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Um einen alten Familienschatz zu finden, der seit den Kreuzzügen irgendwo an der Luchtenwand vergraben liegen soll, kommt der junge Lord Jack Bolthingham nach Grünkirchen. Bereits bei seiner Ankunft fällt ihm die schöne Susi Prumeter auf, die Tochter des Hoteliers. Sie unterstützt ihn bei der Schatzsuche. Was Jack nicht ahnen kann: er wird in die Auseinandersetzungen mehrerer Hotelbesitzer hineingezogen, die um die Vorrangstellung im Kurort toben. Auch Susis Vater ist in diesen Konflikt verwickelt. Wird der Konflikt eskalieren? Und wird Jack den Familienschatz finden – oder doch einen ganz anderen? Dieser und die zwei weiteren spannenden Romane „Der Sündenhof“ und „ Der Sohn des Mörders“ sind in diesem Buch enthalten.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Anni Lechner
Der Schatz in den Bergen
Der Sündenhof
Der Sohn des Mörders
Anni Lechner: Band 23, Der Schatz in den Bergen ... und zwei weitere spannende Romane
Copyright © by Anni Lechner
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.
Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag
Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.
eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara
ISBN 978-3-95912-232-0
Ferdinand Prumeter stach mit einer Geschwindigkeit, die so gar nicht zu seiner stattlichen Erscheinung passte, in die Hotelrezeption. »He, Susi, ist der Mensch von der Zeitung schon da? Der Bus muss gleich kommen!«, rief er. Als er nicht gleich Antwort erhielt, klatschte er verärgert in die Hände.
»Susi, was ist? Hast du mich ned gehört?«
»Zuerst einmal einen schönen guten Morgen, Papa. Was bist du denn heut so aufgeregt!« Susi Prumeter blickte vom Gästebuch auf und strahlte ihren Vater an. Sie war knapp über zwanzig, ein wohlgeformtes Mädchen mit langem, kastanienbraunen Haar und einem hübschen, herzförmigen Gesicht. Ihre Bernsteinaugen blickten immer ein wenig versonnen in die Welt, doch sie war tüchtig und für ihren Vater eine gute Mitarbeiterin in der Führung des erstklassigen Hotels »Erzherzog Josef« in Grünkirchen. Wahrscheinlich arbeitete sie sogar mehr als Ferdinand Prumeter, denn dieser hatte als Hotelbesitzer seine gesellschaftlichen Verpflichtungen über Grünkirchen hinaus zu erfüllen. Jetzt aber war er ganz Hotelier und drängte seine Tochter zur Eile.
»Was ist? Krieg ich keine Antwort auf meine Frag? Ist jetzt einer von der Presse da oder ned? Du weißt, dass sich der Hirchinger vor Freud schier totlachen wird, wenn die Ankunft des Gewinners unseres Preisausschreibens ned in der Zeitung steht! Das wär Wasser auf seine Mühlen, uns ausstechen zu wollen! Du weißt ja, dass er mit aller Macht versucht, den Kongress im Herbst zu bekommen.«
»Reg dich doch ned auf, Papa. Ich wart bloß noch auf den Sepperl, der unserem Preisträger den Koffer tragen soll und dann gehen wir zusammen zur Bushaltestelle. Außerdem hat mir der Stranzinger vom Bergboten hoch und heilig versprochen, dass er selber kommt und einen Artikel über den glücklichen Gewinner unseres Preisausschreibens verfasst.«
»Das ist gut, Susi. Sorg aber dafür, dass der Stranzinger auch ein paar Bilder macht. Hoffentlich ist die Werbeaufschrift für unser Hotel auf dem Bus schon fertig geworden. Damit könnt ich nämlich den Hirchinger wirklich ärgern. Aber sag einmal, warum willst du ausgerechnet die Schlafmützn von einem Sepperl mitnehmen? Da ist es ja kein Wunder, wenn du zu spät kommst. Husch, husch, geh schon, Susi, damit unser Gewinner ned warten muss. Ich schick dir den Hias nach, auf den kann man sich wenigstens verlassen! Der Sepperl bringt doch kein Wort über die Lippen. Und er wird wahrscheinlich auch noch seinen Gepäckkarren zum mitnehmen vergessen.« Ferdinand Prumeter war vor Aufregung ganz aus dem Häuschen.
»Es ist ned nötig, nach dem Hias zu schicken, Papa. Da kommt der Sepperl nämlich schon. Und wie du siehst, hat er auch einen Gepäckkarren dabei. Also servus Papa, bis gleich!« Susi Prumeter klopfte ihrem Vater zum Abschied fröhlich auf die Schulter und verließ zusammen mit dem Sepperl das Hotel. Da es bis zur Bushaltestelle keine hundert Meter waren, wäre selbst eine Schnecke allen Sorgen Ferdinand Prumeters zum Trotz noch früh genug zur Ankunft des Busses gekommen. Susi konnte es sich daher erlauben, gemütlich zu gehen und die Leute, die ihr entgegenkamen, mit fröhlichen Worten zu grüßen. Der Hotelpage Sepperl folgte ihr und fuhr dabei mit seinem Gepäckkarren in Schlangenlinien um die Passanten herum.
Eigentlich hieß der junge Bursche ja Josef Halfinger und war mit seinen 24 Jahren doch schon ein wenig zu alt, um noch Sepperl genannt zu werden. Der Name war ihm jedoch geblieben, seit er vor zehn Jahren als Page im »Erzherzog Josef« begonnen hatte. Susi mochte ihn, denn er war zwar ein wenig langsam in der Rede, aber ein zuverlässiger Bursche, der nichts auf sein Hotel kommen ließ. Susis Vater hatte ihn früher auch ganz gern gemocht. Doch seit einiger Zeit stand Sepperls Kollege Hias, der nach der Schrift Mathias Schirmayer hieß, in der Gunst des Hoteliers ganz oben. Ihm gönnte der Prumeter jetzt ein gutes Trinkgeld eher als dem Sepperl. Als wenn ein Preisausschreibengewinner viel geben würde, dachte Susi spöttisch. Während sie auf den Bus, der sich auch heute wieder verspätet hatte, wartete, wandte sie sich dem Pagen zu.
