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Ich habe die Regeln gebrochen. Einen Dämon beschworen. Und Weihnachten aus Versehen komplett ruiniert.
Diesen einen Wunsch hätte ich nicht erfüllen dürfen – genau das hat mir Zack gesagt (heißer Engel der Apokalypse, düster mit Bonusfunken). Aber der Traum kam immer wieder: ein kleiner Junge, der sich an Heiligabend seinen Vater zurückwünscht. Wie hätte ich das ignorieren sollen? Ich bin die Wunsch-Erfüllerin. Dafür bin ich doch hier, oder?
Tja, jetzt läuft alles aus dem Ruder. Meine Engelsinstinkte erwachen, meine Familie ist in Gefahr – und dieser eine Wunsch hat vielleicht etwas Dämonisches heraufbeschworen. So richtig mit Höllenfeuer und Schwefelgestank.
Zack meint, ich sei außer Kontrolle geraten. Und ganz ehrlich? Ist nicht ganz falsch. Aber wenn der Himmel mich feuern will, muss er mich erst mal finden.
Rogue Halo: Ein Engel auf Abwegen ist der actiongeladene zweite Band der Average Angel-Reihe – einer YA-Urban-Fantasy-Serie zwischen Himmel und Hölle. Wenn du rebellische Engel, magisches Weihnachtschaos und knisternde Slow-Burn-Romantik mit Weltuntergangsrisiko liebst, wirst du Felicity A. Greens rasanten Fantasy-Trip lieben!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Felicity A. Green
Rogue Halo
Ein Engel auf Abwegen
AVERAGE ANGEL Buch 2
© Felicity Green, 2025
A. Papenburg-Frey
Schlossbergstr.1
79798 Jestetten
www.felicitygreen.com
Cover: Goonwrite.com
Dieses Buch ist vormals unter dem Titel WEIHNACHTSWUNSCH - AVERAGE ANGEL (2016) sowie in dem Sammelband AVERAGE ANGEL erschienen, wurde aber komplett überarbeitet.
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Ich träumte immer wieder denselben Traum.
Er war nicht gruselig. Eigentlich war er sogar ziemlich langweilig und ereignislos.
Trotzdem schreckte ich jedes Mal schweißgebadet auf und konnte dieses widerliche Gefühl der Beklemmung nicht loswerden.
In meinem Traum war Winter, und die hohen Bäume entlang der Allee waren mit Schnee bestäubt. Der Schnee auf der Straße war eine perfekte, glatte weiße Decke. Keine Reifenspuren, kein grauer Matsch. Kein Mensch war zu sehen, aber sie wirkte trotzdem nicht verlassen – eher wie eine ganz normale Straße in New Hampshire im Winter, vielleicht bevor der Schneepflug kam. Es war nicht die Umgebung, die mir Gänsehaut machte. Nichts daran war unheimlich.
Die Landschaft glitt langsam vorbei, als säße ich in einem Auto, das sich im Schneckentempo durch die Schneemassen schob. Ich sah nie, wer fuhr, oder wer noch mit mir im Auto war – ich starrte einfach nur aus dem Fenster. Keine Musik, keine Stimmen, nur Stille, abgesehen von dem leisen Rauschen des Bluts in meinen Ohren und vielleicht dem Summen des Motors. Wobei – ehrlich gesagt, das hatte ich mir vielleicht eingebildet. Wenn man Träume überanalysierte, passierte sowas.
Also trieb ich an den verschneiten Bäumen vorbei, und dann sah ich ihn: den Jungen.
Er ging am Straßenrand entlang, in die entgegengesetzte Richtung.
Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen – seine Kapuze war hochgezogen – aber er war ungefähr so groß wie meine Schwester Anna, vielleicht neun oder zehn Jahre alt.
Jeans. Blaue Steppjacke. Schneestiefel. Ein dunkelblauer Schulrucksack über den Schultern.
Im Traum wusste ich einfach, dass es ein Junge war. Aber später fragte ich mich immer wieder, warum ich mir da so sicher gewesen war. Wegen der blauen Kleidung? Es könnte auch ein Mädchen sein, das die Haare unter der Kapuze versteckte.
Wie auch immer – er sah aus wie ein völlig normales Kind. An ihm war nichts Bedrohliches, nichts Unheimliches.
Aber jedes Mal, wenn ich den Jungen sah, war es, als würde ein Stromschlag durch meinen Körper jagen.
Dieser Schlag riss mich aus dem Schlaf, und es folgten Herzrasen, kalter Schweiß, zitternde Hände.
