Spuk im Rampenlicht - Felicity Green - E-Book

Spuk im Rampenlicht E-Book

Felicity Green

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Beschreibung

Ein Foto mit Geist. Ein Theater mit Fluch. Und eine Geisterfotografin, die den Mordfall lösen muss, bevor der Vorhang fällt.

Alleinerziehende Mutter und widerwillige hellsichtige Hexe Liv Seven hat schon genug um die Ohren – zwei Kinder, ein Theaterprojekt in den Startlöchern und ein Geflecht aus magischen Familiengeheimnissen, das es zu entwirren gilt. Als die Hauptdarstellerin von Was ihr wollt während der Probe tot zusammenbricht, gehen in dem Cotswolds-Dorf Fairwyck auch noch Gerüchte über einen jahrhundertealten Theaterfluch um.

Doch Liv ist nicht überzeugt, dass es sich nur um Aberglauben handelt. Und als auf ihren Werbefotos eine geisterhafte Gestalt erscheint, weiß sie, dass etwas – oder jemand – gesehen werden will. Mit der Hilfe ihrer wiedergeborenen Großtante Ethel – jetzt eine ziemlich launische Katze –, ihrer intuitiven Kinder, exzentrischen Verwandten und treuen Freunden macht sie sich auf die Suche nach der Wahrheit.

Je näher die Premiere rückt und sich die »Unfälle« häufen, desto stärker wird Livs Gefühl, dass etwas Böses im Schatten lauert. Ihre Familie und ihr Theater geraten in Gefahr! Kann Liv die Magie in ihrem Blut und die Geister ihrer Vergangenheit annehmen, um sich selbst und ihre Liebsten rechtzeitig zu schützen?

SPUK IM RAMPENLICHT, Band 2 der GEISTERFOTOGRAFIN-Reihe, ist ein paranormaler Cozy-Krimi voller Humor, Spuk, Magie und der Kraft zweiter Chancen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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SPUK IM RAMPENLICHT

EIN GEISTERFOTOGRAFIN-KRIMI

BAND 2

FELICITY GREEN

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

Felicity Green

Spuk im Rampenlicht

Ein Geisterfotografin-Krimi

© Felicity Green, 1. Auflage 2025

www.felicitygreen.com

Veröffentlicht durch:

Felicity Green

Schlossbergstr. 1

79798 Jestetten

[email protected]

Umschlaggestaltung: Melody Simmons, bookcoversbymelody.com

Korrektorat: Wolma Krefting, bueropia.de

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden oder wurden fiktionalisiert. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

www.felicitygreen.com

KAPITELEINS

»Glaubst du, es spukt dort?« Esme klang besorgt.

Meine Freundin hatte kaum etwas von den Sandwiches angerührt, die ich für unser spontanes Treffen zum Mittagessen gemacht hatte. »Ich meine, ist es wirklich eine gute Idee, in ein Haus zu ziehen, in dem jemand ermordet wurde?«

Ich war besonders gut dafür qualifiziert, diese Frage zu beantworten – aber das wusste Esme nicht.

Ich legte mein Sandwich hin, schluckte und antwortete vorsichtig: »Kommt drauf an. Glaubst du an Geister?«

»Hmm. Ich weiß nicht, Liv. Ich habe noch nie welche gesehen, und ich bin nicht sicher, ob ich das anderen Leuten einfach so abnehme. Aber manche Orte haben zweifellos einen komischen … Vibe.«

»Und hast du ein unheimliches Gefühl bekommen, als du das Nachbarhäuschen betreten hast?«

Ich hatte Esme erzählt, dass vor Matilda Rutherfords Cottage ein »Zu vermieten«-Schild stand, weil ich wusste, dass es sie interessierte. Sie wollte unbedingt aus der winzigen Wohnung in Meckham ausziehen, in der sie mit ihrem Sohn Anthony lebte.

Ich hatte keinen Zweifel daran, dass Luther Martens, Matildas Bruder, der das Cottage vermietete, Esme einen guten Preis machen würde – immerhin war sie alleinerziehend. Und es wäre großartig, meine Freundin als Nachbarin zu haben.

Doch Esmes Bedenken waren berechtigt. Matilda war vor ein paar Wochen in ihrer Küche ermordet worden. Das würde viele davon abhalten, das Cottage zu ihrem neuen Zuhause zu machen.

»Nein«, sagte Esme nach kurzem Überlegen. »Ich hatte ein gutes Gefühl.«

»Na also«, sagte ich erleichtert.

Ich wusste ganz genau, dass Matilda weitergezogen war – schließlich hatte ich selbst dabei geholfen. Ich hätte meine Kamera nehmen, mit Esme hinübergehen und ihr beweisen können, dass sich im Cottage tatsächlich keine Geister mehr aufhielten.

Aber das wollte ich nicht, denn es würde eine Menge Erklärungen erfordern. Meine Freundschaft mit Esme war noch frisch. Ich wollte lieber etwas warten, bevor ich ihr von meinem besonderen Talent erzählte.

Mein Telefon klingelte erneut. Vorhin beim Broteschmieren hatte ich es ignoriert.

»Musst du rangehen?«, fragte Esme. »Klingt dringend. Vielleicht ist es die Schule deiner Kinder.«

Ich schaute auf das Display und runzelte die Stirn. »Nein, es ist schon wieder Ellie. Ich hoffe, es geht nicht um Jason.«

Meine Freundin und neue Geschäftspartnerin, Ellie Bullwart, hatte sich kürzlich von ihrem Mann getrennt. Soweit ich wusste, hatte Jason Fairwyck verlassen, nachdem er knapp einer Gefängnisstrafe wegen der Hassverbrechen entkommen war, die er unter anderem gegen mich und meine Verwandten begangen hatte. Er hatte Ellie für ihre Anteile an dem von ihnen gemeinsam betriebenen Pub ausbezahlt – also sollte sie eigentlich frei sein. Aber Jason hatte es sich schon einmal anders überlegt, und er war der Typ, der ein Nein nicht akzeptierte.

»Hast du was dagegen, wenn ich rangehe?« Ich hielt das Telefon hoch.

»Nein. Ich rufe in der Zwischenzeit Luther Martens an.«

Ich lächelte Esme zu und ging in den Wohnzimmerbereich meines kleinen Cottages, um den Anruf anzunehmen.

»Ellie? Alles in Ordnung?«

»Ja, jetzt, wo ich dich endlich erreiche.« Sie klang außer Atem. »Aber ich brauche dich sofort im Theater. Der Handwerker kann uns heute Nachmittag dazwischenschieben.«

»Ah, das ist gut, denke ich. Aber es ist schon sehr kurzfristig. Muss es unbedingt heute sein? Ich sollte eigentlich arbeiten und habe mir gerade erst eine lange Mittagspause gegönnt. Mittwoch ist mein freier Tag, wenn wir es also dahin verschieben könnten …«

»Nein, er kann nur heute Nachmittag. Sonst müssen wir mindestens eine Woche warten. Wir brauchen ihn wirklich dringend fürs Theater, so schnell wie möglich.« Ellie klang gestresst, und ich bekam ein schlechtes Gewissen.

Ich hatte mich gegen meine innere Stimme darauf eingelassen, mit Ellie eine geschäftliche Partnerschaft einzugehen. Angesichts der Lage, in die mein flüchtiger, krimineller Ehemann meine Kinder und mich gebracht hatte, konnte ich mich glücklich schätzen, das Cottage meiner Großtante Ethel in Fairwyck geerbt zu haben – und überhaupt einen Job zu haben. Judith Winters von Winters Letting Agency hatte mir einen riesigen Gefallen getan, als sie mich als Reinigungskraft einstellte, obwohl ich mit zweiundvierzig Jahren keinerlei Berufserfahrung vorweisen konnte. Ich brauchte ein stabiles Einkommen, um für meine Familie zu sorgen.

Ein neues Geschäft zu starten – das alte Fairwyck Theatre mit Bar und Café wiederzueröffnen – war in meiner aktuellen Lage eigentlich ein viel zu großes Risiko. Gleichzeitig klang es nach einem Traum, den ich heimlich seit zwanzig Jahren hegte. Seit ich mein bisher völlig nutzloses Studium in Kulturmanagement abgeschlossen hatte. Dass Ellie mich als Partnerin wollte, war eine Ehre. Vernünftigerweise hätte ich ihr Angebot aber ablehnen sollen.

Und genau das hatte ich zuerst auch getan. Doch Ellie war hartnäckig geblieben. Sie überzeugte mich, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis das Theater renoviert und eröffnet war. In der Zwischenzeit könnte ich ja weiter als Reinigungskraft arbeiten und dann nach und nach die Stunden reduzieren, bis das Theater genug Gewinn abwarf, um mich und die Kinder zu versorgen.