»Was ist jetzt, Sepperl? Hast du jetzt das Annerl endlich gefragt, ob sie an eurem freien Tag mit dir tanzen gehen will?«, fragte sie ihn. Das Annerl arbeitete ebenfalls im »Erzherzog Josef« und war Sepperls heimlicher Schwarm. Aber auch bei ihr war ihm der Hias einige Schritte voraus. Susi tat es leid, denn im Gegensatz zu ihrem Vater hielt sie nicht viel vom Hias. Dieser hatte auch schon versucht, mit ihr anzubandeln. Es war für Susi nicht gerade leicht geworden, dem Burschen ohne viel Aufsehen klarzumachen, dass seine Mühe vergebens war. Jetzt schwänzelte Hias um das Annerl herum. Susi bezweifelte jedoch, dass er es mit dem Mädchen wirklich ernst meinte. Daher hoffte sie immer noch, dass aus der treuen Freundschaft, die seit Langem zwischen dem Annerl und dem Sepperl bestand, doch etwas mehr würde.
Ein schrilles Hupen riss Susi aus ihren Gedanken. Ein schnittiger Sportwagen schoss um die Ecke und blieb Sekunden später mit quietschenden Reifen neben ihr stehen. Ein großer, schlanker Bursch mit einem verwegen aussehenden, sonnenverbrannten Gesicht und gut dazu passenden dunklem, kunstvoll gelocktem Haar, sah sie lachend an.
»Grüß dich, Susi. Du schaust heut aber wieder sauber aus. Was ist, hast du Lust, mit mir mitzufahren. Ich bin auf den Sprung nach Innsbruck. Wir könnten dann auch endlich unsere Verlobungsringe kaufen!« Werner Harreiter beugte sich zur anderen Wagenseite und öffnete einladend die Tür seines Cabriolets. Susi schüttelte lachend den Kopf.
»Das tät dir so passen, Werner. Aber noch weiß ich ned, ob ich dich wirklich heiraten will. Außerdem hab ich grad heut keine Zeit. Der Sieger unseres Preisausschreibens kommt nämlich gleich mit dem Bus und ich muss ihn im Auftrag vom Papa begrüßen. Aber du kannst mir einen Gefallen tun. Drück auf deine grässliche Hup’n, wenn du am Büro vom Bergboten vorbeikommst. Der Stranzinger hat mir versprochen, dabei zu sein und ein paar Bilder zu machen. Du weißt ja, der Papa stirbt, wenn die Ankunft seines Preisträgers ned in der Zeitung steht. Er hat das Preisausschreiben doch bloß deswegen gemacht, weil er dem Hirchinger vom »Haus Tyrol« damit eins auswischen will!«
»Grässliche Hup’n? Das ist ja fast eine Beleidigung für mein Auto. Aber ich will ja ned so sein und werd den Stranzinger aufwecken. Ich komm dann heut Abend bei euch vorbei. Bis bald also, Pfiat di Gott!« Werner Harreiter warf Susi einen Handkuss zu und fuhr mit qualmenden Reifen los. Sekunden später hallte der Ton seiner Hupe so grausam über den Marktplatz, dass selbst Susi, die darauf vorbereitet war, zusammenzuckte. Die Tür eines Hauses öffnete sich und Stranzinger, der Lokalredakteur der hiesigen Zeitung, stürzte mit der schussbereiten Kamera in der Hand heraus.
»Was ist? Ist der Bus schon da?«, rief er Susi fragend zu.
»Na, aber er kommt gleich. Da hinten biegt er grad ums Eck!«, antwortete Susi und zeigte in die angegebene Richtung. Als das Postauto auf den Marktplatz einbog und an der Haltestelle stehen blieb, bemerkte sie erleichtert, dass die von ihrem Vater bestellte Werbeschrift für das Hotel »Erzherzog Josef« bereits in frischen Farben auf beiden Flanken des Busses prangte.
»Herr Stranzinger, können S’ dann das Foto so aufnehmen, dass neben dem Gewinner von unserem Preisausschreiben auch die Aufschrift auf dem Postauto zu sehen ist?«, fragte sie den Journalisten. Stranzinger kontrollierte den Belichtungsmesser seiner Kamera und nickte.
»Aber selbstverständlich mach ich das, Fräulein Susi. Wo doch ihr Herr Papa einer unserer besten Kunden ist! Aber Sie müssen natürlich auch mit auf das Bild. So ein schön’s Madl fotografier ich nämlich ned alle Tag!«
»Das wär ja auch ein wenig langweilig, Herr Stranzinger«, antwortete Susi lachend und schaute wieder auf den Bus. Die ersten Fahrgäste stiegen aus, Tagesgäste zumeist, die sich hier in Grünkirchen nur einmal umsehen wollten und, wie ihr Vater böse spottete, die Wurstsemmel und die Limo für die Brotzeit von daheim mitbrachten. Man erkannte sie daran, dass sie höchstens eine Umhängetasche trugen und ihre Blicke sofort auf die Bergwelt, die das Dorf umgab, richteten. Die Gäste, die länger im Ort bleiben wollten, waren an ihren Koffern zu erkennen, und daran, dass sie als Erstes die Hotels und Pensionen am Marktplatz musterten, bevor sie zielgerichtet auf das Fremdenverkehrsamt zusteuerten.