Irgendetwas war mit ihm – etwas, das mit mir verbunden war, das mein Körper auf eine seltsame, instinktive Weise wiedererkannte.
Egal wie sehr ich darüber grübelte, der Traum gab mir keine Hinweise.
Aber wenn ich in den letzten Monaten etwas gelernt hatte, dann das: Das Leben hat die Tendenz, einem die Bedeutung von Ereignissen früher oder später klarzumachen.
Ich hatte schon seltsamere Sachen erlebt.
* * *
Ich arbeitete im Diner meiner Tante Jeannie und verbrachte meine Mittagspause normalerweise hinten im Eck, wo ich Jeannies legendäre Spezialitäten vertilgte – Pies, Hackbraten, Burger, Aufläufe, was auch immer. Aber an diesem Tag schnappte ich mir nur ein Sandwich und einen Kaffee zum Mitnehmen.
Weil ich ein Date hatte.
Okay, kein richtiges Date, auch wenn mein Herz schneller schlug und meine Haut kribbelte, sobald ich an denjenigen dachte, den ich gleich treffen würde.
Zack, mein Engel. Seufz.
Nein, wirklich – mein Engel. Riesige weiße Flügel, Zeitreise-Kräfte, das volle Programm. Ich hatte die Beweise gesehen. Einschließlich, ja, dieses unvergesslichen kleinen Ausflugs zu meinem eigenen Zeugungsmoment (nein, ich war immer noch nicht darüber hinweg) und einer Bonus-Vorschau auf eine hoffentlich sehr ferne apokalyptische Zukunft. Zack – oder technisch gesehen Zachriel – war ein Engel der Apokalypse. Sein Job? Das Ende der Welt verhindern. Mich beschützen. Mich führen. Oder … so etwas in der Art. Ehrlich gesagt hatte ich die Details immer noch nicht ganz begriffen.
Natürlich war ich völlig beeindruckt von diesem übernatürlichen Wesen.
Ich meine, ich war nur ein normales, sommersprossiges, zu großes, zu kurviges Mädchen, das Jungs für gewöhnlich kein zweites Mal ansahen. Für Zack war das hier reine Arbeit – also gab ich mein Bestes, dieselbe Haltung auszustrahlen. (Spoiler: nicht ganz erfolgreich.)
Während ich in Richtung Fluss und der Bank lief, bei der wir uns normalerweise trafen, dachte ich an unser erstes Treffen dort zurück. Damals war das Gras hoch und grün gewesen und hatte die Bank ein wenig vom Weg abgeschirmt, was das Ganze … intim wirken ließ. Jetzt, im November, war alles braun und matschig, und die Illusion längst dahin.
Ich erkannte Zack schon von Weitem.
Er saß da, die Hände in den Taschen seiner grünen Parka vergraben, das schulterlange dunkle Haar zu einem Zopf zurückgebunden. Er sah sehr menschlich aus, dachte ich, je näher ich kam. Immer noch übernatürlich schön, klar, aber der Ausdruck in seinen Augen, als er auf den Fluss blickte … darin lag etwas so Verletzliches.
Auch wenn unser kleines Plätzchen nicht mehr so verborgen war, würde uns hier niemand stören – weil kein vernünftiger Mensch bei diesem Wetter draußen unterwegs war. Ich zog meinen Mantel enger um mich. Meine Wollmütze tat ihr Bestes, aber mein langes, dunkelblondes Haar sog trotzdem den herbstlichen Nieselregel auf.
Das Wetter war mir in dem Moment egal, als ich Zack erreichte und die Schmetterlinge in meinem Bauch völlig ausflippten.
»Hi«, krächzte ich.
Zack nickte nur, die Augen immer noch auf den Fluss gerichtet.
Ich setzte mich neben ihn, ohne etwas zu sagen. Ich war nicht wirklich enttäuscht, dass er mich nicht ansah. Er war oft so – in Gedanken. Wenn er sich mir aber zuwandte … war es intensiv. Und ja, ich genoss diese Momente. Also wartete ich. Ich hatte gelernt, dass Zack manchmal – manchmal – von selbst Informationen preisgab, wenn ich ihn einfach mit seinen grüblerischen Engel-Gedanken sitzen ließ.
Und an diesem Tag zahlte sich das aus.
»Mein Bruder hat mich in diesem Fluss ertränkt. Mit bloßen Händen. Dort drüben.«
Er zeigte auf die andere Seite des Flusses.
