Der verletzte Stolz - Anni Lechner - E-Book

Der verletzte Stolz E-Book

Anni Lechner

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Beschreibung

Die Hoferbin Uschi Kramminger soll Bauerssohn Toni Schildberger heiraten. Ganz sicher ist sie sich dabei jedoch nicht, denn Tonis älterer Bruder Max weckt viel stärkere Gefühle in ihr. Doch der soll den Hof seines Vaters erben und eine Hochzeit wäre damit unmöglich. Und nachdem Uschis Vater vor mehreren Jahren verstarb und ihre Mutter seither den Hof alleine führen musste, wäre die Hochzeit mit Toni eine große Erleichterung vor allem für Uschis Mutter. Doch kann Uschi deswegen wirklich Toni heiraten? Oder wird sie sich am Ende doch ihren starken Gefühlen für Max hingeben? Dieser und die zwei weiteren spannenden Romane „Der Jäger von Sankt Margarethen“ und „Eine alte Schuld“ sind in diesem Buch enthalten.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Anni Lechner

Der verletzte Stolz Der Jäger von Sankt Margarethen

Anni Lechner: Band 6, Der verletzte Stolz ... und zwei weitere spannende Romane

Copyright © by Anni Lechner

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf.

Überarbeitete Neuausgabe © 2017 by Open Publishing Verlag

Covergestaltung: Open Publishing GmbH – Mathias Beeh

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Erlaubnis des Verlags wiedergegeben werden.

eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, Timisoara

ISBN 978-3-95912-213-9

Der verletzte Stolz

"Was meinst du, Uschi, packen wir's?", fragte Toni Schildberger das Mädchen, bevor ihm ein anderer Bursche zuvorkommen konnte. An seinen flackernden Augen und dem leicht geröteten Gesicht erkannte Uschi, dass er sich mit ein paar Enzian Mut angetrunken hatte. Dabei war das eigentlich unnötig, denn er und sie waren Nachbarskinder und kannten sich schon seit ihren gemeinsamen Spielen im Sandkasten.

Uschi spürte Tonis Nervosität und wusste instinktiv, dass er sie heute bitten würde, die Seine zu werden. Sie fühlte sich plötzlich wie in einer ausweglosen Falle und überlegte für einen Augenblick, ob sie ihm den Tanz nicht abschlagen sollte. Der auffordernde Blick ihrer Mutter Veronika Kramminger zeigte ihr jedoch, dass es kein Entkommen für sie gab. Sie stand daher unsicher lächelnd auf und folgte Toni zum Tanzboden. Im selben Moment spielte die Kapelle einen Tusch, als wenn sie von der Bedeutung dieses Tanzes gewusst hätten.

"Du schaust heut aber wieder sauber aus, Uschi", versuchte sich Toni mit einem ehrlich gemeinten Kompliment. Früher hätte sie sich darüber gefreut. Doch heute fehlte ihr ein wenig der Glaube. Sah sie selbst so gut aus, wie Toni behauptete, oder meinte er nicht doch eher den großen Hof damit, dessen Erbin sie war? Uschi bedauerte plötzlich, ein Einzelkind zu sein. Hätte sie einen Bruder oder wenigstens eine ältere Schwester, könnte sie dem lockenden Ruf ihres Herzens folgen und dem Mann schöne Augen machen, dem ihr heimliches Sehnen galt.

Ihr Blick streifte unwillkürlich zu dem Tisch, an dem Tonis älterer Bruder Max im Kreis der ledigen Burschen saß. Max wirkte etwas kantiger als der geschmeidige Toni und sah vielleicht auch nicht ganz so gut aus wie dieser. Er hatte ihr auch niemals Komplimente gemacht und nur selten mit ihr getanzt. Trotzdem fühlte Uschi ihr Herz schneller schlagen, wenn sie in Max` steingraue Augen blickte. Zu ihrem Unglück war er jedoch der Nachfolger des Schildbergerbauern und brauchte eine Bäuerin, die auf seinen Hof einheiraten konnte. Sie, die Erbin, war hingegen für Toni vorgesehen, der ja schließlich versorgt werden musste.

Toni dauerte Uschis Schweigen zu lange, und er dachte sich: jetzt oder nie. Er hielt mitten auf der Tanzfläche an, fasste Uschis Gesicht mit beiden Händen und gab ihr einen herzhaften Kuss.

"Ich hab dich zum Fressen gern, Uschi", rief er danach laut genug, dass es alle Umstehenden hören konnten, und führte Uschi mit stolzgeschwellter Brust an ihren Tisch zurück.

"Darf ich mich ein bisserl zu dir herhocken?", fragte er, als Uschi wieder Platz genommen hatte.

"Aber freilich, Toni. Setz dich nur her zu uns", antwortete Veronika Kramminger an Stelle ihrer Tochter. Toni ließ sich kein zweites Mal bitten und setzte sich. Uschi wollte etwas von ihm wegrücken, doch Toni schlang rasch den Arm um sie und zog sie mit festem Griff an sich.

"Es freut mich, dass ihr zwei euch so gut versteht", erklärte Veronika Kramminger mit selbstzufriedener Direktheit.

Toni grinste über das ganze Gesicht und küsste Uschi auf die Wange. "Das gehört sich auch so. Schließlich sind die Uschi und ich uns einig. Und einen besseren Bauern als mich kann sie sich für ihren Hof ned wünschen", erklärte er selbstbewusst.

"Noch gehört der Hof der Mama", wies ihn Uschi leise zurecht.

"Aber du wirst ihn einmal erben und brauchst dann einen Mann, auf den du dich verlassen kannst. Und da ist mir der Toni von allen am liebsten!", erklärte Veronika Kramminger und nickte dem Burschen dabei freundlich zu. Dieser sah, wie die Musikanten ihre Instrumente ergriffen, und fasste Uschis Hand.