Heute stiegen nur zwei Männer mit Koffern aus. Der eine war ein älterer, dicklicher Mann in kurzen Hosen und einem schreiend bunten Hemd, das sich verdächtig über seinen Bauch spannte. Sein Blick glitt wieselflink über den Ort und blieb am »Erzherzog Josef« hängen. Hoffentlich ist nicht der Dicke unser der Gewinner, sondern der andere, schoss es Susi durch den Kopf und schaute sich den zweiten Mann genauer an. Doch obwohl ihr seine sportliche Erscheinung durchaus gefiel, sagte ihr sein Aussehen sofort, dass er leider nicht infrage kam. Er wirkte mit seinen grauen, karierten Hosen und dem wappengeschmückten Klubjackett auch mehr wie ein Engländer als wie der erwartete Gewinner aus Wien. Auch die karierte Mütze und der an den Lederkoffer geschnallte Regenschirm wiesen ihn als einen Sohn Albions aus. Sein Gesicht machte einen männlichen, wenn auch nicht ganz so verwegen wirkenden Eindruck wie das von Werner Harreiter, aber seine grauen Augen hatten etwas betont Herrisches an sich. So kann eigentlich nur ein englischer Lord aussehen, dachte Susi und hoffte, dass der Fremde den Weg ins »Erzherzog Josef« finden würde. Sie überlegte schon, ihn anzusprechen, damit er nicht aus Versehen in Johann Hirchingers »Haus Tyrol« geriet. Doch dann fiel ihr ein, dass ein echter Lord sicher mit seinem eigenen Rolls-Royce und nicht mit dem Postbus gekommen wäre. Außerdem wurde sie von Hias abgelenkt, der, einen großen Blumenstrauß in der Hand, mit langen Schritten vom Hotel herangerannt kam.
»Dein Vater schickt mich, Susi. Du hast den Blumenstrauß für die Begrüßung unseres Gewinners vergessen!« Hias schaffte es, genug Vorwurf in seine Stimme zu legen, dass Susi wider Willen errötete.
»Gib die Blumen her!« Mit diesen Worten riss Susi ihm den Strauß aus der Hand und trat mit einem gewissen Bedauern auf den dicken Mann in Shorts zu.
»Grüß Gott, sind Sie der Herr Bavlitschek aus Wien, der Gewinner des Preisausschreibens vom Hotel »Erzherzog Josef«?«
Das Gesicht des Dicken hellte sich auf und er sah Susi mit einem anerkennenden Blick an.
»Küss die Hand, Gnädigste!«, grüßte er und machte Anstalten, seine Worte in die Tat umzusetzen. Susi drückte ihm rasch den Blumenstrauß in seine vorschießende Rechte und zog ihre eigene Hand zurück.
»Herzlichen willkommen bei uns in Grünkirchen. Ich bin die Susi Prumeter, die Tochter von Ferdinand Prumeter, dem Besitzer des »Erzherzog Josef«. Geben S’ bitte ihr Gepäck dem Sepperl. Unser anderer Page, der Hias bringt Sie jetzt ins Hotel und zeigt ihnen ihr Zimmer.« Wenn der Hias schon hier ist, dann kann er auch arbeiten, sagte sich Susi und trat einen Schritt zurück, um wieder den englisch wirkenden Mann beobachten zu können. Dieser betrachtete eben die Hotels und Pensionen, die den Marktplatz umgaben, und kratzte sich unschlüssig am Kinn. Schließlich entdeckte er Susi und ging auf sie zu.
»Sorry, Miss, can you tell me ...«, begann er, unterbrach sich mit einem verlegenen Lächeln und sprach Deutsch weiter. »Verzeihen Sie, können Sie mir sagen, wo ich die Touristinformation finde?« Sein englischer Akzent war unverkennbar und erinnerte Susi ein wenig an den älteren Schlagersänger, den ihr Vater von Zeit zu Zeit für den Jahresball im Hotel engagierte. Doch ihr gefiel seine kultivierte Art zu sprechen und sie nickte ihm lächelnd zu.
»Ich helf ihnen gerne, Mister. Sehen S’, dort oben steht das Hotel Erzherzog Josef. Das Haus daneben ist das Rathaus. Dort finden S’ im Erdgeschoss links das Fremdenverkehrsbüro!« Susi hatte die Aufmerksamkeit des Engländers mit Absicht auf das väterliche Hotel gerichtet und hoffte, er würde darauf eingehen. Er streifte das »Erzherzog Josef« jedoch nur mit einem kurzen Blick und verabschiedete sich dann von Susi.
»Ich danke ihnen sehr herzlich. Auf Wiedersehen!«
»See you later!«, antwortete Susi, um ihm einen Gefallen zu tun.
Als er auf das Rathaus zuging, seufzte sie etwas enttäuscht. Schade, dass er ins Fremdenverkehrsbüro ging. Die Pröll wird ihn sicher ins »Haus Tyrol« schicken, weil sie vom Hirchinger geschmiert worden ist. Während ihre Gedanken noch um den Engländer kreisten, wurde sie erneut von Hias unterbrochen.
»Was ist jetzt, Fräulein, wollen wir unseren Gewinner ned endlich ins Hotel bringen?«
Susi schluckte die böse Antwort, die sie Hias am liebsten an den Kopf geworfen hätte, hinunter und lächelte stattdessen den Wiener freundlich an.
»Kommen S’, Herr Bavlitschek. Jetzt machen wir noch ein Foto von Ihrer Ankunft und dann gehen wir zusammen in unser Hotel. Der Papa wartet schon ganz sehnsüchtig auf den Gewinner seines Preisausschreibens.
*
Susi hatte das Hotel kaum betreten, als ihr Vater schon wie ein Gummiball aus seinem Büro geschossen kam. »Susi, du musst sofort ins Fremdenverkehrsbüro hinüber. Ich hab noch zwei Anmeldungen für den morgigen Reitausflug bekommen. Die Pröll soll sie noch in die Liste eintragen. Wenn S’ das tut, kannst du sie ja fragen, wie viel Gäst vom Hirchinger an dem Ausflug teilnehmen wollen. Außerdem kannst du gleich neue Prospekte mitbringen.« Ferdinand Prumeter wollte schon wieder in sein Büro zurück, als er den neuen Gast entdeckte.