Ich starrte hinüber, sagte aber nichts. Ich war zu schockiert.
Wir hatten seit Ewigkeiten nicht mehr über seinen Zwillingsbruder gesprochen – der inzwischen auf den charmanten Namen Malachriel hörte, Dämon und versuchter Mörder war – nicht seit der Sache mit meiner kleinen Schwester Marie, als ich ihn irgendwie aus ihr ausgetrieben hatte. Malachriel hatte versucht, mich zu töten, aber Zack war im letzten Moment aufgetaucht, hatte ihn verbannt und mir das Leben gerettet.
Seitdem lebte ich in ständiger Angst, dass Malachriel zurückkommen würde. Zack war sichtlich erschüttert gewesen, wie nah sein Bruder mir gekommen war. Er hatte ihn unterschätzt – etwas, das man bei einem Engel, der die Apokalypse verhindern soll, nicht unbedingt erleben möchte.
Über ihre gemeinsame Vergangenheit wusste ich kaum etwas. Nur, dass sie in ihrem menschlichen Leben Zwillingsbrüder gewesen waren – und dass der eine den anderen ermordet hatte. Ich hatte mich nicht getraut, das Thema anzuschneiden, obwohl ich darauf brannte, mehr über Zacks Vergangenheit zu erfahren. Aber ehrlich? Ich hatte ohnehin schon genug andere Fragen auf meiner Liste.
»Hast du schon mal den Ausdruck ›Praying Indian‹ gehört?« fragte Zack, ohne mich anzusehen.
Ich schüttelte den Kopf, aus Angst, ich würde den Moment zerstören, der ihn gerade zum Reden gebracht hatte.
»So nannten die Engländer indianische Ureinwohner, die zum Christentum konvertiert waren«, sagte er. »Mein Bruder hat mich immer so genannt – ›Praying Indian‹ – als wäre es ein Witz. Für ihn war es lächerlich, dass ich in den Fußstapfen des großen Sagamore Passaconnaway wandeln und in Frieden mit den Kolonisten leben wollte. Ich war überzeugt, dass Krieg mit ihnen das Ende der Penacook bedeuten würde.
Mein Bruder hingegen glaubte, dass nicht kämpfen und keine Allianzen mit anderen Stämmen schließen unser Ende wäre. In gewisser Weise … hatten wir beide recht.«
Ich hatte erst nicht ganz verstanden, worauf er hinaus wollte, aber als er »Penacook« sagte, machte es Klick.
Die Penacook waren Ureinwohner in dieser Gegend von New Hampshire gewesen. Nicht weit von Average gab es ein Indianer-Dorf und ein Kulturerbe-Center.
Ich hatte mich immer gefragt, wie Zacks indianische Herkunft zu diesem ganzen christlichem Engel-und-Dämon-Ding passte. Nun – das beantwortete es.
Und es deutete noch auf etwas anderes hin: Zack hatte hier gelebt. Vor vielen, vielen Jahren.
Er erklärte, dass er hier während des King-Philips-Kriegs am Leben gewesen war.
Das musste ich später nachschlagen. Trotzdem – interessant, dass Zack selbst nach seiner sogenannten »Himmelfahrt« in der Nähe seiner Heimat geblieben war.
»Mal schloss sich den Wachusett an, als sie sich mit King Philip verbündeten. Nach King Philips Niederlage kam mein Bruder zurück und suchte Zuflucht. Ich nahm ihn auf, obwohl viele mich warnten.«
Zum ersten Mal drehte Zack sich zu mir um – als müsste er mir in die Augen sehen, um den nächsten Teil zu erklären.
»Er war mein Bruder.«
Ich erwiderte seinen Blick.
»Als wir hörten, dass eine Miliz auf dem Weg zu unserem Dorf war, um Penacook-›Verräter‹ einzufangen, die an King Philips Seite gekämpft hatten«, fuhr Zack fort, »entschied unser Sachem Wonalancet, dass wir nach Norden gehen mussten. Es waren schon zu viele gestorben. Wonalancet wollte Mal nicht mitnehmen – es waren Leute wie er, hinter denen die Miliz her war.
Mein Bruder bat mich, mit ihm an den Fluss zu gehen. Er sagte, er wolle sein Gewissen erleichtern, sich meinem christlichen Glauben anschließen. Ich sagte ihm, ich könne ihn nicht taufen – ich sei kein Priester – aber er drängte weiter, bat um ein symbolisches Ritual. Am Ende stimmte ich zu. Ich hoffte, wenn er wirklich Reue zeigte, dann könnte er vielleicht bleiben. Damit mein Volk nicht die Entscheidung treffen musste, ihn entweder zu verbannen oder für ihn einzustehen und den Preis zu zahlen.«
Zacks Blick glitt zum gegenüberliegenden Ufer.