In der Theorie klang das alles vernünftig. Am Ende ließ ich mich überreden. Kaum war die Tinte auf unseren Geschäftsunterlagen trocken, nahm die Sache eine unerwartete Wendung: Eine renommierte Theatergruppe aus Cirencester suchte einen Veranstaltungsort. Wenn wir es schafften, das Theater rechtzeitig renoviert zu bekommen, wäre das ein Start, von dem wir beide nicht zu träumen gewagt hätten. Ellie war begeistert von dieser Chance. Ich dagegen wollte mich nicht zu früh freuen – es gab einfach zu viele »Wenns« in dieser Gleichung.

Ich selbst hatte das Theater noch nicht einmal von innen gesehen. Erst brauchten wir einen Handwerker, der einschätzte, wie viel Arbeit anstand. Das Fairwyck Theatre war in den Siebzigern geschlossen worden – aus gutem Grund. Ich musste davon ausgehen, dass die Unterhaltskosten damals schon zu hoch gewesen waren. Daher erschien es mir unrealistisch, dass wir das Gebäude in nur wenigen Monaten wieder auf Vordermann bringen könnten.

Trotzdem hatte Ellie recht: Wir brauchten diese Begutachtung, und zwar bald. Und eigentlich sollte ich dabei sein und mir das Theater selbst ansehen.

Genervt zerrte ich an meinem zerzausten Pferdeschwanz. Dies war unser erster Einsatz als Geschäftspartnerinnen – und schon kollidierten meine beiden Jobs.

»Ich versuche, es irgendwie einzurichten. Wann soll ich da sein?«

»Schaffst du es in zwanzig Minuten? Ich hole gerade die Schlüssel vom Hausmeister.«

Ich zwirbelte die Spitzen meiner langen, dunkelbraunen Haare um die Finger. »Zwanzig Minuten, ähm …«

»Super, bis gleich.«

»Ellie, ich weiß nicht, ob …« Aber sie hatte schon aufgelegt.

Etwas beklommen ging ich die zwei Schritte zurück in die Küche, wo Esme ihr Gespräch mit Luther Martens inzwischen beendet hatte.

»Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Ich konnte nicht anders, als ein bisschen mitzuhören …«

Mein Cottage war winzig. Unten gab es nur eine offene Wohnküche im Hüttenstil. Wenn ich wirklich ungestört telefonieren wollte, musste ich nach draußen. Also war Esme keineswegs neugierig gewesen. Ich winkte ab, erzählte ihr von Ellies Anruf – und setzte mein breitestes, hoffnungsvollstes Lächeln auf.

»Du könntest nicht zufällig für mich einspringen, oder?«

Esme war meine Kollegin bei WLA, und heute hatte sie eigentlich frei.

»Hmm. Ich warte noch auf den Rückruf von Luther. Er meinte eben, er hätte gleich Zeit und würde mir dann eine richtige Führung durchs Cottage geben und meine Fragen beantworten.«

Vorhin hatten wir nur kurz reingeschaut, weil ich wusste, wo der Ersatzschlüssel war.

»Oh, perfekt! Mein nächster Auftrag ist sowieso direkt nebenan – bei Phyllis Bishop.«

Meine Chefin, Judith Winters, hatte das Cottage von ihrer Tante geerbt und es dann für ihre Firma in eine Ferienwohnung verwandelt.

»Das wäre also praktisch«, setzte ich schnell nach, während ich die restlichen Sandwichzutaten wieder im Kühlschrank verstaute. »Du kannst einfach rausgehen, wenn Luther auftaucht.«

»Na gut. Dann helfe ich dir diesmal. Aber gewöhn dir das bloß nicht an.«

Erleichtert atmete ich aus und ließ mich wieder auf den Stuhl sinken. »Danke, danke, danke! Versprochen, das bleibt die Ausnahme. Ich weiß, dass ich dir da was aufbürde …«

»Darum geht’s nicht, Liv. Ich helfe dir gern. Aber Judith wird das nicht gefallen. Du weißt doch, wie organisiert und professionell sie ist. Sie setzt sich sehr für Frauen ein, keine Frage, und sie würde dich auch unterstützen. Aber wenn sie denkt, dass du durch dein Nebengeschäft unzuverlässig wirst, kündigt sie dir womöglich.«

Ein Knoten formte sich in meinem Magen. Ich verzog das Gesicht und schob mein halb aufgegessenes Sandwich auf dem Teller herum. »Ich weiß. Ich hab ihr noch gar nichts von dem neuen Geschäft erzählt.«

Esmes braune Augen wurden groß. »Liv! Das musst du ihr sagen. Du bist gesetzlich verpflichtet dazu.«

»Das habe ich auch vor. Am Mittwoch. Ich wollte nach Meckham fahren und sie in ihrem Büro treffen.«

Judith und ich waren etwas holprig gestartet, nachdem ich sie mehr oder weniger als Verdächtige in Matildas Mordfall ins Spiel gebracht hatte. Damals hatte sie fast schon beschlossen, mich zu feuern. Zu meiner Verteidigung: DI Farrow war fest entschlossen gewesen, mir den Mord anzuhängen, und ich musste unbedingt den wahren Täter finden. Trotzdem gebe ich zu, dass ich es nicht gerade geschickt anstellte. Inzwischen haben Judith und ich uns versöhnt, aber sie wirkt immer noch ein bisschen einschüchternd auf mich. Dieses Gespräch wollte ich deshalb lieber persönlich führen als übers Telefon.

»Ellie und ich haben zwar die Papiere unterschrieben, aber eigentlich sollte erst mal nichts passieren. Ellie hatte mir versprochen, dass es lange dauern würde, bis das Projekt richtig anläuft. Jetzt hat sich eine Chance ergeben, aber alles hängt davon ab, was der Handwerker sagt. Wenn wir es schaffen, das Theater bis Weihnachten fertig zu haben, geht’s richtig los. Wenn nicht, lassen wir uns wie geplant Zeit.«

»Warum bis Weihnachten?«, fragte Esme.

»Die Cirencester Curtain Callers brauchen ein Theater, um Was ihr wollt aufzuführen«, erklärte ich. »Premiere soll am fünften Januar sein.«

»Ah«, sagte Esme. »Klar, die zwölfte Nacht der Weihnachtszeit.«

»Genau. Die Schauspieler stehen bereit, um mit den Proben zu beginnen, aber im Cirencester Theatre ist eine Wasserleitung geplatzt. Die Bühne und der Zuschauerraum sind überflutet … dazu ein Elektrikschaden, sie müssen alles neu verkabeln und renovieren. Es gibt massive Schäden, und solange das Geld der Versicherung nicht fließt, können sie nicht einmal anfangen. Wenn also das Fairwyck Theatre rechtzeitig renoviert werden kann, verlegen sie die Aufführung hierher.«

Esme wirkte beeindruckt. »Wow, die Cirencester Curtain Callers. Die sind hier ziemlich bekannt. Und gut. Als ich gerade erst bei WLA angefangen hatte, schenkte Judith den Angestellten Karten für ihre Kindervorstellungen zu Weihnachten. Für Anthony und Chloe war das ein echtes Highlight, weil wir uns sowas nie leisten konnten. Chloe war zwar schon ein Teenager, aber sie fand es trotzdem toll. Ich auch. Mit so einer Produktion würde euer Geschäft einen fantastischen Start hinlegen.«

»Das meint Ellie auch.«

Esme nickte nachdenklich, zog das Haargummi von ihrem Handgelenk und band ihre langen, mit Perlen verzierten Zöpfe zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen.

Das erinnerte mich daran, selbst etwas an meiner Frisur zu machen. Ich war im Putz-Outfit unterwegs und hatte mir über mein Aussehen keine großen Gedanken gemacht. Also zog ich einen sauberen, dünnen Pulli über mein heiß geliebtes, schon ziemlich abgetragenes PINK-T-Shirt. Eine Bürste hatte ich nicht zur Hand, also strich ich mein Haar mit den Fingern glatt und band das Gummi neu. Das musste reichen. Den Handwerker musste ich schließlich nicht mit einer schicken Erscheinung beeindrucken.

Wieder einmal wurde mir bewusst, wie sehr sich mein Leben im letzten Jahr verändert hatte. Früher, als reiche Hausfrau in Connecticut, wäre ich nie so aus dem Haus gegangen. Trotz all der Verluste – Ehemann, Zuhause, Geld, Sicherheit – war das eine Veränderung, die ich von Herzen begrüßte. Locker und unkompliziert zu bleiben, fühlte sich viel mehr nach mir an.

