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Für die junge Magd Sabine bricht eine Welt zusammen, denn ihr Verlobter Franz verlässt sie, nachdem er sie verführt hat. Und als würde das nicht reichen, stellt er sie vor den jungen Männern des Dorfes bloß. Sabine flieht aus dem Dorf und fährt zu ihrer Großtante Zenta, die, mittlerweile alt und gebrechlich, froh über die Hilfe ist. Schon bald lernt Sabine den jungen Witwer Franz kennen, dessen Frau bei einem Bergsturz umgekommen ist. Doch weder Franz noch Sabine können die Vergangenheit hinter sich lassen, die ihrem Glück im Wege steht. Aber sie haben nicht mit Großtante Zentas Einfallsreichtum gerechnet… Dieser und die zwei weiteren spannenden Romane "Die Liebe macht den Menschen stark" und "Die kluge Hoferbin" sind in diesem Buch enthalten.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Anni Lechner
Kein Madl für eine Nacht Die Liebe macht Menschen stark
Anni Lechner: Band 17, Kein Madl für eine Nacht ... und zwei weitere spannende Romane
Copyright © by Anni Lechner
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.
Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag
Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.
eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara
ISBN 978-3-95912-226-9
Nach dem Aufstehen eilte Franz Steiner als Erstes zum Fenster, um nach dem Wetter zu schauen. Der Tag versprach schön zu werden und wie geschaffen, um im Forst zu arbeiten. Eigentlich war Franz ja Bauer, doch sein Hof war zu klein, um davon leben zu können. Da kam ihm das Geld, das er als Holzknecht hinzuverdienen konnte, gerade recht.
»Guten Morgen, Franz«, sagte seine Frau in diesem Augenblick schlaftrunken.
Franz drehte sich mit einem liebevollen Blick zu ihr um. »Guten Morgen, Schatzerl.« Obwohl Erika die Decke bis zum Kinn hochgezogen hatte, war ihr gewölbter Bauch nicht zu übersehen. Noch zwei Monate, dann würde er Vater sein. Franz trat lächelnd ans Bett und gab Erika einen Kuss. Sie schlang die Arme um seinen Hals und hielt ihn fest.
»Ich bin so froh, dass ich dich hab, Franzl.«
»Und ich erst, weil ich dich hab.« Franz gab Erika noch einen Kuss und löste sich sanft aus ihren Armen. »Ich muss mich tummeln, damit ich rechtzeitig im Schlag bin. Bleib ruhig liegen, ich koch mir meinen Kaffee selber.«
Erika schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. »Wegen dem bisserl Schwangerschaft brauchst du mich ned gleich in Watte zu packen. Meine Mutter hat noch am Tag meiner Geburt Erdäpfel klaubt und sich ziemlich geärgert, weil sie ned damit fertig geworden ist, bevor ich gekommen bin.«
Franz schüttelte lachend den Kopf. »Das war aber auch eine andere Generation als wir.«
»Willst du sagen, dass ich weniger aushalt als meine Mutter?« Erika klang fast ein wenig beleidigt.
Franz schüttelte den Kopf. »Aber gewiss ned, Schatzerl. Ich will bloß sagen, dass du ein bisserl vorsichtig sein sollst. Denk an die Gruberin. Die hat bei der Arbeit auch ned maßhalten können und darf nach drei Fehlgeburten hintereinander keine Kinder mehr kriegen.«
»Da brauchst du keine Angst zu haben. Ich pass schon auf«, versprach Erika rasch. Das Schicksal der größten Bäuerin von Obernreuth war ihr Warnung genug. »Aber trotzdem kann ich dir das Frühstück herrichten«, setzte sie entschlossen hinzu.
Während Franz im Badezimmer verschwand, heizte Erika den Ofen an und kochte Kaffee. Kurze Zeit später saßen sie beide in der kleinen Küche zusammen und unterhielten sich über das Kind, das ihr Glück erst so richtig vollkommen machen würde. Lange hatten sie jedoch nicht Zeit, denn ein Blick auf die Kuckucksuhr an der Wand zeigte Franz, dass er aufbrechen musste. Sein Partieführer Sepp Kainzl war zwar ein verständiger Mensch, doch er wollte um acht Uhr das Geräusch der Äxte und Sägen im Wald hören.
Franz steckte die Blechdose mit der vorbereiteten Brotzeit ein und küsste seine Frau zum Abschied. »Bis heut Abend, Schatzerl«, sagte er noch, dann eilte er hinaus. Bis zu dem Schlag, in dem sie heute arbeiten wollten, hatte er einen Anstieg von etwa einem Kilometer vor sich. Er nahm ihn mit der Leichtigkeit eines Mannes, der in dieser Gegend aufgewachsen ist. Unterwegs drehte er sich noch einmal kurz um und blickte auf seinen Hof zurück. Es gab größere Höfe in Obernreuth, aber in seinen Augen keinen schöneren. Die Mauern des lang gestreckten Gebäudes waren ganz aus mächtigen Tannenbalken errichtet und trotzten zusammen mit dem flachen, mit Steinen beschwerten Schindeldach seit mehr als zwei Jahrhunderten allen Unbilden der Natur.
Für einen Augenblick sah Franz zum Gipfel des Eiblstein hoch, der den Hof vor den kalten Ostwinden schützte. Er hatte das eigenartige Gefühl, als wäre der Berg plötzlich anders als sonst und schüttelte irritiert den Kopf. Er hatte jedoch keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn der mahnende Schlag der Kirchturmuhr trieb ihn weiter. Zehn Minuten später erreichte er den alten Bauwagen, der den Waldarbeitern als Lager und Brotzeitraum diente. Mit einer gewissen Erleichterung erkannte Franz, dass er nicht als Letzter kam. Er grüßte den Partieführer und seine Kollegen und holte sich dann Schutzhelm und Motorsäge aus dem Wagen.