»Er tötete mich, um sich für mich auszugeben und mit Wonalancet zu fliehen. Nachdem er mich ertränkt hatte, zog er meine Kleidung an, änderte sein Frisur und schloss sich den anderen an, die nach Nova Scotia aufbrachen. Er erzählte ihnen, sein Bruder habe zugestimmt zurückzubleiben, sich zu ergeben, um die Miliz von der Verfolgung des Stammes abzuhalten.
Als Wonalancet bemerkte, dass Mal nicht ich war … war es zu spät. Sie waren bereits auf französischem Gebiet. Mein Bruder war wieder entkommen. Ich weiß das alles, weil ich bei ihm blieb – nachdem ich gestorben war.«
Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
»Auf dem Weg zum Fluss hat er mich von hinten erschlagen. Mein Geist verließ meinen Körper, noch bevor Mal überhaupt begriff, dass ich längst tot war. Er schleppte mich zum Wasser, hielt mich unter. Ich sah ihm dabei zu. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Muskeln zitterten. Er sah mich nicht an – er starrte ins Leere. Ungefähr … auf diesen Punkt. Dort, wo jetzt diese Bank steht.«
Ein Schauer kroch mir den Rücken hinunter. Meine Fantasie spielte verrückt und ich malte mir das Bild aus: Malachriel, wie er reglos im eiskalten Fluss steht. Ich versuchte, es abzuschütteln – doch die Gänsehaut blieb und mein Hals schnürte sich zu, als Zack weitersprach.
»Manchmal stelle ich mir vor, Zeit ist nicht linear. Als existiert alles, was war, ist und sein wird, gleichzeitig. Ich stelle mir vor, ich sitze hier, auf dieser Bank, und blicke über den Fluss auf meinen Bruder, wie er mich ertränkt. Und er … er blickt zurück. Direkt in meine Augen.«
Ein Teil von mir wollte, dass er weiterspricht – dass er erzählt, wie er zum Engel Zachriel wurde, wie Mal unter Abaddons Befehl zum Dämon wurde, wie alles dazu führte, dass Zack die Apokalypse verhindern wollte, während Mal sie vorantrieb.
Aber ehrlich? Ich war mir nicht sicher, ob ich noch mehr tragische Geschichten ertragen konnte. Also war ich fast erleichtert, als Zack sich mir zuwandte, plötzlich in ganz geschäftsmäßigem Ton.
»Also«, sagte er, »hast du es geschafft, diesem Mann einen Job zu besorgen?«
Ich schaltete blitzschnell um. »Ja. Mr. Halson ist jetzt stellvertretender Filialleiter in einem großen Kaufhaus. Hat sein Einkommen verdoppelt.« Ich konnte nicht verhindern, dass ich stolz klang.
Dieser Wunsch war über meine Angel-Average-Facebook-Seite gekommen – die, die ich eingerichtet hatte, damit Leute anonym ihre Wünsche teilen konnten, nachdem Zack mir die Wahrheit über mich offenbart hatte. Dass ich der wiedergeborene Engel Vitrella war, deren Job darin bestand, Wünsche zu erfüllen.
Vitrella hatte ihre Aufgabe dazu benutzt, um zu fallen.
Gefallene Engel kamen als Sternschnuppen zurück zur Erde und wurden als Menschen wiedergeboren. Menschen wie ich – die sich an nichts davon erinnern.
Vitrella hatte einen ganz bestimmten Wunsch erfüllt: den einer Frau nach einem Kind. Den Wunsch meiner Mutter.
Warum hatte sie das getan?
Gute Frage – eine, die ich mir stellte, seit Zack mir die Geschichte erzählt hatte.
Er versprach immer, mehr zu erklären. Aber bisher hatte ich vor allem eine wachsende Liste unbeantworteter Rätsel.
Zum Beispiel: Warum war Malachriel hinter mir her? Ich hatte angenommen, er hätte eine persönliche Rechnung mit Vitrella offen. Vielleicht hatte sie sich absichtlich fallen lassen, um sich als Mensch zu verstecken. Aber als Malachriel vor ein paar Wochen versucht hatte, mich zu töten … da hatte er nicht einmal gewusst, wer Vitrella war.
