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Der junge Jäger Benjamin Staudacher kann sein Glück kaum fassen. Er hat nicht nur die neue Stelle beim Förster von Steinzell bekommen, sondern auch das Herz von dessen Tochter Christine gewonnen. Doch ein Verrat in Christines Vergangenheit trübt das Glück. Marianne, die Tochter des Taflerwirts, der einst von Benjamins neuem Chef als Wilddieb überführt worden ist, gönnt den beiden ihr Glück nicht. Sie spinnt eine gemeine Intrige und bringt Christine gegen Benjamin auf. Gelingt es dem jungen Mann, Christine von seiner aufrichtigen Liebe zu überzeugen? Oder wird die junge Beziehung an diesem Ränkespiel zerbrechen? Dieser und die zwei weiteren spannenden Romane „Internet-Liebe“ und „Diana“ sind in diesem Buch enthalten.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Anni Lechner
Wenn die Eifersucht brennt Internet-Liebe Diana
Anni Lechner: Band 13, Wenn die Eifersucht brennt ... und zwei weitere spannende Romane
Copyright © by Anni Lechner
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.
Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag
Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.
eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara
ISBN 978-3-95912-220-7
Der Parkplatz auf der Passhöhe kam Benjamin Staudacher wie gerufen. Er hielt an, öffnete in fieberhafter Erregung die Tür und blickte in das von steilen Bergwänden umgebene Steinzeller Tal hinab. Das ist also meine neue Heimat, schoss es ihm durch den Kopf. Die Gegend gefiel ihm. Dichter, dunkelgrüner Wald zog sich von der Talsohle über die Bergflanken hoch. Darunter waren Baumriesen, die schon alt gewesen sein mussten, als in Bayern noch Könige regierten. Benjamin verspürte eine seltsame Ehrfurcht bei ihrem Anblick und eine irrsinnige Freude, hier in Zukunft leben und arbeiten zu dürfen.
Erst allmählich erkannte er, dass es noch mehr zu sehen gab als nur den dunklen Forst. Tief unter ihm floss die Steinzeller Ache wie ein glitzerndes, schmales Band durch das Tal und teilte dabei das Dorf, dem sie den Namen gegeben hatte, in zwei ungleiche Hälften. Auf der Benjamin zugewandten Seite lag das Kirchlein, das von kupfernen Zwiebeltürmchen gekrönt wurde, und mehrere Bergbauernhöfe mit ihren altersdunklen Gebäuden aus Holz. Jenseits der Steinzeller Ache zeigten jedoch einige zentral stehende Hotels und Gasthöfe, dass der Tourismus auch in Steinzell eine große Bedeutung besaß. Über dem ausgedehnten Forst, der den Ort fast völlig umschloss, lagen schließlich die Hochalmen mit ihren malerischen Almhütten verstreut.
Es kam Benjamin fast wie ein Geschenk des Himmels vor, hierher versetzt worden zu sein. Es war seine erste Dienststelle im Gebirge, und er freute sich, weil er die Berge, die er von München aus nur mit einer längeren Autofahrt hatte erreichen können, nun direkt vor der Haustür fand. Hier würde er in seiner Freizeit genug Gelegenheit zum Klettern und Skifahren haben, dachte er zufrieden. In erster Linie hieß es jedoch für ihn, an seinen Dienst zu denken. Immerhin war es sein Traum, einmal ein eigenes Forstrevier zu erhalten. Doch um dies zu erreichen, musste er seinen neuen Vorgesetzten durch Leistung überzeugen.
Dieser Gedanke erinnerte ihn daran, dass er sich für heute Mittag bei dem hiesigen Revierförster angekündigt hatte. Wenn er noch lange hier stand und schaute, würde er zu spät kommen. Fast widerwillig riss er sich von dem Anblick los, stieg wieder in sein Auto ein und startete den Motor. Er hatte sich etwas zu viel Zeit gelassen. Mittlerweile war nämlich ein alter Laster über den Pass gekommen und kroch jetzt beinahe im Schritttempo vor ihm her. Dessen Fahrer hatte anscheinend vergessen, dass es außer ihm auch noch andere Verkehrsteilnehmer geben könnte. Er hielt sich genau in der Mitte der Straße und ließ Benjamin keinen Platz zum Überholen.
Benjamin drückte ärgerlich auf die Hupe. Doch entweder war der Lastwagenfahrer schwerhörig, oder sein Kasten machte so viel Lärm, dass er selbst die Posaunen des Jüngsten Gerichts überhört hätte. Schließlich gab Benjamin es auf und zuckelte hinter ihm her. Plötzlich tauchte ein vom Alter ausgebleichter Wegweiser mit der Aufschrift "Zum Forsthaus" neben der Straße auf. Wegen des Lastwagens hätte es Benjamin fast übersehen. Er bekam aber noch rechtzeitig die Kurve und fuhr erleichtert in einen schmalen, von Bäumen gesäumten Weg hinein. Schon nach wenigen Metern merkte er jedoch, dass seine Entscheidung nicht ganz so glücklich gewesen war. Der Forstweg entpuppte sich nämlich als eine stark ausgefahrene Piste, die sich mehr für einen Landrover als für seinen überladenen Kleinwagen eignete. Da er jedoch keine Möglichkeit zum Wenden fand, fuhr er so vorsichtig weiter, als hätte er rohe Eier geladen. Zu seinem Glück erreichte er bald darauf das malerisch zwischen den Bäumen stehende Forsthaus, das sicher noch aus der Zeit des Prinzregenten Luitpold stammte.