Kainzl blickte auf seine Armbanduhr und nickte den Männern zu. »Auf geht‘s! Die Arbeit macht sich ned von selber.«
Im selben Augenblick hastete als Letzter Schorsch Meier heran. »Habt ihr’s schon gehört? Heut Nacht hat’s drüben in Hausham einen Felsrutsch gegeben. Da ist ein ganzes Stück vom Eiblstein herabgekommen«, rief er ihnen schon von Weitem zu.
»Was sagst du?« Kainzl wartete, bis Meier heroben war, und fragte dann, ob etwas passiert wäre.
»Leut und Gebäude sind keine zu Schaden gekommen. Aber die Kreisstraß nach Piedling hat’s erwischt. Da liegt ein Trumm Felsen drauf, sag ich euch. So was kriegen die mit einem Kran ned weg. Den werden sie wohl sprengen müssen«, berichtete der Schorsch ganz aufgeregt.
Franz blickte unwillkürlich zum Eiblstein hinüber und spürte plötzlich einen Knoten im Magen. Seit Jahrhunderten ragte die steile Felswand des Berges über dem Steinerhof empor und nie hatten die Bewohner sie als Bedrohung gesehen.
»Steiner, was ist los?«
Als Franz sich zu Kainzl umdrehte, war dieser mit den anderen Männern bereits auf dem Weg in den Forst. Er eilte hinterher und holte seine Kollegen bald ein. Doch als er dann im Wald arbeitete, sah er immer wieder zum Eiblstein hinüber und kämpfte gegen das Gefühl drohenden Unheils an.
Die Stunden vergingen, vom Kreischen der Motorsägen und dem Krachen fallender Bäume erfüllt. Sonst war Franz immer der beste Arbeiter, doch heute blieb er hinter seinen normalen Leistungen zurück.
Bei der Brotzeit bildete der nächtliche Felssturz in Hausham wieder das Hauptgesprächsthema. Schorsch Meier berichtete noch einmal alles lang und breit und meinte schließlich, dass die Leute an der Unfallstelle weitere Bergrutsche erwarteten.
»Das liegt an dem verregneten Sommer, hat der Kreisbaumeister gesagt. Da ist viel Wasser in die Spalten und Risse in den Berg eingedrungen. Jetzt, wo’s in der Nacht gefriert, wird der eine oder andere Felsen abgesprengt.«
»So lang bei uns in Obernreuth nix herabkommt, ist mir das wurscht, ned wahr Franz«, warf Sepp Kainzl ein.
Franz schrak aus seinen Gedanken auf und nickte. »Wenn nur nix runterkommt.«
»Hast du etwa Angst um deinen Hof?«, fragte Meier. »Bei euch ist doch noch nie etwas passiert.«
Er hatte es kaum gesagt, da schwang ein seltsam klagender Ton über das Tal. Es hörte sich an, als würde die Welt in Stücke gerissen. Die Waldarbeiter sprangen erschrocken auf und starrten zum Eiblstein hinüber. Dort löste sich in halber Höhe ein riesiger Felsblock und rutschte zunächst langsam, dann aber immer schneller werdend den Hang hinab. Auf seinem Weg riss er weitere Felsstücke aus der Wand und stürzte als steinerne Lawine zu Tal.
»Deifi, das ist uns gerad noch abgegangen«, rief Kainzl erschrocken. Doch selbst die Männer, die dicht bei ihm standen, konnten bei dem infernalischen Lärm, der plötzlich die Luft erfüllte, seine Stimme nicht verstehen. Der Boden zitterte wie bei einem Erdbeben und dann hörten sie einen heftigen Schlag, der selbst die mächtigen Tannen des Bergwaldes erzittern ließ. Dann war es von einem Augenblick auf den anderen so still wie in einem Grab.
Kainzl blies die Luft hörbar aus den Lungen und schüttelte sich. »Sakra, das waren einige Tausend Kubikmeter Fels. Wenn da bloß nix passiert ist.« Er sah dabei Franz an, denn der Steinerhof lag genau unterhalb der Stelle, von der der Felssturz niedergegangen war.
Franz stand noch einen Moment wie erstarrt, dann rannte er wie von Sinnen los. Die anderen folgten ihm so schnell, wie sie konnten, verloren ihn aber schon bald aus den Augen. Als sie schließlich Franz‘ Hof erreichten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Die Gesteinslawine hatte das Gebäude fast völlig unter sich begraben. Der Stall im hinteren Teil war von den Felsblöcken buchstäblich zertrümmert worden. Nur die vordere Wand mit der Haustür stand noch, doch auch hier hatte der Felssturz das Dach und die Decken eingedrückt.
Franz hatte die Tür aus den Angeln gerissen und grub sich mit bloßen Händen durch das Geröll. »Erika!«, schrie er, dann noch einmal: »Erika!« Seine Stimme hatte nichts Menschliches mehr an sich. Seine Kollegen sahen sich bedrückt an und machten sich dann an die Arbeit. Doch gegen die Fels- und Erdmassen, die hier lagen, kamen sie nicht an. Franz’ Schreien war zu einem wilden Schluchzen geworden, als endlich die Freiwillige Feuerwehr erschien und kurz danach auch ein Kranwagen und ein Sanitätsauto. Jetzt endlich konnte der größte Felsblock, der den Weg ins Innere versperrte, beseitigt werden. Dahinter kam ein kleiner Hohlraum zum Vorschein, in dem Erika Steiner zusammengekauert lag und den Rettern mit weit aufgerissenen Augen entgegenblickte.
