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Ein alter Friedhof in Schottland. Eine mysteriöse Grabplatte. Und ein viktorianischer Cold Case.
Wenn Grabsteine reden könnten, dann würden sie Violet Grave ihre Geschichten zuflüstern.
Gräber sind Violets Berufung.
Die Friedhofskünstlerin wird bei ihrer nächtlichen Arbeit auf dem Ballyhennan Cemetery in Tarbet von der Einheimischen Fionna unterbrochen.
Fionna gehört dem örtlichen Heimatverein an, der Violet prompt Steine ganz anderer Art in den Weg legt: Ein altes Grab mit keltischen Symbolen aus dem 16. Jahrhundert darf sie nicht weiter untersuchen.
Dafür hilft ihr der mysteriöse Verein bei den Ermittlungen in einem Todesfall, der sich einst im viktorianischen Tarbet ereignete. Hat die Frau des Inhabers vom illustren Tarbet Hotel tatsächlich ihre Kinder und dann sich selbst umgebracht? Oder war sie Opfer schwarzer Magie geworden? Die Vorfahrin der Kräuterfrau Penny Reid scheint die Finger im Spiel gehabt zu haben.
Vergangenheit und Gegenwart verflechten sich immer mehr miteinander, als Violet den Cold Case aufklärt. Kann ein mehr als hundert Jahre zurückliegender Mord auch Violet zur Gefahr werden?
DER TEUFEL IM GRABE: Ein Paranormal-Mystery-Roman aus der Bestseller-Reihe HIGHLAND-HEXEN-KRIMIS von Felicity Green. Jetzt lesen!
DER TEUFEL IM GRABE ist ein in sich abgeschlossener Roman und kann unabhängig von den anderen HIGHLAND-HEXEN-KRIMIS gelesen werden. Die Geschichte spielt zwischen Band 2 und Band 3 der Reihe.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Felicity Green
Der Teufel im Grabe
Ein Highland-Hexen-Krimi
© Felicity Green, 1. Auflage 2020
www.felicitygreen.com
Veröffentlicht durch:
A. Papenburg-Frey
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Personen und Handlungen sind frei erfunden oder wurden fiktionalisiert. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Die Autorin
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Kapitel dreizehn
Kapitel vierzehn
Kapitel fünfzehn
Kapitel sechzehn
Kapitel siebzehn
Kapitel achtzehn
Kapitel neunzehn
Kapitel zwanzig
Kapitel einundzwanzig
Kapitel zweiundzwanzig
Kapitel dreiundzwanzig
Kapitel vierundzwanzig
Kapitel fünfundzwanzig
Kapitel sechsundzwanzig
Kapitel siebenundzwanzig
Kapitel achtundzwanzig
Epilog
Danke und gratis Geschichte
Teuflisch Einsam
Highland-Hexen-Krimis
Highland-Hexen-Krimi Adventskalender
Violet-Grave-Mystery-Thriller
Wenn Grabsteine reden könnten, dann würden sie Violet Grave ihre Geschichten zuflüstern. Gräber sind Violets Berufung.
Die Friedhofskünstlerin wird bei ihrer nächtlichen Arbeit auf dem Ballyhennan Cemetery in Tarbet von der Einheimischen Fionna unterbrochen.
Fionna gehört dem örtlichen Heimatverein an, der Violet prompt Steine ganz anderer Art in den Weg legt: Ein altes Grab mit keltischen Symbolen aus dem 16. Jahrhundert darf sie nicht weiter untersuchen.
Dafür hilft ihr der mysteriöse Verein bei den Ermittlungen in einem Todesfall, der sich einst im viktorianischen Tarbet ereignete. Hat die Frau des Inhabers vom illustren Tarbet Hotel tatsächlich ihre Kinder und dann sich selbst umgebracht? Oder war sie Opfer schwarzer Magie geworden? Die Vorfahrin der Kräuterfrau Penny Reid scheint die Finger im Spiel gehabt zu haben.
Vergangenheit und Gegenwart verflechten sich immer mehr miteinander, als Violet den Cold Case aufklärt. Kann ein mehr als hundert Jahre zurückliegender Mord auch Violet zur Gefahr werden?
Felicity Green schreibt Urban Fantasy und Paranormal Mystery-Serien für Leserinnen, die Mythen und Magie, unerwartete Wendungen, Gänsehaut und große Gefühle lieben.
Felicity wurde in der Nähe von Hannover geboren und zog nach dem Abitur nach England. In Canterbury studierte sie Literatur und Schauspiel. Später tingelte Felicity mit diversen Theatergruppen durch England, Irland und Schottland – eine Inspiration für die Schauplätze ihrer Romane. An der University of Sussex schloss sie einen MA in Kreativem Schreiben ab.
Mit ihrem Mann Yannic, Tochter Taya und Kater Rocks lebt sie jetzt an der Schweizer Grenze.
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Das schmiedeeiserne Friedhofstor knarzte unheilvoll, aber Violet verstand das Geräusch nicht als Warnung.
Sie war es gewohnt, nachts auf Friedhöfen unterwegs zu sein, und ließ sich selten durch etwas beunruhigen, vor dem Normalsterbliche sich gruseln würden.