»So toll es wäre, die Cirencester Curtain Callers hier in Fairwyck zu haben«, fuhr Esme fort, »hast du nicht gesagt, das Theater stand schon ewig leer? Ich kann mir kaum vorstellen, dass ihr es in sechs Monaten wieder flottkriegt. Und die Proben müssen doch viel früher starten, oder?«

»Ja. Aber sie haben schon eine Lösung dafür. Erinnerst du dich, dass Audrey neulich bei einer Kinder-Theatergruppe in Meckham angefangen hat? Die wird von einem gewissen Sir Richard Roundtree geleitet. Er ist ein reicher Aristokrat mit zu viel Freizeit und einer großen Liebe zum Theater. Er gehört auch den Cirencester Curtain Callers an. Daher weiß ich das alles. Richard meinte, die Gruppe könne in seinem Anwesen in Meckham proben, bis sie auf die Bühne müssen.«

»Natürlich kenne ich Sir Richard. Er ist hier eine richtige Legende.«

»Wie du sagst – und wie Ellie nicht müde wird zu betonen – es ist eine großartige Chance. Aber ich fühl mich nicht so wohl dabei. Es geht alles so schnell, und genau das wollte ich eigentlich nicht … Das wird mir noch eine Menge Probleme einbrocken.«

Esme zuckte mit den Schultern. »Kein Grund, dir jetzt schon den Kopf zu zerbrechen. Warte erst mal ab, was der Handwerker sagt.«

»Stimmt. Und jetzt muss ich los. Bitte iss dein Mittagessen noch auf.« Ich deutete auf ihren Teller und erklärte ihr schnell, was bei Phyllis Bishop erledigt werden musste. »Danke noch mal, dass du für mich einspringst. Du bist ein Schatz. Hoffentlich bin ich nicht zu lange weg und kann später übernehmen.«

»Kein Ding.« Esme biss herzhaft in ihr Sandwich.

Dankbar lächelte ich Esme zu und winkte zum Abschied.

Es war ein schöner Junitag, also brauchte ich keine Jacke. Meine Handtasche schnappte ich mir trotzdem – darin lag meine Nikon D40. Ohne sie verließ ich das Haus inzwischen nie mehr.

Und heute ging es in ein seit Jahrzehnten verlassenes Theater. Natürlich hatte ich mir fest vorgenommen, dort ein paar meiner »speziellen« Fotos zu machen.

Während ich zügig die Straße entlangging, fiel mir auf, dass ich die Viertelstunde mit Esme besser hätte nutzen sollen, um mir den Weg zum Theater anzuschauen. Ellie hatte mich an dem Tag, an dem wir unsere Partnerschaft offiziell machten, mit dem Auto hingefahren. Aber Fairwyck, dieses malerische Dorf in den Cotswolds, bestand aus vielen engen, kopfsteingepflasterten Gassen, in denen man sich leicht verlaufen konnte.

Ein Orientierungspunkt war der Bach, der durch den Ort floss. Ich erinnerte mich, dass das Theater direkt daran grenzte – und so fand ich schließlich die richtige Straße. Doch als ich ankam, war ich völlig außer Atem.

Vor mir lag die honigfarbene Backsteinfassade mit dem verblassten Schild Fairwyck Theatre in altertümlicher Schrift. Weder Ellie noch der Handwerker war zu sehen. Genervt, weil ich mich umsonst abgehetzt und ins Schwitzen gebracht hatte, zog ich mein Handy aus der Tasche.

Eine Nachricht von Ellie wartete: Sie wollte noch kurz etwas erledigen. Dazu hatte sie geschrieben: Die Tür ist offen. Du kannst schon mal reingehen.

Neugierig und in der Hoffnung, dass es drinnen angenehm kühl wäre, stieß ich die schweren Flügeltüren auf.

Im Foyer brannte Licht. Ellie musste es für mich angelassen haben.

Ich blieb stehen und staunte. Der kleine Raum war wunderschön. Klar, es roch muffig, und die roten Teppiche wie auch die Samtvorhänge waren ausgeblichen und verstaubt. Aber insgesamt wirkte es immer noch wie ein echtes Theaterfoyer. Ein hölzerner Kassenschalter aus dunklem Nussbaum, daneben eine Garderobe, an deren Haken noch nummerierte Garderobenmarken hingen. Links ein kleines, ebenfalls dunkles Holz-Buffet, rechts eine mit Teppich belegte Treppe, die hinauf zur Galerie führte. Das Geländer glänzte silbern.

Ein Traum von einem Theater – und kaum zu glauben, dass ich es bald leiten sollte. Die Vorfreude kribbelte in mir, und ich konnte es kaum erwarten, die Bühne zu sehen.

Mit angehaltenem Atem öffnete ich die Tür zum Zuschauerraum.

Doch in dem Moment, in dem ich eintrat, wich meine Euphorie blankem Entsetzen.

Das lag nicht am Zustand des Theaters. Viel erkennen konnte ich nicht, da nur ein paar Scheinwerfer auf das Podium gerichtet waren. Aber soweit ich sah, waren Zuschauerraum und Bühne in ziemlich gutem Zustand – weit entfernt von der Ruine, die ich erwartet hatte.

Nein – der Grund, warum sich plötzlich jeder Muskel in meinem Körper anspannte und mir die Luft wegblieb, war die überwältigende Energie in diesem Raum.

Eine deutlich spürbare Unruhe hing in der Luft – genau der »Vibe«, von dem Esme gesprochen hatte.

Ich wusste sofort, was hier los war. Leider hatte ich in letzter Zeit eine untrügliche Intuition für solche Dinge entwickelt.

Es gab für mich keinen Zweifel: In diesem Theater spukte es.

Langsam ging ich auf die Bühne zu, holte die Kamera aus meiner Tasche und hob sie an, um Fotos zu machen.

Ich sah nicht einmal auf das Display, sondern drückte immer wieder auf den Auslöser, unterbrach nur kurz, als ich die Treppe an der Seite der Bühne hinaufstieg.

Dann hörte ich ein Geräusch. Ich wirbelte herum.

Plötzlich war da ein lauter Krach – und eine Flüssigkeit spritzte über den Boden.

KAPITELZWEI

Zerbrochene Glasscherben lagen verstreut auf der Bühne. Der Inhalt der zersplitterten Flasche zischte kurz auf, bevor er zwischen den hölzernen Dielen versickerte.

»Oh Gott«, sagte ich zu Ellie, die wie versteinert dastand. »Es tut mir so leid. Ich hab dich nicht kommen hören, dann hat mich ein Geräusch erschreckt, und …«

»… du hast mir die Flasche aus der Hand geschlagen.« Ellie beendete meinen Satz und seufzte. »Mach dir nichts draus. Ich wollte eigentlich eine Flasche Champagner im Dorfladen besorgen, aber das Beste, was ich finden konnte, war dieser billige Sekt. Wahrscheinlich hätte er sowieso scheußlich geschmeckt.«

»Du wolltest Champagner holen, damit wir auf unsere Partnerschaft anstoßen können? Und weil wir beide zum ersten Mal das Theater von innen sehen?«, riet ich.

Ellie nickte. Ich fühlte mich gleich noch schlechter.

»Oh nein, jetzt hab ich’s ruiniert. Hoffentlich bringt das kein Unglück.« Mein Blick wanderte durch den Zuschauerraum. Ich wurde mir wieder der unheimlichen Atmosphäre bewusst und fröstelte.

»Ach was«, sagte Ellie. »Wenn überhaupt, dann bringt das Glück. Wir haben die Bühne getauft. Weißt du, so wie man Schiffe tauft.«

Ellies Optimismus war wie immer ansteckend.

»Stimmt, das soll die Fahrt segnen. Und einen solchen Segen können wir dringend gebrauchen. Aber Moment mal – machen die das nicht, wenn das Schiff seinen Namen bekommt?« Während ich sprach, hob ich die Kamera, um meine Bilder zu prüfen.

»Genau. Und das könnten wir heute auch machen – richtig offiziell, mit einer Taufe.« Ellie wirkte begeistert von der Idee. »Es hieß immer nur Fairwyck Theatre, aber wir könnten uns einen neuen Namen ausdenken. Damit es wirklich unser Theaterwird.«

Ich runzelte die Stirn und starrte auf das Foto im Display. »Geisterlicht«, murmelte ich.

»Ghost Light Theatre?«, überlegte Ellie laut. »Oh, das gefällt mir! Und es passt perfekt, wenn man bedenkt, was Seltsames passiert ist, als ich angekommen bin.« Sie verstummte und sah plötzlich verwirrt aus. »Moment mal – woher wusstest du das? Ich hab dir davon noch gar nichts erzählt.«

»Wovon?«, fragte ich abgelenkt und zoomte in das Bild hinein.