»Grüß Gott, Sie sind sicher der Herr Bavlitschek aus Wien. Willkommen im Hotel Erzherzog Josef, dem besten Haus am Platz!« Der Hotelier strahlte den Wiener bei diesen Worten erwartungsvoll an, erhielt jedoch nur einen neugierig abwägenden Blick zurück.
»Bei uns in Wien dürften S’ so was ja ned behaupten. Da gibt’s schon andere Häuser, kann ich ihnen sagen. Aber für die Provinz schaut Ihr Hotel ja recht kommod aus. Ich weiß natürlich noch ned, wie der Service hier ist. Aber ich hoff, dass ich die zwei Wochen da herinnen aushalten kann!«
»Aushalten?«, schnaubte Ferdinand Prumeter empört. »Herr Bavlitschek, ich schwör Ihnen, dass Sie bei uns die schönsten Ferien ihres Lebens erleben werden!«
»So gefällt’s mir schon besser«, erklärte der Wiener zufrieden. »Aber wissen S’, die Schaukelei im Bus und vorher im Zug hab ich ned so gut überstanden. Aber ich glaub, wenn ich jetzt ein kleines Bröckerl essen könnt, würd’s mir gleich wieder besser gehen.«
»Aber selbstverständlich kriegen S’ sofort was zum Essen, Herr Bavlitschek. Susi, kümmer dich um unseren Gast und sorg dafür, dass er ein ausgezeichnetes Mittagessen bekommt!«
»Das geht jetzt ned, Papa. Du hast mir grad eben aufgetragen, zum Fremdenverkehrsbüro zu gehen. Da muss ich mich tummeln, dass ich hinüberkomm, bevor die Pröll Mittag macht.«
»Ist schon gut, dann soll sich halt der Hias um unseren Gast kümmern!«
»Bin schon dabei, Chef«, erklärte der Angesprochene mit geringer Begeisterung. Hias hatte sich bereits sein Bild von Bavlitschek gemacht und glaubte nicht, von ihm auch nur einen einzigen Cent Trinkgeld zu bekommen. Susi schlüpfte unterdessen schleunigst zur Tür hinaus, bevor ihrem Vater einfiel, dass sie ja auch am Nachmittag ins Fremdensverkehrsbüro gehen konnte. Sie war schon auf halben Weg ins Rathaus, als ihr Vater sein Bürofenster öffnete und ihr nachrief.
»Susi, meld bitte den Herrn Bavlitschek auch gleich für den morgigen Ausflug an. Schließlich hab ich ihm einen unvergesslichen Aufenthalt versprochen!«
»Ist gut, Papa«, rief sie zurück und lief kopfschüttelnd weiter. Obwohl im Hotel aufgewachsen und mit Herz und Seele mit ihm verbunden, amüsierte sie sich doch über den kleinlichen Wettstreit ihres Vaters mit Johann Hirchinger, dem Besitzer des Hotels »Haus Tyrol«. Jeder der beiden wollte sein Hotel als das Beste und Schönste in Grünkirchen sehen. Heuer hatte dieser Kampf jedoch schon die seltsamsten Blüten getrieben. Ferdinand Prumeters Preisausschreiben war nur eine davon.
Es ging allerdings auch um einen hohen Preis, denn im Oktober fand in Grünkirchen ein einwöchiger Kongress statt. Die meisten Hotels würden zwar gut belegt sein, doch nur ein einziges von ihnen konnte auch das Tagungslokal werden. Nur dieses Hotel würde in allen Zeitungen stehen und dadurch sein Renommee wie auf festen Beton gründen können. Es war dann wirklich »das erste Haus am Platz« und die anderen Hoteliers würden dies zähneknirschend anerkennen müssen.
Susis Vater Ferdinand starb halb vor Angst, sein Konkurrent Johann Hirchinger könnte das Rennen machen und setzte alles daran, um dies zu verhindern. Da aber auch Johann Hirchinger alles versuchte, um den Zuschlag zu erlangen, war das Leben für Susi zwar interessant, aber auch anstrengend geworden. Es lag meistens an ihr, dem Vater die halb garen Ideen, die er nur so heraussprudelte, wieder auszureden oder in brauchbare Formen zu gießen. Jetzt ließ er den Wiener Bavlitschek für den Ausflug anmelden, nur damit ein weiterer Gast aus dem Hotel Erzherzog Josef auf der Liste stand. Susi schmunzelte darüber und wusste nicht, wen sie mehr bedauern sollte, den dicklichen Hermann Bavlitschek, der in seinem Leben mit Sicherheit noch auf keinem Pferd gesessen war, oder den armen Haflinger, der ihn morgen das Tal hochschleppen musste.
*
Susi beeilte sich nicht zuletzt deshalb, weil sie hoffte, den gut gewaschenen Engländer noch im Fremdenverkehrsbüro anzutreffen. Sie hatte auch Glück, denn der junge Mann stand eben am Tresen und ließ sich von Erika Pröll, die das Büro führte, auf einer Ortskarte den Weg zu dem von ihm ausgewählten Quartier zeigen. Er hatte sich wohl für die Pension »Bergblick« entschieden, eine der einfachsten und preiswertesten Unterkünfte in Grünkirchen, da er dessen Prospekt in der Hand hielt. Susi fand es schade, dass sich dieses Prachtexemplar von Mann nicht im »Erzherzog Josef« einmieten konnte. Aber wenigstens hatte er nicht das »Haus Tyrol« gewählt. Wie bei Erika Pröll nicht anders zu erwarten war, lag nämlich auch ein Prospekt des Konkurrenzhotels auf dem Tisch. Die Frau gab sich wirklich alle Mühe, sich dem Hirchinger angenehm zu machen.