"Auf geht's, Uschi. Die Kapelle fängt gleich wieder zum Spielen an."

Er hat mich noch nicht einmal richtig gefragt, ob ich seine Frau werden will und behandelt mich schon wie sein Eigentum, fuhr es Uschi durch den Sinn. Als sie jedoch in Tonis Armen über dem Tanzboden schwebte, schalt sie sich eine rührselige Heulsuse. Als Hoferbin hätte sie sich ihren Ehemann unter den meisten nachgeborenen Bauernsöhnen des Umlandes auswählen können. Von diesen kam jedoch keiner Toni auch nur annähernd gleich.

"Schön ist's heut", meinte sie zu Toni, nur um ihm etwas Angenehmes zu sagen.

"Es ist schon pfundig, Uschi, dass aus uns zweien was wird. Ich hab dich ja schon als kleines Dirndl gern gehabt. Und jetzt gibt's in weitem Umkreis kein fescheres Madl als dich. Ich bin so glücklich wie noch nie in meinem Leben!", rief er und stieß einen lauten Juchzer aus.

"Ja, Toni, du bist heut aber gut aufgelegt", rief einer der anderen Burschen lachend.

"Das kannst du laut sagen! Ich hab ja auch allen Grund dazu!" Toni winkte den Musikanten zu, nach dem Ende dieses Tanzes einen Tusch zu spielen. Diese taten ihm gerne den Gefallen. Die Leute im Saal horchten auf und stießen sich neugierig in die Seiten, als Toni Uschi kurzerhand an der Taille fasste, sie auf einen Tisch hob und aus dem Stand zu ihr emporsprang.

"Hört alle zu, Leut. Die Uschi und ich haben uns eben grad den Verspruch gegeben. Ihr dürft uns gratulieren, und damit euch das leichter fällt, gibt's eine Runde Freibier für alle!"

"Ich hab eh einen sakrischen Durst", krähte der Wimmer Sepp von hinten nach vorne. "Ein Hoch auf den edlen Spender. Der Toni und die Uschi sollen leben. Meinen Glückwunsch habt ihr."

"Dankschön, Sepp. Und weil du der Erste beim Gratulieren warst, soll dir die Mila noch eine zweite Maß bringen!"

"Da sag ich ned Nein!"

Jetzt drängten sich viele Leute um den Tisch, auf dem Toni und Uschi standen, und streckten ihnen die Hände entgegen.

"Ich hab ja immer gewusst, dass aus euch zweien ein Paar wird", rief Tonis Tante Martha Grill und schnäuzte sich dabei kräftig die Nase.

"Das war doch klar. Zum schneidigsten Burschen im Ort gehört nun einmal das hübscheste Dirndl", lachte der Kapellmeister und stimmte mit seinen Leuten den Hochzeitsmarsch an. Dies war zwar noch ein wenig verfrüht, steigerte aber Tonis gute Laune und brachte der Kapelle eine weitere Freirunde ein.

Uschi stand wie erstarrt neben Toni und fühlte sich wie von einer Straßenwalze überrollt. Ihr Blick suchte Max. Sie fand ihn allein an seinem Tisch sitzen. Er hatte sein Gesicht zu einem leicht verzerrten Lächeln verzogen und schien den Tumult, den Tonis Ankündigung hervorgerufen hatte, gar nicht zu bemerken. Erst als die anderen Gratulanten wieder zu ihren Plätzen zurückgekehrt waren, bequemte er sich zum Aufstehen und kam ebenfalls heran.

"Meinen Glückwunsch, Toni, du kriegst ned bloß das schönste Madl im Dorf, sondern heiratest auch noch auf den zweitgrößten Hof nach dem unseren ein", meinte er mit etwas gekünstelter Munterkeit.

Uschi wusste nicht, ob sie über die erneute Erwähnung des mütterlichen Hofes ärgerlich sein oder sich freuen sollte, dass Max sie zum ersten Mal das schönste Mädchen im Dorf genannt hatte. Sie hatte aber keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Max blieb vor ihr stehen und reichte ihr die Hand.

"Ich wünsche dir alles Glück der Welt, Uschi!", sagte er.

Sie spürte, dass er es völlig ernst meinte. Ihr Herz zuckte dabei schmerzhaft zusammen. „Wie kann ich vollkommen glücklich sein, wenn ich dich nicht bekomme", dachte sie und zwang sich zu einer nichtssagenden Floskel. Er lächelte sanft und kehrte dann an seinen Tisch zurück. An seiner Stelle kamen seine und Tonis Eltern Martin und Kreszenz Schildberger heran. Kreszenz schluchzte vor Freude, als sie Uschi umarmte, während ihr Mann seinem jüngeren Sohn anerkennend auf die Schulter schlug.

"Das hast du gut gemacht, Toni. Du brauchst heut mit dem Freibier ned zu sparen. Die Zech geht auf mich. Es ist schließlich das schönste Geschenk, das du uns machen hast können." Danach reichte Schildberger Uschi die Hand und zuletzt Veronika Kramminger, die sich ebenfalls den Gratulanten angeschlossen hatte.

"Was meint ihr. Sollen wir die Verlobung ned ein bisserl feiern?", fragte Uschis Mutter mit der Freude einer Frau, die ihre Pläne ganz und gar aufgegangen sah.

"Aber freilich, Krammingerin. So ein Tag muss begossen werden. Das sagt ihr doch auch, Kinder?", wandte sich Schildberger mehr pro forma an seinen Sohn und Uschi. Toni nickte sofort und führte Uschi zu dem großen Tisch, den sich sein Vater schon vorsorglich hatte reservieren lassen.

*

"Und wann soll dann die Hochzeit sein?", fragte Tonis Tante Martha nach einer Weile neugierig.