Die Erleichterung der Männer hielt jedoch nur einen Augenblick an, bis sie erkannten, dass Erikas Beine von den Oberschenkeln abwärts unter den Felsmassen begraben waren. Bis zur endgültigen Bergung der Verletzten schwebten die Retter immer wieder in Lebensgefahr, denn das lose Geröll drohte nachzurutschen und alles zu verschütten. Kainzl und seine Männer fällten kurz entschlossen mehrere junge Bäume, um das Loch, das die Feuerwehrleute gruben, abzustützen. Der Notarzt tat unterdessen alles, um Erika am Leben zu erhalten. Als die junge Frau schließlich frei lag und vorsichtig zum Krankentransporter gebracht wurde, versprach seine düstere Miene nichts Gutes.
Franz eilte dem Arzt nach und fasste ihn am Ärmel. »Die Erika wird doch gewiss wieder gesund werden?«
Der Mann hob bedauernd die Hände. »Ich tät’s ihnen ja gern versprechen. Aber es schaut leider ned gut aus.«
»Die Erika darf ned sterben! Das kann der Herrgott doch ned zulassen«, brach es aus Franz heraus.
»Leider hilft bloß noch beten!«, antwortete der Arzt, bevor er in den Krankenwagen stieg. Franz wollte ihm folgen, doch da spürte er Kainzls Hand auf seiner Schulter.
»Es ist besser, wenn ich dich in die Stadt fahr. Der Doktor und seine Sanitäter haben mit deiner Frau Arbeit genug. Die können sich ned auch noch um dich kümmern.«
Franz nickte betreten und folgte Kainzl ins Dorf. Eine gute halbe Stunde später erreichten sie die Kreisstadt und blieben vor dem Krankenhaus stehen. Franz sprang sofort aus dem Auto und raste zum Eingang.
»Wie geht’s meiner Frau? Sie ist eben eingeliefert worden«, rief er dem Mann an der Pforte zu.
»Wie heißt denn Ihre Frau?«, fragte der Pförtner.
»Steiner Erika.«
Der Pförtner sah in seinem Computer nach, ohne jedoch fündig zu werden. »Ihre Frau ist noch ned gemeldet. Wann sagen Sie, ist sie eingeliefert worden?«
»Es kann höchstens ein paar Minuten her sein. Sie ist unter einen Steinschlag geraten.«
»Da muss ich nachfragen.« Der Pförtner nahm den Telefonhörer zur Hand und wählte die Notaufnahme an. »Hier Pforte, Mayer. Da ist ein Herr Steiner da, der nach seiner Frau fragt«, meldete er sich.
Als sich kurz danach wieder Franz zuwandte, klang seine Stimme ernst. »Der Doktor möchte mit Ihnen reden.«
»Was ist mit meiner Frau?«, fragte Franz voller Angst.
Der Pförtner wies auf eine weiß gekleidete Gestalt, die sich mit raschen Schritten näherte. »Das sagt Ihnen besser der Doktor.«
Die Miene des Arztes ließ Franz das Schlimmste befürchten. »Wie geht es meiner Frau?«, fragte er bang.
Der Arzt legte ihm den rechten Arm um die Schulter und führte ihn beiseite. »Es tut mir leid, Herr Steiner. Aber wir haben für Ihre Frau leider nichts mehr tun können. Ihre Verletzungen waren einfach zu schwer. Sie ist uns unter den Händen weggestorben.«
Franz biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien.
Kainzl schlug das Kreuzzeichen und murmelte: »Der Herrgott gebe ihr die ewige Ruh.« Ihm tat die Frau leid, die so jung hatte sterben müssen.
Der Arzt wartete, bis Franz sich etwas beruhigt hatte. »Vielleicht ist es ein Trost für Sie, dass wir das Kind auf die Welt holen konnten. Wenn Gott will, wird es überleben.«
Franz hörte ihm nicht einmal zu. Als der Arzt ihn in die Intensivstation führte und auf ein winziges Bündel Mensch wies, das im Brutkasten lag, hatte er keinen Blick dafür. Er dachte nur daran, dass seine Erika, die sich so gefreut hatte, bald Mutter zu sein, nicht mehr am Leben war.
*
Sabine kicherte, weil Andreas Hände etwas zu frech über ihre Bluse wanderten. Als er jedoch den ersten Knopf aufnesteln wollte, wand sie sich aus seinen Armen und schüttelte den Kopf. »Ich hab dir schon das letzte Mal gesagt, dass ich das ned will, Anderl. Ich hab nix gegen ein Busserl, aber mehr darfst du von mir noch ned verlangen.«
»Jetzt sei ned so hart zu mir, Binerl«, bettelte der Bursche. »Zum Liebhaben gehört das doch auch dazu.«
»Für mich ned«, widersprach Sabine. »Auch wenn ich dich lieb hab, soll zwischen uns alles in Ehren zugehen. Ich bin kein Madl für eine Nacht.«
Andreas Kern lachte auf. »Aber es ist doch noch gar net Nacht, Binerl. Außerdem weißt du doch, dass es für mich kein anderes Madl auf der Welt gibt als dich.« Damit versuchte er, das Mädchen wieder an sich zu ziehen.
Sabine wehrte ihn jetzt energischer ab. Obwohl sie den Erben des Hofes, auf dem sie als Magd arbeitete, liebte, war sie nicht bereit, über einen gewissen Punkt hinaus zu gehen. Sie besaß nicht viel mehr als sich selbst und wollte sich nur dann verschenken, wenn es für immer war.
Andreas verzog ärgerlich das Gesicht. Seit Sabine auf dem Kernhof arbeitete, hatte er sein Glück bei ihr versucht, wenn auch bisher allerdings vergebens. Dabei war sie mit ihren goldblonden Haaren, dem herzförmigen Gesicht mit den großen grünen Augen, ihrem zierlichen Näschen und dem sanft geschwungenen Mund das schönste Mädchen im weiten Umkreis. Er war nicht der einzige Bursche, der um sie warb, doch im Gegensatz zu den Anderen hatte sie ihm zumindest andeutungsweise ihre Liebe gestanden.