Vor ein paar Jahren hatte Erika Pröll Absichten auf Werner Harreiter gezeigt. Dieser hatte auch ein bisschen mit ihr angebandelt, war aber von seinem Vater, der ihn unbedingt mit Ferdinand Prumeters Tochter und Erbin Susi verheiratet sehen wollte, sehr rasch gebremst worden. Jetzt richtete Erika Pröll ihr Interesse auf Johann Hirchinger. Dieser war wie sein Geschäftskonkurrent Ferdinand Prumeter ein Witwer um die 50, aber nicht wie dieser mit dem Handicap einer erwachsenen Tochter geschlagen. Das Verhältnis zwischen den Prumeter-Leuten und Erika Pröll war daher nicht ganz unbelastet. Trotzdem begrüßte Erika Susi so freundlich, als ob sie die besten Freundinnen wären. Ihre Worte aber waren nicht ganz ohne Stachel.
»Ja grüß dich, Susi. Schickt dich dein Vater fragen, ob bei mir Gäst um euer Hotel nachgefragt haben? Leider nein, der Letzte war der Herr hier, aber der hat ein Zimmer beim Ahner Paul genommen!«
Giftnudel dachte sich Susi. Nur du kannst diesen Schuppen von einer »Pension Bergblick« mit unserem Hotel vergleichen. Sie reichte Erika jedoch mit einem betont freundlichen Gruß die Liste ihres Vaters.
»Ich hab hier noch ein paar Anmeldungen für den morgigen Reitausflug in die Bergwelt. Außerdem brauch ich neue Prospekte fürs Hotel ...« Susi wurde unterbrochen, denn der junge Engländer, der den Raum gerade verlassen wollte, machte bei ihren Worten auf der Stelle kehrt.
»Sorry, aber ich habe etwas von einem Ausflug in die Berge gehört. Ist das eine Wanderung mit Führer? Ich hätte Interesse an so einer Tour.«
»Das ist keine Wanderung, sondern ein Ausritt mit Haflingern«, antwortete Erika Pröll mit geschäftsmäßiger Freundlichkeit. »With Austrian mountain horses!«, setzte sie hinzu, als sie das verständnislose Gesicht des Engländers sah. Dieser schmunzelte plötzlich und wirkte bei Weitem nicht mehr so reserviert wie vorher.
»Oh, das ist also ein Ausflug mit Pferden. Wie interessant. Geht dieser Ausflug auch an dieser großen Felswand vorbei, die dort im Süden zu sehen ist?«
»Sie meinen die Luchtenwand. Aber freilich! Schauen S’, den Weg dort hinten geht es hoch auf die Steinbergalm. Dort können S’ Mittagessen. Das ist aber im Preis ned mit einbegriffen!«, erklärte Susi dem Mann, bevor Erika dies tun konnte.
»Was ist der Preis von diesem Ausflug?«, fragte er mit nachdenklicher Miene.
»Der Ausritt kostet 25 Euro. Sie brauchen auch kein Reitdress dazu. Feste Turnschuh und eine Jeans reichen vollkommen aus!« Auch Erika Pröll versuchte jetzt, dem Mann den Ausflug schmackhaft machen.
»25 Euro, was ist das in english Pound?«
»Ungefähr 20 Pfund«, beantwortete Susi, die den Betrag rasch im Kopf ausgerechnet hatte, die Frage, die der Mann mehr sich selbst gestellt hatte. Der Engländer lächelte Susi dankbar an und zog seine Brieftasche.
»Wenn Sie erlauben, würde ich gerne an dieser Tour teilnehmen!«
»Gern, Sie müssen sich nur hier in die Liste eintragen!« Erika Pröll schob dem Engländer das Anmeldeformular zu und nahm sein Geld entgegen. Während sie nachzählte, schrieb der junge Mann seinen Namen unter den letzten Eintrag und reichte Erika den Kugelschreiber zurück.
»Herzlichen Dank für ihre Hilfe und auf Wiedersehen!« Susi hatte das Gefühl, dass er sie bei diesen Worten etwas länger ansah, als die Erika, und freute sich darüber.
»Die Tour fängt morgen um neun vor dem Hotel Erzherzog Josef an!«, rief sie ihm nach. Er winkte noch einmal und verschwand hinter der nächsten Ecke. Erst jetzt drehte sich Susi wieder zu Erika um, die gerade dabei war, die verlangten Prospekte zusammenzustellen. Susi nützte die Gelegenheit und überflog die Anmeldeliste mit einem raschen Blick. Den letzten Namen las sie aufmerksamer als die anderen und prägte ihn sich gut ein.
»Übrigens, Erika, was ich dir noch sagen wollte. Mister Bolthingham ist kein Gast im »Haus Tyrol«! Ned, dass du dich beim Eintragen verschreibst!«, meinte sie fröhlich zu der anderen, während sie die Prospekte entgegennahm.
»Was ihr Prumeter-Leut euch nur denkt!«, fauchte Erika und eilte zum Telefon, ohne Susi noch einmal anzusehen.
*
Am nächsten Morgen hallte das klappernde Geräusch von Pferdehufen über das Kopfsteinpflaster des Marktplatzes. Werner Harreiter, im Winter Leiter der väterlichen Skischule und im Sommer Juniorchef auf dem heimatlichen Reiterhof, saß auf seiner Lieblingsstute Senta und führte mehr als 20 ledige Haflinger im Gänsemarsch auf das Hotel Erzherzog Josef zu.
Im Hotel hörte man das Hufgetrappel durch die offenen Fenster des Frühstückszimmers, wo die meisten Gäste noch dabei waren, sich für den Ausritt zu stärken. Hermann Bavlitschek, der vor einer riesigen Portion Rührei mit Speck saß, wurde plötzlich unruhig.
»Was gibt’s, ist’s schon so weit?«, fragte er Hias, der ihm gerade das zweite Kännchen Kaffee servierte.
»Nur keine Panik, Herr Bavlitschek. Da können S’ ruhig gemütlich weiteressen. Der Harreiter Werner wartet schon so lang, bis unsere Gäst mit dem Frühstück fertig sind.«
»Gott sei Dank!«, antwortete der Wiener erleichtert. Er schlang aber sein Frühstück anschließend so schnell in sich hinein, als hätte er Angst, nicht damit fertig zu werden. Hias sah mit einem spöttischen Blick auf den Mann, der auch heute wieder seine kurzen Bermudashorts trug, herab und kehrte in die Küche zurück. Dort warf er Josef Halfinger sein Serviertuch zu.