Ja, die Atmosphäre auf einem Friedhof war speziell, besonders in einer Vollmondnacht wie dieser. Als sie vor ein paar Stunden Fotos von den Gräbern gemacht hatte, waren die verwitterten Grabsteine in Herbstfarben getaucht gewesen. Das grüne Moos hatte sich von den gelben und orangen Blättern abgesetzt, die an diesem windigen Oktobertag über den Friedhof fegten. Doch jetzt, im fahlen Mondlicht, war alles silbrig grau und warf ungewöhnliche Schatten.
Der alte Friedhof in dem kleinen Dörfchen Tarbet wurde auch tagsüber nicht oft besucht, aber die nächtliche Stille fühlte sich anders an. Manche würden sie wohl gespenstisch nennen. Wo am Tage Vögel fröhlich zwitscherten und Insekten flatterten und sirrten, da gab es nach Sonnenuntergang nur das Huschen der nachtaktiven Nager und Falter und ab und zu vernahm man den aufschreckenden Ruf eines Kauzes.
Doch diese Atmosphäre rief bei Violet keine Nervosität oder Aufregung hervor. Für sie war nichts davon unheimlich. Im Gegenteil, sie mochte diese aufgeladene Ruhe. Sie spürte in der Nacht noch intensiver, dass Grabstätten eine Kraft innewohnte, die zu ihrer Seele sprach.
Das war der Grund, warum sie so viel Zeit auf Friedhöfen verbrachte.
Doch ihr heutiger Besuch hatte rein praktische Gründe. Das, was sie plante, unternahm man am besten in einer Vollmondnacht.
Die Leute lagen schlafend in ihren Betten und niemand würde sie stören. Sie musste keine Bewilligungen einholen und sonstige bürokratische Hürden überwinden. Der volle Mond gab ihr genug Licht, um ohne Hilfsmittel wie Strahler ihre Arbeit zu verrichten.
Violet ging die paar Stufen zum Friedhof hinauf und marschierte zielstrebig auf die flache Grabplatte in der Mitte zu. Tagsüber hatte sie alle Gräber fotografiert und einen Friedhofsplan gezeichnet. Sie musste sich also nicht mit Suchen aufhalten und ließ sich auch nicht von den anderen, ebenfalls interessanten Grabsteinen ablenken.
Vor der teils mit Moos bewachsenen Grabplatte stellte sie ihre Werkzeuge und Materialien ab.
Violet ging auf die Knie, wappnete sich innerlich, indem sie einen tiefen Atemzug der feuchten, kalten Herbstluft nahm, und legte eine Hand auf den kühlen Stein.
Auf den ersten Blick erkannte man gar keine Zeichnungen oder Schriftzeichen darauf. Die meisten anderen Besucher des Ballyhennan-Friedhofs wären wahrscheinlich daran vorbeigegangen, ohne dem alten Sandstein weitere Beachtung zu schenken.
Violet wusste aber, dass der Stein interessante Markierungen aufwies. Die Fotografien vom Vormittag und ihr spezielles Grafikprogramm, das sie benutzte, um Grabinschriften besser zu erkennen, hatten ihr diese gezeigt.
Doch Violet war sich schon ziemlich sicher gewesen, bevor sie geduldig ihren Spiegel immer wieder neu positioniert und unzählige Male den Auslöser ihrer Kamera betätigt hatte, bis Licht und Schatten ihr die eingemeißelten Symbole enthüllten.
Sie hatte es gespürt, genauso, wie sie es jetzt spürte, wenn sie die Hand auf den Stein legte.
Die Grabsteine sprachen mit ihr.
Das war die einzige Art und Weise, wie sie es beschreiben konnte.
Natürlich redeten sie nicht wirklich. Violet empfing keine Nachricht aus dem Jenseits. Sie war kein Medium, hatte noch nie einen Geist gesehen oder hielt sich sonst wie für hellsichtig. Sie war sich nicht mal sicher, ob sie an so etwas glaubte.
Aber sie wusste, wenn die Grabsteine eine Geschichte zu erzählen hatten. Eine Geschichte, die sie sozusagen weitererzählen konnte, wenn sie sich sehr viel Mühe gab, den Stein untersuchte und mehr über die Verstorbenen herausfand, deren Grab er markierte.
Es war, als ob in den Steinen eine Energie pulsierte, für die Violet empfänglich war.
Gräber waren Violets Berufung.
Sie atmete noch einmal tief durch und löste sich dann von dem Stein. Sie war nicht hier, um dieses Grab zu erforschen, zumindest noch nicht. Natürlich reizte es sie, dass dieser eine Stein so viel älter war als die anderen Grabmale auf dem Friedhof. Er hatte zweifelsohne eine Geschichte zu erzählen; und sie würde zuhören. Aber nicht gerade jetzt. Jetzt war sie hier, weil sie ihre Miete bezahlen musste.
Violet packte ihre Werkzeuge aus. Als Erstes holte sie einen Kanister aus ihrem Rucksack. Sie goss die Hälfte der Flüssigkeit über den Stein und schrubbte dann vorsichtig mit einer Bürste Moos und Dreck weg. Gerade war Violet im Begriff, die große Rolle Vliespapier aufzurollen, als sie hinter sich eine Stimme hörte.
»Was machen Sie denn da?«
Violet, die hochkonzentriert gearbeitet und nicht mit einem anderen Friedhofsbesucher gerechnet hatte, schreckte zusammen. Ganz langsam, um ihre Fassung wiederzuerlangen, drehte sie sich um.