Er stellte sein Auto ab und ging um das Haus herum, um den Eingang zu suchen. Dabei entdeckte er eine junge Frau, die auf einer Bank im Freien saß und Gemüse putzte. Sie war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie ihn nicht bemerkte. Benjamin fand sie ausnehmend hübsch und verspürte einen leichten Stich im Herzen, als er sich überlegte, ob sie die Frau des Försters sein könnte. Sie trug ihr blondes Haar in einer Weise aufgesteckt, wie er es bisher nur auf alten Bildern gesehen hatte. Die Frisur stand ihr jedoch ausgezeichnet und betonte ihr wohlgeformtes Gesicht mit dem runden Kinn, den sanft geschwungenen Lippen und der schmalen, geraden Nase. Ihre Augenbrauen waren eine Schattierung dunkler als ihr Haar, und als sie den Kopf hob, sah er in zwei große, himmelblaue Augen, die ihn verwundert anblickten.
"Grüß Gott, ich hab Ihnen fei gar ned gehört", sagte sie freundlich und ließ dabei zwei ebenmäßige Reihen schneeweißer Zähne sehen.
"Grüß Gott, mein Name wär Staudacher. Ich bin der neue Jäger, der da zu Ihnen her versetzt worden ist", sprudelte Benjamin heraus. Noch während er es sagte, ärgerte er sich, weil es in seinen Ohren so unbeholfen klang.
"Und ich bin die Försterstochter Christine Markbein", erwiderte sie lächelnd.
"Da bin ich aber froh", platzte Benjamin heraus.
"Froh, über was?"
"Dass du die Tochter und ned die Frau vom Förster bist", fiel Benjamin unbewusst in das familiäre Du, und erschrak ein wenig, als er es merkte.
"Frech bist du ja gar ned", meinte sie lachend und gab ihm dadurch zu verstehen, dass sie gar nichts gegen die vertrauliche Anrede hatte.
Benjamin atmete erleichtert auf und zeigte mit einer ausholenden Handbewegung auf das Forsthaus und die Umgebung. "Schön habt ihr's hier. Da ist's wirklich kein Wunder, wenn da so rassige Madln wie du wachsen."
Christine hob warnend den rechten Zeigefinger. "Du, zu viel Schmalz vertrag ich fei aber auch ned. Sei also brav, sonst müsst ich mir was einfallen lassen."
"Was denn?", fragte er unverbesserlich.
"Ich könnt zum Bleistift dein Essen versalzen, oder dir deinen Kaffee bloß noch lauwarm servieren."
"Wenn ich dich dabei anschauen darf, merk ich das gar ned", meinte er grinsend.
Christine lächelte ebenfalls, doch es war nicht unbedingt freundlich gemeint. "Ich will dich bloß warnen. Wenn du meinst, du könntest bei uns im Forsthaus den Casanova spielen, bist du schneller wieder fort, als du piep sagen kannst. Du wärst nämlich ned der erste junge Jäger, der geglaubt hat, dass der Weg zu einem eigenen Revier über mein Kammerfenster führen könnt."
"Das versteh ich jetzt aber ned."
"Dein Vorgänger hat sich halt denkt, dass mein Vater in ein paar Jahren in Pension geht und er sein Nachfolger werden kann. Aber da ist ihm der Schnabel sauber geblieben. Auch dir wird's ned anders gehen, wenn du mir auf die Weis kommen willst."
Obwohl die Worte recht harsch klangen, gaben sie Benjamin doch einen kurzen Einblick in Christines zutiefst verletzte Seele. Er fasste eine heftige Abneigung gegen seinen Vorgänger und meinte: "Das war ein Depp!"
"Da hast du recht! Es war ein Depp. Ich will bloß hoffen, dass du keiner bist. Aber jetzt zu etwas anderem. Hast du noch einen Moment Zeit, bis ich meine Bohnen fertig geschnitzelt hab, oder soll ich dir gleich deine Kammer zeigen?"
"Also wegen mir brauchst du ned extra aufhören", rief Benjamin rasch und setzte sich neben sie auf die Bank. Er sah ihr zu und bewunderte ihre geschickten Hände, mit denen sie die Bohnen in fast atemberaubender Geschwindigkeit putzte und kleinschnitt. Schließlich war sie fertig und blickte ihn auffordernd an.
"Ich wär so weit. Wir können gehen."
Benjamin sprang auf und streckte die Hand nach der Schüssel aus. "Darf ich dir tragen helfen?", fragte er und erhielt ein kurzes Kopfschütteln zur Antwort.
"So schwer sind die Bohnen ned, dass ich mir einen Bruch damit heb", spottete sie, wurde aber sofort wieder ernst und zeigte mit dem Kinn auf das Forsthaus. "Dein Zimmer ist im Erdgeschoss. Da sind übrigens auch das Büro von meinem Vater, die Waffenkammer, der Kühlraum und unser Museum."
"Ihr habt ein Museum?", fragte Benjamin erstaunt.
"Bloß ein kleines mit zwei Zimmern. Früher haben nämlich auch die Forstgehilfen bei uns gewohnt. Als später die Zimmer leer gestanden sind, hat mein Vater darin alles gesammelt, was mit unserem Revier zu tun hat. Eigentlich wollt er's ja bloß wegen der Schulkinder tun, um ihnen die heimische Natur näher zu bringen. Aber jetzt stehen wir sogar im Museumsführer drin. Du wirst übrigens auch einmal dran kommen und Besucher durchführen und ihnen alles erklären müssen. Aber natürlich erst, wenn wir dich angelernt haben."
"Ich lern fei schnell, vor allem, wenn du meine Lehrerin bist."
"Das werden wir sehen", meinte sie zweifelnd. "Weil du der einzige Jäger bist, den wir haben, hast du auch ein eigenes Badezimmer für dich und einen Aufenthaltsraum. Der Papa und ich wohnen in der Dienstwohnung im ersten Stock."
"Ist dein Zimmer gar direkt über dem meinen?", wollte Benjamin wissen.
