Der Teufel im Bunde - Felicity Green - E-Book

Der Teufel im Bunde E-Book

Felicity Green

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Beschreibung

»Zeit war ein Teufelskreis. Und sie war für alle Ewigkeit darin gefangen.«

Im vierten Band der Bestseller-Paranormal-Mystery-Reihe wird das Geheimnis der Oberhexe Mary MacDonald endlich gelüftet.


Im B&B Thistle Inn wird eine junge Frau tot aufgefunden. Unter ihrem Kopf liegt aufgedeckt die TarotkarteDer Tod. Die Hausbesitzerin, die alte, schrullige Mrs MacDonald, ist spurlos verschwunden. Fotos nach zu urteilen, gleicht die verstorbene Unbekannte einer jungen Mrs MacDonald bis aufs Haar. Nur behauptet jeder im Dörfchen Tarbet in den schottischen Highlands, dass Mrs MacDonald keine Kinder oder Enkel hatte. Wer ist die junge Frau? Und wo steckt Mrs MacDonald?

Diesem Rätsel geht Inspektor Kenna Maxwell am ersten Tag in ihrem neuen Job nach. Leider stößt sie auf eine Mauer des Schweigens bei den Dorfbewohnern und insbesondere beim sonderbaren Heimatverein, dem Mrs MacDonald vorsteht.

Von ihrem Großvater, ein ehemaliger Polizist, erfährt Kenna von einer Mordserie, die Tarbet in den 1930er-Jahren erschütterte – und in die Mary MacDonald involviert war. Mitarbeiter des Washfield Circus, der in der Gegend gastierte, waren dringend tatverdächtig gewesen, bis eine junge Frau aus Tarbet festgenommen, der Hexerei bezichtigt und zu Tode verurteilt wurde.

Als Kenna Nachforschungen anstellt, muss sie allerdings herausfinden, dass die Morde nie geschehen sind. Hat sich ihr Großvater alles nur ausgedacht? Aber Alasdairs Geschichte zufolge fand man auch bei den damaligen Mordopfern die TarotkarteDer Tod...
Wie hängen die mysteriösen Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart zusammen?


Jetzt DER TEUFEL IM BUNDE lesen und zusammen mit Kenna das Geheimnis der Oberhexe von Tarbet aufdecken.


Die spannenden Highland-Hexen-Krimis von Felicity Green können unabhängig voneinander gelesen werden.


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Veröffentlichungsjahr: 2017

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DER TEUFEL IM BUNDE

EIN HIGHLAND-HEXEN-KRIMI

FELICITY GREEN

Felicity Green

Der Teufel im Bunde

Ein Highland-Hexen-Krimi

Band 4

© Felicity Green, 1. Auflage 2017

www.felicitygreen.com

Veröffentlicht durch:

A. Papenburg-Frey

Schlossbergstr. 1

79798 Jestetten

[email protected]

Umschlaggestaltung: CirceCorp design - Carolina Fiandri

(www.circecorpdesign.com)

Vector by Freepik

Korrektorat: Wolma Krefting, bueropia.de

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

www.felicitygreen.com

INHALT

Die Autorin

Prolog

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreissig

Kapitel Einunddreissig

Kapitel Zweiunddreissig

Kapitel Dreiunddreissig

Kapitel Vierunddreissig

Kapitel Fünfunddreissig

Kapitel Sechsunddreissig

Danke und gratis Geschichte

Teuflisch Einsam

Highland-Hexen-Krimis

Leseprobe DER TEUFEL IM SPIEL

DAS BUCH

»Zeit war ein Teufelskreis. Und sie war für alle Ewigkeit darin gefangen.«

Im neuen HIGHLAND-HEXEN-KRIMI wird das Geheimnis der Oberhexe Mary MacDonald endlich gelüftet.

Im B&B Thistle Inn wird eine junge Frau tot aufgefunden. Unter ihrem Kopf liegt aufgedeckt die Tarotkarte Der Tod. Die Hausbesitzerin, die alte, schrullige Mrs MacDonald, ist spurlos verschwunden. Fotos nach zu urteilen, gleicht die verstorbene Unbekannte einer jungen Mrs MacDonald bis aufs Haar. Nur behauptet jeder im Dörfchen Tarbet in den schottischen Highlands, dass Mrs MacDonald keine Kinder oder Enkel hatte. Wer ist die junge Frau? Und wo steckt Mrs MacDonald?

Diesem Rätsel geht Inspektor Kenna Maxwell am ersten Tag in ihrem neuen Job nach. Leider stößt sie auf eine Mauer des Schweigens bei den Dorfbewohnern und insbesondere beim sonderbaren Heimatverein, dem Mrs MacDonald vorsteht. Der hat eine junge Privatdetektivin namens Abbey Fine angeheuert, die Kenna dauernd in die Ermittlungen hineinpfuscht.

Kennas dementer Großvater Alasdair, ehemaliger Polizist und ebenfalls ein Highland-Urgestein, berichtet ihr von einer Mordserie, die Tarbet und Umgebung in den 1930er-Jahren erschütterte und in die Mary MacDonald involviert war. Mitarbeiter des Washfield Circus, der in der Nähe gastierte, waren dringend tatverdächtig gewesen– bis auch dort Frauen umgebracht wurden und schließlich eine Morven Jamieson aus Tarbet festgenommen, der Hexerei bezichtigt und zum Tode verurteilt wurde.

Als Kenna Nachforschungen anstellt, muss sie allerdings herausfinden, dass die Morde nie geschehen sind. Hat sich ihr Großvater alles nur ausgedacht? Aber Alasdairs Geschichte zufolge fand man auch bei den damaligen Mordopfern die Tarotkarte Der Tod ...

DIE AUTORIN

Felicity Green schreibt Urban Fantasy und Paranormal Mystery-Serien für Leserinnen, die Mythen und Magie, unerwartete Wendungen, Gänsehaut und große Gefühle lieben.

Felicity wurde in der Nähe von Hannover geboren und zog nach dem Abitur nach England. In Canterbury studierte sie Literatur und Schauspiel. Später tingelte Felicity mit diversen Theatergruppen durch England, Irland und Schottland – eine Inspiration für die Schauplätze ihrer Romane. An der University of Sussex schloss sie einen MA in Kreativem Schreiben ab.

Mit ihrem Mann Yannic, Tochter Taya und Kater Rocks lebt sie jetzt an der Schweizer Grenze.

Für Yannic, der mich immer wieder daran erinnert, wer ich bin, und keine Zweifel an mir hat.

PROLOG

Tarbet, Juni 1934

Maryanna beugte sich über die Teetasse, starrte hinein und zog konzentriert die Brauen zusammen.

»Wieder ein Bär, stimmt’s, Oma?«

Mairi MacDonald nickte, aber Maryanna sah es gar nicht. Es war nicht das erste Mal, dass sie die Form eines Bären in den Teeblättern am Boden der Tasse ausmachen konnte.

»Eine lange Reise«, betete sie die Bedeutung dieses Symbols herunter wie eine auswendig gelernte Vokabel. »Kein Wunder, da ich beim Zirkus lebe. Ich wünschte mir, ich würde mal etwas Neues, etwas Aufregendes sehen«, seufzte das junge Mädchen.