»Von dem Licht, das auf der Bühne brannte, als ich vorhin kam.«

»Wie bitte? Welches Licht? Nein, bei mir ist ein Licht auf den Fotos. Ich hatte gleich das Gefühl, dass es hier spukt – und da tauchte dieses Geisterlicht in meinen Bildern auf. Schau.«

Ich hielt Ellie die Kamera hin. Ihre Augen weiteten sich, und ich erkannte Angst darin.

»Das ist nicht möglich«, flüsterte sie.

Ihre Reaktion traf mich, und sofort ging ich in Verteidigungshaltung.

Ellie wusste von meinem übernatürlichen Talent. Noch bevor wir Geschäftspartnerinnen geworden waren, hatte ich ihr alles erzählt. Sie setzte großes Vertrauen in mich, und so ein wichtiger Teil von mir sollte kein Geheimnis zwischen uns sein.

Ich zeigte ihr sogar die Fotos von Matilda Rutherford – die, die ich nach ihrem Tod aufgenommen hatte. Darauf hatte Matildas Geist auf Hinweise gedeutet, die mich schließlich zu ihrem Mörder führten.

Ganz wohl war mir mit dieser Gabe nie gewesen, also war es ein großer Schritt für mich, jemanden in meine Bilder einzuweihen. Seit ich nach Fairwyck gezogen war, hatte ich einiges gelernt und mich weiterentwickelt. Doch besonders die Zeit als Hauptverdächtige im Mordfall, gepaart mit der Sorge, meiner Familie könnte die zweite Chance genommen werden, zwang mich, meine Fähigkeiten anzunehmen, die ich mein Leben lang verdrängt hatte.

Vor meiner Rückkehr nach Fairwyck hatte ich das letzte Mal mit acht Jahren etwas Übernatürliches auf meinen Fotos gesehen. Meine Mutter fand es heraus, sah, wie verstört ich war, und hatte mich weit weggebracht – über den Ozean in die USA. Sie wollte mich schützen, überzeugt davon, dass so viel Abstand wie möglich zu meinen Hexen-Verwandten – meinen Großtanten Ethel und Gina – das Beste für mich wäre.

Ethel war kürzlich gestorben und hatte mir ihr Cottage und ihre Kamera hinterlassen. So war ich wieder hier gelandet. Seitdem hatte ich den Kontakt zu Gina und ihrer Tochter Emerald aufgenommen. Beide halfen mir, mit meinen wiederkehrenden Kräften klarzukommen – und mit den sich entwickelnden Fähigkeiten meiner Kinder, Blake und Audrey.

Wenn ich mein Kamera-Talent als Werkzeug zur Kommunikation mit den Toten akzeptieren wollte, gehörte dazu, diesen Teil von mir mit wichtigen Menschen in meinem Leben zu teilen. Manche, wie Jamie Rees – der Mann, mit dem ich irgendwie zusammen war –, taten sich damit schwerer als andere.

Ellie dagegen war von Anfang an völlig offen gewesen und hatte mein Hexen-Erbe mit ihrer üblichen Begeisterungsfähigkeit akzeptiert.

Umso mehr überraschte es mich – und ehrlich gesagt, irritierte mich –, sie nun so verstört auf das Foto mit dem Geisterlicht starren zu sehen.

Es war doch nur ein Licht.

Normalerweise erschienen Geister auf meinen Fotos so, wie sie gestorben waren – wie Matilda. Diese Bilder hatte sich Ellie angeschaut, ohne mit der Wimper zu zucken. Hatte sie mir also doch nicht geglaubt? Vielleicht hatte sie sich insgeheim eingeredet, Matilda sei auf den Fotos noch am Leben gewesen. Aber warum tat sie dann so, als ob? Und warum überhaupt mit mir ins Geschäft einsteigen, wenn sie dachte, ich sei nicht ganz bei Verstand? Das ergab wenig Sinn.

Mein alter Bewältigungsmechanismus sprang an: beschwichtigen, die Wogen glätten. Ich schluckte meine Enttäuschung und Selbstzweifel hinunter.

»Ich meine nicht unbedingt Geisterlicht«, ruderte ich zurück. »Es ist einfach … irgendein Licht. Als ich klein war und meine ersten Fotos machte, sahen die Erscheinungen für mich so aus – Lichter, verschwommene Flecken, Formen … Aber das hier muss nicht unbedingt was Übernatürliches sein. Es könnte genauso gut eine optische Täuschung durch die Scheinwerfer sein …«

»Nein, nein, nein. Das war definitiv ein Geisterlicht«, fiel Ellie mir ins Wort. »Es stand hier vorhin. Aber ich hab’s ausgemacht und hinter den Vorhang gestellt. Kam mir wie eine Brandgefahr vor, also …«

»Moment, wovon redest du?«

Sie schilderte, dass sie beim Eintreffen ein Licht auf der Bühne gesehen hatte.

»Ein echtes Licht, keine Täuschung. Als ich näher ging, merkte ich, dass es aus einer altmodischen Gaslampe kam. Hier, ich zeig’s dir.«

Ellie ging über die Bühne und schlüpfte hinter den schwarzen Vorhang. Eine Staubwolke wirbelte auf. Neugierig folgte ich ihr schnell.

Sie hatte die Taschenlampen-App ihres Handys eingeschaltet – ohne die wäre es hinter der Bühne stockdunkel gewesen.

Vorsichtig hob ich die Lampe auf, auf die sie leuchtete. Sie sah aus, als stamme sie direkt aus einem alten Film – so eine Verfilmung eines Schauerromans, in der eine junge Heldin im Nachthemd durch ein Schloss schleicht, weil sie ein seltsames Geräusch gehört hat.

»Die stand auf der Bühne? Und brannte?«, fragte ich.

Ellie nickte.

»Dann muss kurz vor deiner Ankunft jemand hier gewesen sein und sie hingestellt haben. Wusste jemand, dass du kommst? Jemand, der noch einen Schlüssel hat?«

»Der Handwerker wusste es. Einen Schlüssel hat er nicht, aber er müsste gleich auftauchen. Ich hab meinen von Mr Perkins – er ist der Hausmeister des Theaters. Er hat dafür gesorgt, dass hier alles einigermaßen in Schuss bleibt, über die Jahre. Eigentlich sollte er keinen Schlüssel mehr haben, weil er ihn mir gegeben hat. Aber vielleicht hatte er mehrere oder Kopien gemacht«, überlegte Ellie laut. »Es ist auch möglich, dass noch andere alte Schlüssel im Umlauf sind, von früher, als das Theater noch in Betrieb war. Wir sollten die Schlösser wohl besser austauschen lassen.«

»Aber niemand hätte wissen können, dass du heute herkommst. Das Treffen mit dem Handwerker war ja ganz kurzfristig geplant. Und warum sollte überhaupt jemand die Lampe dort hinstellen?«, wunderte ich mich.

»Eben deshalb dachte ich, es wäre ein Geisterlicht.«

Ich runzelte die Stirn.

»Du kennst doch bestimmt die Theatertradition«, fuhr Ellie fort. »Dass man immer ein Licht auf der Bühne brennen lässt, selbst wenn das Theater leer steht?«

»Ach ja!« Mir fiel die kleine Anekdote wieder ein. Einer dieser typischen Theateraberglauben, die in Wirklichkeit aus praktischen Gründen entstanden waren. »Soll böse Geister fernhalten, aber eigentlich geht’s nur darum, dass niemand stolpert, wenn er zum Beleuchtungspult nach hinten muss. Heute würden wir das einfach eine Sicherheitsmaßnahme nennen.«

Ellie nickte eifrig. »Genau das hab ich mir auch gesagt. Jemand wusste bestimmt, dass wir kommen, und hat die Lampe angelassen, damit man sicher über die Bühne zur Beleuchtungskonsole kommt. Vielleicht Mr Perkins? Der Handwerker hat schon öfter für ihn hier gearbeitet – ich habe seine Nummer ja von Mr Perkins. Und Mr Perkins war in den sechziger und siebziger Jahren hier im Theater dabei. Er ist alt. Vielleicht denkt er gar nicht daran, dass heutzutage jeder ein Handy mit Licht hat.«

»Mag sein«, gab ich zu. »Aber ist er so alt, dass er auf eine Gaslampe zurückgreift? Er müsste doch wissen, dass das eine Brandgefahr ist, oder?«

Ellie zuckte mit den Schultern, während wir zurück auf die Bühne gingen.

»Um ehrlich zu sein«, sagte Ellie, merklich unsicher, ob sie ihre Gedanken überhaupt aussprechen sollte, »dachte ich, es könnte auch aus einem anderen Grund hier platziert worden sein. Du weißt schon, der abergläubische.«

»Um böse Geister fernzuhalten?«, fragte ich und ließ die unheimliche Stimmung wieder auf mich wirken, die mich vorhin so beunruhigt hatte. Stimmt – das Theater hätte es nötig. Aber woher wusste Ellie das?