"Also, ich hab mir da noch keine Gedanken gemacht", antwortete Uschi wahrheitsgemäß.

"Zu lang sollten wir ned warten. Ich tät sagen, dass wir spätestens zu Kirchweih heiraten sollten", schlug Toni vor.

"So früh schon?", rief Uschi leicht erschrocken.

"Da der Toni und du euch einig seid, bleibt es sich gleich, ob ihr zu Kirchweih oder zu Nikolo heiratet", meinte Veronika Kramminger lachend.

"Auf alle Fälle solltet ihr Weihnachten schon als Eheleut feiern", drängte nun auch Kreszenz zur Eile.

"Ich tät's gern sehen, wenn der Toni schon bald auf unseren Hof kommt. Ich hab jetzt den Betrieb seit dem Tod meines Alois selig vor drei Jahr allein geführt und möcht langsam eine jüngere Kraft an meiner Seite sehen. Die Uschi hilft mir zwar, so gut sie kann. Aber auf einen so großen Hof wie den unseren gehört halt einmal ein Bauer!", stimmte ihr Uschis Mutter zu.

"Wie stellst du dir eigentlich das Zusammenleben mit dem jungen Paar vor? Fürs Übergeben bist du ja noch arg jung mit den knapp fuchzig Jahren, die du auf dem Buckel hast." Martin Schildberger hatte zwar keine große Hoffnung, dass Veronika Kramminger das Heft schon jetzt aus der Hand geben würde. Er wollte das Thema jedoch wenigstens in den Raum stellen.

Also, ans Übergeben hab ich noch ned gedacht. Aber das heißt ned, dass der Toni auf meinem Hof als besserer Knecht gelten soll. Ich will ihn schon in die Leitung des Hofes mit einbeziehen und um seinen Rat fragen", antwortete Veronika etwas ausweichend.

"Na ja, ich hätt schon gemeint, dass ich ... da auf dem Hof auch ein bisserl zu sagen hab", begann Toni etwas säuerlich. Ein kräftiger Fußtritt seines Vaters brachte ihn jedoch dazu, den Satz anders zu beenden, als es eigentlich gedacht war.

"Depp, du wirst jetzt ned die Krammingerin gegen dich aufbringen wollen, wo du den Erfolg doch schon vor Augen hast", raunte ihm seine Mutter vorwurfsvoll ins Ohr.

"Was hast du gesagt, Mutter?", fragte Max, der erst jetzt ziemlich gemächlich zu der Feierrunde stieß.

"Nix, was dich angeht", fauchte Kreszenz zurück.

"Gut, wenn mich das Ganze nix angeht, kann ich ja wieder zum Junggesellentisch zurück", antwortete Max und wandte sich zum Gehen.

"Ja bist du denn närrisch? Da feiert dein Bruder seine Verlobung, und du willst dich ned einmal zu uns hersetzen. Sollen die Leut morgen was zum Tratschen haben?", fuhr sein Vater auf und zeigte befehlend auf den Platz neben sich.

"Daher hockst du dich. Und lass das depperte Grinsen sein. Man könnt ja fast glauben, dass du dem Toni sein Glück ned vergönnst."

"Doch, doch, ich vergönn's ihm schon. Die Uschi ist schon was ganz anderes als die Wurzer Leni, die als einzige Erbin noch zu haben gewesen wär. Die Leni ist längst über die dreißig hinaus und alles andere als eine Schönheit. Und das Zeugl, das sie daheim hat, ist höchstens halb so groß wie der Krammingerhof!", erklärte Max mit einem so übertriebenen Ernst, dass es schon komisch wirkte.

"Du tust ja grad so, als wenn ich die Uschi nur wegen ihrem Hof heiraten will", erwiderte Toni ärgerlich.

"Wisst ihr was. Wenn ihr euch streiten wollt, dann tut es morgen. Heut wird gefeiert. Mila, eine neue Runde für den Saal und für uns zwei Flaschen vom besten Wein!" Das Erstere sprach Schildberger leise und eindringlich zu seinen Söhnen, das Zweite so laut, dass es alle verstehen konnten.

"Der Schildberger soll leben. Dreimal hoch", schrie Sepp Wimmer herüber. "Wenn's so weitergeht, krieg ich heut meinen Rausch zusammen, ohne dass ich dafür zahlen muss!", setzte er freudig hinzu und bekam damit die Lacher auf seine Seite.

Uschi sah, dass auch Max darüber schmunzelte. Sie ärgerte sich darüber, dass er Toni als Mitgiftjäger hingestellt hatte. Wenn diesem sicher auch der schöne Hof gehörig ins Auge gestochen hatte, so wollte sie wenigstens die Illusion, um ihrer selbst wegen geliebt zu werden. Sie beschloss, es Max heimzuzahlen und beugte sich mit einem strahlenden Lächeln zu ihm hin.

"Und was ist mit dir? Willst du dich ned auch langsam nach einer passenden Bäuerin umschauen?"

"Mir pressiert's ned so. Ich muss ja keine Angst haben, dass mir ein Goldfisch von der Angel hüpft!", antwortete er mit einem gehörigen Stück Sarkasmus und handelte sich dafür einen Tritt seines Vaters ein.

"Depp!", schnaubte Schildberger wütend. "Musst du uns unbedingt die Stimmung kaputtmachen? Mir wär's schon recht, wenn du bald heiraten würdest. Wenn ich dem Toni sein Erbteil auszahlen muss, hätt ich's nämlich gern von der Mitgift deiner Bäuerin getan."

"Dann such halt ein reiches Madl aus. Vielleicht nehm ich's, wenn's mir gefällt", antwortete Max spöttisch.