Vor ihr stand eine mollige junge Frau. Sie war höchstens ein paar Jahre jünger als Violet, also vielleicht Mitte zwanzig. Im Mondlicht wirkte ihr Gesicht fast weiß und die Sommersprossen kamen deutlich zur Geltung. Unter der Kapuze des schwarzen Umhangs lugten einige lange Strähnen feuerroter Haare hervor. Ein misstrauischer Ausdruck lag in ihren blassblauen Augen.
Nachdem sie die Frau gründlich von Kopf bis Fuß gemustert hatte, antwortete Violet, ohne die Miene zu verziehen: »Das Gleiche könnte ich Sie auch fragen.«
Selbstverständlich war es schon vorgekommen, dass sie nachts auf Friedhöfen anderen über den Weg gelaufen war. Jugendliche Gruftis, die sich zum Trinken trafen. Merkwürdige alte Männer mit zweifelhaften Motiven. Einmal war ihr ein Junge begegnet, der mit schlotternden Knien gestanden hatte, wegen einer Mutprobe da zu sein.
Aber die rothaarige Frau schien in keine der üblichen Kategorien zu passen. War sie etwa ein Friedhofsenthusiast, wie Violet selbst? Doch gerade auf diesem alten, seit vielen Jahren unbenutzten Friedhof in einem kleinen Kaff in den schottischen Highlands eine Gleichgesinnte zu treffen, das wäre doch schon ein recht großer Zufall.
»Na ja«, sagte die Frau jetzt. »Ich mache mich ja nicht an Gräbern zu schaffen. Ich bin mir sicher, das ist strafbar. Und wenn ich jetzt gleich einen Bekannten anrufe, der bei der Polizei arbeitet, dann bin ich nicht diejenige, die sich erklären muss.«
Violet hob beschwichtigend die Hände. »Es gibt keinen Grund, die Polizei zu rufen. Ich mache an sich nichts Verbotenes.«
Die andere versuchte, einen neugierigen Blick an Violet vorbei zu werfen. Violet trat beiseite, um zu erklären, was sie vorhatte.
»Ich mache einen sogenannten Abklatsch von dieser Grabplatte. Sehen Sie.« Violet rollte das Vliespapier auf und legte es über den nassen Stein. »Hier, halten Sie mal.«
Die Frau schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, kam dann aber doch näher, um das Papier festzuhalten. Geschickt befestigte Violet die Ränder mit Klebeband am Stein.
Dann goss sie noch mehr Flüssigkeit aus dem Kanister über das Papier. Ein Spritzer traf die Frau an der Hand und sie zuckte zurück.
»Keine Angst, das ist nur Wasser«, meinte Violet. »Ich verteile es gründlich mit dem Schwamm …«, sie demonstrierte, wie das gemacht wurde, »und dann quillt das Papier auf. Ich gehe noch mit der Bürste darüber, sodass das Papier gleichmäßig in all die kleinen Rillen gedrückt wird. Sobald es getrocknet ist, habe ich ein Relief mit allen eingemeißelten Zeichen.« Sie arbeitete weiter, während die junge Frau ihr gespannt zusah.
»Dem Stein wird kein Schaden zugefügt, er ist hinterher lediglich ein bisschen sauberer«, erklärte Violet.
»Und dafür braucht man keine Erlaubnis?«, wollte die Frau wissen.
»Na ja, also, es ist eine Grauzone«, gab Violet zu. »Es wird nicht so gerne gesehen, dass die Grabsteine überhaupt angefasst werden, denn es kann dabei natürlich schon etwas kaputtgehen. Wenn jemand sich nicht auskennt, macht er vielleicht eine sowieso schon sehr verwitterte Oberfläche noch unkenntlicher oder beschädigt gar den Stein. Deshalb sollte man eigentlich um Erlaubnis fragen.«
»Ich gehe davon aus, das haben Sie nicht getan?« Wieder gingen die Augenbrauen der jungen Frau in die Höhe.
Violet seufzte und hielt im Bürsten inne. »Ehrlich gesagt, nicht. Ich bin geübt und kenne mich aus. Doch das wissen die Verantwortlichen ja zunächst nicht. Ich muss mich dann immer um viel bürokratisches Absperrband herumkämpfen. Manchmal ist gar nicht so wirklich klar, wen ich fragen muss. Das zieht dann einen Rattenschwanz nach sich, und da verliere ich meist die Geduld. In diesem Fall, zum Beispiel, gehört der Friedhof keiner Kirche mehr an. Die Kirche«, Violet zeigte in die Richtung des alten Gemäuers, »ist jetzt ein Restaurant.«
Kleine weiße, spitze Eckzähne blitzten auf, als die Frau grinste. »Ich weiß.«
»Tja, also, wie gesagt, es ist so einfacher. Und da ich nichts … Illegales mache, ist es keine große Sache.« Violet versuchte, das Grinsen zu erwidern. Da sie nicht jemand war, der viel lächelte, fiel ihr das nicht so leicht. Schnell wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
Die junge Frau nickte nachdenklich. Ihr Blick ging zum Grabstein. »Aber jetzt müssen Sie mir noch erklären, warum Sie das machen.«
Violet überlegte. Obwohl die Fremde erst mit der Polizei gedroht hatte, schien sie ganz nett zu sein. Sie sah keinen Grund, ihre Identität zu verheimlichen. Im Gegenteil, wenn es dazu führte, ihre Arbeit zu Ende zu bringen, ohne weiter gestört zu werden …
Sie schob die Hand in ihre Manteltasche und zog eine Visitenkarte heraus.