»Komm Binerl, jetzt sind wir schon einmal zusammen auf dem Heustock. Es ist doch ned schlimm, wenn wir zwei uns ein wengerl näher kennenlernen«, bohrte er weiter. Sonst richtete ja immer der alte Ruppert das Heu für die Kühe her, heute lag der Knecht mit einem Rheumaanfall im Bett. Schon morgen konnte er wieder auf den Beinen sein und damit war die gute Gelegenheit vorbei. »Ich hab dich doch lieb, Binerl«, setzte Andreas hinzu, als Sabine noch immer zögerte.
»Wie lieb?«, fragte sie gespannt.
»Unendlich«, beteuerte Andreas.
»Genug, um mit deiner Mutter zu reden?«
Sabines Worte berührten eine wunde Stelle in Andreas Herzen. Obwohl er mit seinen einundzwanzig Jahren längst volljährig war und vor aller Welt als Besitzer des Kernhofes galt, hatte er bei seiner verwitweten Mutter wenig zu melden. Er musste kein Prophet sein, um zu wissen, dass sie eine arme Magd niemals als Schwiegertochter akzeptieren würde. Wenn er jedoch bei Sabine Erfolg haben wollte, musste er wenigstens so tun, als hätte er ehrliche Absichten mit ihr. »Also gut Binerl, ich red mit der Mutter.«
»Ich mein ned bloß reden, Anderl. Du musst dich auch bei ihr durchsetzen.«
Der zweifelnde Ton in Sabines Stimme ärgerte Andreas. Hielt sie ihn vielleicht für ein Muttersöhnchen? Er war ein richtiger Mann und würde ihr dies jetzt auch beweisen. »Wir zwei heiraten im kommenden Frühjahr, egal was die Mutter dazu sagt. Das kannst du von mir sogar schriftlich haben.«
Sabine kicherte. »Du hast wohl kaum was zum Schreiben dabei.«
»Aber ich geb dir mein Ehrenwort. Ich heirat dich oder keine.« Andreas riss dabei Sabine an sich und überschüttete sie mit Küssen. Seine Hände wanderten über ihren Körper, und wenn sie auch ein wenig unter der Berührung zusammenzuckte, ließ sie es doch zu, dass er sie auf das Heu legte und mit vor Erregung zitternden Händen entkleidete.
Die Augenblicke ihrer Zweisamkeit waren kaum vorbei, da schlüpfte Andreas hastig wieder in seine Hose und packte die Gabel. »Komm schick dich, damit wir mit dem Heu fertig werden. Sonst schimpft uns die Mama.« Für das, was eben zwischen ihm und Sabine geschehen war, hatte er kein Wort übrig.
Die junge Magd sah ihn verwundert an. »Sollten wir denn ned lieber jetzt gleich zu deiner Mutter gehen und ihr sagen, dass wir uns verlobt haben?«
Andreas zuckte bei dieser Forderung zusammen und überlegte, wie er sich da herauswinden konnte. »Also, Sabine, so einfach ist das grad auch wieder ned. Wir können die Mama ned so einfach überfallen. Das muss gut vorbereitet werden.«
Es gab Sabine einen Stich, dass er so wenig Rückgrat zeigte. »Aber Andreas, bist du jetzt ein Mannsbild oder bist du keines?«, fragte sie etwas schärfer als gewollt.
»Freilich bin ich eines oder hast du das eben ned gemerkt«, fuhr Andreas auf.
»Wenn du eines bist, dann wirst du auch mit deiner Mutter reden.« Sabine war nicht bereit, in diesem Punkt nachzugeben. Andreas hatte ihr versprochen, sie zu heiraten und ihr auch den Preis dafür abgefordert. Jetzt war es an ihm, seinen Teil zu erfüllen.
*
Als sie jedoch einige Zeit später bei der Abendsuppe saßen, starrte Andreas unverwandt in seinen Teller und wich Sabines fordernden Blicken aus. Schließlich legte er den Löffel beiseite und stand auf.
»Ich geh noch auf eine Halbe zum Sulzerwirt.«
Es traf Sabine wie ein eisiger Guss. Andreas, was bist du nur für ein Feigling, dachte sie. Plötzlich hatte sie Angst, seine Liebesschwüre könnten Lügen gewesen sein. Sie öffnete bereits den Mund, um ihn zwingen, vor seiner Mutter Farbe zu bekennen. Doch da schlug die Bäuerin mit der flachen Hand ärgerlich auf den Tisch.
»Eines sag ich dir, Anderl. Das Wirtshauslaufen fängst du mir fei ned an.«
»Ja Mama, du hast schon recht«, wand Andreas sich. »Ich will ja bloß mit dem Sulzer Lukas reden, wann ich ihm den Kreiselheuer zum Richten vorbeibringen kann.«
Der jüngere Sohn des Wirtes war Mechaniker und reparierte in seiner Freizeit die defekten Maschinen der Bauern. Daher konnte die Bäuerin an Andreas‘ Vorschlag nichts aussetzen.
»Mach das. Aber du trinkst mir bloß eine Halbe beim Sulzer, ist das klar?«
»Freilich Mama.« Andreas nickte und verließ die Küche so schnell, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her.
Sabine starrte ihm enttäuscht nach. War das wirklich derselbe Bursche, der ihr vor wenigen Stunden ewige Liebe und Treue geschworen hatte?, fragte sie sich. Sie beschloss, ihn bei der nächsten Gelegenheit zur Rede zu stellen und sich dann nicht mehr mit Ausflüchten abspeisen zu lassen. Sie überlegte, ob sie von sich aus die Bäuerin darauf ansprechen sollte. Ohne Andreas an ihrer Seite hatte sie jedoch Angst vor der energischen und oft auch harschen Frau. Daher beendete auch sie das Abendessen und zog sich mit einem gemurmelten Gruß in ihre Kammer zurück.