"Zu meinem Glück ned. Mein Fenster geht nämlich auf die Seite hinaus. Da stehen die Hundezwinger und unsere Zamperl haben was gegen heimliche nächtliche Schleicher, vor allem wenn sie mit einer Leiter daherkommen."
"Du stößt mir aber gleich am ersten Tag schon richtig Bescheid", jammerte Benjamin in komischer Verzweiflung. "Dabei bin ich doch ein ganz ein harmloser Bursch, der keiner Fliege ein Leid antun kann."
"Und das soll ich dir glauben, bei dem Beruf?"
"Was hat denn mein Beruf damit zu tun?"
"Als Jäger schießt du doch noch ganz andere Viecher als Fliegen tot."
"Also, auf eine Fliege hab ich bis jetzt wirklich noch ned geschossen", rief Benjamin verdattert.
Christine öffnete lachend die Tür zu seinem Zimmer und reichte ihm den Schlüssel. "Schau dich um, und dann kannst du dein Auto aus dem Dorf holen."
"Mein Auto steht hinter dem Forsthaus", erklärte Benjamin.
Christine sah ihn verwundert an. "Ja sag bloß, du bist den alten Forstweg gekommen. Da musst du ja wirklich einen halben Panzer haben."
"Nein, bloß ein kleines Muckerl, mit dem ich in fast jedem Schlagloch stecken geblieben wär", gab Benjamin zu.
"Macht nichts", gab sich Christine großzügig. "Bei uns kriegst du eh einen eigenen Dienstwagen, weil sonst die Wege im Revier zu lang für dich wären. Aber jetzt musst du mich entschuldigen. Ich hab zu tun. Du willst ja schließlich Mittag was essen!" Mit diesen Worten stieg sie die Treppe hinauf und verschwand hinter der Eingangstür der Försterwohnung.
*
Benjamin sah sich um und fand, dass er es kaum besser hätte treffen können. Das Zimmer war geräumig und bequem eingerichtet. Ein schön geschnitztes Kruzifix und zwei Ölbilder mit Forstmotiven an der Wand verliehen dem Raum sogar eine persönliche Note. Auf der anderen Seite führte eine schmale Tür in ein großes Badezimmer, dem man noch ansah, dass es einmal für mehr Leute gedacht gewesen war. Gleich neben dem Bad lag der Aufenthaltsraum. Auch dieses Zimmer war groß und mit abgelegten, aber noch gut erhaltenen Möbeln aus der Försterwohnung ausgestattet. Das Fernsehgerät und die Stereoanlage ließen ebenfalls keinen Wunsch offen. Zu Benjamins Verwunderung gab es sogar einen CD-Player.
"Ned schlecht, Frau Specht", meinte er anerkennend, als er nach hinten ging, um sein Auto auszuräumen. Eine halbe Stunde später hatte er alles in sein Zimmer gebracht und verstaute eben die letzten Hemden im Schrank. Da ließ ihn das Motorengeräusch eines herankommenden Geländewagens aufhorchen. Er trat ans Fenster und sah einen älteren, untersetzten Mann in grüner Jägerkleidung vor dem Haus anhalten und aussteigen.
Förster Markbein – Benjamin nahm an, dass er es war – sah sich einen Augenblick suchend um. Schließlich trat er mit einem ärgerlichen Brummen ins Haus. "Ich bin wieder zurück, Christine. Der neue Jäger ist wohl noch ned da. Das hab ich gern, gleich am ersten Tag zu spät kommen. Aber was kann man von so einem Großstadtbüberl auch anderes erwarten. Wenn ich bloß dran denk - Forstamt München Nord. Ich frag mich bloß, auf was die Jagd gemacht haben. Wahrscheinlich auf ausländische Touristinnen."
"Ich tät noch lauter schreien, Vater. Der Benjamin ist vor einer halben Stunde angekommen und fragt sich jetzt gewiss, an was für einen Grobian er als Vorgesetzten geraten ist."
"Ich hab aber kein Auto gesehen", rief der Förster verwundert.
Benjamin öffnete die Tür und trat hinaus. "Das steht hinter dem Forsthaus, Herr Markbein. Aber erst einmal Grüß Gott. Staudacher ist mein Name. Man hat mich zu Ihnen geschickt, damit ich auch einmal ein richtiges Wild vor die Flinte krieg, und ned bloß Touristinnen."
Markbein drehte sich um und musterte Benjamin streng. Das offene, ehrliche Gesicht des jungen Jägers gefiel ihm, auch sein Lächeln, mit dem er zeigte, dass er ihm die harschen Worte nicht übel nahm. "Grüß dich, Staudacher. Ich bin Gerhard Markbein, der Förster von Steinzell. Eigentlich Oberförster, weil sie mich letztens befördert haben. Aber das ist eh bloß ein Titel auf dem Papier."
"Und ein paar Euro mehr Gehalt", wandte Benjamin ein.
"Das auch", gab Markbein zu. "Aber deswegen krieg ich auch keinen zweiten Jäger, wie ich's beantragt hab. Du wirst daher genug zu tun haben. Aber jetzt komm! Es ist Essenszeit. Oder willst du dich lieber selber versorgen? Bis jetzt hat immer meine Tochter für den jeweiligen Jäger mitgekocht."
"Da hab ich gewiss nix dagegen", versicherte Benjamin eifrig. Froh, Christine so schnell wiederzusehen, folgte er seinem Vorgesetzten nach oben. Markbein führte ihn sofort in das im Landhausstil gehaltene Speisezimmer, auf dessen Tisch bereits drei Gedecke aufgelegt waren.
"Kann ich irgendwie helfen?", bot Benjamin an.
"Das schaff ich schon allein", rief Christine aus der Küche heraus. Wenige Sekunden später schob sie einen Servierwagen herein und begann den Tisch zu decken. Benjamin gelang es gerade noch, ihr das Soßenschälchen abzunehmen. Er verbrannte sich dabei aber fast die Finger an dem heißen Gefäß.