»Sepperl, jetzt übernimmst du die Bedienung im Frühstückssaal. Ich muss auf mein Zimmer und mich umziehen, weil ich dem Werner auf seiner Tour helfen soll.« Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ Hias den Raum und stieg die große Holztreppe zum Obergeschoss hoch. Josef Halfinger sah ihm einen kurzen Moment nach und überlegte, ob er ihn aufhalten sollte. Schließlich dauerte es fast noch eine ganze Stunde, bis Werner Harreiter die Leute auf den Hof bitten würde. Doch bis der Sepperl zu einer Entscheidung gekommen war, war sein Kollege schon längst verschwunden. Mit einem schicksalsergebenen Seufzer nahm der Sepperl daher das Serviertuch an sich und trug ein von Wurst und Käse fast überquellendes Tablett zum Frühstücksbuffet. Sofort eilten mehrere Gäste herbei, um ihre Teller vollzuladen. Auch Hermann Bavlitschek gehörte dazu, weil er sein Inneres gegen die harten Stöße des Pferderückens auspolstern wollte. Der Sepperl sah die legere Kleidung des Wieners und eilte ihm bis zu seinem Tisch nach.
»Entschuldigen S’, Herr Bavlitschek. Sie wollen doch ned etwa mit der Kurzen auf die Tour mitreiten? Was meinen S’, wie Ihnen die Rosshaar die Haut an die Haxen aufreiben.«
»Ja haben denn eure Rosserl keine Sättel?«, wunderte sich der Wiener.
»Das schon, aber da sitzen S’ ja mit dem Hintern und ned mit den Waden drauf!«
»Gut, dass du mir das sagst. Da kann ich jetzt noch schnell auf mein Zimmer und mich umziehen. Bloß schad, dass ich ned fertig frühstücken kann. Weißt was, pack mir die Wurst und den Käs mit ein paar Laiberl ein. Ich frühstück unterwegs fertig!«
Sepperl dachte an die Mengen, die der Mann heute schon gegessen hatte, und schüttelte verwundert den Kopf. Er war aber gutmütig genug und ging in die Küche, wo er die Sachen nicht nur einpackte, sondern ihm die Brötchen auch noch vorher aufschnitt.
*
Hias erreichte unterdessen das Büro seines Chefs. Die Tür war wie üblich unverschlossen, daher konnte er ohne Weiteres eintreten. Durch das Fenster waren die gemütlichen, blondgemähnten Haflinger zu sehen, die ihre Mäuler in den Zierbrunnen steckten und noch einen Schluck Wasser tranken. Werner Harreiter stand daneben und unterhielt sich angeregt mit Susi. Hias verzog ein wenig das Gesicht, als er die beiden zusammen sah. Bis zu dem Tag, an dem sich die Väter Georg Harreiter und Ferdinand Prumeter über eine Heirat der beiden einig geworden waren, hatte Hias gehofft, einmal der Glückliche zu werden, der Susi und mit ihr das Hotel erringen konnte. Aber diesen Zahn hatte man ihm mittlerweile gezogen. Dabei sah Werner Harreiter seiner Ansicht nach nicht besser aus als er. Das verflixte Geld seines Vaters machte ihn jedoch zu einem gern gesehenen Bewerber, während er, der Hias, sein Leben als kleiner Angestellter in diesem Hotel fristen und bei allen möglichen und unmöglichen Gästen um Trinkgeld buhlen musste. Hias dachte aber mit klammheimlicher Freude daran, dass dieser Zustand nicht mehr lange anhalten würde.
Während ihm die verschiedensten Gedanken in den Sinn kamen, überflog er die heutige Korrespondenz. Zwei, drei Briefe sonderte er dabei aus und kopierte sie nacheinander auf dem kleinen Kopiergerät, das neben dem Schreibtisch stand. Mit einem zufriedenen Grinsen steckte er die Duplikate ein und legte die Originale wieder in die Mappe zurück. Als er den Raum verließ, ging er jedoch noch nicht in sein eigenes Zimmer hoch, sondern schlenderte an den Gästezimmern entlang. Während die Gäste unten beim Frühstück saßen, waren die Zimmermädchen mit vollem Eifer dabei, die Räume zu reinigen. Hias ging an ein paar Zimmern vorbei und öffnete schließlich die letzte Tür. Ein zierliches, dunkelhaariges Mädchen von etwa 20 Jahren wischte eben den letzten Staub vom Tisch. Sie war so mit ihrer Arbeit beschäftigt, dass sie Hias nicht bemerkte. Der Mann schlich sich auf Zehenspitzen hinter sie und hielt ihr mit den Händen die Augen zu.
»Wer ist da?«, stellte er die Frage, wartete jedoch keine Antwort ab, sondern fasste das Mädchen an der Taille und wirbelte es herum. »Gib mir ein Busserl, Annerl«, bettelte er und presste sie eng an sich.
»Aber Hias, wenn jemand hereinkommt und uns sieht«, rief die Kleine erschrocken.
»Annerl, du bist doch kein verschreckter Has ned. Außerdem sperr ich eh das Zimmer zu, damit uns keiner überraschen kann.« Mit diesen Worten eilte der Hias zur Tür und drehte den Schlüssel um.
»Aber Hias, was ist, wenn die Frau Grassl vom Frühstück zurückkommt und vor der verschlossenen Tür steht?«
»Da brauchst du keine Angst haben. Die alte Gewitterziege macht bei der Haflingertour mit und hat ihre Sachen schon ins Frühstückszimmer mitgenommen. Aber komm jetzt, Annerl. Ich wollt mir ned umsonst die Zeit für dich aus den Rippen geschnitten haben. Zier dich ned länger, ich bin doch kein fetter Hotelgast, der hinter dir her grapscht!« Ohne eine Antwort abzuwarten, schloss Hias das Mädchen fester in seine Arme und küsste es heftig. Annerl zitterte in seinen Armen, doch ihr Atem ging schneller, als seine Hände über ihren Körper glitten.