Die Bäuerin sah ihr mit gerunzelter Stirn nach. Sie hatte die seltsame Spannung zwischen ihrem Sohn und der jungen Magd durchaus bemerkt und machte sich ihre Gedanken. Sabine war hübsch und was für Kornelia Kern mehr zählte, auch fleißig. Aber sie war gewiss nicht das Mädchen, das für sie als Schwiegertochter infrage kam. Wenn ihr Sohn dabei war, Dummheiten anzustellen, würde sie eingreifen müssen.
Sabine ahnte nichts von den Gedanken der Bäuerin. Sie warf sich angezogen auf ihr Bett und kämpfte mit ihren Tränen. Schließlich schalt sie sich eine Heulsuse und beschloss, am nächsten Morgen mit Andreas zu reden. Immerhin hatte er ihr sein Ehrenwort gegeben.
*
Andreas kehrte an diesem Abend ziemlich spät nach Hause zurück. Der Viehhändler Spirkner hatte einige Freimassen springen lassen und so war er in der Wirtschaft geblieben. Nach ein paar Bier hatte er schließlich vor Lukas Sulzer und den anderen mit seinem Erfolg bei Sabine angegeben und sich in ihren neidischen Blicken gesonnt. Als er jedoch die Haustüre aufsperrte und in den Flur trat, sah er seine Mutter wie einen drohenden Schatten vor sich stehen und zog unwillkürlich den Kopf ein.
»Du bist noch auf, Mama?«
»Ich hab auf dich gewartet. Ich glaub, es wird an der Zeit, dir ein paar Dummheiten auszutreiben.«
»Ich hab wirklich ned zu viel getrunken, Mama, und ich hab auch nix dafür zahlen müssen, weil alles Freibier war«, versuchte Andreas sich zu rechtfertigen.
Er kam bei seiner Mutter damit jedoch an die Falsche. »Bier ist Bier, und wenn man zu viel davon trinkt, ist es wurscht, ob man es selber bezahlt hat oder ned. Es ist schon mancher Bauer um sein Sach gekommen, weil er ned vom Bier lassen hat können. So lang ich leb, wird dir das ned passieren.« Es hörte sich für Andreas fast wie die Drohung an, ewig leben zu wollen.
»Du hast ja recht, Mama«, antwortete er in der Hoffnung, seine Mutter damit besänftigen zu können.
»Freilich hab ich recht!« Die Bäuerin forderte Andreas auf, ihr in die gute Stube zu folgen und sich dort zu setzen. »Ich hab heut beim Abendessen was gesehen, was mir gar ned gefallen hat. Die Sabine ...« Sie schwieg und blickte ihren Sohn durchdringend an.
»Was ist mit der Sabine?« Für einen Augenblick glaubte Andreas, das Mädchen hätte seiner Mutter von seinen Versprechungen berichtet.
»Es passt mir ned, wie sie dich anschaut. Du bist schließlich kein Knecht, sondern der Bauer auf dem Kernhof.«
Andreas hielt sich zwar eher für den Leibsklaven seiner Mutter, aber vom Gesetz her hatte sie recht. »Ja, und was meinst du damit?«, fragte er bang nach.
»Du wärst ein verdammt guter Fang für ein solches Madl wie die Sabine, die selber nix an den Füßen hat. Aber lass dir sagen, eine Bäuerin, die nix mitbringt, ist auch nix wert.«
Andreas dachte an das, was er Sabine versprochen hatte, wagte aber nicht, seiner Mutter zu widersprechen. Außerdem fragte er sich, ob er wirklich alles so ernst gemeint hatte, wie Sabine es vielleicht annahm. Wenn jeder junge Bursche die Versprechen halten würde, die er einem Mädchen gegenüber gemacht hatte, wäre die Welt ein Tollhaus, sagte er sich. Außerdem reizte Sabine ihn jetzt, wo er sie besessen hatte, bei Weitem nicht mehr so wie vorher.
»Da kann ich dir ned widersprechen, Mama.« Er schob das schlechte Gewissen, das er dabei empfand, weit von sich.
Die Bäuerin nickte zufrieden. »Es freut mich, dass du das einsiehst. Trotzdem sollten wir einen Riegel vorschieben. Darum wird die Sabine an Lichtmess den Hof verlassen.«
Andreas wusste nicht, ob er damit zufrieden sein sollte. Wie er die junge Magd kannte, würde sie ihm vorher noch die Hölle heißmachen. Er überlegte schon, seine Mutter zu bitten, ihn während dieser Zeit zu Verwandten zu schicken, damit er aus der Schusslinie kam. Da der alte Ruppert aber nicht allein die Arbeit tun konnte, ließ er es sein. Er musste sich halt so unsichtbar machen, wie es nur ging.
Seine Mutter war jedoch noch nicht zu Ende. »Ich bin der Meinung, dass wir keine neue Magd mehr einstellen sollten. Du bist jetzt alt genug, um heiraten zu können. Eine Jungbäuerin achtet mehr auf den Hof, als eine Magd es tut.«
Andreas Kopf ruckte interessiert hoch. Wenn er heiratete, musste er nicht mehr wochenlang einem Mädchen nachstellen, um sich heimlich auf dem Heustock als Mann beweisen zu können. Dann lag im Bett neben ihm eine Ehefrau, die ihm jederzeit zu Willen sein musste. »Also, ich hätt nix dagegen, Mama«, versicherte er eilig.
Seine Mutter verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn durchdringend. »Das will ich auch hoffen. Wir werden auch ned lang suchen müssen. Du kennst doch die Wallner Cilly aus Gersting. Ich hab vorhin mit ihrem Vater telefoniert und ausgemacht, dass wir am nächsten Sonntag bei ihnen vorbeischauen.«
Andreas konnte sein Glück kaum fassen. Cilly war nämlich ein hübsches, schwarzhaariges Mädchen mit angenehm runden Formen und war ihm bereits ins Auge gestochen, bevor Sabine auf dem Kernhof eingestanden war.