Toni gefiel es wenig, dass plötzlich sein älterer Bruder so im Mittelpunkt stand. Es war immerhin sein Freudentag. Er winkte daher der Bedienung Mila, eine weitere Flasche zu bringen und hob anschließend sein Glas.

"Ich wünsch dir, dass du bald eine passende Braut findest. Doch so reich und schön sie auch sein mag. Mit meiner Uschi wird sie sich ned messen können. Die ist nämlich einmalig!"

"Du hast recht, Toni, und ich meine Ruh. Prost, auf die Uschi, ihre Schönheit und ihr Geld!"

Max lächelte dabei, und nur Uschi sah, dass für einen Moment ein bitterer Zug über sein Gesicht huschte. Er hatte sich jedoch rasch wieder in der Gewalt und trank sein Glas in einem Zug leer.

Da Max sich jetzt spürbar zurückhielt, wurde es auf der improvisierten Verlobungsfeier noch recht lustig. Kreszenz Schildberger lobte Uschi über den grünen Klee und konnte sich nicht genug darüber auslassen, was für ein hübsches Mädchen sie geworden war.

"Also, wenn ich zurückdenk, wie du damals vor zwanzig Jahr mit dem Dirndl aus dem Krankenhaus zurückgekommen bist. Die Uschi war ja so ein kleines Wuzerl, dass keiner geglaubt hätt, dass sie überhaupt das erste Jahr überstehen könnt. Aber ihr seid halt eine gesunde Rass auf dem Krammingerhof. Mit jedem Jahr hat die Uschi mehr aufgeholt, und als sie achtzehn Jahr alt war, hat's kein anderes Dirndl gegeben, das ihr noch das Wasser reichen hätt können."

"Da hast du recht, Kreszenz", stimmte Veronika Kramminger zu und sah ihre Tochter mit einem stolzen Blick an. Die Uschi war schon etwas Besonderes. Sie war zwar keine Riesin geworden, sondern eher mittelgroß und besaß eine schlanke, wohlgeformte Figur, die durch ihr hellblaues Dirndlkleid vorzüglich zur Geltung gebracht wurde. Blau waren auch ihre Augen in dem weich geformten ovalen Gesicht, das von einer goldenen Krone blonden Haares gekrönt wurde.

"Ich find, dass der Toni der Uschi in nix nachsteht. Einen schmuckeren Burschen wie ihn findest du im ganzen Achental ned", erklärte Schildberger, den es drängte, auch etwas Gutes über seinen Jüngsten zu sagen.

"Die zwei passen wirklich gut zusammen. Ein so schönes Paar hat's schon lang nimmer in unserer Gegend gegeben", erwiderte Veronika Kramminger zufrieden.

"Findest du das auch, Max?" Ein kleines Teufelchen in ihrem Herzen trieb Uschi dazu, Tonis Bruder danach zu fragen. Max zuckte jedoch nur mit den Achseln.

"Wie man's nimmt. Was dem einen seine Nachtigall ist, kann dem anderen seine Eule sein", erwiderte er und forderte dadurch den heftigen Widerspruch seines Bruders heraus.

"Sofort sagst du, dass die Uschi das schönste Madl im ganzen Gäu ist", forderte Toni wütend.

"Gott bewahre. Gegen die Uschi will ich nix gesagt haben. Aber mit dir wird sie bald keinen Staat mehr machen können, wenn du so weitersäufst!"

*

Die Leute erinnerten sich noch lange an Uschis und Tonis Verlobungsfeier. Weder Veronika Kramminger noch Martin Schildberger hatten sich lumpen lassen und eine Saalrunde nach der anderen spendiert, so dass es gewaltige Räusche gegeben hatte. Martin Schildberger war jedenfalls etwas bedudelt und brauchte die tatkräftige Hand seiner Frau, um heil nach Hause zu kommen. Toni war noch schlimmer dran und wurde von seinem Bruder kurzerhand auf die Schulter genommen und heimgebracht.

Uschi schämte sich ein wenig, weil sich ihr Bräutigam so gehen hatte lassen. Als Toni am nächsten Tag zwar noch etwas blass, aber nüchtern mit einem großen Blumenstrauß in der Hand auf dem Krammingerhof erschien und sich entschuldigte, war sie jedoch rasch wieder versöhnt.

"Sind die Blumen für mich?", neckte sie ihn.

"Ja, freilich. Oder meinst du, ich trag sie bloß ein wengerl spazieren, damit's an die frische Luft kommen?", antwortete Toni lachend und gab ihr einen herzhaften Kuss. Uschi erwiderte ihn und spürte sogar ein gewisses Verlangen in sich. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und gab sich ihren Gefühlen hin. Doch als sie in ihren Gedanken statt Toni plötzlich Max` dunklen Schopf und sein schmales, braun gebranntes Gesicht vor sich sah, zuckte sie doch etwas erschrocken zusammen.

"Hast du was, Schatzerl?", fragte Toni besorgt.

"Nein, Toni. Mir geht's schon gut. Komm, halt mich ganz fest!", bat Uschi den jungen Burschen und gab sich seinen Liebkosungen hin, um ihre irrenden Gefühle zu bändigen.

"Was meinst du, soll ich ned einmal Kammerfensterln zu dir kommen?", fragte Toni mutiger geworden.

"Du, werd mir fei ned zu frech. Noch sind wir zwei ned verheiratet!", drohte Uschi halb im Spaß, halb im Ernst. Toni ging lachend auf dieses Spiel ein.

"Aber, Uschi, bis zu unserer Heirat ist noch ein gutes Vierteljahr hin. Du wirst mich doch bis dorthin ned darben lassen wollen?"

"Wenn du ganz brav bist, könnt ich mich vielleicht erweichen lassen", antwortete sie lächelnd.

"Ich bin brav wie ein Lamperl im Krippenspiel", versprach Toni feixend und riss sie erneut in die Arme.