"Aua, das war aber arg schwer", meinte er, als er es glücklich auf den Tisch gestellt hatte.
"Wenn du die Soßenschüssel fallen gelassen hättest, wären wir zwei aber aneinandergeraten", drohte ihm Christine lachend. "Du weißt ja. Wer ned hören kann, muss fühlen. Ich hab dir ja gesagt, dass ich keine Hilfe brauche. Beim nächsten Mal nimmst du gefälligst ein Küchentuch, bevor du das heiße Zeug anlangst."
"Ich werd's mir merken", stöhnte Benjamin und steckte seinen schmerzenden Finger in den Mund. Der Förster sprach ein kurzes Tischgebet, dann herrschte die nächsten Minuten eine nur vom gelegentlichen Klappern der Bestecke unterbrochene Stille im Raum. Benjamin aß mit gutem Appetit und fand, dass es ihm selten besser geschmeckt hatte.
"Gut war's", lobte er Christine, als er schließlich die Serviette weglegte.
"Freut mich, dass dir meine Küche zusagt. Aber wenn du in der Stadt immer im MacDingens gegessen hast, dürfte das auch kein großes Wunder sein."
"In München gibt es auch noch andere Lokale als Hamburgerbuden", erklärte Benjamin lächelnd. "Aber auch die kommen ned mit dir mit."
"Wenn die Christine ned gut kochen könnt, wär ja das Geld für die Hauswirtschaftsschule zum Fenster hinausgeworfen gewesen", sagte Markbein, während er sich seine Pfeife stopfte. "Aber jetzt zu dir. Mich wundert's schon ein bisserl, warum so ein Großstädter wie du zu uns aufs Land will. Die meisten jungen Burschen reißen sich doch um einen Posten im Ministerium, damit sie Karriere machen können."
"Ich bin kein Städter, sondern komm aus der Freisinger Gegend. In München war ich bloß deswegen, weil der Posten grad frei gewesen ist, als ich mit meinem Studium fertig war. Ich hab immer wieder versucht, aufs Land heraus zu kommen. Gott sei Dank hat's jetzt endlich geklappt."
"Dank dem Herrgott lieber erst, wenn du die ersten Wochen in unserem Revier hinter dir hast", dämpfte Markbein Benjamins Überschwang. "Bei uns kannst du nämlich ned mit der U-Bahn zum nächsten Schlag fahren, sondern musst oft genug zu Fuß laufen."
Benjamin merkte, dass der Förster ihn nicht ganz ernst nahm, spürte aber auch dessen Willen, ihm zu helfen. Während Christine den Tisch abräumte, erklärte ihm Markbein in kurzen Worten sein Revier.
"Ich hab zwar noch immer keinen Beweis dafür, aber ich glaub, dass bei uns gewildert wird", meinte er zuletzt. "Darum hab ich ja auch einen zweiten Jäger beantragt. Aber die Herrn in der Forstbehörde in München denken wohl, dass es so etwas wie Wilderei in der heutigen Zeit nimmer gibt. Sonst hätten sie mir den zweiten Jäger ned in Bausch und Bogen abgelehnt und mir auch ned einen Mann geschickt, der keine Erfahrung im Gebirgswald hat. Sieh das um Gottes willen ned als Kritik an. Du kannst ja nix dafür, dass man dich nach Steinzell versetzt hat. Aber du wirst jetzt sehr schnell lernen müssen, worauf es in unserem Forst ankommt, damit wir den Wilddieb bald erwischen."
"Am Lerneifer soll's ned liegen", versprach Benjamin. "Aber noch einmal zu dem Wilderer. Haben Sie vielleicht schon einen Verdacht, wer es sein könnte?"
"Du kannst ruhig du zu mir sagen. So städtisch sind wir da ned, dass wir da mit Herr und Sie anfangen", erklärte der Förster und starrte dann mit düsterem Blick zum Fenster hinaus. "Aber was den Wilderer angeht, hab ich freilich jemanden in Verdacht, nämlich den Taflerwirt von Steinzell."
"Ist das ned ein bisserl arg weit hergeholt, Vater?", wandte Christine ein, die eben aus der Küche zurückkehrte. "Bloß weil er vor dreißig Jahren einmal gewildert hat ... Einmal muss die Sache doch vergessen sein."
"Ich vergess sie auf alle Fälle ned", entgegnete ihr Vater direkt giftig und deutete dabei auf eine Narbe über seiner Nasenwurzel, die Benjamin jetzt erst auffiel.
"Weißt du, Benjamin", wandte sich jetzt Christine an ihn. "Damals hat mein Vater den jetzigen Taflerwirt, der damals noch der Wirtssohn war, beim Wildern erwischt. Dabei ist der Tafler in Panik geraten und hat den Papa mit dem Kolben niedergeschlagen."
"Er hätte mich fast umgebracht", rief der Förster grollend.
"Komm, du warst schnell genug wieder auf die Füß, um noch vor dem Tafler in die Wirtschaft zu kommen."
"Bloß weil ich eine Abkürzung kennt hab!"
"Auf alle Fälle hast du den Tafler noch mit dem Reh auf dem Buckel erwischt", fuhr Christine fort, ohne sich von den Zwischenrufen ihres Vaters beirren zu lassen. "Wegen der Wilderei und dem Kolbenhieb ist er dann zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt worden."
"Davon hat er bloß ein gutes halbes Jahr absitzen müssen, dann haben sie ihn wieder freigelassen. Zwengs guter Führung." Markbein schlug auf den Tisch, dass es nur so knallte. "Und jetzt hab ich den Schuft wieder am Hals. Der denkt wohl, ich wär alt und lahm geworden. Aber da täuscht er sich gewaltig."