»Dann sind wir uns einig.« Die Mutter nickte ihm zufrieden zu und wünschte ihm Gute Nacht.
Als Andreas in seine Kammer hochstieg, freute er sich, weil die befürchtete Kopfwäsche ausgeblieben war. Gleichzeitig stellte er sich vor, wie es sein würde, wenn Cilly einmal neben ihm lag. Er ärgerte sich jedoch, weil seine Gedanken ihm statt Cilly immer wieder Sabine Bild vorgaukelten. In gewisser Weise spürte er, dass Cilly ihr niemals das Wasser würde reichen können. Sie war jedoch die erklärte Favoritin seiner Mutter und er tröstete sich damit, dass in der Nacht alle Katzen grau waren. Außerdem besaß sie ein sanfteres Wesen als Sabine, die ihm dann doch ein wenig zu selbstbewusst war.
*
Als Sabine am nächsten Morgen in den Stall kam, wunderte sie sich, Andreas fröhlich pfeifen zu hören. Als sie ihn jedoch grüßte, wagte er es nicht, ihr in die Augen zu sehen. Sie ging auf ihn zu, um ihn zur Rede zu stellen, doch im selben Augenblick schlurfte der alte Ruppert herein. Obwohl Sabine den Knecht mochte, hätte sie ihm in diesem Augenblick den schlimmsten Rheumaanfall an den Hals wünschen können.
»Du weißt, was du mir gestern versprochen hast«, raunte sie Andreas zu, während sie das Melkgeschirr nahm und sich an die Arbeit machte. Er versuchte etwas zu sagen, winkte dann aber nur ärgerlich ab und verschwand in der Futterkammer.
»Grüß dich Sabine. Wie du siehst, bin ich wieder auf den Beinen.« Rupperts Stimme lenkte die Magd ab. Der Knecht versuchte so zu tun, als wäre mit ihm alles wieder in Ordnung. Trotzdem verzog er sein Gesicht, wenn er seinen linken Fuß belasten musste.
»Hättest du ned besser im Bett bleiben sollen«, tadelte Sabine ihn.
»So schlimm ist’s schon ned«, widersprach der Alte und nahm das andere Melkgeschirr zur Hand.
Sabine wollte schon sagen, dass Andreas für ihn melken könnte, doch der Bursche ließ sich nicht mehr im Stall sehen. Auch später ging Andreas ihr geflissentlich aus dem Weg. Ihr Ärger stieg mit jeder Stunde, vor allem, als sie sich dabei ertappte, Entschuldigungsgründe für ihn zu suchen. So fragte sie sich, ob er vielleicht mit seiner Mutter gesprochen hatte und ein scharfes Nein als Antwort erhalten hatte. Doch in dem Fall hätte er doch mit ihr darüber sprechen können.
Am Nachmittag schickte die Bäuerin sie in den Ort, um ein paar Sachen für sie einzukaufen. Als sie am Wirt vorbei ging, kamen gerade ein paar junge Burschen heraus.
»He Sabine, wie wär’s mit uns Zweien? Schlechter als der Kern Anderl bin ich fei auch ned«, rief der Wirtssohn Lukas Sulzer ihr nach.
Sabine erstarrte über diese anzüglichen Worte. Andreas hatte wirklich keine Zeit verloren, um sich vor seinen Freunden mit seinem Erfolg zu brüsten. Mit äußerster Selbstbeherrschung wandte sie sich um und lachte Lukas ins Gesicht. »Bist du dir da so sicher?«
Dieser Pfeil traf. Der Bursche starrte sie für einen kurzen Moment an und ging dann mit einer verächtlichen Geste weiter. Sabine setzte ebenfalls ihren Weg fort. Obwohl ihr Gesicht beherrscht blieb, fühlte sie sich innerlich wie zerschlagen. Warum hatte Andreas ihr das angetan?, fragte sie sich verzweifelt. Sie liebte ihn doch und er hatte ihr hoch und heilig versprochen, diese Liebe zu erwidern. Oder war es nur eine jener Lügen gewesen, wie sie jungen Burschen zu leicht von den Lippen kamen. Er hatte sie haben wollen und bekommen und wollte jetzt anscheinend von seinen Schwüren nichts mehr wissen.
Wie sehr sie recht hatte, sollte Sabine am Wochenende erfahren. Sie versuchte bis dorthin mehrfach, Andreas zu einer Aussprache zu bewegen. Doch sie hätte genauso gut Wasser mit einem Sieb schöpfen können. Wenn sie auch nur in seine Nähe kam, verdrückte er sich sofort. Sie sah ihn nur noch während der Mahlzeiten und da verhinderte die Anwesenheit seiner Mutter jedes Wort.
Am Sonntag fuhren die Bäuerin und ihr Sohn weg, und als sie mehrere Stunden später zurückkehrten, wirkte Kornelia Kern mehr als zufrieden. Andreas selber zeigte ein dämliches Grinsen und funkelte Sabine mehrfach höhnisch an.
Sabine fragte sich, was an diesem Nachmittag geschehen sein konnte. Trotzdem war sie nicht auf das vorbereitet, was sie beim Abendessen vernahm. Die Bäuerin wartete, bis alle sich gesetzt hatten, und klopfte dann mit dem Löffel gegen ihren Teller, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Es wird sich in der nächsten Zeit bei uns einiges ändern«, erklärte Kornelia Kern. »Es kann sein, dass schon bald eine junge Bäuerin auf den Hof kommt. Daher bist du als Magd hier überflüssig, Sabine. Du kannst zu Lichtmess gehen.«
Ein letztes Mal klammerte Sabine sich an den Gedanken, dass alles von der Bäuerin ausging und Andreas genau wie sie nur deren Opfer war. Sie blickte ihn in der Hoffnung an, dass er wenigstens jetzt Rückgrat zeigen würde.