»Ich bin Grabkünstlerin«, sagte sie und reichte der Frau die Karte. »Ich heiße Violet.«
Die hielt das Stück Papier so, dass sie es im Mondlicht gut lesen konnte. »Violet Grave«, las sie vor und blickte Violet wieder mit diesem ihr wohl eigenen, leicht spöttischen Blick an. »Ist das dein richtiger Name?«
»Violet schon. Grave ist natürlich ein Künstlername. Ich reproduziere Grabsteine und verkaufe sie auf meiner Website. Ich habe auch einen Blog und einen Podcast. Grave Secrets.« Sie erwartete nicht, dass die junge Frau davon gehört hatte.
»Es gibt Leute, die Grabstein-Reproduktionen kaufen? Und was machen die dann damit? Stellen die sich das in den Garten oder was?«
»Ja, oder ins Haus, wie andere Kunstwerke auch.« Violet fühlte sich genötigt, ihre Kunden zu verteidigen. Als die Frau sie weiter skeptisch anschaute, meinte sie: »Die poetischen Inschriften oder die Symbole auf den Steinen sprechen manche Menschen an.«
Die Frau musterte sie. »So wie dich?«
Violet nickte nur knapp.
»Ah, jetzt weiß ich, was du bist. Ich habe schon mal davon gelesen. Du bist ein Friedhofs-Tourist. Taphophil nennt man solche Menschen doch, oder? Wenn man total auf Gräber abfährt.«
»Ja, so nennt man das wohl«, gab Violet zu.
»Und warum genau dieser Stein?«, wollte die Frau wissen. »Was ist daran so besonders?«
Violet erklärte ihr, wie alt der Stein war. »Außerdem sind die Zeichen darauf keltisch. Es gibt noch ein paar andere keltische Symbole hier auf dem Friedhof. Die Grabsteine wollte ich auch reproduzieren. Es gibt eine bestimmte Klientel, die so etwas sucht.«
Die Frau betrachtete immer noch nachdenklich die Grabplatte. Sie beugte sich vor, bis ihr Kopf nur Zentimeter von einem der Eindrücke im Papier entfernt war. Also fuhr Violet fort: »Wiccas. Hexen. Du weißt schon.«
Der Kopf der Frau schnellte hoch. Sie schaute Violet mit ihren blassblauen Augen eindringlich an. »Das sind deine Kunden?«
»Unter anderem. Ich frage ja nicht nach, was die Beweggründe der Menschen sind, die meine Steine kaufen – oder was sie damit vorhaben. Ich weiß bloß, was sich verkauft.«
»Hmm.« Die Frau war wie weggetreten und starrte immer noch auf den Stein.
Violet räusperte sich verlegen. »Ähmm, jetzt bist du dran.«
»Was?«
»Na, ich habe mich vorgestellt und dir erklärt, was ich nachts auf einem Friedhof mache. Und du?«
»Ach so.« Diesmal sah das Lächeln der Frau bemüht aus. »Ich heiße Fionna. Ich habe etwas auf dem Friedhof verloren. Zumindest nehme ich das an. Ein kleines Heft mit Rezepten. Es gehört einer Freundin von mir und es hat einen ideellen Wert. Ich dachte, wenn es mir hier aus der Tasche gefallen ist, dann suche ich besser heute Nacht, bevor es anfängt zu regnen und das Heft aufweicht. Hey, weißt du was, du könntest mir beim Suchen helfen. Wo ich dir auch gerade bei deiner Grabkunst assistiert habe.«
Violet schaute auf die Grabplatte. »Ja, das muss jetzt sowieso erst trocknen. Eigentlich wollte ich noch ein paar andere Abdrücke machen. Da vorne ist ein keltisches Kreuz, aber …« Violet fiel ein, dass sie ihre Arbeit besser in Ruhe machen konnte, wenn diese Fionna gefunden hatte, was sie suchte, und wieder verschwunden war. »Okay, ich helfe dir.«
Sie schaute sich um. »Irgendeine Idee, wo genau du es verloren haben könntest?«
Fionna zuckte mit den Schultern. »Ich bin da hinten über die Mauer geklettert, um eine Abkürzung über den Friedhof zu nehmen.«
Sie gingen beide in die Richtung, in die Fionna zeigte.
Die Friedhofsstille wurde unangenehm, wenn zwei fremde Menschen sich nichts zu sagen hatten, stellte Violet fest. Sie wusste nicht, ob es Fionna ähnlich ging, die schien nämlich in Gedanken versunken. Aber sie fühlte sich besser, wenn sie das Gespräch fortführen konnte. »Wie kommt es, dass du das Heft mit dir herumgetragen hast, als du über den Friedhof gingst?«, fragte sie.