"Der Papa lässt sich einfach ned davon überzeugen, dass jemand anderes als der Tafler der Wilddieb sein könnte. Ich tipp ja eher auf einen Auswärtigen. Der Kerl braucht ja bloß gehört haben, dass der Papa seit einiger Zeit allein im Revier ist."
"Ach, du mit deinem Auswärtigen", tat Markbein den Einwand mit einer verächtlichen Handbewegung ab. "Der Tafler ist's, sag ich, und sonst keiner."
Da sich Benjamin in Steinzell noch nicht auskannte, wollte er den Verdacht des Försters nicht von vorneherein als unsinnig abtun. Er selbst hielt jedoch mehr von Christines Theorie. Unwillkürlich blickte er zu ihr hin und sah ihre Augen etwas besorgt auf sich ruhen.
"Ich hoffe, du bist mir ned bös, wenn ich's sag. Aber wegen der Sache von damals sieht's mein Vater ned gerne, wenn seine Jäger zum 'Taflerwirt' gehen. Es ist zwar deine Privatangelegenheit, aber es wär schön, wenn du daran denken würdest."
"Ich bin eh kein Wirtshausläufer", beruhigte sie Benjamin.
"Und wenn du doch einen Durst auf eine Halbe hast, gibt es in Steinzell ja auch noch andere Wirtschaften. Die 'Krone' zum Beispiel, oder das Hotelrestaurant 'Alpenglühen'", warf Markbein ein. Dann klopfte er seine Pfeife aus und winkte Benjamin, ihm zu folgen.
"Wenn du magst, schauen wir erst einmal ins Revier hinein. Das Schriftliche können wir auch am Abend machen.
*
Benjamins Achtung vor dem Können seines Vorgesetzten wuchs mit jeder Minute mehr. Wenn er von jemandem etwas über seinen Beruf lernen konnte, dann von diesem Mann, dachte er sich. Sie hatten ihre Besichtigung mit den Schlägen, die näher am Forsthaus lagen, begonnen und fuhren jetzt mit Markbeins Geländewagen die weiter entfernten Teile des Reviers ab. Während der Förster Benjamin alles erklärte, ging diesem der Wilddieb nicht aus dem Sinn.
"Aber Sie, entschuldige, du musst doch Spuren von dem Wildfrevel entdeckt haben, eine frische Blutlache zum Beispiel, oder den Aufbruch?", fragte er, als sie ganz oben am Waldrand standen und über das Tal hinweg blickten.
"Nein, gar nix hab ich gefunden. Aber ich hab's im Gefühl, dass sich ein Wildschütz herumtreibt. Ich kenn jeden Hirschen in meinem Revier und jedes Reh. Heuer gehen mir ein paar mehr ab, als es mit dem normalen Verlust im Winter zu erklären ist. Aber darauf hören die Herren in München ja ned. Die hocken fett und faul hinter ihren Schreibtischen und lachen höchstens über einen Mann, der in seinem Leben mehr Erfahrung im Forst gesammelt hat als die ganze Oberforstdirektion zusammen", erwiderte Markbein grimmig.
Benjamin hörte ihm an, dass er schon so manchen harten Strauß mit seinen vorgesetzten Behörden ausgefochten hatte. Ohne Beweis und mit dem Wissen, dass der Förster mit dem von ihm verdächtigten Wirt spinnefeind war, musste sein Eifer nur ein müdes Lächeln hervorrufen. Obwohl es Benjamin persönlich eigentlich nichts anging, ärgerte sich er sich plötzlich, dass man nicht mehr auf Markbeins Worte gab.
"Wie lang, glaubst du, treibt der Wilderer schon sein Unwesen?", bohrte er weiter.
Markbein drehte sich zu ihm um und musterte ihn zufrieden. "Du glaubst mir also! Gut, denn jetzt hat es der Schuft in Zukunft nimmer so leicht. Aber zu deiner Frage. Meiner Ansicht hat es angefangen, kurz bevor ich den Rieder zum Teufel gejagt hab. Das ist jetzt ein gutes halbes Jahr her."
"Der Rieder. War das mein Vorgänger?"
"Ich hab zwar kurzzeitig noch eine Aushilfe gehabt. Aber man kann es so sagen. Doch jetzt will ich von dem Kerl nix mehr hören. Schau, dort drüben liegt der Kernerschlag. Das ist unser bestes Hirschrevier."
Während Markbein weitersprach, erinnerte sich Benjamin an Christines Bemerkung über einem seiner Vorgänger, der versucht hätte, über ihr Kammerfenster an das schöne Forstrevier zu kommen. Die Chance hätte sicher bestanden, denn hier auf dem Land wurden die Forststellen teilweise fast wie Erbhöfe vergeben. Selbst er verspürte ein gewisses Kribbeln, als er daran dachte. Ein Mädchen wie Christine fand man nicht alle Tage. Und dazu das schöne Revier ... Er riss sich von diesem verlockenden Gedanken los und trat sich geistig selbst in den Hintern. Christine war ein viel zu liebes Mädchen, um ihr nur wegen dieses dummen Forstreviers den Hof zu machen.
Andererseits war sie aber auch ein viel zu liebes Mädchen, um ihr nicht den Hof zu machen, sagte er sich. Aber wenn er es tat, musste es mit viel Fingerspitzengefühl geschehen.
"Und das da droben ist die Spitzeralm", hörte er Markbein reden und riss sich zusammen, um wieder zuzuhören. Er blickte zu der Alm hoch und sah, dass die dazu gehörige Hütte ziemlich groß aussah.
"Die verdienen ihr Geld wohl auch mehr mit dem Fremdenverkehr als mit ihrem Vieh?", fragte er spöttisch.
"Das ist bei uns heroben fast überall so. Die meisten Almhütten haben einen Ausschank und teilweise sogar Gästebetten. Sogar der alte Hiller hat immer einen Kasten Bier und ein paar Kracherl für durstige Wanderer im Brunnenwasser liegen. Aber weil ich das grad sag. Was hältst du davon, wenn wir zu ihm hinaufgehen und einen Schluck trinken? Wir waren jetzt lang genug im Forst."