»Hast du nix zu sagen?«
Andreas zog den Kopf wie in Erwartung eines Unwetters ein und blieb stumm. Dafür klatschte die Hand der Bäuerin laut hallend auf die Tischplatte.
»Lass meinen Buben in Ruh, Sabine! Er hat mir gebeichtet, dass du hinter ihm her warst und er die Gelegenheit ergriffen hat, die du ihm so leicht geboten hast. Aber wenn jeder Bauer die Magd heiraten tät, mit der er einmal im Heu war, gäb’s einen Haufen unpassender Ehen auf der Welt.«
Sabine war über diese Verleumdung so empört, dass sie aufsprang. »Ned ich war hinter dem Andreas her, sondern er hinter mir. Wenn er mir ned das Heiraten versprochen hätt, wär zwischen uns nix geschehen.«
»Du hast es halt besonders listig angefangen, um meinen Buben einzufangen. Aber auch das hat dir nix geholfen«, höhnte die Bäuerin.
»Andreas, jetzt sag endlich was«, beschwor Sabine den Burschen händeringend. »Wenn du ein Mann bist, musst du zugeben, dass ich recht hab.«
»Es reicht«, fuhr die Bäuerin dazwischen. »Da du ned aufhörst, meinen Buben zu belästigen, ist es wohl das Beste, wenn du den Hof sofort verlässt. Und glaub ja ned, dass du den Andreas mit einem Balg erpressen kannst, der angeblich von ihm sein könnt. Wir werden alles anzweifeln und vor Gericht gehen.«
An ein mögliches Kind hatte Sabine nicht gedacht. Vor ein paar Tagen hätte sie sich vielleicht noch darauf gefreut. Jetzt betete sie jedoch darum, dass ihr dieses Schicksal erspart blieb. Sie sah noch einmal Andreas an, der den Kopf zwischen die Schultern gezogen hatte, und erkannte ihn als das, was er wirklich war, als einen haltlosen Burschen, der immer den Weg des geringsten Widerstandes ging. Wie hatte sie nur glauben können, dass er so etwas Ähnliches wie Rückgrat besaß. Sabine spürte, wie in ihr alles in Scherben zerfiel. »Ich soll also gehen. Soll das gleich sein oder reicht morgen früh auch noch?«, sagte sie bitter zur Bäuerin.
»Ich halt dich ned auf, wenn du jetzt gehen willst. Deine Papiere und deinen Restlohn hab ich dir schon hergerichtet.« Kornelia Kern holte vom Küchenschrank ein vorbereitetes Kuvert und warf es vor Sabine auf den Tisch.
Das Mädchen kämpfte erneut mit Tränen. Sie wollte jedoch Andreas nicht den Triumph gönnen, sie um ihn weinen zu sehen. Sie nahm das Kuvert an sich und verließ die Küche, ohne den anderen noch einen Blick zu gönnen. In ihrer Kammer stopfte sie ihre Sachen in den einzigen Koffer, den sie besaß. Als sie kurz darauf das Haus verließ, waren weder die Bäuerin noch Andreas zu sehen. Draußen traf sie auf den alten Ruppert, der mit bedrücktem Gesicht an der Wand des Kuhstalls lehnte.
»Es tut mir leid, Madl, aber dir hat man wirklich übel mitgespielt. Wenn ich bloß ein paar Jahr jünger wär, tät ich auch gehen. Aber so nimmt mich keiner mehr.« Es klang mehr als bedauernd.
Sabine drehte sich um und blickte zum Haus hinüber, wo hinter einem Wohnzimmerfenster der Vorhang wackelte. »Es wird ihnen kein Glück bringen, Ruppert, der Bäuerin ned und dem Andreas auch ned.«
»Hoffentlich hast du wenigstens Glück. Wo willst du denn eigentlich heut noch hin? In einer halben Stund wird’s dunkel sein.«
Sabine hatte sich hier noch keine Gedanken gemacht. Ihre Eltern waren beide tot und andere nahe Verwandte hatte sie keine. »Ich werd fürs Erste beim Sulzerwirt ein Zimmer nehmen«, sagte sie und wusste im selben Augenblick, dass sie das nicht tun konnte. Lukas Sulzer und die anderen jungen Burschen aus dem Dorf würden ihr keine ruhige Minute mehr lassen. Auch das war etwas, das sie Andreas zu verdanken hatte. Sie versuchte zu überlegen, wie viel Geld sie besaß. Doch selbst wenn sie die kleine Summe hinzuzählte, die sie auf der Raiffeisenkasse eingezahlt hatte, war es zu wenig, um sich auf längere Zeit in einer Pension einmieten zu können. Hoffnungen, rasch einen neuen Arbeitsplatz zu finden, machte sie sich nicht. Jetzt, wo der Winter bevorstand, brauchte kein Bauer eine zusätzliche Magd.
Für einen Augenblick stand sie wie erstarrt. So wie es aussah, hatte Andreas ihr mit seinem Verrat alles genommen, was sie besaß, ja sogar jeden Grund, um weiterleben zu wollen. Sie überlegte, was er und seine Mutter dazu sagen würden, wenn sie jetzt ins Wasser ging. Dann sagte sie sich jedoch, dass es ein zu hoher Preis wäre, um den beiden ein schlechtes Gewissen einzuimpfen.
Sie straffte den Rücken und reichte Ruppert die Hand. »Machs gut, Rupp! Ich muss jetzt weiter.«
»Lass von dir hören, Dirndl.« Der alte Mann hatte in Sabines Gesicht gesehen und machte sich Sorgen um sie.