»Leider heißt das auch, dass du weiterhin beim Zirkus bleiben wirst«, sagte ihre Großmutter traurig mit leiser Stimme.

Maryanna ging nicht darauf ein. Sie würde gerne bei Mairi leben. Zwar wusste sie nicht viel über das Leben im kleinen Dorf Tarbet am Loch Lomond, in dem das Cottage ihrer Großmutter stand. Denn Maryanna kam immer nur nachts, wenn ihre Mutter Esme schlief und sie sich aus dem Zelt schleichen konnte. Dann rannte sie im Schutz der Dunkelheit durch den Argyll National Forest, an dessen Rande das Haus ihrer Großmutter stand. Dort wurde sie freudig empfangen, denn Mairi konnte es gar nicht abwarten, die seltenen Gelegenheiten zu nutzen, wenn der Washfield Circus einmal im Jahr zur Kirmeszeit in der Nähe von Tarbet gastierte und sie ihre Enkeltochter wiedersah.

Mairis Meinung nach gehörte das Mädchen nach Tarbet, dem Ort, in dem all ihre Vorfahrinnen geboren waren und gelebt hatten. Der Ort, in dem die geheimen Traditionen der Familie fortgeführt wurden und die spezielle Gabe der Frauen gehegt, gepflegt und weiterentwickelt wurde. Auch die mittlerweile fünfzehnjährige Maryanna war mit dem Eintritt in die Pubertät in den Besitz dieser Gabe gekommen: das Talent, die Zukunft vorauszusagen.

Mairi lag sehr viel daran, Maryanna den richtigen Weg zu zeigen, denn ihre eigene Tochter, Esme, war ihrer Meinung nach dafür nicht geeignet. Esme hatte sich von ihrem Arbeitgeber, Sir Euan Campbell von Invercreran Castle, schwängern lassen und war dann, nach Euans mysteriösen Ableben, mit dem Washfield Circus weggelaufen. Esme nutzte seitdem ihre Gabe, das Wahrsagen, um Profit zu machen. Mairi war fest davon überzeugt, dass ein solcher Missbrauch nicht nur moralisch verwerflich war, sondern auch noch das Talent sozusagen verwässerte. Man bekam keine verlässlichen Ergebnisse, wenn man dafür Geld verlangte. Esmes große Kristallkugel diente wahrscheinlich sowie mehr der Show, als dass »Esmeralda, die Zigeuner-Prinzessin«, wie sie auf den Zirkus-Plakaten angepriesen wurde, tatsächlich etwas darin sah. Esmes Talent war immer schon schwach ausgeprägt gewesen, wohingegen Maryanna großes Potenzial zeigte. Das hatte Mairi ihr öfter erzählt.

Mit einer Kristallkugel konnte ihre Großmutter sowieso nichts anfangen. Das in den schottischen Highlands oft praktizierte Lesen von Teeblättern war ihrer Meinung nach besser geeignet. »Aber klar«, rümpfte Mairi gewöhnlich die Nase, wenn sie darüber sprach, »damit lässt sich den Leuten nicht so einfach das Geld aus der Tasche ziehen. Eine Tasse Tee trinken können sie zu Hause. Auf dem Rummelplatz wollen sie ein großes Spektakel.«

Maryanna war gerne bei ihrer Großmutter. Aber der Zirkus war ihr Zuhause. Auch wenn sie nicht immer mit Esme klarkam, so liebte sie die Welt der Schausteller. Der Zirkus war nur klein, recht unscheinbar. Eigentlich waren sie nur eine bessere Schaustellertruppe. Ein paar Pferde und Kunstreiter, eine Seiltänzerin, ein Messerwerfer, Schlangenmenschen, der große Magier. Die Musiker, natürlich. Dazu kamen Buden, wie die Wahrsager-Bude ihrer Mutter, sowie die Preisringer. Diese Truppe war ihre Familie.

Das konnte ihre Großmutter nicht verstehen. Sie glaubte, Maryannas Platz war hier, in Tarbet, bei ihren Blutsverwandten.

»Schau mal genauer hin«, sagte Mairi jetzt. »Siehst du noch etwas anderes?«

Maryanna kratzte sich am dunklen Lockenkopf. Da, um den Bären herum, konnte sie tatsächlich etwas anderes ausmachen. »Bälle? Nein, warte, dieser kleine … Stiel. Sieht aus wie Äpfel!«

»Genau. Und was bedeutet das?«

»Ein langes Leben«, meinte Maryanna nach längerem Überlegen.

»Das stimmt«, bestätigte Mairi die Deutung stolz.

»Bona«, freute sich das Mädchen.

»Das sagen wir hier nicht«, schalt ihre Großmutter sie. »Das weißt du doch. In meinem Hause wird kein Polari gesprochen.«

Maryanna zog die Schultern ein, als sie Mairis angewidertes Gesicht sah. Polari war die Sprache der Reisenden in Schottland, der Schausteller und Zirkusleute. Die Sprache gehörte zu ihrer Kultur, wegen derer die sesshaften Schotten auf sie herabschauten. Egal, wie arm ein Bauer in den schottischen Highlands war, ein Reisender stand nun mal eine Klasse unter ihm.

Dass ihre Großmutter auch solche Vorurteile hatte und auf die Washfield-Circus-Truppe heruntersah, machte Maryanna ganz traurig. Sie verstand nicht, was an ihrer geliebten Adoptivfamilie so falsch sein sollte. Und so fühlte sie sich hin- und hergerissen zwischen den zwei Welten, die ihre Zukunft sein konnten.

Und was für eine glorreiche Zukunft sich Mairi für ihre Enkeltochter ausmalte! Maryanna verstand zwar vieles nicht von dem, was ihre Großmutter erzählte, aber es gefiel ihr trotzdem, denn es zeigte ihr, wie sehr Mairi sie schätzte und liebte.

Auch in dieser Nacht machten sie es sich mit noch einer Tasse Tee vor dem Kamin gemütlich, und Mairi MacDonald erzählte die Geschichte der Hexen in Tarbet:

»Früher einmal waren wir Hexen eine richtige Gemeinschaft gewesen. Unsere Fähigkeiten waren so ausgeprägt, dass wir die fantastischsten Sachen gekonnt hatten. Und gemeinsam waren wir noch stärker gewesen«, begann sie wie immer.

Einmal hatten alle Hexen im Bund von der Kraft einer Gestaltwandlerin profitiert, sodass sie sich alle zusammen in Vögel verwandelt und sich in die Lüfte geschwungen hatten. Der Hexenzirkel hatte sich nicht verstecken müssen, sondern hatte die Leute in der Gegend beschützt. Er hatte sich darum gekümmert, dass die Menschen und das Vieh gesund und die Ernten ertragreich blieben.

Mit der Verfolgung der Hexen hatte sich jedoch vieles geändert und die North Berwick Witch Trials Ende des 16. Jahrhunderts waren ein Wendepunkt gewesen. Die Hexen hatten sich lange nicht getraut, sich zu treffen und gemeinsam zu feiern und Rituale abzuhalten. Viel Wissen war verloren gegangen, Traditionen waren gestorben und die magischen Talente der Frauen waren verkümmert.