»Äh, ich hatte ein Vorstellungsgespräch in dem Restaurant dort, dem Kirk.« Fionna deutete mit dem Kopf in Richtung der ehemaligen Kirche auf der anderen Seite der Friedhofsmauer. »Das Heft sollte eine Art Glücksbringer sein. Ich habe damit Kochen gelernt.«
»Ach so.«
Fionna spähte über die steinerne Begrenzung. »Ich schau mal auf der anderen Seite nach. Vielleicht ist das Heft beim Rüberklettern aus der Tasche gefallen.« Sie schob den langen Umhang zur Seite und schwang ein Bein über die Mauer.
»Okay, dann schaue ich hier, an dieser Seite entlang.« Violet hielt den Blick auf den Boden gerichtet. Trotz des hellen Mondlichtes ließ sich nicht so einfach erkennen, was im Schatten der Mauer im hohen Gras lag. Nach ein paar Minuten holte sie ihr Handy aus der Jackentasche und leuchtete mit dem Display-Licht. Der Strahl fiel auf einen kleinen Grabstein direkt an der Steinwand. Es stand nichts darauf. Manchmal war die Verwitterung so stark, dass es aussah, als hätte es nie eine Inschrift gegeben.
Wie magisch von dem Stein angezogen kniete Violet sich hin und legte eine Hand auf die raue, kalte Oberfläche. Als ob sie einen elektrischen Schlag bekommen hätte, ließ sie gleich wieder los.
Violet konnte es nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber sie ging davon aus, dass der Stein keine Inschrift besessen hatte. Um ihre Vermutung zu bestätigen, müsste sie bei Tageslicht Fotos machen.
Das Grab war auf jeden Fall merkwürdig.
Violet wurde von einem Geräusch aus ihren Gedanken gerissen.
Plötzlich sprang etwas auf den Stein.
Violet fasste sich ans Herz und atmete langsam aus.
Es war eine schwarze Katze. Sie machte keine Drohgebärde, schaute Violet aber mit ihren goldenen Augen aufmerksam an.
»Ich habe das Heft gefunden«, hörte sie Fionnas Stimme hinter sich. Als Violet nicht gleich antwortete, frage sie nach. »Was hast du da?«
Die Katze sprang mit einem eleganten Satz vom Grabstein auf die Friedhofsmauer. Violet drehte sich zu Fionna um.
»Nichts. Eine Katze.«
Die junge rothaarige Frau runzelte die Stirn und musterte die Katze kritisch. Das Tier schien davon unbeeindruckt und fing an, sich zu putzen.
»Hmm, die kommt mir irgendwie bekannt vor, aber das kann ja nicht sein …«, murmelte sie vor sich hin.
»Vielleicht ein Streuner«, vermutete Violet.
»Nein, meine Freundin Penny, von der ich auch das Heft ausgeliehen habe, die hatte bis vor Kurzem eine solche Katze gehabt. Juniper. Aber sie ist vor ein paar Monaten gestorben.«
Violet wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere. »Ich schaue mal, ob mein Papier schon genug getrocknet ist«, sagte sie schließlich – obwohl sie wusste, dass das unwahrscheinlich war. Aber sie würde gerne mit ihrer Arbeit fortfahren.
Fionna nickte und folgte ihr zur Mitte des Friedhofs. »Sehr interessant, deine Bekanntschaft zu machen. Diese Grabsteinkunst ist nichts für mich, aber vielleicht höre ich mal in deinen Podcast rein.«
»Ich habe eine Vorliebe für das viktorianische Zeitalter«, erklärte Violet. »In Grave Secrets berichte ich sozusagen über viktorianische Cold Cases und versuche, diese Fälle aufzuklären. Dazu lasse ich mich von Gräbern inspirieren. Wenn eine Grabinschrift auf frühe, mysteriöse Todesumstände schließen lässt, dann ermittle ich.«
»Kling sehr aufregend.«
»Ja, auf diesem Friedhof gibt es auch ein außergewöhnliches Grab, über das ich gerne mehr herausfinden würde. Ich hab irgendwie im Gefühl, dass eine Geschichte dahintersteckt, weißt du? Es geht um den Besitzer des Tarbet Hotel Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Oder besser gesagt um den Tod seiner Familie.« Violet zwang sich dazu, es dabei zu belassen.
Sie war weder besonders gesprächig noch gesellig, aber wenn es um dieses Thema ging, dann konnte sie vor lauter Begeisterung oft nicht mehr aufhören zu reden. Sie wollte niemanden damit langweilen, der nicht sonderlich daran interessiert war.
Auch bei Fionna wusste Violet nicht, ob sie bloß höflich sein wollte, als die sagte: »Spannend.«
Mittlerweile waren sie beim alten Grab angekommen und Violet testete das Papier. »Noch feucht. Ich nehme noch den Abklatsch eines alten keltischen Kreuzes, da hinten auf dem Friedhof, bevor ich das hier abnehme und mit Haarspray fixiere, sodass eine harte Platte daraus wird.«
»Ich verabschiede mich. Wie gesagt, schön, dich kennengelernt zu haben.« Nach einem weiteren Blick auf das alte Grab fügte sie hinzu. »Du bist nicht aus der Gegend, oder? Bist du länger zu Besuch in Tarbet?«
»Nur ein paar Tage. Ich komme aus England«, sagte Violet, obwohl sie annahm, dass Fionna das anhand ihres Akzentes schon festgestellt hatte.