"Ich hab vorhin geglaubt, ich hätt den Toni gesehen?", klang in dem Augenblick Veronika Krammingers Stimme auf. Das junge Paar spritzte auseinander und schaute sich erschrocken um. Veronika merkte erst jetzt, in welche Situation sie hineingeplatzt war und lächelte freundlich.

"Grüß Gott, Toni. Schön, dass du heut noch gekommen bist. Aber übrigens, wenn ihr euch das nächste Mal ein Busserl gebt, braucht ihr ned so schuldbewusst auseinanderzufahren. Ihr seid schließlich Brautleut, und da gehört ein bisserl Herzen und Scherzen einfach dazu.“

"Ich werd's mir merken, Krammingerin, und es weidlich ausnützen", erwiderte Toni lachend.

"Du wirst mir so einer sein! Aber du hast schon recht. Einen Duckmäuser kann ich auf dem Hof ned brauchen. Aber ich seh, du hast Blumen mitgebracht. Da wird sich die Uschi sicher gefreut haben!"

"Aber freilich, Krammingerin. Ich hab für mein Schatzerl aber auch die schönsten Blumen in unserem Garten gebrockt", erwiderte Toni grinsend.

"Die Blumen sind wirklich hübsch", stimmte ihm Uschi zu, und auch Veronika Kramminger betrachtete die Strauß mit wohlgefälligen Blicken.

"Schön sind's. Deine Mutter hat wirklich den schönsten Blumengarten im ganzen Dorf. Ich hab die Kreszenz schon mehrmals gefragt, wie sie das macht. Meine Blumen sind zwar auch ganz ansehnlich. Aber an die deiner Mutter kommen's ned ran", erklärte sie mit einem gewissen Neid in der Stimme.

"Sie wird sich gewiss freuen, wenn's das hört", meinte Toni und sah sich zufrieden in der großen Bauernstube mit den alten, schweren Möbeln um, die bald seine neue Heimat werden sollte.

*

"Na, was hat die Uschi denn gesagt?", empfing Kreszenz Schildberger ihren Sohn, als Toni wieder auf den väterlichen Hof zurückgekehrt war.

"Sie hat gesagt, dass deine Blumen die schönsten im ganzen Dorf sind", berichtete Toni wahrheitsgetreu.

"Da hat's auch recht. An meine Blumen schmeckt keine andere im Ort hin. Aber das hab ich ned gemeint. Was spricht sie wegen eurer Hochzeit?", bohrte seine Mutter nach.

"Ich hab vorgeschlagen, dass wir zu St. Ursula heiraten sollten, und weder die Uschi noch die Krammingerin haben was dagegen gesagt", erwiderte Toni zufrieden.

"Das ist immerhin Uschis Namenstag. Da kann sie ja auch nix dagegen haben. Außerdem ist's bloß ein paar Tag nach Kirchweih. Und viel früher hättet ihr eh ned heiraten können!"

"Was hör ich da vom Heiraten?", meldete sich da Martin Schildberger. Er hatte seinen Sohn vom Krammingerhof zurückkommen sehen und steckte jetzt neugierig seinen Kopf in die Stube.

"Der Toni hat mit der Uschi ausgemacht, dass sie am Ursulastag heiraten wollen", berichtete ihm seine Frau.

"Das freut mich", rief Schildberger aufatmend. "In den paar Wochen kann ja Gott sei Dank nix mehr passieren. Und für den Toni ist's auch praktisch, weil er dann seinen Hochzeitstag nie vergessen kann. Wenn ich nur daran denk, welchen Tanz du mir manchmal aufgeführt hast, wenn ich den unseren verschwitzt hab!"

"Jetzt tu ned so, als wenn ich eine alte Bissgurn wär", beschwerte sich Kreszenz halb lachend, halb im Ernst.

"Also, Toni, wenn ich dir einen Rat geben darf. Du musst der Uschi schon beim ersten Laib Brot zeigen, wer bei euch die Hosen anhat. Ich hab's vor lauter Lieb versäumt, und du siehst, was daraus geworden ist!", meinte Schildberger lachend zu seinem Sohn.

"Eine glückliche Ehe und zwei prächtige Buben", erwiderte sein Sohn trocken.

"Da hörst du's", spottete Kreszenz und legte Toni anerkennend die Hand auf die Schulter.

"Du bist schon richtig, Bub. Das hat auch die Krammingerin immer gesagt. Was meinst du, wie oft wir uns über dich unterhalten haben. Ich hab ja immer gehofft, dass sie dich einmal als Schwiegersohn auf ihren Hof holen wird."

"Da hat die Uschi schon selber ein Wörterl mitzureden gehabt!", wandte Toni ein.

"Das freilich. Aber sie hätt dich gewiss ned genommen, wenn ihre Mutter gegen dich gesprochen hätt!"

"Die Lieb setzt sich im Notfall selbst über ein Mutterwort hinweg!", erklärte Toni.

"Wir sind Bauern und keine Stadtleut, bei denen es wurscht ist, wen sie heiraten. Die Uschi braucht einen Bauern auf ihrem Hof und keinen säuselnden Liebhaber, der einen Ochsen ned von einer Kuh unterscheiden kann. Wenn also der Toni auf dem Krammingerhof Bauer wird, so vergesst ned, dass ich es war, der ihm die Landwirtschaft lernen hat lassen. Wär er ein Automechaniker geworden, wie er es sich gewünscht hat, hätt ihn die Krammingerin ned genommen!", trumpfte Schildberger auf.

"Das hast du bloß deswegen gemacht, weil ich dir gesagt hab, dass ich den Toni am liebsten als Krammingerbauern sehen tät", forderte seine Frau ihr Lob ein.

