen konnte, wie unterschiedlich die beiden waren.

Bei dem Gedanken runzelte sie die Stirn. Auf gar keinen Fall wollte sie das vergessen. Vincent war attraktiv und charmant und … ein Vampir. Sie musste diese letzte Tatsache im Auge behalten und den Rest einfach ignorieren. Das war nur zu ihrem eigenen Besten.

Also presste sie die Lippen zusammen und sah den Männern eine weitere Minute lang zu. „Vincent?“, sagte sie dann.

„Ja?“ Er warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Bastien hat mir kurz erzählt, was passiert ist, aber wie Sie wissen, war das nicht besonders erhellend.“ Sie war einfach zu müde, um ihre Unzufriedenheit zu verbergen. „Tiny und ich müssen mit Ihnen alle Einzelheiten durchgehen.“

„Zeit zu arbeiten“, meinte Tiny bedauernd und schob die Eismaschine beiseite. „Fangt ihr nur schon an. Ich werde Kaffee kochen und das Abendessen vorbereiten. Ich kann auch zuhören, während ich Gemüse schneide. Jackie wird sich besser fühlen, wenn sie etwas gegessen hat. Sie ist immer mürrisch, wenn ihr Blutzuckerspiegel sinkt.“

Jackie musste bei der Bemerkung die Zähne zusammenbeißen. Sie war nicht mürrisch! Sie fand, dass sie eigentlich sogar sehr aufgeschlossen war. Schließlich war es bereits nach neunzehn Uhr. Den größten Teil des Tages hatte sie auf Flughäfen und in Fugzeugen verbracht, nur Schreckliches gegessen und noch schlimmeren Kaffee getrunken Und kaum war sie angekommen, hatte sie ausgerechnet einkaufen gehen müssen. Sie … Okay, etwas zu essen wäre nicht schlecht.

„Ich mache eben eine Kleinigkeit.“ Tiny ging zum Kühlschrank.

Vincent gesellte sich lächelnd zu Jackie, und sein Blick glitt neugierig von dem Stift in ihrer Hand zu dem Notizblock auf dem Tisch.

Jackie widerstand dem Bedürfnis, ihre Notizen zuzudecken, und räusperte sich. „Wie ich schon sagte, so weit Bastien gesagt hat, haben Sie alle Produktionen ausgesetzt, weil jemand versucht, sie zu sabotieren.“

„Ja und nein. Im Moment finden keine Vorstellungen statt. Ich habe sie ausgesetzt, allerdings nicht alle auf einmal. Und ich habe mir das ganz gewiss nicht ausgesucht“, murmelte er unglücklich und ließ sich ihr gegenüber nieder. „Nach und nach musste ich die Premieren hinausschieben und Produktionen, die bereits angelaufen waren, vorübergehend absetzen.“

„Und warum? Bastien hat etwas von Unfällen und kleineren Katastrophen erzählt.“

„Ja.“ Müde fuhr sich Vincent mit der Hand durchs Haar und dachte daran, was sich in den vergangenen Wochen alles ereignet hatte. „Bei zwei Produktionen gab es kleinere Feuer, dann einen Unfall, bei dem Farbe auf jedes einzelne Kostüm einer weiteren Produktion gespritzt wurde …“

„Langsam, langsam“, bremste ihn Jackie mit gerunzelter Stirn. Sie hatte begonnen, sich Notizen zu machen, aber er redete zu schnell, und sie kam nicht mit. „Vielleicht sollten wir einen Zwischenfall nach dem anderen durchgehen. Wann und wo ist zum ersten Mal etwas passiert?“

„Das war hier in L.A. Eine offene Dose Farbe ist von einem Regal im Fundus gestoßen worden, und jedes einzelne Kostüm war vollgespritzt.“ Seine Lippen wurden schmal. „Niemand hat die leiseste Ahnung, wie die Farbe überhaupt dorthin gekommen ist oder warum der Deckel offen war oder wer sie umgestoßen hat.“

Jackie dachte kurz darüber nach und kam zu dem Schluss, es könne sich wirklich um einen Unfall gehandelt haben.

„Dann brach in einem der Theater in Kanada ein Feuer aus“, fuhr Vincent fort. „Nichts Großes. Das Theater selbst hat keinen großen Schaden genommen, aber unser Bühnenbild war ruiniert. Auch das schien wieder nur Zufall zu sein, eine Zigarette in einer Mülltonne. Erst als immer mehr passierte, habe ich mir gedacht, das ist alles kein Zufall.“

Als Jackie nur nickte, fuhr er fort. „Als Nächstes kam es zu einem weiteren Feuer, diesmal hier in Los Angeles. Es war größer als das in Kanada.“

Jackie hob eine Braue. „Ist jemand verletzt worden?“

„Nein, zum Glück war zu dem Zeitpunkt niemand im Gebäude, aber das Theater ist vollkommen zerstört worden und mitihm sämtliche Kostüme und Kulissen“, erklärte Vincent mit finsterer Miene.