Mittlerweile war die Weitervererbung der Gabe in der weiblichen Linie so unvorhersehbar, dass ganze Generationen übersprungen wurden. Plötzlich entdeckte dann ein junges Mädchen ungeahnte Kräfte und stellte damit Dummheiten an. Die Mädchen wurden von Müttern und Großmüttern nicht mehr richtig an ihre Aufgaben herangeführt. Es schien jetzt akzeptabel, die Gaben zum eigenen Vorteil zu nutzen. Oft verschwieg man, zu was man fähig war, damit Hexen der alten Schule, wie Mairi, einem nicht hereinredeten.

Die Hexen trafen sich und feierten ihre Feste, aber eine richtige Gemeinschaft, in der sich die Kräfte der Einzelnen ergänzten und für »gute Zwecke« benutzt wurden, gab es nicht.

»In einer solchen Gemeinschaft wäre das mit deiner Mutter gar nicht passiert«, seufzte Mairi wie so oft, wenn sie an dieser Stelle in ihrer Geschichte ankam. Das brachte Maryannas Gefühle immer ganz durcheinander, denn sie selber würde ja gar nicht existieren, wenn Esme nicht »so dumm gewesen wäre«, und sie nahm es ihrer sonst so geliebten Großmutter übel, dass sie diesen Teil ihrer Identität ausblendete, nämlich, dass Maryanna sowohl die Tochter eines reichen Schlossbesitzers war wie auch die Ausgestoßene am Rande der Gesellschaft. Für Mairi war Maryanna nur eins: eine mächtige Hexe, die einmal die Rolle der Anführerin übernehmen und den Hexenbund in ein neues, besseres Zeitalter führen würde.

»Ich bin leider zu alt dafür, den Status quo zu ändern und die Hexen zum Umdenken zu bringen«, stellte Mairi auch in dieser Nacht mal wieder fest. »Aber du …« Sie nickte ihrer Enkeltochter zu.

Maryanna wusste, was jetzt kam. Mit gemischten Gefühlen reichte sie Mairi ihre Tasse. Einerseits ehrte es sie und erfüllte sie mit Stolz, dass ihre Großmutter ein solches Potenzial in ihr sah. Aber es machte ihr auch Angst. Eine Hexe? Was sollte das überhaupt genau sein? Sie konnte Teeblätter lesen, hatte Vorahnungen und konnte Omen, wie die Flugformationen von Vögeln deuten. Manchmal träumte sie Dinge, die dann wahr wurden. In ihren »gesellschaftlichen Kreisen« war das nichts Ungewöhnliches. Reisende verließen sich auf ihre Vorahnungen, und sesshafte Schotten ließen sich oft von ihnen die Handlinien lesen oder sonst wie die Zukunft voraussagen.

Maryanna wollte gerne diese besondere Frau sein, als die Mairi sie sah, aber in Wirklichkeit war sie doch ein einfaches Zirkusmädchen. Und sie wollte ihre Großmutter ungern enttäuschen. Deshalb überwog die Erleichterung, als Mairi in ihren Teeblättern las, was sie am Ende der Nacht, bevor sich Maryanna verabschiedete, immer sah. Eine Deutung, laut der das Mädchen ihre Entscheidung noch herausschieben konnte.

»Ein Esel in der Mitte, der also deine fernere Zukunft repräsentiert. Darum herum Schlangenlinien. Nach einer beschwerlichen Reise wirst du dein Vermächtnis antreten.«

KAPITEL EINS

Tarbet, November 2018

Die Frau hatte am Küchentisch gesessen und Karten gespielt, als es passiert war. Wahrscheinlich wäre sie vom Stuhl gerutscht, wenn der Tisch sie nicht aufgefangen hätte. So lag sie mit dem Gesicht auf der Tischplatte. Unter den schwarzen Locken schauten die Spielkarten hervor.

Nein, bemerkte Kenna, als sie näher trat, und sah, wie groß und bunt die Karten waren, kein gewöhnliches Französisches Blatt. Tarotkarten.

Die anderen Anwesenden in der Küche standen still wie Statuen. Nur ihre Augen gingen unsicher zwischen der Verstorbenen am Küchentisch und Kenna hin und her. Die drückende, unheimliche Atmosphäre, die Kenna beim Betreten des urigen Bed & Breakfast Thistle Inn sofort bemerkt hatte, schien alle zu lähmen.

Die Kriminaltechniker sahen sie mit erwartungsvollem Blick an, weil sie darauf warteten, endlich mit ihrer Arbeit beginnen zu können. Kenna hatte sie gebeten, sich damit zu gedulden, bis sie am Tatort eingetroffen war.

Der junge Polizist, der als Erster zum Tatort gerufen worden war, stand neben einer älteren Frau mit grauem Dutt und Brille. Der Gesichtsausdruck der Frau war schwer zu lesen. Ihre Miene war verschlossen. Aber in ihren Augen erkannte Kenna nicht nur Trauer und Entsetzen, sondern auch Erstaunen und Unglauben. Kenna wusste von ihrem neuen Chef, dass es sich um Rosa Simmonds, die Rezeptionistin im Polizeirevier in Helensburgh, handelte. Eigentlich hätte Kenna Rosa wie auch den jungen Polizisten erst am Montag kennenlernen sollen, ihrem ersten offiziellen Arbeitstag. Jetzt musste sie heute schon Chief Inspector Declan Reid, der auch ein alter Schulfreund von ihr war, vertreten. Declan war mit Frau und Kind über das Wochenende verreist.

Es war schon ein unglücklicher Zufall, dass es gerade dann einen Todesfall in dem abgelegenen Bezirk in den schottischen Highlands geben musste, für den die Abteilung Lomond North zuständig war. Obwohl, so hatte Kenna bei ihren Recherchen feststellen müssen, für ein 264-Seelen-Dörfchen ereigneten sich in Tarbet überdurchschnittlich viele Kriminalfälle.

Kenna hatte schon beim Betreten des Hausflurs, von dem aus man in die Küche gelangte, zusammen mit dem Wintermantel auch Stiefel und Handschuhe abgelegt und dafür die Überschuhe aus blauem Plastik über die dicken Wollsocken gestülpt. Jetzt zog sie noch Latexhandschuhe an, während sie um den Küchentisch herumschlich, die Tote von allen Seiten begutachtete und sich alles genau einprägte. Als Mordermittlerin in Edinburgh hatte sie gelernt, dass man sich nicht auf die Tatortfotos verlassen sollte, sondern auch immer einen ersten eigenen Eindruck gewinnen musste.

Schließlich nickte sie Doktor Schuyler, der die Todesursache feststellen sollte, zu. Gemeinsam richteten sie die Tote vorsichtig auf, sodass sie ihr Gesicht sehen konnten. Obwohl die Frau in der Körpermitte noch so biegsam war, dass sie sie auf den Stuhl setzen konnten, ließ sich der Kopf nicht bewegen. Die Totenstarre in Gesicht, Hals und Schultern hatte schon eingesetzt. Aus Erfahrung wusste Kenna, dass das bedeutete, dass der Todeszeitpunkt erst ein paar Stunden zurücklag. In der gut geheizten Küche wäre die Totenstarre nach gut sechs Stunden schon voll ausgeprägt, nahm sie an. Kenna hütete sich allerdings, ihre Vermutung laut auszusprechen, sondern überließ das dem anwesenden Pathologen. Sie wusste, dass es nicht gut ankommen würde, wenn sie sich gleich mit solchen Mutmaßungen zu profilieren versuchte.