Hias lenkte sie mit einem geübten Griff zum bereits fertig gemachten Bett.
»Komm Annerl, wir zwei sind uns doch einig!«, lockte er, als er ein gewisses Widerstreben des Mädchens spürte. Annerl wurde knallrot und drehte den Kopf weg.
»Ja, das schon, aber ich hab gemeint, wir warten, bis wir über unsere Zukunft einig sind. Hias, du weißt’s doch, dass der Chef nun einmal Liebschaften unter seinen Angestellten ned gern sieht.«
»Ich glaub, wir zwei haben lang genug gewartet. Jetzt haben wir endlich die Gelegenheit und die werden wir auch ausnützen. Außerdem werden wir zwei eh nimmer lang im »Erzherzog Josef«, buckeln müssen. Was würdest du zum Beispiel dazu sagen, wenn wir zwei unser eigenes Lokal aufmachen?«
»Unser eigenes Lokal«, flüsterte Annerl und staunte Hias mit großen Augen an. »Da brauchen wir aber viel Geld dazu.«
»Ich hab ein bisserl was gespart, Annerl. Du weißt, der Chef teilt mir immer die Gäst zu, die das beste Trinkgeld geben. Auch bei der heutigen Tour springen leicht ein paar nette Euro heraus. Außerdem hab ich da noch nebenbei ein paar Geschäfterl laufen, die auch ned ohne sind!«
»Du Hias, das musst du mir aber erklären, wie du das meinst, das mit dem Lokal mein ich.«
»Ja, aber ned jetzt, Annerl. Jetzt hab ich was anderes vor«, antwortete Hias keuchend und drückte das Mädchen auf das Bett zurück.
*
»Wo bloß der Hias bleibt? Er sollt dir doch helfen, die Leut aufzuladen.« Susi war ungehalten darüber, dass sich der Page noch nicht sehen ließ, obwohl bereits die für die Tour angemeldeten Gäste aus den anderen Hotels und Pensionen Grünkirchens vor dem »Erzherzog Josef« eintrafen.
»Ärger dich doch ned wegen dem Hias, Susi. Der wird schon noch kommen. Gib mit lieber noch ein Busserl, damit ich ned ausgehungert auf die Tour gehen muss und dir womöglich noch untreu werd«, antwortete Werner Harreiter lachend und schloss Susi in die Arme.
»Das tät dir so passen. Aber einmal langt, schließlich sind wir zwei noch ned verlobt miteinander. Außerdem ärgert es mich, dass dir der Papa den Hias als Helfer bei deiner Tour abgestellt hat, dieser aber den Sepperl die Arbeit tun lässt!« Susi entwand sich Werners Armen und zeigte auf den Sepperl, der gerade Frau Grassl auf das ihr zugeteilte Pferd half. Daneben mühte sich Herr Bavlitschek ab, auf den starkknochigen Wallach zu kommen, den ihm Werner nach einem kurzen Blick auf die Leibesfülle des Wieners ausgesucht hatte. Sepperl richtete noch rasch Frau Grassls Steigbügel und eilte dann Bavlitschek zu Hilfe.
»Er stellt sich ned schlecht an, euer Sepperl. Ich glaub fast, dass er mit den Rössern besser zurechtkommt als mit den Feriengästen«, meinte Werner anerkennend. Dann strich er mit den Daumen über Susis Wange und setzte sich in Bewegung.
»Bis heut Nachmittag, Dirndl. Und heb mir ein ganz heißes Busserl auf.«
»Ich werd dem Küchenchef sagen, er soll in der Küch angeheizt lassen. Vielleicht ist dir die Herdplatte heiß genug zum abbusseln«, spöttelte Susi zurück. Werner winkte ihr grinsend zu und gesellte sich zu seinen Schutzbefohlenen. Mit kundigen Händen zog er die Sattelgurte nach und beruhigte gleichermaßen seine Pferde und ihre Reiter. Er macht schon etwas her, der Werner, dachte Susi. Einen schneidigeren Burschen wie ihn gibt es im ganzen Bezirk nicht. Doch da sah sie in ihren Gedanken plötzlich das Bild des jungen Engländers und spürte, wie ihr Herz unruhig schlug. Sie schaute rasch auf, doch Jack Bolthingham war als einziger der angemeldeten Gäste noch nicht vor dem Hotel Erzherzog Josef eingetroffen. Dafür scharten sich genug andere, vor allem weibliche Gäste um Werner Harreiter und versuchten, sein Interesse zu erregen.
Zwei der jungen Damen, Theresia Slarits aus Wien und die Deutsche Yvonne Schäufele, waren sogar im Reitdress erschienen. Beide übernachteten im »Haus Tyrol« Johann Hirchingers und waren daher für Susis Vater ein Wermutstropfen an dieser Ausflugsgruppe. Zahlenmäßig hatten die Gäste aus dem »Erzherzog Josef« zwar klar die Nase vorn, doch die beiden Frauen gehörten zu der kleinen Gruppe exklusiver Gäste, deren Ankunft im Bergboten nachzulesen war.
Ferdinand Prumeter war vor Wut beinahe geplatzt, als ein langer Artikel über die gefeierte Wiener Künstlerin Teresia Slarits im Bergboten gestanden hatte. Susi wusste zwar noch immer nicht, ob die überschlanke, blonde Frau mit dem gelangweilten Gesicht nun eine Malerin, eine Schriftstellerin oder nur eine »Möchtegern« war.