Jackie machte sich eine Notiz.

„Dann passierte etwas bei unserer zweiten Produktion in Kanada. Man sagte mir, ein Stahlseil habe sich gelöst, und ein Teil der Kulisse ist auf die Hauptdarstellerin gestürzt.“ Vincent verzog das Gesicht. „Sie hat sich den Arm gebrochen. Ich musste sie ersetzen.“

Jackie runzelte die Stirn und machte sich erneut eine Notiz, dann malte sie ein Sternchen daneben.

„Kurz darauf ist der Hauptdarsteller eines anderen Stücks hier in Los Angeles eine Treppe hinuntergefallen und hat sich das Bein gebrochen. Ich dachte immer noch, es sei eine Pechsträhne“, gab Vincent zu und schüttelte den Kopf. „Dan Henson, das ist der Schauspieler, behauptet, es hätte ihn jemand gestoßen, doch das habe ich ihm zunächst nicht geglaubt.“

„Warum?“, wollte sie wissen.

„Er hatte vor der Vorstellung etwas getrunken und war zu dem Zeitpunkt, als es passiert ist, nicht mehr ganz nüchtern.“ Vincent zuckte die Achseln. „Ich dachte, es sei einfach …“

„Ein Unfall“, ergänzte Jackie. „Wann sind Sie auf den Gedanken gekommen, dass es so viele Zufälle wahrscheinlich nicht gibt?“

„Als alle Mitarbeiter der Produktion in New York, einer nach dem anderen, an infektiöser Blutarmut erkrankten.“

Ungläubig starrte Jackie ihn an. „Infektiöse Blutarmut?“

„Ja.“ Er stieß ein kurzes Lachen aus. „Meine Familie dachte wohl schon, ich hätte das Ensemble auf meinen Speiseplan gesetzt.“

„Und? Haben Sie?“, fragte Jackie.

Vincent erstarrte, dann warf er ihr einen kalten Blick zu. „Nein. Ich ernähre ich mich nie von Menschen, die für mich arbeiten. Zumindest meistens nicht“, fügte er trocken hinzu, als sei er willens, in ihrem Fall eine Ausnahme zu machen.

Jackie zuckte die Achseln. Sie hatte die Frage stellen müssen. „Ihr Ensemble bekam also Anämie, und Sie haben daraufhin das Stück abgesetzt und sind zurück nach Kalifornien gekommen.“

„Was sollte ich tun? Um ein Stück auf die Bühne zu bringen, braucht man nun mal Schauspieler und technisches Personal.“ Vincent zuckte die Achseln und fügte dann bedauernd hinzu: „Aber ich hasste es. Es wäre wirklich ein Hit geworden.“

Voller Zweifel sah Jackie ihn an. „Ich glaube, Bastien sagte, die Produktion in New York hieß Dracula – das Musical.“

„Ja.“ Er seufzte. „Es war wirklich gut. Die nächste Rocky Horror Picture Show.“

„Aha.“ Jackie gab sich keine Mühe, ihre Zweifel zu verbergen. „Was hat Sie dann dazu gebracht, sämtliche Produktionen auf Eis zu legen? Hing das nur mit diesen Zwischenfällen zusammen?“

Vincent verzog das Gesicht. Dann gab er widerstrebend zu: „Es ist mir peinlich, das zu sagen, aber nein. Ich bin schon lange im Geschäft, und solche Dinge passieren. Normalerweise sicher nicht so schnell nacheinander, aber ich weiß, wie man damit fertig wird, und wir haben uns um jeden einzelnen Fall gekümmert.“

„Und weshalb haben Sie die Produktionen dann abgesetzt?“

Vincent runzelte die Stirn und begann, mit der Ecke ihres Notizblocks zu spielen. „Die Schauspieler haben mich sozusagen dazu gezwungen. In jedem Stück haben mindestens einer, manchmal auch zwei der Hauptdarsteller und auch ihre zweiten Besetzungen plötzlich gekündigt oder haben einfach das Theater verlassen. Wir hatten große Probleme, jeweils Ersatz zu finden, und mussten deswegen Premieren verschieben oder die Produktionen vorübergehend absetzen, bis die neuen Schauspieler ihre Rollen einstudiert hatten.“

Jackie sah ihn kurz an und fragte dann: „Wie viele Stücke sind davon betroffen?“

„Alle. Zwei in New York, zwei hier in Kalifornien und zwei in Kanada.“

„Sechs“, stellte sie nachdenklich fest. „Und jedes Mal hat sich einer der Hauptdarsteller plötzlich entschlossen, seine Rolle hinzuschmeißen?“

„Ja.“

„Hatten sie denn keinen Vertrag?“

„Doch.“

Die Falten auf Jackies Stirn wurden tiefer. „Ich nehme an, in den Verträgen gibt es Klauseln, die sich mit dieser Möglichkeit beschäftigen.”