Ja. Einiges ergab keinen Sinn.
Ich wusste noch nicht so wirklich, wie ich in all das hineingeraten war. Ich wusste nur, dass ich da nicht mehr rauskommen würde.
Engel hatten Aufgaben. Sie erledigten sie mit Leidenschaft, Hingabe – und mit dem, was Zack »Gnade« nannte. Es war wie eine Rüstung, die sie vor dem Bösen schützte.
Bevor sie gefallen war, hatte Vitrella die Wünsche der Menschen durch ihr Glasvisier gesehen und erfüllt. Wie genau? Keine Ahnung. Aber Gott, ich wollte es gerne wissen.
Jetzt musste ich ihren Job machen – ohne Superkräfte.
Zack zufolge hatte Vitrellas Fall das Gleichgewicht durcheinandergebracht, und wenn ich nicht einsprang und weiter Wünsche erfüllte?
Nun, dann drohte eine apokalyptische Katastrophe.
Kein Druck oder so.
Aber der eigentliche Grund, warum ich es tat? Die Gnade.
Wenn ich mich dazu verpflichtete, Wünsche zu erfüllen, bekam ich auch die Gnade eines Engels. Und das bedeutete: Malachriel – oder irgendein anderer Dämon – konnte mir nichts tun. Er kam nicht an mich heran.
Zumindest nicht direkt. Also versuchte er stattdessen, meine Familie anzugreifen.
Er hatte meine kleine Schwester Marie besessen, die dann meine andere Schwester Anna erstochen hatte.
Man könnte also sagen, ich hatte eine gewisse Motivation.
Ich musste meine Rüstung gegen das Böse so stark machen, dass Malachriel mich nicht erreichte – weder direkt noch durch die Menschen, die ich liebte. Ich musste sie beschützen.
Also erfüllte ich Wünsche am laufenden Band.
Meine Angel-Average-Facebook-Seite boomte – die Leute verbreiteten die Nachricht von diesem anonymen Wunscherfüllungs-Engel. Ich hatte mehr Anfragen, als ich schaffen konnte.
Ich war auf einer Mission.
»Beeindruckend«, sagte Zack, als ich ihm von Mr. Halsons neuem Job erzählte. »Ich dachte, du hättest gesagt, sein Lebenslauf sei so schlecht, dass du damit nichts anfangen kannst.«
Ich hatte seinen Lebenslauf im Grunde überall hingeschickt, in der Hoffnung, dass es ein Zahlenspiel war – und ja, ich hatte dabei eine Menge Zeit verplempert.
»Konnte ich auch nicht«, gab ich zu. »Weil ich keine Expertin bin. Also habe ich jemanden engagiert.«
Zack zog eine Augenbraue hoch. »Mit welchem Geld? Ich dachte, alles, was du im Diner verdienst, geht aufs Collegekonto.«
»Stimmt. Ich habe es nicht bezahlt.« Als sich sein Blick verfinsterte, sagte ich schnell: »Ich hab nichts Illegales gemacht, okay? Schon mal was von Crowdfunding gehört?«
Ich erklärte ihm, wie Leute auf Facebook kleine Beträge zusammengelegt hatten, um Mr. Halson einen Karriereberater zu finanzieren.
»Und die Leute … geben einfach Geld?« Zack klang zutiefst skeptisch.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich hab dir doch gesagt – diese Facebook-Seite ist keine Einbahnstraße. Die Menschen helfen sich gegenseitig. Es ist wie ein Wunscherfüllungs-Tausch. Sie geben gern, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass ihnen auch mal jemand hilft.«
Das schien Zack mehr zu freuen, als ich erwartet hatte. Er nickte, stand auf und schenkte mir eines seiner seltenen Fast-Lächeln.
»Mach weiter so.«
Er legte eine Hand auf meine Schulter und drehte sich dann zum Gehen.
Vor ein paar Monaten hätte mich diese Berührung sofort erstarren lassen. Ich hätte mit rasendem Herzen dagestanden und geträumt, dass er vielleicht – nur vielleicht – auch andere Körperteile berühren würde.
So war's nicht mehr.
»Moment mal«, sagte ich und hielt ihn auf. »Vergisst du nicht etwas? Du schuldest mir Informationen. Das war der Deal.«
Und so war es. Eine beantwortete Frage für jeden erfüllten Wunsch.
Er blieb stehen und drehte sich um. Seine funkelnden Augen begegneten meinen. »Na los.«
Es war immer schwer, eine Frage auszuwählen.