»Und du bist extra wegen dem Friedhof hergekommen. Wegen dem Stein?«
»Nein, nein. Den Stein habe ich hier erst entdeckt. Ich wusste, dass es in Tarbet einen alten Friedhof gibt, aber ansonsten … Ich bin sozusagen auf Entdeckungstour in den schottischen Highlands.«
»Aha. Und in welcher Unterkunft wohnst du?«
»Dessie‘s B&B«, antwortete Violet, mittlerweile wachsam. Diese Fionna stellte ganz schön viele Fragen.
Doch anscheinend hatte jene jetzt genug erfahren. Mit einem Lächeln wünschte sie eine gute Nacht.
»Gute Nacht«, sagte Violet und schaute der Frau im Kapuzenumhang nach, die den Friedhof verließ.
Etwas sagte ihr, dass sie Fionna nicht zum letzten Mal begegnet war.
Obwohl sie lange geschlafen hatte und sich beeilen musste, noch rechtzeitig zum Frühstück zu kommen, konnte Violet es nicht lassen, sich erst noch einmal den Abklatsch des alten keltischen Grabes anzuschauen. Er war einfach zu faszinierend.
Violet hatte einen ganzen Katalog voller Symbole und deren Bedeutungen, von alten keltischen und piktischen Felsgravuren bis zu den vielen wechselnden bildlichen Darstellungen, die seit dem Mittelalter Vergänglichkeit, Trauer und den Aufstieg der Seele in den Himmel bedeuteten. Sie wusste über Heraldik Bescheid und hatte sich extra ein Buch über die Wappen der Clans in den Highlands zugelegt.
Auf dem Ballyhennan-Friedhof fand sie, nicht überraschend, oft Elemente des Wappens der Earls of Lennox und des Clans McFarlane: das Kreuz mit den vier Rosen. Die McFarlanes hatten jahrhundertelang die Gegend um Tarbet unsicher gemacht und der Name stand auf einigen der Grabsteine. Außerdem gab es viele der üblichen Symbole, die man auf einem Friedhof mit Gräbern aus dem 18. und 19. Jahrhundert erwartete, wie Urnen, Totenköpfe, Engel und Blumen. Vereinzelt konnte man Zeichen der Handwerkszünfte entdecken, wie Hammer und Amboss.
Dazu kamen diverse seltenere Zeichen, die sie aber trotzdem gut einordnen konnte. Ein keltischer Baum des Lebens, von dem Violet ebenfalls einen Abklatsch gemacht hatte, zum Beispiel.
Aber diese Distel mit einer Art Edelstein darin, die sie auf der alten Grabplatte gefunden hatte, war ein Symbol, das Violet noch nie untergekommen war. Natürlich wusste sie, dass die Distel für die Highlands stand … aber so ein stilisiertes Sinnbild auf einer Grabplatte aus dem 16. Jahrhundert … das war extrem ungewöhnlich.
Sie schnappte sich ihr Notizbuch mit den Recherchen, die sie in der Nacht gemacht hatte, und wanderte gedankenverloren von ihrem Zimmer in den großen Frühstücksraum des B&Bs. Eine Wand des Raumes wurde von einer offenen Küche eingenommen, in der die Besitzerin Dessie gerade abwusch.
Violet wünschte ihr einen guten Morgen und setzte sich an einen der Tische an der Fensterfront mit Blick auf den Garten. Sie hatte die freie Wahl, denn alle anderen Gäste waren wohl mit dem Frühstück schon fertig.
Dessie kam an ihren Tisch und Violet bestellte Porridge und eine große Tasse Kaffee. Kaum hatte die B&B-Besitzerin sich abgewandt, blätterte Violet wieder in ihrem Notizbuch.
Obwohl die Grabsteine – abgesehen von der mysteriösen alten Grabplatte – alle aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert stammten, war der Friedhof selbst schon viel älter.
Angeblich waren dort sogar Wikinger begraben. Violet hatte herausgefunden, dass das Land um Tarbet und Arrochar 1225 vom Grafen von Lennox an dessen jüngsten Sohn Gilchrist überschrieben worden war. Vor der Schlacht von Largs, der großen Invasion der Nordmänner, hatte König Haco eine Expedition nach Schottland gesandt. Die nordischen Krieger waren mit ihren Schiffen den Loch Long hinaufgesegelt, um dann ihre Boote über den Isthmus zwischen Loch Long und Loch Lomond zu tragen. Zu der Zeit hatte Gilchrists Sohn Duncan regiert. Sein Sohn Bartholomew – Parlan auf Gälisch – war beim Kampf gegen die Wikinger dabei gewesen, und trotz seines jungen Alters soll er so viel Mut bewiesen haben, dass seine Gefolgsleute sich später McParlans nannten, die Söhne des Parlan. Daraus wurde mit der Zeit McFarlane.
Es gelang den Nordmännern, zum Loch Lomond vorzudringen, aber bei ihrer Rückkehr mit der Beute wurden sie von den McParlans überfallen. Die Schlacht fand zwischen Arrochar und Tarbet statt, an der Stelle, wo sich jetzt die Bahngleise befanden. Die Gefallenen wurden dort begraben, wo nun der Ballyhennan-Friedhof lag. Auch später müssen dort Leute beerdigt worden sein, und die älteste Jahreszahl auf den Grabsteinen, die Violet gefunden hatte, war 1720. Aber eine Kirche, die Free Arrochar Church, wurde erst 1844 gebaut.