"Wenn du meinst. Jetzt sind wir am Ziel, und das allein zählt. Übrigens, Toni, hast du mit der Krammingerin über deinen Erbteil gesprochen? Ist sie bereit zu warten, bis der Max geheiratet hat und ich es dir von der Mitgift seiner Frau auszahlen kann, oder will sie es gleich haben?"

"Die Krammingerin ist aber weniger an Geld interessiert. Das hat's selber genug. Ihr wär's lieber, wenn du mir den Hirzenacker überschreiben würdest. Der liegt mitten unter ihren eigenen Feldern und war ihr schon lang ein Dorn im Aug."

"Grund geb ich eigentlich ungern her", erwiderte Schildberger mit leicht säuerlichem Gesicht. "Das sind immerhin fünfzehn Tagwerk bestes Ackerland. Ich glaub ned, dass ich das vor dem Max verantworten kann."

"Der erbt doch immer noch genug", drängte Toni.

"Das schon, aber bis heut ist unser Hof der größte in der Gemeinde. Aber dann wär der Krammingerhof größer."

"Das ist nix, was mir Kummer machen könnt", erwiderte Toni feixend.

"Der Toni hat schon recht. Es ist doch wurscht, welcher unserer Buben den größeren Hof hat", stimmte Kreszenz ihm zu.

"Da muss ich vorher mit dem Max drüber reden. Ohne ihn möcht ich da nix machen", antwortete Schildberger etwas brummig. Selbst wenn sein jüngerer Sohn Krammingerbauer wurde, ging es ihm doch gegen den Strich, wenn der eigene Hof dem anderen nachstehen sollte.

*

Toni war so glücklich und zufrieden, dass er am liebsten die ganze Welt umarmt hätte. Am liebsten umarmte er jedoch Uschi und tat dies in den nächsten Tagen auch ausführlich. Er war stolz auf seine schöne Braut und freute sich, weil ihn Veronika Kramminger schon jetzt in alle Entscheidungen auf dem Hof mit einbezog. Wohl spotteten ein paar Neider, dass die Mutter seiner Braut in ihn verliebter wäre als Uschi selbst. Da die Urheberschaft dieser Gerüchte unschwer im Umkreis Leni Wurzers auszumachen war, gab niemand etwas darauf. Es war bekannt, dass diese überständige Erbin mehr als nur ein Auge auf Toni geworfen hatte und sich noch immer nicht mit ihrer Niederlage gegen die jüngere und weitaus hübschere Uschi zufriedengab.

Beim nächsten Kirchgang passte Leni Wurzer Toni ab und drängte sich rasch auf den Platz neben ihm. "Ich hab gehört, dass man dir gratulieren kann", flüsterte sie ihm noch während der Predigt zu.

"Das kannst du laut sagen", gab Toni gut gelaunt zurück.

"Lieber ned, unser Hochwürden mag's ned, wenn man ihn beim Predigen stört. Na ja, jedem das seine, sag ich. Ich tät mich an deiner Stell ned so freuen. Man weiß ja, dass die Kramminger Veronika ein festes Regiment führt und ned so schnell übergeben wird. Da werden dir die nächsten Jahr noch sauer ankommen. Mein Vater will den Hof hingegen an meinem Hochzeitstag übergeben!"

"Dann musst du dir halt rasch einen Burschen suchen und heiraten", riet ihr Toni listig. Leni warf ihm einen bösen Blick zu.

"Du weißt genau, wie ich's mein", antwortete sie etwas lauter, als sie gewollt hatte. Tonis Tante Martha Grill räusperte sich besorgt und bedeutete ihr, still zu sein. Leni war jedoch so in Fahrt gekommen, dass alle guten Ratschläge an ihr abprallten.

"Ich glaub, deine Eltern haben dir den verkehrten Namen gegeben, Toni. Sie hätten dich Jakob taufen lassen sollen. Denn so wie dieser seinem Oheim Laban sieben Jahre um Lea und weitere sieben Jahre um Rahel dienen musste, wirst du jetzt bei der Krammingerin um ihre Uschi dienen müssen!"

"Mit einem Unterschied: Ich krieg mein Weib gleich und muss ned darauf warten", erwiderte Toni spöttisch.

"Ich weiß ned, was du an der Kramminger Uschi so besonderes findest. Der steh ich gewiss in nix nach!", erklärte Leni bissig und viel zu laut für die Andacht. Jetzt blickte auch der Pfarrer auf und warf einen strengen Blick über seine Schäflein. Toni wurde langsam ärgerlich, und er wünschte die aufdringliche Leni ins Pfefferkuchenland. Zum Glück verhielt sie sich jetzt wenigstens für den Rest der heiligen Messe still. Doch kaum hatte der Pfarrer das letzte Amen gesprochen, wandte sie sich schon wieder Toni zu.

"Du musst es ja wissen, wenn du erst als Knecht deiner Schwiegermutter und später deiner Frau arbeiten willst. Bei mir hättest du ein Leben wie im Paradies gehabt. Hoffentlich bereust du's ned einmal, mich von dir gestoßen zu haben!"

"Erstens hab ich dich ned von mir gestoßen, sondern dir von Anfang an gesagt, dass ich nix von dir will. Und zweitens geht es dich einen Sch... feuchten Kehricht an, wie ich mit der Uschi und ihrer Mutter zurechtkomm. Und jetzt schleich dich, du ungute Urschel!"

"Der Ausdruck tät eher zu deiner Zukünftigen passen. Die heißt ja schließlich wirklich Ursula!", gab Leni schnaubend zurück und kehrte Toni beleidigt den Rücken.

"Gott sei Dank ist die Wurzer Leni jetzt fort. Ich hab mich ja direkt geschämt, wie sie sich in der heiligen Mess aufgeführt hat!", erklärte Martha Grill seufzend. "Übrigens, wo ist denn heut eigentlich die Uschi gewesen? Ich hab sie in der Kirch ned gesehen!", setzte sie neugierig hinzu.