„Oh ja“, erwiderte er mit einem harschen Lachen. „Ich könnte jeden von diesen Leuten für den Rest seines Lebens in Armut stürzen, aber das scheint ihnen offenbar egal zu sein. Und sie zu verklagen bringt die Produktionen im Moment auch nicht wieder zum Laufen.“

„Und nun ist auch noch einer von denen gegangen, die eingesprungen waren, samt der zweiten Besetzung?“, murmelte Jackie und dachte an den Anruf, den Vincent zuvor erhalten hatte.

„Ja. Es war eine der beiden Produktionen hier in Kalifornien und die erste der sechs, die wieder eröffnen sollte“, sagte er finster.

„Hmm … ich nehme nicht an, dass es sich dabei um einen Zufall handelt?“

„Nein“, zischte Vincent regelrecht und fügte dann hinzu: „Ich bin seit vierhundert Jahren im Geschäft. Dass ein Stück ausgesetzt werden muss, weil sowohl der Hauptdarsteller als auch die zweite Besetzung aussteigen, geschieht schon selten genug, aber gleich bei sechs Produktionen gleichzeitig?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das war kein Zufall. Jemand will mich ruinieren.“

Jackie biss sich auf die Lippe und kritzelte irgendwelchen Unsinn auf das Blatt, während sie nachdachte. Schließlich blickte sie auf und sagte: „Ich nehme an, Sie haben versucht, ihre Gedanken zu lesen, um herauszufinden, was sie dazu veranlasst hat aufzugeben?“

„Ihre Gedanken zu dem Thema waren leer. Sie wussten nur, dass sie aufhören mussten.“

„Sie waren leer gewischt, meinen Sie“, meinte sie trocken. „Was bedeutet, dass Ihr Saboteur ein anderer Vam… oder wenigstens jemand ist, der einen Vampir für sich arbeiten lässt. Schon die infektiöse Anämie hat das gezeigt.“

Vincent nickte düster. Irgendwie machte es die Tatsache, dass jemand seiner eigenen Art hinter der Sabotage stecken musste, noch viel schlimmer.

Seufzend lehnte sich Jackie auf ihrem Stuhl zurück und dachte über die Eskalation der Ereignisse nach. Erst Sachschaden, dann Brandstiftung, dann Unfälle mit Menschen, dann waren Ensemblemitglieder anscheinend angezapft worden, wurden nun beherrscht und gezwungen aufzuhören. Offensichtlich nahmen die Zwischenfälle an Häufigkeit und auch Gefährlichkeit zu.

„Wie viel Zeit ist zwischen dem Feuer und dem Unfall mit der Kulisse vergangen, bei dem die Schauspielerin sich den Arm gebrochen hat?“

„Eine Woche“, antwortete Vincent und sah sie neugierig an.

„Und dann bis zum ersten Auftreten der Anämie?“

„Drei oder vier Tage vielleicht, und dann sind sie alle nacheinander umgefallen wie die Fliegen.“

Jackie nickte und machte sich eine weitere Notiz.

„Es ist jedes Mal irgendwie schlimmer geworden”, bemerkte Vincent.

Jackie sah ihn an. „Und gefährlicher.”

„Erst Sachschäden, dann Verletzungen“, stellte Vincent fest, als er ihrem Gedankengang folgte.

„Ja“, stimmte Jackie ihm zu, dann erhob sie sich und verließ die Küche. Sie spürte eher, als dass sie hörte, wie Vincent ihr folgte. Er bewegte sich so leise wie ein Schatten.

Sie fand Allen Richmond im Wohnzimmer, wo er sich um die Sicherung von Türen und Fenstern kümmerte.

„Wann sind Sie fertig?“, fragte Jackie direkt.

„Der größte Teil wird heute Abend erledigt sein. Das Erdgeschoss auf jeden Fall. Morgen müssen wir allerdings noch mal wiederkommen und den ersten Stock zu Ende machen“, antwortete er.

Jackie nickte. „Und das Tor?“

„Schon geschehen“, versicherte er.

„Ist es geschlossen und verriegelt?“

Allen Richmond hielt inne und sah sie an, denn er bemerkte, dass es sich nicht nur um leere Fragen handelte. „Ich habe es offen gelassen, damit meine Leute kommen und gehen können. Ich werde es sofort schließen lassen.“

Zufrieden drehte sich Jackie um und führte Vincent nach draußen, da öffnete Tiny die Küchentür.

„Das Essen ist fertig“, verkündete der Riese.