»Oh, na ja … Man sagt doch, dass es hier spukt«, meinte sie betont gelassen.

»Wie bitte?«, fuhr ich sie scharf an. Ich konnte es fühlen – aber ich hörte zum ersten Mal davon, dass es eine allgemein bekannte Tatsache war.

Ellie winkte ab. »Jedes Theater hat mindestens eine Geistergeschichte, oder?«

»Aber welcher Geist soll hier umgehen?«, fragte ich, nun sehr neugierig.

»Es könnten viele sein …«

Ich hob eine Augenbraue.

»Man sagt, auf dem Theater lastet ein Fluch«, erklärte Ellie mit einer fast beschwichtigenden Stimme. Als ob das tröstlich sein sollte. Als wäre es besser, wenn gleich mehrere Geister hier ihr Unwesen trieben, anstatt nur ein einzelner harmloser.

»Ellie.«

»Na gut, na gut. Es gab im Laufe der Jahre eine Reihe ungeklärter Todesfälle.«

Ich atmete erleichtert aus. »Das ist nichts Ungewöhnliches. In Theatern passieren viele Unfälle. Und früher wussten die Leute oft nicht einmal die genaue Todesursache.«

Ellie wiegte den Kopf hin und her. »Tja … diese Todesfälle folgten einem seltsamen Muster …«

»Ellie! Raus mit der Sprache. Sofort.«

»Es war immer die Hauptdarstellerin. Am Premierenabend.« Schließlich gestand sie es und sah dabei auch noch reumütig aus.

Ich starrte sie nur ungläubig an.

»Das letzte Mal war 1975«, fuhr sie fort. »Die Hauptdarstellerin, die damals auf der Bühne starb, war eine beliebte Dorfbewohnerin – Maud Marckle. Ganz Fairwyck war schockiert und in Trauer. Das war der Grund, warum das Theater geschlossen wurde.«

Endlich fand ich Worte. »Und du hältst es für eine gute Idee, ein Theater wiederzueröffnen, auf dem ein Fluch liegt? Und hast vergessen, mir gegenüber als deiner Geschäftspartnerin dieses kleine Detail zu erwähnen? Denkst du nicht, das könnte das Geschäft beeinträchtigen?«

»Ach komm schon. Das muss doch Zufall gewesen sein. Glaubst du wirklich an Flüche? Wie du selbst gesagt hast – wenn Menschen keine Erklärung haben, erfinden sie Aberglauben.« Sie breitete die Arme aus und ihre Augen glänzten vor Begeisterung. »Schau dir dieses wunderschöne Theater an. Es wäre eine Schande, es verfallen zu lassen. Stell dir vor, was wir daraus machen könnten.«

»Es ist tatsächlich ein Traum von einem Theater«, gab ich widerwillig zu. »Aber was, wenn sich die Dorfbewohner an die Gerüchte über den Fluch erinnern und sich nicht hertrauen?«

»Vielleicht finden sie genau das spannend. Könnte sogar gut fürs Geschäft sein.« Ellie schenkte mir ein schelmisches Lächeln.

Ich seufzte und gestand ihr diesen Punkt zu. Die Leute fühlten sich von Dramen angezogen, auch wenn es düster oder unangebracht war. Deshalb fuhren Autos bei Unfällen langsamer. Wir könnten am Ende sogar mehr Tickets verkaufen, wenn die Leute dachten, während unserer Aufführungen würde etwas Schreckliches passieren.

»Jedenfalls – mit einer renommierten Theatergruppe wie den Curtain Callers werden die Leute aus der ganzen Umgebung Eintrittskarten kaufen«, fuhr Ellie fort. »Die wissen doch nichts von dem Fluch. Damit hätten wir uns einen Namen gemacht, und wir müssten uns um all das keine Sorgen machen.«

»Da hast du vielleicht recht«, räumte ich ein. »Andererseits …« Ich ließ meinen Blick wieder durch den Saal schweifen und unterdrückte ein Frösteln. »Ob es den Fluch gibt oder nicht, weiß ich nicht. Aber eins kann ich dir sagen: In diesem Theater spukt es definitiv. Ich spüre es.«

»Aber findest du, dass das etwas Schlechtes ist?«, fragte Ellie. »Geister haben doch nicht immer schlechte Absichten, oder? Wir müssen keine Angst vor ihnen haben.«

Erleichtert stellte ich fest, dass Ellie mein Gespür und meine Gabe doch noch ernst nahm.

»Nein«, sagte ich. »Auch wenn es anfangs so wirkt, ist es meistens ein Hilferuf. Geister wollen, dass etwas gelöst wird – dann können sie weiterziehen. Ich hab nur begrenzte Erfahrung, aber das ist, woran ich glaube.«

»Perfekt! Dann könntest du im Notfall auch negativen Geistern helfen.« Ellie deutete auf meine Kamera. »Und was das Geisterlicht angeht … also das auf deinen Fotos – es hat mich an das echte erinnert. Das, das für Sicherheit sorgen und böse Geister fernhalten soll.«

Ich schaltete meine Kamera wieder ein und betrachtete das Bild auf dem Display.

In diesem Theater war definitiv etwas im Gange. Aber vielleicht hatte Ellie recht – vielleicht wollte dieser Geist uns gar nichts Böses. Vielleicht wollte er uns sogar helfen.

Ich nickte.

»Großartig!« Ellie grinste. »Er kann unser Glücksbringer sein. Eine positive Energie im Theater. Vielleicht sollten wir das Theater tatsächlich nach ihm benennen – Ghost Light Theatre. Klingt doch super.«

»Ja, warum nicht?«, sagte ich und stellte überrascht fest, dass mir die Idee tatsächlich gefiel. Vielleicht mussten Geister nicht immer bedrohlich sein oder Probleme machen.

Und ich wollte das unbedingt glauben.

Es wäre schrecklich, wenn mir ausgerechnet etwas so Lästiges wie ein Fluch im Weg stünde – jetzt, wo ich mir meinen Traum vom eigenen Theater erfüllen wollte.

* * *

Eine Stunde später, nach einem Rundgang mit dem Handwerker, hatten wir das ganze Gebäude gesehen – und fühlten uns beide bestärkt in unserem Vorhaben. Der Handwerker versicherte uns, dass die Renovierung innerhalb von sechs Monaten machbar wäre, vorausgesetzt, wir bekämen rechtzeitig neue Theatersitze. Die alten neu zu polstern wäre teurer. Außerdem müssten wir unbedingt einen Elektriker engagieren, um alles zu modernisieren und die Sicherheitschecks abnehmen zu lassen.

Nachdem der Handwerker gegangen war, musste ich Ellies Begeisterung ein wenig bremsen. »Es sieht so aus, als wäre es theoretisch möglich, das alles zu schaffen. Aber es hängt noch viel Bürokratisches dran. Wir müssen die Sicherheitsüberprüfung beantragen und am besten vorher herausfinden, was nötig ist, um sie zu bestehen. Und Genehmigungen brauchen wir auch.«

»Ich weiß, ich weiß, das regeln wir schon«, fiel Ellie mir ins Wort.

»Es ist eine Menge Arbeit, und ich weiß nicht, ob ich das schaffe – mit meinem Job bei WLA und den Kindern.«

»Darum kümmere ich mich. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich habe nichts als Zeit – bin so frei wie ein Vogel.«

»Bist du sicher? Wären diese ganzen Verwaltungsdinge nicht eher mein Bereich? Eigentlich solltest du doch Bar und Café übernehmen …«

Ellie winkte ab. »Den Gastro-Teil müssen wir erst mal verschieben. Das kriegen wir bis zur Aufführung sowieso nicht hin. Ich will das Nachbargebäude dafür anmieten, aber da stehen noch weitere Renovierungsarbeiten an und tausend andere Dinge. Wir konzentrieren uns jetzt lieber aufs Theater – und verkaufen in der Pause einfach Getränke und Snacks im Foyer.«

»Oh ja, das klingt nach einer guten Idee.« Ich war erleichtert, Ellie so pragmatisch zu erleben, auch wenn ich wusste, dass sie viele tolle Pläne für das Café hatte.

»Also – wenn du dich um Instandsetzung, den Papierkram und all das kümmerst … dann kann ich später bei Marketing und Ticketverkauf einsteigen. Ich muss Judith informieren, und sie möchte vielleicht noch eine Teilzeitkraft einstellen, falls ich Stunden reduziere. Realistisch gesehen könnte ich ab Ende des Sommers mehr übernehmen.«

»Genau richtig, um die Eröffnung vorzubereiten. Bis dahin lasse ich jemanden eine Website mit Ticketsystem aufsetzen. Ich binde dich ein, damit wir beim Branding und allem auf einer Linie sind.«

»Okay, ja, du hast recht – das muss alles so schnell wie möglich stehen.« Schon wieder bekam ich Bauchweh bei dem Gedanken. Ellie schien den Überblick zu haben, was alles nötig war – aber es war verdammt viel in so kurzer Zeit.