"Die Krammingerin ist heut mit der Uschi nach Penzberg gefahren, um ihren Bruder zu besuchen", erklärte Toni bereitwillig und winkte seinen Spezln zu, die bereits an der Wirtshaustür auf ihn warteten.

"Was ist, Toni. Darfst du noch zum Frühschoppen oder hat's dir die Uschi verboten?", rief Sepp Wimmer lachend. Toni verabschiedete sich von seiner Tante und sprang die Treppe zum Spirknerwirt hoch.

"Wenn du noch einmal über meine Uschi lästerst, muss ich mir überlegen, ob ich dir heut wirklich eine Maß zahlen soll!", beschied er Sepp mit einem freundschaftlichen Grinsen und öffnete die Tür.

"Also, ich hab nix gegen die Uschi gesagt", rief Sepp und wandte sich an die anderen Burschen. "Oder habt ihr was gehört?"

"Mir? Na! Nix!", klang es fröhlich zurück.

*

Während Toni in diesen Tagen wie auf Wolken schwebte, wurde sein Bruder Max immer schweigsamer. Er vergrub sich in seine Arbeit, ohne dass dies jedoch seinem Bruder und seinen Eltern besonders auffiel. Zum einen drehten sich deren Gedanken zu sehr um Tonis geplante Hochzeit, als dass sie dabei auf Max geachtet hätten. Zum anderen war Max der Hoferbe und hatte als solcher nun einmal ein persönliches Interesse daran, dass alles in Ordnung war. Außerdem kam nun die Zeit der Getreideernte, die von allen besondere Leistungen abforderte. Da Toni seit Neuestem zwei Tage in der Woche auf dem Krammingerhof aushalf, blieb für Max mehr als genug zu tun. Da er nicht nur die eigenen Felder, sondern auch die der Nachbarn aberntete, fuhr er jeden Tag, sobald die Sonne hoch genug stand, um mit ihren Strahlen den Morgentau aufzusaugen, mit dem Mähdrescher auf die Felder hinaus.

Max hatte diese Arbeit bisher immer gerne getan. Doch heuer verstand er sich selbst nicht mehr. Er hatte seinen Bruder bisher immer mit der gutmütigen Nachsicht des Älteren behandelt und nie Neid auf ihn empfunden. Doch jetzt schnürte ihm Tonis glückliches Gesicht das Herz ab. Jedes Mal, wenn sein Bruder zum Krammingerhof hinüberging, hätte er ihn am liebsten zurückhalten und selber hinübergehen wollen. Max verfluchte sich selbst, weil er so empfand. Doch seine Gedanken ließen sich nicht befehlen. Sein Herz sehnte sich nach Uschi, und er wusste doch, dass diese Sehnsucht niemals in Erfüllung gehen würde. Sie war nun einmal die Braut seines Bruders, und er hatte jedes Recht auf sie verwirkt.

Warum kann nicht Toni der Ältere von uns zweien sein, dachte er, als er das zum Wurzerhof gehörende Weizenfeld am Rothang mähte und jenseits des Tales die Krammingerleute arbeiten sah. Uschi erkannte er auf Anhieb, da sie das rote Kleid und die weiße Bluse trug, die sie am liebsten zur Feldarbeit anzog. Toni war heute wieder drüben und scharwenzelte mehr um Uschi herum, als zu arbeiten. Max sah, wie die zwei sich küssten, und schloss verbittert die Augen. Er verriss dabei das Steuer und kam erst durch das heftige Schlenkern des Mähdreschers wieder zur Besinnung.

"Es geschieht mir recht. Warum hab ich wie ein Depp dabei gestanden, während der Toni sich drüben eingeschmeichelt hat. Ich hätt selber um die Uschi werben sollen", quälte er sich mit Selbstvorwürfen. Er hatte jedoch zu oft daheim gehört, dass der Toni auf den Krammingerhof einheiraten sollte, um versorgt zu sein, um sich dagegenstellen zu können. Weder seine Eltern noch Veronika Kramminger hätten dies verstanden und gutgeheißen.

"He, pass doch auf, Max. Jetzt hättest du mich doch glatt über den Haufen gefahren!", schrie plötzlich Florian Wurzer, Lenis Vater auf.

Max stieg im letzten Moment auf die Bremse und merkte erst jetzt, dass der andere mit Traktor und Wagen auf ihn zugefahren war, um das gedroschene Korn umzuladen.

"Warum fährst du mir auch mitten vor den Mähdrescher, Wurzer", brüllte Max zurück. Ihm waren weder Wurzer noch seine Tochter übermäßig sympathisch. Da seine Eltern jedoch auf guter Nachbarschaft bedacht waren, blieb ihm nichts anders übrig, als auch beim Wurzer zu dreschen. Er lenkte den Mähdrescher neben den Wagen und schaltete die Transportschnecke ein. Während das Korn umgeladen wurde, stieg Wurzer auf den Mähdrescher und schaute in den Getreidetank.

"Heuer hast du den Weizen wohl ned so gut ausgedroschen wie im letzten Jahr. Mir kommt der Ertrag nämlich dieses Mal ein bisserl geringer vor", rief er Max durch den Motorenlärm zu. Da Wurzer dies jedes Jahr sagte, dachte sich Max nur seinen Teil, ohne ein Wort zu erwidern. Da ihn der Durst quälte, hoffte er für einen Augenblick, der andere würde ihm vielleicht eine Limo oder wenigstens einen Schluck Wasser anbieten. Wurzer war jedoch mehr für das Nehmen als fürs Geben bekannt und stieg wieder ab, ohne nach Max` Bedürfnissen zu fragen.