"Ich hab nix dagegen", meinte Benjamin, der fast wie auf Befehl Durst bekam.
Markbein schlug ihm lachend auf die Schulter und stiefelte los. Sie hatten noch ein hübsches Stück zu laufen, doch die schattige Veranda der Hillerhütte und die herrliche Aussicht entschädigten Benjamin für jeden Schweißtropfen, den er unterwegs vergossen hatte.
Der alte Hiller hatte sie schon von Weitem kommen sehen und bereits drei Bierflaschen aufgemacht. "Grüß dich, Förster. Schaust auch einmal wieder zu mir heraus. Das ist wohl dein neuer Jäger. Arg jung schaut er noch aus. Hoffentlich ist er kein solcher Hallodri wie sein Vorgänger."
"Das ist der Staudacher Benjamin. Er kommt aus dem Freisinger Gäu und hat die letzten zwei Jahr in München gearbeitet", stellte Markbein seinen Untergebenen vor.
"Frisch aus dem Ministerium also. Ob der dir eine große Hilfe sein wird ..." Der Senn schüttelte den Kopf, während er Benjamin die Bierflasche mit einem "Wohl bekommt's" reichte.
"Du darfst dem Hiller ned bös sein, weil er von jungen Jägern nix hält. Sein Jüngster, der Sepp ist nämlich seinerzeit mit dem Rieder schlimm aneinandergeraten", raunte der Förster Benjamin zu.
"Die zwei Deppen haben wegen der schwarzen Teufelin miteinander gerauft. Da der Jäger geschickter und flinker war, ist mein Sepp ausgerastet und wollt mit der Axt auf ihn losgehen. Wenn der Förster ned dazwischengetreten wär, hätt's schlimm ausgehen können", erklärte der alte Bauer mit belegter Stimme.
"Zwei Wochen später wär ich nimmer dazwischengegangen", gab Markbein grimmig zurück.
"Ich bin dir auf alle Fälle dankbar, dass du es getan hast. Ich tät meinen Buben nämlich ungern in Bernau besuchen müssen. Aber setzt euch doch. Das kostet auch ned mehr wie das Stehen!"
Der Förster folgte der Aufforderung lachend und erklärte anschließend Benjamin, dass Hiller der Altbauer eines Hofes sei, der nach erfolgter Übergabe des Besitzes an seinen Ältesten als Senn auf die Alm gegangen war.
"Schöner wie da heroben kann ich's doch gar ned haben", warf Hiller ein. "Was soll ich unten im Hof, wo mich alles an meine Resl selig erinnert. Auf der Alm bin ich dem Himmel näher, und da hört sie mich auch, wenn ich mit ihr red und ihr erzähl, wie sich die Buben machen. Das mit dem Sepp und dem Rieder hat ihr damals gar ned gefallen. Aber mit dem Buben ist ja nimmer zu reden, seit ihm die schwarze Teufelin den Kopf verdreht hat."
Markbein antwortete mit einer bissigen Bemerkung, die der Altbauer nicht unkommentiert ließ. Die beiden Männer schienen über ihre eigenen Probleme Benjamins Anwesenheit ganz zu vergessen und redeten, wie ihnen der Schnabel gewachsen war.
Benjamin hörte ihnen zu, ohne zunächst viel zu verstehen. Er begriff aber rasch, dass es sich bei der schwarzen Teufelin um Marianne, die Tochter des Taflerwirtes, handelte, in die der jüngere Sohn des alten Bauern bis zum Wahnsinn verliebt war. Sein Vorgänger als Revierjäger schien sich ebenfalls mit der Wirtstochter eingelassen zu haben und war deswegen mit Sepp Hiller in Streit geraten. Benjamin schüttelte es bei dem Gedanken, dass sich die beiden jungen Männer wegen der Frau beinahe gegenseitig umgebracht hätten.
"Für deine Christine war's ja noch ein Gutes, weil sie dadurch früh genug gemerkt hat, was für ein Schuft ihr Verehrer war", meinte Hiller zu guter Letzt.
"Das ist aber ned der Verdienst der Tafler Marianne. Die hätt sie gewiss ins Unglück laufen lassen. Ich bin dem Sepp heut noch dankbar, weil er herausgefunden hat, dass der Rieder schon einem anderen Madl in seiner früheren Dienststelle ein Kind gemacht und auch noch eine weitere Freundin in Aufhausen gehabt hat. Ohne ihn wär meine Christine wirklich auf den Rieder hereingefallen", wandte der Förster ein.
"Sie hat Glück gehabt, aber mein Sepp läuft der Marianne wie ein Hunderl hinterher und merkt gar ned, wie lächerlich er sich dabei macht", seufzte der Bauer. "Ich bin mir sicher, sie hat ihn bis jetzt noch ned in ihre Kammer hineingelassen. Dabei gäb's wirklich genug andere, schöne Madln in unserer Gegend, von denen jede zehnmal besser zu meinem Sepp passen tät als die schwarze Teufelin. Er könnt sogar beim Saulgruber von Rentzing einheiraten. Die haben einen sehr schönen Hof daheim, und die Traudl wär wirklich ned bloß eine Zugab dafür. Das ist schon ein rassiges Dirndl, sag ich dir."
"Ich kenn sie ja vom Sehen. Die schaut wirklich ned schlecht aus", pflichtete ihm der Förster bei. "Aber wenn der Mensch ned will, sieht er das Himmelreich halt für die Hölle an."