»Ich kenne jemanden, der die Website machen kann, und ich hab ihn schon gefragt. Wenn er von mir grünes Licht bekommt, behandelt er uns als Prioritätskunden.«

Ich seufzte. »Klingt, als hättest du an alles gedacht. Aber Ellie … das wird teuer. Und wir müssen das Geld sehr schnell auftreiben, um alles zu finanzieren. Können wir uns das leisten?«

»Kein Problem – das hab ich im Griff.«

»Gut, denn das ist, was mir am meisten Sorgen macht. Wenn wir keinen finanziellen Erfolg haben, kann ich das nicht durchziehen.« Mir war klar, dass ich gerade super pessimistisch klang, aber ich war ein gebranntes Kind, was das anging.

In den USA hatten wir weit über unsere Verhältnisse gelebt. Ich hatte es damals nicht gewusst, aber mein Mann Steven hatte sich überall Geld zusammengeborgt, Kredite aufgenommen – alles, um ein Schneeballsystem zu finanzieren. Dann war er mit den erschwindelten Geldern abgehauen – und mit seiner Sekretärin. Mich hatte er mit den Schulden zurückgelassen. Ich musste die Konsequenzen seiner Taten tragen, ohne eine Ahnung zu haben, wie ich für mich und die Kinder sorgen sollte.

Das FBI hatte mich für seine Komplizin gehalten, aber mein einziges »Verbrechen« war gewesen, den Kopf in den Sand zu stecken.

Ich hatte mir geschworen, so etwas nie wieder zuzulassen.

»Ich weiß, Liv.« Ellie legte mir die Hände auf die Schultern und sah mich ernst an. »Vertrau mir. Du musst dir keine Sorgen machen.«

»Dann …« In mir stieg Aufregung wie ein Prickeln auf, und meine Lippen formten ein Lächeln. »Dann ziehen wir das durch?«

»Wir ziehen es durch!« Ellie hüpfte auf und ab, warf einen Blick auf die zerschmetterte Flasche am Bühnenboden und verzog das Gesicht. »Ach, jetzt hätten wir den Sekt doch brauchen können, um anzustoßen.«

»Moment.« Ich zog meine Wasserflasche aus der Tasche. »Es ist nicht dasselbe, und irgendwann holen wir es mit echtem Sekt nach – aber zur Not reicht das.«

»Aha!« Ellie griff in ihre Tasche und zog triumphierend Plastiksektgläser hervor. »Die hab ich im Laden auch gleich mitgenommen.«

Wir füllten die Gläser mit Wasser und stießen an.

»Auf das Ghost Light Theatre«, sagte Ellie.

Ein nervöses Flattern in meinem Bauch dämpfte meine Freude ein wenig. Sollten wir ein verfluchtes Theater wirklich so nennen? War das nicht, als würde man das Schicksal herausfordern?

Aber es war ein guter Name. Und wir hatten uns schon darauf geeinigt, dass der Geist ein freundlicher war, der auf uns aufpasste.

Es war eine schöne Art, ihn zu ehren.

»Auf das Ghost Light Theatre!«

KAPITELDREI

Ethel die Katze litt ganz offensichtlich an einem schweren Fall von Tristesse.

»Alles in Ordnung mit dir?«, flüsterte ich und strich durch ihr weiches, orangefarbenes Fell. Sie öffnete die Augen nur einen Spalt.

Ich ließ sie auf dem Sessel zurück, setzte mich mit meinem Stapel Bücher und dem Notizheft aufs Sofa und klopfte auf meinen Schoß, um sie zu mir zu locken. Eigentlich wollte ich vor dem Schlafengehen noch ein bisschen lernen. Aber für eine Kuschelpause mit der Katze hätte ich mir Zeit genommen.

Ethel ignorierte mich jedoch.

Seufzend starrte ich sie an und kaute dabei auf meiner Lippe.

In letzter Zeit lag Ethel nur noch lustlos herum. Ihr Appetit hatte nachgelassen, und sie rührte nichts mehr an außer dem teuersten Thunfisch. Ich hoffte inständig, dass das keine Anzeichen einer aufkommenden Depression waren.

Vielleicht lag es an der Hitze. Für September in England war es immer noch ungewöhnlich warm. Und Katzen schliefen ja bekanntlich ohnehin viel.

Aber Ethel war mehr als eine Katze. Sie war außerdem die Reinkarnation meiner Großtante – jener Tante, die mir das Cottage vermacht hatte.

Natürlich hatte ich eine Weile gebraucht, mich an diesen Gedanken zu gewöhnen, auch wenn es von Anfang an Hinweise gegeben hatte. Die Katze war erst nach Ethels Tod im Cottage aufgetaucht. Sie sah Ethel sogar ähnlich, denn die hatte einen sogenannten Mallen-Streifen, eine weiße Strähne in ihrem ansonsten roten Haar gehabt. Ethel die Katze hatte denselben Fellton – und ein weißes Büschel hinter dem Ohr.

Damals, bei der Aufklärung des Mordes an meiner Nachbarin, hatte Ethel mich auf Spuren hingewiesen. Später, als meine Tochter Audrey den Mut gefunden hatte, ihre besondere Gabe – mit Tieren zu sprechen – zuzugeben, hatte die Katze uns sogar Dinge erzählt. Ethel hatte geholfen, denjenigen zu finden, der für die Tode von Matilda Rutherford und Phyllis Bishop verantwortlich war. Die beiden Nachbarinnen waren Ethels beste Freundinnen gewesen.

Und selbst wenn sie jetzt »nur« eine Katze war – man konnte deutlich sehen, wie schwer es Ethel gefallen war, bei der Gedenkfeier in unserem Garten vor ein paar Monaten von ihren alten Freundinnen Abschied zu nehmen.

Vielleicht war das auch ein Grund für ihren jetzigen Zustand.

So verrückt das alles auch klang – sobald ich mich daran gewöhnt hatte, war ich überglücklich, dass Ethel als Vertraute zurückgekehrt war. Ich war unendlich dankbar, noch einmal die Chance bekommen zu haben, ihr nah zu sein.

Ethel war meine Patentante gewesen und eine besondere Bezugsperson in meiner Kindheit, aber diese Erinnerungen hatte ich verdrängt – zusammen mit allem, was in den ersten acht Jahren meines Lebens geschehen war. An meine Zeit in Fairwyck erinnerte ich mich kaum. Mit dem plötzlichen Umzug in die USA war die Verbindung zu meinen Verwandten abgerissen. Ethel hatte den Wunsch meiner Mutter respektiert und keinen Kontakt erzwungen.

Heute bereute ich, sie zu ihren Lebzeiten nicht besser kennengelernt zu haben. Abgesehen davon, dass ich inzwischen wieder lernte, enge Beziehungen zu meinen Verwandten – wie Gina und Emerald – zu schätzen, hatte ich das starke Gefühl, dass meine Großtante mir viel hätte beibringen können. Zum Beispiel über die magischen Fähigkeiten der Seven-Frauen.

Laut Gina hatte Ethel keine übernatürliche Gabe – manchmal wurde eine Generation übersprungen. Aber Gina vermutete, Ethel habe eine mächtige Fähigkeit geheim gehalten. Warum hätte sie das tun sollen? Und hing es tatsächlich mit dem Cottage zusammen, das seit Generationen im Besitz der Seven-Frauen war, wie Gina meinte?

Ich brannte darauf, es herauszufinden – und vielleicht würde mir der erneute Kontakt zu Ethel Antworten liefern.

Das Problem war nur: Ethel war eben auch eine gewöhnliche Katze.

Sie war nicht einfach meine Großtante im Katzenkörper, mit deren Gehirn, Erinnerungen und klaren Gedanken. Laut Audrey war sie eine Katze, die manchmal Ethels Bewusstsein besaß.

Ohne Audrey konnte ich nie sicher sein, in welchem Zustand Ethel gerade war. Das war frustrierend – vor allem, weil ich mir zunehmend Sorgen um sie machte.

Zum Glück würde Audrey in ein paar Tagen wieder zu Hause sein. Dann könnte sie etwas Licht in Ethels Situation bringen. Außerdem war Audreys Abwesenheit wahrscheinlich ein wichtiger Grund für Ethels Antriebslosigkeit. Meine Tochter war schon seit drei Wochen fort.