Theresia Slarits ließ jedoch durchblicken, dass sie in Wien recht populär wäre und wurde in Grünkirchen denn auch entsprechend hofiert. Die etwas klein gewachsene und vollschlanke Yvonne Schäufele war von Beruf zwar nur Tochter. Bei ihrem Vater handelte es sich jedoch um einen bekannten süddeutschen Bauunternehmer, der auch in Tirol mehrere Zweigunternehmen unterhielt.
Susi hörte, dass Werner Theresia und Yvonne in humorvollen Worten den Hof machte, störte sich aber nicht daran. Es gehörte nun einmal zu seinem Geschäft, freundlich zu den Fremden zu sein. Nur zufriedene Gäste empfahlen einen weiter. Da für sie hier nichts mehr zu tun war, hätte Susi jetzt wieder ins Hotel zurückkehren können. Sie blieb jedoch vor der Tür stehen und wartete, ob der junge Engländer noch rechtzeitig kommen würde.
*
Jack Bolthingham erreichte das Hotel Erzherzog Josef mit britischer Genauigkeit beim ersten Schlag der Kirchenuhr. Gemäß dem Rat Erika Prölls hatte er Jeans, Turnschuhe und ein sportliches Hemd angezogen. Doch auch in dieser saloppen Kleidung sah er sehr kultiviert und vornehm aus. Ein paar der jüngeren Frauen, die an der Tour teilnahmen, sich aber wenig Chancen ausrechneten, an die Seite ihres schneidigen Tiroler Führers zu kommen, schauten interessiert auf und lenkten ihre Touristen gewohnten Haflinger zu den zwei letzten Pferden, die noch ohne Reiter auf dem Marktplatz standen.
Jack grüßte freundlich in die Runde und ging ebenfalls zu den beiden Pferden, einer etwas knochigen Stute mit zerzauster Mähne und einem schön gebauten Wallach, der ihm jedoch aus tückisch funkelnden Augen entgegensah. Jack betrachtete die beiden Tiere und sah aus den Augenwinkeln ein erwartungsvolles Grinsen über Werner Harreiters Gesicht huschen. Der Wallach war nämlich ein ungebärdiges Tier, auf das der junge Tiroler mit Vorliebe denjenigen seiner Gäste setzte, der ihm am unsympathischsten war. Ein Mann, der so gut aussah wie dieser Engländer und der offensichtlich auch beim schwachen Geschlecht Erfolg hatte, konnte ihm nur unsympathisch sein. Außerdem machte es sich bei seinen Gästen immer gut, wenn sie sahen, dass es jemand gab, der noch schlechter zu Pferd saß als sie selbst.
Susi überlegte, ob sie Jack vor dem Wallach warnen sollte. Doch da stürzte plötzlich Hias aus der Hoteltür und raste wie von Furien gehetzt zu den Pferden hinüber. Im Laufen stopfte er sich das Hemd in die Hose und fuhr sich mit den Fingern durch das zerzauste Haar. Ohne zu warten, für welches Pferd sich Jack entscheiden würde, riss er die Zügel der friedfertigen Stute an sich, stellte den Fuß in den Steigbügel und schwang sich in den Sattel. Das Grinsen auf Werner Harreiters Gesicht wurde noch stärker. Auch Hias schaute jetzt voller schadenfroher Vorfreude auf den Engländer herab.
Dieser zauberte jedoch eine Karotte aus der Hosentasche und hielt sie dem Wallach hin. Dieser prustete zuerst misstrauisch, doch dann schnappte er sich die Mohrrübe und begann, sie genüsslich zu kauen. Jack tätschelte das Pferd am Hals, fasste mit einer Hand den Zügel und mit der anderen den Steigbügel und saß so schnell im Sattel, dass sowohl der Wallach als auch die Gruppe um ihn herum, davon überrascht wurde.
Schon auf den ersten paar Hundert Metern sah man, dass Jack ein ausgezeichneter Reiter war, der selbst Werner Harreiter in den Schatten stellte. Der Wallach lief unter ihm so rein wie ein Dressurpferd und war dabei so munter, dass er die anderen Tiere damit ansteckte. Werner Harreiter und Hias hatten daher mehr Mühe als gewöhnlich, ihre Gruppe zusammenzuhalten, zumal es ihnen die reitgewohnten Damen Theresia Slarits und Yvonne Schäufele nicht leichter machten. Immer wieder ließen die beiden ihre Reittiere antraben oder fielen gar in einen leichten Galopp. Die übrigen Pferde waren gewohnt, immer im gleichen Tempo hintereinander herzulaufen. Sie wurden daher ebenfalls schneller und brachten ihre ungeübten Reiter dadurch in Schwierigkeiten.
Vor allem Hermann Bavlitschek schwankte heftig im Sattel hin und her und rutschte zu allem Unglück auch noch mit einem Fuß aus dem Steigbügel. Werner Harreiter war weiter vorn damit beschäftigt, Theresia Slarits zu verfolgen, die ihren Haflinger anscheinend mit einem Vollblutrenner verwechselte. Hias ritt an Frau Grassls Seite und beugte sich fürsorglich zu der älteren Dame hin, um den Sitz ihres Sattelgurtes zu prüfen. Sie gab schließlich mit die besten Trinkgelder im Hotel.
Da sich die beiden Führer nicht um den Wiener kümmerten oder kümmern konnten, lenkte Jack seinen Wallach mit einem Zungenschnalzen neben Bavlitscheks Pferd und packte den Mann am Arm, bevor er ganz aus dem Sattel zu rutschen konnte. Er beruhigte dessen nervös gewordenes Tier und half dem Reiter in den Steigbügel. Dabei sah er, dass die Bügel zu lang eingestellt waren. Ohne sich nach den beiden Führern umzuschauen, sprang Jack aus dem Sattel und hielt Bavlitscheks Pferd an. Mit zwei raschen Handgriffen stellte er die Bügel ein und zog auch den locker gewordenen Sattelgurt nach. Das Ganze dauerte keine ganze Minute, dennoch waren ihnen die anderen Pferde schon ein ganzes Stück voraus.