"Und die Hölle für sein Paradies", seufzte der Altbauer. Erst nach einer Weile erinnerten sich die beiden Männer wieder an Benjamins Anwesenheit. Es war ihnen sichtlich unangenehm, ihre geheimsten Sorgen vor einem Fremden ausgebreitet zu haben. Während sich Hiller mit der gemurmelten Erklärung, er müsse sich jetzt um sein Vieh kümmern, verabschiedete, starrte der Förster finster vor sich hin. Schließlich zuckte er mit den Achseln und sah Benjamin ins Gesicht.
"Du hättest ja doch bald von der ganzen Sache erfahren. Bei uns auf dem Land bleibt nix geheim, und wenn es dir jemand bloß aus der Lust am Tratschen gesagt hätt."
"Ned jeder Jäger ist ein Engel", meinte Benjamin mit einer hilflosen Geste.
"Nein, das ist er gewiss ned! Aber der Rieder Stefan war schon ein ausgesuchtes Miststück. Komm, wir gehen jetzt zum Auto zurück. Ich erzähl dir unterwegs von dem Kerl."
"Aber wir müssen doch noch unser Bier bezahlen", wandte Benjamin ein.
"So viel Kredit haben wir beim Hiller, dass er uns deswegen ned gleich den Gerichtsvollzieher nachschickt", erwiderte der Förster mit leichtem Spott. "Du wirst dich schon noch daran gewöhnen, dass es bei uns in Steinzell anders zugeht als bei euch in Schwabing."
"Schwabing hat aber ned zu unserem Bereich gehört. Ich war in Johanneskirchen, Oberföhring und dem Hasenbergl", korrigierte ihn Benjamin lächelnd.
"Auch egal. Stadt ist Stadt", brummte Markbein, trank sein Bier aus und wandte sich zum Gehen. Auf dem Weg zum Auto berichtete er Benjamin von dessen Vorgänger. "Sein Vater war ein guter Freund von mir. Darum hab ich mich direkt gefreut, wie er mich gefragt hat, ob ich ned seinen Buben als Jäger nehmen könnt. Der erste Eindruck von Stefan war auch ned schlecht. Er ist mir zwar ein wengerl arg lustig und lebensfroh vorgekommen. Aber so zu sein, ist nun einmal das Vorrecht der Jugend. Und dass er sich gleich an mein Madl herangemacht hat, war auch ned verwunderlich. Schließlich ist die Christine ja auch ein sauberes Dirndl."
"Ein ausnehmend sauberes Dirndl", stimmte ihm Benjamin zu.
Markbein blickte ihn kurz an, sagte aber nichts, sondern fuhr in seinem Bericht fort. "Ich hab erst später erfahren, dass der Rieder Stefan in seinen vorigen Dienststellen keine Bäume ausgerissen hat und mehr hinter den Madln als hinter den Hirschen her war. Da ihn keiner seiner Vorgesetzten hat behalten wollen, ist sein Vater auf mich gekommen. Und ich Depp hab den Burschen genommen, ohne mich vorher über ihn zu erkundigen. Das hat dann der Hiller Sepp getan, als ihm der Rieder bei der schwarzen Marianne in die Quer gekommen ist. Bis dorthin hat mein Dirndl noch an Stefans Unschuld geglaubt. Oder sagen wir, eher gehofft, dass die Vorwürfe, die ihm der Sepp gemacht hat, ned so schlimm wären. Leider waren sie's aber."
Markbein schwieg und verlor sich für einen Moment in seinen bitteren Erinnerungen. Benjamin ging still neben ihm her, bis er den in ihm aufsteigenden Zorn nicht mehr zurückhalten konnte.
"So ein Schuft", schimpfte er. "Der ist ja eine Schand für die ganze Jägerzunft. Kein Wunder, dass mir die Christine sofort in die Parade gefahren ist, als ich ihr ein Kompliment machen hab wollen."
"Sie wird dir deswegen gewiss ned bös sein", meinte Markbein beruhigend und streifte ihn dabei mit einem prüfenden Blick. "Weißt du, ich hätt nix gegen einen Jäger als Schwiegersohn. Aber dann soll es ein ehrlicher Bursch sein." Es klang in Benjamins Ohren fast wie eine Aufforderung, aber auch wie eine deutliche Warnung.
*
Benjamin lebte sich überraschend schnell im Forsthaus ein. Christine machte es ihm jedoch auch leicht. Sie hielt nicht nur sein Appartement in Ordnung, sondern hatte ihm auch geschickt seine Lieblingsgerichte entlockt. Markbein musste schließlich schmunzeln, als sie ihren Küchenplan genau danach abstellte. Er freute sich aber auch, weil es für ihn das Zeichen war, dass die seelischen Wunden im Herzen seiner Tochter, die ihr Stefan Rieder geschlagen hatte, zu verheilen begannen. Da Benjamin ihr gegenüber alles andere als aufdringlich war und sich auch im Dienst weitaus besser zurechtfand, als der Förster zu Beginn befürchtet hatte, freute er sich, weil die beiden jungen Menschen immer mehr Gefallen aneinander fanden.
Während sich Benjamin vorbehaltlos in Christine verliebte, wusste diese manchmal selbst nicht, wo ihr der Kopf stand. So nervös und kribbelig, wie sie jedes Mal Benjamins Rückkehr aus dem Revier entgegenfieberte, hatte sie sich noch nie gefühlt. Sie vermisste seine Anwesenheit in jeder Minute des Tages und träumte sogar in der Nacht von ihm. In ihren Gedanken verglich sie ihn immer wieder zu seinen Gunsten mit ihrem verflossenen Verehrer Stefan Rieder, und es gab aber auch gar nichts, was für Letzteren gesprochen hätte.