Schuyler bestätigte aber gleich ihren ersten Eindruck, dass keine Anzeichen auf einen gewaltsamen Tod zu sehen waren. Fremdverschulden konnte der Pathologe aber in dem Moment noch nicht ausschließen – der Körper der Frau war vollständig von einem übergroßen, langärmligen schwarzen Kleid bedeckt, und kleinere Verletzungen, mögliche Einstichstellen oder Ähnliches waren so nicht zu erkennen. Das Kleid war sogar recht schmutzig und hatte genug Flecken, die auch Blutflecken hätten sein können, dachte sich Kenna.

Das altmodische Gewand war der Polizistin sogleich aufgefallen und jetzt, da sie die Frau in aufrechter Position hatten und ihr ins Gesicht schauen konnten, kam es ihr umso seltsamer vor – wie eine Verkleidung.

»Würden Sie bitte nähertreten, Rosa?«, wandte sich Kenna an die ältere Dame. »Ich möchte gerne, dass Sie sich die Frau anschauen und mir ihre Identität bestätigen.«

Rosa tat wie gebeten und beugte sich vor, um die Verstorbene anzusehen. Sichtlich geschockt ob des Anblicks, sog sie scharf die Luft ein und wich zurück. Die ältere Frau schwankte und Kenna griff sie am Arm. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie und musterte Rosa Simmonds jetzt sehr blasses Gesicht besorgt.

Sie hatte einfach angenommen, dass die Rezeptionistin des Polizeireviers nicht zimperlich sein würde, da sie in ihrem Beruf zumindest mit Verbrechen, Gewalt und auch Tod in Berührung kam. Aber es war natürlich immer etwas anderes, wenn man das mutmaßliche Opfer kannte.

Rosa holte tief Luft und sagte schnell: »Ja, ich … ich hatte nur … ich hatte jemand anderen erwartet, nehme ich an. Ich war überrascht.«

»Wie meinen Sie?«

Rosa holte noch mal Luft. Wieder gefasster löste sie sich sanft aus Kennas Griff und meinte: »Ich hatte Mrs MacDonald erwartet, das ist alles.«

Erstaunt schaute Kenna von Rosa zu der Toten. »Das ist nicht Mrs Mary MacDonald, die Besitzerin des Thistle Inn?« Declan hatte sie am Telefon darüber informiert, dass es sich bei der Verstorbenen vermutlich um die Hauseigentümerin handeln würde, da nur sie hier wohnte und die zwei Fremdenzimmer selten vermietet wurden. Mrs Simmonds hatte ihren Chef direkt auf dem Handy angerufen, statt den Notruf zu wählen, als sie die Frau leblos in der Küche entdeckte, und ihm die vorgefundene Situation kurz beschrieben – und bestätigt, dass die Verstorbene Mrs MacDonald sein musste.

Rosa schüttelte den Kopf. »Nein, Mrs MacDonald ist eine ältere Frau. Sehr alt«, fügte sie zögerlich hinzu.

Kenna sah sich die Verstorbene, die Dr. Schuyler immer noch aufrecht auf dem Stuhl hielt, noch einmal an. Sie war höchstens Mitte zwanzig, wahrscheinlich jünger.

»Und wissen Sie, wer diese Frau ist?«, fragte sie Rosa.

Die schaute sie abschätzend an, bevor sie die Lippen zusammenpresste und schließlich sagte. »Kommen Sie bitte mit, ich muss Ihnen etwas zeigen.« Schnurstracks marschierte sie auf eine Tür zu – nicht die, durch die Kenna gekommen war, sondern die gegenüberliegende. Sie führte in einen zweiten, hinter der Küche gelegenen Flur, stellte Kenna fest, als sie Rosa automatisch folgte. Mit einer Handbewegung teilte sie Dr. Schuyler und den Kriminaltechnikern mit, dass sie kurz warten sollten.

Vom kurzen Flur gingen zwei weitere Türen ab und Rosa war im Begriff, eine davon zu öffnen, als Kenna sie gerade noch davon abhalten konnte. »Warten Sie«, rief sie mit scharfer Stimme und hob zur Erklärung ihre behandschuhte Hand. Dann machte sie selber die Tür auf, tastete nach dem Lichtschalter und knipste ihn an. Neugierig warf sie einen Blick in den Raum, bevor sie Rosa den Vortritt ließ. Es handelte sich um das Schlafzimmer.

Neben einem kastenartigen, kurzen Holzbett stand ein Webstuhl. Man hatte den Eindruck, als beträte man ein Museum, so altmodisch wirkte der Raum.

Kennas Blick folgte Rosas Finger, als diese stumm auf ein Bild an der Wand zeigte. Es war das Schwarz-Weiß-Foto einer jungen Frau – der Toten in der Küche. Der schwarze Lockenkopf, die runden Wangen, die großen, dunklen Augen, ja, es gab keinen Zweifel.

»Sie können die Verstorbene also identifizieren«, meinte Kenna erleichtert. Es musste sich wohl um eine Verwandte oder Bekannte von Mrs MacDonald handeln, wenn die B&B-Besitzerin ein Foto von ihr über dem Bett hängen hatte.

Doch Rosa schüttelte wild den Kopf. »Nein, ich meine, ja.« Wieder das Kopfschütteln. »Ich habe mir gedacht, Sie sehen das Foto sowieso, dann werden Sie danach fragen, und ich … dann kann ich es Ihnen auch gleich sagen und …«

»Langsam, Rosa«, unterbrach Kenna sie. »Ich komme nicht mit. Wer ist denn jetzt diese Frau?«

»Das«, betonte Rosa Simmonds und zeigte auf das Foto. »Das ist Mrs MacDonald. Als sie jünger war. Hab ich zumindest immer gedacht. Es sieht aus wie Mary als junge Frau und es ist ein altes Foto. Aber … die Frau in der Küche … die sieht auch so aus. Da fiel mir das Foto ein.«

Kenna hob beschwichtigend die Hand, als sie merkte, dass Rosa immer aufgewühlter wurde. »Okay, wenn das hier ein Foto einer jungen Mrs MacDonald ist, dann ist die Frau in der Küche eine Verwandte, die große Ähnlichkeit mit ihr hat. Ich nehme an, eine Enkelin? Aber Sie … sind ihr noch nie begegnet … oder …«, brach sie ab, als Rosa wieder den Kopf schüttelte und sich verzweifelt in die Frisur griff. Eine Strähne löste sich aus ihrem Dutt.

Kenna hatte am Rande den Eindruck, dass das etwas Unnormales war. Dass der Dutt sonst immer saß – und Rosa auch sonst mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand und selten die Kontrolle über die Situation verlor.