Audrey hielt sich in einem Theatercamp auf, und auch wenn ich sie fast genauso sehr vermisste wie Ethel, war ich insgeheim ein wenig erleichtert. In den letzten Monaten war ich unglaublich beschäftigt gewesen, und Audrey hätte sich in den Schulferien zweifellos gelangweilt. Das hätte noch mütterliche Schuldgefühle auf all die Dinge gehäuft, für die ich mich ohnehin schon schuldig fühlte.

Ich hatte mich ein paarmal krankmelden müssen oder Ellie im Stich gelassen, wenn sich meine beiden Jobs zeitlich überschnitten. Ellie hatte zwar Wort gehalten und den Großteil der Verwaltung und die geschäftlichen Dinge übernommen, aber ich wollte sie zumindest im Marketing ein wenig entlasten. Ich hatte eng mit dem Webdesigner zusammengearbeitet und viele Entscheidungen über Branding, Werbemaßnahmen und Ticketverkauf getroffen. Mein Studium im Kulturmanagement mit Marketing-Nebenfach lag ewig zurück, und mir war klar geworden, dass ich mir alles neu erarbeiten musste.

Meine Cousine Emerald hatte mir geholfen, indem sie mir Bücher aus der Bibliothek besorgte, die sie leitete. Mit ihrem übernatürlichen Gespür für Bücher wusste sie immer genau, was ich brauchte. Das bedeutete tolle Ressourcen, aber auch viele Abende, die ich mit dem Pauken zubringen musste.

Ich redete mir ein, dass ich nicht völlig egoistisch war, was Audreys Abwesenheit betraf. Unseren Telefonaten nach zu urteilen, liebte sie das Theatercamp. Und ich hatte von Anfang an gewusst, dass es ihr guttun würde.

Sie hatte es in der Schule schwergehabt, Freunde zu finden – nach all den Jahren auf einer teuren Privatschule in den USA, wo sie sich falsche Werte angeeignet hatte. An einer öffentlichen Schule mit Klassenkameraden, die in ihren Augen einen niedrigeren sozialen Status hatten, wollte sie sich lange nicht anpassen.

Gut, zugegeben – Steven und ich hatten mit unserem Lebensstil durchaus unseren Anteil daran, dass sie ein verwöhntes Gör war.

Aber Audrey hatte in kurzer Zeit enorme Fortschritte gemacht, seit sie sich Sir Richard Roundtrees Kindertheatergruppe in Meckham angeschlossen hatte. Dort blühte sie regelrecht auf. Viele der Kinder aus dieser Gruppe hatten sich schon vor Audreys Eintritt fürs Theatercamp angemeldet, und eigentlich hätte ich es mir kaum leisten können. Aber alle wollten, dass Audrey dabei war, also hatten sie mit einer Benefizaufführung Geld gesammelt.

Die alte Audrey hätte die Nase gerümpft, als »Wohltätigkeitsfall« zu gelten. Aber meine Tochter war unglaublich dankbar gewesen und hatte die Unterstützung wertgeschätzt.

Also wusste ich, dass Audrey glücklich war, wo sie gerade war – aber wir vermissten sie alle. Nun ja, zumindest Ethel und ich.

Mein anderes Kind, Blake, war kaum zu Hause. Ich war mir nicht sicher, ob Blake überhaupt bemerkte, dass Audrey fehlte.

Esme war ins Nachbarhaus gezogen, und ihr Sohn Anthony war genauso alt wie Blake – fünfzehn. Die beiden waren sofort Freunde geworden.

Obwohl Blake ein introvertiertes Kind war, hatte sie sich erstaunlich gut in der Schule eingelebt. Noch erstaunlicher, weil Blake sich erst nach unserem Umzug nach England – und nachdem ich sie bereits an einer Mädchenschule angemeldet hatte – als nonbinär geoutet hatte.

Ihre eigene Identität so anzunehmen – obgleich sie noch auf Pronomen-Suche war, weil ihr keine Option richtig gefiel – hatte Blake unglaublich gutgetan. Ihre Mitschülerinnen sahen sie inzwischen sogar als Vorbild. Trotzdem hatte Blake keine tiefere Bindung zu jemandem in der Schule aufgebaut, und ich war überglücklich gewesen, als sie mit Anthony »gevibt« hatte, wie sie es nannte.

Esmes Sohn war ebenfalls künstlerisch begabt – genau wie Blake. Naja … nicht genau wie Blake. Beide liebten das Zeichnen, aber Blakes besondere Gabe bestand darin, zeichnen zu können, was sie in den Köpfen anderer sah.

Vor Kurzem hatte sie Anthony anvertraut, dass sie dieses Talent besaß – etwas, das viele unheimlich gefunden hätten. Aber er behandelte sie deswegen nicht anders. Offenbar hatte der wortkarge Junge nur mit einem »Cool« reagiert.

Blake hatte eine gewisse Art, andere mit ihrem Mut zu inspirieren. So hatte ich dann auch Esme von meiner Hexen-Familie und meinen besonderen Fähigkeiten erzählt. Anfangs dachte sie, ich würde sie auf den Arm nehmen, und ich fürchtete schon, einen großen Fehler gemacht zu haben. Doch nachdem sie darüber nachgedacht und mit Anthony gesprochen hatte, reagierte sie wie ihr Sohn und versicherte mir, mein »Superpower-Geheimnis« sei bei ihr sicher. Das war eine ungeheure Erleichterung gewesen.

Wenn Blake nicht gerade mit Anthony abhing, half sie im Theater mit. Es war eine Art informelles Praktikum, weil sie Interesse an Bühnenbild-Gestaltung geäußert hatte. Da die Cirencester Curtain Callers nun so regelmäßig wie möglich im Theater probten, trotz der Bauarbeiten, waren sowohl Szenenbildwerkstatt als auch Kostümabteilung dort eingerichtet. Blake assistierte der Bühnenbildnerin, einer jungen Frau namens Scarlett Khan.

Der Gedanke an die Theaterkulissen veranlasste mich, meine Bücher auf den Tisch zu legen und meinen Laptop zu holen.

Ich hatte mir geschworen, an diesem Abend nicht mehr zu arbeiten – höchstens ein bisschen zu lernen – und auf keinen Fall den Bildschirm einzuschalten. Aber ich konnte nicht widerstehen. Ich war immer noch voller Energie, weil die erste Probe mit Bühnenaufbau und in Kostümen für Werbezwecke heute Abend so aufregend gewesen war.

Ich könnte Ethel die Fotos zeigen. Wenn sie nicht gerade im »Katzenmodus« war, würden sie sie vielleicht interessieren.

Ich setzte mich wieder aufs Sofa, klappte den Laptop auf und redete nebenbei mit ihr.

»Ich habe Fotos gemacht, die wir für Werbung nutzen können. Bei Proben war ich ja schon öfter dabei, aber es war großartig, diesmal alle in Kostümen zu sehen. Und im Theater! Der Zuschauerraum ist zwar noch nicht fertig, die neuen Sitze sind noch nicht da, aber die Bühne sieht klasse aus mit den neuen, glänzenden Brettern. Die Schauspieler proben jetzt seit ungefähr einer Woche im Theater, und bisher gab es keine Spukereignisse. Ich fange an zu glauben, dass an dem angeblichen Fluch gar nichts dran ist. Nur ein abergläubisches Gerücht.«

Anscheinend hatte ich Ethels Aufmerksamkeit geweckt. Ihre bernsteinfarbenen Augen öffneten sich.

»Die Fotos sind hier auf dem Computer. Willst du sie sehen?«

Ich klopfte aufs Sofa – und tatsächlich, Ethel bewegte sich. Sie streckte den Rücken durch, sprang dann auf den Boden und schlenderte langsam zum Sofa.

»Na also!«, sagte ich zufrieden, als sie sich neben mich setzte und neugierig auf den Bildschirm spähte.

Ich kraulte sie am Kinn, aber sie schnurrte nicht. Stattdessen bewegte sie den Kopf, als wollte sie sagen: Weg da, lass mich gucken.

»Schon gut«, sagte ich. »Hier haben wir ein Bild von Maddy Page, sie spielt Viola – oder Cesario, wie sich die junge Frau im Stück nennt. Viola und ihr Bruder Sebastian erleiden beinahe Schiffbruch. Viola glaubt, Sebastian habe nicht überlebt. Gestrandet in Illyrien gibt sie sich als Cesario aus, verkleidet als ihr Bruder, und tritt in den Dienst von Herzog Orsino. Das ist dieser hier.«

Ich zeigte auf den Bildschirm. »Der Schauspieler heißt Christopher Mwambo. Hübsch, nicht wahr? Sieht aus wie Idris Elba, findest du nicht? Ensemble und Crew scheinen jedenfalls sehr angetan von ihm zu sein – wenn du ein bisschen Klatsch verträgst, Tante Ethel. Ich habe gehört, dass Scarlett Khans Schwester Yasmine, die als Zweitbesetzung einspringt, ein Auge auf ihn geworfen hat. Aber auch Victoria King, die Olivia spielt, hat Interesse bekundet – und sie bekommt normalerweise, was sie will.