Bisher hatte ich Folgendes herausgefunden: Mal gehorchte einem Erzdämon namens Abaddon. Zack hörte auf Michael, einem Erzengel. Erzengel und Erzdämonen waren nicht nur mächtig – sie waren eine ganz andere Rasse als Menschen. Engel und Dämonen wie Zack und Mal waren einmal Menschen gewesen. Und wenn diese ehemaligen menschlichen Engel aus dem Himmel verstoßen wurden, kehrten sie irgendwann wieder als Menschen zurück. Ein Kreislauf.
Ich versuchte immer noch herauszufinden, warum Vitrella – mein früheres Ich – sich entschieden hatte zu fallen. Warum sie den Himmel freiwillig verlassen hatte. Aber das war eine direkte Frage, und Zack weigerte sich stets, sie zu beantworten. Ich würde schon noch dahinter kommen.
Für den Moment fragte ich: »Wem unterstand Vitrella? Wer war ihr Boss?«
Zack zögerte.
Gut. Das hieß, ich war auf der richtigen Spur.
Er durfte mir nichts sagen. Aber wir hatten einen Deal, und ich hatte ein Druckmittel. Schließlich schien es Zack sehr wichtig zu sein, dass ich Vitrellas Wunschquote weiter erfüllte. Er musste mich motivieren.
Schließlich sagte er: »Raphael.«
Und drehte sich einfach um und ging.
Ich wusste schon, was meine nächste Frage sein würde: Handelte Vitrella auf Raphaels Geheiß – oder war sie aus eigenem Antrieb gefallen? Wussten Zacks und Vitrellas Vorgesetzte, was die beiden taten?
Ich hatte den Verdacht, dass sie gegen die beiden arbeiteten.
Warum? Zu welchem Zweck?
So viele Fragen.
Ich musste dringend weiter Wünsche erfüllen, um Antworten zu bekommen.
Eine Woche war seit meinem letzten Treffen mit Zack vergangen, und ehrlich gesagt? Ich vermisste ihn.
Okay – das hatte nicht viel zu bedeuten. Ich vermisste ihn praktisch jede Minute jedes Tages, an dem ich ihn nicht sah. Mich hatte es schwer erwischt.
Zu meiner Verteidigung: Ich war es nicht gewohnt, die Aufmerksamkeit von Jungs zu bekommen.
Ich hatte nie wirklich einen Freund gehabt. Klar, ich war auf Dates gewesen, hatte ein paar Jungs geküsst – drei, um genau zu sein – aber die Typen an meiner Schule waren nie besonders interessiert an mir gewesen. Sie wirkten immer ein bisschen klein und mickrig neben mir, was sie wahrscheinlich einschüchterte. Sie fanden mich bestimmt zu groß. Zu kurvig. Zu viel.
Aber Zack?
An Zack war überhaupt nichts mickrig.
Sein Körper war von Muskeln überzogen. Gleichzeitig hatte er die Anmut eines geschmeidigen Panthers. Er war auf jeden Fall ein Mann – auch wenn er für menschliche Augen nur ein paar Jahre älter aussah als meine siebzehn.
Ich hätte stundenlang darüber reden können, wie tasty er war. Aber wem hätte ich das erzählen sollen?
Tante Jeannie hatte offenbar beschlossen, dass Zack mir das Herz gebrochen hatte. Ich war bei der Arbeit abgelenkt gewesen, und was konnte eine Mädchen in meinem Alter sonst schon beschäftigen, außer Probleme mit Jungs? Ich spielte das Spiel mit – denn, ehrlich, was hätte ich sagen sollen? Die Wahrheit war viel zu abgedreht.
Am liebsten hätte ich mit meiner besten Freundin Sarah darüber gesprochen. Aber sie hatte den ganzen Sommer mit ihren Eltern in Europa verbracht und dann letzten Monat mit dem Studium angefangen. Ich vermisste sie schrecklich – und ja, es ließ mich ein bisschen bereuen, meine College-Bewerbungen so lange hinausgezögert zu haben, bis es zu spät gewesen war.
Die Arbeit im Diner meiner Tante Jeannie war nur als Übergang gedacht gewesen. Aber es gefiel mir eigentlich ganz gut. Und da ich keine Ahnung hatte, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, hatte ich College ein Jahr aufgeschoben.
Sarah war praktisch meine einzige Freundin, und wir hatten immer über alles geredet. Das machte es doppelt schwer, ihr nicht von … all dem hier zu erzählen.