»Das ist es ja«, rief Rosa. »Mary hat so gut wie keine Verwandten, außer einen weit entfernten Neffen. Keine Kinder, keine Enkelkinder. Das weiß ich doch ganz sicher. Und außerdem.« Rosa nahm die Brille ab und rieb sich die Stirn. »Sie war angezogen wie Mary. Sie hatte Marys Kleid an. Dasselbe, was sie heute Nachmittag anhatte. Sie saß an ihrem Platz.«

»Moment, Moment«, schaltete sich Kenna ein. »Sie waren heute Nachmittag schon einmal hier und haben Mrs MacDonald in der Küche gesehen?«

»Ja doch«, rief Rosa, in einem Ton, der suggerierte, dass Kenna das wissen sollte, obwohl der Ermittlerin das völlig neu war. »Ich hab sie am Nachmittag besucht, da hat sie Karten gelegt. Sie hat sich komisch verhalten und ich habe mir Sorgen gemacht, da bin am Abend noch mal hergekommen. Ich hab Licht in der Küche gesehen und als niemand aufgemacht hat, habe ich den Ersatzschlüssel gefunden und bin rein. Und da lag Mary tot auf dem Tisch, zumindest dachte ich, es wäre Mary …«

»Ganz ruhig, eins nach dem anderen«, unterbrach Kenna den schnellen Redefluss der älteren Frau. Die holte tief Luft und griff sich wieder an den Kopf. Lange graue Strähnen fielen ihr jetzt den Rücken hinunter. »Am Nachmittag hat Mrs MacDonald am Küchentisch Tarotkarten gelegt? Die Karten, die jetzt noch auf dem Tisch liegen?«

Rosa nickte. »Das macht sie manchmal. So als Hobby«, fügte sie hinzu, als müsse sie eine Erklärung bieten.

Kenna ging nicht darauf ein. »Und was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, Mrs MacDonald hätte sich komisch verhalten?«

»Nicht wie sie selbst«, meinte Rosa etwas unwirsch, als sei Kenna schwer von Begriff.

»Wie ist sie denn sonst so und wie war sie am Nachmittag?« Kenna versuchte, die Geduld zu behalten. Es handelte sich ja schließlich nicht nur um eine Zeugin, sondern auch eine Kollegin. Aber es fiel ihr schwer.

»Sie schien ängstlich. So hab ich sie noch nie erlebt. Mary ist immer … selbstbewusst. Sicher. Sie weiß, was zu tun ist.« Rosa dachte nach. Dann sagte sie: »Wahrscheinlich wäre es sonst niemandem aufgefallen. Es war subtil. Sie hat jetzt nicht dauernd über die Schulter geschaut oder hat gezittert oder so. Aber so hat es fast auf mich gewirkt. Weil sie sonst eben das genaue Gegenteil ist. Autoritär. Genau, das ist es. Sie wirkt immer so autoritär. Sie ist diejenige, zu der man aufschaut, und auf einmal hatte ich das Gefühl, sie braucht Hilfe. Sie weiß nicht, was zu tun ist. Das kannte ich gar nicht.«

»Ich verstehe.« Kenna nickte. »Aber gesagt hat sie nichts?«

»Ich dachte einfach …« Rosa zögerte. »Mary ist alt. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie alt. Und die Karten, die sie gelegt hat … eine Karte war der Tod. Na ja, mir kam der Gedanke, dass sie Muffensausen bekommen hat, dass ihre Zeit doch bald abgelaufen sein könnte. Gleichzeitig dachte ich, nein, niemals, Mary doch nicht. Die braucht vor so etwas keine Angst zu haben. Aber als ich wieder zu Hause war, hatte ich ein so komisches Gefühl. Ich hab versucht sie anzurufen. Als sie nicht ranging, bin ich wieder hergekommen. Sie hat nicht aufgemacht und ich hab den Zweitschlüssel unter dem großen Stein im Vorgarten genommen. Ich war gar nicht so überrascht, als sie da lag. Über den Karten. Und ich dachte, also doch. Dann war das doch der Grund, warum sie so verängstigt wirkte. Sie wusste, dass ihre Zeit gekommen war. Nur, war es gar nicht Mary und ich …«

Rosa brach sichtlich verwirrt ab und schaute stirnrunzelnd zum Foto hoch.

»Sie dachten natürlich, es wäre Mrs MacDonald, ich verstehe. Die alte Dame hatte eine Tarotkarte gelegt, die vielleicht den Tod voraussagt und Sie hielten es für ein Omen, das sich bewahrheitet hatte.«

Kennas Ton war neutral, als sie den letzten Satz sagte. Sie war in den Highlands aufgewachsen – im Örtchen Ardlui, nicht weit von Tarbet – und wusste, wie abergläubisch die Leute hier waren, besonders die ältere Generation. Sie hütete sich also davor, Rosas Annahme kritisch zu hinterfragen. Darum ging es hier ja auch gar nicht. Sie versuchte nur, die zeitliche Abfolge der Geschehnisse herauszufinden und möglichst genau zu erfahren, was Rosa gesehen und erlebt hatte.

»Sergeant Adams!«, rief Kenna durch die offenen Türen dem jungen Polizisten zu. »Durchsuchen Sie bitte das Haus. Mrs MacDonald, die Hausbesitzerin, scheint verschwunden zu sein.« Dann nickte sie Rosa zu. »Also heute Nachmittag war sie im Haus und saß noch am Küchentisch, als Sie gegangen sind? Wann genau war das?«

»So gegen vier. Nein, etwas später. Halb fünf war ich zu Hause, da hab ich auf die Küchenuhr geschaut. Und ich wohne nur ein paar Straßen weiter.«

Kenna überlegte kurz. Sie musste Dr. Schuylers Bericht abwarten, aber sie ging davon aus, dass die Frau kurz darauf gestorben war. Jetzt war es etwa zehn. Angerufen hatte Declan sie kurz nach neun, also musste Rosa etwa viertel vor neun bei Mrs MacDonald eingetroffen sein. Auf ihre kurze Nachfrage hin bestätigte Mrs Simmonds das. »Und was haben Sie da gemacht, als Sie die vermeintliche Mrs MacDonald leblos mit dem Kopf auf dem Küchentisch sahen?«

»Ich habe ihren Namen gerufen. Dann bin ich hin und habe sie an die Schulter angefasst. Habe sanft gerüttelt. Sie hat nicht reagiert.« Rosa hatte jetzt Tränen in den Augen. »Dann habe ich ihren Puls am Hals gefühlt und gemerkt, sie hatte keinen.«

»Und Sie hatten ja keinen Grund anzunehmen, dass es nicht Mrs MacDonald sein könnte, da sie dort saß, wo Sie sie verlassen hatten, dasselbe Kleid trug und … ich nehme an, an den Haaren haben Sie es auch nicht gemerkt? Mrs MacDonald ist nicht ergraut?« Kenna schaute sich kurz im Schlafzimmer um, konnte aber auf den ersten Blick kein Foto mit einer älteren Frau sehen. Dann wandte sie sich wieder Rosa zu, die meinte:

»Nein, ihre Haare sind auch schwarz. Lockig, wie …« Rosa brach ab. »Na, um ehrlich zu sein, jetzt wo Sie fragen, hätte man es an den Haaren erkennen können. Marys Haare sind immer etwas … äh … ungekämmt. Eher verworren als lockig. Aber irgendwie hab ich gar nicht drauf geachtet.« Dann fügte sie noch hinzu: »Die Figur, ihre Statur. Die ist auch gleich. Deshalb kam mir wohl gar nicht in den Sinn, es könnte nicht Mary sein.«

Sgt. Adams steckte den Kopf durch die Tür und nahm Blickkontakt mit Kenna auf. »Im Haus ist niemand.«

»Okay«, meinte Kenna und versuchte stirnrunzelnd, eine logische Erklärung für die Situation zu finden, während sie beim Aussprechen merkte, wie unlogisch das Ganze klang. »Kurz vor halb fünf haben Sie, Rosa, Mrs MacDonalds Haus verlassen. Kurze Zeit später stirbt eine junge Frau in derselben Position und derselben Kleidung, in der Sie Mrs MacDonald zurückgelassen haben. Die junge Frau gleicht Mrs MacDonald fast bis aufs Haar, beziehungsweise sieht aus, wie Mrs MacDonald ausgesehen hat, als sie jünger war.«

Ungläubig schüttelte Kenna den Kopf. »Wer ist diese Frau?«, stellte sie laut die Frage, die sich alle stellen mussten. »Und wo ist Mrs MacDonald?«

KAPITEL ZWEI

Argyll National Forest, Juni 1936

Als Maryanna kurz vor dem Morgengrauen wieder ins Zelt schlüpfte, stellte sie im grauen Licht fest, dass die Schlafstätte ihrer Mutter leer war. Unsicher ließ sie sich auf ihrem eigenen Bett nieder und schaute sich um.

Da kam Esme ins Zelt. Maryanna saß erstarrt da. Sie konnte nur den Umriss ihrer Mutter ausmachen, nicht aber ihre Augen sehen. Dennoch fühlte sie, dass Esmes Blick auf sie gerichtet war. Ja, Maryanna spürte die Missbilligung, die Enttäuschung und die Verbitterung, bevor ihre Mutter auch nur ein Wort gesprochen hatte.

»Ich bin dir gefolgt, Mädchen«, sagte Esme schließlich. »Obwohl ich wusste, wo du hingehst. Ich habe mich am Waldrand versteckt, während du in ihrem Haus warst. Durch die erleuchteten Fenster hab ich euch gesehen. Sie hat dir gezeigt, wie man Teeblätter deutet, stimmt’s?« Nach einer kurzen Pause fragte sie. »Wie lange geht das schon so?«

»Ein paar Jahre«, antwortete Maryanna leise. »Ich dachte mir nichts Schlimmes dabei. Sie ist meine Großmutter, also … und du bringst mir ja auch bei, wie man die Zukunft vorhersieht. Wir machen nichts anderes.«

»Wenn es so harmlos ist, wieso hältst du es dann für nötig, dich nachts heimlich aus dem Zelt zu schleichen?«

Der schneidende Ton ihrer Mutter ließ Maryanna erzittern. »Ich wollte dir nicht wehtun, Mama. Weil du und Oma, ihr redet doch nicht mehr miteinander und da …«

»Ach was!«, unterbrach Esme sie. »Du kannst mir damit nicht wehtun und das weißt du auch. Ich kann mir gut vorstellen, um was es wirklich geht. Mairi sucht keinen Tochterersatz. Sie sucht etwas ganz anderes. Setzt sie dir dieselben Flausen in den Kopf wie mir früher? Dass du einmal eine große Anführerin sein wirst?«

Maryanna sagte nichts, aber selbst im langsam einsetzenden Dämmerlicht konnte Esme die Körpersprache ihrer Tochter richtig lesen.

»Eine Anführerin von was?«, fuhr sie höhnisch fort. »Von ein paar Bäuerinnen in einem Kuhdorf? Oh, was für eine glorreiche Zukunft!«

Als Maryanna stumm eine Träne wegwischte, die ihr aus dem Auge gelaufen war, kam Esme zu ihr und setzte sich neben sie. Ihr Ton änderte sich und wurde viel weicher, als sie einen Arm um ihre Tochter legte und sagte: »Du fühlst dich geschmeichelt, weil sie dich für etwas Besonderes hält? Komm, mein Schätzchen, du weißt doch, dass du da nicht hingehörst. Und warum würdest du das auch wollen? Vielleicht sage ich es dir nicht oft genug, weil ich es nicht für richtig halte, dich zu verweichlichen. Schließlich wurde ich ebenso von meiner Mutter verzogen und schau dir an, was es mir gebracht hat!« Verbitterung war in Esmes Stimme zurückgekehrt. »Aber auch ich halte dich für etwas Besonderes, glaub mir.« Maryanna hielt ihren Blick gesenkt, aber sie wusste, dass ihre Mutter sie beobachtete, bevor sie sagte: »Ja, auch ich habe Pläne für dich. Große Pläne.«

»Meinst du das mit Magnus, Mama? Ich weiß nicht …« Maryanna merkte, wie sie rot wurde und ließ die Locken vor das Gesicht fallen.

»Ja, ich habe schon angedeutet, dass du gut daran tätest, ihn zu verführen. Und jetzt tu mal nicht so unschuldig und scheu. Du bist ein hübsches Mädchen. Viel hübscher als diese plumpe Zelda. Was ich dir nicht gesagt habe, ist, wieso ich finde, du solltest das tun. Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Aber jetzt, wo ich weiß, dass meine Mutter dich schon seit Jahren bearbeitet …« Esme musste offensichtlich den Zorn herunterschlucken, bevor sie weitersprach. »Wo du ja schon alles weißt, wie sich das mit den Hexen und den Fähigkeiten verhält, da kann ich dich auch ganz einweihen.«

Maryanna verriet ihrer Mutter nicht, dass sie gar nicht so genau wusste, wie es sich mit den »Hexen verhielt«, weil sie in der Geschichtsstunde ihrer Großmutter nie nachfragte. Es war ein bisschen wie eine Märchenerzählung für sie, etwas abstrakt.

»Die Hexen in Tarbet sind so engstirnig, weil sie sich für etwas Besseres halten. Dabei hat unsere Welt so viel mehr zu bieten«, schwärmte Esme. »Vieles, von dem diese Landeier gar nichts wissen. Von Magnus’ Magierfähigkeiten, zum Beispiel. Uns Hexen werden ja kleine Talente in die Wiege gelegt, meistens völlig nutzlose. Aber die Magier, die können alles lernen. Wirklich alles! Das, was du Magnus bei den Vorführungen machen siehst, ist nur die Spitze des Eisbergs. Er kann richtig zaubern.«

»Das ist ja toll, Mama«, seufzte Maryanna leise. »Aber wieso soll ich dann mit ihm schlafen? Magnus ist doch nett, wenn du willst, dass er etwas für dich zaubert, dann frag ihn doch einfach. Bestimmt wird er …«