In Was ihr wollt ist Olivia Orsinos große Liebe, aber im Stück findet sie eindeutig keinen Gefallen an ihm. Sie trauert und hat Männern für sieben Jahre abgeschworen. Dann schickt Orsino Cesario zu ihr, um in seinem Namen um sie zu werben – und sie verliebt sich in ihn …«

Ethel unterbrach mich mit einem lauten Miauen.

»Nicht interessiert? Okay, dann ist es dir entweder egal, wer mit wem hinter der Bühne anbändelt, oder du kennst das Stück längst und brauchst keine Zusammenfassung. Wahrscheinlich beides. Wollen wir uns dann die anderen Bilder ansehen?«

Ich klickte weiter, erwähnte noch kurz die Schauspieler und ihre Rollen, hielt mich aber mit Kommentaren zurück.

Ethel starrte gebannt auf den Bildschirm.

Gerade als ich weiterblättern wollte, streckte sie eine Pfote aus und maunzte.

»Was? Hast du etwas Interessantes gesehen?«

Sie miaute noch einmal – und ich hätte schwören können, es sah fast wie ein Nicken aus.

»Mal sehen, wen haben wir hier? Dieser rundliche Kerl mit den roten Augen und den Hängebacken ist Gerald Frye. Er spielt Sir Toby Belch und ist definitiv eine passende Besetzung. Er riecht immer nach Alkohol. Und wer steht da hinter ihm? Das muss Feste sein, der Narr …«

Ethel miaute wieder – und diesmal bewegte sie den Kopf so, als würde sie ihn schütteln.

Ich blinzelte, dann sah ich genauer hin und murmelte: »Was willst du mir sagen?«

Die Gestalt im Bild hatte etwas Schelmisches, ganz wie der Narr. Aber plötzlich fiel mir auf, dass sie anders gekleidet war.

Die Schauspieler trugen keine elisabethanischen Kostüme. Der Regisseur, Nigel Burbage, hatte sich für eine andere Interpretation entschieden. Angelehnt an Shakespeares Verwendung von Themen aus der griechischen Mythologie in seinen Stücken wirkten die Kostüme klassischer – wie aus einer antiken Tragödie.

Das galt auch für Feste. Statt der traditionellen Narrenkappe trug er ein Hermes-Kostüm – der Gott des Schabernacks, des Witzes und der List – komplett mit geflügelten Schuhen und Federhut.

Aber die Person auf dem Foto?

Sie trug eine schlichte grüne Mütze ohne Federn und ein dazu passendes grünes Gewand. Das erinnerte eher an den Kobold Puck aus Ein Sommernachtstraum.

Ich war überrascht, dass mir der Unterschied nicht sofort aufgefallen war – aber die Gestalt stand im Hintergrund.

Ihr Gesicht war jedoch zu erkennen – mit einem frechen Grinsen. Und es war das Gesicht eines Mannes.

Was seltsam war.

In dieser Inszenierung von Was ihr wollt wurde Feste von einer Frau gespielt – Tamara Gordon, einer angesehenen und ziemlich berühmten Theaterschauspielerin.

»Den kenne ich nicht«, murmelte ich. »Und ich erinnere mich nicht, ihn auf der Bühne gesehen zu haben.«

Ethel miaute erneut und rieb ihren Kopf an meiner Hand, als wollte sie mir bedeuten, dass ich auf der richtigen Spur war.

Ich klickte weiter durch die Fotos.

Die Puck-ähnliche Figur tauchte in mehreren Bildern auf.

Je länger ich hinsah, desto sicherer war ich: Das war weder ein Mitglied des Ensembles noch der Crew.

Und er war definitiv nicht da gewesen, als ich die Bilder gemacht hatte.

Es gab nur eine Erklärung.

Und als ich zum letzten Foto kam, wusste ich, dass ich mit meinem Verdacht richtig lag.

Der junge Mann stand im Hintergrund, versteckt hinter einer Bühne voller Schauspieler, hielt eine altmodische Gaslampe hoch und grinste direkt in die Kamera.

Ich beugte mich vor und sagte leise: »Hallo. Du musst unser Geisterlicht-Geist sein. Aber wer bist du?«

KAPITELVIER

Als ich Ellie am nächsten Tag anrief, um ihr mitzuteilen, dass die Werbefotos wegen des Geistes darauf unbrauchbar waren, reagierte sie eher aufgeregt als besorgt.

»Also ist er unser Glücksbringer? Er ist während der Proben auf der Bühne erschienen? Das muss doch ein gutes Zeichen sein, oder?«

»Ich weiß nicht …«, sagte ich. »Was, wenn er das Stück stört?«

Nun klang auch Ellie unsicher. »Können Geister das überhaupt? Das ist doch selten, oder? Müssten sie dafür nicht so eine Art böser Poltergeist sein? Und ich glaube nicht, dass er einer ist«, fügte sie optimistisch hinzu.

»Das ist für mich auch ziemlich neu, ich bin keine Expertin«, gab ich zu. »Aber er hat die Lampe bewegt. Wir wissen also, dass er dazu in der Lage ist.«

»Stimmt, aber es sah so aus, als wollte er uns helfen. Er hat bisher nirgendwo eingegriffen, also bin ich sicher, dass alles gutgehen wird.«

Ich wollte nicht schon wieder die ewige Schwarzseherin sein – diese Rolle spielte ich in unserer Partnerschaft ohnehin schon zu oft.

Ellie war Optimistin durch und durch. Sonnig, innen wie außen, mit einer Krone aus blondem Haar und einer Vorliebe für flatternde gelbe Kleider. Sie war trotzdem fleißig und in vielerlei Hinsicht praktisch veranlagt, aber oft hatte ich das Gefühl, ich müsste sie auf den Boden der Tatsachen zurückholen und ihr zu mehr Realismus verhelfen.

Das schien sie nicht zu stören – meistens nahm sie meine Bedenken einfach auf –, aber für mich bedeutete es, dass ich mich oft wie die Spaßbremse in unserem Duo fühlte.

Ich wünschte, ich könnte immer noch so unbeschwert und herrlich ahnungslos gegenüber möglichen Katastrophen sein wie früher. So hatte ich einmal gelebt. Aber ich hatte auf die harte Tour gelernt, dass es nichts brachte, mir die Ohren zuzuhalten und La-di-da-di-da zu singen, sobald etwas Unangenehmes passierte.

Ich hatte bei meinem Mann alle Warnsignale ignoriert, nie unsere Finanzen überprüft, meine schlechten Gefühle verdrängt und mich durch jedes Problem hindurchgelächelt.

Und wohin hatte mich das gebracht? Verlassen, obdachlos, pleite – und außerstande, mich um meine Kinder zu kümmern.

Ich hatte mir geschworen, das Leben mit offenen Augen zu leben. Realistisch zu sein war jetzt mein Ding.

Und es war nicht nur eine Frage von Prinzipien – es ging ums Überleben. Ich konnte es mir nicht leisten, dass dieses Geschäft scheiterte. Dieser Druck hielt mich nachts wach und machte mich deutlich vorsichtiger als Ellie.

Vielleicht war das auch gut so – wir ergänzten uns gegenseitig. Aber mir gefiel nicht, immer diejenige zu sein, die die Stimmung verdarb.

Ich beschloss, dass mir der Geist diese Rolle diesmal nicht aufzwingen sollte.

Ellie hatte recht – er hatte noch keinerlei Ärger verursacht. Und wenn er es doch tat, war ich besser als die meisten darauf vorbereitet. Im Notfall konnte ich immer noch meine übersinnlich begabten Verwandten um Hilfe bitten.

»Na gut«, gab ich nach. »Sehen wir ihn also weiterhin als unseren Glücksbringer. Unseren kleinen Kobold. Er sieht ein bisschen so aus. Wie Puck aus Ein Sommernachtstraum.«

»Süß!«, schwärmte Ellie.

»Nun, er ist trotzdem ein Mann. Jemand, der vielleicht im Theater gestorben ist? Wenn ich irgendwann auf wundersame Weise Zeit finde, recherchiere ich. Aber es bleibt ein Problem: Die meisten Fotos sind dadurch ruiniert. Einige könnte ich vielleicht so zuschneiden, dass er nicht mehr zu sehen ist, aber …«

»Warum kommst du nicht am Dienstag noch mal und versuchst es dann?«, unterbrach Ellie. »Dann ist die Hochzeitsszene dran. Ich sorge dafür, dass wieder in Kostümen und mit Bühnenbild geprobt wird, damit du Fotos machen kannst.«

---ENDE DER LESEPROBE---