Jackie nickte und schaffte es gerade noch, nicht den Flur entlangzurennen. Sie war vollkommen ausgehungert und gleichzeitig schrecklich froh, dass Tiny kochen konnte. Er hatte im selben Sommer in der Agentur angefangen wie sie, und ihr Vater hatte sie von Anfang an mit ihm zusammen eingesetzt. Viele dachten, Tinys Größe sei der Grund dafür, weil Ted Morrisey hoffte, der Riese werde gut auf seine Tochter aufpassen. Aber Jackie kannte die wahren Gründe. Es war Tinys Persönlichkeit gewesen, die schließlich zu dieser Entscheidung geführt hatte. Bei all seiner Größe, oder vielleicht gerade deswegen, war er der ruhigste Mann der Welt, ein absoluter Kontrast zu Jackies schon beinah nervtötender Hibbeligkeit. Tiny war ihr Fels in der Brandung, beruhigte sie, wenn sie die Geduld verlor, und besänftigte sie, wenn sie zu schnell vorpreschte und zu hart war. Die beiden waren schnell Freunde geworden, und obwohl sie jetzt sein Boss war, ließ er es sie immer noch wissen, wenn sie sich wie Napoleon benahm. Und Jackie wusste, dass sie so jemanden brauchte.

„Das sieht wunderbar aus, Tiny“, lobte Vincent, als er Jackie in die Küche folgte und das Essen auf dem Tisch sah.

„Nur gebratenes Gemüse mit Rindfleisch und schwarzen Bohnen“, erwiderte Tiny bescheiden. „Aber es war schnell und einfach zu machen.“

„Hmm.“ Vincent schob einen Stuhl für Jackie zurecht. „Es riecht köstlich.“

Jackie sah ihn argwöhnisch an, während sie sich niederließ. Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass Vampire tatsächlich normale Lebensmittel zu sich nahmen. Der Mann hatte nicht einmal einen Teelöffel in der Küche, aber jetzt sah er wirklich aus, als wolle er etwas anderes als Blut zu sich nehmen.

Vincent setzte sich ihr gegenüber, während sie schon zugriff und ihren Teller füllte. Dann reichte sie ihm die Schüssel, und Tiny stellte allen ein Glas Wasser hin.

Vincent bediente sich ebenfalls, und dann beobachteten sowohl Tiny als auch Jackie, wie er die erste Gabel zum Mund führte. Jackies Miene war eher zynisch, Tinys erwartungsvoll.

Eine angenehme Überraschung war Vincents spontane Reaktion. „Das ist wirklich gut!“

Tiny entspannte sich, und Jackie schüttelte nur den Kopf. Sie hätte ihr Leben darauf verwettet, dass der Schauspieler normalerweise nichts aß. Nun wandte sie sich selbst ihrem Essen zu. Er hatte recht – es war wirklich gut.

Jackie war als Erste fertig, denn sie aß genauso hastig, wie sie durchs Leben hetzte, weil sie schnell wieder an die Arbeit wollte. Tiny aß natürlich ebenfalls so, wie er lebte, und genoss entspannt jeden Bissen. Vincents Tempo lag irgendwo dazwischen, zunächst verschlang er sein Essen, dann wurde er langsamer, denn es war wirklich eine ganze Menge. Wenn er, wie Jackie annahm, seit Jahrzehnten nichts gegessen hatte, musste sein Magen kleiner geworden sein. Aber sie verkniff sich wiederum jeden Kommentar. Er war es ja, der unbedingt etwas essen wollte, dann musste er auch mit den Konsequenzen leben. Jackie bedankte sich noch einmal bei Tiny, stand auf und räumte ihren Teller in den Geschirrspüler. Beim Anblick der Kaffeemaschine strahlte sie. Die volle Kanne war nicht zu übersehen.

„Oh Tiny, du bist wunderbar!“, sagte sie lächelnd und goss sich einen der neuen Becher voll. „Möchte sonst noch jemand?“

„Ich nehme auch einen“, sagte Tiny, der ebenfalls fertig gegessen hatte und aufstand. „Zum Nachtisch habe ich Eis gemacht.“

„Tatsächlich?“, sagte sie interessiert und warf einen Blick auf die neue Eismaschine.

„Ich hole es“, meinte Tiny. „Bring du den Kaffee zum Tisch.

Jackie trug die Becher hinüber. Vincent hatte nicht um einen gebeten, also hatte sie ihm auch keinen eingegossen.

„Bitte schön.“ Tiny stellte ihre eine kleine Schale Eis hin und verkündete: „Schokolade mit Kirschen.“

Jackie griff nach dem Löffel und aß einen Bissen. Sie seufzte vor Entzücken, während sie sich das Eis auf der Zunge zergehen ließ.

„Gut?“, erkundigte sich Vincent interessiert.