Dieser fuhr wieder an und drosch weiter. Eine Stunde später war er mit dem Weizenfeld fertig und verließ Wurzer ohne ein Abschiedswort. Während er die Straße entlang ins Dorf zurückratterte, brannte der auf dem Feld geschluckte Staub wie Feuer in seiner Kehle. Auf halbem Weg kam er an den Feldern des Krammingerhofes vorbei und sah, wie Toni ihm zuwinkte. Max wollte eigentlich weiterfahren, doch als er Uschi neben der Straße stehen sah, hielt er beinahe gegen seinen Willen an.

"He, Uschi, kann ich von euch was zu trinken haben? Ich hab mir zwar heut früh ein Kracherl mitgenommen. Aber die Flasche ist längst leer, und mir ist fast schlecht vor Durst!"

"Du hast wohl beim Wurzer gedroschen, du Ärmster. Wart, ich hol dir schnell was!" Uschi wandte sich um, lief leichtfüßig zu einem Wagen und kehrte wenige Augenblicke mit einer vollen Flasche zurück.

"Da hast du's. Wohl bekomm's!", rief sie und reichte es ihm hoch.

Max öffnete die Flasche und nahm einen kräftigen Schluck. Mein Gott, Dirndl, was bist du schön, fuhr es ihm durch den Sinn, und er verfluchte erneut das Schicksal, das ihn zwang, auf sie zu verzichten.

*

Während die beiden Brüder arg unterschiedlichen Stimmungen nachhingen, söhnte sich Uschi immer mehr mit ihrem Schicksal aus. Auch wenn sie nicht unbedingt hell aufflammende Liebe zu Toni empfand, war er ihr doch sympathischer als alle anderen Burschen außer Max. Es kam der Tag, an dem sie sich überlegte, ihn bald zu erhören, um das Band zwischen ihnen vollends zu knüpfen. Sie hoffte, dass sich danach auch ihre Gedanken von Max lösen und sich endgültig Toni zuwenden würden.

Ihre Mutter sah das wachsende Verständnis zwischen ihrer Tochter und Toni voller Freude und setzte alles daran, um die Hochzeit so groß und prächtig aufzuziehen, wie es dem Ansehen der beiden größten Höfe im Dorf entsprach. Kaum war die Getreideernte unter Dach und Fach, entband sie Uschi von der täglichen Arbeit und schickte sie in die Stadt, um ihre Aussteuer zu ergänzen.

Toni traf seine Braut dadurch nicht mehr so oft an, wenn er zum Krammingerhof hinüberging. Er verstand sich jedoch mit der Bäuerin ausgezeichnet und fand bei ihr ein Interesse an seinem Wohlergehen, das er bei seiner Mutter doch irgendwie vermisste. Auch sein Bruder kam ihm jetzt mit einem Mal fremd vor. Als Kind war er Max in allen Dingen gefolgt und hatte so werden wollen wie er. Doch jetzt hielt ihn dessen schroffe Art ab, sich ihm anzuschließen, und so ging er seiner eigenen Wege.

*

Leni Wurzer hatte es noch immer nicht aufgegeben, Toni für sich gewinnen zu wollen, ohne jedoch zu wissen, wie sie es anfangen sollte. An einem frühen Septembertag besuchte sie ihre Cousine Anita in Murnau und berichtete dabei auch über ihr Pech mit dem jüngeren Schildbergersohn.

"Mich wundert's, dass du so auf den Schildberger Toni aus bist? Der ist doch gut zehn Jahr jünger als du. Da gäb's doch gewiss auch Männer, die mehr in deiner Preislag wären", meinte Anita achselzuckend.

"Es sind keine zehn, sondern höchstens fünf Jahr, die mich von Toni trennen", widersprach Leni nicht ganz der Wahrheit entsprechend. "Außerdem gefällt mir kein anderer besser als er. Aber die Kramminger Uschi hat ihn mit ihrem scheinheiligen G`schau und ihrem großen Hof um den Verstand gebracht. Du weißt ja, wie das ist, wenn bei den Männern der Verstand in die Hose rutscht. Dann denken sie'an nix anderes mehr als ans Fensterln oder den Heustadel. Dabei hab ich den Verdacht, dass ihn die Uschi in dieser Hinsicht arg kurzhält. Aber die Männer sind ja so blöd!" Leni schüttelte bei diesen Worten den Kopf und krallte ihre Hände zusammen, als wolle sie Uschi noch aus der Ferne den Hals umdrehen.

"Die Kramminger Uschi, sagst du? Ist das ned die hübsche Blonde, die beim Aiblinger Volksfest neben uns gesessen hat? Du, die hab ich doch erst letzte Woch in Wasserburg gesehen. Der Bursch, mit dem sie geturtelt hat, ist aber fei ned der Schildberger Toni gewesen!", antwortete Anita nachdenklich.

"Was, die Kramminger Uschi hat sich in Wasserburg mit einem fremden Mann getroffen? Das musst du mir schon genauer erklären."

"Am Dienstag war's. Ich weiß es ganz genau, weil ich da auf dem Wochenmarkt junge Enten gekauft hab. Da ist sie mit ihrem Galan an mir vorbeigekommen."

"Dienstag, du, das könnt stimmen. Da ist nämlich die Uschi den ganzen Tag weg gewesen. Angeblich hat's da in Rosenheim für ihre Aussteuer eingekauft. Und du bist dir hundertprozentig sicher, dass es die Uschi gewesen ist?" Leni hielt es nicht mehr auf ihrem Stuhl. Sie sprang auf und fasste ihre Cousine vor Aufregung am Kragen.

"Zerreiß mir fei ned meine neue Bluse. Die hat vierzig Euro im Ausverkauf gekostet. Also, beschwören kann ich's grad ned. Aber die Ähnlichkeit war schon verblüffend!"