Diese alten Geschichten halfen Violet nicht dabei, das Geheimnis um den alten Grabstein mit der Distel zu lösen. Alles, was ihr dazu einfiel, war, sich von einem ihr bekannten Experten bestätigen zu lassen, dass einige der Symbole mit denen auf einem anderen Grabstein übereinstimmten, der auf das 16. Jahrhundert datiert worden war. An diesen Stein hatte sich Violet nämlich erinnert, als sie die keltischen Randverschnörkelungen entdeckte. Es konnte sogar sein, dass der Stein, der bei einer Kirche in Perth ausgestellt wurde, von demselben Steinmetz bearbeitet worden war wie dieser hier in Tarbet.
Aber diese Distel …
»Entschuldigen Sie bitte, sind Sie Violet Grave?«
Violet riss sich ungern von ihren Notizen los und schaute auf.
Ein gut aussehender Mann Mitte dreißig stand neben ihrem Tisch und blickte sie aus freundlichen braunen Augen an.
»Ja?«
»Guten Tag, mein Name ist Detective Inspector Declan Reid. Darf ich mich für einen Moment zu Ihnen setzen?«
Violet runzelte die Stirn, nickte aber. Sie nahm einen Schluck vom Kaffee, den Dessie zusammen mit dem Porridge zum Tisch gebracht haben musste, ohne dass es Violet aufgefallen war.
Inspektor Reid setzte sich.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie unerlaubterweise Kopien der Grabsteinreliefs auf dem Ballyhennan-Friedhof machen möchten.« Inspektor Reid lächelte freundlich.
Violet merkte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Diese Fionna! Sie hatte nur so freundlich getan, um sie auszufragen. Und dabei hatte ihr Violet auch noch dabei geholfen, das verlorene Heft zu suchen. Was für eine falsche Schlange.
Um zu verbergen, wie sehr sie sich ärgerte, tauchte Violet ihren Löffel in das Porridge mit den köstlich aussehenden Brombeeren. Sie nahm einen Bissen, kaute bedächtig und schluckte ihn herunter, bevor sie sagte: »Ja, und? Müssen Sie mich jetzt festnehmen?«
»Nein, ich denke nicht. Wenn Sie mir diesen … Abklatsch? … aushändigen, dann sehe ich keine Notwendigkeit, das Ganze weiter zu verfolgen.«
Violet verschränkte die Arme vor der Brust und schaute den Inspektor herausfordernd an. »Das ist mein Privateigentum. Das muss ich Ihnen nicht aushändigen. Und ich habe keine Straftat begangen.«
»Man könnte argumentieren, dass Sie Gräber verschandelt haben.«
Violet brauchte einen Moment, bevor sie etwas herausbrachte. »Ich kann Ihnen versichern, dass ich nichts dergleichen getan habe. Ich weiß ja nicht, was Fionna erzählt hat …«
Der Inspektor runzelte die Stirn und holte ein kleines Notizbuch aus der Tasche seiner Jacke. Er blätterte darin, bevor er sagte: »Angeblich haben Sie den Stein mit einer ätzenden, erodierenden Flüssigkeit behandelt …«
»Wasser!«, unterbrach Violet ihn verärgert. »Ich habe Wasser benutzt. Und das weiß Fionna auch. Sie hat mir geholfen. Warum macht sie jetzt diese falschen Anschuldigungen?«
Der Inspektor hob beschwichtigend die Hand. »Das lässt sich bestimmt klären. Aber ich schlage vor, damit wir auf Nummer sicher gehen, händigen Sie mir etwaige Reliefs, die Sie bisher gemacht haben, aus. Und dann beantragen Sie einfach eine Erlaubnis, bevor Sie weitermachen. Dann läuft alles vorschriftsgemäß.«
Violet stöhnte. »Inspektor, das kann Tage oder gar Wochen dauern. So lange wollte ich eigentlich nicht hierbleiben. Und außerdem sind dann einige Stunden Arbeit dahin!«
Inspektor Reid lächelte immer noch freundlich, aber sein Ton war etwas schärfer, als er antwortete: »Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen.«
»Ich habe kein Grab beschädigt oder gar verschandelt. Gerne können Sie sich die Gräber anschauen oder ich gebe Ihnen Informationen über die Methode, die ich anwende. Dann können Sie sich versichern, dass alles völlig harmlos ist.« Violet klang verzweifelt.
»Da steht Fionnas Aussage gegen Ihre, muss ich leider sagen.«
»Können Sie mir mitteilen, wo ich Fionna finde? Wenn ich mit ihr rede, nimmt sie vielleicht Vernunft an.«
»Solche Informationen kann ich nicht rausgeben.«
Violet überlegte. »Sie können aber nicht einfach verlangen, dass ich Ihnen meine Arbeit aushändige. Dafür brauchen Sie doch einen Gerichtsbeschluss.«
Inspektor Reid nickte und stand auf.
Violet wollte schon erleichtert ausatmen, als er sagte: »Dann leite ich mal ein Strafverfahren wegen Friedhofsvandalismus ein, wenn Sie das lieber so regeln möchten. Kommen Sie doch mit aufs Revier …«
»Nein!« Violet sprang auf und ballte die Fäuste. Sie war sich zwar sicher, dass ihr niemand etwas anhängen konnte, aber in ihrem Beruf konnte sie es sich nicht leisten, sich einen schlechten Ruf einzuhandeln. Was, wenn sie deshalb nicht mehr auf Friedhöfe gelassen wurde?