Es war jedoch unnötig. Sabine hatte sich bereits wieder in der Gewalt und verließ mit festen Schritten den Hof, auf dem man ihr so übel mitgespielt hatte. Als sie das Dorf erreichte, was sie froh um die frühe Abenddämmerung, die die Leute in den Häusern hielt. Sie ging am Gasthof Sulzer vorbei ohne anzuhalten und richtete ihre Gedanken nach vorn. Es gab einen einzigen Menschen, den sie aufsuchen konnte, doch ob sie dort Hilfe erhielt, erschien ihr mehr als zweifelhaft. Zenta Axenböck war eine Tante ihrer Mutter und ihres Wissens die einzige Verwandte, die sie noch besaß. Die Frau musste weit über achtzig Jahre alt sein und hatte sich selbst nach dem Tod der Eltern nicht um sie gekümmert. Es war jedoch die einzige Hoffnung, die sie besaß. Mit dem Auto wäre Sabine in weniger als zwanzig Minuten von Piedling nach Obernreuth gekommen. Sie scheute jedoch die Ausgabe für ein Taxi und nahm den Weg zu Fuß in Angriff. Einen Augenblick lang überlegte sie sich, wie ihre Verwandte auf diesen unverhofften Besuch mitten in der Nacht reagieren würde, dann schob sie diesen Gedanken mit einem Achselzucken beiseite. Sie würde es früh genug erfahren.
*
Sabine kam in dieser Nacht nicht mehr nach Obernreuth. Bei Vollmond hätte sie über den Passweg gehen können. Heute standen die Sterne zwar in voller Pracht am Himmel, der Mond bestand jedoch nur aus einer schmalen Sichel, die kaum Licht spendete. Zuerst stolperte Sabine noch bergwärts, als jedoch ihr Koffer immer schwerer wurde, verkroch sie sich in einer Schutzhütte und kauerte sich auf der primitiven Pritsche zusammen. Sie musste schließlich eingeschlafen sein, denn als sie erwachte, war es draußen hell. So, als hätte sie sich bei etwas Unerlaubtem ertappt, raffte sie ihren Koffer an sich und eilte weiter.
Nach den schönen Tagen der letzten Woche hing nun kalter, feuchter Dunst in der Luft. Obwohl Sabine ihren dicken Pullover übergezogen hatte, begann sie zu frösteln. Zum Glück erreichte sie bald die Höhe und sah nun das nebelverhangene Obernreuther Tal vor sich liegen.
Vor vielen Jahren hatten ihre Eltern die Verwandte besucht und sie mitgenommen. Sabine konnte jedoch nicht mehr sagen, wo sich das bescheidene Häuschen ihrer Großtante befand. Noch während sie sich suchend umblickte, entdeckte sie nicht weit von sich einen Kramladen. Dort würde man ihr sicher Auskunft geben können, dachte sie und schritt darauf zu. Sie war nicht die einzige Kundin und musste warten, bis die Krämerin Lydia Woidl, eine groß gewachsene Frau mit einem breitflächigen Gesicht und schulterlangen, brünetten Haaren die anderen Frauen bedient hatte.
Schließlich wandte Lydia Woidl sich Sabine zu. »Grüß Gott. Was hätten wir denn gern?«
»Grüß Gott. Ich such eine Verwandte von mir. Zenta Axenböck heißt sie. Können Sie mir sagen, wo sie wohnt?«
Die Krämerin verzog das Gesicht. »Was, zu der wollen Sie?« Es klang nicht gerade freundlich. Lydia Woidl mochte keine Leute, die nur wegen einer Auskunft in ihr Geschäft kamen.
Sabine las der Krämerin diesen Gedanken förmlich von der Stirn ab und sie sah sich im Laden um, ob sie nicht eine Kleinigkeit fand, die sie ihrer Verwandten mitbringen konnte. »Geben Sie mir die Pralinenschachtel dort. Ja, und ich hätt gern zwei Wurstsemmeln.« Sie hatte die lecker aussehende Wurst im Kühlfach entdeckt und verspürte plötzlich Hunger.
Lydia Woidl wurde auf einem Schlag freundlicher. Während sie die Semmeln durchschnitt und belegte, erklärte sie Sabine den Weg zu Großtante Zentas Haus. »Sie können es ned verfehlen«, setzte sie hinzu. »Es ist nämlich die verkommenste Hütte im ganzen Dorf. Die alte Frau hat schon seit Jahren nix mehr daran richten lassen.«
Sabine erinnerte sich jetzt, dass ihre Eltern schon vor mehr als einem Jahrzehnt den verwahrlosten Eindruck des Hauses beklagt hatten, und war sich jetzt sicher, hinzufinden. Sie bedankte sich bei der Krämerin, zahlte ihre Einkäufe und verließ den Laden. Kurz darauf erreichte sie ein kleines Häuschen mit windschiefem Dach, das sich durch sein verkommenes Aussehen von den schmucken Häusern und Höfen Obernreuths unterschied. Das Einzige, was Sabine wirklich gefiel, war die Aussicht, die man von hier aus hatte. Das Haus stand unweit der Eiblsteinwand, ohne jedoch von dem Berg erdrückt zu werden. In der einen Richtung reichte der Blick bis ans Ende des Tales, während man nach Norden weit in das Land hineinsah.
Es dauerte eine ganze Weile, bis jemand auf Sabines Klopfen reagierte. Die Tür wurde nur einen schmalen Spalt geöffnet und das verwitterte Gesicht einer alten Frau schaute misstrauisch heraus. »Ich brauch nix«, erklärte sie mit abweisender Stimme.
»Grüß dich, Tante Zenta. Ich bin’s, die Sabine. Ich weiß ned, ob du mich noch kennst.« Sabine kämpfte gegen den Kloß an, der in ihrer Kehle saß und hoffte, dass ihre Verwandte sich an sie erinnern würde.