Christine konnte sich zu ihrer Überraschung nicht einmal mehr genau erinnern, wie Stefan eigentlich ausgesehen hatte. Immer wenn sie es versuchte, schob sich Benjamins Bild vor die verblasste Erinnerung und lenkte ihre Sinne mit seinem Lächeln auf ganz andere Gedanken. In ihrer Verwirrung fragte sie sich sogar, ob sie vielleicht mannstoll war, wie es böse Zungen der Wirtstochter Marianne Tafler nachredeten. Doch sie verspürte nicht das heiße Sehnen nach leidenschaftlichen Umarmungen und mehr. Na ja, ein wenig schon, schränkte sie nachdenklich ein. Doch das hatte Zeit, bis sie sich ganz sicher war. Bis jetzt reichte es ihr, mit Benjamin auf der Veranda des Forsthauses zu sitzen und sich mit ihm zu unterhalten oder wie letzten Sonntag mit ihm einen Ausflug zur Hilleralm zu machen.
Trotz ihrer aufgewühlten Gefühle hatte Christine das Leben noch nie so schön empfunden wie jetzt. Es war, als hätte Benjamin mit seinem Erscheinen die letzten dunklen Wolken vertrieben und ihr die Sonne zurückgebracht. Dafür war sie ihm von Herzen dankbar und nahm auch gerne die liebevoll gemeinten Anspielungen ihres Vaters bezüglich ihrer geänderten Kochgewohnheiten hin.
Auch heute wollte sie wieder etwas Besonderes zum Mittagessen kochen. Als sie jedoch in Gedanken das Rezept durchging, merkte sie, dass ihr einige Zutaten fehlten. Sie nahm rasch Geld und ihren Einkaufskorb und eilte ins Dorf. Mit einem frohen Gruß trat sie in die Krämerei Hultinger und stürzte sofort zum Gewürzregal.
"Grüß dich, Christine. Dir pressiert es heut aber wieder", meinte die Krämerin lachend.
"Ich muss gleich wieder heim zum Kochen", klärte Christine sie auf. Während sie die benötigten Gewürze aussuchte, ging die Ladentür erneut auf, und ein junger Mann trat ein. Im ersten Moment bemerkte er Christine nicht, sondern warf der Krämerin seufzend seinen Einkaufszettel und die Geldbörse hin.
"Grüß Gott, Kramerin. Die Schwägerin hat mich einkaufen geschickt, weil sie wegen ihrem Zustand nimmer so schwer tragen darf!"
"Und hat dir gleich auch alles aufgeschrieben, damit du ned wieder die Hälft vergisst, wie das letzte Mal", erwiderte Emerenz Hultinger mit gutmütigem Spott. "Aber sag, Sepp, wann wirst du denn jetzt Onkel?"
"Ich weiß ned, irgendwann im November hat der Doktor gesagt", antwortete der junge Bursche mit einem solchen Mangel an Interesse, dass die Krämerin nur den Kopf schüttelte.
Christine war mittlerweile auf den neuen Kunden aufmerksam geworden und beschäftigte sich zunächst sehr intensiv mit dem Gewürzregal, um ihn nicht grüßen zu müssen. Doch dann schalt sie sich eine Närrin. Schließlich hatte Sepp Hiller nur die Wahrheit über Stefan Rieder aufgedeckt. So gesehen musste sie ihm sogar dankbar sein. Sie drehte sich daher kurz entschlossen zu dem Burschen um und grüßte ihn freundlich.
Sepp wirkte so abwesend, dass er erst nach einer Weile begriff, was sie von ihm wollte. Dann zuckte er zusammen und starrte Christine verwundert an. "Ja grüß dich, Christl. Wie geht's denn daheim? Ihr habt einen neuen Jäger, hab ich gehört."
Christine konnte nicht verhindern, dass sie dabei leicht rot wurde. "Gut geht's uns", hauchte sie mit einem seelenvollen Lächeln. "Und dir?"
"Wie soll's mir schon gehen", gab Sepp fast mürrisch zur Antwort. "Ich mach meine Arbeit, und sonst ..." Er schwieg, doch seine bittere Miene sagte mehr als alle Worte über seinen Gemütszustand aus.
Obwohl man im Forsthaus jeden Kontakt zum Taflerwirt mied, wusste Christine trotzdem, dass Sepp schwer in dessen Tochter verliebt war. Marianne Tafler spielte jedoch nur mit ihm, wie sie mit allen Burschen spielte, die sich zu nahe an sie heranwagten. Die meisten von ihnen waren gescheit genug, um sich irgendwann einem anderen, verständigeren Mädchen zuzuwenden. Sepp hatte es allerdings zu schwer erwischt, um von ihr lassen zu können. Christine war mit ihm in die Schule gegangen und mochte ihn, auch wenn aus dieser Sympathie nie mehr geworden war.
"Es wird schon alles gut werden, Sepp. Du musst nur daran glauben", tröstete sie ihn und reichte ihm die Hand.
"Du hast mich schon in der Schule immer verstanden", entgegnete er gerührt. Seinem Blick fehlte jedoch der Glaube an ein gutes Ende. "Wenn es ned bald anders wird, geh ich noch in die Fremdenlegion", setzte er mehr für sich hinzu.
"Jesses, Maria und Josef! Das kannst du doch deinem Vater ned antun", rief die Krämerin entsetzt.
"Was soll ich dann noch in Steinzell?", fragte Sepp mit verzweifelt klingender Stimme. "Wenn mich die Marianne ned nimmt, will ich auch keine andere haben."
"Aber deswegen musst du dich ned gleich von den Schwarzen erschießen lassen?", wandte Emerenz erregt ein. "Ich hab erst letztens einen Bericht im Fernsehen gesehen ..."
Da Christine wusste, dass die Krämerin nicht so schnell mit ihrer Geschichte aufhören würde, zeigte sie ihr die Sachen, die sie ausgesucht hatte. "Schreib mir's bis zum nächsten Mal auf", bat sie und schlüpfte zur Tür hinaus. Dabei achtete sie nicht auf einen entgegenkommenden Mann und prallte mit ihm zusammen.