Zähneknirschend sagte sie: »Na gut. Sie bekommen, was Sie wollen.«
»Wundervoll«, strahlte Inspektor Reid.
»Kommen Sie mit.«
Verärgert brachte sie den Inspektor zu ihrem Zimmer. »Warten Sie hier«, befahl sie und machte ihm die Tür vor der Nase zu. Sie musste ihn ja schließlich nicht auch noch in ihrem Zimmer herumschnüffeln lassen.
Violet machte schnell noch ein paar extra Fotos von dem Abklatsch der alten Grabplatte, nahm diese und die beiden anderen vom keltischen Kreuz und dem Lebensbaum und stellte sie an der Wand neben der Tür ab.
Sie machte die Tür auf und reichte dem Inspektor die drei großen Platten. Sie wollte noch sagen: »Seien Sie vorsichtig, dass sie nicht kaputtgehen.« Da fiel ihr ein, dass das dem Inspektor wahrscheinlich egal war. Eine Mischung aus Trauer und Wut breitete sich in ihr aus, als sie sich bewusst wurde, dass man die Platten wahrscheinlich zerstören würde.
»Ich weiß nicht, warum Sie und vor allen Dingen Fionna meine Arbeit sabotieren wollen«, sagte sie, nachdem der Inspektor sich schon verabschiedet hatte. Der junge Mann blieb im Flur stehen, sagte aber nichts. »Ich habe niemandem etwas getan und Fionna weiß, dass ich nichts beschädigt habe. Das hier ist pure Schikane. Aber was auch immer der Grund dafür ist, mir kann nicht verboten werden, Friedhöfe zu betreten und Gräber zu fotografieren. Mir kann niemand untersagen, diesen Grabstein und andere zu erforschen. Und das werde ich auch tun.«
Mit diesen Worten knallte sie die Tür zu.
Violet lehnte sich von innen dagegen. Ihre Finger spielten mit dem Medaillon, das sie immer an einer langen Kette um den Hals trug. Sie grübelte nach, bis sie eine Idee hatte, wie sie diese Fionna finden könnte.
Und dann würde die ihr Rede und Antwort stehen müssen!
Violet verbrachte den Rest des Vormittags damit, ihre Fotos und Recherchen zu ordnen und in einem Cloud-Speicher zu sichern.
Wahrscheinlich war sie paranoid, aber sie musste unbedingt verhindern, dass ihre ganze Arbeit in Tarbet umsonst gewesen war. Bestimmt hatte die Polizei in einem so kleinen Kaff wenig zu tun, aber harmlosen Friedhofskünstlern mit Verhaftung zu drohen, das ging doch schon ein bisschen weit.
Violet hatte ein Gespür dafür, wenn etwas Mysteriöses vor sich ging, und ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass mit dem Friedhof in Tarbet irgendetwas los war. Fionna musste einen Grund dafür haben, dass sie ihr so viele Steine in den Weg legen wollte, und Violet hatte vor, herauszufinden, was dieser Grund war.
Zwar hatte der Inspektor keine Informationen über Fionna herausgeben wollen – aber in einem Dörfchen mit knapp einhundert Einwohnern würde eine junge rothaarige Frau doch wohl zu finden sein.
Violet hatte wenigstens einen Anhaltspunkt.
Und so machte sie sich am Mittag zu dem Restaurant in der ehemaligen Ballyhennan-Kirche auf. Fionna hatte ihr gestern von einem Vorstellungsgespräch dort berichtet. Auch wenn sie den Job nicht bekommen hatte, wusste man im Kirk, wer sie war und wo sie wohnte.
Das Kirk sah von außen immer noch aus wie eine Kirche, mit alten grauen Mauern und bunten Fenstern. Als Violet durch die schwere Tür schritt und das ehemalige Querschiff der Kirche betrat, stellte sie fest, dass sich auch im Inneren nicht viel geändert hatte. Rechts befand sich eine Bar, aber am anderen Ende stand noch die alte Orgel. Neben der Bar gab es eine kleine Sitznische, doch alle anderen Tische befanden sich im großen Hauptschiff. Die Tische waren aus demselben dunklen Holz wie die gedrechselten Säulen rechts und links des ehemaligen Mittelgangs. Tischläufer aus Tartanstoff und Bilder mit schottischen Motiven an den Wänden ließen das Restaurant noch uriger erscheinen.
Violet schaute auf die Uhr. Es war viertel vor zwölf und die Küche hatte gerade geöffnet. Sie war der einzige Gast.
Personal war auch noch keins zu sehen. Violet ging die zwei Stufen vom Hauptschiff wieder herunter, als eine Frau Anfang vierzig aus der Tür kam, die vermutlich zur Küche führte.
»Guten Tag«, begrüßte sie Violet. »Sie können sich gerne einen Platz aussuchen. Für eine Person – oder bekommen Sie noch Gesellschaft?«
Violet hatte eigentlich nicht unbedingt vorgehabt, hier etwas zu essen. Allerdings hatte sie dank des Inspektors ihr Frühstück vorzeitig abbrechen müssen und ihr Magen meldete sich beim Gedanken an die schottischen Spezialitäten, die hier angeboten wurden.