Esme lachte schrill. »Ach Kind, du bist so naiv. Ich will doch nicht, dass er für mich zaubert. Ich denke viel langfristiger, seit ich mal etwas gehört habe. Von einem Wesen, das in einer Höhle lebte. Es musste die Sonne meiden, denn seine Haut und Haare hatten keine Farbe. Es war ganz weiß und verbrannte leicht. Es war weder ein Mann noch eine Frau. Aber es hatte solche Kräfte, dass sich die Königin seine Fähigkeiten zunutze machte. Sie wurde eine der größten und mächtigsten Königinnen dieser Welt.«

Maryanna runzelte die Stirn. »Was sollen das denn für Fähigkeiten gewesen sein?«

»Die Details sind doch egal«, winkte Esme ab. »Dieses Wesen war das Kind einer Hexe und eines Magiers. Ich möchte, dass du so ein Kind mit Magnus machst. Mit deiner so ausgeprägten Hexengabe und seinen Magierfähigkeiten, da wird es das mächtigste …«

»Mama!«, rief Maryanna entsetzt. Das rote Licht der aufgehenden Sonne drang durch die Zeltplanen und tauchte Esmes manischen Gesichtsausdruck in einen unheimlichen Schein. Ihre Augen waren weit aufgerissen, wodurch ihr Gesicht noch mehr einer Fratze glich. »Das hört sich doch schrecklich an«, fuhr Maryanna fort. »Ich will doch nicht, dass mein Kind ein … ein Etwas wird, ein Tier, das in einer Höhle lebt!«

»Es muss bei euch ja nicht so rauskommen«, winkte Esme ab. »Das war bloß bei jenem Wesen so. Ihr seid beide attraktiv. Und wir werden das Kind nicht verstecken müssen. Beim Zirkus wird es nicht auffallen, wenn es ein bisschen anders ist. Ideale Voraussetzungen, um so etwas …«

»Nein, Mama. Wirklich nicht.«

»Aber verstehst du denn nicht, was für eine Chance wir hier haben?«, meinte Esme verzweifelt.

»Ich kann das nicht.«

»Wenn du es nicht für dich selber tun willst, dann tue es für mich. Schließlich habe ich alles geopfert wegen dir. Du bist der Grund, warum ich ein armseliges Dasein im Zirkus friste und warum meine Mutter mich verstoßen hat. Ich hätte dich auch wegmachen lassen können. Denk mal darüber nach, bis du eingesehen hast, was du mir schuldest. Dann können wir wieder miteinander reden.«

Obwohl die ersten Sonnenstrahlen das Zelt aufwärmten, erschauderte Maryanna, als sie Esmes kalte Worte bis ins Mark trafen.

* * *

Ein paar Wochen lang lebten Esme und Maryanna schweigend nebeneinander her. Manchmal tat ihre Mutter sogar so, als ob Maryanna überhaupt nicht existierte, was gar nicht so einfach war, wenn man zusammen in einem Zelt wohnte, das immer wieder ab- und aufgebaut werden musste.

Maryanna musste selber dafür sorgen, dass sie jeden Tag etwas zu essen auf dem Teller hatte und half hier und da beim Zirkus aus. Die meisten anderen hatten Mitleid mit ihr. Besonders Magnus Magnusson. Maryanna fühlte sich innerlich noch mehr zerrissen, weil der junge Magier so nett und zuvorkommend zu ihr war, ihr immer wieder einen Kanten Brot zusteckte.

Es gab nicht viele Männer in der Zirkustruppe, die sich so als Mädchenschwarm eigneten wie der charmante, große Magier mit den strahlend blauen Augen. Bislang hatte Maryanna ihn nur von Weitem angehimmelt, ohne diese Gefühle zu benennen. Seit der Bitte ihrer Mutter, die ihr einen neuen Horizont eröffnet hatte, war sich Maryanna bewusst geworden, wie sehr sie Magnus mochte. Sie kam nicht mehr umhin, sich Hoffnungen zu machen.

Sie haderte mit dem Entschluss, den Zirkus zu verlassen und zu ihrer Großmutter nach Tarbet zu gehen. Mittlerweile war der Washfield Circus aber weitergezogen und der Weg zurück zum Loch Lomond würde lang und beschwerlich werden. Außerdem konnte sie Esmes Worte nicht einfach abschütteln. Sie trafen sie so, weil sie tief im Innern tatsächlich glaubte, dass sie das Leben ihrer Mutter zerstört hatte und ihr etwas schuldete. Esme war einmal eine schöne Frau gewesen, aber das harte Leben beim Zirkus und ihre Verbitterung hatte sie vor ihrer Zeit altern lassen. Esme ließ Maryanna nicht vergessen, dass sie ihre Tochter nicht nur für die aktuelle Lebenssituation verantwortlich machte, sondern dafür, dass sie sich nie wieder aus dieser Situation herausmanövrieren konnte. »Ganz allein für mich selber und ein Kind zu sorgen, hat mich alt und hässlich gemacht«, sagte sie öfter. »Weil ich dich bekommen habe, will mich kein Mann mehr haben.«

Der Gedanke daran ließ Maryanna einfach nicht los: die leise Hoffnung, doch einmal die Tochter zu sein, auf die Esme stolz sein konnte. Dass sie damit das, was Esme passiert war und das Leben ihrer Mutter aus der Bahn geworfen hatte, irgendwie wieder gutmachen konnte.

Irgendwann fing Esme wieder an, mit ihrer Tochter zu reden, als ob nichts passiert sei. Sie erwähnte das Gespräch im Morgengrauen von vor vielen Monaten mit keinem Wort. Der Winter, den sie nicht reisend, sondern in einer kleinen Hütte verbrachten, verging ohne weitere Vorkommnisse. Maryanna hoffte, dass sich Esme von ihrer Idee verabschiedet hatte, aber begann daran wieder zu zweifeln, als Esme auffällig viele Kommentare über Magnus machte, nachdem der Zirkus im Frühling wieder loszog.

»Schau mal, wie er dich ansieht! Er hat überhaupt keine Augen für seine Frau«, bemerkte sie zum Beispiel. Oder: »Frag doch, ob du noch mal die Assistentin des Messerwerfers machen darfst. Wir könnten das Geld brauchen. Übrigens habe ich Magnus sagen hören, dass er dich in dem Kostüm entzückend fand.«

Maryanna wusste, was ihre Mutter mit diesen Bemerkungen bezweckte. Aber insgeheim hoffte sie, dass etwas Wahres dran war. Nach einer Weile hatte Esme ihre Tochter regelrecht infiziert mit dem Gedanken, dass der Magier etwas für Maryanna übrig hatte.

Als Magnus an einem sonnigen Frühlingstag zu einem Spaziergang aufbrach, Maryanna über den Weg lief und sie dazu einlud, ihn zu begleiten, kam es ihr wie ein Wink des Schicksals vor. Mittlerweile kampierte der Zirkus wieder im Argyll National Forest, unweit von Tarbet. Wenn sie ihre Mutter und den Zirkus verlassen wollte, dann hatte sie jetzt die Gelegenheit dazu. Es schien ihr, als ob Magnus ihr diese Entscheidung abnahm. Aber sie interpretierte mehr in seine unschuldige Geste hinein, als es von ihm gemeint war.

Leider kam sie erst später zu dem Rückschluss. Nachdem sie sich ihm auf recht ungeschickte Weise genähert hatte.

Magnus stolperte rückwärts, beinahe in einen Bach hinein, an dessen Ufer sie entlanggegangen waren, als sie sich ihm an den Hals warf und versuchte, ihre Lippen auf seine zu pressen. Der Magier konnte sich gerade noch so fangen und blieb etwas wacklig auf den vielen kleinen Steinen stehen, die den Fluss säumten. Seine Hand fuhr geschockt an seine Lippen.

»Maryanna, was tust du? Ich bin ein verheirateter Mann!«

Beschämt senkte Maryanna den Kopf. Ihre Hände baumelten an ihren Seiten herunter; sie wusste nicht, wo sie mit ihnen hinsollte. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre weggelaufen.

»Nein, es ist meine Schuld«, sagte Magnus, als er wieder auf den schmalen Pfad kraxelte. »Ich hätte dich natürlich nicht zu einem einsamen Waldspaziergang einladen sollen. Kein Wunder, dass du auf falsche Ideen kommst. Aber ich habe gar nicht daran gedacht. Du bist noch so jung … ich sehe dich immer noch als Kind, nicht als junge Frau. Komm, wir gehen schnell zurück.« Er nahm sie bei der Hand und zog sie quer durch den Wald. »Nehmen wir eine Abkürzung.«

Maryanna ließ sich den Weg entlangziehen, aber seine Worte drangen ganz langsam bis in ihr Herz – wo sie richtig schmerzten. Er hielt sie für ein Kind? Sie war kein Kind! Sie war eine Frau und sogar eine ziemlich mächtige. Verletzter Stolz und Trotz stiegen in ihr auf.

Auf einer Lichtung blieb sie stehen. Magnus brauchte einen Moment, bis er begriff, dass sie ihm nicht folgte. Er hielt inne und drehte sich um, die Augenbrauen fragend hochgezogen.

»Weißt du eigentlich, was ich bin, was ich kann?«, fragte Maryanna leise und schaute ihn herausfordernd an. Er kam zwei, drei Schritte zu ihr zurück.

»Wie meinst du das?«

»Ich bin eine Hexe, Magnus.«

»Ach so, ja. Wenn du das so nennst.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du meinst das Wahrsagen, das Esme dir beigebracht hat.«

»Sie hat es mir nicht beigebracht. Es liegt in meinem Blut. Und es ist viel mehr als das.« Maryanna wurde immer verärgerter, je mehr Magnus sie unterschätzte. Er hielt sie für ein Kind, das ein bisschen in die Kristallkugel schauen gelernt hat, einen billigen Zirkustrick. Aber sie hatte viel, viel mehr zu bieten. »Wir täuschen die Leute nicht bloß, um an ihr Geld zu kommen. Meine Mutter musste ihre Gabe dafür nutzen, weil sie keine andere Wahl hatte. Meine Großmutter, die auch die Gabe hat, weil sie mütterlicherseits vererbt wird, hält nichts davon. Sie ist die Anführerin eines großen, mächtigen Hexenzirkels. Und meine Gabe ist sehr ausgeprägt«, übertrieb Maryanna etwas, um Magnus zu beeindrucken.

»Du meinst die Hexen in Tarbet?« Magnus klang skeptisch. »Davon habe ich gehört.« Er schüttelte verwirrt den Kopf. »Schön für dich. Aber ich weiß nicht, wieso du mir das erzählst. Wie du weißt, haben wir Magier unsere eigenen … Talente und …«

»Ich weiß über deine Talente Bescheid«, unterbrach ihn Maryanna kühn. Sie legte den Kopf schräg und kam langsam auf ihn zu. »Meine Mutter meint, wir könnten unsere Talente … vereinen.«

Magnus schien jetzt komplett verwirrt.

»Magst du mich denn nicht wenigstens ein kleines bisschen?«, fragte Maryanna in einem Ton, den sie schon bei anderen Frauen gehört hatte. Er erinnerte sie an das Schnurren einer Katze. Männer sprangen darauf an, hatte sie gesehen.

»Was …? Äh, natürlich mag ich dich. Ich verstehe nur nicht …«

»Würde es dir denn so schwerfallen, ein Kind mit mir zu zeugen? Findest du mich denn so abstoßend?«, fragte Maryanna gespielt kokett. Es lag überhaupt nicht in ihrer Natur, aber sie hatte angefangen und sie würde es durchziehen. Sie hatte keine anderen Vorbilder als die Frauen beim Zirkus und die feierfreudigen Mädchen, die auf der Kirmes Sachen taten, für die ihre Eltern sie wahrscheinlich verstoßen würden.

»Ein Kind zu zeugen?«, rief Magnus entsetzt. »Was redest du denn da?«

So langsam wurde es Maryanna zu bunt. Magnus schien überhaupt keine Ahnung davon zu haben, wie das Schicksal sie zusammengeführt hatte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und verzog die Lippen zu einem Schmollmund.

»Meine Mutter hat mir erzählt, dass ein Kind von uns beiden – mächtige Hexe und talentierter Magier – eine Kreatur mit ungeahnten Kräften sein würde. Das mächtigste Wesen der Welt.« Maryanna wurde etwas mulmig zumute, als sie sich an die schreckliche Geschichte erinnerte, die ihre Mutter damals erzählt hatte. Diese Einzelheiten hatte sie mittlerweile verdrängt. So ein Kind wollte sie natürlich nicht. Aber das Kind von ihr und Magnus würde bestimmt ganz anders aussehen.

»Ach das!«, ging Magnus nun ein Licht auf. »Ja, von dieser Legende habe ich tatsächlich schon gehört. Aber das ist doch Blödsinn. Ein Märchen, Maryanna«.

Wieder redete er so mit ihr, als ob sie ein kleines Kind wäre. Maryanna wurde richtig wütend. »Wäre es wirklich so schlimm, so etwas mit mir auszuprobieren? Findest du mich so abstoßend? Hier, fühle meinen Körper, dann weißt du, dass ich eine richtige Frau bin!« Sie drängte sich an ihn, aber Magnus stieß sie unsanft weg.

»Hör auf damit. Solch ein Unsinn. Darum geht es gar nicht. Nein, ich will so ein Kind nicht machen. Aber das hat nichts mit dir zu tun. Ob du ein Mädchen bist oder eine Frau, ist mir auch ehrlich gesagt egal, Maryanna. Ich bin verheiratet. Ich liebe meine Frau. Und ich habe schon ein Kind. Eins, das nicht das Resultat eines Experiments, sondern echter Liebe ist. Schlag dir bitte so einen Schwachsinn aus dem Kopf. Ich möchte dich nie wieder darüber reden hören.«

Magnus’ Stimme klang jetzt kalt, und Trotz und Wut verschwanden aus Maryannas Herzen. Als er einfach ging und sie auf der Lichtung stehen ließ, waren diese Emotionen längst von Scham und Entsetzen abgelöst worden. Was hatte sie getan? Sie konnte ihrer Mutter so nicht gegenübertreten.

Maryanna lief den langen Weg nach Tarbet und kam nach Einbruch der Dunkelheit mit geschundenen Füßen beim Cottage ihrer Großmutter an.

»Wie siehst du denn aus? Ist alles in Ordnung?

---ENDE DER LESEPROBE---